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Buchschmuck

Fünftes Kapitel.
Die Warnung.

Franz hielt das gegebene Wort, und erst einige Minuten nach halb ein Uhr verließ er das Malzimmer und begab sich in das Vorderhaus. Er fand daselbst den Tisch schon gedeckt und alles in bester Ordnung, wie alle Tage, und Karoline erschien in ihrem sauberen Hauskleide von dunkelbraunem Kamelot, als ob sie keine der früher angedeuteten Wirtschaftsgeschäfte zu besorgen gehabt hätte.

»Guten Tag, liebe Tante,« begrüßte er sie. »Bist du deiner Hausplagen Herr geworden, und kannst du jetzt ruhig bei Tische sitzen?«

»O, schon lange, mein Junge, und seit einer Stunde ist die Resi und bin ich fertig, und nun sind wir wieder im stillen alten Geleise. Aber du bist auch fleißig gewesen und hast wacker bis mittag vor der Staffelei ausgehalten, nicht wahr?«

Franz lächelte heiter. »Ja,« sagte er, »aber das ist kein Wunder, ich bin auf angenehme Weise an die Arbeit gefesselt worden, denn meine Reisegefährtin ist wieder im Garten gewesen und hat meine Bitte erhört und mir gestattet, mein Bild nach der Natur zu verbessern und zu vervollkommnen.«

»Nun,« versetzte die Tante gedehnt, »das ist doch keine so gewaltige Gnade, die sie dir da erwiesen, mein Freund! Wahrhaftig nicht. Manches schöne Weib würde sich glücklich schätzen, wenn es ein Künstler von deinen Fähigkeiten malen wollte! So sehe ich wenigstens die Sache an.«

»Du bist sehr gütig, Tante, nur begünstigst du mich in diesem Falle doch etwas über die Gebühr. Viele schöne Frauen würden sich allerdings schon aus Eitelkeit gern kopieren lassen, aber daß es diese eine tut, die nicht an Eitelkeit leidet, ist unter den vorliegenden Umständen eine Seltenheit. Wenn du sie kenntest, würdest du mich besser verstehen und dich mit mir über die mir zugefügte Gunst freuen.«

»O, o, ich freue mich ja, aber – da wir einmal von schönen Frauen sprechen, so will ich dir erzählen, daß ich heute eine große Schönheit gesehen habe.«

»Wo denn?« fragte Franz.

»Nun, wo denn sonst als hier, ich habe ja das Haus heute noch nicht verlassen.«

Franz spitzte die Ohren. »Hat sie dich denn besucht?« fragte er, seine Augen auf irgend einen Gegenstand heftend, um das Gesicht der Tante zu umgehen.

»Mich besucht? O, wie käme eine Fremde wohl dazu, mein Sohn? Nein, sie ist hier vorübergegangen. Ich hatte mich eben angekleidet und stand auf den Stufen vor der Veranda und band meine Blumen an. Da kamen langsam die Straße entlang zwei Damen geschritten, und als sie vor unserm Hause waren, blieben sie stehen und betrachteten es sich ganz genau. Ich war anfangs nicht darüber verwundert, denn es sehen sich ja so viele vorübergehende Menschen unsere blumengeschmückte Veranda an, aber da fiel mein Auge mit einem Mal auf das Gesicht der einen Dame, und da mußte ich mich wohl verwundern, denn ein so schönes Geschöpf habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen.«

»Wie sah es denn aus? Beschreibe mir doch einmal das Gesicht,« bat Franz.

»Ja, du lieber Gott, wie kann man ein schönes Gesicht denn beschreiben, mein Junge? Man kann doch nicht mit Farben und Linien sprechen. Oder soll ich dir sagen, es sah aus wie Milch und Blut, wie Lilien und Rosen, das sagt dir doch auch nichts – es war aber mit einem Wort reizend, unendlich schön.«

»So,« sagte der Maler still, »das hätte ich auch gern gesehen. Wie war denn die Figur? Hast du einen Blick darauf geworfen? Denn du weißt, daß eine gute Figur eine schöne Frau erst vollkommen schön macht.«

»O ja, das weiß ich. Aber gerade die Figur war göttlich, Franz. Du weißt, ich kann die zerbrechlichen Dingerchen nicht leiden, wie man sie so häufig in Wespentaillen eingedrechselt findet. Aber diese war nicht so steif eingewickelt, sie bewegte sich frei und frisch und zeigte Formen, wie sie jedes Weib haben sollte, wenn man es doch zu dem ›schönen‹ Geschlecht rechnen will.«

»Ei, ei, diese Schönheit muß ja von ganz besonderer Art gewesen sein! Wie war deine Göttin denn gekleidet?«

»Ah, das verdient das größte Lob, mein Junge. Sie war sehr einfach gekleidet, und doch merkte man ihr an, daß sie etwas auf ihr Äußeres hielt. Sie trug ein mattgelbes, weites Sommerkleid ohne allen Besatz, aber auch ohne Krinoline, Gott sei dank, und doch sah sie rund und vollkommen darin aus. Auf dem Kopf hatte sie ein kleines neckisches Strohgeflecht mit roten Bändern sitzen, und über die Schultern war eine weiße Mantille von durchsichtigem Mull geworfen. Im übrigen – aber warum lachst du?«

