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Buchschmuck

Erstes Kapitel.
Die Geschichte eines Schleswigers.

Doktor Leo Marssen gehörte zu den Menschen, welche die Natur nicht nur in ihrem glänzenden Lichtgewande lieben und bewundern, sondern auch einen großen Genuß darin finden, in geheimnisvoller Stille der Nacht ihr Wirken und Walten zu beobachten und daraus ebensoviel Nahrung für ihren Geist, wie Befriedigung für ihr Herz zu schöpfen. So war es eine seiner, schon seit vielen Jahren befolgten Gewohnheiten, abends spät, wenn alles um ihn her schlief, ins Freie unter den klaren Sternenhimmel zu treten und mit kundigem Auge die schönen Lichtbilder da oben zu betrachten und sie auf ihren geheimnisvollen Bahnen in Gedanken zu begleiten. Oder er wandte seine Schritte auch den waldigen Bergen zu, kletterte hier und da empor und horchte mit staunendem Wohlgefallen auf die tiefen und gewaltigen Naturstimmen, die sich in ihren felsigen Klüften und Schluchten vernehmen lassen, hier wie ein leises, geisterhaftes Rauschen, dort wie ein dröhnendes Donnern erklingen, immer aber und überall die rastlose Arbeit der Natur, das Schaffen und Weben ihrer unbegreiflichen Kräfte verkünden und somit dem forschenden Menschengeiste ein ewiges, nie ganz zu lösendes und doch stets zur Lösung aufforderndes Problem hinstellen.

Diese Gewohnheit, die halbe Nacht zum Tage zu machen und dann oft bis in den späten Morgen zu schlafen, hatte Franz nicht von seinem Vater geerbt, dagegen war er ein Freund vom frühen Aufstehen, und lange bevor seine Verwandten zum Frühstück unter der Veranda zu erscheinen pflegten, war er schon aufgebrochen, um einen Spaziergang zu unternehmen, der oft, wenn ein weiteres Ziel vorgesteckt war, auch zu Pferde mit dem schnellen Schimmel ausgeführt wurde, den wir auf der Grimsel kennen gelernt haben. Die frühen Morgenausflüge unternahm Franz Marssen aber nicht nur, um sich zu vergnügen oder die Schönheiten des anbrechenden Tages zu genießen, nein, er verband damit ein ernstes Studium, er lauschte mit Bedacht, wie die Gegenstände auf den Höhen und in den Tiefen aus ihren Nebeln hervortauchten, sah die Schatten allmählich dem siegreichen Lichte weichen und die kalten bleichen Gletscher sich in den sonnigen Glanz des Tages kleiden.

Diese ihm schon seit Jahren innewohnende Liebhaberei wurde durch seinen jetzigen Wohnort außerordentlich begünstigt, denn wo kann es lohnendere Spaziergänge geben, als in der reizvollen Umgebung Interlakens, wo der schön bewaldete Rugen mit seinen malerischen Bergwegen und Fernsichten und die dahinter aufstrebenden Schneefelder der Jungfrau, des Mönchs und des Eiger so nahe liegen, wo jenseit der rauschenden Aar am Fuße des Harder entlang überall bequeme Wege bergauf und bergab führen, bis man im Westen an den herrlichen Thuner See und im Osten an den von Brienz gelangt, die früh schon mächtige Dampfboote durchpflügen und in deren klaren, blaugrünen Wellen der Morgenhimmel sich mit seinem strahlenden Licht, die ausgezackten Felsen mit ihrem zerbröckelnden Gemäuer und die ewigen Gletscher im magischen Glanze spiegeln.

An dem ersten Morgen nun, welcher ihn wieder in der Heimat fand, hatte Franz Marssen schon früh keine Ruhe mehr im Bett. Glanzvoll stieg die Sonne eben erst aus leichtem Nebelgewölk über dem Brienzer See auf, als er schon mit leisen Schritten das stille Haus verließ und seinen Weg nach dem Tale von Lauterbrunnen hin nahm, um von hier aus über den Rugen wieder zurückzukehren. Wenn auch die ernsten Unterredungen vom Abend vorher noch immer in seinem Innern nachklangen und er besonders mit inniger Teilnahme auf die arme Tante blickte, deren Schicksal ihm beklagenswerter als das seines Vaters schien, so heiterte doch der goldene Morgen und alles schöne, was er sah, seinen der Träumerei wenig geneigten Geist bald wieder auf, und als er nach anderthalb Stunden zurückkehrte, den Vater noch nicht anwesend und nur die Tante am Tisch unter der Veranda fand, nahm er fast so heiter wie sonst mit ihr das Frühstück ein, hielt sich aber nicht lange dabei auf, da Karoline keine Neigung zum Gespräch zu haben schien und er selbst lebhafter denn je an die Staffelei getrieben wurde.

So trat er denn endlich in sein Atelier wieder ein und fing sogleich die Untermalung seines neuen Gemäldes an, dessen Zeichnung ihn, als er sie prüfte, auch heute ziemlich befriedigte. Den halben Vormittag brachte er mit dieser leichten Arbeit hin und erst gegen Mittag wandte er sich zu einer schwereren, wozu ihn die Betrachtung des bewußten Porträts in seinem Skizzenbuch plötzlich veranlaßt hatte.

»Es ist wichtig, was mir soeben einfällt,« sagte er zu sich. »Die Schottin wird mir ohne Zweifel nicht zu ihrem Porträt sitzen und so will ich dasselbe beginnen, so lange die Erinnerung an sie noch frisch ist und ihre schönen Züge mir klar im Kopfe sitzen. Glücklicherweise ist diese kleine Zeichnung gut und treu, und so kann sie mir zum festen Anhaltspunkte dienen.«

Während er noch sprach, hatte er schon einen neuen, mit feiner Leinwand überspannten Blendrahmen aus dem Wandschrank hervorgeholt und fing ohne Zaudern an, das Gesicht der schönen Reisegefährtin zu zeichnen und zwar in voller Lebensgröße, die schottische Mütze mit der roten und weißen Feder auf dem Kopf, wie er es an jenem ersten Tage auf der Furca seinem Gedächtnis eingeprägt hatte. Bei dieser Arbeit aber ging er mit großer Vorsicht zu Werke; genau erwog er die Umrisse der rosigen Wangen, die feinen Linien der schwellenden Lippen, der edlen Nase und der ebenso kühn blickenden wie rein geschnittenen Augen. Aber als er auch aus dieser Zeichnung, die er mit gleicher Leidenschaft wie die erste hinwarf, die bekannten Züge ihm treu entgegenblicken sah, lächelte er vergnügt und freute sich herzlich über sein eigenes Werk, was ohne Zweifel die schönste Belohnung für den Künstler ist.

Erst gegen Mittag verließ er das kleine Haus wieder und begab sich in das Vorderhaus, wo er mit dem Vater zusammentraf, der eben seinen Patienten besucht hatte. Doktor Marssen war ungewöhnlich ernst und still an diesem Tage, obwohl es ihm nicht an Freundlichkeit gegen die Hausgenossen gebrach. Tante Karoline war ebenfalls noch viel stiller als sonst, und vermied es, so viel es sich tun ließ, dem fragenden Auge des Neffen zu begegnen. So ging das Essen sehr ruhig vorüber, und hätte Franz nicht manches von seiner letzten Reise erzählt, die beiden älteren Personen würden vielleicht kein Wort miteinander gewechselt haben – eine so große Bewegung ging in ihrem Innern vor, nachdem durch das gestrige Gespräch ihre alten Erinnerungen wieder aus dem Schlummer geweckt worden waren.

Franz war eigentlich froh, als er diesmal die Veranda wieder verlassen und sich nach seinem Malerstübchen begeben konnte. Dem Vater hatte er angemerkt, daß er innerlich seine Gedanken sammele und daß er sich vorbereite, ihm die versprochenen Eröffnungen zu machen. Daß es etwas Bedeutsames, Wichtiges und gewiß nichts Angenehmes sei, was er hören würde, unterlag jetzt bei ihm keinem Zweifel mehr und das stimmte ihn selbst ungewöhnlich ernst, und so malte und zeichnete er, um seine lästigen Nebengedanken los zu werden, mit ununterbrochenem Fleiß an den begonnenen Werken weiter, so daß der Fortschritt an beiden ein leicht erkennbarer war.

Als er aber gegen Abend, nachdem er sein Tagewerk beendigt, nach dem Vorderhause kam, fand er den Vater in überaus milder Stimmung vor. Auf seinen festen Zügen lag zwar immer noch der alte Ernst, aber sein helles Auge leuchtete wunderbar freundlich und wiederholt nickte er bei verschiedenen Gelegenheiten dem Sohne zu, woraus dieser schloß, daß die Rinde seines Herzens sich gelöst und daß er den Entschluß gefaßt habe, dieses volle Herz bald und ganz durch Mitteilung zu erleichtern.

Darin hatte er sich auch nicht geirrt. Als das Abendessen zu Ende war und Franz in den Garten hinaustrat, über den eben die ernsten Sterne ihren funkelnden Glanz ausstreuten, trat Doktor Marssen leise hinter ihm her, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte mit halb unterdrückter Stimme:

»Bist du bereit, mein Sohn, und hast du ein paar Stunden Zeit für mich?«

»Du hast über meine ganze Zeit zu gebieten, Vater,« lautete die Antwort. »Wenn du in der Stimmung bist, mir deine Geschichte zu erzählen, so gestehe ich dir, daß ich sie schon lange mit großer Spannung erwarte.«

»Komm!« sagte der Vater, faßte seinen Arm und führte ihn abseits, nachdem er der Schwester ein herzliches: »Gute Nacht, Karoline!« zugerufen hatte.

»Wohin gehst du, mein Vater?« fragte Franz, der sich wunderte, daß dieser nicht den Weg nach seinem eigenen Zimmer einschlug.

»Folge mir nur – ich will dich an einen Ort führen, wo nichts von außen her deine Aufmerksamkeit ablenkt und wo wir vollständig ungestört unser Werk beginnen und vollenden können. Ich möchte wenigstens überzeugt sein, daß Karoline kein Wort meiner Erzählung vernimmt, es würde ihr manches aus meinem Munde herbe und hart klingen und eine schmerzliche Erinnerung in ihrem Herzen wieder erwecken.«

»Ah, du willst ins Atelier!« rief Franz, der das Ziel endlich erriet, welches der Doktor diesmal im Auge hatte.

»Dahin will ich, ja; bist du doch gewöhnt, dich in diesem stillen traulichen Raum nur ernsten Gedanken und Bestrebungen hinzugeben und dich ganz deinem inneren Genius zu weihen. Nun, was ich dir sagen werde, ist auch ernst, und wenn ein guter Genius über meinen Worten waltet, dann denke ich wird es mir gelingen, dir die Überzeugung beizubringen, daß dein Vater nicht das herbe Schicksal verdient hat, welchem er so viele Jahre seines Lebens unterworfen gewesen ist. So, da sind wir. Geh voran und schließ uns die Tür auf.«

Franz gehorchte dem Vater und bald standen sie oben in dem Zimmer. »Soll ich Licht machen und willst du dich nicht auf das Sofa setzen?« fragte der Sohn.

»Nein, Franz, nicht auf dem Sofa will ich sitzen und du sollst auch kein Licht anzünden. Sieh hier –« und er öffnete an dem Fenster, wo Franz zu malen pflegte, beide Flügel, worauf dieser, als er seines Vaters Absicht erriet, sogleich die Staffelei zurückzog und zwei Stühle an das offene Fenster stellte. »Sieh hier, mein Sohn, diese kleinen Lichter da oben sind hell genug, mir bei meiner Erzählung zu leuchten. Es sind Gottes Augen, welche, während ich spreche, in meine Seele schauen und mich erinnern werden, nur die Wahrheit kund zu tun.«

Er hatte sich schon auf einen Stuhl gesetzt und Franz nahm den ihm gegenüberstehenden ein. Draußen auf dem öden Garten des Nachbars lag eine stille, sternenklare, süßmilde Nacht. Wie ein dunkelblauer Nebelstreif zog sich das Gebirge jenseit der Aar am scharf abgeschnittenen Horizonte hin und hier und da, wie neugierige Augen, blickten goldene Punkte herüber, die ohne alles Gewölk frei im unendlichen Raume schwebten. Still, überaus still war es ringsum, höchstens ein zirpendes Insekt ließ von Zeit zu Zeit seine Stimme aus dem Grase vernehmen. Nur von der Seite her, wo die gewaltigen Schneeberge sich auftürmten, grollte bisweilen ein dumpf dröhnender Ton herüber, aber, durch die Ferne gedämpft, lautete er wie eine sanfte Musik, gleich dem abziehenden Gewitter, das seine rollenden hinsterbenden Kadenzen in stiller Nacht oft wie melodischer Orgelton herüber schwingen läßt.

»Mein Sohn,« begann Doktor Marssen mit seiner tiefen und klaren Stimme zu sprechen, »du siehst mich jetzt in ruhigen und glücklichen Verhältnissen, sowohl was meine innere Gemütsstimmung wie meine äußere Lage betrifft. So ist es mir nicht immer ergangen und erst seit wenigen Jahren befinde ich mich in dieser ruhigen Stimmung und in dieser vorteilhaften Lage. Auch ist der Weg dahin weder eben, noch leicht zu überwinden gewesen, im Gegenteil, ich habe über steile Berge klettern, über tiefe Abgründe springen und durch stürmisch bewegte Fluten schwimmen müssen, bevor ich in den Hafen der Ruhe einlief. Wenn ich dir diese Schwierigkeiten, die ich besiegen mußte, der Reihe nach und der Wahrheit gemäß erzähle, so glaube nicht, daß ich die Bitterkeit, die mir mein Leben vergiftet, auch in dein junges Herz pflanzen will, das so offen und mutig, so hoffnungsvoll und siegesgewiß dem Leben ins Angesicht blickt. Auch will ich dich nicht aufregen gegen die Feinde unseres Vaterlandes, dich nicht zu Haß und Feindschaft, weder gegen eine ganze Nation, noch gegen einzelne Menschen, die mir am wehsten getan, anstacheln; nein, ich will dir einfach mitteilen, was mir widerfahren ist und warum du mich hier so fern von meiner teuren Heimat, in einem fremden Lande leben siehst. Vieles, was du hören wirst, mag dir bekannt sein, und manches, wenn du darüber nachdenkst, wird in deiner Erinnerung wieder lebendig werden, was nur noch wie ein dunkles Echo aus früherer Zeit in deinem Geiste nachklingt; das ganze aber, wie ich es dir in einem Gusse, das eine aus dem anderen folgen lassend, mitteilen werde, wird dir immerhin neu sein, so daß du die Aufmerksamkeit und die Geduld, welche du meiner Erzählung schenken mußt, am Ende nicht bereuen wirst.

