Ludwig Ganghofer
Das Gotteslehen
Ludwig Ganghofer

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6

Was war in hundertdreißig Jahren aus der kleinen Martinsklause geworden! Ihr erster Anfang hatte sich schon in Sage verwandelt, in welcher Riesen und Wunder spielten. Aus dem weltverlorenen Heim der Brüder, die das Kreuz errichtet und den Wald gerodet hatten, war ein reiches Stift geworden, in welchem regulierte Chorherren aus adligen Geschlechtern saßen, »Kriegsmänner und Weltherren«, die bei allen Händeln der deutschen Fürsten mitzureden hatten.

Die kluge Politik der Pröpste, die treu zum Kaiser hielten, die Gunst der wechselvollen Zeiten, die sichere Abgeschiedenheit des von Bergen umwallten Ländleins – das alles hatte zusammengewirkt, um das junge Stift in hundert Jahren zu einer Machtblüte emporzuführen, zu welcher andere Klöster erst nach zwei und drei Jahrhunderten gelangen konnten.

Die Stürme jener kriegerischen Zeit warfen nur selten eine halb verrauschte Welle in das abgelegene Tal. Von den Erschütterungen, welche die Kreuzzüge in der abendländischen Welt hervorriefen, verspürte man in diesem geschützten Kessel der Berge kaum ein leises Zittern. Die Chronik des Klosters weiß nur von einer einzigen Kreuzfahrt zu erzählen, an welcher ein Propst des Stiftes teilgenommen hatte, um in den Schlammwogen des Nils seinen Tod zu finden. Häufig aber berichtet der Chronist, daß feste Häuser in den Städten, Weinberge und Wälder, Burgen und Gehöfte eines ritterlichen Herren, der das Kreuz genommen hatte, durch fromme Stiftung als »Seelgerät« in den Besitz des Klosters kamen.

Kaiser Rotbart war dem jungen Stift ein gewogener Gönner. Reiche Schenkungen wies er »den getreuen Brüdern von Berchtesgaden« zu, und als er in Würzburg Hochzeit feierte mit Beatrix von Burgund, bestätigte er dem Kloster das Jagd-, Fischerei- und Forstrecht in weiten Gebieten, bewilligte ihm das Recht, auf Salz und Erze aller Art zu bauen, und legte so den Grund zur Reichsunmittelbarkeit des Klosters. Ein goldenes Siegel, erzählt die Chronik, hing an dieser Urkund, und einer der Zeugen, die den kaiserlichen Brief beglaubigten, war der Pfalzgraf Otto von Wittelsbach. Der wurde, als er die Herzogskrone von Bayern gewann, dem Stift ein freundlicher Nachbar und schlichtete zugunsten der Berchtesgadener manchen Handel, den die Reichenhaller Brüder von St. Zeno oder die eifersüchtigen Domherren von Salzburg aufrührten.

Jeder neue Kaiser mehrte den Besitz des Stiftes, und um die Wende des zwölften Jahrhunderts verlieh Kaiser Heinrich VI. dem Kloster die weltliche Gerichtsbarkeit. Nur das Richteramt über ritterliche Herren und freie Bauern blieb dem kaiserlichen Viztum vorbehalten.

Von einem Jahrzehnt zum anderen erweiterten sich die Grenzen des Klosterlandes. Pongau und Pinzgau waren gewonnen; reiche Güter in Franken und Niederbayern, am Inn und an der Isar, an der Rot und Vils waren an das Stift gefallen, und in Österreich, an der Donau, hatte das Kloster gute Weinberge erworben, um den Durst seiner Chorherren und dienenden Brüder zu stillen. Von dort her kamen die Wagen mit hohen Fässerladungen angefahren, und besser als das Benediktus vom Kredo unterschieden die frommen Brüder den Frechauer vom Taillander, den Armstorfer vom Mörtaler und den Sattelsteiger vom Eisentürler. Der besonderen Obhut des Kellermeisters war der linde Goldtropfen von Stein und Rechberg anvertraut, der den Feiertagstrunk auf der Tafel der adligen Chorherren bildete.

Für das süß mundende Rebenblut schickten sie das saure Salz in weite Lande. Wohl hatte der Salzburger Nachbar die erste Solquelle, die am Fuße des Tuvalberges zwischen Rif und Grafengaden gefunden wurde, mit flinkem Griff an sich gerissen. Zum Ersatz für das Verlorene wurden innerhalb des Klosterlandes noch reichere Salzlager erschlossen: Auf den nordwestlichen Gehängen des Göhl, am Goldenbach und bei Schellenberg, wo um die neugegründete Pfannstätte bald eine belebte Ortschaft heranwuchs. Der rege Handel brachte klingenden Gewinn ins Land. Aber wo die Karpfen gedeihen, stellen sich Hechte ein. Überall an seinen Grenzen erwuchsen dem Stifte eifersüchtige Gegner. So verwandelten sich die »Gottesmänner« in »Kriegsherren«, die mit bewaffneter Faust ihren Besitz verteidigten, reisige Knechte in ihre Dienste nahmen und die bedrohten Grenzgebiete an rauflustige Ritter zu Lehen gaben. Im Pongau und Pinzgau saßen Berchtesgadnische Vasallen, ein gefestetes Hällingeramt beschützte die Pfannstätte zu Schellenberg, an der Grenze beim »Hangenden Stein« war die enge Talstraße gegen Salzburg durch Turm und Tor gesperrt, und die Burg des Hallturners verteidigte die Straße gegen Reichenhall.

Bei so weltlichen Sorgen konnte das Leben der Chorherren kein sonderlich beschauliches sein. Sie waren die Kinder einer Zeit, in der die staatliche Macht ihre beste Kraft am Felsen Petri zerrieb, während die heiligen Waffen der Kirche im Streit um irdischen Gewinn ihr Ansehen verbrauchten und die Bannstrahlen so reichlich wie die Blitze bei einem Hochgewitter zuckten, das man zu fürchten verlernte; einer Zeit, in der man als Lebender erraffte, was sich greifen ließ, die Vergebung seiner lachenden Sünden mit Wäldern und Höfen erkaufte und sich seines Christentums erst in der Todesstunde erinnerte, wenn die Angst vor dem ungewissen Drüben die abergläubischen Seelen schüttelte; einer Zeit, in der sich Ritter und Priester kaum noch durch das Gewand unterschieden und das Leben zwischen klösterlichen Mauern sich in den gleichen ungezügelten Formen erging wie auf den Burgen weltlicher Herren. Es war die Zeit, in der die Blume des Rittertums zur Distel wurde und die mystisch verzückte Bewunderung für Wolframs Parzival und Titurel sich verwandelte in das derbe Vergnügen an den zotigen Liedern des Nithart und des Göli von Stamheim. Sie verhöhnten das Volk, dessen gesunde Kraft sie nicht verstanden, und spotteten des Bauern, dem sie die Haare schnitten und die Steuern aus allen Poren preßten.

Da wurde allmählich auch das Volk ein anderes. Auch das Volk der Berge. Der wachsende Verkehr des Stiftes führte fremdes Blut ins Berchtesgadner Land. Bergmänner und Handwerker siedelten sich an, Kaufleute taten ihre Läden auf, und Flüchtlinge, die anderwärts einem übelgeratenen Handel entronnen waren, fanden ein offenes Asyl bei dem Kloster, das einer rascheren Besiedlung seiner menschenarmen Täler allen Vorschub leistete. So war die Bevölkerung des Gadens auf mehr als dreitausend Untertanen des Stiftes angewachsen. An den Laienhof des Klosters hatte sich eine lange Bürgergasse spitz gegiebelter Häuser angeschlossen. Und da es – wie sich das Wort der Bibel in einer Chronik jener Zeit ad usum clericorum gedeutet findet – nicht gut ist, wenn die Brüder allein sind, so war unter den Fittichen des Stiftes auch ein Klösterlein für fromme Schwestern entstanden.