Franz lachte wirklich laut und lange, als ob er sich kaum bemeistern könne. »Ich lache,« sagte er endlich, »weil du so genau schilderst, daß ich sie malen könnte. Ich will es nachher versuchen. Hast du nach Tische einen Augenblick Zeit, um mit in mein Atelier zu kommen?«

»Gewiß, mein Junge, aber was soll ich dort?«

»Ich will unter deiner Anleitung die Skizze zu dieser Schönen entwerfen – doch nein, ernstlich gesprochen, Tante, ich muß dir durchaus ein Bild zeigen und dich um deine Meinung befragen.«

»Bist du schon so weit damit vorgerückt?«

»Du sollst es sehen und selber urteilen; doch jetzt laß uns speisen, mein alter Appetit meldet sich wieder.«

»Der soll bald befriedigt sein, mein guter Junge!« –

Die Tante eilte fort, und bald stand das Essen auf dem Tisch, und beide ließen es sich nach getaner Arbeit wohlschmecken. Als sie aber fertig waren, erhob sich Franz und erinnerte die Tante an ihr Versprechen.

»Hast du es denn so eilig?« fragte sie.

»Diesmal, ja. Komm nur, du sollst bald erfahren, warum.«

Sie folgte ihm sogleich nach dem Gartenhause, stieg rasch hinter ihm her die Treppe hinauf, und wenige Augenblicke später stand sie vor den beiden Bildern, die ihr Neffe zuletzt gemalt und die in der Hauptsache schon ziemlich weit vorgeschritten waren. Aber da, als sie kaum den ersten Blick darauf gerichtet, fuhr sie fast erschrocken zurück.

»Franz!« rief sie erstaunt. »Was sehe ich!«

Dieser erwiderte lächelnd: »Nun ja, ich sehe auch, was zu sehen ich fast überzeugt war. Ich kann dir die schöne Dame zwar nicht im gelben langen Morgenkleide und im neckischen Strohhütchen zeigen, aber ich zeige sie dir zu Pferde und in schottischer Tracht, die ihr wahrlich nicht weniger gut steht, wie mir dein Gesicht zu sagen scheint.«

»Wie, Franz, das wäre deine Reisegefährtin, mit der du von der Grimsel herabgekommen bist?«

»Freilich ist sie es.«

»Nun, dann habe ich sie heute morgen auch gesehen, und ich muß dir bekennen, daß du sie mir neulich lange nicht schön genug geschildert hast, obwohl ich schon glaubte, du übertriebest. Aber bei Gott, dieses Weib ist ein Engel. –«

»Bisweilen!« sagte Franz ernst und nur halblaut.

»Wie meinst du das?« fragte die aufmerksame Tante, die immer noch erstaunt vor den beiden Gemälden stand und bald das eine, bald das andere anstarrte.

»Nun, ich sagte dir's ja schon: diese Dame hat Waffen von der Natur empfangen, die sie eben nicht ungeschickt zu gebrauchen versteht. Sieh nur den Blick da an – wie gefällt dir der?«

Die Tante stand in Anschauen versunken da. »Du hast recht,« sagte sie nach einer Weile, »der Blick hat etwas Dämonisches, tief Ergreifendes und fast Drohendes. Aber so hat sie mich nicht angeschaut. Weißt du wohl – ich will dir ganz ehrlich meine Meinung sagen, und du mußt es mir nicht übel nehmen – so interessant das Gesicht und so reizend diese schottische Tracht ist, es liegt etwas Selbständiges, ich möchte sagen Kecktrotziges in dem Ganzen, was mir bei alledem nicht behagt und was ich an dem schönen Wesen heute morgen nicht bemerkt habe.«

»Nun,« rief der Maler siegreich lächelnd, »wenn dir dieses eigentümliche Wesen nicht behagt, so behagt mir umsomehr deine Bemerkung, denn wenn du die getadelten Züge herausfindest, so heißt das nichts anderes für mich, als daß ich diesmal die Natur vollkommen getroffen habe.«

»Also wirklich, sie sieht so aus, wie du sie gemalt hast?«

»Vollständig, Tante, und besonders in jenen Reisekleidern und wenn sie sich mit mir zankt.«

»Sie zankt sich mit dir?« rief die Tante erstaunt.

»Nun, ich nenne es so: eigentlich sind es nur kleine Wortscharmützel, die auch ihr Angenehmes haben, und wenn sie vorüber sind, schwindet jenes kecktrotzige Wesen, wie du es nennst, und das Weib tritt wieder in seine Rechte.«

»Gott sei Dank, daß du das sagst. Ich hatte deine Reisegefährtin schon im stillen liebgewonnen, und da ich diesen Blick sah, in dem eine versengende Flamme brennt, erschrak ich, obgleich ich eigentlich nicht weiß, warum. Wenn sie aber bei alledem ein Weib ist, wie du sagst, nun, dann hat sie auch weibliche Gefühle, und ich will ihr nicht zu viel getan haben.«

»Sie kann mit deinem Urteil zufrieden sein, Tante, denn sie schien dich heute morgen bezaubert zu haben.«

»Das hatte sie, ja,« erwiderte sie, still mit dem Kopfe nickend, »aber dein Bild hat mich wieder etwas entzaubert, und nun weiß ich nicht, wer von uns beiden recht gesehen. Nun, male sie nur erst fertig, dann wollen wir weiter darüber sprechen. Ich bin neugierig, was Leo dazu sagen wird, wenn er es sieht. Jetzt aber muß ich gehen, mein Junge, du samt deiner Schönen darfst mir mein Mittagsschläfchen nicht entziehen; ich bin etwas müde vom Hin- und Herlaufen. Gehen wir heute abend ein wenig spazieren?«