Du weißt, daß ich und Karoline, meine einzige Schwester, geborene Schleswiger sind und daß wir früh verwaisten und in fremde Hände gerieten. Glücklicherweise waren es vortreffliche Hände, und alles gute, was uns zuteil ward, verdanken wir ihnen, obgleich leider auch alles böse, was uns heimsuchte, aus derselben Quelle floß, ohne daß wir sie deshalb verantwortlich machen dürfen.

Alle meine Vorfahren väterlicher Seite, so weit ich ihre Reihe verfolgen kann, waren Ärzte und zum Teil in Schleswig ansässig, zum Teil in der dänischen Marine dienend, da ein großer Teil von ihnen dem Seewesen von ganzem Herzen ergeben war. Und das ist ja natürlich. Von beiden Seiten umgürten unser kleine Land die blauen Wellen, wir sehen sie täglich vor Augen, wir hören alle Nächte ihr Gebraus, sie bringen uns Segen und Gedeihen ins Land – versteht es sich da nicht ganz von selbst, daß wir sie lieben und ihnen vertrauen lernen?

Auch mein Vater diente als rühmlich bekannter Arzt auf verschiedenen Schiffen, machte weite Reisen über ferne Meere und kehrte nur von Zeit zu Zeit nach Apenrade zurück, wo seine Familie seit langen Jahren heimisch gewesen war. Was seine Mittel betrifft, so reichten sie hin, ihm ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen, denn er hatte von seiner Mutter eine kleine Erbschaft gemacht, die auch auf mich übergegangen ist, die ich jedoch in späteren Jahren Karolinen allein überließ, und das ist das kleine Kapital, welches sie ursprünglich besitzt, wovon sie noch jetzt zum Teil lebt und an welches kein Mensch sonst auf Erden irgend einen Anspruch erheben kann.

Doch ich muß noch einmal zu meinem Vater zurückkehren, über den ich leider nur wenige Worte sagen kann, da ich ihn allzu früh verloren habe und ihn kaum aus eigener Anschauung zu schildern vermag. Im Jahre 1801 war er in jungen Jahren Arzt auf einer königlichen Korvette und machte auf derselben die blutige Seeschlacht bei Kopenhagen mit. Ein Offizier dieses Schiffes war schon damals sein bester Freund und in den schwersten Stunden der Gefahr, die sie Seite an Seite teilten, schlossen sie ihr Seelenbündnis für immer und dieses Bündnis hat gedauert und ist nie in irgend einer Weise gelockert worden, bis über den Tod des einen von ihnen hinaus, da die Liebe jenes Mannes von meinem zuerst gestorbenen Vater auf uns, seine Kinder, überging. Die Hände dieses Ehrenmannes, den ich wie meinen zweiten Vater achten und lieben gelernt habe, waren es auch, denen wir nach dem Tode des ersten überlassen blieben, und er ist es also, dem wir alles gute, was uns in frühster Jugend widerfuhr, vor allen Dingen aber unsre spätere Erziehung und was sich daran knüpft, verdanken.

Eine solche Freundschaft wie ich sie dir eben angedeutet, kommt öfter zwischen zwei Männern vor, sie wäre daher nichts besonders Bemerkenswertes gewesen, wenn diese Männer nicht verschiedenen Nationen angehört hätten, Nationen, die jetzt seit langer Zeit in erbittertstem Kampfe miteinander liegen. Mein Vater, Leo Marssen nämlich, war von Geburt ein Schleswiger, also ein Deutscher, und Olaf, Baron Juell Wind, war ein Seeländer, das heißt ein Däne. Damit ist alles gesagt, nur nicht, daß dieser Däne ein braver Kamerad, ein hochherziger Freund, ein edler Mensch im weitesten Sinne des Wortes war.

Das für Dänemark so verhängnisvolle Jahr 1807 fand die beiden Freunde wieder auf einem und demselben Schiffe, einer stattlichen Fregatte, auf der Juell Wind Kapitän und mein Vater erster Arzt war. Beide, nebeneinander auf dem Deck stehend, wurden bei dem Bombardement von Kopenhagen von einer und derselben Kugel schwer verwundet, dann nach einem Lazarett in Jütland gebracht und mußten infolge ihrer Wunden aus dem königlichen Dienst scheiden. Auch jetzt, zu gleicher Zeit geheilt, verließen sie Hand in Hand das Hospital und beschlossen, ihr Leben fernerhin auch in Ruhe zusammen zu verbringen, wie sie es bisher unter Kämpfen und Sorgen verbracht.

Meinen Vater zog die alte Heimat unwiderstehlich an, und Baron Juell Wind, dem es einerlei war, wo er lebte, da niemand aus seiner Verwandtschaft störend eingreifen konnte, folgte ihm dahin. Mein Vater ließ sich, obwohl eines Armes beraubt, in Apenrade als Arzt nieder, und Juell Wind kaufte mit seinen reichen Mitteln ein herrliches Gut, Harup, in unmittelbarer Nähe der Stadt und an dem schönen Meerbusen gelegen, den auch du als Kind so oft geschaut hast.

Im Jahre 1808, ein Jahr nach ihrer Verwundung, heirateten beide Freunde an einem Tage und wurden von demselben Geistlichen in einer Kirche getraut, nur war der Unterschied der, daß mein Vater eine Deutsche aus Apenrade, Juell Wind eine Dänin aus Horsens ehelichte, die sich damals in Apenrade aufhielt und zufällig die innigste Freundin der Geliebten meines Vaters war. So hatte die alte Freundschaft einen neuen Anreiz erhalten und die beiden Familien lebten in herzinnigster Eintracht, sechs Jahre hindurch, als leider meine Mutter starb, nachdem sie eben erst meiner Schwester Karoline das Leben gegeben hatte.

Durch diesen Todesfall verdüsterte sich das Gemüt meines Vaters und er gab seine Praxis auf und zog auf das Landgut seines Freundes Juell Wind, der auf diesen Wechsel bestanden hatte und nun seine brave Frau für uns kleine Waisen sorgen und unsere Erziehung leiten ließ. Die Ehe des Freundes meines Vaters war nur durch einen Sohn gesegnet, Rolf Juell Wind ist mit mir in einem Jahre und sogar in demselben Monat geboren.

Ich muß hier noch einmal auf die Nationalität des alten Barons zurückkommen, da derselbe gewisse gute Eigenschaften besaß, die sonst nicht oder nur sehr selten unter seinen Landsleuten gefunden werden. Olaf Juell Wind war ein geborener Däne und hatte auch eine Dänin zur Frau. Er liebte sein Vaterland, wie es nur ein Mann lieben kann, aber er vergötterte es nicht, denn er war kein Fanatiker, wie es so viele Dänen sind, er glaubte nicht, daß die Sonne Gottes allein für Dänemark aufgehe und daß sein Volk das einzig auserlesene Volk der Neuzeit sei, wie es die Juden im Altertum waren. Nein, er war ein denkender Mann mit klarem Verstande und gerechtem, biederem Herzen. Er hielt Augen und Ohren offen, er erkannte alles, was gut und was schlecht war, und ehe er sein Urteil über einen Menschen oder eine Sache aussprach, prüfte er sie genau; hatte er aber erst einmal eine Überzeugung gewonnen, so hielt er sie fest bis ans Ende, mit zäher Gewalt, denn zähe war auch er, wie nur ein Däne es sein kann, und das kann eine nationale Tugend werden, wenn sich diese Zähigkeit in den Schranken des Gesetzes, der Gerechtigkeit und des gesunden Menschenverstandes bewegt.

Der Kampf, den heutzutage schon ein Menschenalter hindurch die deutsche und dänische Nation miteinander führen, war damals noch nicht ins Leben getreten, wenigstens wurden die Meinungen über Deutsch und Dänisch noch nicht mit der Erbitterung ausgetauscht, wie es seit 1830 der Fall ist. Indessen tauchte doch schon in leisen Anfängen eine allmähliche Sonderung beider Nationalitäten auf, und es gab Leute, die, ohne Einsicht in die Sachlage zu haben, auf der Seite der Dänen, und andere, die auf der Seite der Deutschen standen. Wenn mein Vater nun stets und unabänderlich sein eigenes Vaterland verfocht, Olaf Juell Wind verfocht es mit ihm, wenn er es im Rechte glaubte; hatte Doktor Marssen aber nach seiner Überzeugung unrecht, so trat er ihm fest und männlich entgegen. Juell Wind war also ebensogut deutsch wie dänisch gesinnt, vollständig parteilos schätzte er das Gute an beiden Nationen, aber er tadelte stets und unverhohlen, wo es seiner Meinung nach etwas zu tadeln gab.

Den Beweis davon werde ich dir jedoch erst später liefern können, denn die Zeit, von der ich bis jetzt sprach, lag noch weit vom Jahre 1830 entfernt, und bis dahin lebte man in Dänemark wie in Schleswig ziemlich gemütlich, wenngleich nicht zu verkennen war, daß es viele eingewanderte Dänen unter uns gab, welche die Unparteilichkeit des Barons nicht gutheißen konnten, es vielmehr lieber gesehen hätten, wenn er ein ebenso großer Dänomane wie Deutschenfresser gewesen und geworden wäre, wie es die meisten von ihnen waren oder wurden. Allein Juell Wind lebte, unbekümmert um die Ansichten seiner Nachbarn, ruhig fort, und da er ein überaus gebildeter Mann war, seine größte Bildung aber von deutschen Männern und aus deutschen Büchern erhalten hatte und noch erhielt, so war er der Überzeugung, daß auch das ganze dänische Volk sich mehr um deutsche Bildung bemühen müsse und daß Dänemark in dieser Beziehung nur ein kleines unscheinbares Licht gegen die große germanische Sonne sei, die ihr Leuchten nach allen Richtungen ausstrahlte und mit ihren Einflüssen allmählich und langsam auf alle Schichten fremder Nationen wirkte, wie die Wärme der wirklichen Sonne allmählich auch die kältesten Gegenstände durchdringt.

Diese Wertschätzung germanischer Bildung konnten die dänisch gesinnten Nachbarn dem Baron Juell Wind um so weniger verzeihen, als er mit der Zeit ein überaus vermögender Mann geworden war und dadurch einen großen Einfluß auf seine ganze Umgebung gewonnen hatte. Zwei alte Tanten in Jütland starben und setzten den wackeren Seehelden mit dem Stelzfuß zu ihrem Erben ein. Diese Erbschaft fiel gerade in eine traurige Zeit, denn auch die Gattin Olafs starb, und nun waren die beiden Freunde allein auf dem stillen Gute, das nur durch die Anwesenheit ihrer Kinder und deren Erziehung belebt wurde, der die beiden Väter ihre ganze Aufmerksamkeit schenkten. Indessen war die Energie Olafs durch den Tod seiner Frau bei weitem nicht so, wie die meines Vaters durch den Verlust meiner Mutter erschüttert worden. Viel weniger Gemütsmensch als dieser, betrachtete er das Abscheiden seiner Gattin mehr als eine unabänderliche Naturnotwendigkeit, und beschäftigte sich nun um so mehr mit uns Kindern, von denen er Karolinen am zärtlichsten, viel zärtlicher sogar als seinen eigenen Sohn liebte, obwohl dieser in seiner Kindheit ein liebenswürdiger Knabe und später ein hoffnungsvoller Jüngling wurde, welche Hoffnung freilich das Jahr 1830 auf eine sehr unerwartete Weise in den Augen seines Vaters zerstören sollte. Doch davon sogleich ein Näheres.

Rolf Juell Wind nun, der in unserm Leben eine so verhängnisvolle Rolle spielen sollte, war in seiner Jugend ein gefügiger und leicht lenksamer Mensch von gerade nicht großen Fähigkeiten, dafür aber mit leicht auflodernden Leidenschaften begabt, die nur von dem ernsten und in allen wichtigen Dingen entschieden auftretenden Vater gezügelt wurden. Wir Knaben waren uns herzlich zugetan, und unsere Liebe konzentrierte sich in Karolinen, der Rolf sich mit frühzeitiger Zärtlichkeit ergeben zeigte. Daß er ein Däne und ich ein Deutscher sei, davon war zwischen uns niemals die Rede, und in späteren Jahren, als wir einen Hauslehrer bekamen, trat sein Vater bei einer Gelegenheit so energisch gegen die nationale Vorliebe desselben auf, daß Rolf um so weniger wagte, seiner Nation auf Kosten der meinigen ein Loblied zu singen. Im ganzen lebten wir wie wirkliche Brüder zusammen, ja, wir liebten uns mit den Jahren mehr und mehr, namentlich, als wir einige Jahre nach dem Tode meines Vaters Harup verlassen mußten und zu einem angesehenen Schulmann in Apenrade in Pension kamen, wo wir nun in der Erinnerung an unser idyllisches Landleben schwärmten und für die Zukunft großartige Pläne in dieser Beziehung schmiedeten, die leider niemals erfüllt werden sollten, wie ja so viele Luftschlösser junger Leute eben nur in der Luft schweben bleiben.

Sonntags wurden wir in der Regel zu Wagen nach Harup geholt, und auch die Ferienzeit brachten wir auf dem Landsitz zu, der allmählich ein ganz anderes Ansehen erhielt, da der Baron sich ein schönes Schloß erbauen ließ und zwei gebildete Damen, die eine aus Kopenhagen, die andere aus Hamburg bei sich aufgenommen hatte, um nichts zu versäumen, was für Karolinens Erziehung von Vorteil sein konnte. Die Tage unseres Besuches auf Harup waren Feiertage, wir waren glücklich in unsern jugendlichen Träumen und hatten keine Ahnung, daß einst eine Zeit kommen könnte, die denselben ein schreckliches Ende bereiten sollte.

So wuchsen wir allmählich heran und die Stunde war nicht fern, wo wir uns zu einem ernsteren Lebensberuf entscheiden mußten. Ich hatte schon lange meinen Wunsch ausgesprochen, in die Laufbahn meines guten Vaters zu treten, und Rolf zeigte Neigung zur Rechtswissenschaft, womit sein Vater einverstanden war, wie dieser brave Mann den vernünftigen Wünschen seiner Familienglieder niemals entgegentrat.

Wir gingen nach Kiel ab und wurden fleißige Studenten. In den ersten zwei Jahren ereignete sich nichts von Bedeutung, als daß wir alljährlich eine Reise nach Kopenhagen oder Stockholm machten, die kürzeren Ferien aber stets auf Harup im stillen Familienkreise zubrachten. In Bezug auf unsere Studiengelder genoß Rolf keinen Vorzug vor mir; sein Vater gab mir alles, was ich brauchte, als ob ich sein eigener Sohn wäre, und von meinem kleinen väterlichen Vermögen, das er selbst verwaltete, durfte ich damals keinen Schilling anrühren.