Wie ein Schäfer mit großem Hut und weitem Mantel inmitten der gelagerten Herde steht, so ruhte zwischen den zerstreuten Siedlungen und der enggedrängten Bürgergasse das weitläufige Gebäude des Stiftes. Thronend auf der Plattform eines gegen die Höhe des Loksteines angelehnten und gegen das Tal der Ache steil abfallenden Hügels, gestützt durch gewaltige, aus dem Felsgrund aufstrebende Pfeiler und umzogen von getürmten Mauern, schloß es mit seinen Bauten den geräumigen Klosterhof in Form eines Dreiecks ein. Gegen Osten, dem hohen Göhl gegenüber und nach dem Flußtal hin, erhob sich das Münster mit dem wuchtigen Glockenturm. Ein Kreuzgang, zwischen der alten Martinskapelle und dem neuen Trinkstübchen des Kellermeisters gelegen, umschloß mit romanischen Doppelsäulen ein gepflegtes Gärtlein, überwölbte die tief in den Fels gehauenen Weinkeller und trennte das Münster vom großen Kapitelsaal. Gegen Süden, das weite Tal bis zum Watzmann überblickend, lag das Refektorium; daneben die Küche, groß wie eine Halle, die kleine Zelle des Küchenmeisters, die Amtsstube des Dekans, das Gelaß der Schreiber und die Stube des Klostervogtes mit Tür und Treppe gegen den Laienhof. Aus einem langen Korridor, dessen schmale, mit schwerem Eisenwerk vergitterte Fenster nach dem Klosterhof blickten, führte eine steinerne Wendeltreppe hinauf in das Obergeschoß, in dem die Zimmer des Propstes und die Zellen der Chorherren lagen.

Auf der Schrägseite des Hofes, gegen den steigenden Berghang, drängte sich winkelig ein Bau neben den anderen. Da stand das Haus mit den Zellen der dienenden Brüder; eine vorgebaute Säulenhalle diente zu wirtschaftlichen Hantierungen und enthielt neben dem laufenden Brunnen den gemauerten Fischtrog, in dem die Forellen der Ache, die Hechte und Saiblinge des Königssees den Freitag erwarteten. An das Brüderhaus schlossen sich die Wirtschaftsgebäude, das Käsgewölbe und der Milchkeller, die Obst- und Gemüsehalle, die Mehlkammer und das Bräugewölbe, der Zwinger für die Jagdhunde und die Falkenstube, das Schlachthaus und die Rüstkammer, die Futterscheunen und Kornböden, die Pfisterei, die Ställe für die Reitpferde, für die Saumtiere und das Milchvieh.

Beim Münster, das die wehrhafte Mauer im Bogen umschloß, sperrte ein festes Tor den Klosterhof gegen die Salzburger Straße. Auf der anderen Seite, gegen die Bürgergasse, gelangte man durch ein inneres Tor in den kleineren viereckigen Laienhof. Hier rollten und polterten die kreisenden Steine der Klostermühle, und es rauschte der Mühlbach, der in einem mit Bohlen bedeckten Rinnsal den Hof durchfloß. Neben der Mühle führte eine Treppe hinunter in den Keller, in dem das dünne Leutbier verzapft wurde; darüber lag die Pilgerherberg und die Wachstube, in der die reisigen Knechte mit den Fronboten zechten und bei Würfelspiel und Riemenstechen randalierten; gegenüber befand sich die Schlafstube der Falkner und Jägerknechte, die Herberg für die Stallbuben und für fremde Troßleute; auf der einen Seite des Außentores, das den Weg zur Bürgergasse sperrte, lag unter dem hölzernen Wehrgang der Mauer ein Stall für die Pferde der Gäste und reitenden Boten, auf der anderen Seite saß der Torwart in seinem engen Stübl, das zwei winzige Fenster hatte, eins in die Torhalle, das andere, dick vergittert, gegen den Brunnenplatz der Gasse. An diesem Lugaus, durch dessen Gitter der scharfe Wind hereinpfiff, stand der alte Wärtl und rief einem Reiter, der draußen über dem Torgraben schon zum anderenmal an das kupferne Schallbecken geschlagen hatte, die rauhen Worte zu: »Nur langsam! Unser Tor ist kein Espenblatt. Hast du es so eilig? Was bringst du?«

»Botschaft vom Herzog in Bayern!«

Ein Knecht war in der Torhalle an den Haspel getreten und ließ die Schlagbrücke sinken. Als sie sich niederlegte über den Torgraben, fuhr der Sturmwind sausend in die Halle und jagte eine Wolke Staub herein. Der Wärtl hieß den Boten aus dem Sattel steigen. »Das ist ein kalter Wind, den du bringst. Wenn deine Botschaft nit linder blast, wirst du einen kühlen Gruß im Kloster hören!« Dem Knecht am Torhaspel rief er zu: »Laß die Schlagbruck noch drunten ein Weil. Ein Chorherr kommt. Ich mein, es ist derselbig, wegen dem die Brüder so schreien im Hof.« Er führte den Boten zum Innentor und ließ den Klöppel hallen. Immer wieder mußte er klopfen. Der Hall ging unter in dem wirren Stimmenschwall, der den Klosterhof erfüllte.

»Üben die frommen Brüder einen Meßgesang?« fragte lachend der Bote.

Da wurde an dem großen Tor ein Türlein aufgetan. Der Bote trat ein und sah sich einem Schwarm von Klosterbrüdern gegenüber, die schreiend dem Tor entgegendrängten, geführt von Bruder Medardus, dem Zinsmeister. Es schien, als hätten sie in ihrem Zorn die Ankunft eines anderen erwartet. Sie stellten ihr Schreien ein und betrachteten verdutzt den Boten; die einen begannen zu lachen, die anderen schalten; dann kehrten sie mit lautem Durcheinanderschwatzen unter die Säulenhalle des Brüderhauses zurück, wo Medardus mit fuchtelnden Armen in ihrer Mitte redete. Nur einer der Brüder war geblieben, um den Boten zu führen, ein Greis mit kahlem Schädel und gestutztem Weißbart, die Glieder kräftig, die Züge derb, mit Augen, die ruhig blickten. »Komm«, sagte er, »ich führ dich zum Herren.«

Auf der Schwelle, die sie überschritten, blickte der Bote noch einmal hinüber zum Brüderhaus. »Die kochen einen bösen Willkomm! Was hat ihnen der Mann getan, über den sie schreien?«

»Was der edle Falk den Krähen getan hat, wenn sie scharweis ausfliegen, um ihn zu rupfen.«

»Dich erbarmt der Falk?«

Der Bruder blieb die Antwort schuldig und stieg über eine steinerne Wendeltreppe hinauf.

»Bist du der Bruder, der in den Stuben des Propstes dient?«

»Ich bin Eligius, der Metzger.«

»Du hast Mitleid mit den Federn, die ein Falk verlieren soll?«

»Wenn's nur die Federn wären! Ich fürcht, sie rupfen ihn tiefer.«

»Blutscheu? Du! Ein Schlächter? Siehst du Blut nit rinnen an jedem Tag?«

»Drum weiß ich auch, wie warm es ist und was davonrinnt mit ihm.«

Sie hatten den Oberstock erreicht und schritten durch einen langen Korridor auf eine Tür zu, deren Fries in rotem Marmor das Wappen des Klosters trug. Durch die geschlossene Tür klang eine zornig erregte Stimme, hart und scharf. »Wart noch ein Weil!« sagte der Bruder und hielt den Boten außer Hörweite der Tür zurück. Endlich schwieg die Stimme und Eligius trat in das Gemach des Propstes. Das war ein großer Raum, der das Gebäude in seiner ganzen Breite durchquerte; zwei hohe Fenster blickten gegen das Tal und den Watzmann, ein drittes, den anderen gegenüber, ging nach dem Klosterhof. Schwere Balken trugen die Decke, und die Wände waren mit gebräuntem Holz getäfelt. Geschnitzte Truhen standen umher, mit kunstvoll geschmiedetem Eisenbeschlag. Auf Konsolen und Schränken funkelten silberne Geräte und goldene, mit edlen Steinen besetzte Kelche. Vor einem Kreuzbild stand ein Betschemel mit rotem Samtpolster, und neben dem großen Kamin verhüllte ein Vorhang mit eingewebten Engelsköpfen die Nische, in der das Ruhelager des Propstes stand. Fliesen aus grauem und rotem Marmor deckten schachbrettartig den Fußboden und waren mit Teppichen und Fellen belegt.

Alles Gerät der Stube war von Zwielicht umflossen; die trüben Glasstücke der schwerverbleiten Fenster ließen nur spärliche Helle ein. Und draußen hatte das graue Sturmgewölk schon den ganzen Himmel überzogen.

In der Mitte des Raumes stand ein großer Tisch, dessen Holzplatte von plump gemeißelten Marmorfüßen getragen wurde. Darüber hing von der Decke der eiserne Kronleuchter nieder, mit Öllämpchen an Ketten, mit Wachskerzen auf hohen Dornen. Eine hölzerne Weinbitsche mit silbernem Becher stand auf dem Tisch, und daneben lag ein Weidgehäng mit kurzem Messer, eine Reitpeitsche, eine lederne Falkenfessel und eine Schwanenfeder.

