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Drittes Kapitel.
Wie man einen Mann ohne Politur und Bildung empfängt.

Die für den Baron Grotenburg so bedeutungsvolle Nachricht, daß der Legationsrat von Sellhausen endlich seine Besuche begonnen habe und, seiner eigenen Aussage nach, am heutigen Tage nach der Grotenburg kommen werde, war schon an demselben Abend, nachdem Bodo das Gut Kranenberg verlassen, von da aus dem Schwager vermittelt worden, und auch am darauffolgenden Tage war vom Baron Haas die Meldung eingegangen, daß das orientalische Wundertier sich auf dem Kolkhofe eingestellt habe. Begreiflicherweise hatten diese Nachrichten eine allgemeine Bewegung in der Grotenburg hervorgerufen, nur gab sich dieselbe in sehr verschiedener Weise kund. Der Baron selbst war erfreut, daß die sehnlich erwartete Stunde des Glücks nun endlich schlagen würde; die Baronin ließ ihre lange aufgesparte stille Wut in einzelnen Seufzern und Ausrufen verpuffen, da sie jetzt ja keinen Grund mehr zur Aufstachelung ihres Ingrimms hatte, und Fräulein Klotilde – nun, was konnte sie anders tun – saß mit der Mama und ihrer Jungfer in permanenter Beratung über die Wahl ihrer Toilette, was, als die Ursache davon bekannt wurde, zuletzt einen stürmischen Jubel unter den beteiligten dienstbaren Geistern hervorrief, als wäre schon die Hochzeit des gnädigen Fräuleins vor der Tür und als könne man nicht laut genug über das Glück der schönen Baroneß schreien.

Schon von morgens zehn Uhr an standen zwei Bediente in ihren besten Livreen in der Nähe der Zugbrücke, die schon längst keine Zugbrücke mehr war, auf der Lauer, um den erwarteten Gast mit aller Aufmerksamkeit zu empfangen und in den großen zu diesem Behufe festlich geschmückten Salon zu führen, der nur bei höchst feierlichen Gelegenheiten und sehr vornehmen Besuchen geöffnet wurde.

Es war dies ein hübscher geräumiger Saal, dessen vier Fenster nach dem freilich etwas düsteren Hofe gingen, denen gegenüber man aber ein kleineres durch die dicke Mauer nach dem Graben hin gebrochen hatte, um von hier aus zu jeder Zeit unbemerkt den Weg beobachten zu können, der vom Felde aus auf die Zugbrücke zuführte. Dieser Saal war das einzige Gemach im ganzen Schlosse, in den sich der letzte Rest des sonst überall verbannten guten Geschmacks gerettet hatte, das heißt, er war nicht zu sehr mit Möbeln überfüllt, um beschränkt, und nicht zu leer, um öde und ungemütlich zu sein.

Die Mitte desselben war frei geblieben und über diese schwebte von der mit Stukkatur bekleideten Decke ein großer Lüstre herab, der bereits seit vierundzwanzig Stunden von seinem gewöhnlichen blaukattunenen Überzuge befreit war und sich jetzt in seiner ganzen goldenen Pracht offenbarte. Den mit einer blendendweißen Tapete bedeckten Wänden gegenüber nahmen sich die Vorhänge von blauem Seidendamast sehr vorteilhaft aus und mit gleichem Stoffe waren auch die verschieden gestalteten Sofas, Divans und Sessel überzogen, die in den vier Ecken des Salons um zierliche Tische von Bronze und Marmor ihre Plätze einnahmen und so gleichsam vier verschiedene Räumlichkeiten bildeten, in denen sich kleinere und größere Gesellschaften, von den übrigen abgesondert, unterhalten und vergnügen konnten.

Um elf Uhr morgens erhielt dieser Salon, der überdies mit großen Spiegeln in Goldrahmen, marmornen Konsolen und kostbaren Kupferstichen versehen und dessen parkettierter Boden so glatt gebohnt war, daß man kaum ohne Gefahr darauf treten konnte – seinen ersten Gast, den Baron selber.

Er war ein nicht übermäßig großer, aber etwas korpulenter Mann hoch in den Fünfzigern, der sich in seinem blauen Frack mit vergoldeten Knöpfen und in seiner weißen Weste und Halsbinde mit der brillantenen Tuchnadel im Vorhemd ganz stattlich ausnahm. Dabei zeigte er für sein Alter ein sehr gut konserviertes Gesicht, nur sein Schädel war etwas kahl und die wenigen übrig gebliebenen Haare darauf in kleinen Löckchen nach der Mitte des Scheitels zu frisiert.

Auf den glatten Zügen des Barons lag an diesem Morgen wie immer sein stereotyp gewordenes vornehmes Lächeln; indessen wer ihn genauer beobachtete, fand bald heraus, daß der gewöhnlich zur Schau getragene Gleichmut des gnädigen Herrn heute dennoch etwas erschüttert und er nicht imstande war, einen gewissen moralischen Druck aus seinem Herzen zu verbannen, der sich sogar in den erschlafften Linien um den listigen Mund und in dem unsicheren Blick seines lauernden Auges widerspiegelte.

So kam er denn, von innerer Unruhe gepeinigt, um elf Uhr schon in den Salon, sah, was seine Frau nie tat, in alle Ecken, ob seinen Befehlen, bezüglich der Anordnung und Säuberung, auch Folge geleistet sei, und begann dann mit auf dem Rücken zusammengelegten Händen einen Spaziergang durch den langen Raum, wobei sich seine befangene Miene allmählich aufklärte und er sich zuletzt freier als zuerst und mit einer gewissen Befriedigung wiederholt in einem der glänzenden Spiegel betrachtete.

Als er nun aber, von niemanden gestört, seinen Spaziergang wieder fortsetzte, sagte er halblaut zu sich:

»Endlich, endlich also ist der Tag da, nach dem ich mich so lange gesehnt! Gott sei Dank! Die Minuten sind mir fast zu Jahren geworden. – Er kommt, ah, er kommt, und ich werde ihn bei mir haben, ich werde seine Hand berühren, in sein Auge sehen und gleich darin lesen, ob ich zu hoffen habe, was ich wünsche – wünsche? nein, zum Teufel, was ich haben muß – unter jeder Bedingung oder – die alte Grotenburg sieht zum ersten Mal einen zugrunde gerichteten Herrn. Allmächtiger Gott, daß es so weit kommen konnte! Man könnte so glücklich und zufrieden sein, wenn der verteufelte Putz und Tand –«

Er schwieg, denn sein immer auf der Lauer stehendes Ohr hatte ein bedeutsames Rauschen vernommen, das ihm schon aus der Ferne verkündete, wen er im Salon demnächst zu erwarten habe. Gleich darauf riß auch ein betreßter Diener die Flügeltür weit auf und die Frau Baronin trat im vollen Schmuck bei ihrem Gemahl ein.

Die stolze Dame zeigte sich heute einmal wieder in dem ihr eigentümlichen Glanze abgeschmacktester Überladung, sowohl inbezug auf die Menge der an ihrem Körper angebrachten Schmucksachen, wie auch in der Wahl der bunt zusammengesetzten und sich widersprechenden Farben – eine Überladung, fügen wir bei, die ein geübtes Auge sehr oft an Damen vom Lande wahrnimmt, die nur selten Gelegenheit haben, die Putzläden großer Städte zu besuchen und die feinsten Moden aus dem Grunde zu studieren, dann bei rascher Wahl aber gewöhnlich das in die Augen Fallendste nehmen, um sich ihren ländlichen Nachbarinnen in einem nie gesehenen Staate zu präsentieren.

