Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.
Baron Haas von Haasencamp auf dem Kolkhof.

Wenn man die Geschäfte, die der Legationsrat auf Sellhausen nicht umgehen konnte, nach der Art und Weise beurteilen wollte, in welcher er von dem Hofe zu Kranenberg abritt, so mußten sie in der Tat sehr dringend sein, denn der alte Braune war ganz erschrocken, als ihm die Sporen so ganz unerwartet in die Seite gesetzt wurden und er nun eine Strecke so flüchtig durchlaufen mußte, daß ihm fast der Atem ausging. Bodo schien es indessen in der Tat nur darum zu tun zu sein, den öden Hof und alles, was ihn an die letzten Stunden erinnern konnte, sobald als möglich aus den Augen zu verlieren, und als er etwa eine halbe Meile im schärfsten Trabe geritten war und sich schon längst wieder auf neutralem Gebiete befand, zog er die Zügel an, ließ den braven Gaul verschnaufen und blieb geraume Zeit, nichts um sich her sehend, nichts hörend, in ein trübes Sinnen verloren, was sonst gar nicht in dem Wesen des immer gleich heiteren und tatkräftigen Mannes lag. Die Stimmung aber, in der er sich befand, harmonierte vollkommen mit dem fahlen Grau des Himmels, der schon den ganzen Tag mit Regen gedroht und ihn doch nicht herniedergesandt hatte, dafür aber ein griesgrämiges Gesicht zeigte, als wolle er der ganzen Welt seine Unzufriedenheit mit ihrem schnöden Tun und Treiben bezeugen.

Je weiter aber Bodo seinen Ritt heimwärts fortsetzte, um so mehr arbeitete er sich aus den bitteren Gefühlen empor, die von verschiedenen Seiten her sein Herz bestürmten, und als nun allmählich bei frischer werdendem Winde der Himmel sich lichtete, plötzlich die Nachmittagssonne aus dem düsteren Gewölk brach, das um ihn wogende Grün der Felder vergoldete und warme Strahlen herniedergoß, da war es, als ob ein belebender Hoffnungsstrahl in sein Inneres selbst gedrungen sei, und mit heiterem Angesicht blickte er wieder um sich her und begrüßte mit wahrem Wonneschauer die mit einem Mal so freundlich gewordene Welt. O wie glücklich war er jetzt, noch eine friedliche Heimat zu besitzen, die ihm nicht den Anlaß zu Groll und Widerwillen bot, wie er ihn eben erst überstanden, und wie rasch ließ er nun wieder den Braunen laufen, um sie so bald wie möglich zu erreichen und den bevorstehenden schönen Abend noch in aller Ruhe und in vollem Behagen zu verbringen.

Es war noch nicht ganz sechs Uhr, als er sein stattliches Haus mit dem schmucken grünen Vorgarten vor sich liegen sah. Viele Dienstleute des Hofes waren emsig auf den Feldern beschäftigt, und die Tiere, die in seiner Nähe weideten oder ihn selbst belebten, namentlich die Tauben mit dem schneeigen Gefieder, tummelten sich fröhlich umher, auf der Erde und in den Lüften, als wollten sie den so spät gebotenen Sonnenschein noch nach besten Kräften genießen.

Der alte Kutscher sah seinen Herrn schon von weitem durch das Hoftor reiten und eilte flugs auf die Rampe, um ihm das dampfende Pferd abzunehmen; dabei erfreute er sich wie gewöhnlich eines leutseligen Grußes seitens des jungen Herrn, den alle Bewohner des Gutes stets lieber kommen als gehen sahen.

»Ist alles in Ordnung, Justus?« fragte der Herr den alten Diener.

»Alles in Ordnung, Herr von Sellhausen!« erwiderte der Gefragte, und das Auge mit schlauem Blinzeln auf das schnaubende Pferd richtend, setzte er gutmütig hinzu: »Aber den alten Braunen haben Sie tüchtig warm geritten. Nächstens werden Sie sich doch einen andern Gaul anschaffen müssen.«

»Warum, Justus?«

»Ei, weil ein junger Herr auch ein junges Pferd haben muß!« lachte der Alte, indem er den Braunen in seine Decke hüllte und nach dem Stalle führte.

Bodo sprang lächelnd die Stufen hinauf und da ihm Rieke oben entgegenkam, fragte er sogleich nach Fräulein Treuhold.

»Ich werde sie sogleich rufen, gnä – Herr von Sellhausen! Wohin befehlen Sie sie?«

»Tue das – ich werde sie in ihrem Zimmer erwarten.«

Wenige Augenblicke später kam die alte Dame mit keuchendem Atem aus den unteren Haushaltsräumen herbeigelaufen, und als sie ihren lieben Herrn mit fröhlichem Gesicht ihr entgegentreten sah, rief sie munter:

»Mein Gott, Herr Legationsrat, sind Sie schon wieder da? So früh? Das habe ich nicht erwartet. Und Sie sehen noch dazu so heiter aus? Ah, Sie haben gewiß Vergnügen gefunden, wo Sie nur eine Last vermuteten, nicht wahr? Sehen sie wohl, wie sich alles besser gestaltet, als man denkt? Man muß nur erst einmal ernstlich den Anfang machen!«

»O nein, meine Liebe, Sie irren sich. Ich habe wahrhaftig kein Vergnügen genossen und die Last sogar noch größer gefunden, als ich sie mir vorgestellt. Ich bin nur so heiter und glücklich, weil ich wieder zu Hause bei Ihnen bin und den schönen Abend nun noch in aller Muße genießen kann. Erkennen Sie nun, wie gut es war, daß ich so früh fortritt? – Aber noch eins, liebe Treuhold. Wenn wir heute abend essen, lassen Sie uns ein gutes Glas Wein trinken, ich bin vollständig abgemattet von allem, was mir durchs Herz gegangen ist und was ich bis jetzt keinem Menschen habe verraten dürfen.«

»Durch das Herz ist Ihnen etwas gegangen?« fragte Fräulein Treuhold aufs höchste verwundert und nachdem ihre Neugier aus dem leichten Schlummer geweckt war. »O bitte, erzählen Sie, wenn ich es wissen darf – was ist Ihnen auf Kranenberg begegnet? Haben Sie alle zu Hause getroffen?«

»Leider Gottes, ja, liebe Treuhold, sie waren alle da, mir zum Jammer! Aber das sage ich Ihnen gleich heute: auf Kranenberg bin ich zum ersten und letzten Mal gewesen, und es gibt keine Macht auf der Welt, die mich zu einer Wiederholung dieses Besuches zwingen könnte. Solche Gesellschaft kann mir nicht nützen, mich nicht freuen, nicht einmal unterhalten; mit ihr ist ein fremder Tropfen in mein Blut gekommen und er muß wieder ausgestoßen werden, sonst gehe ich innerlich zugrunde. Ah!«

Hierauf setzte er sich in seine Lieblingsecke und erzählte dem aufmerksam lauschenden Fräulein, was ihm begegnet, wie er empfangen und wie seltsame Neigungen und Vorgänge er in der ihm verwandten Familie getroffen habe. Was man ihm jedoch in bezug auf die Grotenburgs gesagt – jene erbärmlichen Anspielungen auf den Wunsch oder gar Willen seines Vaters, dessen Erfüllung man nicht im geringsten zu bezweifeln schien – verhehlte er, denn er wollte die frische Wunde, die man seinem Ehrgefühl versetzt, nicht wieder aufreißen; auch war die geistige Nahrung, die er der treuen Haushälterin mit der übrigen Erzählung bot, reichlich genug und sie war über alles und jedes so erstaunt, daß sie erst gar nicht die passenden Worte finden konnte, nachdem Bodo seine Erzählung beendet.

»Ach du lieber Gott,« sagte sie endlich, die Hände in ihrem Schoße faltend und den Kopf bedenklich von einer Seite zur andern neigend, »also so war es? Nun weiß ich es doch und beinahe habe ich mir nichts anderes gedacht, denn so war es ja auch schon früher, und Ihr seliger Herr Vater hat mir selbst oft genug sein Herzeleid darüber geklagt. – Aber nun, lieber Herr, machen Sie es sich bequem. Sie sehen ganz erhitzt aus und Ihr schöner Frack ist voll Staub, als hätten Sie auf dem Felde damit gearbeitet. Darf ich Ihnen irgend eine Erquickung auf Ihr Zimmer schicken?«

»Ich danke für alles, und bin schon jetzt hinreichend erfrischt. Nur habe ich etwas Appetit mitgebracht, denn über die viele himmlische Speise bei der Baronin habe ich wenig an die irdische gedacht. Lassen Sie uns also, wenn es geht, bald nach sieben etwas genießen, dann können wir noch den schönen Abend im Garten ungestört verbringen. Adieu, meine Liebe!«

»Das soll geschehen, gewiß, lieber Herr – und Adieu bis um sieben!«

Mit diesen Worten trippelte die gute Alte rasch nach der Küche hinunter, um ihre Befehle zu geben, während Bodo den Weg nach seinem Zimmer einschlug, um es sich bequem zu machen, wie ihm geraten war.

In Gedanken noch mit der eben beendigten Unterhaltung beschäftigt, trat er in sein Zimmer, ohne sogleich nach einzelnen Gegenständen darin sich umzublicken. Nur das freundliche Ganze, das ihn hier umgab und ihm gleichsam mit heimatlichem Gruße entgegenkam, erfüllte ihn mit jenem unsagbaren wohligen Gefühl, welches uns beschleicht, wenn wir uns glücklich und heimisch bei uns selber fühlen, was leider nicht allen Menschen und dem damit begabten selbst nicht zu jeder Zeit beschieden ist. Fast augenblicklich aber zog ihn der weite Fernblick über das unabsehbare Tal an und er trat an das geöffnete Fenster und schaute mit einem Antlitz in die frisch aufgelebte Natur hinaus, das seine angenehmen Empfindungen lebhaft wiederstrahlte.

Üppig und reich, gleichsam schwer mit seiner goldenen Wucht, lag der abendliche Sonnenschein auf dem Strome, den Bergen und Wäldern und den weithin gestreckten grünen Auen. Nur hie und da schon wurden die Schatten der Wipfel auf den Felsen länger und brachten in dem blauen Wasserspiegel jene wunderbar farbenreiche Lichtmischung hervor, die kein Pinsel malen und kein Wort des Dichters beschreiben kann. Still und friedlich ruhten die roten Felsen da drüben auf ihrer unerschütterlichen Grundmauer, das Wasser rauschte majestätisch mit leisem Geflüster seine ewige Bahn und nur einzelne Vögel flatterten zwitschernd von Zweig zu Zweig, bevor sie sich in ihren friedlichen Nestern zur Ruhe begaben.

Bodo sog Augen und Brust voll von diesem erfreulichen Anblick, bis auch sein Herz davon gefüllt war und die vorher aufgeregten Empfindungen desselben wieder in ihrem alten Geleise ruhig dahinschwammen. Da erst schloß er das Fenster, drehte sich um und begann, ohne den Blick zu erheben, sich umzukleiden, um es sich auch so ein wenig behaglicher zu machen.