Schwere Stühle mit roten Kissen standen um den Tisch her, dabei ein Lehnsessel, ganz mit Fellen überhangen. Auf diesem Sessel ruhte Herr Friedrich, der Propst, in einem pelzgefütterten Hausrock über dem seidenen Talar, und auf dem Haupt ein Käppl, von dem gezahnte Tuchlappen über die Ohren und den Nacken fielen. Ein Lächeln spielte um den Mund des Propstes, doch in den kleinen Augen blitzte es wie Zorn, der sich bergen will.

Noch ein anderer war im Gemach und stand am Tisch, die knöcherne Faust auf die Platte gestützt: eine hagere Gestalt, wie aus weißem Stein gemeißelt, über eckige Schultern ein starrer Kopf, den das kurzgeschnittene Grauhaar wie eine glatte Eisenhaube bedeckte, die Züge kalt und hart, mit einem Mund, der einer grauen Linie glich, mit tiefliegenden Augen, die unter der vorgebauten Stirn herausblickten wie Späheraugen aus den Luken einer Mauer. In Erwartung hingen diese Augen an dem Gesicht des Propstes, als sollte er Antwort auf eine Frage geben.

Herr Friedrich schwieg und betrachtete den isländischen Falken an seiner Seite. Den Kopf mit der ledernen Haube bedeckt, saß der Falk in einem schaukelnden Ring, der von einem hölzernen Ständer getragen wurde.

Dem anderen stieg das Blut in die Stirn. »Eure Antwort, Herr?«

Im gleichen Augenblick öffnete Eligius die Tür. Freundlich winkte Herr Friedrich mit der Hand. »Sieh da, mein Bruder Schlächter! Kommst du auch, um Klage zu führen? Machen deine Kälber Aufruhr in ihrem Stall?«

»Täten sie's, so käm ich ihnen mit Strick und Knebel. Aber meine Kälber sind geduldig, als wären sie gute Christen.«

»Bruder«, fiel ihm eine scharfe Stimme ins Wort, »wahr deine Zunge!«

Eligius blickte ruhig auf. »Was hab ich Unrechtes gesagt, Herr Wernher? Ist Geduld denn nit eine christliche Tugend?«

»Nein, Bruder!« lachte der Propst. »Sonst wäre unser weiser Dekan Wernherus ein schlechter Christ. Geduld ist nicht seine Sache. Was bringst du?«

»Einen Boten, der zu Euch begehrt.«

»Laß ihn kommen!«

Der Bruder öffnete dem Boten die Tür.

Freude überflog das Gesicht des Propstes, als er die Farben erkannte, die der Bote trug. »Deine Farben sind blau wie die Treue, die selten ist, und weiß wie mein Falk, dem kein anderer gleicht. Du bist willkommen! Bist du nicht der Sohn des alten Rullo, der dem Herzog zu Landshut das Burgtor hütet?«

»Ja, Herr!«

»Wie geht es meinem fürstlichen Vetter in Bayern?« fragte Herr Friedrich. Nicht nur der Fürstenring, den er als Propst zu Berchtesgaden trug, auch Bande des Blutes gaben ihm das Recht, den Herzog in Bayern seinen Vetter zu nennen. Er stammte aus dem Hause der Grafen von Ortenburg und war ein Sohn des zweiten Rapoto, dem Pfalzgraf Otto von Wittelsbach seine jüngste Tochter Mechthild zur Gemahlin gegeben hatte.

Der Bote beugte das Knie und löste von seinem Gürtel eine kupferne Hülse, die er in die Hände des Propstes gab. »Meinem Herren liegt die schwere Zeit wie Blei auf dem Herzen. Als er mir diesen Gruß an Euch befahl, war sein Auge freundlich.«

»Dann wird die Botschaft sein, wie sein Auge war.« Herr Friedrich öffnete die metallene Kapsel, nahm das Pergament hervor und las. Als er das Blatt wieder faltete, nickte er lächelnd vor sich hin und sah mit spöttisch-heiterem Blick zu Wernherus auf.

»Das ist Botschaft, die ihren Lohn verdient!«

Er legte das Pergament auf den Tisch. »Bruder Eligius, hol mir den Becher da drüben vom Gesims! Nicht den kleinen, den anderen, der größer und schöner ist! Nimm, lieber Bote! Und du, Bruder, sorge für diesen wackeren Jüngling. Wenn er morgen ausreitet zum Klostertor, soll er sagen: ›Das war gute Herberg!‹«

Als Eligius und der Bote die Stube verlassen hatten, streichelte Herr Friedrich mit der Schwanenfeder seinem Falken den Rücken. Wartend stand Wernherus. In seinen Augen funkelte die Ungeduld. Die Fenster klirrten im wachsenden Sturm, der an ihnen rüttelte. »Ich kenn Euch als einen Herren, der zu sparen versteht, wenn es sich nicht um Falken handelt!« brach Wernherus das Schweigen. »Der Herzog in Bayern muß dem Kloster wertvollen Gruß gesendet haben, weil Ihr dem Boten so verschwenderischen Lohn gereicht.« Er streckte die Hand nach der Rolle.

Herr Friedrich deckte den Ärmel seines Pelzrockes über das Pergament und sagte lächelnd: »Geduld, Wernherus! Das ist eine Tugend, die du noch lernen mußt. Willst du der große Mann werden, den du heute schon in dir siehst, so mußt du das Warten üben. Das ist die beste Kraft der Mächtigen, daß sie den Augenblick erharren können, in dem ein Griff gelingt. Sie jagen wie der edle Falk. Der Habicht hat den Griff der hungrigen Ungeduld. Drum taugt er schlecht für den hohen Flug.«

»Daß ich jede Botschaft kenne, die dem Kloster gilt, ist ein Recht meiner Würde.«

»Bist du um das Recht der anderen auch so besorgt wie um das deine? In exemplum adjungo: um das Recht des Greimold im Gotteslehen?« Herr Friedrich versetzte dem Ring, in dem der Falke schaukelte, einen gelinden Stoß. »Wolltest du nicht Antwort wegen des Greimold haben?«

»Gebt die Antwort!« erwiderte Wernherus mit zornbebender Stimme. »Nach der Botschaft des Herzogs, die Ihr Ursach zu verhehlen habt, will ich Euch fragen vor versammeltem Kapitel.«

Wieder blitzten die Augen des Propstes in heiterem Spott. »Ja, guter Wernherus, tue das!«

»Eure Antwort, Herr! Was beschließt Ihr gegen den Mann im Gotteslehen? Laßt mich die bewaffneten Knechte schicken, daß sie ihn fassen. Noch heute nacht!«

»Schon wieder die Ungeduld?«

»Ich kenne den Mann. Sein Trotz ist wie Eisen. Laßt Ihr ihm Zeit, so wird er seinen Hof festigen, wird Waffen schmieden gegen uns, und alle Unzufriedenen wird er sammeln unter seinem Dach.«

»Der Unzufriedenen sind viele in meinem Land. Das hab ich dir zu danken.«

»Nein, Herr! Schreibt die Ursach Eurer Schwäche zu!«

»Freilich, ging es nach deinem Willen, so möchte den Unzufriedenen bald die Zunge fehlen, mit der sie schreien nach ihrem Recht.« Herr Friedrich lächelte wieder. »Aber hast du nicht selbst das Recht berufen? Eben jetzt? Da du so ein großer Freund des Rechtes bist, soll dem Mann im Gotteslehen geschehen nach Gesetz und Recht. Versammle das Kapitel und klage gegen den Mann!«

»Das hieße Zeit verlieren. Der Bauer hat gelästert gegen mich und Euch, er hat die Landruh gestört und sein Gesind gegen unsere Leute gehetzt.«

»Wenn das wahr ist, soll der Bauer seine Freiheit verlieren und sein Leben. Die Wahrheit muß erwiesen werden. Dein Zinsmeister ist ein Fisch von üblem Geruch. Er hat mehr Lügen im Sack als Haare an seiner Kutte. Hätte der Bauer getan, wie Medardus behauptet, so hätte Irimbert dem Mann nicht Hilfe geboten. Der soll der Zeuge sein, dem ich glauben will.«

Wernherus lachte; es war ein Klang wie das Klirren der Fenster, an die der Sturmwind schlug. »Bis dieser Zeuge sich stellt, mögt Ihr lange warten, Herr Friedrich! Da er weiß, daß ihn sein Verschulden in meine Hand gegeben hat, wird er den Bereich meines Armes meiden. Bereitet Euch auf den Kummer vor, Euren Liebling nicht wiederzusehen. Ich will Milde üben und seine Flucht nicht hindern.«