Am Ende des zweiten Jahres unserer Universitätsstudien aber sollte etwas geschehen, was das ganze Verhältnis, wie es bisher zwischen uns bestanden, zu untergraben und allmählich die Zerwürfnisse herbeizuführen bestimmt war, an deren Folgen meine Existenz in Schleswig zugrunde gegangen ist.

Wie es auf Universitäten zu geschehen pflegt, so tauchten auch damals in Kiel – es war die Zeit der französischen Julirevolution – schon verschiedene Verbindungen unter den Studierenden auf, die anfangs wenig in die Äußerlichkeit drangen, aber im stillen von der dänischen Bewegungspartei unterstützt wurden, insofern der von verschiedenen Seiten aufgestachelte Danismus dadurch gestärkt und befördert werden sollte. Und nun bin ich zu dem verhängnisvollen Zeitpunkt gekommen, mein Sohn, von wo die Zerrüttungen in unserm armen Vaterlande sich eigentlich herschreiben, und gerade Rolf und ich waren dazu ausersehen, in einen Strudel von Aufregung zu geraten, der uns endlich äußerlich wie innerlich trennte, obwohl wir anfangs uns noch bestrebten, unser Verhältnis den Augen aller zu verhüllen und namentlich den alten Baron Juell Wind darüber in Unkenntnis zu lassen.

Mit einem Wort, es war der November des Jahres 1830 gekommen, und Uwe Lornsen, der berühmte Agitator von Sylt, erschien in Kiel, um die große Leuchte auszuhängen, die uns mit einem Mal klar machte, daß unter dänischem Szepter und dänischer Gewalt Deutsche lebten, die nicht wie eingeborene Landeskinder, sondern wie fremde und ungeliebte Stiefkinder behandelt wurden. Damals war es, wo er mit seiner alles besiegenden und bezwingenden Rednergabe zum erstenmal das magische Wort »Schleswig-Holstein« aussprach und daran die Forderung knüpfte, den unterdrückten Deutschen eine freie, ihnen längst verheißene Verfassung zu geben, um sie dadurch vor der Willkür der Dänen ein für allemal sicherzustellen.

Ich brauche dir nicht zu sagen, mein Sohn, welche Wirkung dieser Mann von anerkannt untadelhaftem Charakter und erprobter Rechtschaffenheit, mit seiner gewinnenden Persönlichkeit, mit seiner Überzeugung von unserm Rechte und seiner glühenden Vaterlandsliebe hervorbrachte. Es war eine Flamme, die er vom Himmel herunterholte und als einen zündenden Brand in die verwunderungsvoll aufhorchenden Gemüter der Menschen schleuderte. Auf einen Schlag waren alle Augen sehend geworden, der Vorhang, der ihnen so lange die Wahrheit verdeckt, war zerrissen, und aus dem dänischen Gesamtstaate tauchte wie eine neu entdeckte Insel im Weltmeer der kleine deutsche Staat Schleswig-Holstein auf. –

Natürlich wurden durch diesen Vorgang in Kiel Parteien im ganzen Lande geschaffen; Für und Wider machte sich fast augenblicklich geltend. Hände hoben sich gegen Hände, Geister gegen Geister auf, und leider wurden auch die Herzen davon ergriffen, und das sollten wir beide, meine arme Schwester und ich selber, am schmerzlichsten empfinden.

Ich war natürlich auch ein Zuhörer von Uwe Lornsen gewesen, aber ich gab meine Freude über seine Vorträge nicht laut zu erkennen. Ich war an ein stilles langsames Ergründen ewiger Wahrheiten gewöhnt und konnte mich nicht so schnell wie andere in den urplötzlich aufwirbelnden Geistesstrudel finden. Um so jäher und wilder stürzte sich, wider mein Wissen, Rolf in denselben hinein; alle seine bisher gezügelten Leidenschaften hatten über Nacht ein bedeutsames Ziel gefunden und brachen nun auf einmal dagegen los, und bald hatte er sich so weit verstrickt, daß er selbst seine Besinnung, und damit alle Möglichkeit verlor, jemals wieder auf den Standpunkt ruhiger Überlegung zurückzukehren. Kein Däne war damals fanatischer, deutschenfeindlicher als er, und um so größer ward, anfangs unmerklich, die Scheidewand zwischen uns, da ich fast nur meinen Studien oblag, mich wenig um das politische Gebahren der Mehrzahl bekümmerte, Rolf dagegen sich in politische Klubs mit wüsten Gelagen stürzte, die dem hochverräterischen Uwe und allen seinen Anhängern Rache und Verfolgung predigten.

Vielleicht wäre der Zwiespalt zwischen uns nicht so arg geworden, wenn Rolf ehrlicher und offener gegen mich zu Werke gegangen wäre und mir die Wandelung seiner Ansichten nicht verborgen hätte; so aber nahm er von vornherein an, ich als geborner Deutscher sei auch sein geborner Feind, zwischen uns könne ferner keine Gemeinschaft mehr bestehen und es sei daher überflüssig, über unsere Empfindungen und Ansichten noch Worte austauschen zu wollen. Ja, hätte ich eine vollkommene Kenntnis der Umwandlung seines Wesens gehabt, ich hätte mich hüten können, ich würde zwar mit Schmerz den schnöden Traum, daß er mein bester Freund sei, aufgegeben haben, aber ich würde nicht in die bodenlose Tiefe gestürzt sein, die mich allmählich zermalmen und zuletzt verschlingen sollte.

Doch hier muß ich etwas anderes einschalten, wovon ich bisher noch nicht gesprochen habe. Schon lange bevor Rolf und ich die Universität bezogen, war der sehnlichste Wunsch in dem alten Baron erwacht, Karolinen, seinen entschiedenen Liebling, mit seinem Sohne durch ein dauerndes Band vereinigt zu sehen, und die sichtbare Neigung der jungen Leute zueinander bestärkte ihn in diesem Wunsch. Beide verknüpfte ja von Jugend an eine zarte, reine Liebe und auch von mir, wie von uns allen, wurden sie von Anfang an als künftige Gatten betrachtet.

Mit welcher Innigkeit Rolf an Karolinen hing, lasse ich dahingestellt, auch habe ich keinen Grund, anzunehmen, daß seine Liebe für sie eine geheuchelte oder eine bloß vorübergehende jugendliche Verirrung gewesen sei. Nein, er liebte sie wirklich, und gerade die Überzeugung, daß er sie wirklich liebte, erhöhte in unsern Augen die Verwerflichkeit seiner späteren Handlungsweise und ließ uns an der Güte seines Herzens zweifeln. Wie aber Karoline diesem Manne ergeben war, davon will ich kaum zu reden wagen, denn ihre Liebe, ihre Hingebung, ihr gänzliches Aufgehen in diesen jugendlich schönen Mann läßt sich nicht mit Worten beschreiben. Wenn du weißt, und du mußt es wissen, wie Karoline jetzt in ihrem Alter die ihr Zugehörigen zu lieben, für sie zu sorgen versteht, wie sie sich jeden Augenblick für sie zu opfern bereit ist, dann kannst du dir eine Vorstellung machen, mit welcher Wärme und Innigkeit dieses sanfte Wesen einem Manne anhängen konnte, den sie für das Ideal ihres ganzen Lebens und für das Endziel aller ihrer Hoffnungen hielt.

Genug, gerade zu dieser Zeit, als Uwe Lornsen die Köpfe in Kiel in Feuer und Flammen setzte und als ich ohne allen Argwohn, wenngleich in geringerem Maße als sonst, meinen Verkehr mit Rolf fortsetzte, der seinerseits mich schon auffallend zu meiden anfing, wurde dem alten Baron, ich weiß nicht, von wem es ausging, der Vorschlag gemacht, uns beide nach Kopenhagen zu senden, um uns dort unsere Studien beenden zu lassen. Der Baron wollte gegen diesen, ihm ganz unverfänglich scheinenden Vorschlag nichts einwenden, wenn wir selbst damit einverstanden wären, zumal es ja eine ausgemachte Sache war, daß wir uns einst im Lande niederlassen und hier oder da in den Staatsdienst treten würden.

So wurden wir denn nach Harup beschieden und die verhängnisvolle Frage wurde an uns gerichtet. Rolf stimmte, ohne einen Augenblick nachzudenken, der Aufforderung, nach Kopenhagen zu gehen, bei, ich dagegen, der ich schon lange gewünscht, in Berlin meine Studien zu vollenden, sprach nach einigem Besinnen diesen Gedanken aus, und Juell Wind, der Vater, war gütig genug, uns beiden die Erfüllung unserer Wünsche zu gewähren. Nur hatte er vorher noch eine längere Unterredung mit seinem Sohne, die, wie ich sehr bald erfuhr, Karolinen betraf, und da Rolf ihm seine Liebe zu derselben wiederholt beteuerte, so bestand der alte Herr auf eine öffentliche Verlobung, wahrscheinlich mit aus dem Grunde, um seinen heißblütigen Sohn dadurch vor anderen unliebsameren Verbindungen in der dänischen Hauptstadt zu bewahren.

Karoline wurde gerufen und um ihre Meinung befragt. Sie schwamm natürlich in Wonne und gelobte ewige Treue und Anhänglichkeit an des Barons Haus und seinen einzigen Sohn. So teilte man denn auch mir das Vorhergehende mit, und wir feierten ein großes Fest, an dem die ganze Nachbarschaft teilnahm. Ach, es war dies das letzte glückliche Familienfest auf dem Schlosse zu Harup und kein Mensch ahnte, welche Folgen sich daran knüpfen würden. Wie Karoline überglücklich, ja selig am Arm ihres Geliebten erschien, so sah auch Rolf ziemlich befriedigt aus, ich aber wurde zum erstenmal von einem seltsamen Gefühl beunruhigt, denn ein gewisses Mißbehagen an Rolf, der sich mir niemals mehr wie früher mit der alten Wärme näherte, fing an, wie eine leise aufdämmernde Ahnung von etwas Unheimlichem in meinem Herzen Platz zu greifen.

Rolf reiste nach Kopenhagen, ich nach Berlin, wo ich meine Studien beendete und dann nach Kiel zurückkehrte, um meine gesetzlichen Prüfungen abzulegen. Als dies mit Erfolg geschehen war und ich darauf Harup besuchte, empfing mich der alte Baron mit großer Herzlichkeit, übergab mir mein kleines Vermögen und beschenkte mich außerdem mit einer großen Summe Geldes, um davon Reisen im Auslande zu machen, bevor ich mich in der Heimat als Arzt niederließ. So sah ich Prag, Wien, Paris und London, und innerhalb dreier Jahre sammelte ich reiche Erfahrungen in meinem Fach, die ich im Vaterlande am besten verwerten zu können hoffte. Achtundzwanzig Jahre alt, kehrte ich dahin zurück und fand in Harup alles gesund und anscheinend in bester Verfassung vor. Bald darauf ließ ich mich in Apenrade als Arzt nieder, und vier oder fünf Jahre später lernte ich deine Mutter, die Tochter des ersten Geistlichen der Stadt, kennen, verband mich mit ihr und du erblicktest das Licht der Welt.

Über die damaligen Zeiten brauche ich nur wenige Worte zu machen. Alles in allem genommen, waren wir zufrieden. Der gute Erfolg in meinem Beruf machte mich glücklich und mein behagliches Familienleben ließ nichts zu wünschen übrig. Da ich rasch überall Eingang fand, so erwarb ich, nicht mühelos, aber doch ohne Anstrengung, ein hübsches Vermögen, was noch dadurch wuchs, daß deine Mutter, die Nichte eines wohlhabenden Apothekers, ihren Onkel beerbte. Auch von anderer Seite her ging es mir gut. Durch Baron Juell Winds Verwendung, der nach wie vor mein väterlicher Freund blieb und im Alter die Empfindungen und Ansichten der Jugend treu bewahrte, wurde ich Amtsphysikus, und nun war mir mein irdisches Los ein durchaus angenehmes und ungetrübtes – so dachte ich wenigstens damals, denn bis dahin hatte ich nur die Lichtseiten des Lebens kennen gelernt.«

Der Erzählende machte hier eine Pause und holte tief Atem, als müsse er sich zum weiteren Vortrage stärken. »Wo aber blieb Rolf?« fragte Franz nach einer Weile.

Doktor Marssen rückte unruhig hin und her, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und sagte dann: »Höre weiter und frage nicht. Rolf – ach ja, Rolf – hatte in Kopenhagen den richtigen Weg gefunden, um eine schnelle und gute Karriere zu machen. Auch er überstand seine Examina und ward bald darauf Hilfsarbeiter im Ministerium des Äußern, eine Stellung, die seinem Vater und seiner Braut weniger zusagte als ihm, da beide seine Rückkehr nach Schleswig schon lange sehnlichst erwartet hatten, um ihn in ihrer Nähe zu haben. Erst auf wiederholte Bitten seines Vaters entschloß er sich einmal, auf einige Tage herüberzukommen. Aber das sollten keine Freudentage für die beiden sein. Er kam – warum soll ich viele Worte darüber machen – als Däne und nur als Däne nach Schleswig, mit einem Groll gegen alle Deutschen im Herzen, der sich in jedem seiner Worte verriet. Gegen seinen Vater versuchte er freilich noch ein Hehl aus seiner Denkweise zu machen, aber seine Braut setzte er offen von der patriotischen Richtung seiner Gesinnung in Kenntnis und ermahnte sie sogar mit halb drohenden Worten, dahin zu wirken, daß auch sein Vater, vor allen aber ich diesen Weg beträten, da es mir sonst schlecht ergehen könnte.

»Aber wie kann ich denn das?« fragte ihn eines Tages das arme liebende Mädchen, das sich bisher noch nie in seinem Leben mit politischen Dingen beschäftigt hatte. »Dein Vater sowohl wie mein Bruder sind feste und reife Männer, sie haben ihre Überzeugungen für sich, und es möchte schwerhalten, ihnen andere beizubringen.«

»Ach was,« erwiderte er, »politische Überzeugungen sind unumstößliche Grundsätze, wenn sie falsch sind. Sieh mich an, ich habe meine jugendliche falsche Überzeugung auch gebessert und befinde mich nicht schlecht dabei. Gerade diese Abschwörung alles deutschen Interesses wird mir eine große, glänzende Laufbahn öffnen, und du sollst mit mir in dieselbe eintreten, – wenn du nämlich willst.«

Meine Schwester, auf das heftigste bewegt, verließ ihren sie herrisch behandelnden Bräutigam weinend und wollte sich eben in ihr Zimmer einschließen, als der alte Baron sie rufen ließ, um irgend etwas mit ihr zu besprechen. Diesem Gebote mußte gehorcht werden. Karoline verbarg ihre Tränen, so gut es ging, und trat an das Lager des alten Herrn, der damals gerade in seinem einzigen, ihm übrig gebliebenen Bein an der Gicht litt. Aber sein Auge war hell und scharf geblieben, und sein Herz schlug liebevoll in Bezug auf alles, was Karolinen betraf, und so fragte er sie, warum sie geweint habe. Sie wollte nicht mit der Sprache heraus, aber der Baron, mochte er nun eine Ahnung von dem Vorgefallenen haben oder nicht, drang mit seinem gewohnten festen, unwiderstehlichen Wesen so lange in sie ein, bis er wußte, was geschehen war.