In diesem Augenblick glaubte er einen eigentümlichen süßen Duft im Zimmer wahrzunehmen. Er schaute auf, und da sah er in der Mitte seines Büchertisches ein herrliches Bouquet stehen, worin die schönen Frühlingsblüten kunstvoll vereinigt waren, die auch draußen den Garten mit lieblicher Würze erfüllten. Auf seinem Schreibtische aber, dem Tintenfaß gegenüber, stand ein kleiner Glaskorb mit frischgepflückten Veilchen, die zumeist den lieblichen Duft durch das Zimmer verbreiteten.

»Was ist das?« sagte er. »Veilchen, noch in so vorgerückter Jahreszeit? Welche Hand und wo hat sie sie gepflückt? Ah, sieh da – jetzt sehe ich es erst – man ist auf meinem Zimmer gewesen und hat einige Ordnung darin hervorgezaubert. Das ist hübsch, das ist artig, das ist gütig.«

Er blickte sich jetzt genauer in seinem kleinen Heiligtum um und fand, daß allerdings ein sehr aufmerksamer Sinn und eine geschickte Hand hier tätig gewesen sein müsse. Die schönen Blattpflanzen auf dem Blumentisch waren mit einem feuchten Schwamme zierlich gereinigt; die Bücher, ohne daß man ihre Lage und Stellung im geringsten geändert, waren von allem Staube befreit, den ein einzelner Mann nur zu leicht, und ohne ihn zu bemerken, darauf geraten läßt; seine kleinen Statuen und Bilder, kurz alles in allem war sauber und blank, als wäre es eben erst aus der Hand seines ersten Schöpfers hervorgegangen.

Bodo stand eine Weile und schaute auf das in der Stille verrichtete Werk mit angenehmer Überraschung hin. Nachdem er sich aber wiederholt von einem zum andern gewandt, sagte er endlich zu sich: »Ei, man hat es gut mit mir gemeint, soviel ist gewiß – nehmen wir es dankbar an. Ich will nicht fragen, welche Hand hier oben tätig gewesen; es ist so unterhaltend, von unsichtbaren Geistern bedient zu sein, und will ich es erfahren, so kommt man in geheimnisvollen Dingen durch Schweigen oft am besten zum Ziele. Also still vor der Hand, der unsichtbare Geist mag weiter walten und die Zeit wird uns auch dies Rätsel lösen.«

Punkt sieben Uhr fand sich der Legationsrat im Speisezimmer ein und gleich nach ihm kamen Fräulein Treuhold und Gertrud, während Herr Hinz fast bis gegen das Ende der Mahlzeit abwesend blieb. Ersterer begrüßte die Tochter des Meiers freundlich und erkundigte sich, wie sie den Tag zugebracht, und erst während sie ihm mit ihrer sanften Stimme Antwort auf diese Frage gab, fielen seine Augen auf den wie am gestrigen Tage zierlich geschmückten Tisch.

Eben setzte man sich, da trat Rieke ein und trug eine Schüssel mit herrlichen Forellen, silberweiß und blau, mit purpurnen Flecken gesprenkelt und mit zartem Grün und duftigen Zitronenscheiben appetitlich ausgeputzt, auf den Händen.

»Was ist das?« fragte Bodo überrascht. »Meine Lieblingsspeise zum erstenmal hier auf dem Tisch? Forellen? Ei, Fräulein Treuhold, Sie sind ein weiblicher Zauberer – wo haben Sie die gefangen?«

Fräulein Treuhold lächelte mit einer gewissen inneren Genugtuung vor sich nieder, warf dann das Auge auf Gertrud und deutete mit der Hand auf sie hin. »Sie tun mir zu viel Ehre an, Herr Legationsrat,« sagte sie scherzend, ich verstehe nichts von Zauberei. Wenn es aber eine solche Person unter uns gibt, so ist es die Trude, bei der mögen Sie sich für die Forellen bedanken.«

»O nicht doch!« erwiderte diese leicht und natürlich errötend. »Nicht ich, Herr von Sellhausen, kann diesen Dank annehmen. Mein Vater vielmehr hat sich erlaubt, sie mit einigen Blumen zu senden. Er hat sie aus unserm Bache fischen lassen, der reich genug daran ist.«

»So, so ist die Sache!« rief Bodo munter. »Nun, dann soll auch der gute Meier bei unserm ersten Glase zuerst genannt und gerühmt werden. Ihres Vaters Wohl – mein Fräulein! Und wohl bekomm' es uns allen!«

Man aß und trank in der heitersten Stimmung und der von seinem Ritt vorher so Ermüdete war der Munterste von allen. Niemals hatte ihn Fräulein Treuhold so lebhaft und anhaltend erzählen hören. Er sprach von seinen Reisen, berichtete kleine im Morgenlande erlebte Abenteuer, wo er mit seinem Gesandten irgend einen Fürsten in Kleinasien besucht, und war endlich so tief in dergleichen Mitteilungen geraten, daß er gar nicht zu merken schien, was für aufmerksame Zuhörerinnen er an seiner Seite hatte. Gertrud vor allen war völlig Ohr. In dieser Weise hatte sie noch nie einen Mann sprechen hören, und solche Erlebnisse hatte ihr noch niemand von sich selber berichten können. Nur sehr selten warf sie einige Fragen dazwischen, wenn ihre Wißbegierde sie dazu drängte, und Bodo war ein so gefälliger Erzähler, wußte stets eine so erschöpfende Antwort zu geben, daß die Belehrung und infolgedessen die Befriedigung nicht ausbleiben konnte.

Endlich entstand eine längere Pause. Bodo schaute, wie sich auf etwas besinnend, auf seinen Teller und Gertrud machte schon Miene, sich zu erheben, als Fräulein Treuhold plötzlich sagte:

»O, reiten Sie doch alle Tage aus, dann kommen Sie immer hübsch gesprächig abends nach Hause. Das ist noch einmal so interessant als früher. Auf morgen, meine liebe Gertrud, können wir uns im voraus freuen. – Sie bleiben doch dabei, morgen nach dem Kolkhof zu gehen, Herr Legationsrat?«

Bodo fuhr aus seinen Gedanken auf. »O, o,« sagte er ernst, »woran erinnern Sie mich da! Also ich soll und muß das so ungern Begonnene fortsetzen? Nun ja, leider werde ich morgen nach dem Kolkhof gehen. Der Kelch, den ich einmal an die Lippen gesetzt, muß geleert werden, und morgen – morgen, meine Liebe, komme ich noch lange nicht auf seinen Grund!«

Und er seufzte dabei auf, was der guten Alten einen wahren Stich durch das Herz gab, denn daß ihr junger Herr sich so glücklich zu Hause fühle, hatte sie nur mit noch größerer Zärtlichkeit für ihn erfüllt.

Bald darauf, gerade als Herr Hinz ins Zimmer trat, um sein Gericht Forellen zu verzehren, erhoben sich die drei andern. Bodo zündete eine Zigarre an und fragte das Fräulein, ob die Damen mit in den Garten kämen? Man beantwortete die Frage dadurch, daß man ihm sogleich folgte und nun dauerte es nicht lange, so war das vorher bei Tische abgebrochene Gespräch wieder im besten Gange, der Legationsrat wurde heiter wie zuvor und erzählte den beiden Frauen so viel sie hören wollten. Als es aber dunkler im Garten wurde, verlor sich Gertrud fast wie ein abendlicher Hauch in die Ferne und Bodo nebst seiner Haushälterin spazierten allein noch lange in den ebensten Gängen auf und nieder.

»Nun,« sagte die alte Dame lächelnd, als sie zu bemerken glaubte, daß ihr Herr allmählich sehr still geworden war, »nun, mein lieber guter Herr, wie steht es mit dem fremden Tropfen Blut, den man Ihnen heute eingeflößt? Wühlt er noch immer in Ihren Adern?«

Bodo blieb stehen, sah die alte gutmütige Frau, deren Umrisse er nur noch undeutlich erkennen konnte, fragend an und erwiderte: »Ei, das ist ja ganz was neues! Fangen auch Sie an, ein wenig ironisch zu werden?«

Fräulein Treuhold faßte vertraulich seinen Arm. »O nicht doch,« rief sie fast kläglich, »ironisch wollte ich gewiß nicht sein. Aber jener Ausdruck – Sie haben ihn ja selbst gebraucht – summte den ganzen Abend in meinen Ohren und nun kam er mir auf die Lippen. Ich bitte um Verzeihung deshalb.«

»Ah, so war es gemeint! Nun, dann will ich Ihnen ernstlich sagen, daß das Gift glücklicherweise noch nicht tief gedrungen war. Auch gibt es Gegengifte, wie Sie wissen und – und –«

»Nun,« fragte die Alte verwundert, als er plötzlich, wie mit sich selbst uneins, schwieg, »wo hätten wir denn hier das Gegengift?«

Der Legationsrat lachte fast laut. »Sie denken am Ende gar,« versetzte er, »ich meine Sie damit, Treuhold! Ach nein, diesmal zielte ich nicht auf Sie, auf keinen Menschen überhaupt –«

»Auf was denn? O so sagen Sie es doch!«

»Sie erraten das nicht? O, wie vergeßlich Sie sind! Auf was denn anders, als auf – die Forellen, die der gute Meier uns heute geschickt hat. Ah, ja, nun staunen Sie!«

»Nein, ich staune nicht, aber ich werde ihn öfter um ein solches Gericht bitten, da es bei Ihnen eine so gute Wirkung hervorbringt.«

»Tun Sie das, und ich bedanke mich im voraus dafür. Aber nun gute Nacht – da ist Ihre Tür und hier meine Treppe. Schlafen Sie wohl, liebe Treuhold!«

»Gute Nacht – heute sehr – gnädiger Herr!«

*

Am nächsten Morgen gegen elf Uhr stand der alte Braune wieder auf der Rampe vor der Tür, um seinen Herrn zu erwarten und zu seinem zweiten Besuche nach dem Kolkhof zu tragen. Fräulein Treuhold lag im offenen Fenster, um ihn abreiten zu sehen, aber sie mußte ihre Geduld etwas auf die Probe stellen, bis er kam. Endlich trat er in ihr Zimmer, sagte ihr Lebewohl und ging dann hinaus, um aufzusteigen. Als er schon bei dem Pferde stand und eben die Zügel ergriffen hatte, zögerte er noch, sah sich noch einmal nach dem Hause um und blickte flüchtig nach den Fenstern empor.

»Wünschen Sie noch etwas, Herr Legationsrat?« fragte die alte Dame, die ihm vor die Tür nachgetrippelt war.

»Daß ich nicht wüßte – aber da ich Ihrer Nichte keinen guten Morgen bieten konnte, sind Sie wohl so gut, ihr denselben in meinem Namen zu überbringen.« Dabei stieg er in den Bügel und schwang sich leicht in den Sattel.

»Das will ich tun,« erwiderte Fräulein Treuhold, die Treppe herunterkommend und dicht neben das Pferd tretend, das noch immer nicht in Gang gesetzt wurde. »Vielleicht gehen wir heute zum Meier und machen uns auch einen vergnügten Tag,« fügte sie scherzend hinzu.