»Das ist auch von deinen Fehlern einer, du Milder, daß du die Menschen wägst nach deinem eigenen Gewicht. Vor dreißig Jahren ist ein junger Novize aus Furcht vor verdienter Strafe dem Kloster entsprungen. Der wäre nicht wiedergekommen, wenn ihn die Schergen nicht gefangen hätten. Er hieß Wernherus.« Da ließ sich im Klosterhofe wüstes Geschrei vernehmen, das den Lärm des Sturmes übertönte. »Höre, du Milder, wie deine Lämmer blöken!« Herr Friedrich schob das Pergament in eine Tasche seines Pelzrockes und ging zum Fenster. Ein kaltes Lächeln folgte ihm, ein sprühender Blick des Hasses. Der Propst hatte die Guckscheibe des Fensters in die Höhe geschoben und blickte in den von Geschrei erfüllten Hof. Unter wehendem Staub, den der sausende Sturmwind trieb, sah er im Klosterhof den Knäuel der lärmenden Brüder und sah, wie sich Irimbert den Fäusten entwand, die ihn bedrängten. Das Bild des Kampfes schien den Propst zu erheitern. Lachend rief er in den Hof hinunter: »Gib's ihnen! Jeder Schlag ist wie guter Regen auf ihre brennenden Strohköpfe! Wehre dich, Irimbert! Und zu mir! Zu mir!« Er ließ das Fenster sinken und eilte zur Tür, als möchte er dem Bedrängten Hilfe bringen.

Da vertrat ihm Wernherus den Weg. »Geduld, Herr Friedrich!« sagte er mit schneidendem Hohn. »Solltet Ihr die große Kunst des Wartens so wenig verstehen, daß Ihr nicht harren könnt, bis Euer Liebling diese Tür gewinnt? Ein Asyl, das ihn der Strafe entzieht, soll ihm Eure Stube nicht werden. Er ist schuldig und soll büßen. Oder –« Mit kaltem Lächeln sah Wernherus dem Propst in die Augen. »Wollt Ihr ihn schützen?«

»Vor deinem ungerechten Haß, Wernherus? Ja!«

»Auch gegen Hausgesetz und Regel?«

»Nein!« Herr Friedrich wandte dem Dekan den Rücken zu und öffnete die Tür.

Man hörte die Brüder schon im Hause lärmen. Jetzt erschienen sie in der Tiefe des Korridors. Irimbert schritt vor ihnen her, ruhig, ohne sich umzublicken nach dem Schwarm, der sich schreiend hinter ihm drängte. »Sieh nur«, sagte der Propst mit Lachen, »wie sie her sind hinter ihm! Wie die Meute hinter dem Hirsch, den sie ankläfft und nicht zu greifen wagt!«

Mit brennendem Gesicht, ohne ein Wort zu sprechen, stand Irimbert vor dem Propste.

»Komm herein!« Herr Friedrich gab die Schwelle frei. Dann trat er dem lärmenden Hauf entgegen. »Geht in Frieden auseinander, ihr guten Söhne des Himmels! Eure Herzen duften von aller Tugend. Tragt diesen Wohlgeruch hinunter ins Brüderhaus! Er macht mir die Luft in meiner Stube dick.« Unbekümmert um das Murren, das sich hinter ihm erhob, trat er in sein Gemach und schloß die Tür. Da hörte er, wie Wernherus sagte:

»Schien dir der Weg über die Berge zu hoch und zu gefährlich? Fehlte dir der Mut, die Flucht zu wagen, um den Aufruhr in das Haus deines Bruders zu werfen?«

Mit raschen Schritten trat Herr Friedrich zwischen die beiden.

»Laßt ihn, Herr!« sagte Irimbert. »Er will nur hören, daß der Eid, den ich geschworen, stärker bindet als die Stricke seiner Knechte!«

»Schweig, Irimbert! Und du, Wernherus? War's nicht deine Absicht, das Kapitel zu versammeln, um gegen den bösen Bauer zu klagen?«

Wernherus richtete sich auf, einen drohenden Blick in den kalten Augen. »Es könnte sein, daß ich noch andere Klage weiß als gegen den bösen Bauer und seinen rettenden Engel.« Stirn und Lippen mit der Hand berührend, neigte sich Wernherus gegen das Kreuzbild und verließ das Zimmer.

Draußen hatte sich der Schwarm der Brüder schon verlaufen. Nur einige, Medardus unter ihnen, standen noch da und flüsterten mit einem Stiftsherren, der aus der Tür seiner Stube getreten war. Als der Zinsmeister den Dekan erblickte, eilte er ihm entgegen, das wohlwollende Antlitz glänzend von Schweißperlen.

»Warum ließest du ihn nicht fassen, wie ich dir befohlen?« zischte Wernherus in Zorn.

Medardus trocknete mit dem Kuttenärmel die glitzernden Perlen von den Hamsterbacken. »Hättet Ihr gesehen, Herr, wie er sich wehrte!«

»In Euch ist der Mut des Hasen. Kraft ist nur in Eurem Wanst.«

Medardus sah mit gutmütigem Leidensblick zu Wernherus auf.

»Hat er geschmäht?«

»Nein, Herr, nur zugeschlagen! Seine Fäuste sind wie Hämmer.«

»Ist alles andere bereit?«

»Ja, Herr!« Der Zinsmeister lächelte so freundlich wie an einem Michelstag, an dem kein Holde die Steuern schuldig blieb. »Der schwarze Käfig hat sein Türl aufgetan und wartet auf den Vogel.«

»Bist du der Brüder sicher?«

»Doppelt gemessenen Wein wird's kosten. Ein paar haben steife Augen gemacht, aber sie schreien mit. Nur ein einziger weigert sich.«

»Eligius?«

»Ja, Herr!«

»Laß heute nacht im Schlachthaus den Tieren die Stricke lösen. Morgen lege den Bruder Schlächter in den Block. Er soll ein andermal seine Kälber besser hüten.«

»Das ist seine Pflicht! Wenn er die versäumt –«

»Der Bruder Kämmerer soll die Chorherren zum Kapitel rufen. Die nicht in ihrer Zelle sind, laß aus der Trinkstube holen. Sind sie versammelt, so ziehe den Strang der Kapitelglocke!«

»Derweil ich den Strang zieh, will ich ein Gebet zum Himmel tun, daß ich morgen knien darf vor Euch und den Purpur küssen, den Ihr tragt.«

»Schwätzer!« schalt Wernherus in Ärger. Doch eine Flamme schlug ihm über das hagere Gesicht, und seine Augen blitzten. Er kehrte dem Bruder den Rücken und trat in eine der Zellen.

Medardus blies die Hamsterbacken auf und schielte nach der Tür des Propstes.

An dieser Tür hatte Herr Friedrich, als Wernherus das Gemach verlassen, den schweren Eisenriegel vorgeschoben. »Jetzt sind wir allein, du Sünder, jetzt will ich deine Beichte hören!«

»Herr?« unterbrach ihn Irimbert. »Habt Ihr die Drohung verstanden, mit der Euch Wernherus verließ?«

»Daß von meinen Chorherren mehr als die Hälfte auf seiner Seite steht und gegen mich, das weiß ich.« Herr Friedrich ließ sich in den Lehnstuhl sinken. »Der Ehrgeiz kollert in ihm wie der Hunger in leeren Därmen. Er kann's nicht erwarten, bis dieser linde Sessel frei wird für seine harten Knochen. Manchmal ist mir die Laune so, daß ich ihm gern den Willen täte, um Ruh zu haben. Aber mir liegt die Zukunft meines Landes am Herzen. Mein Land soll wachsen wie ein junger Baum. Wernherus würde reißen an ihm wie der Pechsammler, der den Stamm verwundet, um ihn bluten zu machen. Das will ich hindern. Komm, setz dich her zu mir!« Ein Regenschauer schlug gegen die Fenster, während der Propst das Gesicht des jungen Chorherren betrachtete. Dann griff er lächelnd nach der Weinbitsche und füllte den Silberbecher. »Du bist erschöpft. Da, nimm und trink!«

»Ich dank Euch, Herr!« Irimbert leerte den Becher mit dürstendem Zug.

