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Fünftes Kapitel.
Ein diplomatischer Schwiegervater » in spe«.

Es ist schon oft die Bemerkung gemacht und wohl auch schon ausgesprochen worden, daß mit dem Eintritt eines fremden Menschen in irgend ein Hauswesen daselbst bisweilen eine auffallende Umwandlung nach der guten oder schlechten Seite hin vor sich geht, die von dem Augenblick an datiert, wo derselbe die bisher von ihm unberührte Schwelle überschritten hat. Dies war in gewisser Beziehung auch in Sellhausen der Fall, seitdem des Meiers zu Allerdissen Tochter eine Mitgenossin des einfachen Hauswesens daselbst geworden war, nur daß wir ihre Einwirkung als eine durchaus angenehme und günstige zu bezeichnen haben. Ordnung, Pünktlichkeit und Sauberkeit hatten darin immer geherrscht, denn Fräulein Treuhold stand ihrem Posten mit voller Hingebung vor, und ihre Fähigkeiten waren den an sie gestellten Anforderungen hinreichend gewachsen. Durch Gertruds Anwesenheit und ihre Mitwirkung auf verschiedene Punkte des Haushalts aber gewann derselbe, zwar nicht ein völlig verändertes, doch gewiß belebteres und gefälligeres Aussehen; ihr war es gegeben, den einfachsten Dingen durch ihre Einmischung und Teilnahme einen besonderen Reiz zu verleihen, einen gewissen poetischen Duft und Hauch über das Ganze zu verbreiten und ebenso einzelne Gegenstände, die bisher gleichsam im Schatten geruht, dadurch, daß sie ihnen ihre Aufmerksamkeit und Sorgfalt widmete, gewissermaßen in die Lichtseite ihrer Existenz zu ziehen.

Die schöne und seltene Naturgabe, jedermann mit Sinn und Neigung entgegenzukommen, dem fremden Sinn und der fremden Neigung wie der eigenen den wahren Wert beizulegen und das unbedeutendste Detail bis ins kleinste zu zieren und zur vollen Geltung zu bringen, war ihr im höchsten Grade verliehen, und wo sie ihre Hand regte und ihren geschmackvollen Sinn walten ließ, sah man die Wirkung auf der Stelle, und diese befriedigte und erfreute jedermann, der sie bemerkte, ohne daß er sich persönlich davon beeinflußt und berührt glauben konnte.

Wenn man dieses in aller Stille vor sich gehende Walten auch oft nicht mit den Augen wahrnehmen konnte, nicht wußte, wie und wo dies und das geschah, die Wirkung davon, gleichsam den Ausfluß einer wohltätigen höheren Macht, fühlte man gewiß, wie man ja auch den Strahl der Sonne fühlt, selbst wenn man sie nicht vollkommen klar am Himmel stehen sieht. Dies belebende und erquickende Gefühl nun war mehr oder minder allen einzelnen Mitgliedern des Hauses und namentlich denen, die mit dem jetzigen Herrn desselben in Berührung kamen, wie ein fruchtbarer Regen ins Herz gefallen, wie viel mehr mußte es nicht dieser Herr selbst empfinden, um dessen Person sich gegenwärtig alles und jedes Interesse auf Sellhausen in größerem oder engerem Kreise drehte. Allerdings gestand er sich dies nicht mit klaren Worten ein, er legte sich keine Rechenschaft von den Ursachen dieser Wirkung ab, aber er begann sich immer behaglicher und wohler in dem stillen Hause zu fühlen. Der frühere Reiz der Einsamkeit, der ihn bisher so sehr befriedigt, war dadurch nicht beseitigt, vielmehr war die Einsamkeit selbst nur noch mehr in das rechte Licht getreten, und die heitere geräuschlose Geselligkeit, die sich rings um ihn her verbreitete, ließ ihn sogar auch die Stunden herbeiwünschen und länger ausdehnen, die ihm früher alltäglich erschienen waren. Vor wie nach hielt er seine Arbeitsstunden inne, er wandelte wie bisher oft allein durch Park und Garten, beschritt mit Herrn Hinz unter wirtschaftlichen Gesprächen Felder und Wiesen – wenn er aber zuletzt in sein Haus und Zimmer zurückkehrte und namentlich letzteres immer wieder frisch mit Blumen geschmückt und alles und jedes in sauberster Ordnung fand, fühlte er sich wohltätig angehaucht, und seine innere Zufriedenheit und Behaglichkeit wuchs in dieser Richtung ebensosehr, wie sie nach außen hin immer mehr und mehr ins Stocken geriet und zuletzt gleichsam in einen trüben Nebel der Besorgnis und des gerechtfertigten Zweifels versank.

So boten ihm jetzt auch die früher so gleichgültigen Speisestunden einen hohen Genuß. Durch anregendes Gespräch, durch verständige Fragen und mit Anteil gegebene Antworten dehnten sich dieselben, namentlich abends, allmählich länger aus, und der Kreis, in dem sich jetzt seine Gedanken tummelten, ward von Tage zu Tage größer und weiter, so daß er zuletzt, ohne daß er es eigentlich ahnte, eine ganze kleine Welt für sich umschloß, in deren Mitte sich zu bewegen und geistig zu regen ihm ganz neue und bisher unbekannte Freuden verursachte.

In dieser kleinen häuslichen Welt nun sich gemütlich zu ergehen, ward ihm nach den im letzten Kapitel erwähnten Vorfällen ein Zeitraum von anderthalb Tagen gewährt, in welchem ihn nichts Fremdes von außen her störte, denn selbst der Meier zu Allerdissen, den er am nächsten Tage ziemlich bestimmt erwartet, kam nicht, obgleich er Fräulein Treuholds Küche abermals mit einer Sendung der beliebten Forellen versorgt hatte.