»Ah, ja, da tun Sie recht. Grüßen Sie den Meier von mir und er soll mich bald besuchen. Vergessen Sie das nicht.«

»Nein, nein,« rief sie hastig, da der Braune endlich langsam fortging, »soll ich ihm auch etwas über die bewußten Forellen bestellen?«

Bodo nickte herzlich. »Natürlich,« rief er zurück, »meinen besten Dank, doch den werde ich nächstens persönlich überbringen.«

Damit trabte der Braune fort und bald war er mit seinem Reiter hinter dem Hoftor verschwunden. –

Des Reiters Weg wandte sich diesmal gegen Norden, dem Laufe der Weser folgend, die er erst wieder verließ, als er nur noch eine Viertelmeile vom Kolkhof entfernt war, der in einer Niederung im Westen von Sellhausen lag und ehemals von einer schönen Buchenwaldung umgeben war, die der Sturmwind menschlicher Leidenschaft auch schon vom Erdboden vertilgt hatte.

Bis zu dem Beginn der ehemaligen Waldung, wo jetzt leidlicher Roggen stand, legte Bodo den Weg in einer Stunde zurück, von jetzt an fing er an, langsam zu reiten, zumal er nicht, wie am vorigen Tage, den Regen zu befürchten hatte, da der Himmel zwar leicht bewölkt, aber nicht trübe war.

Während er nun in ziemlich ruhiger Gemütsstimmung seinem Ziele zureitet, wollen wir uns mit diesem Ziele selbst beschäftigen und dem Leser einen kurzen Überblick über die Personen und Verhältnisse daselbst zu geben versuchen.

Der Kolkhof war, wie schon sein Name andeutet, nicht immer der Sitz eines Edelmanns, vielmehr früher nichts als ein großer Bauernhof gewesen, der erst von dem Großvater des jetzt darauf wohnenden Barons zu einem Rittergut vergrößert und mit allen seinen Umgebungen in vortrefflichen Stand gesetzt worden war. Allein die Blüte des neuen Herrensitzes sollte nicht lange dauern, denn schon der Sohn jenes fing an, die alten Waldungen auszuroden und zu Gelde zu machen, in der Meinung, das bare Kapital könne ihm mehr Vorteil und Vergnügen bringen, als das grüne Holz, das ja schon Jahre genug gestanden und sich die Welt angesehen habe.

Eine ähnliche Ansicht von dem noch immer ansehnlichen Hochwalde hegte auch der jetzige Baron Haas von Haasencamp. Obgleich er recht gern bisweilen auf ein edles Wild jagte, so sah er nicht ein, warum er nur auf seinem Territorium jagen solle und nicht ebensogut Freunde und Nachbarn mit seiner Gesellschaft beglücken könne, und so schlug er den herrlichen Wald ganz nieder und verkaufte ihn, was ihm zurzeit eine hübsche Summe Geld eingebracht haben mag. Allein ein rechter Segen entsprang ihm aus diesem Tun nicht. Das Geld saß in seiner Hand nicht so fest, wie die Bäume so lange im Boden gesessen, und bald waren nicht nur der Wald, sondern auch die Mittel verschwunden, die er seinem Besitzer eingetragen hatte.

Baron Haas war, wie wir wissen, der Bruder der Baronin Kranenberg und hatte eine Schwester des Barons Grotenburg zur Frau gehabt. Er war seit einer Reihe von Jahren Witwer und man sagte, daß er erst nach dem Tode seiner Gemahlin lustig zu leben begonnen und sich die einsamen Tage zunutze gemacht habe, die ihm Gott der Herr in diesem Jammertale zugedacht.

Im Gegensatz zu seiner frommen Schwester, der er auch äußerlich in keinem Zuge glich, da er ebenso kupferrot im Gesicht, wie sie gelb, ebenso rund und kugelig in der Gestalt, wie sie mager, war er ein Lebemann im vollen Sinne des Worts, der den lieben Gott, wie das alte Sprichwort sagt, nach Belieben schalten und walten ließ und zu seiner Devise das ebenfalls gebräuchliche Wort: »Leben und leben lassen« gewählt hatte. Außerdem war er eine Art lustiger Person, mit der sich unter Umständen ganz wohl verkehren ließ, stets gut gelaunt, immer zufrieden, als Wirt gegen Gäste so freigebig, wie vergnügt und genußsüchtig, wenn er bei andern zu Gaste war.

Drei besondere Eigenschaften aber besaß noch der Baron, und wenn wir diese dem Leser entwickelt haben, glauben wir vollständig unserer Schuldigkeit gegen ihn nachgekommen zu sein.

Zuerst war Haas von Haasencamp der Sohn und Nachkomme eines alten Geschlechts, das sich bis in das graue Mittelalter hinein verlor und der Überlieferung nach stets große Taten in bezug auf den »Humpen« verrichtet haben soll, weshalb es auch einen solchen neben einem kleinen Hasen in seinem Wappen führte, für welches letztere Symbol wir keine besondere Erklärung liefern können, was auch nicht nötig ist, da es sich vielleicht von selbst erklärt. Nichtsdestoweniger war aber der jüngste und kleinste Haas auf seine Abstammung von den alten Hasen sehr stolz, indem er oft siegreich die Ansicht verfocht, daß es nicht selten ein Beweis größerer Lebensklugheit sei, zu Zeiten recht schnell zu laufen, als, Zeit und Raum verlierend, immer auf demselben Punkte stehen zu bleiben, womit wir beileibe nicht gesagt haben wollen, daß Haas von Haasencamp zu den Männern irgend einer Fortschrittspartei gehörte.

Der zweite besondere Punkt in seinem Wesen war die Art und Weise, wie er das Leben selbst ansah und wie es nach seiner Meinung genossen werden müsse wenn man am Ende seiner Tage das Recht haben wolle, zu bekennen, daß man es wirklich wie ein echter Nachkomme der alten Ritter genossen habe. Mit einem Wort: ihm ging nichts über ein herrliches Diner und einen Keller mit Wein gefüllt, vorausgesetzt, daß derselbe nicht zu klein war.

Für diese beiden Hauptlebensgenüsse war ihm eigentlich, wie schon zum Teil seinem Vater, sein ganzes Vermögen unter den Händen weggeschlüpft. Was gab es Schöneres und Edleres für ihn auf Erden, als mit ein paar guten Freunden an einer reich besetzten Tafel zu sitzen und wenigstens sechs Sorten des köstlichen Weines – nicht zu probieren, denn das lohnte die Mühe nicht – sondern davon so viel wie möglich zu vertilgen, da ja doch der liebe Gott »das Getränk« nur zu diesem Zweck geschaffen habe!

So war denn für seine Küche und seinen Keller von jeher auf das Umständlichste und Vortrefflichste gesorgt. Er besaß eine Köchin, von weither verschrieben, die ihresgleichen – seiner Ansicht nach – in der ganzen übrigen Welt, selbst bei den Fürsten und Prälaten, vergebens suchte, und da diese als eine viel erfahrene und sehr schlaue Person auch wußte, was sie in den Augen ihres Herrn wert war, so verstand sie es trefflich, sich alljährlich einen höheren Lohn zu bedingen, da schon die blasse Drohung, sie wolle den Kolkhof verlassen, einen Orkan von Furcht und Besorgnis in dem Herzen des edlen Haas herbeiführte. Beiläufig gesagt, eine Drohung, die auszuführen sie am wenigsten die Neigung besaß, weil sie selbst am besten berechnen konnte, wie gut es ihr in des Kolkhofs Küche ging, wo sie als absolute Souverainin gebot und höchstens einen Nebenbuhler besaß, dessen Freundschaft zu erwerben und zu bewahren, sie listig genug gewesen war.

Dieser Nebenbuhler in der Gunst des Barons war niemand anders als der Kellermeister, ein gewiegter ehemaliger Küper aus einem großen Weingeschäft in jener herrlichen kleinen Rheinstadt, die »des süffigen Weines« und der »rotnasigen Küper« mehr wie Sand am Meer beherbergt.

Dieser Kellermeister verstand es meisterhaft, den gnädigen Herrn Tag für Tag auf die Gefahr aufmerksam zu machen, daß einmal zehn Jahre aufeinander folgen könnten, in denen kein trinkbares Glas Wein produziert würde, und so erhielt er die Vollmacht, beizeiten dafür zu sorgen, daß niemals eine sichtbare Lücke in irgend einem gesegneten Jahrgang entstände.

Alles, was sich im Bereiche des Kolkhofes befand, hatte Ursache, mit dieser wohltätigen Fürsorge zufrieden zu sein, am meisten der Küper, die Köchin und etwa in dritter Reihe der gnädige Herr selber, der höchstens die Unkosten zu tragen hatte, wo jene »das Kosten« zu ihrem Hauptaugenmerk gemacht hatten.

Die dritte hervorragende Eigenschaft des jüngsten Haas endlich war seine sogenannte klassische Bildung, auf die er kaum weniger stolz war, als auf sein Wappen, seine Küche, seinen Keller und diejenigen, welche den beiden letzteren vorstanden.

Baron Haas von Haasencamp war nämlich einer der wenigen unter seinen Freunden und Nachbarn, der sich rühmen konnte, eine gelehrte Schule besucht zu haben; er war sogar bis zu der hohen Stufe eines Tertianers emporgestiegen, als sein Vater wegen des bereits vorgerückten Alters »des Studenten« erklärte, daß es nun genug der Gelehrsamkeit sei, daß die Welt noch andere Ansprüche an den Sprößling eines edlen Hauses mache, und daß er es für geraten halte, der mit Latein vollgestopfte Tertianer gehe mit einem Hofmeister auf Reisen, um nach einigen Jahren als vollendeter Weltmann und Philosoph vom reinsten Wasser in sein väterliches Haus zurückzukehren.

Haas von Haasencamp kehrte auch wirklich wenigstens als Philosoph von seinen Reisen zurück; er hatte große Studien in der menschlichen Vollkommenheit gemacht, und Dank der edlen Tertia und seinen Reisen gehörte er zu den Edelleuten seiner Nachbarschaft, die sich wegen ihres Wissens und Könnens in gewissen Punkten menschlicher Leistungen »sehen lassen« konnten.

Haas war also ein ungemein klassisch gebildeter, sogar gelehrter Herr geworden – nach seiner eigenen Meinung wenigstens – er hatte eine Menge lateinischer Vokabeln im Gedächtnis bewahrt, die er selbst in nun vorgerücktem Alter bei jeder Gelegenheit an den Mann zu bringen suchte, wobei freilich zu bemerken ist, daß die grammatikalische Richtigkeit niemals in die Wagschale fiel, was bei Menschen seiner Gattung auch durchaus nicht nötig ist, da es für sie schon genügt, ein lateinisches Wort, ob richtig, ob falsch zu sprechen, um für ein großes Licht gehalten zu werden.

Desgleichen hatte sich Haas von seinen Reisen eine hübsche Auswahl fremder Wörter mitgebracht, die er gelegentlich aufzutischen liebte, die er aber, wie sein klassisches Latein, nicht immer richtig sprach, was wiederum ganz überflüssig war, da ein gebildeter Mann ja doch aus dem bloßen Klange des Fremdworts erkennen muß, was es bedeuten soll.