»In der Kette, mit der ich dem Wernherus die Wege zäunen will, bist du ein Glied, Immhof! Jetzt möchte er mir dieses Glied aus der Kette brechen. Du hast ihm heut einen Hammer in die Faust gegeben. Ich bin in Sorge um dich.«

»Sorge um mich? Nein, Herr! Was soll ich fürchten? Ich bin wie ein Reis, das vom Baum gerissen wurde. Es taugt für keine Hoffnung mehr. Redet etwas in Euch, das mir wohlwill, so laßt mich dieses Gefühl für andere nützen, für Menschen, die Eures Schutzes bedürfen.«

»Du hast Menschen, die dir lieb sind?« fragte der Propst erstaunt. »Das ist mir neu.«

»Ich habe sie gefunden. Heute. Es sind Menschen, die ich ehre mit diesem Namen: Einer, der gut und treu ist, ein Starker mit redlichem Herzen und ein reines Kind mit hellen Seelenaugen.«

Herr Friedrich lächelte. »Wären sie so, dann hättest du mehr gefunden an einem Tag als ich in einem halben Leben. Dein Menschenfund könnte mich neugierig machen, wenn ich nicht wüßte, was dahintersteckt, ein anderes Bild, als du gewohnt bist, vergoldet von der Sonne eines schönen Morgens, und ein wenig Erbarmen dazu. Unter den dreien, die du fandest, ist wohl der Bauer, dem du die Stricke zerschnittest? Ob ich ihm helfen kann, das weiß ich nicht. Sein Kopf ist zwischen die Mahlsteine Wernherus und Medardus geraten. Die reiben ihn klein. Ich muß es geschehen lassen, wenn wahr ist, was sie sagen, daß er das Kloster schmähte und unsere Leute prügeln ließ, die dem Bauer zufällig im Wald begegneten.«

»Das ist gelogen.« In Erregung erzählte Irimbert, was sich bei der Waldhütte zugetragen hatte.

»Das haben sie plump gemacht. Ich hätte sie für schlauer gehalten.«

Der Propst war halb geärgert und halb erheitert.

»Daß sie dem Greimold gern die langen Haare stutzen möchten, verdenk ich ihnen nicht. Hätten sie es ohne Lärm auf kluge Weise durchgesetzt, daß er ein Eigenmann des Klosters wird, so hätt ich es gutgeheißen.«

Irimbert sah den Propst mit großen Augen an. »Und das freie Recht dieses Mannes?«

»Sei verständig, Immhof! Ein freier Bauer taugt nicht mehr in unsere Zeit. Neben einem großen Willen, der für alle denkt, kann nicht ein kleiner bestehen, der seine eigenen Wege geht. Daß der Bauer dort oben den Kopf um eine Haarlocke höher tragen will als andere, die seinesgleichen sind, das verdrießt die Bauern, die dem Kloster hörig wurden, und bringt uns Ungelegenheiten. Aber Gewalt gegen ihn brauchen? Das halt ich für unklug. Man kann warten, bis die Sache sich von selbst erledigt. Der Bauer ist ohne Sohn. Stirbt er, so fällt sein Gotteslehen zurück in Gottes Hand. Das blinde Mädel wird bei den frommen Schwestern gut aufgehoben sein.«

Die Züge des Chorherren veränderten sich. Eine schmerzvolle Bitterkeit war um den trotzigen Mund gezeichnet. »Vergeßt meine Bitte, Herr! Ich fühle, daß sie nutzlos war. Eure Klugheit steht über allem Recht. Ich erkenne, wie gnädig Ihr das Schicksal dieser Menschen lösen wollt.«

»Das war ein Wort, das ich gerne hörte. Willst du ein übriges tun, so magst du für den Bauer zeugen, wenn sie klagen gegen ihn.«

»Das will ich.«

»Manchmal klingt deine Stimme, daß Wernherus dich um den Stahl dieses Klanges beneiden könnte. Im Kapitel mußt du sanfter für deinen Schützling reden. Hilft es ihm, so soll es mir recht sein. Aber lassen wir alles andere! Mir ist es in dieser Stunde um dich zu tun.« Jeder spottende Zug war ausgelöscht im Gesicht des Propstes, sein Blick hatte Wärme. »Deine Kindheit und Jugend war Bitternis ohne Trost. Das hat dich müde gemacht, das redet aus dir wie ein Greis, der seine Ruh ersehnt. Und doch ist Leben in dir. Starkes und junges Leben.«

»Es wäre wohl möglich, daß starkes Leben in mir erwachen könnte. Dort oben im Bergwald hab ich ein heilsames Wort gefunden.«

»Welch ein Wort?«

»Daß wir, um Wert an unserem Dasein zu fühlen, einer nährenden Freude bedürfen, eines Seelentraumes, dessen Schönheit uns barmherzig hinwegführt über Wahrheiten des Lebens, die wir nicht ertragen.«

Herr Friedrich nickte. »Das ist eins von den Goldworten menschlichen Erfahrens. Jeder braucht seinen weißen Falken. Wem der Kaiser ›Glück‹ diesen Falken nicht auf Erden schenkt, der hofft ihn drüben zu finden. Und solch eine nährende Lüge fehlt deinem Herzen?«

»Lüge? Das ist Euer Wort. Ich sagte: Freude und Traum. Das fehlt mir. Ich war ohne Wunsch und Hoffnung. Mein Schicksal lehrte mich harte Dinge sehen, wie sie sind.«

»Da können sie dir freilich nicht gefallen. Diese Weisheit, die das Alter ruhig trägt, ist Gift für die Jugend.« Freundlich legte der Propst seine Hand auf die zitternde Faust des jungen Chorherrn. »Wir müssen sinnen auf ein Gegengift. Könntest du solch eine nährende Lüge für dich nicht suchen?«

»Das Suchen hilft nicht, Herr! Solche Freude kommt wie Sonnenschein nach einer Sturmnacht.« Irimbert atmete tief. »Und sie blüht auf Wegen, die weit von diesen Mauern liegen.«

»Ach so?« In der Stimme des Propstes schien die Spottlust wieder wach zu werden. »Gerade zwischen diesen Mauern hättest du die ›schöne Lüge‹ so nah. Oder täusch ich mich? Ist nicht in deinem Herzen ein Gedanke, der sagt: Was sie predigen, ist Lüge?«

»Lüge? Ja! Aber keine schöne!« Irimbert blickte auf, denn Herr Friedrich hatte seine Hand zurückgezogen. »Meint Ihr, daß ich gelästert habe, so straft mich.«

»Die Tür ist verriegelt, ihre Bohlen sind zu dick, als daß einer lauschen könnte da draußen. Wir sind allein und wollen uns nicht vermummen voreinander. Ein Käferlein ist ein harmloses Tier. Aber wenn es mir an den Hals fliegt, schüttelt mich ein Grauen. So ist mir's, wenn ich einen höre, der offen leugnet. Ich mache dir keinen Vorwurf. Meinst du, Wernherus glaubt mehr als du? Wäre nur ein Funke von Gottesscheu in ihm, er könnte nicht sein, wie er ist. Er heuchelt. Du bist wahr. Darum bin ich dir gut, wie deine Wahrheit auch lauten mag. Alles, was in dir ist, dieses Suchen und Sehnen, dieses Zweifeln und Leugnen, das alles ist auch in mir gewesen, als mich der Sturm der Jugend noch erfüllte. Wie es in jedem sein muß, der Gedanken hat, redliches Gefühl und ein zuckendes Menschenherz.« Der Propst blickte vor sich hin, als gingen die Bilder einer gewesenen Zeit an ihm vorüber. »Suchend gehst du in der Irre. Du schlägst an jeden Stein, keiner will deinem Durst das sprudelnde Wasser geben. Plötzlich stehst du vor einer Schwelle, die du nicht mehr zu überschreiten wagst. Da wirst du inne, daß Glauben leichter ist als Leugnen. Da überfällt dich eine Bangigkeit wie um ein verlorenes Gut, um einen Muttertrost, der deinem Herzen nicht mehr klingt. Da ist Furcht in dir, die dich zittern macht vor dem Ungewissen.« Herr Friedrich hüllte den Pelzrock um seine Brust und blickte scheu zu dem Kreuzbild auf. »Da beginnst du den Faden wieder abzuwickeln, den du gesponnen. Hast du ein Hälmlein des Glaubens gefunden, an das du dich klammern kannst, so atmest du auf. Zu dem Hälmlein findet sich ein anderes. Bald hast du unter den Armen einen Bund, der dich über Wasser hält. Das macht dein zappelndes Leben froh, die Freuden schmecken dir wieder, und lächelnd bekennst du: Ich bin der Sünder, der ich bin, und es gibt einen Gott, der mir vergeben wird.«

Rauschend prasselte der Regen, als wollte die stürzende Flut alle Mauern zerschlagen.