Baron Juell Wind, als er diese Mitteilung erhielt, senkte schweigend den Kopf und hieß meine Schwester sich entfernen. An ihrer Stelle mußte Rolf erscheinen, und es entspann sich nun eine Szene zwischen Vater und Sohn, wie sie noch niemals in Harup vorgekommen war. Zum ersten Mal in seinem Leben trat Rolf rücksichtslos auch gegen den alten Vater mit seiner Gesinnung hervor, bekannte sich zum wahren, einzigen, unteilbaren Dänentum und legte einen Trotz und eine gefühllose Härte gegen den alten Mann an den Tag, daß dieser fast erschrak und schwieg, aber bald darauf, nicht weniger hartnäckig als sein Sohn, die Keime von Entschlüssen in sich vorbereitete, die letzterem verderblicher werden sollten, als er in seinem übermütigen Stolz vielleicht damals denken mochte.

Am anderen Tage erbat sich Rolf noch eine Unterredung mit seinem Vater, und in dieser beanspruchte er die vollständige Auszahlung seines mütterlichen Vermögens, wovon er bisher nur die Zinsen erhalten hatte. Der Baron, in Geldangelegenheiten bis auf einen gewissen Punkt willfährig, verzog keine Miene und überwies ihm das gerade nicht sehr große Kapital, und wenige Stunden darauf reiste Rolf nach Kopenhagen zurück, um sich daselbst im dänischen Übermut gegen Schleswig zu vervollkommnen und alle Mäßigung, wie er sie in solchen Dingen von seinem Vater so oft predigen gehört, in den Wind zu schlagen und mit flottem Segel seinem erhabenen Ziele zuzusteuern.

Der Alte grollte im stillen, aber er sprach kein Wort über seinen Sohn, weder mit Karolinen, noch mit mir, der ich täglich zu ihm hinausfuhr und ihn in seiner Krankheit ärztlich behandelte. Nur wandte sich seine Liebe noch sichtbarer uns beiden, vorzüglich aber Karolinen zu, er konnte es kaum noch eine Stunde ohne sie aushalten, und morgens sandte er oft schon um fünf Uhr einen Boten in ihr Zimmer ab, um sie benachrichtigen zu lassen, daß der neue Tag angebrochen sei und daß es einen armen Kranken gebe, der Verlangen nach ihr habe. An seinen Tod dachte er damals noch nicht, denn er war trotz seiner früheren Verwundung und seiner jetzigen Krankheit noch rüstig, liebte das Leben und hoffte, dasselbe noch so lange zu genießen, bis – Rolf von Kopenhagen zurückkehrte, Harup übernähme und an Karolinens Seite ein glücklicher Mann würde. Dennoch aber fing er allmählich an, Karolinens Zukunft in verschiedener Weise sicher zu stellen. Er legte nicht nur kleine Kapitalien für sie bei seinem Bankier in Hamburg an, sondern er machte ihr auch kostbare Geschenke, welche er ausdrücklich als solche bezeichnete, die sie in Zukunft zu Gelde machen könne, was er auch später in seinem Testament schriftlich wiederholte, zu einer Zeit, als sich schon alle Verhältnisse um uns her anders, ganz anders gestaltet hatten.

Ein gewisser Zwiespalt aber war durch jenen letzten Besuch Rolfs bereits faktisch in der Familie ausgebrochen. Die alte herzliche Weise, sich gegenseitig von ihren innersten Gedanken und Empfindungen zu unterrichten, war geschwunden; Rolfs Briefe wurden vom Vater nicht mehr mit lautem Freudengeschrei begrüßt, der alte Mann wurde stiller, nachdenklicher, zurückgezogener, und selbst wenn Karoline bei ihm war, mit ihm sprach oder ihm vorlas, hörte er nicht auf sie, sondern gab sich meist seinen gewiß nicht angenehmen Grübeleien hin.

Auch mir ging es damals nicht ganz nach Wunsch, denn in mein bisher so glückliches Haus zog allmählich der Vorbote eines bitteren Leidens ein. Gegen das Ende des Jahres warst du mir geboren worden, und von diesem Tage an verging deine Mutter wie eine Blume, deren Wurzeln allmählich vertrocknen, trotzdem es ihr nicht an Wärme, Licht und Regen fehlt. Das zu sehen, die Gefahr zu erkennen und doch nicht helfen zu können, erfüllte mein Herz mit einer unnennbaren Wehmut, und ich beschäftigte mich damals weit mehr im Hause mit meinen eigenen Angelegenheiten, als außerhalb, und auch die streitenden Meinungen der Menschen über sonst wichtige Dinge des Lebens waren mir ziemlich gleichgültig geworden, wie ich denn nie ein eifriger, das heißt aktiv tätiger Politiker gewesen bin, und doch – und doch siehst du mich jetzt aus meinem Vaterlande verbannt.

Laß mich nun über jene Jahre rascher hinweggehen. Es lag damals, wie du eben gehört hast, viel Schatten auf meinem Wege, aber dennoch gebrach es mir nicht an Licht, denn ich hatte mein gutes Weib, dich, Karolinen und den alten Baron, der mir immer gleich hold blieb und den ich so oft besuchte, als es ging, denn er kränkelte von jetzt an beständig, obwohl er nie ernsthaft krank ward.

Als ich eines Tages ungerufen zu ihm kam, fand ich ihn jedoch kränker denn je und meine Schwester in Tränen. Ich dachte mir fast, was geschehen war. Auf meine Frage erfuhr ich denn auch sogleich das Unheil. Rolf hatte an seine Braut geschrieben und ihr mitgeteilt, daß er ihr ferner das Gelöbnis der Liebe und Treue nur halten könne, wenn sie sich zu seinen ihr bekannten politischen Ansichten bekenne.

»Dann ist er in meinen Augen auf ewig ein Erbärmlicher!« hatte der Alte gerufen, als er den Brief gelesen. »Wer sein Herz nur unter solchen Bedingungen schlagen läßt, ist nicht wert, daß ein Weib sich ihm ohne Bedingung ergibt. Reiß ihn aus deinem Herzen, Mädchen; mit einem solchen Menschen kannst du niemals glücklich werden!«

Das waren nun allerdings wahre und ehrlich gemeinte Worte, und sie kamen aus dem eisenfesten Herzen eines willensstarken Mannes, aber ein schwaches, nur seinen Gefühlen lebendes Weib, wie meine arme Karoline, konnte so leicht nicht den Geliebten aus ihrem Herzen reißen, der bisher wie ein irdischer Gott darin gethront und dem sie alle Tage Weihrauch geopfert und Verehrung gezollt hatte. Ach, das arme Mädchen mußte damals eine schwere Prüfungszeit durchmachen, und wenn sie sich ruhig bei Tage zwang, vor den Augen ihres zweiten Vaters ruhig und gefaßt zu erscheinen, so brachte sie ihre Nächte in Tränen und mit Gefühlen hin, die niemand als Gott sah, zu dem sie unaufhörlich flehte, daß er das Herz Rolfs zum bessern wenden möge. Aber ein so felsenhartes, zähes Herz, wie das Rolfs war, wendet sich so leicht nicht von seinen vorgefaßten Meinungen ab, das sollte Karoline sehr bald erfahren, denn eines Tages langte ein Brief von ihm an, worin er mit kalten Worten schrieb, daß er sich wundern müsse, von ihr noch keine Meldung ihrer politischen Wiedergeburt empfangen zu haben. Er gebe ihr noch vierzehn Tage Bedenkzeit. Wenn er am Ende derselben – der Tag war genau bezeichnet – keine befriedigende Antwort in Händen habe, so nehme er an, daß sie mit ihm brechen wolle, und glücklicherweise sei er schon jetzt darauf vorbereitet.

Dieser herzlose Brief entschied über meiner armen Karoline Schicksal in diesem Leben. Laß mich den Stachel, der noch immer davon in meinem Herzen sitzt, kurz abbrechen, genug – von dem Tage der Ankunft dieses Briefes an war meine Schwester nicht mehr die Braut Rolfs, und diese Entscheidung wurde ihm nicht durch Karoline selbst, sondern seinen eigenen Vater mit kurzen, einfachen, weder Vorwurf noch Tadel enthaltenden Worten übermittelt.

Aber der alte ingrimmige Baron blieb nicht bei diesen einfachen Worten stehen, er ging auch zu verständlichen Handlungen über, die mehr als alles Reden und Schreiben dartaten, wie tief und schmerzlich sein Herz durch die Handlungsweise seines Sohnes getroffen war. Der alte Däne berief zwei Advokaten, einen dänisch und einen deutschgesinnten, an sein Krankenbett, schaffte Zeugen an und adoptierte in ihrer Gegenwart meine Schwester als seine wirkliche Tochter, mit allen gesetzlichen Rechten einer solchen, indem er sich mündlich und schriftlich dahin aussprach, daß allein das herzlose und unmännliche Betragen seines Sohnes, dem er hiermit den Laufpaß erteile, ihn zu diesem Schritt veranlaßt habe.

Damit schien die Sache vor der Hand abgetan, aber sie war es bei weitem nicht. Alles, was bisher auf Harup geschehen, wurde in der Umgegend und weit darüber hinaus ruchbar, und die Nachbarn und sonstigen Bekannten ergriffen Partei für und wider, wobei es nicht fehlen konnte, daß die echt dänisch Gesinnten Karolinen und mir die Schuld aufbürdeten, über die unväterliche Schwäche des Alten den Stab brachen und seine Hinfälligkeit als eine geistige Unzurechnungsfähigkeit darstellten, was sie ganz gewiß nicht war. Nur einige alte bewährte Freunde von gleich unwandelbar edelmännischer, treufester Gesinnung, mochten sie nun Dänen oder Deutsche sein, billigten sein Tun und besuchten ihn nach wie vor, denn es hat von jeher unter den Dänen auch ruhig und besonnen urteilende Männer gegeben, wie es leider auch unter den Deutschen Abtrünnige gab.

Einige mit Rolf befreundete Familien aber, die verbissensten und starrköpfigsten von allen, ergriffen ganz im stillen Partei gegen den alten braven Edelmann und trugen die in Harup vorgefallenen Familienereignisse in ihren brieflichen Darstellungen nach Kopenhagen, und zwar in einer Weise, die alles Licht auf den edlen urdänischen Rolf, alle Schatten aber auf den unzurechnungsfähigen Vater und auf uns arme Deutsche fallen ließ, die doch wahrhaftig niemals den Baron zu seinem energischen Tun gestachelt hatten.

Damals geschah es auch, daß Baron Juell Wind ganz im stillen sein schönes Gut Harup an einen vermögenden Freund verkaufte, unter der Bedingung, ihn bis an sein Ende darauf wohnen zu lassen, den Handel aber geheim zu halten, bis er die Augen geschlossen habe. Ebenso legte er das dafür empfangene Geld bei seinem Bankier in Hamburg nieder, verschrieb es, ohne daß sie eine Ahnung davon hatte, Karolinen, und händigte die Abschriften von allen seinen Verhandlungen einigen Vertrauensmännern ein, von denen er gewiß sein konnte, daß sie erst zur rechten Zeit von dem ihnen anvertrauten Geheimnis den richtigen Gebrauch machen würden.

Unterdessen waren Jahre vergangen, und über mich brach eine traurige Katastrophe nach der andern herein. Deine gute Mutter starb in meinen Armen, und nicht genug des Elends damit, siechte auch Karoline sichtbar hin, deren halb gebrochenes Herz nur mit Mühe und großer Sorgfalt aufrecht erhalten werden konnte. Wenn ich allein in meinem öden Hause saß, erschütterte mich der herbe Verlust des geliebten Weibes, und auch die Sorge um deine Erziehung quälte mich; kam ich nach Harup hinaus, so schwebte mir die bleiche Leidensgestalt meiner Schwester wie ein Gespenst entgegen, und der im stillen grollende und sich in seinem Schmerz verzehrende alte Baron war nicht dazu angetan, meine trauernde Seele aufzuheitern. Damit aber noch endlich ein Drittes, Gewaltigeres, Bitteres geschehe, brach einige Jahre später das Jahr 1846 herein, und König Christian der Achte erließ jenen unköniglichen offenen Fehdebrief, der ganz Schleswig Dänemark inkorporierte und mit einem Schlage alle darin wohnenden Deutschen zu Dänen machte.

O mein Sohn, bis dahin hatte ich mich noch in keinerlei politische Verbindungen gemischt, ich hatte mich nur um meine persönlichen Angelegenheiten und die meiner Familie bekümmert, von jetzt an aber wurden auch an mich, den Mann, ernstere Anforderungen gestellt, und mein blutendes Vaterland erhob seine Stimme laut zu mir und fragte mich um meine wirkliche Meinung in dem vorliegenden Streitpunkt. Kann es dich Wunder nehmen, daß ich mich von nun an auch zu der Partei hielt, zu der ich durch meine Geburt, durch die Natur selbst gehörte, und daß sie, weil sie die schwächere, vom stärkeren Gegner unterdrückt war, meine ganze Seele und deren Mitgefühl in Anspruch nahm? Nein, du wirst gegen mich gerecht sein, und nun ist der Zeitpunkt gekommen, wo ich, wenigstens mit einigen Strichen, dir die Lage der Sache zeichnen muß, damit dir klar werde, wie wir allmählich mit in die Handlung gerissen wurden, und wie ich ohne mein Verschulden gezwungen ward, aus dem stillen Kreis der Häuslichkeit herauszutreten, der bis dahin meine ganze männliche Wirksamkeit umfaßt hatte.