»Gern. Um welche Zeit?«

»Ich denke, vor sieben nicht, es ist so arg heiß.«

»Punkt sieben Uhr bin ich bei dir, und nun lebe wohl!« – -

*

Franz ging noch nicht sogleich wieder an seine Arbeit. Er zündete sich eine Zigarre an und spazierte wohl eine Stunde lang in den schattigen Weingängen des Gartens sinnend langsam auf und ab, denn die Sonne war wirklich wieder des Gewölks Herr geworden und strahlte in voller Glut vom wolkenlosen Himmel nieder. Erst um drei Uhr betrat er sein kühles Malzimmer und schickte sich an, an dem Bilde weiter zu arbeiten, als er durch laute Stimmen unterbrochen wurde, die vom Nachbargarten aus sich hören ließen und von denen er die eine zu erkennen glaubte, da sie so hell und klar wie keine andere erklang. Er blickte aus dem Fenster, aber er nahm niemanden wahr, und so begab er sich an die Arbeit. Noch einiger Zeit jedoch lockte ihn dieselbe Stimme nochmals ans Fenster, aber wiederum hatte er die kaum begonnene Arbeit vergeblich unterbrochen, und nun nahm er sich vor, sich weder durch Stimmen noch durch sonst etwas stören zu lassen, sondern fleißig bis um sechs Uhr zu malen, wo er sich nach dem Vorderhause begeben und zum Ausgehen ankleiden wollte.

Um vier Uhr brachte ihm Resi wie gewöhnlich Kaffee, und eben hatte sie sich wieder entfernt, als er, vor der Staffelei stehend, an dem Tische im Garten die beiden Damen bemerkte, die er vorher sprechen zu hören geglaubt und die keine anderen als Miß Edda und Miß Rosy waren. Letztere saß an dem Tische in ihrem gewöhnlichen Hauskleide und arbeitete im Schatten des Apfelbaumes; erstere dagegen, in einem reizenden, mit kleinen bunten Blüten durchwebten weißen Kleide, den Hut auf dem Kopf und den Sonnenschirm in der Hand, stand vor ihr, sprach mit ihr und drehte ihm dabei den Rücken zu. Da hob plötzlich die Engländerin den Kopf in die Höhe, sah nach seinem Fenster hinauf und flüsterte ihrer Gefährtin einige Worte zu.

Franz, der sich unaufgefordert nicht in ihre Unterhaltung mischen wollte, arbeitete ruhig weiter, bis er plötzlich erlauschte, daß Miß Edda sich langsam entfernte und nur die Engländerin auf ihrem Platze zurückblieb. Als die abgehende Dame aber ganz aus seinem Gesichtskreise getreten war, drehte er sich nach dem Fenster hin, und da Miß Rosy in diesem Augenblick den Kopf zu ihm erhob, begrüßte er sie, was sie auf der Stelle mit ihrer gewöhnlichen Freundlichkeit erwiderte.

Franz trat an das Fenster und sagte, indem er sich der englischen Sprache bediente: »Es ist heute der erste Nachmittag, Miß, den Sie im Freien verbringen. Scheuen Sie die große Hitze nicht?«

»Nein, Sir, ich fliehe sie sogar, indem ich mich hierher begebe, denn in unserm Hause ist es noch heißer als hier. Unsere Kranke befindet sich dabei behaglicher als wir, denn sie schläft ganz vortrefflich, weshalb ich jetzt einmal eine freie Stunde benutze, während Miß Edda einen Besuch macht.«

»Aha!« dachte Franz, »darum also hat sie sich so fein gekleidet. – »Ihre Kranke befindet sich also besser?« fragte er dann laut.

»Besser, das will ich nicht sagen, Sir, sie ist und bleibt immer krank genug,« und bei diesen Worten nahm ihr friedfertiges Gesicht einen fast kummervollen Ausdruck an.

»Halten Sie sie für sehr krank?« fragte Franz wieder.

Die Engländerin sah sich scheu im Garten um, da sie aber niemanden bemerkte, stand sie von ihrem Stuhl auf, kam dem Fenster näher und setzte sich auf den Stuhl vor der Hecke unter den Apfelbaum, der noch von der Morgensitzung her daselbst stand. »Darf ich Ihnen vertrauen, und wollen Sie mich nicht verraten, Sir?« fragte sie mit einem wehmütig bittenden Aufblick.

»Sie können mir vertrauen, und ich verrate Sie nicht,« erwiderte Franz mit seinem ehrlichsten Gesicht, während ihm doch das Herz etwas lebhafter schlug.

»Nun denn, ich fürchte sehr für die arme Lady. Ich halte sie für kränker, als ich ihrem Gemahl und Miß Edda gestehen darf. Ich möchte beide nicht mit meiner Meinung erschrecken, und doch glaube ich, daß ich ein richtigeres Urteil habe als sie.«

»Was für ein Urteil haben Sie denn?« fragte Franz beklommen, auf den das ängstliche und geheimnisvolle Wesen der Engländerin einen tiefen Eindruck machte.