Auf diese Weise war der Baron Haas von Haasencamp – wir können eben nicht sagen: auf billige Weise – in den Ruf eines höchst gebildeten Mannes in seiner Gegend gelangt, und wenn es unter seinen Verwandten und nächsten Bekannten galt, eine Autorität zu zitieren, die über irgend einen Streitpunkt genügende Auskunft geben konnte, so war es immer Haas und wieder Haas, und dieser allgemeine Ruf trug nicht wenig dazu bei, sein persönliches Glückseligkeitsgefühl auf die höchstmögliche Staffel zu erheben.

Wie nun bei den geschilderten persönlichen Verhältnissen des Barons Haas seine Wirtschaft betrieben, sein Hauswesen bestellt und seine Interessen von seinen Untergebenen wahrgenommen wurden, bedarf hier nur einer sehr kurzen Andeutung, da es sich fast von selber versteht.

Der Verwalter des Gutes war zwar ein ehrlicher Mann, der mit den Vorteilen zufrieden war, die ihm seine Stellung in aller Form Rechtens abwarf; auch war er ziemlich fleißig und umsichtig, obgleich er nicht die nachdrückliche Kraft besaß, einen so aus den Fugen gegangenen Haushalt in Ordnung zu bringen. Leider aber blieb auch seine persönliche Einsicht und Arbeit ohne allen Erfolg, den Säckel seines allzu nachsichtigen Herrn zu füllen, der noch bodenloser als das Faß der Danaiden war. Er, der Verwalter, war wie die meisten Diener des Barons schon lange im Dienst, denn diese klugen Leute, ohne etwa ihrem Herrn besonders anhänglich zu sein, wußten die gute Nahrung, die sie auf dem Kolkhof fanden, zu schätzen, und da niemand sie zwang, sich totzuarbeiten, jeder vielmehr nach seinen Kräften, das heißt nach eigenem Ermessen, die Hände regen oder stillhalten durfte, so blieb ihnen weiter kein Wunsch übrig, als daß der Haas, wie er eben lief, noch recht lange laufen möge, – ein Wunsch, den der Baron herzlich gern unterschrieben hätte, wenn er ihm schriftlich vorgelegt worden wäre.

Der Kolkhof selbst bestand aus einem wenig geräumigen und seit einem halben Jahrhundert auf keine Weise verschönerten oder restaurierten Hause, welches mitten auf einem ungepflasterten Hofe lag, der von verwitterten Scheunen und Ställen eben nicht malerisch umgeben war, überdies mancherlei im Naturzustande offenbarte, was ein minder offenherziger Landwirt den Augen Fremder künstlich zu verdecken liebt.

Wie gesagt, Verbesserungen, Erneuerungen des Baufälligen und Unschönen gab es auf dem Kolkhofe nicht, wozu auch sollte man sich die Mühe geben und die Kosten machen, da der Besitzer keinen leiblichen Erben hatte, dem er seinen Besitz im sonntäglichen Zustand hinterlassen konnte? »Wem es bei mir nicht gefällt,« pflegte er zu sagen, »der bleibe weg; ich sorge nur für mich selbst, und wenn ich einmal die Augen zugemacht habe, mag daraus werden, was will, ich leide darunter nicht. So lange aber meine Zunge noch schmecken und mein Magen noch verdauen kann, wird ja wohl noch alles zusammenhalten, und weiter als meine Sinne reichen, sehe, höre, schmecke und fühle ich nicht – also warum bauen, putzen und streichen, was nur gleichbedeutend mit vielem Geldausgeben ist?«

Aber ach, das Geld wurde ihm bisweilen doch etwas knapp, und es wäre für ihn eine herrliche Sache gewesen, wenn die alte Birkenfeld hätte sterben und ihm, dem lieben Verwandten, hunderttausend Taler vermachen wollen. »Dann lasse ich mir einen Koch aus Paris oder sonst woher kommen,« sagte er oft zu seinen Schwägern, »meine jetzige Köchin ist dann nur noch gut genug, Gemüse zu putzen. Mein Kellermeister mag sich freuen, er soll uns Weine kaufen, daß Fürsten mit mir Brüderschaft trinken möchten, nur um sie zu kosten.«

Außerdem aber wäre obige Erbschaft noch anderweitig sehr wünschenswert gewesen, denn den guten lustigen Baron fingen schon seit einiger Zeit gewisse Gläubiger mit stilleren und lauteren Wünschen zu verfolgen an. Bis jetzt hatte er sie sich freilich immer noch »vom Halse« gehalten, »aber die verdammten Kerle,« sagte er, »haben so wenig Bildung und eine so große Einbildung, daß sie auf ihren phantastischen Visionen bestehen und nicht einsehen, daß ein Baron, wie ich, nicht dazu da ist, in einem Jahre Schulden zu bezahlen, die er in zehn Jahren gemacht hat. Diese dummen Teufel, sie sollen mir nur kommen; ich mache sie »selig«, und dann bin ich wieder auf ein Jahr fertig mit ihnen. Unterdessen macht der grüne Pelz auf der Cluus die Augen zu, und ich kriege ein Stück ab von ihrem goldenen Vließ. Haha! Also lustig, Kinder, ich bin nicht der Mann, der sich so leicht ins Bockshorn jagen läßt.«

Aus diesen wenigen aufgeführten Redensarten geht schon hervor, was für ein stämmiger und philosophisch gebildeter Mann Baron Haas war. In der Tat liebte er es, etwas geradezu zu sein und den Leuten lieber seine Meinung ins Gesicht zu sagen, als sie hinter ihnen her zu trompeten. Ob er dabei ihr Gefühl verletzte oder sie sonst beleidigte, galt ihm freilich nur wenig, da er selbst keine so zarten Nerven besaß und überdies in seiner Art ein ebenso großer Egoist war, wie seine Schwäger, die stets weniger an die ganze Welt, als an sich selber dachten.

Sein Äußeres kennen wir schon oberflächlich aus einzelnen Andeutungen. Er war ungemein klein, fett und hatte bei fast kugelrundem Bauche ein so intensiv kupferrotes Gesicht, daß man fast erschrak, wenn man ihn zum ersten Mal sah, zumal wenn seine kleinen Karfunkelaugen aus den geschwollenen Falten wie Glühwürmer hervorblitzten, ein Schreck, der um so gerechtfertigter war, als auf diesem dicken Bacchuskopfe ein schneeweißer und borstenartiger Haarturm emporstarrte, der nicht den geringsten Eindruck der Ehrwürdigkeit verursachte. Dabei war er ungemein beweglich, redselig, fast schwatzhaft, wenn er getrunken; jedoch trank er nie so viel, daß er nicht am andern Morgen gewußt hätte, was er am Abend vorher gesprochen, womit durchaus nicht gesagt sein soll, daß er nur sechs Flaschen zu vertragen imstande gewesen sei.

In der Kleidung ließ er sich, wie fast alle Bacchussöhne, eine große Vernachlässigung zuschulden kommen. »Ein Gott und ein Rock,« pflegte er zu sagen, »und ein alter Filz auf den Kopf gestülpt – fertig sind wir!« Oder »wer wird bei einem Manne von Stande, dessen Herz und Magen gesund sind, wie die meinen, nach dem Rocke und der Weste sehen – he?«

Mit seinen Schwägern stand er im besten Einvernehmen: er ergänzte die Trägheit und Langsamkeit des einen durch seine Beweglichkeit, und neutralisierte das vornehme Gebahren des andern durch ein offenes gerades Wesen, das, sagen wir es dreist, trotz der klassischen Bildung bisweilen etwas Bäurisches annehmen konnte, was jedoch einen Landedelmann nie verunziert, da es sich nur auf sein äußerstes Äußere erstreckt, kaum die zarte Haut und noch weniger das noble Herz berührt.

Seine Schwester aus Kranenberg sah er nicht gern bei sich, da sie stets den Augen verdrehenden Kaplan an ihrer Schleppe hatte, den er nicht ausstehen konnte, »weil der Kerl,« sagte er, »nicht nur verhungert und verdurstet, sondern förmlich verbeichtet aussieht.« Er nannte sie, die zarte Theodelinde, »übergeschnappt und gottestoll« – ein Ausdruck, der uns sonst noch nicht vorgekommen, der aber charakteristisch ist und verständlicher wird, wenn man für das Wort »Gottes« hier das Wort »Priester« substituiert, was diese Herren sich ja so gern gefallen lassen.

Für die Damen auf der Grotenburg dagegen schwärmte er wie ein heißblütiger Jüngling, und der Frau Baronin, der künftigen Millionärin, machte er überaus gern die Cour, obgleich eigentlich nicht mehr als allen übrigen Frauen, wenn ihm die Gelegenheit eine solche in den Weg führte, denn galant zu sein wie ein echter Kavalier, war von jeher für Haas von Haasencamp ein Ruhm und eine Ehre gewesen, denen nur das Glück gleich kam, bei einem Dutzend Flaschen Sekt so lange zu sitzen, bis alle Mittrinker unter dem Tisch lagen und nur er allein als Sieger über ihnen thronte.

*

Als Bodo von Sellhausen sich dem Kolkhof näherte, war er erstaunt, die ihm begegnenden oder hier und da stehenden Leute fast geschäftslos zu finden. Jeder tat, was ihm beliebte, und nirgends war eine ordnende Hand zu erblicken oder ein leitender Geist zu erkennen, der das Getriebe des großen Ganzen in Ordnung hielt. Noch ein anderer Umstand aber fiel dem Gaste fast noch mehr auf. Er glaubte, hier nicht allein in das Land der roten Erde, sondern auch das der roten Nasen gekommen zu sein, denn alle Diener und Zugehörige des Hauses, die ihm in der ersten Stunde seines Aufenthalts daselbst vor Augen kamen, zeigten diese auffallende Färbung in der Mitte des Gesichts, Nasen, die freilich nur kleine Trabanten im Vergleich zu dem großen Fixsterne waren, der auf dem Angesicht des Barons Haas selber glänzte; alle auch trugen irgendwo, in der Hand oder in einer Tasche, offen oder heimlich, eine Flasche bei sich, als ob sie nach der Apotheke gingen, um sich stärkende Arznei für schwache Stunden zu holen.

»Wie der Herr, so die Diener!« dachte Bodo, als ein solcher rotnasiger Bedienter in einer plumpen dunkelbraunen Livree, mit einer breiten goldenen Tresse am Kragen, ihm aus dem Hause entgegensprang, das Pferd abnahm und mit höflichen Verbeugungen erklärte: der Herr Baron sei zu Hause, und der gnädige Herr möge nur gefälligst näher treten, auf dem Flur werde ihn ein Diener empfangen, der mit der Einführung der Herren Gäste betraut sei.

Bodo war also im Kolkhof angekommen und schritt, nachdem er einen raschen Blick über die Verwüstung um sich her geworfen, mit langsamer Gemessenheit und natürlicher Würde die ausgetretenen Stufen hinauf, die zu der Residenz dieses modernen Bacchusritters führten.

*

In dem ersten Zimmer zur rechten Hand, wenn man das Herrenhaus des Kolkhofes betrat, saßen drei Herren, in fast undurchdringliche Dampfwolken gehüllt. Es war ein verräuchertes, mit verbrauchten Möbeln nicht übermäßig gefülltes Gemach, unfreundlich und trüb, wie fast alle Räume in der Junggesellenwirtschaft des alten Barons. Diese drei Herren, die mitten im Zimmer an einem mit Flaschen und Gläsern reichlich beschwerten Tische saßen und vom »süßen Weine nippten«, der, wie Baron Haas selber von ihm sagte, »die Zungen löst und die Herzen erfreut,« waren der Wirt des Hauses im bequemen Sommerrock, Baron Kranenberg, unser alter Bekannter, und ein uns noch fremder Freund beider, der Rittmeister a. D. Pilatus von Bökenbrink der Zweiundzwanzigste.