Bevor ich mich jedoch zu dieser Darstellung trauriger äußerlicher Verhältnisse wende, will ich dir erklären, warum ich dich damals aus meinem Hause in die Fremde brachte. Jene Verhältnisse, die immer drängender wie Gewitterwolken über unsern Köpfen anwuchsen, werden dir indessen schon den nötigen Aufschluß gegeben haben. Du warst jung, unbefangen und hattest keine Kunde von den Zerwürfnissen, die alle Gemüter um dich her in Gärung setzten. Ich wollte dich unbefangen erhalten, wollte dein reines Herz nicht von Jugend an mit dem bitteren Hasse und dem das ganze Leben vergällenden Gift politischer Parteiungen erfüllen, endlich dich auch nicht den Gefahren preisgeben, die allen deutschen Kindern in unserer Umgebung allmählich zu drohen begannen. So faßte ich mit schwerem Herzen den Entschluß, dich in Deutschland, fern von unserem bedrohten Herde, aufwachsen und erziehen zu lassen. Ein zufälliger glücklicher Umstand bestärkte mich in diesem Beschluß und beschleunigte die Ausführung desselben. Dein bisheriger Hauptlehrer, mein wackerer Freund, der ebenso gelehrte wie gewissenhafte Rektor Thomsen, siedelte aus Familienrücksichten nach Düsseldorf über, und seiner Hut, der ich vertrauen konnte, übergab ich dich. So also schiedest du von deines Vaters Hause, und nun kann ich in meiner Erzählung weiter fortfahren.

Wie du weißt, waren die eigentlichen Ursachen des ganzen Zerwürfnisses in unserm Vaterlande die schon seit längerer Zeit sich ausprägende Feindseligkeit zweier Nationalitäten, von denen die kleinere, seltsam genug, der größern den Vorrang ablaufen wollte. Dabei aber waren von Anfang an die Deutschen der passiv sich verhaltende, die Dänen der aktiv vorgehende Teil. Die Deutschen wollten niemand deutsch machen, nur einfach Deutsche bleiben, und wer unter ihnen deutsch geworden ist, ward es aus eigenem Antrieb oder vielleicht aus innerer Naturnotwendigkeit, weil jede Nation das unbewußte Streben in sich trägt, sich von ihren Gebrechen zu emanzipieren und die Vorzüge eines höher kultivierten Volkes anzunehmen. Die Dänen dagegen strebten mit aller Gewalt von Anfang an dahin, die Deutschen in den Herzogtümern zu Dänen zu machen, auf alle Weise, mit jedem Mittel, sei es auch noch so verwerflich, ungerecht und tyrannisch – das leugne, wer frech, unklug oder unwissend genug dazu ist.

Bei den Dänen lag also der Hauptgrund des Hasses und Widerstandes gegen die Deutschen in der Wahrnahme des wachsenden Einflusses, des allmählich sich ausbreitenden und die skandinavischen Völkerschaften durchdringenden Germanismus. Mit seiner größeren Bildung, seiner ihm angeborenen Intelligenz, seiner Redlichkeit und Bildungsfähigkeit überwucherte letzterer die starre skandinavische Nation, da diese weder mit inneren noch äußeren Mitteln siegreich dagegen operieren konnte, so schürte diese bewußte Schwäche ihren Groll und Haß, der endlich eine solche Höhe erreichte, daß er sie zu den brutalsten, ungerechtesten Bedrückungen zwang, wo sie noch irgend die Obermacht hatte. In unserm armen Vaterlande kämpfte also nicht der Feind gegen den Feind, der Mann gegen den Mann, sondern allein der Däne gegen den Deutschen, und zwar mit einem Fanatismus, einer Halsstarrigkeit und Hinterlist, die stets die Hilfsmächte der schwächeren Partei sind, die, sich ihres Frevels innerlich bewußt, darum gerade erst recht auf die Durchführung ihrer höllischen Feindseligkeiten versessen ist.

Von seiten der größeren auswärtigen Mächte, namentlich Englands, wurde dieser fanatische Haß der Dänen gegen die Deutschen immer und zu jeder Zeit geschürt, denn auch John Bull blickt, wie seine skandinavischen Vettern, mit Neid, Groll und einem nur leise übertünchten, von Zeit zu Zeit überzuckerten Haß auf den ihm an erfinderischem Geiste wenigstens ebenbürtigen, an Intelligenz ihn überflügelnden Deutschen, dessen Gemütstiefe und politische Redlichkeit seinem anerkannten Wuchergeiste lächerlich erscheint. In neuester Zeit ist auch noch eine echt weibische Eigenschaft hinzugekommen, um den Aktionstrieb der Briten gegen die Deutschen zu schüren – die Eifersucht auf den, trotz aller künstlichen Hindernisse zur See allmählich anwachsenden Germanen: eine um so lächerlichere Eifersucht, als Englands Flotte so groß und gewaltig ist, daß Jahrhunderte und eine gänzliche Umgestaltung aller bestehenden Verhältnisse dazu gehören würden, um Deutschland den Briten darin den Rang ablaufen zu lassen.

Die guten Deutschen haben diese gemeine Politik nie gehörig gewürdigt, sind ihr in ihren Uranfängen aus gemütlicher Bescheidenheit nie mit voller Macht entgegengetreten, was Wunder also, wenn John Bull allmählich in seinem insularen Dünkel so weit erstarkte, daß er uns, wie mit seinem großländischen Schacher, so auch in jeder anderen Beziehung über den Kopf gewachsen zu sein glaubt. O ja, im Grunde hat der Brite Recht: die deutsche Nation ist ungeheuer zu fürchten, wenn sie einmal aus ihrem Schlummer erwacht und mit ihrer ganzen Macht auf den Schauplatz der Welt tritt, denn sie ist die größte, intelligenteste und im großen und ganzen die gebildetste Nation der Welt. Aber leider, der Starke ist zu seinem eigenen Schaden oft mit Blindheit geschlagen, ein Beweis, daß niemals alle guten Eigenschaften in einem Individuum vereinigt sind, und während die ganze Welt diese Blindheit kennt, scheint sie Deutschland allein nicht zu kennen, wenigstens wollen die Führer, denen es wiederholt gepredigt und bewiesen ist, nichts davon hören, und wenn sie es hören, nicht befolgen, weil – die Führerschaft über halb Blinde eine angenehmere und leichtere ist als über vollkommen klar Sehende. Ein trauriger Irrtum, der sich früher oder später auf irgend eine ungeahnte Weise bestrafen wird!

Verzeihe diese kleine mir entschlüpfte Expektoration, mein Sohn. Würde sie laut, so würde sie mir vielleicht wenig Gönner verschaffen; wer aber aus Furcht, einen Gönner zu verlieren oder weniger zu gewinnen, oder auch von oben her mit einem scheelen Blick angesehen zu werden, seine Meinungen verhehlt, der begeht an sich selbst, an seiner eigenen Mannesehre eine Schandtat, die selbst der Lohn des Mächtigen nicht zu vergolden und der Beifall »beförderter Sklaven« nicht zu versüßen vermag. –

König Christian der Achte warf uns also den Fehdehandschuh hin, und unser kleines Vaterland nahm ihn mutig auf. Wäre Christian von seinen Kreaturen nicht so verblendet oder von seinen Schreiern nicht so gefährdet gewesen, er hätte diesen Schritt nicht getan, und Dänemark hätte, mit Schleswig und Holstein im Bunde, fortan ein glückliches Land sein können. Aber die Dänen wollten mit den Schleswig-Holsteinern nicht glücklich und zufrieden sein, sie wollten über sie triumphieren und sie in den Staub treten. Das wird sich noch einmal bestrafen, denn die Nemesis schläft nicht, und über den Nationen wacht mit scharfem Strahl – noch aufmerksamer als über dem einzelnen – Gottes allsehendes Auge.

Doch ich muß zu meiner Erzählung zurück, die noch lange nicht zu Ende ist und in der ich von nun an erst, wenn auch nicht handelnd, doch wenigstens duldend auftreten werde. Was auf den Erlaß jenes offenen Briefes geschah, weißt du. Wir in Schleswig lebenden Deutschen mußten Brust an Brust, Herz an Herz zusammenhalten, wenn wir von der hochgehenden dänischen Woge nicht verschlungen werden wollten. Ich tat nur meine Schuldigkeit, wenn ich im Kreise meiner Bekannten mich als deutscher Mann betrug, in meiner amtlichen Tätigkeit dagegen gestaltete sich nichts anders, denn die hatte glücklicherweise mit dem bald ausbrechenden Hader nichts zu tun. Baron Juell Wind, zwar schwach an Körper, aber ungebrochen an Geist, bestärkte mich in meinen persönlichen Anschauungen, denn er sah das Unrecht, die Vergewaltigung ein, welche uns die Regierung des Dänenkönigs antat. Indessen zürnte er nur innerlich, nie äußerlich, und niemals entfuhr ihm ein leidenschaftliches Wort. Nur ein Versprechen mußte ich ihm geben, und ich gab und hielt es: unter allen Umständen, was sich auch ereignen möge, an meiner Stelle zu bleiben, meine ärztliche Wirksamkeit in aller Ruhe fortzusetzen und mich von allen öffentlichen Demonstrationen fernzuhalten, damit man keinen Grund finde, gegen mich als einen Ruhestörer einzuschreiten.

Bevor ich nun auf den Krieg komme, der unverhofft 1848 ausbrach, muß ich noch einige Worte über Rolf nachholen. Rolf war längst einer dänischen Gesandtschaft in England, später in Frankreich und endlich in Deutschland zugeteilt. Welche Stellungen er an den verschiedenen Höfen oder bei den Regierungen eingenommen, weiß ich nicht, aber er hat jedenfalls eine gute Karriere gemacht. Wir hörten damals selten, höchstens durch Zeitungen von ihm, denn mit seinem Vater hatte er jede Verbindung abgebrochen, seitdem dieser ihm in so drastischer Weise Karolinens Verzichtleistung auf seine Person verkündet. Wir waren daher sehr verwundert, als wir eines Tages in einer dänischen Zeitung eine Notiz lasen, woraus hervorging, daß Baron Rolf Juell Wind schon längst mit einer Ausländerin von großem Vermögen verheiratet sei, deren Name und Herkommen uns jedoch fortan ein Geheimnis blieb, da niemand von uns die Neigung empfand, ernstere Forschungen danach anzustellen.

Auf seinen alten Vater machte diese Nachricht einen bei weitem betrübenderen Eindruck als auf Karolinen. Letztere hatte bereits in dieser Beziehung mit ihrem Schicksal abgeschlossen und sich mit wunderbarer Ruhe in das Unvermeidliche gefunden, obwohl es in ihrem Innern genug stürmen mochte. Der alte Baron dagegen war tief in seinem edelmännischen Stolz und als Familienhaupt verletzt. Sein einziger Sohn hatte gegen sein Wissen und seinen Willen ein fremdes Mitglied in die Familie eingeführt, sich gewissermaßen dadurch von der Familie selbst losgelöst, und fortan benahm sich der alte Herr so, als ob er gar keinen Sohn mehr habe.

Während des Krieges von 1848 bis 1850 erfuhren wir in der Aufregung und Verwirrung, die damals in allen unsern Verhältnissen herrschte, nichts von ihm, und erst 1851, als wir wieder an Dänemark ausgeliefert waren, ward er uns ins Gedächtnis zurückgerufen, denn er erschien plötzlich in Schleswig als einer der königlichen Kommissarien und Regierungsbevollmächtigten, um die so arg erschütterten dänischen Interessen gegen die übermütigen Deutschen wahrzunehmen und dänisches Recht, das heißt Gewalt gegen diese zu üben.

Als der alte Baron hiervon Kunde erhielt, gab er strenge Befehle, niemals, es komme was da wolle, diesen königlichen Kommissarius vor seine Augen zu lassen, allein er hatte den Besuch desselben vergeblich befürchtet; der allmächtige Beamte fand in Schleswig so viel zu tun, namentlich so viel Recht zu sprechen, daß er an seinen alten Vater nicht denken konnte, und so kam er niemals nach Harup, obwohl ich weiß, daß er einige Mal in Apenrade gewesen ist, woselbst ich ihn jedoch nicht sah.

Während des Krieges war ich ruhig und von niemandem angefochten in meinem Amte geblieben; ich behandelte dänische wie deutsche Kranke und Verwundete, und oft hatte ich so viel zu tun, zumal ich der einzige in Apenrade zurückgebliebene Arzt war, daß ich kaum Zeit zum Schlafen und zum notwendigsten Essen behielt. Dennoch sprach ich überall, wo sich die Gelegenheit dazu bot, dreist meine deutsche Gesinnung aus, niemals jedoch ließ ich mich mit Dänen in Streitigkeiten über ihre Verhältnisse ein, und da mich jedermann, welcher Nation er angehören mochte, mit Achtung behandelte, so glaubte ich – o törichte Selbsttäuschung! – keinen Feind zu haben, der mir von dieser oder jener Seite her Schaden bereiten könne. Doch, welcher Mensch auf Erden hat wohl noch niemals einen Feind gehabt? Wer ist nie ungerecht verleumdet, begeifert, verlästert worden? Rühme sich dessen, wer will, aber ich glaube ihm nicht, selbst wenn er im übrigen der glaubwürdigste der Menschen wäre.

So waren denn endlich die schrecklichen Kriegsjahre, die unsere kühnsten Hoffnungen hatten aufflackern und spurlos verlöschen sehen, vorübergegangen. Wir Schleswig-Holsteiner waren dank der inneren Zerrissenheit des großen Deutschlands aus unserm kurzen Freiheitstraum erwacht und der dänischen Gnade schonungslos anheimgegeben. Nun, was das bedeuten will, weiß die Welt, ich brauche darüber kein Wort zu verlieren.

Bis zu dem Augenblick war ich auf keine Weise von irgend einer Seite her gefährdet gewesen. Niemand war mir zu nahe getreten, und ich war unschuldig genug, mir einzubilden, daß niemand auf der Welt das Recht oder einen Grund habe, mir zu nahe treten zu können. Auf welche Art man aber gegen mich verfuhr, und wie auch ich persönlich in das allgemeine Urteil mit hineingerissen ward, will ich dir nun mitteilen.

Eine in der Nähe von Apenrade angesessene, sehr reiche und angesehene deutsche Familie, die seit langer Zeit mit Baron Juell Wind, dem Vater, in herzlicher Freundschaft verkehrte und in welcher ich seit Jahren Arzt war, befand sich wegen des einzigen Sohnes in großer Sorge, der den Krieg gegen Dänemark mitgemacht hatte. Er war als Dragoneroffizier bei Idstedt schwer verwundet in die Gefangenschaft der Dänen geraten. Die bekümmerte Familie erfuhr trotz aller ihrer Bemühungen nichts Gewisses über sein Schicksal, als jedoch der Friede geschlossen war, hörte sie durch einen dänischen Bekannten, daß der junge Mann nach Kopenhagen gebracht und in einem Lazarett liege, daß man aber auf seinen Tod gefaßt sein müsse, da er lebensgefährlich verwundet sei. Das Lazarett war genau bezeichnet und alle übrigen Angaben so treu gemacht, daß man an der Wahrheit derselben keinen Augenblick zweifeln konnte.