Am zweiten Morgen nach der Belehrung am Spargelbeet aber sollte die fast idyllische Ruhe des Hauses und die Behaglichkeit des Hausherrn auf eine nicht sehr angenehme Weise unterbrochen werden, und zwar schon zu einer Stunde, in welcher man beim gewöhnlichen Laufe der Dinge noch keinen Besuch bei sich zu sehen pflegt, noch weniger liebt.

Es war kaum acht Uhr an diesem Tage vorüber, und Bodo saß am geöffneten Fenster, das die Düfte des Gartens und den warmen Hauch des herrlichen Morgens frisch in sein Zimmer strömen ließ. Er las die am vergangenen Abend spät eingetroffene Zeitung, eine Beschäftigung, die, er wußte sich auch hiervon nicht ganz klar die Ursache anzugeben, seit einiger Zeit ihre gewohnte Anziehungskraft weniger zu üben anfing, als Fräulein Treuhold etwas geräuschvoll und halb außer Atem bei ihm eintritt und sein Lesen mit dem Zuruf unterbrach: Herr Legationsrat, etwas ganz Neues! Soeben ist Baron Grotenburg in den Hof gefahren. Er fuhr selbst, und hinter ihm saßen sein Kutscher und ein Jäger in großer Livree!«

»So,« erwiderte Bodo mit vollster natürlicher Ruhe – »nur mit einem Jäger und Kutscher? Das ist noch gut, Liebe, es konnte schlimmer kommen. Sobald er abgestiegen ist und mich zu sprechen verlangt hat, lassen Sie ihn zu mir heraufkommen, ich will ihn hier oben in meinem Zimmer empfangen.«

»Herr Legationsrat!« rief die gute Treuhold, indem sie ihre Augen in dem mit Büchern und Kunstwerken ziemlich angefüllten Raume prüfend umherschweifen ließ, hier wollen Sie ihn empfangen? Soll ich nicht lieber den Saal rasch aufschließen? Es ist alles in bester Ordnung darin, und Sie brauchen nur ein paar Schritt durch einige Zimmer zu machen.«

Bodo lächelte auf seine feine, zurückhaltende Art. »Warum denn?« fragte er lebhaft. »Ich sehe durchaus keinen Grund dazu. Prunkvollen und von Luxus strotzenden Leuten muß man gerade recht einfach und bescheiden vor Augen treten, wenn man ihnen gegenüber seine Würde behaupten will. Das möchte ich nun gerade heute. Gehen Sie also langsam hinunter – echauffieren Sie sich um Gotteswillen nicht – und lassen Sie den Herrn Baron durch Rieke hierher führen. Noch eins, wenn er länger als eine Stunde bleibt, lassen Sie draußen einen Tisch decken und fix und fertig hereinrollen – ich will sogar hier mein Frühstück mit ihm einnehmen.«

Fräulein Treuhold, die sich, als sie diesen Gleichmut sah, schnell gefaßt hatte und über das sichere Benehmen ihres Herrn einen stillen Triumph empfand, entfernte sich, durch Blick und Miene ihre volle Einwilligung mit seinen Wünschen verratend; Bodo aber stand von dem Platze auf, den er bis jetzt behauptet, ließ einen raschen Blick durch das Fenster fallen, wie man tut, wenn man nur ungern von seiner behaglichen Ruhe scheidet, und sagte zu sich:

»Schon um acht morgens? Ha, der Mann muß es eilig haben, um etwas Wichtiges verkünden zu wollen, daß er so früh aufgestanden ist. – O, mein schöner Morgen! Wie schade! Und welch böses Omen! Der Tag, der so beginnt, kündigt sich nicht angenehm an. Doch still – ich höre seinen gewichtigen Schritt schon auf der Treppe – nehmen wir uns zusammen und richten wir uns ein, etwas Bedeutendes, wenn auch nicht zu sehen, doch sicher zu vernehmen.«

Mit diesen Gedanken ging er langsam zur Tür, öffnete sie, und sah den Baron vor sich stehen, dem Fräulein Treuhold selbst bis zur Schwelle ihres Herrn das Geleit gegeben hatte.

Baron von Grotenburg erschien an diesem Morgen wie vor einigen Tagen in seinem Hause im feinsten Visitenfrack und mit einer so siegreichen Miene, wie sie nur ein vornehmer Mann haben kann, der sich bewußt ist, überall, wohin er seinen Fuß setzt, willkommen zu sein. Dies bedeutungsvolle Ansehen, welches er sich an diesem Tage gab, ließ sich der Legationsrat gern gefallen, viel weniger aber behagte ihm der Ausdruck überfließender Zärtlichkeit und intimster Vertraulichkeit, den der Baron in alle seine Bewegungen und Mienen zu legen sich bemühte, ein Gebaren, welches bei einem so ruhigen und sicheren Manne, wie Bodo war, stets das Gegenteil von dem erregte, was es erregen sollte, hier also Zurückhaltung und ein erwartungsvolles Schweigen hervorrief, womit er gleichsam in schulgerechter Parade alle Fechterkünste seines aalglatten Besuches zu schanden machte. Er wußte nur zu gut, daß Leute von einem gewissen Kaliber, namentlich sogenannte Leute von Stande, solche einschmeichelnde Vertraulichkeit nur an den Tag legen, wenn sie ihren persönlichen Vorteil im Auge und ein Anliegen auf dem Herzen haben, und von jeher hatte sich seine gerade Natur gegen solches Beginnen aufgelehnt, zumal ihn eine häufig gemachte Erfahrung belehrt, daß man gegen übergroße Zärtlichkeit, die der Kriecherei sehr nahe verwandt ist, mehr als gegen eine steife Gleichgültigkeit auf der Hut sein müsse.

Als daher der Baron mit offenen Armen auf ihn zuschritt, ihn damit umfangen und sogar küssen zu wollen schien – eine abscheuliche Begrüßungsart zwischen Männern – zog er sich wie aus Bescheidenheit etwas zurück, reichte dem Baron nur die Hand hin, die auf das Lebhafteste und wiederholt geschüttelt wurde, und bot dann seinem Gaste einen Platz auf dem Sofa an, dem gegenüber er sich selbst auf einen Stuhl setzte.