Die Frau Baronin, in einem fabelhaft bunten Seidenstoff prangend, in dem ein schreiendes Rot und Grün die vorherrschenden Farben bildete, große Maraboutfedern nebst ungeheuern Schleifen im Haar und dann noch von einer kostbaren rosa gefütterten Tunika von feinster orientalischer Wolle umhüllt, trat also mit majestätischem Schritt ein, warf zuerst einen Blick in den Spiegel, wobei sie mit ihrer scharfen und kalten Stimme herausfordernd sagte:

»Nun, Grotenburg, da bin ich – wie gefalle ich dir?«

»O, meine Liebe,« flüsterte der gute Baron zärtlich, indem er zu ihr ging, neben ihr stehend ihr Spiegelbild betrachtete und seine Hand einen Augenblick auf ihrer halbnackten mageren Schulter ruhen ließ, »du weißt ja, du gefällst mir immer.«

»Schmeichler du!« rief die sich für so schön haltende Frau, und tippte mit ihrer Lorgnette auf des Gemahls Hand, die sich schnell zurückzog, als sie die spitzen Knochen fühlte, »aber du sagst es sehr selten. Ach Gott, was ist es heute warm, und ich habe schon so viel Eislimonade getrunken, um meine innere Hitze abzukühlen!«

Der Baron schien nicht auf diese Klage zu hören, setzte sich in einen Sessel, trommelte mit den Fingern seiner rechten Hand auf die marmorne Platte eines kleinen Tisches und sagte dann seufzend: »Wo ist Klotilde?«

»Bei der Toilette – wie du fragen kannst, Grotenburg, wo soll sie denn anders sein?«

»Gut, gut, ich bin schon still. Ach, Amalie, ja, du hast recht, es ist heiß heute, und es wird noch heißer werden, wenn – wenn er erst kommt.«

»Warum denn das?« fragte die Dame mit zurückgeworfenem Kopfe und sah ihren kleinmütigen Mann halb grimmig, halb verächtlich an.

Der Baron duckte sich wie ein Mäuschen, das die scharfe Kralle der Katze fürchtet, und sagte: »O, ich meine es nur. Ich bin im Grunde recht froh, daß wir so weit sind!«

Die Frau Baronin, hierdurch gereizt, ging mit großen Schritten, den Kopf mit dem gewaltig schwankenden Federbüschel bei jedem Tritt hintenüber beugend, im Salon auf und ab, wehte sich mit einem kostbaren Fächer Kühlung zu und versetzte:

» So weit, bah! Das ist wohl recht weit, mein Lieber? Hätten wir es nicht mit diesem – diesem Sonderling zu tun, wir könnten – bei Gott – etwas weiter sein!«

»Nenne ihn, der dein Schwiegersohn werden soll, nicht so, zumal du ihn noch nicht einmal genügend kennst –«

»Ich kenne ihn nicht?« fuhr die Baronin jäh auf. »Wer sagt das? Hab ich ihn nicht gesehen, nicht gesprochen, nicht erfahren, wie sonderbar – das ist ein mildes Wort, mein Lieber – wie sonderbar sich dieser Herr gegen uns beträgt?«

Der Baron schwieg einen Augenblick, offenbar eingeschüchtert und in einige Angst versetzt, daß ein sehr leicht erregbarer ehelicher Sturm möglicherweise im Anzuge sein könne, dann sagte er kleinlaut: »Nun, meine Liebe, du hast ihn doch selbst einen schönen und klugen Mann genannt?«

Die Baronin setzte ihren Gang etwas langsamer fort, fächelte sich nur etwas stärker Luft zu und erwiderte mit spitzem Tone: »Was hilft mir alle Schönheit, alle Klugheit, ja, alles, was der Mensch besitzen soll, seine diplomatischen Erfahrungen mit eingerechnet, wenn ich sehe, daß er sich nicht zu benehmen weiß wie ein gebildeter, ein verständiger, will sagen – ein nobler Mann!«

»Aber, meine Liebe,« wagte der Baron versuchsweise zu sagen, »du gehst in deinem Vorurteil zu weit.« Weiter kam er aber nicht, denn seine Gemahlin fuhr ihm mit giftigem Blick in die Parade und rief:

»Vorurteil? Ich gehe zu weit? Wie du so sprechen kannst – hm! – Du dauerst mich fast! Freilich, du hast ihn nicht gesehen, wie ich ihn gesehen habe – wie er da vor mir stand – wie ein Fürst aus dem Morgenlande mit seinen dunklen herrischen Augen, und wie er mit seiner tiefen Stimme zu mir sprach –«

»Nun, was sprach er denn so Schreckliches?«

»Schreckliches gerade nicht, aber doch nicht das, was ich in jenem schrecklichen Augenblick erwarten konnte.«

»Ach Gott, Kind, jetzt übertreibst du wirklich. Der Augenblick war ja so schrecklich gar nicht – du warst überreizt, erschrocken, und da sahst du Berge, wo nur Hügel waren, glaubtest einen Sturm zu fühlen, wo nur ein leichter Wind wehte –«

»Nun, nun, mein Lieber, menagiere dich ein wenig – du nimmst immer die Partei dieses Herrn, ich weiß schon, und was er auch gegen uns verbrochen haben mag, er ist immer ein Engel in deinen Augen.«

»Ein Engel, meine Liebe? Du allein bist mein Engel – aber darin übertreibst du wieder. Ich sehe, unter uns gesagt, in ihm weiter nichts als einen Mann, den man klug behandeln muß, da wir ihn nutzen wollen, da er oder das Erbe seines Vaters uns nötig ist – ja, ja, Amalie, verschweigen wir es uns ja nicht, wir haben ihn sehr nötig, und du weißt das ebenso gut wie ich.«

Die Baronin, von den ernst gesprochenen Worten ihres Mannes getroffen, schwieg einen Augenblick, aber sie seufzte, nicht über das angedeutete Unglück, ach nein, nur daß sie selbst so unglücklich sei, einen Mann zu haben, dessen Hilfsquellen nicht weiter reichten als sie bisher – dank ihrer Verschwendungssucht – gereicht hatten. »Grotenburg,« sagte sie endlich, »weißt du was? Ich habe es mir überlegt, ich wollte erst auf diesen Herrn mit meiner ganzen Macht einwirken und ihn an mich zu fesseln suchen, aber ich habe mich anders besonnen. Ich will lieber ganz aus dem Spiel bleiben, ich will nicht auf ihn wirken, denn mir – offen gesagt – behagt er zu wenig, oder – noch deutlicher gesprochen – ganz und gar nicht.«

Der Baron machte eine Geberde, als ob ihm das ganz gleichgültig wäre, und sagte erst nach einer Weile: »Na, das ist vor der Hand auch mein Wunsch, meine Liebe. Überlasse ihn mir ganz, und du wirst sehen, ich komme mit ihm zum Ziel – oder – ich gebe ihn völlig auf und dann – haha,« er lachte fast zu laut – »ist ja sein Erbe noch sicherer in unsern Händen, als mit ihm! Jedoch, wir haben unser Wort, das wir dem Alten gegeben, zu halten und zu lösen, und so wollen wir zuerst den glatteren und freundschaftlicheren Weg betreten. Wenn er uns also heute besucht und sich nicht näher erklärt, was auch kaum zu erwarten ist, da er Klotildchen noch gar nicht kennt, so besuche ich ihn morgen oder übermorgen wieder –«

»O, übereile dich ja nicht damit; er darf nicht denken, daß uns an ihm etwas gelegen ist –«

»Nein, nein doch – und der Erfolg wird lehren, mein Kind, wie diplomatisch ich mit einem Diplomaten umzugehen verstehe.«

Dabei rieb er sich vergnügt die Hände und warf seiner Gemahlin eine Kußhand aus der Ferne zu.