»Daß die Lady den Sommer nicht überleben wird.«

»O! An welcher Krankheit leidet sie denn eigentlich?«

Miß Rosy blickte wieder scheu umher, als sie sich aber allein sah, sagte sie mit noch leiserer Stimme: »Sie leidet an einer überaus schmerzlichen und kaum heilbaren Krankheit, denn ich glaube, Sir, ihr Herz ist krank und erliegt einem unüberwindlichen Heimweh!«

»Heimweh? Sollte das eine so schwere Krankheit sein?«

»Unter Umständen, ja, das hat auch unser Arzt gesagt, der noch immer hofft, daß der Anblick der Berge sie heilen wird, da sie sich eben nach den Bergen ihrer Heimat sehnt.«

»Darin irrt sich vielleicht der Arzt. Gerade der Anblick dieser Berge muß sie an die ihrigen erinnern und also auch die Krankheit nähren, wie ich es auffasse. Aber warum reist sie denn nicht nach Hause?«

Die Engländerin warf einen vielsagenden, aber ihm unerklärlichen Blick nach dem Maler hinauf und zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht,« sagte sie noch leiser als vorher, »und darum darf ich mich auch nicht bekümmern. Ach, bitte, sagen Sie Miß Edda nicht, daß ich mit Ihnen darüber gesprochen habe, sie hat mir über alle Familienverhältnisse das tiefste Schweigen auferlegt, und ich gehorche ihr auch. In diesem Falle aber bin ich so ängstlich, daß ich mich freue, einmal offen mit jemandem reden zu können, da ich unter den vielen fremden Menschen hier niemanden habe, dem ich mich mitteilen kann.«

»Seien Sie versichert, daß ich ihr Vertrauen zu schätzen weiß und daß ich verschwiegen bin. Ich nehme Anteil an dieser Kranken.«

»Das weiß ich wohl – Sie haben es ja in den Bergen bewiesen, und darum spreche ich zu Ihnen.«

»Ist der Vater Miß Eddas noch verreist?« fragte er nach einer kleinen Pause.

»Er ist jetzt fast immer unterwegs,« sagte die Engländerin zögernd, »bald hier, bald da, und scheint nirgends Ruhe zu haben. Auch hat er viel zu tun. Heute ist er in Bern. – Doch schweigen wir davon und erfüllen Sie mir eine Bitte.«

»Reden Sie!«

»Malen Sie doch gefälligst weiter, wir könnten beobachtet werden – es gibt hier sehr scharfe Augen.«

»Von wem denn beobachtet?«

Die Engländerin schwieg und schüttelte den Kopf, als dürfe sie auch darüber nicht sprechen.

Franz war sogleich an seine Staffelei zurückgetreten und malte langsam weiter. Es tauchte eine ganz neue Gedankenreihe in seinem Kopfe auf. Die Geheimnisse, die über der ihm bekannt gewordenen Familie schwebten, verdichteten und verdüsterten sich vor seinen Augen, so daß er fast peinlich davon berührt wurde. Von der Engländerin konnte und mochte er keine weitere Auskunft erhalten, und von Miß Edda hatte er in dieser Beziehung gar nichts zu erwarten. So war er tief in Gedanken versunken und bemerkte dabei nicht, daß sich Miß Rosy wieder nach dem Tisch zurückbegeben hatte, von wo sie nur zuweilen einen forschenden Blick nach ihm herüberwarf, gerade als bewache sie ihn oder als habe sie den geheimen Auftrag erhalten, ihn nicht aus dem Auge zu lassen.

So verging die Zeit allmählich; als es aber etwa halb sechs Uhr war, kam der Diener der fremden Familie in den Garten und schritt gerade auf den Tisch zu, an welchem Miß Rosy noch immer schweigend saß »Miß Rosy,« sagte er, als er ihr nahe war, »Miß Edda ist nach Hause gekommen und wünscht Sie zu sprechen.«

Miß Rosy stand sogleich auf, nahm ihr Körbchen mit der Stickerei auf, und indem sie sich gegen den Maler freundlich verbeugte, legte sie mit einer verständlichen Geberde einen Finger auf die Lippen und sagte: »Sie haben es wohl gehört, ich werde gerufen. Leben Sie wohl, Sir, und vergessen Sie nicht, was Sie mir versprochen haben.«

Franz grüßte ebenso freundlich hinüber, und bald darauf lag der Nachbargarten wieder einsam wie gewöhnlich vor seinen Augen. Er fühlte sich heute mehr denn je von der Arbeit ermüdet, woran vielleicht die große Hitze schuld war. So reinigte er denn seine Pinsel, stellte alles in Ordnung, schloß das Fenster, ließ den Vorhang herab und schickte sich an, das Malzimmer zu verlassen, das nun auch wieder in seine alte Einsamkeit versank. Bald darauf sah man ihn nachdenklich den Weingang hinab nach dem Vorderhause schreiten, und als er dasselbe in seiner heiteren grünen Umgebung liegen sah, war ihm zu Mute, als falle ein Alp von seiner Brust, der bang und geheimnisvoll darauf gelastet hatte.

*

Seines Versprechens eingedenk, mit der Tante um sieben Uhr spazieren zu gehen, fand er sich pünktlich bei ihr ein, das heißt, er begab sich etwas vor der festgesetzten Zeit nach der Veranda, wo er die fleißige Hausfrau, mit einer Arbeit beschäftigt, im Sommer in der Regel zu finden pflegte. Allein sie war diesmal nicht da, und eben wollte er sie im Garten aufsuchen, als Resi ihm in den Weg trat und seine Frage nach Tante Karoline dahin beantwortete, daß dieselbe noch in ihrem Zimmer sitze.