Nachdem die ersten Begrüßungen ausgetauscht waren, begann der Baron die Unterhaltung mit folgenden Worten:

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, mein lieber, guter Vetter, daß ich Sie so früh störe, aber unter Freunden, wie wir es sind und hoffentlich noch mehr werden, liebe ich das steife Zeremoniell nicht, das mich an Zeit und Stunde, an Form und Vorschrift bindet. Mit einem Wort, ich brannte vor Ungeduld, Sie so bald wie möglich wiederzusehen, es schien mir schon eine Ewigkeit, Sie in meinem Hause gehabt zu haben, und so ließ ich alle Zügel schießen, folgte der Neigung meines Herzens und sehen Sie da – hier bin ich. Doch ich hatte auch noch einen anderen Grund, mein lieber Herr von Sellhausen, Sie heute so früh aufzusuchen.«

Bodo, der sogleich merkte, daß der Baron, von der beklemmenden Gegenwart seiner Frau befreit, heute überaus wortreich war, wurde dadurch nur um so stiller und aufmerksamer; er erwiderte daher nur wenige Worte und folgte dann gleichgültig den Blicken seines Gastes, die im Zimmer ringsum schweiften, bald auf diesem, bald auf jenem Gegenstande haften blieben und endlich mit einer gewissen Verwunderung zu ihm zurückkehrten, worauf er lächelnd und mit etwas scharfer Betonung sagte:

»Aber, lieber Freund, ich wundere mich – ich bin nämlich vollkommen aufrichtig gegen Sie – daß Sie in einem so bescheidenen Stübchen wohnen. Es ist wohl nur Ihr geheimes Studierzimmer, worin wir sind und in diesem Fall – o, ganz gewiß – weiß ich die Ehre zu schätzen, daß Sie mich gerade hier und nirgends anders empfangen.«

»Es ist nicht nur mein Studierzimmer,« entgegnete Bodo in aller Gemütsruhe, sondern mein alles in allem, Wohn- und Empfangzimmer – nur meine Nachtruhe halte ich in dem Nebengemach dort ab.«

»Ei, ja, Sie sind überaus bescheiden, da ich doch weiß, daß Sie eine ganze Reihe schöner und großer Gemächer in dieser Etage haben, die nach vorn heraus ganz leer steht.«

»Sie haben Ihrer Ansicht nach vielleicht recht, Herr Baron, aber ich für meine Person halte gerade dies Zimmer für das schönste im ganzen Hause. Außerdem bewohnte ich es seit meiner Jugend und auch später, so oft ich im Hause meines Vaters war, und so ist meine Anhänglichkeit daran hinlänglich erklärt.«

»Ei warum nicht – ganz gewiß – aber Sie machen ein so ernstes Gesicht dabei – Sie verbergen mir noch einen Grund – darf ich den nicht wissen?«

Bodo wollte dem Baron in diesem Augenblick nichts verbergen, am wenigsten den Grund, warum er gerade nur dies eine Zimmer bewohnte, und so gelang ihm seine Absicht, den neugierigen Herrn durch eine geheimnisvolle Miene zu der eben ausgesprochenen Frage zu veranlassen, vollkommen.

»Sie scheinen große Übung zu besitzen,« versetzte er mit einer leichten Verbeugung, »in den Mienen der Menschen lesen zu können, und so sage ich Ihnen, um Ihre Aufrichtigkeit mit der meinigen zu erwidern, daß es wirklich noch einen Grund gibt, warum ich dies mir von meinem Vater seit meiner Kindheit ausdrücklich überwiesene Zimmer auch jetzt nur allein zu meinem Aufenthalt gewählt habe.«

Der Baron lächelte verschmitzt und mit selbstzufriedener Miene. Er fühlte sich durch die Bemerkung Bodos geschmeichelt, und so sagte er, indem er seinen Oberkörper näher zu dem Legationsrat vorbeugte, mit verbindlichem Flüstertone: »Darf ich diesen Grund vielleicht auch wissen, mein teurer Vetter?«

»Warum nicht?« lautete die fest und mit Überlegung gesprochene Antwort. »Und um so eher darf ich Ihnen denselben angeben, als ich aus einer Mitteilung meines verstorbenen Vaters erfahren habe, daß Sie mit allen meinen Verhältnissen vertrauter und also auch in meine Geheimnisse eingeweihter sind, als irgend ein anderer Mensch.«

Der Baron warf sich bei diesen rätselhaften Worten mit voller Würde in die Brust, spannte aber zugleich Augen und Ohren so weit auf, als er es vermochte, und horchte gleichsam mit seinem ganzen Wesen, da er wohl einsah, daß den eben gesprochenen Worten noch weitere folgen würden. »Sprechen Sie dreist,« flüsterte er beinahe und vor innerer Aufregung an allen Gliedern bebend. »Ich bin ein Mann, dem Sie sich ganz vertrauen können.«

»Gewiß werde ich dreist sprechen, Herr Baron, ich halte nie hinter dem Berge, wo ein gerades Vorgehen am leichtesten zum Ziele führt. Der Grund, warum ich diese kleine Wohnung gegenwärtig nur allein benutze, besteht darin, daß ich mich nach dem letzten Willen meines Vaters bis jetzt noch nicht als den vollständigen und alleinigen Erben seiner Hinterlassenschaft, also auch dieses Hauses, zu betrachten habe.«

»Ah!« stammelte der Baron, und seine Augen senkten sich vor dem flammenden Blicke des Legationsrats zu Boden. Aber rasch genug sammelte er sich wieder und versetzte mit dem süßesten Lächeln: »O, o, lieber Vetter, Sie sollten nicht gar zu skrupulös sein. Es ist ja gar kein Grund vorhanden, anzunehmen, daß die Hinterlassenschaft Ihres guten Vaters, meines seligen, heißgeliebten Schwagers, Ihnen nicht in ihrer ganzen Ausdehnung zuteil werden sollte.«