In diesem Augenblick öffnete ein Lakai zwei Türflügel zugleich, und der Baron, der schon glaubte, der erwartete Besuch erscheine wie ein Gespenst durch die Luft herangeflogen, sprang heftig auf und trat auf die Tür zu. Sogleich aber erkannte er seinen Irrtum, denn es war seine Tochter, die mit gewaltigem Rauschen und in womöglich noch glänzenderem Pompe als die Mama hereinschwebte.

Fräulein Klotilde trug an diesem für sie und ihre Familie so verhängnisvollen Tage ein Kleid von blaßblauer Seide, am Halse und den Schultern wie gewöhnlich so weit ausgeschnitten, als irgend zulässig, mit einer Schleppe versehen, daß nur der Page dazu fehlte, der sie hätte tragen können, und von einem Umfange, daß sie damit fast den vierten Teil des ganzen Salons füllte. Ihr blonder, von zahllosen kleinen Löckchen umgebener Kopf war mit einer Fülle von Blumen und Blättern geziert, daß man ihn hätte für einen kleinen Garten halten können, und um den völlig entblößten Hals und die Arme, am Busen, an den langnäglichen Fingern trug sie so viel goldene Ketten, Armbänder, Broschen und Ringe mit blitzenden Steinen, als nur immer anzubringen gewesen. Dabei verbreitete sie bei ihrem ersten Schritt in den Salon einen so durchdringenden Wohlgeruch von allen möglichen Essenzen um sich her, daß ihr Vater nicht ganz unrecht hatte, wenn er glaubte, sie sei im Besitz eines halben Parfümerieladens, dessen herrlichste Düfte sie jetzt gratis zum besten gebe.

In diesem überladenen Putze sah die Baroneß aus, nicht, als wollte sie im ländlichen Hause ihres Vaters einen Fremden empfangen, sondern als ob sie im Begriff stehe, in irgend eine Residenz zur Cour bei einem großen Fürsten zu fahren, eine um so größere Torheit, da der Baron Herrn von Sellhausen weder zu einem Besuche eingeladen, noch dieser einen solchen angemeldet hatte.

Als die Baronin ihre herzallerliebste Tochter in dieser Fülle von Schönheit und Reichtum an wertvollen Kleidungsstücken und Schmucksachen in den Salon treten sah, ließ sie einen Ausruf der Bewunderung und des Beifalls hören, ohne das fast erschrockene und vorwurfsvolle Gesicht zu bemerken, welches ihr Gemahl eine Sekunde lang anzunehmen wagte.

»Mein Gott,« rief sie und stand von ihrem Sitze auf, ergriff die Tochter bei der Hand und führte sie vor den größten Spiegel, »Klotilde, wie bist du heute schön – ach! und ich gestehe mit Stolz, daß es fast keinen Menschen auf der Erde gibt, dem ich diesen herrlichen Anblick gönne.«

»Du bist sehr gütig, Mama,« erwiderte Klotilde mit kühlem Lächeln, drehte sich vor dem Spiegel nach allen Seiten, wobei sie sich offenbar über sich selber freute, und fuhr dann fort: »die Robe sitzt wirklich sehr gut, ist weit genug, und die Mamsell hat ein kleines Meisterstück hervorgebracht. Aber könnte sie nicht noch ein wenig tiefer ausgeschnitten sein?«

Der Vater verzog die Stirn in krause Falten, wandte sich aber seitwärts, um sein Mißfallen nicht blicken zu lassen; die Baronin dagegen prüfte mit kundigem Mutterblick den fraglichen Gegenstand und gab endlich mit gedehntem Behagen den entscheidenden Ausspruch: »Nun, meine Liebe, es geht noch. Aber wenn du meinst, so laß noch einen Finger breit wegnehmen. Ich habe neulich bei den Hofdamen in ... noch tiefere Ausschnitte gesehen, und sogar Seine Durchlaucht der Fürst von †††, der daselbst zum Besuche war, hat sein Entzücken darüber geäußert.«

»O, o,« murrte der Baron leise und nahm aus einer goldenen Dose eine Prise, deren Spuren er dann sorgsam von Weste und Hemd zu entfernen sich bemühte.

Während dieser Zeit hatte die Baronin wieder ihren Platz eingenommen, Fräulein Klotilde ließ sich ebenfalls auf einem Divan, den sie mit den Falten ihrer Kleider bis über beide Seitenlehnen hinweg ausfüllte, dicht an dem kleinen Beobachtungsfenster nieder, und so saßen die drei Personen, jede in einer besonderen Ecke, in einem großen Dreieck sich gegenüber, eine Weile erwartungsvoll einander betrachtend und jedes des anderen Miene prüfend, wovon man jetzt wohl zu reden beginnen werde.

»Papa, ich habe eine Bitte!« sagte da plötzlich die Tochter vom Hause.

»Sprich, liebes Kind; du weißt, ich erfülle dir gern alles, was ich mit Ehren erfüllen kann.«

»O, so wird dir auch dies nicht schwer werden. Du bist in der Regel zu freundlich gegen die Leute, die uns besuchen, und wirst es am Ende gegen diesen Herrn Legationsrat auch sein wollen. Aber das wünsche ich nicht. Ich bitte also dringend, sei es gegen ihn nicht; laß ihn vielmehr fühlen, wie unhöflich er sich benommen, daß er nicht zuerst zu uns gekommen ist und sich nach meinem Befinden erkundigt hat, was er doch ebenso gut konnte als zuerst nach Kranenberg und dem Kolkhof zu gehen.«

»Ja,« rief die Baronin mit entschiedenem Beifall, »Klotilde hat recht, Grotenburg, und sie entwickelt wieder einen bewundernswerten Takt. Obgleich dieser Mann, dessen Vater unsrer Vermittlung und Fürsprache seinen Adel und seine Stellung in der ganzen Umgegend verdankte, weit in der Welt herumgekommen ist, so scheint er doch noch nicht so viel Bildung und Politur sich angeeignet zu haben, als in unserm Familienkreise der Anstand und das Herkommen verlangt. Du hast unbedingt recht, mein Kind, und ich habe schon vorher mit dem Vater über diesen Punkt gesprochen.«

»O, Bildung und Politur, Mama,« fuhr Fräulein Klotilde, verächtlich mit den bloßen Achseln zuckend, fort, »was fragen diese jungen Herren in der großen Welt jetzt danach?!«

»O, o!« machte der Vater wieder und nahm vor Verlegenheit eine zweite Prise. »Still, still doch. Kinder, Ihr urteilt über einen solchen Mann immer zu herbe. Du kennst ihn ja noch gar nicht, Klotilde, und die Mutter hat mir selbst gesagt, daß er das Ansehen eines galanten und chevaleresken Mannes habe.«