»In ihrem Zimmer?« sagte Franz leise zu sich. »Da ist sie ja selten, wenn es so heiß ist.« Und rasch schlug er den Weg dahin ein, klopfte an die Tür und trat in das Zimmer, sobald der Hereinruf der Tante laut geworden war.

Diese saß in einem behaglich eingerichteten Gemach, vom Fenster weit entfernt, auf dem Sofa und hatte die Hände untätig im Schoße liegen, ein ihren Neffen, der gewohnt war, sie beständig arbeitsam zu sehen, befremdender Anblick, so daß er erstaunt vor ihr stehen blieb und sie, bevor er ein Wort sprach, aufmerksam und forschend betrachtete.

»Bist du krank?« rief er besorgt aus, als er ihr ernstes und nachdenkliches Gesicht ins Auge faßte, auf dem sichtliche Spuren einer kaum vorübergegangenen inneren Bewegung zu bemerken war.

Sie lächelte sanft und schüttelte leise den Kopf, und indem sie die rechte Hand nach ihm ausstreckte, sagte sie mit ihrer gewöhnlichen Milde und Freundlichkeit:

»Nein, Franz, ich bin nicht krank, ich denke nur soeben etwas nach, und das hat mich vielleicht ein wenig ernst gestimmt.«

»Worüber denkst du denn nach?« fragte er teilnehmend, indem er, dem Zuge ihrer Hand folgend, an ihrer Seite auf dem Sofa Platz nahm und ihre Hand in der seinen behielt.

Ihr immer noch schönes dunkelblaues Auge senkte einen tiefdringenden Blick in die seinen, dann, als sie sein ruhiges, offenes Gesicht eine Weile geprüft, lächelte sie abermals, wiewohl etwas gezwungen, und sagte langsam und mit auffallender Betonung: »Ich habe einen recht unverhofften Besuch gehabt, Franz.«

»Einen Besuch, und unverhofft? O, das ist ja in der Regel angenehm. Wer war es denn?« fragte er, mit jeder Silbe langsamer redend, da er beinahe schon den unerwarteten Besuch erriet.

»Rate einmal!« sagte die Tante und lächelte auf eine ganz seltsame, geheimnisvolle Weise.

»Ja, wie kann ich das?« versetzte er und senkte unwillkürlich den Kopf.

»Nun,« fuhr sie lebhafter fort, »zerbrich dir den Kopf nicht, mein Junge, du errätst es gewiß nicht. Mit einem Wort: deine Reisegefährtin vom Rhonegletscher hat mich besucht!«

»Also wirklich!« rief er und gab sich Mühe, seine mit Freude gemischte Verwunderung in einigen Schranken zu halten.

»Ja, wirklich, und eben dieser Besuch, siehst du, hat mich einigermaßen nachdenklich gemacht und ernst gestimmt.«

»Warum denn? Die junge Dame scheint eben nicht vorteilhaft auf dich gewirkt zu haben?«

Karoline wiegte den Kopf hin und her, als überlege sie, was sie darauf erwidern solle. »Nun, das will ich doch nicht sagen,« brachte sie endlich hervor, »aber nun gedulde dich mit deinen Fragen, ich will dir alles berichten, wie es gekommen, was wir gesprochen, und dann auch, welchen Eindruck das junge Mädchen auf mich gemacht hat. – Sieh, ich saß da eben bei meinem Kaffee unter der Veranda, da trat die junge Dame, die gestern unser Haus vom Wege drüben gemustert, um die Ecke. Sie kam schnell zu mir heran und begrüßte mich mit einem so freundlichen und zuvorkommenden Wesen, als hätte sie mich schon längst gekannt, nachdem ich ihre Frage, ob sie die Ehre habe, Doktor Marssens Schwester vor sich zu sehen, bejahend beantwortet hatte. Mein erstes Erstaunen schwand sehr bald, und ich ward von der ungewöhnlichen Erscheinung so schnell gewonnen, daß ich sie einlud, bei mir Platz zu nehmen und mit mir eine Tasse Kaffee zu trinken. Das tat sie und auf eine mich so bezaubernde Weise, daß ich sie ganz zu fragen vergaß, welcher Umstand mir die Ehre ihres Besuches verschaffe. Aber sie ließ mich nicht lange auf die Beantwortung dieser unausgesprochenen Frage warten. Ohne alle Umstände fing sie von ihrer Reise an zu sprechen, erwähnte flüchtig das Zusammentreffen mit dir und stattete mir dann im Namen ihrer Eltern den herzlichsten Dank für die so bereitwillig geliehenen Pferde ab, womit sie ohne allen Zwang die neue Bitte verband, ihr meinen Fuchs noch einmal zu einer ähnlichen kleinen Reise zu leihen, wenn ich desselben nicht benötigt sei.«

Franz hatte, ohne sich zu regen, der ruhigen Erzählung der Tante bisher zugehört, und nur seine unwillkürlich arbeitenden Gesichtsmuskeln verrieten, welchen Anteil er an derselben nehme. Als sie nun aber schwieg, lächelte er und sagte dann: »Sie scheint dir also doch gefallen zu haben, diese kecktrotzende Dame. Hast du denn nun etwas so Dämonisches und Drohendes an ihr entdeckt, wie du es bei Betrachtung ihres Porträts zu finden glaubtest?«