»Du schweigst? Scheint dir mein Glaube nicht sonderlich rein und heilig? Weil die Furcht ihn erzeugte? Besser ein kleines Gut als keines.« Herr Friedrich seufzte. »Auch in mir ist noch ein leerer Winkel, der sich füllen möchte. Wie der Hungernde von gebratenen Gänsen träumt, der Dürstende von einem Meer, so hab ich in vielen Nächten immer den gleichen Traum. Mir träumt, ich bin ein Märtyrer, meine ganze Seele ist flammender Glaube, und mit Wonne fühl ich, wie mein Blut unter den Zangen fließt, jeder Tropfen ein heißes Bekenntnis. Wenn ich erwache, merk ich zu meinem Kummer, daß ich der alte Sünder bin. Aber ich schlage nach solcher Traumnacht gläubiger an meine Brust. Tu es mir nach, Immhof! Greif nach dem ersten Hälmlein! Das zweite findet sich.«

»Nein, Herr Friedrich! Euer Glaubenstrost kann nicht der meine sein. Ich bin im Durst meiner Seele minder genügsam.«

»Ich war es nicht immer, ich bin's geworden.«

»Daß solcher Wandel mich je befallen könnte? Nein! Ich kann nicht schwimmen auf trübem Wasser, unter dem Herzen das Rohrbündel, das mich trägt. Ich will versinken in Nacht oder das reine Licht der Höhe finden. Und ich bin kein Sünder. Was ich tun muß oder lassen, ist weder gut noch böse. Das ist, wie es ist. Und ich bin kein Leugner. Nur ein Mensch, dem sie alles nahmen. So mußte ich suchen mit dürstender Seele und konnte nicht finden. Ich sehnte mich nach Erkenntnis, nach einer Antwort auf meine schreienden Fragen, nach einem Inhalt für mein Leben, nach einer Freude, nach Menschen, die mir teuer wären! Es könnte sein, Herr Friedrich, daß es von allem Glauben der beste ist, an Menschen zu glauben, von allem Glück das reinste, zu leben und zu sterben für Menschen, die man liebt. Als Kind besaß ich solches Glück. Der Glaube an meine Mutter war auch Glaube an Gott. Wenn meine Mutter mich umschlang und flüsterte: ›Dort oben, Irmi, ist Gottes Haus, und Gott ist gut‹, da ging durch meine Kinderseele ein frommer Schauer, schön und süß. Das alles nahmen sie mir. Mit ihren Raubtierhänden. Stück um Stück zerfleischten sie mir das Herz und rissen aus meiner Seele, was mir heilig war. Im Sommer, als Ihr mich fandet im Kloster zu Baumburg, war ich schon halb zum Tier geworden in meinem Zorn und Haß. Ich atmete auf, als Eure Hand mir die Erlösung bot. Wißt Ihr, wohin dieser Weg mich führte? Aus einem Käfig der Füchse in einen Zwinger der Wölfe. Jeder neue Tag eine neue Qual. Hätte Eure Gunst mir nicht zuweilen einen freien Weg in Wald und Berge vergönnt, ich hätte ersticken müssen zwischen diesen Mauern und in der Luft, die diese Diener Gottes atmen. Was Eure Gunst gewährte, versagte mir Wernherus.«

»Um mich zu reizen. Ich mußte ihm die kleine Bosheit gönnen. Die Geißel des Hausgesetzes zu schwingen, ist ›ein Recht seiner Würde‹!«

»So ging ich gestern wider seinen Willen. Ich mußte. Wie mit Peitschen hat es mich fortgetrieben, um reine Luft zu atmen, um mich aufzurichten unter weitem Himmel, um wieder mich selbst zu finden in der Einsamkeit der Natur. Unter den Sternen dieser Nacht und in der Sonne dieses Morgens war ich allem Ersehnten, auch dem Unbegreiflichen dort oben, näher als im Weihrauch Eures Münsters und unter den Fäusten dieser Frommen Brüder, die mich mit unflätigem Schimpf empfingen.«

»Laß diese guten Schafe! Sie blöken, wenn der Hammel meckert. Sie sind Menschen wie alle anderen, der eine ein wenig besser, der andere ein wenig schlechter. Der Unterschied zwischen dem besten und dem schlechtesten ist gering. Im Grund ihres Wesens sind alle über den gleichen Leisten genäht. Da nehm ich auch dich und mich nicht aus. Nur daß wir Herz und Leib ein wenig säuberlicher zu halten pflegen und daß unsere einsamen Seitenwege reinlicher sind als die Straße der üblichen Schöpse.«

»Nein, Herr! Wie Euren Glauben kann ich auch Euer Urteil über die Menschen nicht teilen. Ist einer Mensch, so begehr ich von ihm, daß er diesen Namen nicht schändet, nicht Tier ist unter Tieren.«

»Ach, geh, was weißt du von Menschen! Die drei, an denen du heute vorüberliefest, zählen nicht. Wieviel andere kennst du? Deine Mutter, die du liebtest? Die Gespielen deiner Knabenzeit? Ich denke, du warst der stärkere und hast sie geprügelt. Und deinen Bruder, der an dir handelte wie ein Feind am Feinde? Und die Patres in Baumburg, die du Füchse nanntest, weil sie deinem Bruder den Willen taten und dich in kurze Zügel nahmen? Und meine Chorherren und die Schreier vom Hof dort unten? Deine Wölfe! So gefährlich sind sie nicht. Wie könnten sie besser sein, als ihr Lebensweg sie formte. Eine Zeit der Stürme hat sie zwischen diesen Mauern zusammengeweht. Die einen kamen, um nach einem zerbrochenen Leben Trost zu suchen. Daß sie diesen Trost nicht fanden, das macht sie gallig und schadenfroh. Die anderen kamen, weil sie im väterlichen Stall nicht viel zu beißen hatten. Das Wohlleben in meinem reichen Stift hat sie fett und frech gemacht. Verbitterung und Frechheit sind unter den menschlichen Tugenden nicht die schlimmsten. Der einen Sorte wirft man an guten Tagen einen süßen Bissen zu, der ihnen die Leber milder stimmt. Die anderen schlägt man in übler Stunde tüchtig auf die Köpfe. Dann ist mit ihnen schon auszukommen. Wie sie zu nehmen und zu behandeln sind, das wirst auch du noch lernen.«

»Solche Menschenkunst will ich niemals üben und nie verstehen.«

»Doch, lieber Immhof! Ich habe die Geduld, das abzuwarten, und will mich die Mühe nicht verdrießen lassen, dich zu lehren.«

»Das ist verlorene Mühe, Herr!«

»Warten wir es ab! Wenn sich die Hoffnung erfüllen soll, die ich knüpfe an dich, so mußt du gelehrig werden in meiner Schule. In deinem Herzen denke von meinen Chorherren, was du magst! Nur bind es ihnen nicht immer an die Nase! Und verlange von ihnen nicht das Unmögliche, in ihren Gesichtern das Urbild Gottes zu finden. Suchst du den, so betrachte dir lieber das unscheinbarste Ding der Schöpfung! Zergliedere ein Blatt, betrachte den Flügel einer Mücke! Und willst du von allem Guten das Köstlichste erforschen, so sieh dir meinen Falken an!« Herr Friedrich hob den schönen Vogel aus dem schaukelnden Ring und nahm ihm die lederne Haube vom Kopf. »Wie seine Augen blitzen! Wie scharf sein Zahn ist! Wie stolz er sich trägt! Wie herrlich sein silberweißes Gefieder leuchtet! Ist dieser königliche Vogel nicht ein überzeugender Beweis für den Schönheitswillen und die Allmacht Gottes?«

»Glaubt das auch der wilde Schwan, wenn er unter dem Griff Eures Falken verblutet und seine letzte Klage schreit?«

Verdrießlich runzelte der Propst die Stirn, lachte wieder und setzte mit zärtlicher Achtsamkeit den Vogel in den Ring. »Sophisterei! Der wilde Schwan ist geschaffen, um gejagt zu werden. Jedes Ding hat seinen Zweck. Vom wilden Schwan verlangt auch niemand, daß er an Gott glauben soll. Gib deine Rätsel dem Wernherus auf! Wir beide wollen nicht streiten um ein Gut, das ich selbst nur halb besitze.« Herr Friedrich wurde ernst. »Laßt uns lieber der nächsten Stunde denken!«

»Sie ist mir wie jede andere.«

»Immhof, sie könnte ernster werden, als uns beiden lieb ist.«

»Was sie auch bringen mag, ich fürchte sie nicht.«

»Ich aber fürchte für dich. Für meine Hoffnung.«

»Von welcher Hoffnung redet Ihr, Herr?«

Herr Friedrich beugte sich über den Tisch und dämpfte die Stimme. »Hast du dich nie gefragt, weshalb Wernherus gerade dir mit diesem unversöhnlichen Haß gegenübersteht?«