Die Eltern des jungen Mannes waren untröstlich und kamen eines Sonntags zu mir nach Apenrade, um mir den Fall vorzutragen und möglicherweise sich einen Rat zu holen. Ich war nach Harup gefahren und hielt mich dort gewöhnlich Sonntags nachmittag auf, wenn ich nicht anderweit beschäftigt war. Da man in meinem Hause hiervon Kenntnis hatte, sagte man es den Rat Suchenden, und diese fuhren sogleich nach Harup hinaus, um mich zu treffen. Baron Juell Wind befand sich gerade in aufgeheiterter und mitteilsamer Stimmung und ließ die Freunde bei sich eintreten, wo alsbald der vorliegende Fall verhandelt und nach allen Seiten besprochen wurde. Mich sowohl wie den alten Baron dauerten die armen wehklagenden Eltern, und das schließliche Resultat unserer Beratungen war, daß ich dem Wunsche derselben nachzukommen mich bereit erklärte und nach Kopenhagen gehen wollte, um mich als Sachkundiger von dem Befinden des Verwundeten zu überzeugen, vorausgesetzt, daß meiner Reise von seiten meiner vorgesetzten, jetzt natürlich wieder dänischen Behörde kein Hindernis in den Weg gelegt würde.

Wir fuhren auf der Stelle nach Apenrade zurück, und ich begab mich zu dem Polizeimeister, den ich persönlich sehr gut kannte und der mit meinen Verhältnissen im allgemeinen, wie mit denen, in welchen ich zu der Familie des verwundeten Offiziers stand, vertraut war. Auf meine Vorstellung der Sachlage ward mir mit höflicher Miene der Bescheid gegeben, daß meiner Reise nach Kopenhagen von hier aus nichts im Wege liege, daß er mir die dazu nötige Bescheinigung erteilen werde und daß ich den erbetenen Urlaub antreten könne, wenn ich mich verpflichtete, nirgends anders hinzugehen und spätestens in acht Tagen wieder in Apenrade zurück zu sein.

In zwei Stunden erhielt ich die nötigen Papiere, steckte einiges Geld zu mir und packte meinen kleinen Koffer. Dann fuhr ich noch einmal, um Abschied zu nehmen, nach Harup hinaus und trat am nächsten Morgen mit einem Dampfer meine kurze Reise nach Kopenhagen an.

Das nun folgende Jahr ist es, mein Sohn, über welches du später so oft Klage gegen mich geführt, als hätte ich dich in Düsseldorf vergessen gehabt, weil ich nie selbst an dich geschrieben habe. Jetzt endlich sollst du den Grund hören, warum ich dir nicht schrieb, nicht schreiben konnte, und warum ich dir später, als ich mich wieder mit dir in Verbindung setzte, keine genügende Aufklärung meines dir unbegreiflichen langen Schweigens gab. Es geschah letzteres ganz allein aus dem Grunde nicht, weil ich dich in deiner schönen Gemütsruhe, wenigstens nach meinem Gefühl, nicht stören wollte, was gewiß der Fall gewesen sein würde, wenn ich deinen Fragen und Bitten Gehör geschenkt und dir Aufschluß über meine Erlebnisse gegeben hätte. Höre nun endlich, was mir damals begegnete, und dann wirst du erkennen, daß ich nicht aus unväterlicher Gleichgültigkeit die Korrespondenz mit dir auf so lange Zeit unterbrach.

Ich kam nach einer sehr stürmischen Überfahrt im Monat Oktober in düsterer und verbitterter Stimmung in Kopenhagen an, denn der dänische, das Postschiff führende Kapitän hatte mir unverhohlen seinen Widerwillen bewiesen, einen verräterischen Deutschen – das waren wir in den Augen der Dänen ja alle – nach dem göttlichen Kopenhagen mitzunehmen. Es war ein roher, trotziger Mensch, wie es so viele seeländische Seeleute sind, und er wurde um so feindseliger gegen mich, als er sah, daß alle seine wütenden Tiraden bei mir nichts fruchteten und ich denselben nur eine kalte Gelassenheit entgegensetzte.

Als wir in den Hafen von Kopenhagen einliefen, wurden die Passagiere an Bord gehalten, bis eine obrigkeitliche Person ihre Papiere in Empfang genommen hatte und damit nach der Stadt gegangen war. Nachdem wir endlich nach deren Rückkehr die Erlaubnis erhalten, an Land zu gehen, nahm ich mir einen Wagen, als mich ein fremder Herr sehr freundlich bat, ihn bei dem heftigen Regen, der gerade fiel, mit nach meinem Gasthof zu nehmen, da er sich eben nach demselben habe begeben wollen, als er mich dem Kutscher seinen Namen nennen hörte.

Natürlich gab ich sofort meine Einwilligung, und wir langten bald in dem Gasthof an, wo ich mir ein Zimmer geben ließ und dabei meinen Reisegefährten aus den Augen verlor.

Es war spät abends geworden, ehe wir in Kopenhagen ans Land kamen, und so konnte ich an diesem Tage keine Forschung mehr nach dem Verwundeten anstellen. Ich ging ruhig zu Bett, nachdem ich an der Wirtstafel zu Abend gespeist. Am nächsten Morgen lag ich noch im Bett, als meine Tür von außen geöffnet wurde, mein Reisegefährte vom vorigen Tage mit einigen Polizeidienern ins Zimmer trat und mir verkündete, daß ich sein Gefangener sei. Auf meine Frage, wie das möglich sei und wer mich verhaften lasse, zuckte er die Achseln, berief sich auf die Befehle seiner Vorgesetzten und sprach seine Meinung etwa dahin lautend aus, daß man wahrscheinlich von mir in Erfahrung gebracht, daß ich ein dänenfeindlicher Mann sei, und daß ich gegenwärtig aus keinem anderen Grunde nach Kopenhagen gekommen sein könne, als im Auftrage irgend einer deutschen Verbindung den Spion im feindlichen Lager zu machen.

Über die gehässige Auslegung meiner zu einem ganz anderen Zweck unternommenen Reise war ich auf das äußerste empört und berief mich auf die Papiere, die mir der Polizeimeister in Apenrade gegeben habe und in welchen der Zweck meiner Reise klar ausgesprochen sei.

Der Mann lachte höhnisch, sprach aber kein Wort mehr und blieb bei mir, bis ich angekleidet war, worauf ich in einen Wagen gebracht und nach einem Gefängnis gefahren wurde, wo ich ein allerdings leidlich bewohnbares Zimmer erhielt.

Ich will dir meine Stimmung über die Lage, in welche ich so plötzlich und unerwartet versetzt worden war, nicht zu schildern versuchen, überdies will ich rasch erzählen, um mit meiner traurigen Geschichte zu Ende zu kommen. Mit einem Wort, acht unendlich lange und trübe Tage blieb ich in meinem Gefängnis sitzen, ohne daß ein Mensch zu mir kam und ohne daß ich mich mit der Außenwelt in die geringste Beziehung setzen konnte. Nach diesen acht Tagen aber ward ich zu einem Verhöre berufen und mußte daselbst vor meinen Richtern zunächst meinen ganzen Lebenslauf zu Protokoll diktieren. Als ich damit zu Ende war, sahen sich die Herren lächelnd an und schüttelten die weisen Köpfe, da sie wahrscheinlich alles besser als ich selber wußten. Zuletzt forderten sie mich auf, alles zu bekennen, was ich bisher verschwiegen, und da ich nicht wußte, was ich hierauf antworten sollte, fügte ich mit der besten Absicht von der Welt die Worte hinzu, daß sie sich über meinen Leumund in Apenrade erkundigen könnten und die Wahrheit meiner Aussage in jedem Punkt bestätigt finden würden. Baron Olaf Juell Wind auf Harup sei mein bester Freund und dieser werde ihnen die zuverlässigste Auskunft über mich geben können.

Kaum hatte ich diesen Namen ausgesprochen und mich auf den Ehrenmann berufen, der ihn führte, so lachten mir die dänischen Herren laut ins Gesicht, wiesen mir ihre grimmigen Zähne und sagten: »Da haben Sie sich Ihr eigenes Urteil gesprochen, mein Herr Doktor. Der alte Narr Juell Wind auf Harup ist bekannt als enragierter Dänenfeind, wie kein anderer in Schleswig, was sogar sein Herr Sohn eingeräumt hat, der königliche Kommissarius in Schleswig, auf dessen Befehl wir Sie, gerade heraus gesagt, in diesem Augenblick vernehmen müssen.«

Über diese neue und unerwartete Enthüllung meines Schicksals wurde ich so betroffen, daß ich schwieg und mich in das Unvermeidliche ergab. Nun freilich war mir alles klar wie der Tag und ich sah ein, daß ich in meinem Vertrauen auf menschliche Gerechtigkeit und Billigkeit, und in dem naiven Glauben, daß mein gutes Gewissen auch von anderen respektiert werden müsse, in eine schlau gelegte dänische Schlinge gefallen war, der mich nur eine höhere Macht entziehen konnte.

Mein erstes Verhör war zu Ende und ich wurde in mein Gefängnis zurückgebracht. Erst vierzehn Tage später hatte ich das zweite Verhör zu bestehen, welches kein anderes Resultat als das erste ergab. Nach diesem vergingen drei bis vier Wochen und es folgte ein drittes, und so unzählige, bis endlich der Winter verstrich und das junge Jahr mit hellem Auge in mein dunkles Fenster schaute. In dieser ganzen Zeit hatte man mir zwar gute Nahrung und dänische Zeitungen gegeben, aber jede Absendung von Briefen versagt, ja mir die nötigen Utensilien dazu hartnäckig verweigert.

Wiederholt hatte ich mich während dieser Zeit nach dem Befinden des armen verwundeten Offiziers erkundigt, um dessentwillen ich die verhängnisvolle Reise unternommen hatte. Am Ende des Januar, also nach vier Monaten erst, war man so gnädig, mir zu sagen, daß er bereits im November seinen Leiden erlegen sei und daß man diese Nachricht durch die Zeitungen nach Apenrade vermittelt habe.

Apenrade! Ach, wie oft flogen meine Gedanken über das Meer dahin! wie oft weilte ich mit stillen Herzenswünschen in meinem kleinen Hause am Markt, wie oft in dem noch stilleren Krankenzimmer auf Harup bei dem alten Baron und meiner guten Karoline! Am allermeisten aber quälte mich der Gedanke, daß der Baron seinem Alter und seinen Leiden in den verwichenen Wintermonaten erlegen sein könne, daß Karoline ganz verlassen und ohne jeden Schutz in dem großen Hause sei, daß, wenn der Baron gestorben, vielleicht schon sein Erbe gekommen und sie hart und streng daraus vertrieben habe. Nun, du kannst dir ja denken, wie einem Gefangenen, der nichts zu tun hat als über sein Unglück nachzugrübeln, zu Mute sein muß, wie er sich schwarze Schreckbilder in Hülle und Fülle malt, wie er sich zu den alten noch neue Sorgen schafft und wie tief sein Geist niedergedrückt wird, wenn er keine Seele in seiner Nähe hat, die ihn tröstet und erhebt, als sein eigenes reines Gewissen, das ihm allein Gott zu seiner Selbstermutigung gegeben hat.

Laß mich über diese erste Schreckensperiode meines Lebens rasch hinweggehen, ich fühle mich noch heute in dieser reinen Luft und unter Gottes freiem Himmel beklommen, wenn ich nur daran zurückdenke. Zehn Monate war ich endlich in strengster Haft und keine Aussicht vorhanden, daß mein Los sich besser gestalten würde. Da wurde ich eines Tags vor meine alten Richter gerufen und einer sagte mir mit huldvoll erhabener Miene folgendes:

»Mein Herr, Sie sind nach der Ansicht Ihrer Richter für Ihre antivaterländische Gesinnung hoffentlich genug bestraft und werden sich in der Folge hüten, gegen Dänemark irgend etwas Feindseliges zu unternehmen. Nicht wahr?«

Ich horchte hoch auf, aber ich konnte darauf nichts antworten, denn ich wußte nicht, was ich sprechen sollte.

»Wenn Sie jetzt,« fuhr der Sprecher fort, »diese Schrift unterzeichnen wollen, so können Sie sich aus Ihrer Haft entfernen, nachdem Sie die Kosten Ihrer Unterhaltung bezahlt haben.«

Dabei legte er mir ein langes Schriftstück vor, welches der Hauptsache nach besagte, daß ich mich künftig jeder Feindseligkeit gegen Dänemark enthalten solle, daß man mich mit größerer Strenge denn je polizeilich beaufsichtigen werde und daß ich bei dem geringsten Verdacht, daß ich gegen meine Pflicht und mein Gewissen – o Ihr gewissenhaften dänischen Männer! – gehandelt, abermals gefänglich eingezogen und nach Kopenhagen gebracht werden würde.

Diese Schrift, mein Sohn, mußte ich unterzeichnen und ich unterzeichnete sie, weil ich dadurch allein meine Freiheit wieder erhielt. Nachdem ich nun eine mir vorgelegte Rechnung für meine Unterhaltung bezahlt, wurde ich mit meinem Koffer nach dem Hafen gefahren und, ohne einen Schritt in die Stadt getan zu haben, auf ein Schiff gebracht, welches direkt nach Apenrade abging. Mit welchen Gefühlen ich mich wieder unter Gottes freiem Himmel und von des Meeres Wellen geschaukelt sah, will ich dir nicht beschreiben. Ich war über alle Begriffe unglücklich und doch wieder über alle Begriffe glücklich – im ganzen also in einem so seltsamen Zwiespalt widersprechender Empfindungen befangen, wie ich ihn niemals wieder im Leben zu ertragen hatte.

Als ich in Apenrade aus dem Schiff auf die Brücke trat, zitterten mir die Füße so sehr, daß sie mich kaum tragen konnten. Mein Gepäck einem Jungen gebend, der mich und meine Wohnung kannte, schlich ich langsam durch die engste und stillste Gasse nach dem Markt hinauf und doch war ich in Schweiß gebadet, als ich vor meinem Hause ankam. Es stand friedlich wie immer da und nur die geschlossenen Fensterläden und die herabgelassenen Vorhänge verrieten, daß der Herr nicht daheim sei. Mich hatte niemand erwartet und niemand konnte mich erwarten. Alle wußten durch die Zeitungen, daß ich in Kopenhagen eingekerkert worden, und da das Verfahren der Dänen gegen gefangene Deutsche bekannt war, glaubte man mich sobald nicht wieder zu sehen, du kannst dir also denken, mit welcher Freude ich von meiner alten Magd willkommen geheißen ward und wie rasch sich die Kunde von meiner Ankunft in der Stadt verbreitete.