»Nein, Franz,« erwiderte Karoline nach einigem Zögern, als sei sie sich noch nicht ganz klar über diesen Punkt. »Es ist wunderbar, sie hat gegen mich nichts so Selbständiges und Widerspruchvolles gezeigt, wie du es mir an ihr geschildert hast, im Gegenteil, sie war von einer erstaunlichen weiblichen Milde und Freundlichkeit, ja, oft schien mir eine nur mit Gewalt unterdrückte Herzlichkeit durchschimmern zu wollen, und das, ja, warum soll ich es nicht gestehen, hat mich ganz wohltätig berührt.«

»Ah, siehst du, ich dachte es mir wohl. Nun bist du also mit meiner neuen Bekanntschaft ausgesöhnt, nicht wahr?«

Karoline antwortete nicht gleich, sie war wieder in stilles Nachdenken verfallen, aus dem sie sich nur mit Mühe aufzuraffen schien. »Ausgesöhnt?« sagte sie leiser, das Wort des Neffen langsam wiederholend. »Nun ja, so ziemlich wenigstens, und ich kann mir wohl denken, daß und warum sie einen so günstigen Eindruck auf dich gemacht hat, aber ebenso auch, warum sie dich wiederum abgestoßen hat.«

»So, kannst du dir das denken? Ei, da bin ich begierig, deine Wahrnehmungen kennen zu lernen. – Doch hat sie sonst gar nichts von mir gesprochen?« fragte er, sich ein möglichst gleichgültiges Ansehen gebend.

»Kein Wort, als daß du, wie ich dir schon gesagt, die Veranlassung warst, die Vortrefflichkeit unserer Pferde kennen zu lernen. Aber weißt du, Franz – das waren die Lichtseiten dieses Besuchs – er hat auch einen Schatten bei mir hinterlassen.«

»Aha, jetzt beginnt die weibliche Kritik!« dachte Franz. – »Einen Schatten?« fragte er, etwas rascher atmend. »Nun, was hat denn denselben verursacht?«

»Eins hat mir gar nicht an ihr gefallen, mein Sohn, und ich will es dir gerade heraus sagen.«

»Was war denn das?« fragte er mit etwas unsicherer Stimme, da die Erzählende wieder stockte.

»Sie hat auch mir ihren Namen nicht genannt, obgleich ich sie bat, ihn mir zu nennen, und das tat sie mit einer Miene, die mich doch etwas an einen in ihr nagenden weltlichen Stolz erinnerte. Doch ich will nicht zu schnell urteilen, sie ist vielleicht eine jener vornehmen Personen, die es nicht für nötig halten, gewöhnlichen Menschen, wie wir es wahrscheinlich in ihren Augen sind, ihren Namen und Stand zu enthüllen.«

Franz schien etwas betroffen. »Also diesen Stolz hast du auch an ihr bemerkt?« fragte er. »Ich glaubte, sie würde dich denselben weniger haben fühlen lassen, als mich.«

»O, ich kann mich ja nicht über sie beklagen, mein Freund. Sie war und blieb im ganzen, wie sie gleich im Anfang gewesen, freundlich und mild, obgleich sie in gewisser Beziehung etwas vornehm Ablehnendes – du verstehst mich schon – an den Tag legte.«

»Ja, ja, ich verstehe nur zu gut. Aber was sprach sie denn sonst noch mit dir?« fragte Franz nach einiger Zeit, da die Tante wieder in ihr nachdenkliches Schweigen verfallen war, als verhehle sie dem aufmerksam Zuhörenden noch etwas, oder als wage sie sich nicht ganz mit der Sprache heraus.

»O, wenn ich dir das alles erzählen wollte, müßte ich lange sprechen, Franz,« sagte sie endlich. »Gott weiß, wo sie die Fragen alle hernahm, denn sie erkundigte sich nach allem Möglichen. So fragte sie mich unter anderm, wie es mir hier gefiele, und ob ich zufrieden und glücklich wäre, ob ich mich im langen stillen Winter nicht langweilte, so daß sie mich bisweilen fast in Verlegenheit setzte; aber in allen diesen Fragen sprach sich eine so herzliche Teilnahme aus, daß ich mich doch ordentlich gerührt davon fühlte. Da faßte ich mir ein Herz und kam noch einmal auf meine Frage nach ihrem Namen zurück. »Nun,« sagte sie da, »ich will Ihnen wenigstens sagen, daß ich selbst Edda heiße, aber mehr werde und darf ich Ihnen nicht sagen, ebensowenig wie irgend einem Menschen hier. Verdenken Sie mir das nicht,« fügte sie bittend hinzu, und ergriff mit ihrer reizenden Hand die meine und drückte sie wiederholt, »aber wenn ich auch viel jünger und unerfahrener bin als Sie, meinen Pflichten komme ich ebenso streng nach wie Sie.« – Was haben Sie denn für schwere Pflichten zu erfüllen? fragte ich darauf, da sie auf dieses Wort einen starken Nachdruck legte.«