»Das Ansehen, lieber Grotenburg,« nahm die Baronin würdevoll das Wort auf, »ja, aber auch nicht mehr! Ich wenigstens habe von seiner Galanterie noch keine andere Probe gesehen, als daß er sogleich fortritt, als wir – leider! – bei einem Notbesuche sein Haus betraten, und daß er nicht eher wiederkam, als bis wir dasselbe in Angst und Sorge verlassen hatten. Du warst ja selber darüber empört, mein Freund, und hast das in deiner Gutmütigkeit nur wieder vergessen. Wir Frauen aber, wir vergessen dergleichen nicht – nie und nimmer!«

»Nein, nein, Papa, diesmal muß ich der Mama entschieden recht geben,« sagte Fräulein Klotilde mit Nachdruck, dem sprechenwollenden Vater rasch das Wort abschneidend; »und wenn ich aufrichtig sein und reden soll, wie ich fühle, so muß ich sagen, daß es mir in Sellhausen, obgleich das Schloß sehr hübsch liegt, gut eingerichtet, modern ist, doch weniger behagt hat, als ich mir vorgestellt habe. Überhaupt machte sich ein gewisses ordinäres Element in der Aufwartung und Bedienung darin bemerklich. Nicht einmal silberne Messer und Gabeln gab es bei Tisch, und dann, welche Haufen Fleisch brachte man uns auf die Tafel! Als ob wir Bauern wären und nicht wüßten, daß es Rehbraten sei, was wir bekamen, wenn wir nicht den ganzen Rücken vor uns sähen. Pfui! Und so war fast alles Übrige bestellt, und ich war eigentlich froh, als ich wieder nach Hause kam.«

Der Baron seufzte ganz laut. »Ach Gott, mein Kind,« sagte er mit fast wehmütiger Weichheit, »ich sehe, daß auch du vorgefaßte Meinungen hast, die sich zum Glück noch in der Zukunft werden ausrotten lassen. So viel ich weiß, hat der alte Herr von Sellhausen sehr vieles und schönes Silberzeug hinterlassen, und man hat es nur noch nicht in Gebrauch gezogen, weil man so lange keine Gesellschaft mehr gehabt und etwas aus der Gewohnheit des guten Tones gekommen ist. Weiter nichts! Und dann, mein Kind, wie konnte man in Sellhausen wissen, daß du niemals Fleisch issest, um dir nicht den Teint zu verderben, daß du nur von Gemüse und Mehlspeisen lebst? Überdies warst du krank –«

»Ach, da kommt Herr von Bökenbrink mit seinen göttlichen Füchsen!« rief Klotilde, die den Vater kaum angehört und unausgesetzt aus dem kleinen Schaufenster geblickt hatte.

Sowohl der Baron wie die Baronin sprangen von ihren Sitzen auf und eilten an das Fenster.

»Wahrhaftig,« rief der Baron fast erschrocken, »es ist Pilatus. Na, der hätte heute auch fortbleiben können, er wäre mir ein andermal lieber gewesen!«

»Warum denn, Papa, er ist ja immer so aufmerksam und galant – ach und sieh, wie prächtig die Füchse gehen – o, und was er für einen reizenden Brakewagen hat!«

Die Baronin ließ sich wieder auf ihren Divan nieder und machte eine Miene, als wollte sie sagen: »Nun, ich würde mich auch nicht gegrämt haben, wenn er heute nicht gekommen wäre; da er aber einmal da ist, muß man ihn ertragen. – Herr von Bökenbrink ist uns angenehm!« rief sie dem meldenden Bedienten entgegen, noch ehe er ein Wort gesprochen, und winkte ihm wie eine Königin mit dem feingestickten Taschentuche zu.

Wenige Minuten später trat Pilatus XXII. ein und fand die Herrschaften ruhig in dem vorher beschriebenen Dreieck sitzen. »Meine Damen,« sagte er, sich steif vor ihnen verbeugend und zuerst der Baronin und dann Fräulein Klotilden die Hand küssend – »guten Morgen – lege mich Ihnen zu Füßen.«

»Das lassen Sie hübsch bleiben,« rief der Baron, seine Hand dem Freunde entgegenstreckend, der ruhig nacheinander die Hypotenuse und die beiden Katheten des Dreiecks beschritt, »das wäre für Ihr Alter und Ihr invalides Kreuz eine halsbrecherische Arbeit – das kann heute ein anderer tun – hm! – und Sie wissen ohne Zweifel, wen wir erwarten.«

Pilatus XXII. warf einen gierigen Blick auf Fräulein Klotilde, nickte gravitätisch und sagte, ohne Zweifel mit großer Selbstaufopferung, da er nur ungern und stets so kurz wie möglich sprach:

»Herrliche Toilette heute – Sie auch, meine Gnädigste – aber weiß es auch schon – habe es gestern aus seinem eigenen Munde gehört.«

»Wie?« rief die Baronin, brennend vor Neugierde, »waren Sie gestern etwa auf dem Kolkhof?«

»Hatte die Ehre, Gnädigste – sogar bis heute morgen um zwei Uhr – das heißt Haas und Ihr untertänigster Diener.«

»O, o, bitte, erzählen Sie, wie war es, wie stellte Herr von Sellhausen sich dar, was machte er für einen Eindruck auf Sie?«

Pilatus von Bökenbrink reckte sich so hoch und steif in die Höhe, wie es ging, besann sich einen Augenblick und schnarrte dann wegwerfend: »Scheußlich, meine Gnädigste! Alles in allem. Kam auf einem Ackergaul angeritten – wahre Schindmähre – auf Ehre!«

»Und wie gefiel Ihnen sein Exterieur?« fragte Fräulein Klotilde mit einem ermutigenden Blick.

Pilatus wandte sich nach der schönen jungen Dame herum, verbeugte sich ehrerbietig und versetzte etwas langsamer als vorher: »Exterieur nicht übel – große Augen mit Drohblick – aber verwundete mich nicht – sehr wortkarg – sehr wenig hungrig – trinkt gar keinen Wein – aber doch sehr bissig und immer bereit, Beleidigungen zu sagen – was ihm noch teuer zu stehen kommen wird.«

»O, o!« rief der Baron und nahm stürmisch eine doppelte Prise.

»Und wie war sein Benehmen sonst, seine Tournüre, lieber Herr von Bökenbrink?«

»Benehmen? Tournüre? Sehr gewöhnlich, meine Gnädigste, oder sehr fein – wie Sie es nehmen wollen, vielleicht in der Art, wie es in Griechenland unter den Halbwilden Mode ist. Haha!« Und er lachte über seinen eigenen Witz, wenigstens hielt er es dafür, was er mit aller Mühe aus seinem trocknen Schädel herausgepreßt.

Einige Minuten lang herrschte nach diesem für alle Beteiligten so interessanten Gespräch allgemeines Stillschweigen, denn jeder dachte über das eben Vernommene nach, nur Pilatus XXII. nicht, der dicht vor Fräulein Klotilde stand und ihre Toilette und was sonst an ihr mit menschlichen Augen wahrzunehmen, mit einer wahren und deshalb stillen Andacht, nicht nur bewunderte, sondern fast verschlang.