Meine erste Frage galt meiner Schwester und dem Baron Juell Wind. Und da hatte ich wenigstens die Freude zu erfahren, daß alle meine früheren Befürchtungen in Bezug auf ihre Person nicht eingetroffen waren, denn meine Schwester war gesund, Baron Juell Wind lebte noch und ich – ich hatte nur ein einziges Gefühl, nämlich Gott zu danken, daß er sie mir erhalten habe.

Nachdem ich nur wenige Worte mit meiner Dienerin gewechselt und mich in andere Kleider geworfen, denn die, die ich so lange im Kerker getragen, hielten kaum noch länger zusammen, lief ich trotz des strömenden Regens zu Fuß nach Harup hinaus, denn meine Unruhe und Sehnsucht nach meinen Lieben ließ mich nicht so lange warten, bis ein Wagen geholt war, da der Baron Juell Wind meine eigenen Pferde samt dem Kutscher nach Harup genommen hatte.

In weniger als einer Stunde stand ich vor dem Schlosse des Landsitzes und ruhte mich einen Augenblick, ehe ich über die Schwelle schritt, um mein laut pochendes Herz zu beschwichtigen; dann erst trat ich ein und wandte mich zuerst nach des Barons Zimmer, auf den Diener kaum achtend, der bei meinem Anblick die Hände über den Kopf zusammenschlug. Aber da sollte mir eine unerwartete Überraschung zuteil werden. In dem Zimmer stand neben meiner Schwester der sechsundsiebzigjährige Baron fest und aufrecht auf seinem Stelzfuß und Krückstock, und alle seine Bewegungen verrieten mir, daß er kräftiger und gesunder als je sei, was zu finden ich am wenigsten erwartet hatte. Beide schrien vor Schreck und Freude laut auf, als sie mich erblickten; der alte Baron weinte wie ein Kind, nachdem er mich begrüßt, und meine Schwester war nicht von meinem Halse wegzubringen.

»Ja,« sagte der alte Baron, nachdem ich ihm mit flüchtigen Worten mein Schicksal erzählt und dann meine Freude ausgedrückt hatte, ihn auf den Beinen zu finden, »ja, mein Sohn, das dankst du allein deiner Gefangenschaft und sie hat also doch wenigstens ein Gutes gehabt. Haha! Der liebe Gott da oben hat mich wunderbar gestärkt, als ich aus der Zeitung erfuhr, was dir begegnet war, und zwei Stunden später war ich gesund, stand von meinem Sofa auf und ging einher, wie du mich jetzt gehen siehst. Und das hat so bis auf den heutigen Tag gedauert und ich erkenne dankbar die Gnade Gottes an. – Aber nun sage mir, warum hast du dich bei deinem ersten Verhör nicht gleich auf mich, einen geborenen Dänen, berufen? Ich hätte dir schon ein Zeugnis ausstellen wollen, vor dem die gewaltigen Herren da drüben den Hut hätten abziehen sollen!«

Ich lächelte wehmütig und wollte nicht mit der Sprache heraus, denn ich überlegte, ob es nicht geratener wäre, in diesem Punkte ihm die Wahrheit zu verschweigen. Aber der erfahrene und kluge Mann hatte meine zweifelhafte Miene entziffert und beinahe schon die Hauptsache erraten. »Sprich,« rief er mit seiner gebieterischen Kommandostimme, die uns immer einen so großen Respekt eingeflößt hatte, »und behüte dich Gott, daß du mir ein Wort von der wirklichen Wahrheit verhehlst. Ich bin ein Mann, der alles hören kann und dem das Herz nicht mehr vor Kummer bricht.«

In zwei Minuten wußte er alles, auch, daß sein eigener Sohn den Verhaftungsbefehl für mich nach Kopenhagen gesandt hatte.

Baron Juell Wind konnte doch nicht, wie er glaubte, alles ertragen, ohne stark erschüttert zu werden, denn diese meine letzte Mitteilung wirkte überaus heftig auf ihn. Er ergriff meine und Karolinens Hand, dann wurde er schwach auf den Beinen, und wir mußten ihn auf das Sofa tragen, wo er lange, mit seltsamen Blicken uns anstarrend, liegen blieb, endlich aber, als er sich wieder erholt, mich bat, ihn mit meiner Schwester allein zu lassen und nach der Stadt zurückzukehren, um meine Angelegenheiten zu ordnen, die durch meine lange Abwesenheit natürlich nicht in bester Verfassung sein konnten.

Ich legte den Weg nach Apenrade diesmal in meinem eigenen Wagen zurück und begab mich sofort zum Polizeimeister, um ihm meine Ankunft zu melden. Aber da sollten mir viele Überraschungen zu Teil werden, auf die ich am wenigsten vorbereitet war. Zunächst fand ich einen neuen und mir ganz fremden Polizeimeister vor, der, trotzdem er mich nie gesehen, doch meine Verhältnisse sehr genau zu kennen vorgab und schon längst seine Instruktionen über mich erhalten haben wollte. Er empfing mich kalt, obwohl nicht gerade unhöflich, und teilte mir mit, daß ihm schon seit vierzehn Lagen meine demnächstige Rückkehr angezeigt sei, und daß er mir zu allererst zu melden habe, daß mein Amt als Physikus bereits in anderen Händen sei, da meine lange Abwesenheit dies unumgänglich nötig gemacht.

»Aber ich werde es von heute an doch wieder übernehmen?« fragte ich mit lautschlagendem Herzen.

Der gestrenge Herr lächelte auf eine sehr gezwungene Weise, trat an das Fenster, aus dem er auf die Straße hinabsah und kehrte dann zu mir zurück, ohne es zu wagen, seine Augen zu den meinen zu erheben. »Herr Doktor,« sagte er endlich, »ich habe Ihnen mitzuteilen, daß Sie ein für allemal aus dem Amte entlassen sind und daß es keiner anderen Formalitäten dazu bedarf. Gründe brauche ich Ihnen nicht anzugeben, Sie können sie sich aber denken, wenn Sie ein so kluger Mann sind, wie man sagt.«

Alle fernere Unterredung mit diesem Menschen für überflüssig haltend, entfernte ich mich, in einer Stimmung – doch, laß mich darüber schweigen. Das war ja nur die erste Überraschung, die mir vorbehalten war. Bald sollten ihrer mehrere folgen. Nicht ich allein war aus meinem Amte entlassen, allen in Apenrade angestellten Deutschen war es ebenso ergangen, und die bekannte Schreckensregierung der Dänen in Schleswig hatte schon lange ihre ersten Triumphe gefeiert.

Da sah denn die Stadt und alles, was darin lebte, ganz anders wie früher aus. Es gab keine deutschen Geistlichen, keine deutschen Schulmeister, keine deutschen Advokaten und sonstige deutsche Beamten mehr, mochten sie einen Namen haben, welchen sie wollten. In allen Stellen hatten sich vollblütige, aus Seeland geschickte Dänen eingenistet und beuteten sie mit unbeschreiblicher Willkür aus. Selbst die Familien hatten die deutschen Erzieher und Erzieherinnen ihrer Kinder entlassen müssen, und wo früher die reine deutsche Sprache gehört ward, erscholl jetzt nur ein fast unverständlicher Jargon, da die meisten Menschen, welche dänisch zu sprechen gezwungen wurden, die Sprache nicht verstanden. Gesellschaften, in öffentlichen Lokalen und Familien, gab es nicht mehr, denn die Deutschen kamen zu damaliger Zeit nicht mehr zusammen, weil sie die Spione fürchten mußten, die sich überall eindrängten und die Geselligkeit ungenießbar machten. Selbst auf den Straßen gingen sie wenig zusammen, da es verboten war, daß Deutsche stehen blieben und sich unterhielten, indem dies als ein Versuch zum Komplott betrachtet wurde. Auf das geringste Versehen gegen die bekanntgemachten Anordnungen waren Geld- und in Wiederholungsfällen Freiheitsstrafen gesetzt, und eigens gedungene Büttel gingen von Haus zu Haus, die Geldstrafen einzuziehen oder dafür das erste beste Gerät wegzunehmen.

Doch was soll ich dir weiter diese nie und nirgends dagewesene Misère enthüllen, die Zeitungen haben sie ja aller Welt verkündet, und ich will mir jetzt nicht das Blut mit der Erinnerung daran vergällen. Wenn man in Apenrade weiterleben wollte, mußte man von der dänischen Herrschaft alles ertragen: einen Widerstand gab es nicht mehr, und ich hatte an mir selbst erfahren, wie man mit Leuten, die nicht einmal den geringsten Widerstand gezeigt, umzugehen sich erlaubte. So ertrug denn auch ich jene Vergewaltigung einer Nation, die, wenn sie es wirklich wollte, ganz Dänemark leicht zu ihren Füßen werfen könnte, und ich fügte mich mit einer Ergebung in das Unvermeidliche, die ich mir früher nicht zugetraut hatte. Allein die harte Notwendigkeit ist oft die beste Schule der Weisheit, und wir damals in Schleswig lebenden Deutschen fingen an, in einer Art weise zu werden, daß die dänische Regierung denn doch bisweilen ein stiller Schauer überlaufen haben mag; denn daß es in Schleswig auf die Dauer nicht so bleiben könne, mußte und muß sich jeder Mensch sagen, der nur mit halben Sinnen auf der Erde einhergeht. Immer und überall ist die größte Tyrannei kurz vor ihrem Sturz geübt worden, und Dänemark wird so lange tyrannisch über deutsche Männer regieren, bis seine Tollkühnheit zur Blindheit wird und es sich dann in sein selbstgegrabenes Grab stürzt.

So nahm ich denn jetzt meine Praxis wieder auf, und ich hatte einen reichen Zulauf von Patienten aller Art. Denn alle Dänen, die man in Schleswig zu Beamten gemacht, selbst der Arzt, den man mir zum Nachfolger gegeben, verstanden nichts von den Dingen, die sie leisten sollten. Dieser Arzt war früher Apotheker gewesen und besaß höchstens die Fähigkeit eines Verwaltungsbeamten, ebenso wie die Schulmeister Soldaten, die Postmeister und Juristen Winkeladvokaten und ehemalige Schreiber aus Kopenhagen waren, die, ohne je davon geträumt zu haben, jetzt studierte Männer vorstellen mußten und so über Nacht eine ungeheure Karriere gemacht hatten.

Also ich nahm meine Geschäfte als Arzt wieder auf und, da es überall an Ärzten fehlte, die der Krieg mit fortgeführt und zerstreut hatte, so zogen mich Dänen wie Deutsche zu Rate, sobald eine ernstliche Krankheit in ihren Familien sie dazu zwang. Diese reichlichere Beschäftigung half mir über die anderen traurigen Verhältnisse in meiner Vaterstadt hinweg, ich schloß meine Augen und Ohren, und nur wenn wir in Harup in inniger Eintracht beisammensaßen, schütteten wir unsere Herzen voreinander aus und waren dabei glücklich, wie es arme Schleswiger in jenen trostlosen Jahren ihrer tiefsten Schmach und Unterdrückung nur sein konnten.

Ohne diese Erquickung würde ich es in Apenrade nicht ausgehalten haben, denn es trieb mich schon längst eine innere Stimme, die mir noch schweres Unheil verkündete, daraus fort, allein so lange der alte Herr auf Harup lebte und er meiner Schwester bedurfte, die ihm alles in allem war, konnte ich nicht daran denken, meine Heimat zu verlassen und mir irgendwo anders mein Brot zu suchen, was mir gewiß leicht geworden wäre, da ich mir ja ein hinreichendes Vermögen erspart hatte und es Orte genug in der Welt gab, wo ich dasselbe ungefährdet und behaglich hätte verzehren können.

Baron Juell Wind wußte, daß ich seinetwegen allein in Apenrade blieb, und er vergalt mir meine Anhänglichkeit an seine Person mit unwandelbarer Freundschaft und Herzlichkeit. Seit meiner Rückkehr von Kopenhagen aber war er in eine verbitterte und trübe Stimmung geraten, und ich habe ihn seit jenem Tage nie mehr lächeln gesehen. Überhaupt sprach er weniger, selbst mit Karolinen, und wälzte insgeheim ernste und schwere Entschlüsse in sich herum, die erst allmählich zur Reife gediehen und die er weder mir noch meiner Schwester mitteilte, welche doch sonst in alle seine geheimsten Gedanken eingeweiht war. So war sie auch bisher sein Sekretär gewesen, hatte auf sein Diktat alle Schreiben an seine Geschäftsleute ausgefertigt, die er nur mit seinem Namen zu unterzeichnen pflegte, jetzt aber schrieb er häufig des Abends selbst, und Karoline mußte dann das Zimmer verlassen, um ihn ja nicht zu stören. Auch gingen von seiner Hand verfaßte Briefe in dieser Zeit nach verschiedenen Richtungen ab, und überhaupt entwickelte der alte Herr eine Tätigkeit nach außen hin, als wäre er noch einmal wieder jung geworden, oder als müsse er eifrig etwas nachholen, was er in früheren Zeiten versäumt.

Eines Tages aber, etwa drei Monate nach meiner Rückkehr aus Kopenhagen, sagte er mir, als ich nach einem Besuche Abschied von ihm nahm: »Morgen, Leo, ist zwar nicht dein Besuchstag in Harup, komm' aber dennoch heraus und sieh nach mir, es steht mir ein wichtiger Tag bevor, und ich muß mich mehr als gewöhnlich anstrengen. Ich könnte dabei schwach werden.«

»Was für einen wichtigen Tag haben Sie denn?« fragte ich.