Dieser Herr war ein beinahe vierzigjähriger Mann mit dunklem, von silbernen Fäden schon merklich durchzogenem Haar, einem sehr spitz gedrehten und lang ausgezogenen schwarzen Schnurrbart und einer Miene, die seiner steifen Haltung vollkommen entsprach, denn sie war unsäglich kalt, absichtlich gleichgültig und fast gezwungen steif, als wäre der Mann nicht mit Fleisch und Blut begabt, sondern aus reinen Knochen zusammengesetzt.

Er trug einen kurzen blauen, bis unter das Kinn zugeknöpften, sehr sauber gebürsteten Rock, ungeheuer steife Vatermörder in hoher Halsbinde, die ihm die freie Bewegung des Kopfes noch mehr behinderten, und an den lackierten Stiefelchen entsetzlich große Sporen, die er, wie einige Leute in der Nachbarschaft erzählten, so sehr liebte, daß er ein ähnliches Paar sogar an seinen Morgenschuhen trüge, zum sichtbaren Zeichen, daß er ebenso wenig gesonnen sei, das untrügliche Attribut des Rittertums jemals von seinen Füßen wie den Ausdruck bornierter Vornehmheit aus seinem Gesicht zu streifen.

Pilatus von Bökenbrink XXII. war ehemals Rittmeister bei den fürstlichen Chasseurs à cheval in seiner Heimat gewesen und hatte vor wenigen Jahren den Abschied genommen, weil ihm, wie er sagte, der Dienst zu viele Beschwerden und Mühen verursacht, denn als Eskadronschef täglich zwanzig Mal seinen Namen schreiben zu müssen, sei höchstens eine Aufgabe für einen Federfuchser, und da er zu einem solchen nicht geboren sei, habe er den Abschied gefordert, der ihm auch unter den schmeichelhaftesten Beweisen fürstlicher Zufriedenheit gewährt worden. Noch ein anderer Grund aber, warum er so früh den Dienst quittiert und nicht wenigstens das Avancement zum Major abgewartet habe, sei der, daß seine Regimentskameraden, wie jetzt leider in fast aller Welt, zu freisinnig geworden wären, Zeitungen läsen, bei Tische ihre politische Meinung aussprächen und dann und wann sogar die Partei der gemeinen Kanaille nähmen, was in den Familientraditionen Pilatus' des Zweiundzwanzigsten ganz unerhört sei.

Überdies hatte selbiger nicht nötig gehabt, für das kleine Einkommen eines Rittmeisters so große Strapazen zu erdulden. Er war der einzige Neffe und Erbe eines leidlich wohlhabenden Onkels, und dieser, der in der Nähe ein hübsches Gütchen besaß, »pfiff auf dem letzten Loch,« sagte Baron Haas, es konnte also nicht lange mehr dauern, bis Pilatus der jüngere Nachfolger Pilatus' XXI. wurde, dessen Geld in die Taschen steckte und als angesehener Herr unter seinen Nachbarn auftrat, die allen Respekt vor seiner alten Familie, aber eigentlich sehr wenig vor ihm selber hatten, da er, die Wahrheit zu sagen, nirgends mitzählte, auf grund seines hartnäckigen Schweigens, seines steifen kalten Benehmens und seines Grolles gegen alle diejenigen, die auf irgend eine Weise dem Fortschritt der Zeit huldigten. Eigentlich gehörte Pilatus XXII. zu den echten Ja- oder Neinherren, die das Sprechen selbst für eine zu große Mühe oder eine zu ordinäre Sitte halten, denn das Nicken mit seinem gravitätischen Haupte, das zarte Drehen seines spitzen Schnurrbartes mit Zeigefinger und Daumen, auf dem ein großer Siegelring mit dem Familienwappen saß, und ein langsam, geziert und affektiert geschnarrtes »Ja« oder »Nein« waren fast alle Aeußerungen seiner Teilnahme, ja seiner Existenz, wenn er sich in irgend einer Gesellschaft befand.

Der pensionierte Rittmeister war heute nicht ohne besonderen Grund nach dem Kolkhof gekommen oder vielmehr von dem an seinem Hause vorbeifahrenden Baron Kranenberg mitgenommen worden, und, wir sagen es gleich im voraus, wer sich freut, die persönliche Bekanntschaft dieses ehrenwerten Herrn zu machen, dürfte ihn heute gerade nicht in der besten Laune zu höflicher Begrüßung finden.

Als einer der intimsten Freunde des Barons Grotenburg war er mit allen Kümmernissen wie Hoffnungen der Familie vertraut und hatte also auch in Erfahrung gebracht, was derselben durch die Ankunft Bodo von Sellhausen's und dessen demnächstigen Besuch bevorstand. Gegen dieses von allen Seiten mit Spannung erwartete Wundertier, wie man Bodo im stillen unter sich nannte, hatte er einen unsagbaren Groll gefasst und zwar aus einem sehr leicht mitteilbaren Grunde.

Fräulein Klotilde von Grotenburg war nämlich so glücklich gewesen, das Augenlicht und Herzblatt dieses edlen Junggesellen ohne Furcht und Tadel zu werden; ihr Bild in seiner unnachahmlichen Schönheit und Grazie und mit allen seinen übrigen liebenswürdigen Eigenschaften schwebte ihm als höchstes Ideal menschlicher Vollkommenheit vor, in ihr erblickte er mit einem Wort die engelgleiche Verklärung des ganzen weiblichen Geschlechts. Daher war es kein Wunder, daß sie ihm Tag und Nacht im Geiste und Gemüte lag, daß sie selbst nicht aus seinen Träumen wich, die sonst nur von Pferden, Hunden, Sporen und Deichseln gehandelt, und daß diese Träume seit fünf Monaten sogar eine überaus melancholische Färbung angenommen hatten. Daß diese zarte, duftvolle Blume nun von der Hand eines »Halbbürtigen« – so nannten die altadligen Herren Bodo, weil sein Vater erst vor kurzem geadelt und seine Mutter eine völlig unbekannte Größe gewesen – geknickt werden sollte, das war ein Gedanke, der so fürchterlich schwer auf dem sonst so knochenharten Herzen Pilatus des Zweiundzwanzigsten lastete, daß er sich selbst wunderte, wie er dabei noch bisher essen und heute sogar recht wacker von dem vorgesetzten Weine trinken konnte.

Nun war er also gekommen, dieses gefürchtete Wundertier mit eigenen Augen zu sehen und ihm mit einem Blick den ganzen Groll und den unversöhnlichen Haß seines ritterlichen Herzens zu zeigen, denn anzukämpfen gegen ihn, vielleicht gar die Hand selbst nach der duftenden Blume der Grotenburg auszustrecken, das durfte er nicht wagen, daran konnte er gar nicht einmal denken, da ihm die zwischen den beiden Familien obwaltenden Verhältnisse nur zu gut bekannt waren. –

Die drei Herren saßen also mitten im Zimmer am Tische, rauchten sehr mittelmäßige Zigarren und tranken ganz vortrefflichen Wein, alten Dry-Madeira, wie ihn jetzt nur noch wenige Kellermeister in den deutschen Landen aufzuweisen haben.

»Na,« sagte Baron Haas, der heute außerordentlich gut aufgelegt, mutig und sogar herausfordernd war, »es ist jetzt 12 Uhr vorbei, Brüderchen, und der vornehme Herr ist noch nicht da. Am Ende bleibt er ganz aus und wir haben uns umsonst die Galle erregt.«

»Er kommt, gib acht!« erwiderte Baron Kranenberg. »Er hat es gesagt und, mag der Mann sein wie er will, sein Wort hält er, wenn er es gegeben.«

Pilatus XXII. warf einen vorwurfsvollen Blick auf den Sprechenden, sagte aber kein Wort, rückte seinen kleinen Körper nur noch steifer in die Höhe und bohrte den rechten Sporn in den unschuldigen Fuß seines Stuhles, als wäre er ein widerspenstiges Roß.

»Woher willst du das wissen, Bruder Herz?« fragte Baron Haas, die zweite Flasche anbrechend und die Gläser füllend.

»Na, so – so – er sieht mir so aus, lieber Bruder. Ebenso halte ich ihn für einen Mann, der nicht gern mit sich spaßen lässt, wie du denkst.«

Baron Haas lachte übermäßig laut und sah die beiden Freunde mit seinen glimmenden Augen triumphierend an. »Beim Zeus! –« rief er, »– und das war ein hoher Schwur im klassischen Altertum, müßt Ihr wissen: Ob er mit sich spaßen läßt, oder nicht, das ist mir gleich. Unter den Tisch muß er heute: ich werde ihm schon einschenken und Bescheid soll er mir geben, so wahr ich Haas heiße und jetzt kein Zipperlein habe. Und wenn er lallt – haha! – und nur noch stammeln kann, dann sollt Ihr den Spaß in – in figuram sehen. Dann schlitze ich ihm mit meiner spitzen Zunge das Herz auf und alle seine diplomatischen Geheimnisse fallen von selbst heraus. Haha! Es ist ein prächtiger Tag heute und er wird noch prächtiger, sage ich euch, so wahr ich Haas heiße!«

Pilatus XXII. nickte freudig mit dem Kopfe Beifall, so viel es seine steife Halsbinde erlaubte, Baron Kranenberg aber sagte, langsam an seinem Glase nippend: »Na, vor dem nimm dich doch ein bißchen in acht, Haas! Haare hat er auf den Zähnen; dem armen Kattengold ist noch ganz übel und weh von seinen paar Worten und bissigen Blicken, und du weißt, der Kattengold ist nicht so leicht in die Enge zu treiben.«

»Haha! Das zu hören, ist mir lieb, Brüderchen. Deinen Kattengold oder Katzengold – echtes ist es gewiß nicht – wünsche ich zum Teufel, nimm es mir nicht übel. Aber du wirst doch nicht so töricht sein, den jungen Kaplan mit mir in eine Kathe – Kathedra – ja, Kathedrale zu stellen? Beim Zeus! An mir hat er einen andern Mann gefunden, ich bin nicht umsonst in der Tertia gewesen und die Welt habe ich gesehen – haha! Und drauf los gehe ich, wenn ich voll Feuer bin – na, ich will nicht re – renommagieren – aber du wirst es ja erleben!«

Pilatus XXII. verzog seinen fest geschlossenen Mund zu einem kühnen Lächeln. Er ließ seine weiße Faust etwas unsanft auf den Tisch fallen und scheute sogar die Mühe nicht, zu sagen: »Sie haben recht, Haas – drauf los – ich bin auch ein Mann der Attacke!«

»Gewiß, o, Sie sollen mich kennen lernen, Bökenbrink, wenn ich nur erst angebissen habe. Und daß er einen Mann vor sich hat, der ihm gewachsen ist, das soll er gleich im ersten Moment erfahren.«

»Wie willst du denn das anfangen, lieber Bruder?« fragte Baron von Kranenberg etwas ungläubig.