»Ich muß vor allen Dingen meinem Vater gehorsam sein,« sagte sie mit einem ernsten Gesichtsausdruck, »und der hat wohl seine Gründe, daß er durchaus unerkannt sich in der Schweiz aufhält. Seine Stellung in der Welt verlangt das einmal, nicht gerade zu meiner besonderen Freude, aber ich leide auch darunter nicht sonderlich, da es mir im ganzen einerlei ist, wofür man mich hält. So führt er auch hier einen Namen – ich sage das nur Ihnen allein – der nicht sein wahrer Name ist, aber Ihnen muß ich das sagen, damit Sie nicht glauben, ich wollte bloß Ihnen unseren wirklichen Namen verschweigen, während ihn andere kennen. Einen falschen Namen aber Ihnen als den wirklichen anzugeben, bin ich nicht imstande, da mir die Lüge nie verhaßter vorgekommen ist, als wenn ich in Augen schaue, wie die Ihrigen sind, das heißt, so treu und redlich, wie sie nur ein Mensch haben kann.« – Das alles sprach sie mit klaren Worten und verständlichem Sinn, und doch verstand ich sie nicht ganz, wie mir überhaupt vieles in ihrem Wesen rätselhaft vorkam. Jedenfalls, und ich wundere mich, daß dir das noch nicht aufgefallen ist, spricht sie das Deutsche mit einiger Mühe, sie akzentuiert die Worte scharf und besinnt sich oft lange auf einen Ausdruck, der dann vielleicht nicht immer das sagte, was er sagen soll.«

»Aber das ist ja ganz natürlich, beste Tante,« fiel ihr Franz in die Rede, »da sie eine Ausländerin und wahrscheinlich eine Schottin ist.«

»Nein, das glaube ich nicht,« sagte Karoline bestimmt, »vielmehr glaube ich, daß sie eine geborene Deutsche ist, die nur von Jugend auf, wie vornehme Kinder, mehr fremde Sprachen als ihre Muttersprache hat sprechen müssen. Ich habe mir schon gedacht, ihr Vater sei ein armer, kleiner Winkelprinz, wie wir bei uns so viele haben, und der –«

Franz lachte laut. »Nein, liebe Tante,« sagte er, als sie ihn verwundert anblickte, »darin täuschest du dich. In dieser Beziehung habe ich eine viel richtigere Entdeckung gemacht, und da sie mir anfangs ziemlich gleichgültig erschien, habe ich bisher noch nicht darüber gesprochen.« Und nun erzählte er ihr, wie ihm an jenem Nachmittag auf Felsenegg die Wirtin gesagt, daß sie den Fremden habe als Exzellenz anreden hören, aber er sagte ihr nicht, daß dieser Titel in Bezug auf die schöne Tochter ein so großes Unbehagen in ihm erzeugt hatte.

»So,« sagte Karoline. »Also eine Exzellenz! Na, das ist auch was Rechtes! In meinen Augen hat das nicht viel zu bedeuten und in den deinen hoffentlich auch nicht. Wir legen auf andere Dinge mehr Wert als auf weltliche Titel und Würden, nicht wahr, mein Junge?«

Franz nickte bloß, denn er wußte nicht, was er darauf erwidern sollte. »Hast du ihr denn dein Pferd zugesagt?« fragte er plötzlich, im stillen froh, das Gespräch auf einen anderen Gegenstand leiten zu können.

»Natürlich, und wie konnte ich anders, da sie mich so herzlich bat und mir außerdem sagte, daß du sie auf einige Tage in die Berge begleiten würdest. Willst du denn das nicht?«

»Gewiß, liebe Tante, sie sprach erst heute Morgen mit mir darüber, und ich sagte es ihr halb und halb zu.«

»Tu' es ganz, tu' es ganz, mein Junge, und vergnüge dich, ich wünsche es dir von Herzen und dein Vater auch. Du arbeitest dich noch tot, wenn du so fortfährst, wie du jetzt wieder begonnen hast.«

»O, o, man stirbt von der Arbeit nicht, wenigstens nicht so leicht, wie man beim Müßiggang verkommt.«

Karoline hatte ihr Gesicht zu Boden geneigt und starrte trüb vor sich hin, und es war Franz gerade so, als ob sich in ihrer Brust etwas losringe, was ihm bisher noch vorenthalten war. Er sollte auch nicht lange darauf warten. Plötzlich erhob sie den Kopf wieder, ergriff fest seine Hand, sah ihn mit einem unaussprechlich liebevollen Blick an und sagte:

»Franz!«

»Was wünschest du, liebe Tante?« fragte er zärtlich.

»Es liegt mir noch etwas auf dem Herzen, was ich vergeblich niederzukämpfen suche. Ja, sei mir nicht böse, aber ich muß es dir sagen, ich darf es dir nicht verschweigen, denn ich habe dich zu lieb, um dich nicht vor Schaden bewahren zu wollen.«