Hatte der Baron gedacht, daß auf diese schlaue, halb wie eine Frage gesprochene Rede eine deutliche Antwort folgen würde, so befand er sich im Irrtum. Bodo schwieg ziemlich lange, sagte aber endlich zur höchsten Verwunderung des Barons: »Lassen Sie uns hiervon abbrechen, Herr Baron; ich habe, glaube ich, für heute genug über diesen Punkt gesprochen. Nennen Sie mir lieber den andern Grund, der mir in so früher Morgenstunde die Ehre Ihres Besuches verschafft hat.«

Der Baron atmete tief auf, er konnte die geschickten Paraden des ihm bei weitem überlegenen Fechters nicht so leicht durchbrechen. »Ja,« sagte er nach kurzem Besinnen, »das will und muß ich sogar tun, und je früher, um so eher werde ich die Freude haben, meinem Hause und meiner Familie einen sehnlichst erwarteten Genuß bereiten zu können. Mit einem Wort: ich komme so früh, um zeitig genug bei Ihnen zu sein, damit Sie selbst Zeit behalten, Ihre etwaigen Geschäfte bis Mittag abzuwickeln, um mir nach – nach der Grotenburg folgen zu können, wo Sie uns gewiß gern die Ehre gönnen, Ihnen eine – Suppe vorsetzen zu dürfen.«

Bodo fuhr wie von einem elektrischen Schlage getroffen zurück. Noch ehe der Baron aber seine Überraschung bemerken konnte, hatte er seinen Gleichmut wiedergefunden und erwiderte mit höflicher, aber dennoch fast schneidender Ruhe: »Das tut mir leid, Herr Baron. Ich schlage nicht gern direkt eine so freundliche Bitte ab, diesmal aber muß ich es. Es ist mein fester Vorsatz, den nichts erschüttern wird, in den nächsten Wochen nicht mehr außer dem Hause zu speisen. Ja – Sie wundern sich darüber – aber es ist einmal so. Ich bin eine Art Einsiedler geworden und fühle mich am wohlsten zu Hause. Überdies bin ich in den letzten Tagen übermäßig in der Weite umhergeschweift und meine Studien, denen ich noch immer unablässig nachhänge, untersagen mir zu häufige Zerstreuung.«

»Studien? Zerstreuung?« rief der Baron fast erschrocken. »Was hätten Sie denn noch zu studieren? Ich dächte, damit wären Sie lange fertig, ein für allemal!«

Bodo schüttelte sanft den Kopf, lächelte still vor sich hin und erwiderte: »Sie irren, Herr Baron. Ein Mann wie ich, der nicht von äußeren Zerstreuungen und sogenannten Vergnügungen lebt, kommt mit seinen Studien nie zu Ende. Jeder Tag gebiert einen neuen Stoff und jeder Stoff erweitert sich bei genauerer Betrachtung zu einem großen Felde, das man mit Umsicht, Eifer und Ausdauer bebauen muß, wenn man zur rechten Zeit die genießbare Frucht ernten will.«

»Aber mein Gott,« rief der Baron, »Sie werden doch mir und meiner Familie den Gefallen, die Liebe tun, bei uns ein kleines Diner anzunehmen, wenn wir darum bitten?«

Bodo zuckte in einer Art und Weise die Achseln, daß der Baron, wenn er nur halbe Augen hatte, sehen mußte, daß hier jeder Versuch, den Entschluß »des lieben Vetters« zu erschüttern, vergeblich war. »Ich muß auch dieser Bitte ausweichen,« sagte er fest und bestimmt. »Heute, morgen und übermorgen, überhaupt in diesen Tagen gehe ich mittags nicht aus, und was die Zukunft in ihrem Schoße birgt – nun, darüber will ich freilich jetzt noch keine Entscheidung fällen. Doch – lassen wir jetzt dies oder ein anderes Diner außerhalb unserer Besprechung und nehmen wir fürs erste ein kleines Frühstück ein, zu dem ich soeben da draußen die Anstalten treffen höre.«

Der Baron blieb wie versteinert auf seinem Sofa sitzen und folgte mit gläsernem Auge, völlig eingeschüchtert, seinem Wirte, der gemächlich aufstand, an die Tür trat und sie gerade zur rechten Zeit öffnete, um von Rieke und einer andern Magd einen Tisch hereinrollen zu lassen, der mit Speisen allerlei Art und einer seltsam geformten Flasche Wein und zwei Gläsern besetzt war.

Als die beiden Mägde den Tisch an die richtige Stelle gerückt, Stühle vor die Couverts gestellt und sich wieder entfernt hatten, ersuchte Bodo seinen Gast, einen der Plätze einzunehmen, und dieser folgte der Einladung fast mechanisch, wie er anfangs auch nur gleich einem Menschen aß, der nicht weiß, was er genießt, und der nur aus alter Gewohnheit nachtut, was er andere tun und treiben sieht.

Indessen dauerte dieser Zustand der Befangenheit, der aus dem unerwarteten Fehlschlagen seiner so vorzeitig zur Schau getragenen Siegeshoffnung entsprang, bei dem leichtblütigen Baron nicht allzu lange. Schon nach wenigen Minuten aß er die trefflich zubereiteten und, wie er selbst sagte, »reizend angerichteten« Speisen mit Appetit; bald darauf stellte sich ein gewisses Behagen an seiner augenblicklichen Lage ein, und als er erst ein Glas von dem feurigen Wein getrunken, welchen dem Legationsrat ein Freund von den griechischen Inseln gesandt und den der Baron nie vorher gekostet hatte, fühlte er seinen alten Mut in ganzer Fülle zurückkehren, er wurde wieder redselig und begann allmählich daran zu denken, daß der Zeitpunkt nun bald gekommen sein werde, mit dem diplomatischen Meisterstück herauszurücken, dessen Resultat er seiner teuren Amalie als ein durchaus unzweifelhaftes und über alle Erwartung günstiges dargestellt hatte.