Da schlug eine Uhr in einem der anstoßenden Zimmer einmal an und die Baronin durchfuhr es wie ein magnetischer Schlag. Sie sprang hastig auf, zog ihre eigene Uhr hervor und sagte herb: »Wahrhaftig, halb Zwei! Und er ist noch nicht da! Da hast du wieder einen Beweis von der Bildung dieses Mannes, Grotenburg. Wer in aller Welt, wer, sage ich, hat uns jemals auf das Essen warten lassen, wie?«

»Aber, mein Gott,« fuhr der Baron mit nicht länger zurückzuhaltender Erregung auf, »wie kannst du hier von »warten lassen« reden, Amalie? Der, den wir erwarten, hat sich eben so wenig zum Essen angemeldet, wie wir ihn dazu eingeladen haben.«

Pilatus XXII. machte ein höchst erstauntes Gesicht, als er dies hörte, und ließ seine kleinen Augen von einem Gala-Kleide der Damen zum andern schweifen. Ohne Zweifel wunderte auch er sich, daß unter diesen ihm zufällig enthüllten Umständen so viel Aufmerksamkeit auf die Toilette verwendet war. Indessen sprach er kein Wort und wirbelte nur die Spitzen seines Schnurrbartes krampfhaft zwischen den Fingern herum.

»Nun,« rief dagegen die Baronin, »wenn du die Sache so nimmst, mein Lieber, dann sehe ich auch keinen Grund ein, noch eine Minute länger mit der Tafel zu warten. Der Herr könnte am Ende so vornehm sein, erst um sechs Uhr wie in London speisen zu wollen. Aber wir sind keine dummen Engländer – nicht wahr, Herr von Bökenbrink?«

Pilatus XXII. verbeugte sich steif und erwiderte: »Ich wenigstens bin es nicht, das weiß ich bestimmt.«

»Und Sie meinen auch, daß wir speisen, nicht wahr?«

»Ich meine, was Gnädigste und Fräulein Klotilde meinen!«

»Danke Ihnen, mein lieber Freund!« Und sie nahm hastig eine kleine silberne Schelle von einer Konsole unter dem Spiegel auf und klingelte laut, worauf sogleich ein Bedienter die Tür öffnete und seinen albernen Kopf durch die Spalte steckte.

»Was befehlen die Frau Baronin?«

»Anrichten, Jonas, auf der Stelle!«

Fünf Minuten später meldete Jonas, daß serviert sei und nun führte Pilatus die Gnädigste und der Baron seine Tochter mit zeremoniösen Geberden in das elegant eingerichtete Speisezimmer.

*

Der Eile nach zu schließen, mit welcher das delikate Mahl verzehrt wurde, welches man zu Ehren oder vielmehr zur Köderung des »orientalischen Wundertiers« auf selten splendide Weise hergestellt, mußte entweder der Appetit der vier Speisenden nicht sehr groß gewesen sein, oder der bei allen Vieren in verschiedenen Richtungen vorherrschende Ärger hatte sie dasselbe nicht in behaglicher Ruhe genießen lassen, – genug, in der Reihenfolge, wie sie den Salon verlassen, und mit derselben Grandezza kehrten sie nach kaum einer Stunde dahin zurück und nahmen wie vorher ihre Plätze in gesonderter Weise ein, nur mit dem Unterschiede, daß da, wo vorher Fräulein Klotilde allein gesessen, jetzt zwei saßen, denn Pilatus XXII. konnte es sich unmöglich versagen, so lange in unmittelbarer Nähe der Dame seines Herzens zu weilen, als ihm das neidische Schicksal dieselbe noch vergönnen würde.

Fräulein Klotilde putzte an ihren Nägeln, warf dann und wann einen lächelnden Blick auf ihren Anbeter, der seinerseits entweder zu tief in Anschauung »der zarten Blume« versunken oder in einer schweren Verdauung begriffen war, denn er sprach so wenig ein Wort, wie der Löwe brüllt, wenn er gesättigt ist, nur hielt er, wie vorher das gnädige Fräulein, jetzt seinen eigenen majestätischen Kopf wie ein Wegweiser nach der Straße gewandt, die vom Felde aus auf das Schloß zuführte.

Der Baron dagegen hatte sich bequem in seinen Sessel zurückgelehnt, eine Zeitung genommen und blickte zuweilen darauf, ohne jedoch imstande zu sein, auch nur eine Zeile zu lesen, denn seine Aufregung und seine Besorgnis waren so groß, daß er sie kaum bewältigen und der Baronin verhehlen konnte, die indes diesmal keine Augen für den Gemahl hatte, vielmehr in stiller Wut an ihrem Taschentuche zupfte und über die geringe Politur und Bildung der jetzigen jungen Männerwelt sich selbst eine ergreifende Vorlesung hielt.

Da sollte sich die anscheinend so ruhige Szene mit einem Mal auf eine sehr merkwürdige Weise ändern. Pilatus XXII. hatte schon seit einiger Zeit mit gespanntem Gesichtsausdruck in die Ferne gespäht, als er plötzlich so laut rief, daß Fräulein Klotilde fast wie vor einem unerwarteten Donnerschlag zusammenfuhr:

»Da kommt er! Auf Ehre, er reitet wieder den Ackergaul! Das ist großartig!«

Natürlich versammelte dieser Ausruf alle vier anwesenden Personen auf der Stelle an dem kleinen Fenster, und als man sich überzeugt, daß der langsam nahende Reiter wirklich der Legationsrat sei, erhob sich Fräulein Klotilde mit dunkelrotem Gesicht und ohne ein Wort zu sagen, verließ sie, wie eine brausende Wolke dahin schwebend, den Salon, um nicht gegenwärtig zu sein, wenn die ersten Begrüßungen zwischen ihren Eltern und Herrn von Sellhausen ausgetauscht würden.

Während nun aber die Baronin sich auf ihrem Divan in die geeignete Positur setzte, den ungalanten und ungebildeten Mann seiner würdig zu empfangen, Pilatus XXII. dagegen, etwas blaß, sich in der entferntesten Ecke ein Plätzchen der Beobachtung suchte, sprang der Baron, alle Ermahnungen von Frau und Tochter vergessend, wie elektrisiert nach der Tür und stand einen Augenblick später auf der Zugbrücke, um in höchst eigener Person und in schmeichelhaftester Weise den Ankommenden zu empfangen.

Welche Worte Bodo und der Baron draußen wechselten, wissen wir nicht anzugeben, als sie aber beide – der erstere ruhig wie immer, der letztere höchst aufgeregt und mit triumphierender Miene, in den Salon traten, erhob sich die Baronin einen Augenblick aus ihrer bequemen Stellung, verbeugte sich und sagte spitz und mit bedeutungsvollem Lächeln:

»Endlich also, Herr Legationsrat, hat man das Vergnügen und die Ehre!«

»Frau Baronin,« erwiderte Bodo, indem er sich höflich verbeugte, »Sie haben Ihrerseits vielleicht recht »endlich« zu sagen. Ich will meine scheinbare Nachlässigkeit auch nicht entschuldigen. Jedoch hoffe ich, Sie werden es selbst tun, wenn Sie bedenken, daß ich einen Vater betrauerte und daß man in solcher Zeit keine Antrittsbesuche macht. Ich wenigstens nicht. So zürnen Sie denn, wenn Sie meinen Grund nicht für genügend erkennen.«

Die Baronin wollte eben den Mund auftun und sagen, daß sie in Berücksichtigung dieses Grundes, den sie bisher noch nicht in Betracht gezogen, ihren »kleinen« Zorn schwinden lasse, allein sie kam nicht dazu. Der Baron, gänzlich umgewandelt, schnitt ihr das Wort von den Lippen ab und rief entzückt: »Gott bewahre, Herr Vetter, was denken Sie denn? Wie kann man da zürnen! Sie haben recht, o wie sehr haben Sie recht! Doch – sehen Sie da – die Herren kennen sich wohl schon?« setzte er hinzu, auf Herrn von Bökenbrink zeigend, der noch immer mit steinerner Miene und steif wie ein Grenadier vor seinem Sessel stand.