»Vor Schaden? Woher droht er mir denn?«

»Man kann nie wissen, von welcher Seite er kommt, und deshalb muß man jederzeit nach allen Richtungen hin vorsichtig sein. Doch hier habe ich nur eine Seite im Auge, und ich will dir jetzt den Vorhang davon fortziehen. Ja, mein Junge, ich will und muß dir eine Warnung zukommen lassen, so seltsam das auch aus meinem Munde, dir gegenüber, klingen mag. Und gerade vor diesem Mädchen, dieser geheimnisvollen Edda will und muß ich dich warnen. Denn sieh: daß dieses Mädchen dich mächtig anzieht, habe ich vom ersten Augenblick an gemerkt, so sehr du auch manches Einzelne an ihr auszusetzen hattest. Und das ist mir auch erklärlich, ich verdenke es dir gar nicht, daß sie dir gefällt, denn sie ist wunderbar schön, fast zu schön für eine menschliche Kreatur, und wer weiß, wie viel Unglück sie damit schon gestiftet hat oder noch stiften wird. Aber sieh, mein Junge, und nun kommt es: bei all' dieser Schönheit liegt etwas Gefährliches, etwas, was ich eben nicht nennen kann, weil ich nicht weiß, was es ist. Daß es aber vorhanden ist, sagt mir mein weibliches Gefühl. Ich habe sie mir recht genau angesehen, Franz, habe jeden Zug dieses fast durchsichtig klaren, herrlichen Gesichts durchforscht, und da will mich bedünken, als ob in diesem rotbraunen, glühenden Auge etwas, wie soll ich sagen, etwas Raubtierartiges schlummerte – still, unterbrich mich noch nicht. In der Tiefe desselben, gleichsam im Hinterhalte lauernd, und ich habe tief genug hineingeschaut, liegt etwas, was ich nicht verstehe, woraus ich nicht klug werden kann, aber es ist jedenfalls etwas Dunkeles, Finsteres, wovor ich zurückbebe, und was mich ängstigt. Hier hast du nun alles, was ich dir sagen kann. Hüte dich also vor dieser unbekannten Gefahr – ich bitte dich darum. Denn sieh', je schöner ein solches Weib ist – ich möchte sie beinahe mit deiner berühmten Rheinnixe, der Loreley, vergleichen – um so gefährlicher ist es für einen jungen Mann, der arglos mit seinem Herzen umgeht und darum auch arglos in eine Schlinge fallen kann. Ich kenne das Leben, mein Lieber, und möchte dich vor Schmerzen bewahrt sehen, in die schon viele Unerfahrene und Schuldlose gefallen sind. Ach!« – und hier fing Karoline leise zu weinen an – »ich kenne diese Schmerzen aus Erfahrung, mein Sohn, und daß ich dir das sage, mag dir beweisen, wie gern ich dir sie ersparen möchte. Alles Unglück, welches ich durch mein ganzes vergangenes und zukünftiges Leben mit herumschleppe, ist durch eine unausrottbare Liebe entstanden, die ich zu einem meiner nicht Würdigen hegte. Hüte dich also vor einer Liebe zu einer deiner nicht Würdigen –«

»Aber, liebe Tante,« unterbrach sie Franz fast heftig, »du setzest da Dinge voraus, die noch gar nicht existieren –«

»Still, mein Sohn, still, die Liebe meldet sich nicht gehorsamst an und bleibt, demütig anklopfend, vor der Tür stehen, wenn sie in ein Herz einziehen will, sondern sie stürzt sich kopfüber hinein, und dann ist es vorbei, mit dem Nachdenken und dem Schutze dagegen.«

»Woraus schließest du denn, daß sie sich auch kopfüber in mein Herz stürzen könnte?«

»Franz,« rief die Tante, »sei ehrlich mit mir, da du es mit dir selbst bist – sage mir offen: hat dieses schöne, unbegreifliche Wesen nicht einen tiefen Eindruck auf dich gemacht? Aber ich will die Wahrheit hören.«

Franz errötete leicht, aber er konnte noch ruhig und mit gutem Gewissen antworten: »O ja, einen gewissen Eindruck hat sie auf mich gemacht, aber sie zu lieben, Tante, davon bin ich weiter entfernt, als du denken magst.«

»O, ich denke noch gar nicht daran, hoffentlich habe ich auch keinen Grund dazu, aber ich warne dich ja bloß, damit du nicht in Unheil geratest. Wüßtest du, wer und was sie ist – ob sie die Tochter einer Exzellenz oder eines Grafen ist, das wäre mir ganz einerlei – aber –«

»Ich bitte dich, Tante,« unterbrach sie Franz noch einmal und stand von seinem Platze auf, »laß das lieber, du ängstigst dich und mich wirklich ohne Not. Du nimmst eine Sache so ernst, die ich noch in mir selbst fast als Scherz betrachte.«

»Daß du dich nur nicht in dir selbst irrst! Ein von den Schleiern der Zukunft verhülltes Schicksal kann man nicht ernst genug nehmen, und jedes Menschen Schicksal und Zukunft, also auch die deinen, sind noch verhüllt. Doch, mein Junge, ich will aufhören, davon zu reden, ich sehe, es ist dir unangenehm, und vielleicht bin ich wirklich etwas zu weit gegangen. Doch noch ein Versprechen sollst du mir geben – willst du?«

»Gern, Tante, wenn ich es halten kann.«

»Wenn du willst, kannst du es halten. Sage es mir, wenn dein Herz einmal sprechen sollte, ob früher ob später, und laß mich die erste sein, die dir zu deinem Wohle Glück wünscht, oder, was Gott verhüte, die erste, die dich von einem falschen Schritt zurückhält, den ein fremdes Auge immer besser erkennt als das eigene. Willst du das?«

»Ja, Tante,« rief Franz heiter lachend, »das will ich, mein Wort darauf!«

»Gut, ich halte dein Wort fest. Und nun, da du wirklich herzlich lachen kannst, bin ich wieder froh, denn ich sehe, daß dieses Feuerauge dir doch noch nicht die Seele verbrannt hat.«

»Nein, meine Seele ist noch nicht verbrannt, da hast du recht, und um dir das zu beweisen, wollen wir jetzt unsern Spaziergang antreten und dabei recht heiter und guter Dinge sein.«


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