»Mir ist sein Haß keine Frage wert.«

»Ich will es dir sagen, Immhof.« Mit beiden Händen umschloß der Propst die Hand des jungen Chorherren. »Als ich dich in Baumburg fand und dir das Weh deines Lebens aus den Augen las, hatte ich Erbarmen mit dir. Ich nahm dich an mich. Und als ich dich kennenlernte, bist du mir lieb geworden. Mehr noch, ich begann mit dir zu rechnen wie mit einer verheißungsvollen Zahl. Das bliebe dir besser noch verschwiegen, bis alles Trübe in dir sich klärt. Aber ich muß dich waffnen, denn Wernherus scheint zu ahnen, was ich sinne. Er fühlt die Gefahr, die ihm erwächst in dir. Deshalb möchte er dich niederdrücken, dich zerbrechen im Kern deines Lebens.«

»Ich? Eine Gefahr, die Wernherus zu fürchten hätte? Der Euch nicht fürchtet, seinen Herrn?«

»Weil ich müde und schwach geworden. Weil alles Halbheit ist in mir, mein Wollen immer besser als mein Können. Aber was ich halb besitze, seh ich in dir als ein Ganzes wachsen. In dir ist Erkenntnis. Du hast Gedanken, die vor keiner Schwelle scheuen. In dir ist Kraft und unbeugsamer Wille. Sonst hätten ihn die Füchse zu Baumburg und mein Wölflein Wernherus längst gebrochen. Und in dir ist Verachtung und Stolz. Das sind köstliche Herrengüter. Das ist Erz, mit dem sich ein starker Herrscher rüstet, der Geschichte macht und die Grenzen seiner Länder dehnt. Nein, Immhof, laß mir deine Hand und sieh mich mit Augen an, die freudiger blicken! Es ist stolze Zukunft, die ich dir zeige. Ich denke noch zu leben, hoffe mich noch zu ergötzen an manchem Flug meines Falken. Aber soll es mit mir zum letzten kommen, so wüßte ich keinen, dem ich das Schicksal meines Landes ruhiger in die Hände legen, dem ich Ring und Fürstenpurpur lieber gönnen möchte als dir! Ich glaube fast, dir könnte ich sogar meinen Falken lassen als Erbe!«

Irimbert hatte sich erhoben und seine Hand gelöst. »Scheltet mich einen Undankbaren, Herr! Ihr streichelt mich so lind wie Euren Falken, und ich empfinde Schmerz. Ihr bauet Brücken zwischen Euch und mir, und ich seh eine Tiefe aufgerissen, die kein Steg zu überspannen vermag. Hättet Ihr nicht so ernst geredet, der Widerspruch dieser Stunde müßte mich lachen machen. Wernherus ruft die Chorherren zum Kapitel, um mir die Rute zu geben. Und Ihr, Herr Friedrich, bietet mir den Fürstenring!«

»Meinst du, das wäre Traum?« fragte der Propst in keimendem Ärger. »Ich habe Macht, daß dieser Traum auch Wahrheit wird.«

»So ist es von aller Wahrheit die einzige, die ich nicht zu kennen begehre. Daß ich herrschen wollte über einen Wernherus und Medardus? Und über alle, die zwischen diesen beiden die Leiter füllen? Nein, Herr Friedrich!«

»Es lockt dich nicht, über jenen, die dich peinigen, als Herr zu sitzen, mit den Füßen auf ihren Köpfen?«

»Das wäre der letzte meiner Wünsche.«

»Immhof! Zu wissen, ich herrsche über Tausende, es gibt auf Erden nur wenige Staffeln, welche höher ragen als die meine, das wird dir Stunden bringen, die stolz und herrlich sind. Ist für solchen Ehrgeiz nicht Raum in deiner Seele?«

»Jeden anderen Ehrgeiz mögt Ihr wecken in mir! Diesen einzigen nicht.«

»Du Eigensinn, du blinder!« schalt der Propst in Unmut. »So will ich ein Wort für dich suchen, das dir besser gefällt. Was ich dir biete in dieser Stunde, soll deinem Leben Inhalt geben. Das soll Traum und Freude für dich sein, soll alle Kräfte wecken, welche schlummern in dir. Auf deine Schultern leg ich die Zukunft meines Landes. Ein Propst Wernherus mit seinem kurzen Blick und seiner langen Klaue würde zerstören. Ein Mann wie du wird bauen.«

»Bauen?« Leise wiederholte Irimbert dieses Wort. »Das giftige Kraut zerschlagen? Raum schaffen für gute Saat? Den Leidenden ein Tröster sein? Bedrückten Menschen der starke Helfer werden, den sie ersehnen?« Die Gestalt des jungen Chorherren streckte sich. »Ja, Herr, das wäre Traum, der mich erfüllen könnte mit Kraft und Feuer.«

Aller Ärger des Propstes schien verflogen. Lächelnd erhob er sich. »Ganz so, wie du das sagtest, hab ich es nicht gemeint. Aber ich muß dich nehmen, wie du bist. Es wird dich deine Aufgabe schon machen, wie sie dich braucht. Für heute will ich zufrieden sein, weil ich den Samen, den ich streute, in dir keimen sehe. Gib mir deine Hand! Jetzt bist du der meine.«

»Nicht der Eure, Herr! Ich kann nicht lügen, auch nicht dem Guten zuliebe.« Immhof hielt die Hand des Propstes umschlossen. »Aber ich gebe mit diesem Handschlag mein Leben in den Dienst der Pflicht, die Euer Wort mir zeigte.«

Herr Friedrich lachte. »So oder so, jetzt hab ich dich. Jetzt weiß ich, was ich mir rette in dir, und es soll meine erste Sorge sein, daß ich dich aus den Fängen des Wernherus reiße. Du mußt fort, Immhof, bevor das Kapitel zusammentritt, noch in dieser Stunde.«

»Fort?« Irimbert zog seine Hand zurück.

»Ich schicke dich mit Botschaft an den Hof des Herzogs. Dort sollst du warten, bis ich dich rufe. Ich gebe dir mein eigenes Roß, ich führe dich zum Tor.«

»Diesen Weg mögt Ihr Euch sparen, Herr! Ich bleibe.«

»Immhof!« Auf der Stirn des Propstes erschienen die Furchen wieder. »Ich befehle dir als dein Herr, und du wirst gehorchen.«

»Nein!«

»Du Starrkopf!« schalt Herr Friedrich in aufbrausendem Zorn. »Ist denn kein anderes Wort in dir als dieses ewige Nein? Oder bist du der Narr deines falschen Ehrgefühls? Meinst du, weil du gegen das Hausgesetz gehandelt, dürftest du der Strafe nicht entlaufen? Sei nicht kindisch, Immhof!«

»Das bin ich nicht. Was mich festhält, ist die Pflicht, die Ihr geweckt in mir. Sie soll beginnen in dieser Stunde.« Ruhig hielt Irimbert den Blick des Propstes aus. »Soll ich einmal herrschen über die Kinder Eures Landes, so will ich ihre Treu verdienen durch Treue. Ich weiß einen redlichen Mann in Gefahr, es soll Unrecht an ihm und seinem Kind geschehen. Das will ich verhüten.«

»Nein, Immhof, du wirst nicht herrschen! Ich habe mich getäuscht in dir. Das merk ich mit Ärger!« sagte Herr Friedrich mit Groll. Dennoch schien es, als hätte die Sprache des jungen Chorherren sein Wohlgefallen erzwungen. »In dir mag Gutes stecken, nur nicht der Stoff, aus dem sich ein starker Herrscher bildet. Sonst würdest du nicht deinen Herrenkopf aufs Spiel setzen gegen einen Bauernschädel.«

»Ich unterscheide nicht zwischen Herr und Bauer. Ich weiß nur, da ist ein Mensch, den ich ehre mit diesem Namen. Und die Sorge um ihn ist mein einziges Denken in dieser Stunde.«