»Wie ich das anfangen will? Ei, wie du fragst, Bruder Herz! Ich habe mir schon ein paar schlagende Worte aus dem Ci – Cice – Cicerus auswendig gelernt, die sich auf sein langes Ausbleiben beziehen, und wenn ich ihm die ins Gesicht schleudere, sobald er hier eintritt, dann merkt er gleich, daß hier Leute von klassischer Bildung sitzen. – Aber meine Herren, es ist doch ein wenig langweilig, sich so lange erwarten zu lassen. Beim Zeus! Er scheint wirklich den vornehmen Herrn spielen zu wollen. Bei uns! Na! Das soll ihm angestrichen werden. Es ist schon halb Eins und um ein Uhr habe ich meiner Köchin das Essen fertig zu halten befohlen. Ich habe mir nicht im geringsten gedacht, daß er uns länger warten lassen könnte.«

»Warten?« rief Pilatus XXII. ergrimmt. »Ich hoffe, Sie denken nicht daran. Ist er um ein Uhr nicht hier, so essen wir allein.«

Baron Haas kratzte sich mit zugekniffenen Augen hinter den Ohren. »Das wäre dumm,« sagte er, »ich habe gewisse Anstalten getroffen, die man nicht alle Tage trifft.«

»Da kommt er!« rief Baron Kranenberg, der unruhig ans Fenster getreten war. »Bei Gott, ja, er ist es!«

Eine Sekunde später standen die drei Männer voll höchster Spannung am Fenster und es herrschte eine Minute lang ein erwartungsvolles Schweigen, so daß man ihr Atmen hören konnte, was bei Pilatus XXII. wie das Röcheln eines mutigen Stieres klang. Alle drei starrten nach dem Ende des Hofes hin, wo die Eingangspforte lag, und durch diese ritt so eben, ganz gemütlich sich umschauend, Bodo von Sellhausen, der seinen Braunen im gemächlichsten Schritt in das freiherrliche Schloß einziehen ließ.

»Was!« schlüpfte es spöttisch über Pilatus' Lippen – »das ist er? Solch ein Pferd reitet –«

»Alle Hagel!« rief Haas, »ja, das ist nicht übel! Und der sollte uns Moris lehren? Das ist ja ein ganz gemeiner Ackergaul! Na, sag ich's doch! Mit dem will ich schon fertig werden – einen arabischen Hengst hat er sich nicht aus der Wüste Sa – Saharam mitgebracht. Haha! Doch tretet zurück, damit er nicht denkt, daß wir neugierig sind – er sieht scharf her – Donnerwetter, der Kerl hat ein hübsches Gesicht!«

Alle drei traten sogleich in den Hintergrund des Zimmers zurück und ließen sich dann wie auf Verabredung am Trinktische nieder. Baron Haas nahm einen herzhaften Schluck; Pilatus XXII. schlug seine Sporen zusammen, daß sie laut klirrten, und Baron Kranenberg steckte sich rasch eine neue Zigarre an, um doch etwas im Munde zu haben, wenn es ihm passieren sollte, nicht gleich das treffende Wort zu finden. Alle drei aber blickten mit seltsamer Spannung und Neugier, die für den Augenblick sogar Pilatus XXII. Groll und Haß überwog, nach der Tür, sobald der rotnasige Bediente den so lebhaft erwarteten Gast gemeldet hatte.

Die Tür ging auf und Bodos edle Gestalt schritt mit imponierender Haltung langsam herein, wobei sein Auge wie im Fluge das ganze Zimmer und die darin versammelten Personen auffaßte.

Da sprang Haas wie eine emporgeschnellte Kugel von seinem Platze auf, und das gefüllte Glas dem Ankommenden entgegenhaltend, rief er mit einer Miene vornehmer Wichtigtuerei, die seinem Gebahren einen noch komischeren Anstrich verlieh: » Quousque tandem abutere, Catilina, pa – patiellam mostram

Hätte er das ernste Gesicht seines Gastes eine Minute länger betrachtet, so würde er den Mut zu diesem seltsamen klassischen Angriffe verloren und ihn lieber ganz unterlassen haben, aber der schon lange aufgesetzte Pfeil flog schneller ab, als der Bogen zurückzuspannen war, und er traf sein Ziel, ohne jedoch, wie sich erwarten ließ, dasselbe im geringsten zu verwunden.

Während die beiden anderen unwillkürlich von ihren Plätzen aufgestanden, aber bei ihren Stühlen stehen geblieben waren, um den Erfolg des verheißenen siegreichen Angriffs abzuwarten, flog Bodos schnelles Auge noch einmal über die drei Herren hin; dabei spielte ein blitzschnell vorüberleuchtendes Lächeln um seinen Mund, und indem er sich vor dem Wirt, der mit Gewißheit eine sichtbare Wirkung seines klassischen Fechterstreiches erwartete, höflich verbeugte, sagte er mit seiner gewöhnlichen Ruhe, aber verbindlichem Tone:

»Herr Baron! Wenn ich auch in aller Unschuld hier gleich zu einem bösen Namen komme, so bedaure ich doch sehr, daß ich Ihre Geduld, wie Sie ohne Zweifel haben sagen wollen, so lange mißbraucht habe, indessen wird diese christliche Tugend nicht länger von mir auf die Probe gestellt werden. Überdies tragen gewisse Umstände mehr die Schuld an meiner Zögerung, als mir selber lieb ist, und so mögen Sie mir gütigst verzeihen. Doch – lassen sich die Herren nicht stören. Ich sehe, Sie sind bei guter Arbeit. – Wen aber habe ich die Ehre, Herr Baron, in diesem mir unbekannten Herrn vor mir zu sehen?« setzte er hinzu, auf den ingrimmig blickenden und wie eine granitene Säule vor ihm stehenden Pilatus deutend, dessen innerstes Wesen er in einem Augenblick durchdrungen hatte, da ihm dergleichen Persönlichkeiten wahrscheinlich schon öfter vorgekommen waren.

»O, bei Gott!« rief Baron Haas, sein Glas hinsetzend und sich ärgerlich vor die Stirn schlagend, »das zu vergessen, ist ein arges Vergehen für einen gebildeten Wirt! Verzeihen Sie! Herr Pilatus von Bökenbrink XXII. – Herr Legationsrat von Sellhausen! So. Aber nun setzen Sie sich, mein lieber Vetter, und Sie, meine Herren – und hier ist ein Glas für Sie. Nach dem weiten Morgenritt wird der köstliche Madeira munden.«

»Bitte,« erwiderte Bodo, nachdem er mit dem Vorgestellten eine kurze und kalte Verbeugung ausgetauscht, lächelnd und das Glas freundlich ablehnend, als hätte er die verhängnisvolle Rede vorher gehört und wollte ihren Folgen unbedingt aus dem Wege gehen – »bitte, ich trinke täglich nur einmal Wein und zwar – abends.«

Haas von Haasencamp sperrte bei diesen völlig unvorhergesehenen Worten Mund und Nase auf und sah dann sein Brüderchen und Pilatus XXII. mit einem so komisch zerknirschten Gesichte an, daß beide beinahe laut gelacht hätten und ohne alle Mühe darauf lasen: »Was! Höre ich recht? O, wo bleibt nun mein Sieg?« Indessen, er faßte sich schnell, goß dennoch das Glas rasch und in der Eile so voll, daß der Wein über den Rand lief, was er im Eifer gar nicht bemerkte, und sagte:

»Aber Sie werden doch nicht, lieber Vetter? Mir werden Sie doch die Ehre antun? – O, ich habe einen vollen Keller – und eine Ausnahme hat noch nie eine Regel über den Haufen geworfen!«

»Das freilich nicht,« erwiderte Bodo ruhig und fest; »dennoch bedaure ich, Ihnen diese Ehre, wenn es eine für Sie ist, versagen zu müssen. Selbst bei Ihnen mache ich keine Ausnahme von meiner Regel. Der Tag gehört bei mir der Arbeit, dem Nachdenken, dem Gespräch oder was Sie sonst wollen – der Wein aber belebt und erfrischt mich nur abends – sonst verstimmt er mich.«

Während dieses Wortwechsels hatte er Platz zwischen den beiden Schwägern genommen, und nach demselben trat eine beklommene Pause in der Unterhaltung ein. Baron Haas, vorher so überschwänglich wortkräftig, hatte allen Mut zu weiteren Reden verloren, sein Schwager freute sich im stillen, daß er den Besucher so richtig geschildert, und Pilatus XXII. ärgerte sich über die Maßen, als er bei genauerer Prüfung fand, daß der Legationsrat wirklich ein ausnehmend schöner Mann sei, dem es auch in anderer Weise nicht so leicht sein konnte, ein Paroli zu biegen.

Nachdem Baron Kranenberg daher nur einige unbedeutende Fragen an Bodo gerichtet, wie er gestern nach Hause gekommen sei und dergleichen, waren die drei Herren überaus erfreut, durch den Klang der im Innern des Hauses tönenden Eßglocke aus dem Strudel ihrer verschiedenen Gefühle gezogen zu werden; auch hatte die Glocke noch nicht ausgeläutet, so erschien der rotnasige Diener wieder und rief, an der Tür stehen bleibend, mit einem tiefen Bückling:

»Gnädigster Herr, die Tafel ist serviert!«

»Wenn es gefällig ist, meine Herren,« sagte Baron Haas, frisch aufseufzend und sich gegen seine drei Gäste leicht verbeugend, »so bitte ich zu folgen. Mein lieber Herr Vetter, darf ich mir die Ehre ausbitten?«

Er schritt voran, Bodo am Arme hinausführend, dann kam Pilatus XXII., und das Brüderchen schloß den Zug, nachdem er hinter dem Rücken Bodos dem vor ihm stolzierenden Rittmeister einen verständlichen Puff gegeben und einen Blick hinzugefügt hatte, als wollte er sagen: »Sehen Sie wohl – habe ich es nicht gleich gesagt? Der schlägt alle Paraden durch!«

Man trat in ein kleines Eßzimmer ein, das nur mit dem Speisetisch und den nötigen Stühlen versehen war, da das Buffett in einem daranstoßenden Raume stand. Da Baron Haas nur drei Gäste und mit Einschluß des Kutschers, des Reitknechts und des Kellermeisters selber, über vier Bediente zu verfügen hatte, so waren letztere vollständig in ihren abgetragenen Livreen versammelt und standen hinter den Stühlen der Herrschaften bereit, wobei aber Bodo sogleich die Bemerkung machte, daß der ihm zugefallene Lakai so stark nach Pferden roch, daß ihm fast der Appetit zum Essen verging, wie er auch keinen für den Wein zu besitzen vorgegeben hatte. Auch war durch seine Erklärung, bei Tage kein Freund von den Wohltaten Bacchus' zu sein, eine gewaltige Störung in den vorbedachten Anordnungen des Barons Haas eingetreten. Alles war verändert, über den Haufen geworfen. Plan und Absicht, also wahrscheinlich auch Erfolg und Ruhm, nachdem ihm gleich bei der ersten Attacke der Sieg vollständig aus den Händen gerungen, und leider war auch keine Aussicht vorhanden, irgend einen anderen zu erringen. Indessen war der gute Haas nicht der Mann, sich bei einer wohlbesetzten und in der Tat vortrefflichen Tafel die Laune so leicht ganz und gar verderben zu lassen. Dies bewies er auch durchaus. Er aß und trank auf eigene Hand, wie er sich selber sagte, nach Kräften und so kam das Gespräch in der ersten Viertelstunde bald wieder in Gang, wobei indessen nur der Wirt und Bodo die Kosten bestritten, da Baron Kranenberg nur aufmerksamer und vorsichtiger Zuhörer, Pilatus dagegen von der immer mehr anwachsenden Fülle seines Grolles so mitgenommen war, daß er kein Wort hervorzubringen vermochte.