Bodo warf einen raschen Blick auf den kleinen seltsamen Herrn, verbeugte sich kurz und sagte mit seiner tiefen, klangreichen Stimme, die demselben wie ein Messer durch die Seele schnitt: »Ich habe schon gestern die Ehre gehabt, Herrn von Bökenbrink vorgestellt zu werden.«

Pilatus XXII., über diese kalte Begrüßung empört, wollte einige Worte stammeln, aber sie verschwanden ihm im Munde, ehe sie »über den Zaun seiner Zähne« gelangt waren, und da er nichts anderes zu tun wußte, strich er wütend seinen Schnurrbart und ließ sich dann etwas unsanft in den hinter ihm stehenden Sessel fallen, der trotz der leichten Last des Herrn heftig krachte und so auffallend zitterte, daß der Rittmeister a. D. es für geraten hielt, diesen Sitz zu verlassen und einen andern zu wählen, da er sich leicht auch invalide erklären und außer Dienst setzen konnte.

Fast in demselben Augenblick ging die Tür auf und Fräulein Klotilde rauschte in ihrer ganzen Majestät herein, eine Miene zeigend, als wollte sie sagen: »Hier bin ich. Sieh mich an, erkenne mich als deine Königin und stürze mir zu Füßen!«

Aber nichts von dem geschah. Bodo stand ruhig da, betrachtete die heranrauschende Gestalt aufmerksam mit seinen großen leuchtenden Augen, wobei eine Sekunde lang ein blitzartiges Leuchten über seine Züge schwebte, und wollte, sich in seiner ruhigen Weise langsam verbeugend, eben einige Worte sprechen, als Baron Grotenburg mit zitternder Stimme rief:

» Eh bien, mein lieber Vetter, da haben wir unsere Tochter Klotilde!«

»Mein Fräulein!« wandte sich nun der Gast zu der jungen Dame, »da ich sehe, wie ausgezeichnet wohl Sie sich befinden, so frage ich nicht, wie es Ihnen nach dem neulichen Unfalle geht, drücke vielmehr meine Freude aus, daß derselbe ein so gutes Ende genommen.«

Mit diesen Worten und ohne eine Antwort abzuwarten, die auch nicht beabsichtigt wurde, trat er zum Baron, der ihm schon einen Sessel hingerollt, während Fräulein Klotilde zu ihrer Mutter ging, mit ihr eine lebhafte Augensprache begann und einigermaßen überrascht schien, in dem so vielfach geschmähten Herrn in der Tat einen überaus ansehnlichen Mann mit höchst geistreichem Antlitz zu finden.

»Warum sind Sie so spät gekommen?« fragte der Baron, der in seiner Freude alle Vorsicht vergaß. »Wir – wir glaubten – oder vielmehr meine Frau –«

»Wünschest du etwas, mein Lieber?« fragte die Baronin in höchster Verlegenheit herüber, die schon fürchtete, ihr Gemahl werde sich hinreißen lassen zu erklären, man habe den Legationsrat zu Tisch erwartet.

»O nein, meine Liebe, ich wünschte eigentlich nichts, aber wenn wir Kaffee haben könnten, würde es uns allen, denke ich, sehr angenehm sein.«

»Herr Legationsrat,« ließ sich da die Stimme Fräulein Klotildens vernehmen, worauf sich derselbe sogleich zu ihr begab, »Sie kommen so allein, nur zu Pferde und ohne alle Bedienung? O, warum machen Sie es sich so unbequem! Falls Sie keinen leichten Wagen haben, so hätte Ihnen Papa gewiß einen geschickt, wenn Sie die Güte gehabt, ihm Ihren Besuch anzumelden.«

»Mein Fräulein,« erwiderte Bodo lächelnd, »ich habe wohl einen Wagen, der gerade leicht genug für mich ist, aber ich fahre nie, wo ich reiten kann, was mir ein besonderes Vergnügen gewährt. Ohne Bedienung aber bin ich gekommen, weil ich die beste Bedienung von der Welt liebe, und das ist jedenfalls die, die man sich selbst zuteil werden läßt.«

Klotilde schwieg, da sie hierauf nichts zu antworten wußte; und als wäre sie beleidigt, daß einmal jemand es gewagt, anderer Ansicht zu sein, zog sie sich mit hoheitsvoller Miene auf ihren Platz am Fenster zurück, um unausgesetzt ihre langen Nägel zu betrachten. Dafür ließ sich die Baronin, die unterdes den Kaffee befohlen, mit Bodo in ein längeres Gespräch ein, woran der Baron einigen Anteil nahm, nur Pilatus, der seinen Platz standhaft behauptete, strich vor fürchterlichem Ärger unermüdlich seinen Bart, da er wahrzunehmen glaubte, daß Fräulein Klotilde an dem dummdreisten Gaste einen größeren Gefallen finde, als sie gegen ihre Umgebung merken lassen wolle.

Da stand der Legationsrat plötzlich von seinem Stuhle auf, sah sich rings im Saale um, als suche er seinen Hut und sagte: »Verzeihen Sie, aber ich glaube an Ihrer Toilette wahrzunehmen, daß Sie in Gesellschaft fahren wollen. Ich darf Sie nicht davon zurückhalten.«

Weiter kam er nicht. Der Baron stürzte wie verzweifelt auf ihn zu, hielt ihn am Arme fest, als könne seine Beute ihm unbemerkt entschlüpfen, und rief: »Ums Himmel willen, was denken Sie? Gesellschaft? Wir? Bewahre! Wir erwarteten –«

»Ah, Sie erwarteten Gesellschaft?« fragte Bodo lächelnd, dem die Angst des Barons fast Mitleid einflößte.

»Ja,« nahm die gefaßtere Baronin das Wort, »wir erwarteten unsere Schwäger, aber vor einer Viertelstunde ließen sie und einige andere Familien sämtlich absagen, und so stehen wir Ihnen vollkommen zu Gebote, Herr Legationsrat.«

Ein Diener brachte Kaffee und die Empfangnahme desselben unterbrach eine Weile die Unterhaltung, wobei ein jeder von seiner Stellung aus den Legationsrat nach Kräften beobachtete, was dieser im stillen lebhaft erwiderte, indem er seine scharfen Augen abwechselnd auf jedem Gesichte verweilen ließ und ohne Zweifel sehr bald über die Personen wie alles übrige Vorgehende im klaren war.

Während man nun den Kaffee trank, hatten sowohl der Baron wie seine Gemahlin Zeit genug, ihre Lebensgeister zu sammeln und sich der Pläne zu erinnern, die sie schon längst geschmiedet, noch bevor der liebe Vetter ihnen seinen Besuch geschenkt, und deren Ausführung sie nun allmählich beginnen wollten, um ihm eine vollkommene Einsicht in ihr glänzendes Hauswesen, in ihre Besitztümer und ihren Geschmack zu gewähren; ein Verfahren, welches man bei manchen beschränkten Menschen für stereotyp halten muß, da sie es bei jeder Gelegenheit zu wiederholen trachten.