So war man mit dem eigentlichen Frühstück zu Ende gekommen, aber da der Inhalt der Flasche noch nicht erschöpft war, so blieben die beiden Männer, wie es schien, ganz gemütlich beieinander sitzen, sich gegenseitig scharf beobachtend und im stillen jeder für sich schon an das glückliche Ende dieser Morgensitzung denkend. Während Bodo aber, der keinen Wein trank, dabei immer ruhiger, gehaltener wurde und die Miene seines Gastes aufmerksam studierte, verlor dieser allmählich seine gemessene Haltung, ließ sich mehr und mehr gehen und, von dem reichlich genossenen Weine ungemein belebt, glaubte er endlich den geeigneten Augenblick gekommen, seinem gepreßten Herzen Luft machen und die letzten Zügel schießen lassen zu dürfen, um wie ein siegreicher Triumphator dem sehnlichst erstrebten Ziele zuzujagen.

»Mein lieber Herr Vetter,« fing er mit sehr sanfter Stimme und freundlich nickendem Haupte an, »das ist ein vortrefflicher Wein und, wie mein Schwager Haas zu sagen pflegt, »er öffnet das Herz und löst die Zunge«. Ich spüre diese köstliche Wirkung im höchsten Maße und so haben Sie es nur Ihrer Bewirtung zuzuschreiben, wenn ich in unserer jungen Freundschaft – die ja eigentlich nur die Fortsetzung der alten mit Ihrem Vater ist – einen Schritt weiter tue und Ihnen mein Herz so blank und klar darlege, als säße es nicht verborgen in meiner Brust, sondern als hielte ich es in dieser meiner offenen Hand Ihnen entgegen.«

Bodo verbeugte sich leicht und erwiderte mit ernstem Gesichtsausdruck: »Tun Sie diesen Schritt und zeigen Sie mir, wie Ihr Herz aussieht, wenn Sie es blank und klar in der offenen Hand halten.«

»Ja, das will ich und das muß ich, denn es darf nicht länger unklar zwischen uns beiden bleiben; wir müssen uns einander offen durch die Augen bis in die Seele blicken können.«

»Das ist schon lange mein Bestreben bei Ihnen, Herr Baron, und auch meine Augen sind Ihnen so weit wie möglich geöffnet.«

»Ich sehe es, ich sehe es und danke Ihnen im voraus. Aber mein teurer Vetter – es ist eine delikate Sache, die ich mit Ihnen zu verhandeln habe, und Sie dürfen mich nicht mißverstehen.«

»Mag sie so delikat sein, wie sie will – ich werde und kann Sie nicht mißverstehen, wenn Sie die Güte haben wollen, sich verständlich und namentlich nach Ihrem eigenen Geständnis so klar auszusprechen, wie es in Ihrem Herzen aussieht.«

»Nun wohlan denn, so hören Sie. Sie haben mir eigentlich schon vorher die Brücke zu dieser meiner Vertraulichkeit gebaut, als Sie so gütig waren, der wahrhaft heiligen Freundschaft zu gedenken, die mich mit Ihrem guten Vater verband, und dabei der – der geheimnisvollen Stellung zu erwähnen, die Sie zu meiner Familie einnehmen.«

Der Baron hielt einen Augenblick inne und räusperte sich, als wolle er frischen Mut schöpfen, da jetzt erst der eigentliche Kern der Sache sich entwickelte und das dunkle Auge seines lieben Vetters mit schärfster Aufmerksamkeit, aber auch einer Ruhe auf ihn gerichtet blieb, die ihm nicht so ganz behagen wollte. Zur weiteren Stärkung trank er nun noch ein halbes Glas Wein, reckte sich dann zurecht, als wolle er einen kräftigen Anlauf nehmen, lächelte wohlgefällig und fuhr fort:

»Also Sie wissen schon lange, daß zwischen Ihrem Vater und mir wie zwischen Brüdern das innigste Einverständnis herrschte, daß ihm ebensowohl meine Familie wie die seine am Herzen lag, und daß er bis zu seinem letzten Atemzug bestrebt war, das Wohl beider auf die bequemste Weise zu fördern, indem er zwei verschiedene Interessen in ein und dieselbe Richtung leitete.«

»Ja, das weiß ich,« erwiderte Bodo ernst, obwohl innerlich lächelnd, indem er den, seinen Worten mit Hand- und Fußbewegungen Nachdruck gebenden Baron sich förmlich abeifern sah, »ja, das weiß ich – zwar nicht lange wie Sie zu bemerken die Güte hatten, aber doch seit dem Tage, wo ich nach dem Tode meines Vaters in dieses Haus zurückkehrte und zu meinem Erstaunen – ich sage es offen – einen Brief desselben mit mir bisher unbekannten Wünschen vorfand.«

»Nun gut, das ist ein halbes Jahr her, teuerster Vetter, und in dieser Zeit müssen Sie Gelegenheit genug gefunden haben, über Ihres Vaters Wünsche nachzudenken und die nötigen Entschlüsse zu fassen, um denselben entweder zu entsprechen oder – oder des weiteren gewärtig zu sein.«

Bodo sah den Baron fast durchbohrend bei diesen mit Mühe vorgebrachten Worten an und sagte mit einer Stimme, die so kalt und hart wie Eisen war: »Wollen Sie nicht die Gewogenheit haben, diese Wünsche meines Vaters etwas genauer zu charakterisieren, damit zwischen uns wenigstens kein Irrtum möglich ist?«

»Ah! Sie wollen es – nun gut! Mit einem Wort: es handelt sich um die zwischen Ihrem Vater und mir wohlbedachte und schließlich verabredete Absicht, sein Haus mit dem meinigen noch enger zu verbinden, dadurch, daß ich das Beste gebe, was ich besitze, und er, indem er in gleicher Weise Sie selbst mir darbietet. Doch wozu die lange Umschreibung. Wir sind Männer, verstehen uns und können das Ziel nackt und kahl ins Auge fassen, also: dadurch, daß Sie um die Hand meiner Tochter werben, die ich Ihnen, ich sage es gleich von vornherein, keinen Augenblick versagen werde.«

Bodo senkte bei dieser letzten, ebenso nackten und kahlen wie großmütigen Auseinandersetzung die Augen und lächelte, aber es war eine Art geisterhaften inneren Lächelns, wobei sein Gesicht eine seltsam bleiche Farbe annahm, so daß jeder Unbefangene ihm hätte anmerken können, wie das Blut ihm voll zum Herzen strömte und er sich die größte Gewalt antat, den in ihm tobenden Sturm nicht nach außen losbrausen zu lassen.