Plötzlich aber und nachdem Baron Haas nach reichlich vertilgtem Burgunder ein Paar große Römer duftigen Johannisbergers geleert, als wollte er seinem durstlosen Gaste durch die Tat beweisen, was er durch strenge Befolgung seiner Regel verlöre, glaubte er wieder eine neue Aussicht auf einen möglichen Sieg gewonnen zu haben, obgleich derselbe auf einem ganz anderen Felde lag. Ein wenig Neugierde, einiger Übermut, ohne Zweifel durch den reichlichen Weingenuß zum Überlaufen gekommen, sowie der Wunsch, seinem geheimnisvollen Gaste doch wenigstens etwas auf den Zahn zu fühlen und dabei auf seine Kosten die älteren Freunde zu unterhalten, waren bei diesem Beginnen gewiß ziemlich gleichmäßig vertreten, und so sprang er lustig mit beiden Füßen in ein neues Element, von dem er sicher fern geblieben wäre, wenn er eine Ahnung gehabt, wie sehr das Bodo von Sellhausen widerstand.

»Mein lieber Vetter,« begann er mit süßlicher Miene, »Ihr schönes Chateau ist neulich der Ort eines interessanten Abenteuers gewesen, und Sie sind gewiß froh, daß dasselbe so glücklich verlaufen ist?«

»Was für ein Abenteuer meinen Sie?« fragte Bodo mit aufblitzendem Auge, aber ruhigem Tone, da er sogleich merkte, was für eine Anspielung heute in der zweiten Auflage auf dem Kolkhofe beliebt wurde.

»Natürlich das eine, welches, seitdem es geschehen, die ganze Umgegend in Bewegung gesetzt und alle dabei Beteiligten so interessant gemacht hat – haha! – den Unfall meine ich, der meine teure Schwägerin und ihre reizende Tochter betroffen –«

»Ach so! Ja, Sie bezeichnen diesen Unfall gleich mit dem richtigen Namen, lieber Baron, wenn Sie ihn ein Abenteuer nennen, denn das war er in der Tat.«

»Gewiß, und es ist nur gut, daß es ein so glückliches Ende genommen. Es konnte schlimmer werden, mein lieber Vetter, nicht wahr?«

»Das ist richtig; wie aber gewöhnlich in solchen Fällen geschieht, wurde es gleich von Anfang an schlimmer gemacht, als es war.«

»Ah, Sie meinen durch den Schmerz meiner lieben Schwägerin, der Baronin. Nun freilich, aber die müssen Sie erst etwas besser kennen lernen, die ist immer gleich aus dem Häuschen – ex domulo – sagt der Lateiner, nicht so? Nun ja doch, aber wenn sich auch die Kleine den Kopf dabei ein wenig verschoben hätte, Sie würden ihn ihr gewiß bald wieder zurecht gesetzt haben, nicht wahr?«

»Meinen Sie mich?« fragte Bodo wie aus tiefem Sinnen auffahrend und mit einer Miene, über die der dunkle Schatten einer gewitterschwangeren Wolke zog, als Baron Haas ihn bei den letzten Worten mit einem vertraulichen Blinzeln seiner Glühaugen beglückte.

»Nun ja, Sie!« erwiderte der Gefragte etwas weniger laut, indem er im stillen schon wieder einen Schritt rückwärts tat.

»Nun, dann muß ich Ihnen sagen, Herr Baron,« versetzte Bodo mit eisiger Kälte, die jenem die Haut schaudern machte, »daß ich Sie gar nicht verstehe. Denken und sprechen Sie von dem erwähnten Falle wie und was Sie wollen, sobald Sie aber mich im geringsten damit in Verbindung zu bringen belieben, muß ich Sie bitten, von etwas anderem zu reden.«

»O gern, gern,« rief Baron Haas, rasch sein Glas Wein zur Stärkung hinunterstürzend und während der Zeit, die dazu gehörte, sich selbst ermutigend, das verlorene Ziel auf einem kleinem Umwege weiter zu verfolgen. »Wann sind Sie zuletzt auf der Grotenburg gewesen?« fragte er dann, seinem Schwager einen triumphierenden Blick zuwerfend, der aber die Augen niedergeschlagen hatte, weil er jeden Augenblick von irgend einer Seite her einen Donnerschlag befürchtete.

»Herr Baron,« sagte Bodo wieder sehr ruhig, da er merkte, daß es darauf abgesehen war, ihm Verlegenheiten zu bereiten, »Sie scheinen wenn nicht alles, doch sehr viel zu wissen, und so wundere ich mich, daß Sie nicht einmal davon in Kenntnis gesetzt sind, daß ich die Grotenburg noch gar nicht betreten habe.«

»Wie,« rief der kleine Baron, auf sehr künstliche Weise die Miene eines wirklich Erstaunten nachahmend, »Sie haben sie noch gar nicht betreten? Warum denn nicht?«

Jetzt lächelte Bodo auf seine gemütliche Art und sagte dann: »Weil ich es vorzog, erst zu Ihnen zu kommen, um mir ganz merkwürdige Dinge sagen zu lassen, die ich vielleicht bei Ihrem Herrn Schwager sehr gut gebrauchen kann.«

Baron Haas riß seine kleinen Augen auf so weit er konnte. »Nun verstehe ich Sie nicht,« rief er in sichtlicher Verlegenheit, »auf Ehre, das ist komisch.«

»Komisch ist es nicht,« erwiderte Bodo wie vorher, »ebensowenig wie tragisch, aber wahr; wir verstehen uns beide nicht und das ist mir sehr erklärlich. Hm!«

Es entstand eine Pause, die von Pilatus XXII. dazu benutzt wurde, seinen Nachbar, den Baron Kranenberg, lebhaft mit dem Fuße anzustoßen. Dieser, schon lange in eine Angst versetzt, daß ihm der Schweiß aus allen Poren drang, zog seinen Fuß zurück und räusperte sich laut, ohne zu wagen, seine Augen gegen irgend wen aufzuschlagen, wobei er, ohne es selbst zu wissen, ein Glas nach dem andern hinunterstürzte.

Durch das letzte Gespräch schien die ganze Gesellschaft mehr oder minder verstimmt zu sein, und ein jeder suchte sich eine Weile mit sich selbst zu beschäftigen, was bei Pilatus XXII. auf ein kräftiges Streichen seines Schnurrbarts hinauslief.

Der elastische Haas aber schien sich zuerst wieder gefaßt zu haben. Er befahl seinem Kellermeister, Champagner in Eis zu bringen, wandte sich dann mit einer sauersüßen Miene an den Legationsrat und sagte zu ihm, als hätten sie bisher noch nicht ein einziges Wort gewechselt: »Nun, mein lieber Vetter, wie schmeckt es Ihnen bei mir?«

Bodo lächelte wieder vor sich hin, ließ seine großen dunklen Augen über die drei Herren schweifen und sie dann zuletzt auf dem Fragenden ruhen. »Sie meinen ohne Zweifel die Speisen, die Sie mir vorgesetzt?«

»Natürlich, natürlich, mein lieber Herr Vetter!«

»Nun, ich denke, es schmeckt alles recht gut.«

»Sie denken das bloß?«

»Ja, mein lieber Baron, ich interessiere mich für das Essen überhaupt nicht so sehr, daß ich mir über jedes Gericht ein besonderes Urteil abgeben sollte. Mir kommt es zunächst bei einer Tafel zumeist auf die Gäste und ihre angenehme und geistreiche Unterhaltung an. Dabei esse ich, was mir schmeckt, aber weitere Gedanken verbinde ich nicht damit.«

Baron Haas war an seiner empfindlichsten Stelle verletzt: seine Küche und sein Keller wurden als etwas bezeichnet, mit dem sich kein weiterer Gedanke verbinden lasse. Er sah ein, daß durch diesen Gast kein kulinarischer Ruhm erworben werden könne, und so wandte er sich, gleichfalls von stiller Verachtung gegen ihn erfüllt, zu seinem Schwager und ging mit ihm jedes einzelne Gericht durch, welches sie heute verzehrt. Dabei gerieten sie in solchen Eifer, daß sie fast ganz die beiden andern Gäste vergaßen, und zuletzt mit dem Munde »kochten«, indem sie alle möglichen Gerichte und ihre Zubereitung besprachen, die jemals einen angenehmen Reiz auf ihre Zungennerven hervorgebracht.

Am Ende dieses mit vielen klassischen Brocken gewürzten Gespräches aber glaubte Baron Haas, sich wieder seinem lieben Vetter zuwenden zu müssen, zumal dieser ihm mit einer ungeteilten Aufmerksamkeit zugehört hatte. »Mein lieber Vetter,« sagte er, »Sie sind in der Welt weit herum gewesen, und eigentlich sollten Sie uns große Belehrungen über die edle Kochkunst zukommen lassen. Die Herren Diplomaten verstehen sich doch sonst vortrefflich darauf. Aber sagen Sie mir, wo haben Sie, Ihrer Meinung nach, am besten gespeist?«

»Das weiß ich wirklich nicht, mein lieber Baron,« lautete die höflich gegebene Antwort. »Ich habe an vielen Orten gut und an vielen schlecht gegessen. Näheres aber weiß ich Ihnen darüber nicht anzugeben.«

»Der Tausend!« rief Baron Haas, »das sollte mir nicht so leicht passieren. Ich weiß noch heute, wo ich vor dreißig Jahren das feinste Ragout, die delikateste Pastete gegessen und was ich dazu getrunken habe.«

»Dann mache ich Ihnen mein Kompliment über Ihr herrliches Gedächtnis.«

Das war das erste Kompliment, welches dem Wirte von seinem ernsten Gaste dargebracht wurde, und er freute sich auch männiglich darüber, was er durch lautes Schnalzen mit der Zunge, durch freundliche Blicke und fleißiges Zusprechen des Champagners zu erkennen gab.

»Halt!« rief er plötzlich, setzte das Glas ab und wandte sich zu Baron Kranenberg. »Da fällt mir etwas Neues ein, Brüderchen. Hast du schon gehört, daß der grüne Pelz vor einigen Tagen angekommen ist?«

Baron Kranenberg legte Messer und Gabel hin, schob das Glas weit von sich und machte ein so bedeutungsvolles Gesicht, daß man sah, wie sehr ihn diese unerwartete Mitteilung interessierte. »Der grüne Pelz?« fragte er verwundert. »Ei, nein, ich weiß es nicht. Woher hast du die Witterung davon?«

»Mein Verwalter ist ihr auf dem Wege nach der Cluus begegnet, und sie sah ganz munter und seelenvergnügt aus. Die alte Katze! Zum Teufel, was hat die für ein zähes Leben! Aber nun regt Euch ein wenig, Brüderchen, es wird Zeit, und tut Eure Schuldigkeit. Wenn ich verheiratet wäre wie Ihr, hätte ich sie schon zweimal eingeladen. Zu mir kommt sie nicht, darum werde ich ihr nächstens meine Aufwartung machen. Haha, hoffentlich endlich mit Erfolg! – Haben Sie schon den grünen Pelz gesehen?« fragte er dann Bodo, der bei diesem Gespräch ein innerlich aufmerksamerer Zuhörer geworden war, als er vorher gewesen.