So war es denn Bodo in den nächsten Nachmittagsstunden vergönnt, recht Vieles und dabei Schönes zu sehen, nur war es leider gar nicht oder recht schlecht geordnet und so bunt durcheinander gewürfelt, daß man ein größeres Bedauern als Vergnügen dabei empfand. In ganz kurzer Zeit hatte er somit in Begleitung der ganzen Gesellschaft die alte Burg von der Brücke bis zu ihrem hintersten Ausgang und alle bewohnbaren Räume ihrer zwei Stockwerke kennen gelernt, und nur die Zimmer Fräulein Klotildens waren ihm als unantastbares Heiligtum verschlossen geblieben, obgleich die junge Dame mit dem Schlüssel ihres Boudoirs so lebhaft spielte, daß es schien, als erwarte sie jeden Augenblick die Bitte des lieben Vetters zu hören, ihm auch den paradiesischen Aufenthaltsort der Grotenburger Fee zu zeigen.

Allein der Legationsrat hatte gewiß so viele diplomatische Geheimnisse in seiner Verwahrung, daß ihm nach diesem einen mehr durchaus nicht gelüstete, und so ging man an den geheiligten Gemächern vorüber, um den Garten, den Hof, die Ställe mit den schönen Pferden, die Remisen mit den modernen Equipagen zu bewundern, und auf diesem ganzen langen und für Bodo unendlich langweiligen Wege war man bemüht gewesen, dem einfachen Gaste zugleich einen Begriff von der Menge und Aufmerksamkeit der dienstbaren Geister des Hauses beizubringen, denn überall stieß man auf betreßte Jäger, Lakaien, Kutscher und dergleichen Leute, und selbst die unglückliche Jungfer mußte ihr dumpfes Kämmerchen verlassen und dem gnädigen Fräulein ein Paar neuer Handschuhe, ein vergessenes Flacon und ein durchsichtiges Taschentuch überreichen, um dem Legationsrat klar zu machen, an welche Bedienung die junge Dame gewöhnt und welche Rücksicht sie daher von jedermann zu erwarten berechtigt sei.

Auf diesem ganzen, mehr als anderthalb Stunden wegnehmenden Wege zog der Baron seinen Gast, neben dem bald die Baronin, bald Fräulein Klotilde ging, am Arme fort; wie ein lebendiger Schatten oder vielmehr wie ein leb- und sprachloser Automat hinter letzterer aber bewegte sich Pilatus XXII., schon zufrieden, wenn es ihm nur vergönnt war, dem gnädigen Fräulein ein Tuch oder den Sonnenschirm oder irgend etwas anderes auf einen Augenblick zu halten, und dagegen wieder höchst unglücklich, wenn er zu bemerken glaubte, daß »der Mann ohne Bildung und Politur« jeden Augenblick höher in der Gunst der ganzen Familie steige.

Als Bodo aber endlich in den Salon zurückgeführt wurde, war er von dem vielen Sehen und Bewundern, von dem lauten Dazwischenreden bald dieses bald jenes so ermüdet und abgespannt, daß er nur mit Mühe das Gähnen unterdrücken konnte und die Baronin, die es zu bemerken schien, wollte seine Lebensgeister dadurch auffrischen, daß sie ihre Tochter bat, ihrem verehrten Gaste ihr »neuestes« Lied vorzutragen.

Nach einigem zur Mode gewordenen Zieren, das nur schlecht den Drang nach Befall verbirgt, trat die junge Dame denn auch an den Flügel. Ihre Mama präludirte mit gespreizten Fingern und tactnickendem Kopfe sehr anmuthig und – der Singsang begann, auf eine so seelenund ausdruckslose Weise ausgeführt, daß wir ihn nicht zu beschreiben brauchen, da dergleichen sehr oft zu hören ist; hier aber hatte er die radicale Wirkung, daß Bodo nun gänzlich von der verführerischen Unterhaltung in der Grotenburg übersättigt und immer stiller wurde, wobei er oft verstohlen nach der Uhr blickte und die Minuten zu zählen schien, die er noch in dem Hause zu verbringen genöthigt sein würde.

Nichtsdestoweniger ge?el er der eitlen Baronin und selbst ihrer wählerischen Tochter von Augenblick zu Augenblick mehr, und Erstere sprach so oft und so laut ihre Freude aus, ihren lieben Nachbar nun endlich kennen gelernt zu haben, daß wenigstens Herr von Bökenbrink dadurch ganz versteinert wurde und gar nicht begreifen konnte, was denn eigentlich die Damen an dem so schweigsamen Manne bezaubert hätte. Dazwischen legte man demselben den Wunsch so nahe, sein schönes Gut einmal recht bald »in voller Gesundheit und Gemächlichkeit« zu sehen, daß er nicht umhin konnte, zu erklären: Gäste, die gern bei ihm wären, sähe auch er immer gern, und da er kein Freund großer Einladungen oder Festlichkeiten sei und in der That nur ein bescheidenes Junggesellenleben führe, so stände sein Haus jeden Tag Jedermann offen – eine Erklärung, die beinahe – mit Ausnahme Pilatus' XXII. – ein allgemeines Händeklatschen hervorgerufen hätte, so sehr fühlte man sich erfreut, da natürlich ein Jeder sie auf sich selbst bezog.

So war allmälig die Zeit vergangen und der Abend schaute mit dämmerigen Augen in die Fenster der düsteren Burg herein. Bodo erhob sich vom Stuhle und schickte sich augenscheinlich an, Abschied zu nehmen.

Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Der Baron stürzte sich mit noch leidenschaftlicherer Heftigkeit als vorher auf ihn, ergriff seinen Arm und rief:

»Wie, Sie wollen uns schon verlassen, mein theurer Vetter? Nein, nein und abermals nein, so verstehen wir das Gastrecht auf der alten Grotenburg nicht. Haben Sie Mittags nicht bei uns gespeist, müssen Sie wenigstens Abends bei uns speisen, und helft mir, Kinder, nicht wahr, ich darf ihn noch nicht fortlassen?«

Diesem verzwei?ungsvollen Aufrufe leisteten die Baronin und Fräulein Clotilde fast auf der Stelle Folge. Man umringte den Legationsrath und drang so lebhaft mit Bitten in ihn ein, daß er sich gefangen gab und noch zufrieden war, daß man ihn nicht in Fesseln schlug, wie es das Ansehen zu haben schien, wenn er irgend eine Widersetzlichkeit blicken ließe. Als er aber erst zugesagt, auch noch die letzten Abendstunden bei seinen lieben Verwandten zuzubringen, wurde die Baronin ordentlich vertraulich, Fräulein Clotilde erzählte sogar von ihren letzten Wintervergnügungen, dem reizenden Schnitt ihrer Kleider, ihren Courmachern und Tänzern, und schien dabei so ganz und gar den armen Pilatus vergessen zu haben, daß dieser düster wie eine geladene Kanone auf seinem Stuhle saß, die jeden Augenblick abbrennen will und doch nie dazu kommt, ihren Zorn in einem furchtbaren Krach zu verpuffen, da Niemand vorhanden war, der es der Mühe werth gehalten hätte, einen lebendigen Funken an die todte Röhre zu legen.