»Was haben Sie nun darauf zu erwidern?« fragte der Baron mit leise bebender Lippe und den jungen Mann starr anblickend, da er sich über die Maßen wunderte, daß derselbe sich immer noch schweigend verhielt.

»Zuerst,« nahm Bodo das Wort, »und bevor ich auf Ihr überaus väterliches Anerbieten eingehe und es einer näheren Betrachtung unterwerfe, erlauben Sie mir zu sagen, daß ich allerdings diesen Wunsch meines Vaters erfahren und mir auch Zeit genug genommen habe, denselben reiflich nach allen Seiten zu überlegen. Das Resultat dieser Überlegung ist nun zunächst, daß ich, wenn auch keinen Tadel, doch noch viel weniger ein unbedingtes Lob dem zwischen Ihnen und meinem Vater vereinbarten Plane zollen kann. Doch in bezug auf Sie darf ich hierüber kein Urteil abgeben und gebe ich auch nicht ab, in bezug auf meinen Vater aber muß ich es, Herr Baron. Nach meinem Ermessen hat mein Vater nicht wohl daran getan, den Entschließungen eines Dritten, wenn derselbe auch sein Sohn ist, in so bestimmter Weise vorzugreifen, noch viel weniger, ihm ein so kategorisches Entweder – Oder in den Weg zu werfen. Wollte er für sich einen solchen Bund mit der Tochter seines Freundes schließen, so konnte er es rücksichtslos tun, mir aber, einem Manne in reifen Jahren, ein solches Verhältnis aufzubürden, das, Herr Baron – ich drücke mich hier mit kindlichem Respekt aus – war, sage ich, nicht wohlgetan. Erlauben Sie, ich bin noch nicht fertig. Außerdem aber war es noch viel weniger wohlgetan, eine so kurze Frist bis zum ersten August dieses Jahres festzusetzen, bis wohin sich mein Entschluß wohl oder übel ausgesprochen haben müßte.«

»Aber mein Gott, Sie haben ja ganze sechs Monate Zeit dazu gehabt!« unterbrach ihn der Baron mit einem wahren Ungestüm, da er schon das ganze Resultat der Überlegung des jungen Mannes »nackt und kahl« vor seiner Phantasie auftauchen sah.

»Sie irren, Herr Baron. Sie dürfen nur von dem Tage an rechnen, wo ich Ihnen meinen ersten Besuch abstattete, und dann sind es nicht ganze sieben Wochen. Sieben Wochen aber sind eine sehr kurze Frist, eine so ernste und wichtige, das ganze Leben umgestaltende Sache abzumachen. Die vollkommene Neigung eines Menschen, die durchaus dazu nötig ist, gewinnt man nicht so rasch –«

»Warum kamen Sie denn nicht früher?« warf der Baron atemlos dazwischen.

»Weil ich es nicht für passend hielt, während der Trauerzeit um einen heimgegangenen Vater die einleitenden Schritte zu einer möglichen Werbung zu unternehmen.«

»Gut, ja, das gebe ich zu; aber Sie meinen, in sieben Wochen könne die Neigung zweier Menschen nicht entstehen, wachsen und sich völlig festsetzen? Das ist von Ihrer Seite ein Irrtum, lieber Vetter. Wenn Sie mit der zweiten Person meine Tochter im Auge haben, so kann ich Ihnen unter vier Augen und als Ihr aufrichtigster Freund sagen, daß dieselbe zur Feststellung ihrer Neigung nicht so viel Zeit gebraucht hat, denn sie fühlte diese Neigung schon gleich am ersten Tage zu Ihnen, wie auch wir Eltern Sie, gleichsam beim ersten Anblick in unser Herz geschlossen haben – und Sie müssen das sehr wohl gemerkt haben.«

»Sie sind sehr gütig, Herr Baron, und ich will dafür ebenso aufrichtig gegen Sie sein wie Sie es gegen mich sind. Erlauben Sie mir also, offen zu bemerken, daß es sich hier nicht allein um die Neigung Ihrer Fräulein Tochter, sondern auch um meine eigene handelt. Mein Blut fließt etwas ruhiger in dieser Beziehung. Ich sehe nicht nur, ich prüfe auch, – nicht die betreffende Dame allein, auch mich. Und daß diese Prüfung in einer so kurzen Zeit vollständig beendigt sein werde, muß ich bezweifeln – die Frist bis zum ersten August ist mir in der Tat viel zu kurz.«

Der Baron fiel beinahe hintenüber vor Schreck. »Was sagen Sie da?« stammelte er. »Diese Zeit wäre Ihnen zu kurz? – Aber erlauben Sie,« fuhr er plötzlich mit wieder neu wachsendem Mute fort, da ihm wahrscheinlich irgend ein glücklicher Gedanke zu Hilfe kam, »wenn Sie jenen Wunsch Ihres Vaters gelesen, werden Sie aus demselben Schreiben ersehen haben, daß ich meinerseits die gestellte Frist auf keine Weise verlängern kann. Der erste August ist von ihm als unumgänglicher Termin festgesetzt. Ein gerichtlicher Akt vor dazu bestellten Zeugen soll an diesem Tage stattfinden und Ihre Erklärung muß dabei definitiv ausgesprochen werden, wenn nicht ein für den Fall Ihrer Ablehnung bereit gehaltenes Testament eröffnet und der definitive letzte Wille des Erblassers bekannt gemacht werden soll. So, mein teurer Vetter, so allein steht die Sache.«