»Ich weiß nicht, wen oder was Sie mit diesem Namen bezeichnen,« sagte er gelassen, »belieben Sie sich näher zu erklären.«

Baron Haas lachte überlaut, sein Schwager meckerte wie ein lustiger Ziegenbock, und sogar Pilatus XXII. verzog seine steife Miene zu einem majestätischen Grinsen.

»Wie,« rief Baron Haas, »Sie kennen diesen Namen nicht? O, das ist allerliebst! Nun, sehen Sie, wir bezeichnen damit eine Person, die uns drei Schwägern eigentlich sehr nahe stehen sollte, durch ihre Verschrobenheit aber – nun, was denn, Brüderchen, wir sind ja unter uns – und ihren Geiz viel Stoff zum Lachen bietet. Haha! Ein vertrackteres, langweiligeres und dabei bissigeres altes Weib ist mir in meinem ganzen Leben nicht vorgekommen. Mit einem Wort, es ist Grotenburgs liebe Tante, die alte Grete Birkenfeld, die Millionen wie fruchtbare Gewitterwolken in der Luft schweben und hoffentlich dermaleinst da niederfallen läßt, wo die größte Dürre herrscht. Potz Mohrenelement – aber da fällt mir ein, Sie müssen sie ja auch kennen. Ihr Vater hat einst auch ein Liedchen von ihr zu singen gehabt und öfter als wir empfunden, daß sich Kirschen nicht gut mit ihr essen lassen? Hat er Ihnen denn gar nichts von ihr erzählt?«

Bodo hatte den letzten Worten seines Wirtes gespannt zugehört, seine Augen leuchteten dabei hell auf, und seine Wangen nahmen allmählich eine höhere Färbung an. »O ja, ich erinnere mich ihres Namens sehr wohl,« erwiderte er. »Aber inwiefern mein Vater von ihr zu leiden gehabt, weiß ich nicht. Ist Ihnen vielleicht bekannt, daß beide einen Zwist miteinander gehabt haben?«

»Einen Zwist? Daß ich nicht wüßte, obgleich das ganze Leben dieser alten Hexe ein Zwist mit ihren Verwandten ist. Freilich, ein Verwandter war Ihr Vater nicht von ihr, aber er war doch der Freund ihres verstorbenen Mannes, den sie unter dem Pantoffel hielt, wie die Katze die Maus unter der Pfote. Schade, daß der alte Knabe die zähe Xantippe nicht überlebt hat! Mit dem wäre mehr anzufangen gewesen – er war Wachs, wo sie Eisen und Stahl ist. Doch still davon! De morbis null nisi bene! Bei Grotenburgs wollen wir mehr darüber sprechen, sie müssen es vor allen Dingen wissen, daß der grüne Pelz wieder im Lande ist. Apropos, Grotenburgs! Wer trinkt ein Glas Cliquot auf ihr Wohl mit mir?«

Bei dieser lauerhaft gesprochenen Frage streckten sich Pilatus von Bökenbrinks und Baron Kranenbergs Hände wie galvanisiert nach den eben gefüllten und noch schäumenden Gläsern aus. Selbst Bodo, um nicht unhöflich zu sein, ergriff sein bisher unberührtes Glas, nippte davon und stellte es wieder auf den Tisch, während die anderen die ihrigen bis auf den Grund leerten.

Alsdann stand man auf; die Tafel war beendet, und die Beglückwünschungen, daß »das bescheidene Mahl« gut bekommen möge, begannen.

»Wissen Sie was, meine Herren,« rief gleich darauf Baron Haas mit etwas lallender Zunge, nun wollen wir ein wenig im Garten pro – promenadieren, denke ich, und dabei en bassant den Mokka schlürfen. Heda, Fritz, in der großen Laube den Kaffee – wo sind die Zigarren? Ah – da! Hier, meine Herren, bedienen Sie sich, wenns gefällig?«

Man ging in den sogenannten Garten, einen verwilderten, kahlen und von Unkraut überwucherten Grasplatz, den einige Obstbäume und ein Dutzend Stachelbeersträucher zierten und dessen besten Mittelraum eine Kegelbahn einnahm, in deren Nähe Bodo zu seiner Verwunderung schon wieder gewisse Vorkehrungen treffen sah, die auf neue Libationen zu Ehren des Bacchus schließen ließen.

Er sollte sich auch nicht geirrt haben, denn nachdem man eine halbe Stunde durch den Garten promenadiert war und dabei Kaffee und auf Begehr auch feine Liköre in der bezeichneten Laube getrunken hatte, führte Baron Haas seine Gäste zur Kegelbahn, wo der Kellermeister wieder eine Bowle in Eis zurecht gestellt und schon den Löffel in der Hand hielt, um die schönen Kristallpokale zu füllen, die daneben auf einem kleinen Tische standen.

»Wer trinkt mit mir ein Glas auf meine Gesundheit?« rief der unersättliche Baron, dem Kellermeister mit zitternder Hand einen Wink zum Einschenken gebend.

Bodo fühlte sich von dieser maßlosen Völlerei beinahe angeekelt und gab sich keine Mühe mehr, seine Meinung darüber zu verbergen. Glücklicherweise aber wartete der Wirt keine Antwort von seinen Gästen ab, sondern griff schnell nach einem gefüllten Pokal, kostete, und da er ihn probat fand, rief er freudestrahlend: »Köstlich, prächtig, meine Herren! Vorwärts! Man lebt nur einmal auf der Welt!«

Während sein Schwager und Pilatus XXII. nach kurzem Besinnen seinem Beispiele folgten, näherte sich ein Diener des Barons dem Legationsrat und flüsterte ihm ein paar Worte zu, die Baron Haas mit seinem Ohre auffing.

»Wie? rief er, sein Glas fast erschrocken auf den Tisch stellend, »habe ich recht gehört? Ihr Pferd ist gesattelt? Wollen Sie denn fort – nicht bis zum Abend hierbleiben, um uns zu zeigen, was Sie leisten können?«

»Nein,« erwiderte Bodo kurz, »ich bleibe nie so lange an einem Ort, am wenigsten das erste Mal. Dazu gebricht es mir an der ›klassischen‹ Ruhe, die Sie auszeichnet, mein lieber Baron. Leben Sie also wohl und lassen Sie sich durch meine Entfernung in Ihrem Vergnügen nicht stören – doch nein, ich fürchte das nicht.«

Baron Haas war ganz verdutzt vor ihm stehen geblieben und reichte ihm seine nicht allzu saubere Rechte. »Wie Sie wollen,« lallte er, »na, des Menschen Himmel ist sein Willenreich – wollte ich sagen – doch leben Sie wohl – auf baldiges Wiedersehen!«

Bodo verbeugte sich kalt vor Herrn von Bökenbrink, gab Baron Kranenberg die Hand, dessen Benehmen ihm heute viel besser gefallen als am vergangenen Tage, und ging gemächlich nach der Gartenpforte, wohin man soeben seinen Braunen gebracht hatte. Mit raschem Schwung saß er im Sattel, und nun noch einmal die Herren grüßend, die ihn bis dahin begleitet hatten, trabte er ab, ohne auch nur einen Blick auf seine nächste Umgebung zu werfen.

Die drei Herren hinter ihm aber standen noch lange still und blickten sich verwundert und erstaunt mit offenem Munde an. Baron Kranenberg war der erste, der seine Lebensgeister sich regen fühlte und die Frage ausstieß:

»Nun, lieber Bruder, was sagst du nun? Habe ich recht gehabt oder nicht?«

»Beim Zeus!« polterte Baron Haas hervor, mit einem seiner kurzen Beine ärgerlich den Boden stampfend, »das ist ein so seltsames Wundertier, wie ich sobald keins gesehen!«

Pilatus XXII. nickte ihm mit olympischer Miene Beifall zu. »Ja,« bemühte er sich zu sagen – »und wo bleibt Ihr Sieg?«

»Ha, Sie haben gut fragen, bester Freund, und du brauchst gar nicht zu lachen, Ambrosius; aber soll ich denn allein den Hund aus dem Ofen locken? Bei dem, so viel hab ich aufs erste Mal weg, ist mein Latein zu Wasser geworden. Zum Kuckuck aber auch, warum habt Ihr mir nicht geholfen?«

»Lieber Bruder,« erwiderte Baron Kranenberg bescheiden, »wir bauten zu viel auf deine gerühmte Stärke und wollten dir den Sieg allein überlassen. Ich habe mir schon gestern die Finger verbrannt und fürs erste genug daran.«

»Teufel, ja! Das war ein verdammt verfehlter Tag, und meine Mine hat sich vergebliche Mühe gegeben, diesen Menschen zu ködern. Ha, mit dem Kerl muß man es ganz anders anfangen, aber wart – des Abends trinkt er – bonus! Na, ich werde ihn nächstens abends zu mir einladen und dann Gnade Gott seiner Seele!«

»Renommieren Sie nicht wieder!« sagte Pilatus XXII. erhaben und würdevoll, worauf er, zur Seite gewandt, verächtlich die Nase rümpfte.

»Renommieren? Ich? Ach was da, Kinder, laßt ihn laufen oder reiten auf seinem Ackergaul – er ist nicht wert, daß wir uns die Hälse nach ihm verdrehen. Stoßt an! Die Bowle muß vor Sonnenuntergang geleert werden, heute abend trinken wir Eispunsch – es ist warm – bah! Ah – da ist der Kegeljunge! Ambrosius, du hast den ersten Wurf – alle Neun ist die Losung, und diesen diplomatischen Narren schiebe ich auch noch um. Vorwärts, Pilatus, Mann, regen Sie sich einmal. Hollah, es lebe der Wein und die Zunge – gib einen Stuhl her, Fritz – bah! und die Zunge, die ihn schmecken kann!«

*

Während die drei vornehmen Herren also hinter dem eben geschiedenen Gaste her schalten und mit ihren Tugenden prahlten, ritt dieser, still vor sich hinlächelnd, daß er schon wieder einen der drei schlimmen Tage hinter sich habe, eilig nach Hause. Über ihm strahlte die Sonne am blauen Nachmittagshimmel und wob alles um ihn her in ihren goldenen Schleier ein. Süß und lieblich duftete die sommerliche Natur ringsum, aber die süßesten und lieblichsten Düfte schienen ihm von seiner friedlichen Heimat her entgegen zu wehen, und um diese so bald wie möglich zu erreichen und frei von den bitteren Einwirkungen der äußeren Welt zu sein, spornte er sein Pferd fleißig an, und das alte Tier gab sich alle Mühe, seinen guten Herrn so rasch wie möglich nach Hause zu tragen.


 << zurück weiter >>