Endlich aber hatte man auch gespeist und die Nacht sank über die hellerleuchtete Grotenburg unaufhaltsam herein. Bodo, von dem langen geistlosen Geschwätz in ein wahres Fieber versetzt, erhob sich wie ein Mensch, der den Augenblick seiner Befreiung aus endloser Gefangenschaft gekommen sieht, und im Gefühle des Glücks darüber schüttelte er dem Baron kräftiger die Hand, als er sie ihm beim Kommen geschüttelt, was diesen mit einer Freude erfüllte, die allen Kummer und alle Sorge vergessen ließ, die er in dem letzten halben Jahre alltäglich ausgestanden hatte.

Endlich war auch der Abschied von den Damen genommen, die den Abgehenden mit lachenden Scherzen bis zur Thür begleiteten und um baldigste Wiederholung des lieben Besuches baten, und Bodo bestieg, während der Baron ihm eigenhändig den Bügel hielt, seinen geduldig wartenden Braunen mit einer Emp?ndung, als sei er von einem Alp befreit, der ihm die Brust fast zerdrückt. So ritt er mit einer Hast von dannen, die den ihm nachblickenden Wirth fast in Schrecken versetzte, und sog mit so lebhafter Begierde die frische Nachtluft ein, als ob er Jahre lang im Kerker geschmachtet hätte.

Kaum aber war der Baron vom Hofe wieder in den Kreis seiner Familie zurückgekehrt, so richteten sich Aller Blicke voller Spannung auf ihn, als erwartete Jedes, noch einen besonderen Gruß durch ihn von dem lieben Vetter zu empfangen, natürlich Herr von Bökenbrink ausgenommen, der gleichsam verdutzt und kaum seiner Sinne mächtig wieder seinen alten Platz eingenommen hatte.

Der Baron selbst rieb sich überaus vergnügt die Hände, nickte den Anwesenden der Reihe nach mit verschmitztem und zufriedenem Lächeln zu und sagte: »Na, was sagt Ihr nun? War das nicht hübsch? Und das soll kein gebildeter Mann sein?«

Da ?el sein Auge plötzlich auf Pilatus XXII., und indem er eine ernstere Miene annahm, fuhr er, das Wort an ihn richtend, fort: »Ich begreife wirklich nicht, Bökenbrink, wo Sie Ihre Augen gehabt haben.«

»Wo ich sie immer hatte, Baron, im Kopfe!« lautete die mehr geschnarrte als gesprochene Antwort.

»Na, dann haben Sie sie nicht ordentlich aufgemacht, Freund, denn dieser Mann ist, in meinen Augen wenigstens, eine Perle.«

»Die du in Gold fassen zu wollen scheinst!« rief ironisch lächelnd die Baronin.

»Wenn es ginge, warum nicht? Aber wie gefällt er dir, Klotilde, denn das ist die Hauptsache, denke ich.«

Fräulein Klotilde warf zuerst einen Blick auf Pilatus, der wie ein Verbrecher aussah, dem man unter dem Galgen eben den Strick um den Hals legen will, dann einen auf die Mutter, die ihr ermutigend zunickte, und sagte dann dreist:

»Besser als ich mir dachte, Papa. Du hast wirklich recht: man muß doch die Menschen erst aus der Nähe ansehen, ehe man sie »zu den Toten wirft«.«

»Habe die Ehre – mich untertänigst zu empfehlen!« rief Pilatus plötzlich, seinen Hut ergreifend, den er vor innerer Kampfbegier fast zerknitterte, und drehte sich mit seinem steifen Genick nach der Tür, als wolle er sie wie ein Mauerbrecher einrennen.

»Wie, Herr von Bökenbrink,« rief ihm Fräulein Klotilde verwundert nach, »und Sie küssen mir heute nicht einmal die Hand?«

Pilatus drehte sich langsam um, warf einen jammervollen Blick auf die zarte, in seinen Augen schon halb geknickte Blume und rief: »Millionenmal in Gedanken – o!«

»Nur einmal in der Tat, das ist besser, mein Freund!« rief die Baronin lachend. »Kommen Sie her – so – da haben Sie auch meine Hand – und nun gute Nacht!«

Etwa zwei Stunden später war in der Grotenburg fast alles zur Ruhe gegangen. Die Baronin war schon im Nachtkleide und saß nur noch vor ihrem Spiegel und ordnete, da die Jungfer noch mit Fräulein Klotilde beschäftigt war, ihr alle Tage spärlicher werdendes Haar, was der Baron mit seinem alle Tage ebenfalls spärlicher werdenden Gelde nicht mehr vermochte. Da klopfte es leise an ihre Tür und der Baron, in einen seidenen Schlafrock gehüllt und ein buntes seidenes Nachttuch um den Hals geknüpft, trat bei seiner Gemahlin ein.

»Verzeih', Amalie,« sagte er freudestrahlend, »daß ich dich noch einmal störe. Aber ich kann nicht eher schlafen gehen, als bis ich dir mein Herz ausgeschüttet habe. Hör' 'mal, das ist ein ganz prächtiger Kerl, der Sellhausen, wie?«

Die Baronin zog die Stirn etwas in Falten, dachte einen Augenblick nach und sagte: »Wir wollen es hoffen. Ganz warm ist er bei uns noch nicht geworden.«

»O doch, du hast es nur übersehen. Sein Auge glänzte vor stiller Freude, wenn er Klotilden ansah. Ach, und das liebe Kind, wie selig in ihrem jugendlichen Entzücken – sie war reizend, nicht wahr?«

»Das ist sie immer, mein Lieber, – denn sie ist – unsere Tochter.«

»Du hast recht. Na, es wird gehen, gib acht! Besser als wir dachten. Laß mich nur machen!«

»Ja, aber sei vernünftig, lieber Grotenburg. Du hast dich heute einige Mal abscheulich versprochen und uns beinahe eine Blöße gegeben. Sei doch nicht so leidenschaftlich. Immer ruhig, Mann, wenn man einen Eber fangen will!«

»Einen Eber? Wie du solch Wort gebrauchen kannst! Doch – ich verstehe, wie du es meinst. An einem der nächsten Tage aber werde ich nach Sellhausen fahren und ernstlich mit dem lieben Vetter sprechen. Du wirst sehen, er besinnt sich nicht lange, er sagt ja, die Geschichte ist fertig – und wir können die Verlobungskarten drucken lassen. Gott sei Dank!«

Die Baronin verzog etwas ungläubig ihr Gesicht. »Na, so weit sind wir noch nicht!« sagte sie leise. »Bist du denn überzeugt, daß dein Schwiegersohn – wenn er es erst ist – dir gleich zehntausend Taler vorstrecken wird, wie es schon einmal sein Vater getan?«

»Still, Kind, still, erinnere mich nicht an die Vergangenheit. Ich lebe jetzt nur für die Zukunft. Was er tut, ist mir gleich, daß er aber etwas tut, ist die Hauptsache, und etwas tut er gewiß – wenn ihn seine junge Frau darum bittet.«

»Aha! Nun ja, das glaube ich auch – etwas tut er gewiß – wenn es nur das Erwünschte ist. Doch jetzt genug, Grotenburg! Es war ein anstrengender Tag und ich bin müde. Da, küss' mir die Hand und sei vernünftig.«

»Gute Nacht, mein Herz – o, so glücklich bin ich lange nicht schlafen gegangen!«


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