Bodo lächelte fast heiter, als bedrücke ihn diese Mitteilung durchaus nicht, was den Baron in die höchste Verwunderung setzte, da er es bemerkte. »Freilich,« sagte er dann, »steht die Sache so, ich weiß es, denn ich habe es mit eigenen Augen aus jenem seltsamen Schreiben ersehen. Wenn ich daher bis zum ersten August keinen Ihren und meines Vaters Wünschen entsprechenden Entschluß gefaßt haben sollte, so bleibt nichts weiter übrig, als –«

»Nun?« fiel ihm der Baron, dem die Augen fast aus dem Kopfe sprangen, ins Wort, »als was?«

»Als dem Gesetze freien Lauf zu lassen, den letzten Willen meines Vaters als rechtskräftig anzuerkennen und sich den unvermeidlichen Umständen, die daraus folgen, zu fügen. Ist das nicht sehr einfach, Herr Baron? Mir wenigstens hat es keine große Mühe gekostet, zu dieser Einsicht zu gelangen.«

Der Baron schwieg; nur in seiner Brust arbeitete es mächtig. Diese auf so leichte Weise erlangte Einsicht seines Schwiegersohnes » in spe« schien auf ihrem tiefsten Grund einen neuen und fast unerwarteten Glücksfall für ihn selbst zu enthalten, denn er hatte sich nicht gedacht, daß Bodo sich dem Willen seines Vaters so leicht und willig fügen würde, wobei wir freilich hinzusetzen müssen, daß dem Baron der definitiv letzte Wille des Verstorbenen ziemlich genau bekannt, dem Sohne desselben aber gänzlich unbekannt war. In dieser Freude, die sich plötzlich wie eine vom Blitzstrahl erleuchtete Gegend vor ihm auftat, fühlte er sogar eine Art von Mitleid mit dem gefügigen Sohn eines so willfährigen Freundes, er nahm beinahe eine Gönnermiene gegen ihn an und tat, als gäbe er sich die erdenklichste Mühe, die Ansicht des jungen Mannes zu klären und seinen starren Sinn wo möglich zu beugen. »Mein lieber Vetter,« sagte er in einer so freundlichen Weise, daß sie sich Bodo, der mit seinen Schlußfolgerungen nicht vertraut war, zuerst nicht erklären konnte, »daß sie diesen, wie mir scheint, sehr voreiligen Entschluß gefaßt haben, tut mir nicht nur um Ihrer selbst, sondern auch um meiner- und unserer aller willen leid. Haben Sie denn jedes Bestreben nach einer näheren Bekanntschaft, als Einleitung zu einer möglichen Verbindung mit meiner Tochter, definitiv aufgegeben?«

»Davon habe ich ja gar nichts gesagt,« erwiderte Bodo lachend, was den Baron beinahe verblüffte. »Sie haben mich also trotz aller meiner Klarheit nicht verstanden?«

»Ei, mein Gott, was haben Sie denn gesagt?« rief der Baron mit vor Aufregung bebenden Lippen.

»Ich habe nur gesagt, oder vielmehr sehr verständlich angedeutet, daß, wenn ich bis zum ersten August nicht den Entschluß gefaßt hätte, in ein näheres Verhältnis mit Ihrer Fräulein Tochter zu treten, dann und erst dann, das Gesetz seinen Lauf nehmen müsse, und ich füge nur noch hinzu, daß Sie sich und mir diesen unangenehmen Auftritt heute hätten ersparen können, wenn Sie bis zu jenem Termin die durchaus nötige Geduld bewiesen hätten.«

»Bah!« machte der Baron und griff in seiner verworrenen Geistesstimmung, die jeden Augenblick verworrener, zweifelhafter und unsicherer wurde, von neuem nach dem Glase. »Also Sie sind noch nicht mit sich einig darüber?« fragte er, nachdem er einen tieferen Zug getan, als er selbst wissen mochte.

»Nein, gewiß nicht, ich habe ja noch Zeit genug dazu, es zu werden. Mir gehören noch sechs Wochen, und die kann ich benutzen.«

»O so benutzen Sie sie doch!« rief der Baron. »Kommen Sie alle Tage zu mir, bleiben Sie den ganzen Tag bei mir, lernen Sie die himmlische Klotilde kennen, und wenn Sie sie ganz kennen, so zweifle ich keinen Augenblick, daß Sie sie auch lieben werden.«

Bodo hätte fast laut aufgelacht und bezwang sich nur mit Mühe, ernst zu bleiben. »Das geht nicht, Herr Baron!« erwiderte er mit völlig aufgeheitertem Gesicht. »Sie mögen auf solche ungestüme Weise die Damen belagern, aber meine Art und Weise ist das nicht. Eine wirkliche Neigung muß sich langsam, allmählich und auf festem Grund und Boden entwickeln. Eine Treibhauspflanze mit allen Mitteln und Hilfen künstlich in die Höhe getrieben, wie Sie sie mir zu erziehen anraten, bleibt schlaff, dürr, saft- und kraftlos – so darf aber meine Neigung niemals beschaffen sein, ich will nur eine kräftige, naturwüchsige Neigung fühlen – oder lieber gar keine.«

»Ah!« rief der Baron, der schon wieder Hoffnung faßte, die Treibhausneigung seiner Tochter werde bald auf eine höchst kräftige Weise erwidert werden. »Das klingt ganz anders, mein lieber teurer Vetter, und gibt mir meinen ganzen Halt wieder. So wollen Sie also Ihre Bewerbung um die Hand meiner Tochter hiermit noch nicht völlig abgebrochen haben?«