Irimbert streckte dem Propst die beiden Hände hin. »Herr Friedrich! Nehmt mir diese Sorge ab! Dann will ich blind gehorchen, und Ihr mögt mich schicken, wohin Ihr wollt. Als Ihr sagtet: ›Ein Mann wie du wird bauen‹, seht, da zuckten tausend Hoffnungen in meinem Herzen auf. Gebt mir die Gewähr, daß von diesen Hoffnungen nur eine einzige sich erfüllen kann, und ich bin der Eure mit Leib und Seele. Zeigt mir an Euch selbst, daß ›Herr sein‹ bedeutet, das Recht schützen, den Frieden schaffen und das Glück der Menschen wahren, über die man Herr ist! Dann will ich ein gelehriger Schüler sein. Wenn ich Eurem Wort gehorche, jetzt, so verlasse ich mehr, als Ihr ahnen mögt. Ich verlasse Menschen, an die ich glaube, verlasse Sonne, die mich wärmte, verlasse Licht, das in die Nacht meiner Seele fiel. Das alles soll gelegt sein in Eure Hand, und ich gehorche. Nur gebt mir zum Abschied Euer Herrenwort, daß Ihr das ehrliche Recht des Greimold schützen und den unwürdigen Lehensbrief zerreißen wollt, der das Erbgut eines freien Mannes zum Gotteslehen machte.«

Forschend betrachtete der Propst den jungen Chorherrn. »Sonne, die dich wärmt? Licht für die Nacht deiner Seele? Seltsame Dinge, die du redest!«

Den tobenden Sturm und das Rauschen des Regens übertönte das Geläut der Kapitelglocke, deren scharfer Klang sich durch alle Mauern bohrte. Der Propst sah lauschend auf und hob unter müdem Seufzer die Schultern. »Immhof, du bist ein Tor! Ich fürchte, da läuten sie deine Stunde.« Er trat zum Lehnstuhl und warf den Hausrock ab.

»Eure Antwort, Herr?«

»Du fragst, daß ich den Wernherus zu hören glaube.«

»Herr Friedrich«, stammelte Irimbert mit heißer Bitte, »gebt mir Antwort!«

»Jede Antwort, die ich wüßte, käme zu spät. Die Stunde, die dich retten konnte, ist versäumt.«

Es pochte an die Tür. Herr Friedrich ging und stieß den Riegel auf. Der Bruder Kämmerer, ein junger Mönch mit glattem Gesicht und lauernden Augen, trat in die Stube. »Das Kapitel ist versammelt, Herr! Nur einer fehlt noch: Irimbert von Immhof. Die anderen warten in Ehrfurcht ihres fürstlichen Herren.«

»In Ehrfurcht? So?« Herr Friedrich lachte. »Dann will ich sie nicht warten lassen. Bring mir den Mantel!«

Schweigend, den Ausdruck ruhiger Entschlossenheit in den strengen Zügen, war Irimbert zur Tür gegangen.

»Immhof!« Während der Bruder einen der Schränke öffnete, ging der Propst auf den Chorherren zu und sagte in lateinischer Sprache: »Mir bist du verloren. Was ich dir bot, das hab ich dem Manne geboten, der du gestern warst, in der Kraft deines stolzen Hasses. Heute bist du ein anderer. In dir ist ein Neues. Das macht dich unbrauchbar für die Zukunft, die ich dir zeigte. Wie du heute fühlst, könntest du herrschen über Menschen, die es nicht gibt, an die nur die schöne Sonne eines freien Tages dich glauben machte, nicht herrschen über Füchse und Wölfe, über deren Köpfe eine unbarmherzige Faust die Peitsche schwingen muß. Solch eine zähmende Geißel für das unbotmäßige Rudel, das heulend spielt mit meiner Schwäche, wollt ich erziehen in dir. Du bist nicht mehr der Mann dazu.«

»Der war ich nie, Herr Friedrich!«

»Doch, Immhof! Noch gestern. Welch ein Wunder dich verwandelte, das weiß ich nicht. Und will es nicht wissen. Ich merke, du bist verloren für mich. Das ist mir leid. Ich weiß mir keinen zweiten, um ihn als Mauer gegen den Ehrgeiz des Wernherus zu stellen. Aber ich sorge mich auch um dich. Laß dich warnen, Immhof. Wernherus will dich verderben. Hüte dich, daß du ihm nicht in die Schlinge strauchelst. Mäßige deine Sprache, bezwinge deinen Zorn! Oder du bist verloren. Ich möchte dich nicht fallen sehen, ich bin dir gut, bin es nach dieser Stunde, die dich meinen Plänen nahm, vielleicht noch mehr als gestern. Warum ich dir das sagen muß? Vielleicht, weil ich etwas sehe in dir, um das ich dich beneide. Aus deinen Augen schaut es mich an wie Glück, das in Bitternis erwacht, um mit Jauchzen unterzugehen. Es steckt in dir zur Hälfte einer von jenen schönen Menschen, die wir uns in sehnsüchtigen Träumen ausmalen und die es in Wahrheit niemals gibt, weil der häßliche Widerstreit des Lebens sie auf Erden nicht duldet. Um ganz ein solcher Mensch zu sein, müßte man blinde Augen haben und das Leben nicht sehen, wie es ist.«

»Herr Friedrich?« Immhofs Stimme zitterte. »Wenn Ihr auf Erden solchem Menschenkinde begegnen würdet, schön in jedem Zuge seines Wesens, mit reinen Seelenaugen, die das Leben nur sehen wie eine duftende Blume? Würdet Ihr nicht Euer Bestes opfern, um solchem Menschenkinde den Frieden seines Glückes zu erhalten?«

Lächelnd nickte der Propst. »Wär ich noch jung, ich glaube fast, daß ich so schöner Torheit fähig wäre. Aber solchem Menschenkinde zu begegnen? Das Wunder geschieht nicht.«

»Mir ist solches Wunder geschehen. Und weil ich noch Jugend habe, weil dieser Tag mich lehrte, sie zu fühlen in mir, so wundert Euch nicht, wenn ich handle nach Eurem eigenen Wort.«

»Immhof?« Betroffen streckte der Propst die Hand.

Irimbert sagte ruhig: »Euer Kämmerer wartet und will Euch den Fürstenmantel um die Schultern legen. Mir gestattet, daß ich zum Kapitel gehe. Die Kläger sind versammelt, nur der Schuldige fehlt. Und was ich gewinnen oder verlieren mag, Euch dank ich für dieses letzte Wort. Es ließ mich in Euch den Menschen hören.« Er neigte sich und ging.

Schweigend ließ der Propst es geschehen, daß ihm der dienende Bruder den Mantel umlegte. Dabei streifte ihm der Kämmerer mit der Hand die Wange. Herr Friedrich schüttelte sich, wie von Ekel befallen. »Bruder, was hast du für kalte Hände! Ein andermal wärme sie am Feuer, ehe du mich bedienst!«

Beide Hände in die Ärmel der Kutte hüllend, verbeugte sich der junge Mönch.

Herr Friedrich sah ihm in das glatte, regungslose Gesicht. »Und Augen hast du, die mir in die Seele springen wie kalte Frösche. Geh! Schicke mir von meinen Falknern einen! Du, vermut ich, wirst heute noch schreien müssen mit den anderen, die deinesgleichen sind. Oder nicht? Es sollte mich wundern, wenn der große Wolf seinen kleinen Füchsen nicht eine lustige Hatz versprochen hätte. Geh!«

Der Bruder gehorchte.

In Mißmut seufzend, ließ sich der Propst auf den Sessel nieder und schmiegte sich frierend in die linden Felle. So saß er, immer zur Tür blickend. Dann rollte er den Brief des Herzogs vor sich auf, obwohl er, weil die Fenster schon grau waren von Dämmerung und Regen, nimmer lesen konnte. »Schad um die gute Botschaft! Halb ist sie entwertet jetzt. Daß soviel Rosse traben sollen um meinetwillen allein? Das lohnt sich nicht.«

Reinold, der Falkner, trat in die Stube. »Gottes Gruß zum Abend, Herr!«

»Du? Schon wieder im Kloster? Hab ich dir nicht freien Tag gegeben?«

»Der Tag ist um, es nächtet.«

Herr Friedrich nickte. Das Pergament in seinem Mantel bergend, erhob er sich. »Wenn ich gehe, sperrst du die Tür! Keinem anderen sollst du öffnen, nur mir. Bis ich komme, hütest du meinen Falken! Du haftest mir für jede Feder meines Lieblings, hörst du?«

»Wohl, Herr!«

Der Propst vertauschte die Hauskappe gegen den Fürstenhut mit dem Goldreif. Den Falken streichelnd, stand er noch eine Weile. Da klang das Geläut der Kapitelglocke wieder. Herr Friedrich lachte und ging.

Reinold verriegelte die Tür, huschte zu Tisch, guckte in die Weinbitsche und nahm einen Trunk. Kichernd wischte er mit dem Ärmel den Mund, brachte den Ring des Falken in Schwung und streckte sich auf ein Wolfsfell nieder, das auf dem Boden lag. Behaglich dehnte er die Glieder, verschlang die Hände hinter dem Nacken und gähnte.

 


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