»Es handelt sich ja noch um gar keine Werbung, sondern erst um die Bekanntschaft, Herr Baron. Nur der erste Eindruck hat sich bis jetzt gezeigt und die Folge allein wird lehren, wie der zweite, dritte usw. sich zeigen werden.«

»Ach so! Aber Sie schlagen ja meine Einladung zum Diner aus – für heute, morgen und alle übrigen Tage?«

»Lernt man sich denn nur bei einem Diner kennen, Herr Baron? Ich liebe es, mit einem Wort, nicht, auf irgend eine Weise gebunden zu sein. Ich werde schon wiederkommen und das weitere wird sich finden.«

»Bravo, bravo, bravissimo!« rief der Baron jauchzend und schlug sich vor Freude in die Hände. »Nun verstehe ich Sie erst! Aber, mein Gott – wo hatte ich denn meine Sinne?«

»Vielleicht auch in der Hand, wie das Herz, statt an dem dazu bestimmten Orte, Herr Baron.«

»Ah, Sie können scherzen? Nun lebe ich wieder auf. – Nun aber, da wir so weit sind, sagen Sie mir – wie war der erste Eindruck, den meine reizende Klotilde auf Sie machte?«

Bodo zeigte in diesem kritischen Augenblick eine so ehrliche und offene Miene, wie es ihm wirklich ums Herz war, und erwiderte ruhig: »Mein Herr Baron! Eine junge Dame von der Erziehung und Bildung Ihrer Fräulein Tochter, kann man in einigen Stunden nicht hinlänglich beurteilen lernen. Ich bestreite Ihnen den ausgezeichneten Wert dieser Tochter nicht, aber Sie sehen jedenfalls ihre Eigenschaften in einem ganz anderen Lichte, wie Sie ihr Verhältnis zu mir gleichfalls ganz anders beurteilen als ich. Sie sind der Vater und wollen eine Tochter verheiraten, um vielleicht selbst dadurch einer Sorge überhoben zu sein, denn Kinder, glaube ich, machen Sorge – ich dagegen will, wenn es denn doch einmal geschehen soll, eine Frau, das heißt eine Lebensgefährtin wählen, die nicht allein selbst durch mich glücklich werden, sondern auch mich glücklich machen soll. Wissen Sie denn auch schon bestimmt, daß ich der Mann bin, der die Hand Ihrer Tochter verdient?«

»O!« rief der Baron mit Nachdruck und streckte seine feine Hand über den Tisch hin, die Bodo flüchtig berührte, »was sagen Sie da! Bin ich nicht Menschenkenner? Ja, ja, ja, ich bin vollkommen überzeugt, daß Sie der trefflichste Mann sind, der ein so schönes und ein so – so – so wohlhabendes Mädchen verdient!«

»Nun denn,« erwiderte Bodo sehr ernst, »Sie urteilen vielleicht zu rasch über mich, wie ich mich vielleicht zu langsam über ein so wichtiges Verhältnis entscheide – aber wir wollen uns nicht gegenseitig überrumpeln oder die Phantasie mit verlockenden Bildern füllen. Gut Ding will Weile haben! Noch einmal – warten Sie bis zum ersten August – auf diesen Termin, da er einmal festgesetzt, verweise ich Sie. Bis dahin kann viel gegen oder für Ihre Wünsche geschehen. Meine Neigung kann entstehen, wachsen, sich festsetzen – oder –«

»Nein, nein, nichts von oder – gar nichts – sie kann sich festsetzen – und auf daß sie sich festsetze, – trinke ich dies volle Glas – da – aus ist es! – Der Tausend! Aber mir schwindelt der Kopf – ist das vom Wein?«

»Mag wohl sein – vielleicht aber haben Sie das Herz zu lange in der Hand behalten und –«

»O Sie köstlicher Mann!« rief der Baron halb trunken, denn er hatte bei großer Aufregung die ganze Flasche feurigen Weines allein geleert. Dabei stand er auf und umarmte stürmisch den Legationsrat, der sich der ihm zugedachten Liebkosungen nicht mehr erwehren konnte. »Ich sagte es ja!« lallte er weiter – »dieser diplomatische Schritt würde die besten Folgen haben! – Also, Sie lieber Vetter – der erste Eindruck war gut – prächtig – nicht wahr? O, Klotilde ist ein herrliches Mädchen!«

»Wenn es der eigene Vater sagt, muß es in gewisser Beziehung wohl wahr sein,« erwiderte Bodo lächelnd.

»Und Sie kommen morgen – übermorgen – oder an irgend einem Tage – um die Neigung – wachsen – sich festsetzen zu lassen?«

»An irgend einem Tage komme ich gewiß, das verspreche ich Ihnen.«

»Na, dann schlagen Sie ein – Sie sind mein Mann – Ihres Vaters echter Sohn! Bravo, bravissimo! – Wir verstehen uns! Aber nun, nun, muß ich Sie verlassen – lei – der! Meine Amalie – ein prächtiges Weib – auf Ehre! – erwartet mich – mit namenloser Sehnsucht – und die kleine – die reizende Klo – Klotilde – ach, was für ein Kind – nicht minder!«

»So wollen wir gehen, wenn Sie fort müssen!« sagte Bodo ruhig, bot seinen Arm dar und führte den taumelnden Gast vor die Tür an die frische Luft, wo bald der Wagen herbeigeschafft, der Baron auf dem bequemsten Sitz untergebracht ward und nun der vorher außer Dienst gesetzte Kutscher wieder in seine Rechte trat, da sein Herr zu sehr – mit sich beschäftigt war, um die Führung der Zügel übernehmen zu können.

Bodo sah den Wagen lächelnd abfahren, obwohl er nicht gerade heiter gestimmt war, dann aber kehrte er in sein Zimmer zurück, um über diesen Morgenbesuch, der ihm manches zu denken gegeben, ruhig und wie ein Mann nachzusinnen, der seine Pläne reiflich erwägt, ehe er sie entschlossen zur notwendigen Tat werden läßt.


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