»Ich mache morgen mein Testament,« versetzte er mit düsterer Stirn, »und eine Menge Leute, Advokaten und Zeugen, werden hier erscheinen, um meine wohlüberlegte Willensmeinung zu vernehmen und gesetzlich zu bestätigen. Das ist ein unangenehmer Tag für mich alten Mann, aber es geht nicht anders, er muß ertragen werden, da es noch Zeit dazu ist. Wäre mein Herr Sohn ein vernünftiger und gerechter Mann geblieben, so wäre dies alles nicht nötig geworden, ich hätte deiner Schwester und dir ganz einfach Legate ausgesetzt, und dann hätte er alles Übrige nehmen können. So aber hat er das verscherzt, und nun bekommt er nur ein Legat und Ihr das Übrige.«

»Wie,« rief ich erschrocken, »auch ich? O, ich bitte darum, daß Sie mir nichts vermachen; Sie haben mir früher schon hinreichend gegeben, und ich bin Mann genug, um mir selbst das Nötige zu erwerben, habe mir ja auch schon ein eigenes Vermögen erworben.«

»Sei still,« erwiderte er ernst, »du änderst nichts mehr an meinen Entschlüssen, sie sind für alle Zeiten gefaßt. Dir ausdrücklich vermache ich auch nichts, sorge nicht darum, aber deiner Schwester, meiner einzigen Tochter, vermache ich alles, in der vollen Überzeugung, daß auch du etwas haben wirst, so lange sie etwas hat. O, ich kenne Euch beide, so gut ich meinen Herrn Sohn Rolf kenne, und der ist jetzt im Reiche Dänemark ein bedeutender, vornehmer Mann geworden, der seines alten Vaters nicht mehr bedarf. Dank seiner dem Staate geleisteten Dienste bezieht er einen hohen Gehalt, und da er auch eine so reiche Frau geheiratet hat, braucht er meine Ersparnisse nicht mehr. Doch – ängstige dich nicht um ihn, Leo, ich sehe, du fühlst dich durch diese Mitteilung bedrückt, dein Gerechtigkeitsgefühl stimmt nicht ganz mit meiner Handlungsweise überein, aber sei ruhig, ich werde gerecht gegen ihn sein, sein Pflichtteil entgeht ihm nicht, den darf ich ihm sogar nicht vorenthalten. Doch nun geh' und komm' morgen bei Zeiten wieder.«

Ich ging in der Tat sehr bedrückt von ihm fort und kam am nächsten Mittag ebenso bedrückt wieder. Ich fand das ganze Haus voll eingeladener Gäste, von denen ein Teil dasselbe noch nie betreten hatte. Männer dänischer und deutscher Abkunft waren da, redliche und unredliche, befreundete und feindlich gesinnte, und während ich mit Karolinen still in deren Zimmer saß und mit ihr über das Vorgehende sprach, was sie auf keine Weise billigen wollte, wurde der wichtige Akt der Testamentsunterschreibung vollzogen und Baron Olaf Juell Wind hatte ein für allemal über sein großes Vermögen verfügt.

Viele der eingeladenen Männer sah ich gegen Abend kopfschüttelnd von dannen gehen, allen aber, Freunden wie Gegnern, hatte der alte ritterliche Herr, der in seiner ehemaligen Staatsuniform erschienen war, so sehr imponiert, daß sie trotz des Widerspruchs, den manche erhoben, doch zuletzt von der rechtlichen Denkungsart des Testators überzeugt, ziemlich befriedigt abreisten.

Von dem Testamente wurden fünf Abschriften gemacht und eins in Apenrade, eins in Kopenhagen und eins in Hamburg niedergelegt; ebenso wurden Vertrauensmänner ernannt, die über die richtige Vollstreckung desselben in künftiger Zeit zu wachen hatten. Auch Karoline erhielt eine Abschrift, aber versiegelt, und mit dem Befehle, dieselbe erst nach dem Tode des Testators und zwar in meiner Gegenwart zu eröffnen. Desgleichen wurde der obersten Magistratsbehörde in Apenrade eine Abschrift für Rolf eingehändigt, unter der Bedingung, daß erst nach dem Ableben des Vaters dem Sohne, der damals wieder in Kopenhagen lebte, dieselbe übersandt werden sollte.

Dies geschah im Anfang des Jahres 1852, und am Ende desselben hatte ich einen großen Verlust zu beklagen. Meine Frau hatte, wie du weißt, von ihrem Onkel eine Apotheke geerbt, die einen reichen Ertrag lieferte. Ich hatte sie übernommen und an einen tüchtigen Pharmazeuten verpachtet, der allerdings wie ich ein Mann vom deutschen Stamme war. Plötzlich erhielt ich den Befehl, den Pächter der Apotheke augenblicklich zu entlassen, da er das Vertrauen der Behörden verloren habe. Ich versuchte auf jede gütliche und demütigende Weise diesen Befehl rückgängig zu machen, allein vergebens. Ich mußte den Pächter gegen alles Gesetz entlassen und verlor dabei eine hübsche Summe Geldes, da ich mich persönlich dem armen Manne verpflichtet hielt. Doch was soll ich dir den schmählichen Fall noch weiter ausmalen – mit einem Wort, nach einem Jahr ward ich durch neuen Befehl und endlose Quälereien gezwungen, die Apotheke an einen Dänen zu verkaufen, da sie mir sonst ganz geschlossen worden wäre, und zwar zu einem Preise zu verkaufen, der nicht die Hälfte ihres Wertes betrug.

Als ich am Tage, wo dies geschah, zu dem Baron hinauskam und ihm mein neuestes Unheil erzählte, nickte er dreimal mit dem Kopfe und sagte: »Ich habe mir schon lange gedacht, daß es so kommen würde. Gib acht, es kommt noch besser. Da sie Euch Deutsche nicht alle köpfen oder verbannen können, wollen sie Euch das Leben unerträglich machen, damit Ihr von selbst gehet oder vor Kummer sterbet und die Herren von den Inseln da drüben das Reich allein für sich behalten. Haha! Es ist schändlich, bei Gott, aber es ist echt dänisch, ich kenne meine Landsleute, wenn sie das Übergewicht haben! Das ist der alte verfluchte Flibustier- und Piratensinn, der noch immer in ihren Köpfen spukt und in ihrem Blut gärt, und ehe nicht hunderttausend Mann von Deutschland herüberkommen und ihnen das ganze Land wegnehmen, eher fügen sie sich nicht, und selbst wenn sie sich gefügt haben, fügen sie sich doch noch nicht, und so geht es fort bis in alle Ewigkeit. Das sind eben die Dänen! Und mich – ach, mich hat Gott auch einen werden lassen, aber es ist nicht mit meinem Willen geschehen, das kann ich beschwören.«

So klagte und grollte der alte Herr, fast alle Tage, so oft ich zu ihm hinauskam, aber das Essen schmeckte ihm, er trank täglich mit Appetit seine Flasche Burgunder, und dabei war er heiter und zufrieden, bis in sein einundachtzigstes Jahr, denn bis zum Jahre 1856 im Januar lebte er. Diesen Todesfall aber, da er für mich mit besonderen Umständen verknüpft war, die mich endlich in die Verbannung trieben, muß ich dir umständlicher erzählen, und ich leite diese letzte Schreckensperiode meines Aufenthaltes im Vaterlande damit ein, daß ich dir sage, daß die letzten Jahre in einer Art Windstille verstrichen, die nichts Feindliches ahnen ließ, daß wir uns, da wir nicht anders konnten, in die barbarische Dänengewalt fügten und alle Tage auf die Geburt eines neuen uns rettenden Messias hofften, der uns aber ebenso wenig geboren wurde, wie er es jemals den Juden ward.

Der erste Tag des Jahres 1856 war angebrochen. Ich war, nachdem ich früh am Morgen meine Glückwünsche auf Harup abgestattet, nach Hadersleben gereist, wohin ich wegen eines sehr schweren Krankheitsfalles durch einen Eilboten berufen worden war. Ich hatte hinterlassen, daß ich spätestens am 4. Januar wieder in Apenrade zurück sein würde. Bald nach meiner Abreise erkrankte der alte Baron heftig, und Karoline, die sich nicht anders zu helfen wußte, schickte zu einem alten Wundarzt in der Stadt, den sie durch mich als einen tüchtigen Praktikus kannte. Derselbe kam auch sogleich nach Harup hinaus, verordnete das Notwendige, gab die beste Hoffnung und fuhr wieder fort. Durch ihn zunächst wurde die Erkrankung des Barons in der Stadt bekannt und kam so zu den Ohren der ersten Magistratsperson, die, wahrscheinlich für solchen Fall mit Instruktionen versehen, nichts Eiligeres zu tun hatte, als die Nachricht nach Kopenhagen zu telegraphieren, woselbst damals der Sohn des Erkrankten noch immer seine einflußreiche Stellung behauptete. Die Antwort kam umgehend zurück und lautete dahin: nicht zu dulden, daß Doktor Marssen den Kranken in Behandlung nehme, sondern daß der Amtsphysikus, der in meine Stelle getreten, berufen werde. Dies geschah von seiten der Behörde in meiner Abwesenheit, und als ich am 4. Januar mittags in Harup eintraf – der Brief den mir Karoline sogleich durch die Post nachgesandt war mir nicht zugekommen, weil er wahrscheinlich auf dem Postamt erst geöffnet und durchstöbert war – fand ich den Herrn Amtsphysikus, diesen unwissenden und einer so schwierigen Krankheit durchaus nicht gewachsenen Mann, vor dem Bett des Barons sitzen, während dieser schlief und Karoline erwartungsvoll und weinend ihm zu Häupten stand.

Als meine Schwester mich kommen sah, flog sie in meine Arme und schluchzte laut. Auch der Physikus erhob sich und stellte sich mir mit bedeutsamer und vornehmer Miene als der vom Sohne des Kranken in Kopenhagen herbeigerufene Arzt vor.

Ich wollte eben einige Worte darauf erwidern, als der Kranke aus seinem Schlummer erwachte und uns alle drei gleich erkannte, wenigstens meine Schwester und mich, denn den Fremden hatte er noch nie gesehen und nur aus meinen früheren Mitteilungen erfahren, daß derselbe auf so herrische Weise mein Nachfolger im Amte geworden war.

Zuerst nun nickte der Kranke mir und meiner Schwester freudig zu, dann wandte er sein großes braunes Auge verwundert auf den Physikus. Ich werde diesen, allmählich starrer werdenden und fragenden Blick des alten Mannes nie vergessen, der so deutlich sprach, wie nur Worte es hätten tun können: »Wer sind Sie und was wollen Sie?«

»Ich bin der Amtsphysikus Krabbe,« sagte er mit kaum verständlicher Stimme, »und befinde mich auf ausdrücklichen Befehl Ihres Herrn Sohnes in Kopenhagen hier.«

Da richtete sich der alte Herr ohne alle Anstrengung im Bette auf, sah den Mann ingrimmig an und schmetterte mit seiner Kommandostimme die Worte hervor: »Verlassen Sie mein Zimmer augenblicklich, Herr, mein Sohn hat hier nichts mehr zu befehlen!«

Der Physikus, vollkommen eingeschüchtert, tat einen raschen Schritt rückwärts, machte jedem von uns eine tiefe Verbeugung, murmelte einige Worte in den Bart und verschwand aus dem Zimmer wie ein durch höhere Autorität verscheuchtes Gespenst. Jene wenigen Worte aber waren die letzten klaren und zusammenhängenden Sätze des Kranken gewesen, denn kurz nach dem Weggehen des Physikus verfiel er wieder in Schlummer, aus dem er nur noch selten und nie ganz bei völliger Besinnung erwachte.

Der Erzählende, der in den letzten Minuten schwer geatmet hatte, hielt hier einige Augenblicke inne, als bedürfe er der Ruhe, dann seufzte er leise auf, fuhr aber bald wieder mit ruhiger Stimme folgendermaßen zu reden fort:

»Drei Tage kämpfte der Tod mit dem so fest am Leben hängenden Greise; alle Mittel, die mir und der Wissenschaft zu Gebote standen, wandte ich an, um sein irdisches Dasein noch um einige Stunde zu verlängern, allein es gelang mir nicht, dem Tode die erfaßte Beute zu entreißen, das Alter machte seine Rechte geltend, die Grenze des Irdischen war erreicht und Baron Olaf Juell Wind schlummerte still und sanft, wie er gelebt, zu seinen Vätern hinüber.

Meiner Schwester Schmerz war unsäglich groß, als habe sie einen wirklichen Vater verloren, was ihr der Verstorbene ja auch in der Tat gewesen war. Alles Gute, was sie im Leben genossen, war von ihm gekommen, er hatte unzählige Wohltaten auf sie und auf mich gehäuft, und vielleicht gerade, weil wir uns dessen so lebhaft bewußt waren, suchte uns beide ein unausgesprochenes, aber seltsam trauriges Vorgefühl heim, als ob wir durch diesen Tod selbst an eine wichtige Grenzscheide unseres Lebens getreten wären und daß nun Tage über uns hereinbrechen könnten, die uns weniger gefallen würden als die früheren, so oft und bitter wir auch schon heimgesucht worden waren.

Wenige Stunden nach dem Ableben des reichen und angesehenen Mannes hatte sich die Kunde davon nach allen Richtungen verbreitet, und die erste fremde Person, die im Trauerhause erschien, war der dänische Hardesvogt mit seinen Gehilfen, der, ohne auf unsere Anwesenheit die mindeste Rücksicht zu nehmen, sofort die Versiegelung des Nachlasses des Verstorbenen vornahm.

Ich brauchte das eigentlich nicht zuzugeben, da mir bekannt war, daß Baron Juell Wind in seinem Testament sich die Versiegelung ausdrücklich verbeten hatte, allein ich stand von allem aktiven Vorgehen gegen die gesetzlichen Anordnungen der dominierenden Gewalt absichtlich ab, und Karoline war durch kein Zureden zu bewegen, schon jetzt die ihr übergebene Abschrift des Testaments zu eröffnen.

Zwei Tage vergingen uns in banger und erwartungsvoller Stille. Karoline war auf Harup in ihrem Zimmer geblieben, wo einige Näherinnen ihr den Traueranzug anfertigten; ich kehrte nur spät abends nach Apenrade zurück und leistete ihr den ganzen Tag Gesellschaft, indem ich mit ihr die Anordnung zur Beerdigung traf, wie sie mir Baron Juell Wind oft genug im Leben auf die Seele gelegt hatte.

Ganz gegen den Wunsch des Entschlafenen, der ohne alles Gepränge hatte begraben werden wollen, versammelte sich am Begräbnistage eine große Menschenmenge auf dem stillen Schlosse. Niemand konnte es verhindern, daß sich nah und fern Wohnende aus freien Stücken, teils aus Teilnahme, teils aus Neugierde, oder auch aus anderen Gründen dabei beteiligten. Außer den zahlreichen Bekannten und Nachbarn, die alle, ob Freunde, ob Feinde, eine große persönliche Achtung für den redlichen Mann gehegt, erschienen auch viele arme Leute, die der Verstorbene bisher unterstützt hatte, und unter denen sich, ich weiß nicht durch wen, die Kunde verbreitet, daß der Baron ihnen eine bedeutende Summe in seinem Testament ausgesetzt habe, was sich später auch wirklich als richtig erwies.

Am Abend nach dem Begräbnis, welches am Morgen stattgefunden, kehrte ich mit meiner Schwester nach Apenrade in mein kleines Haus zurück, nachdem wir die ihr unzweifelhaft zugehörigen Besitztümer auf einem Wagen vorausgesandt, und nun erst, als wir uns behaglich in unserer letzten Heimat eingerichtet, konnte ich Karolinen bewegen, an das Testament ihres zweiten Vaters zu denken und dasselbe endlich einer genauen Durchsicht zu unterwerfen.

Ich war auf alles, was nun kam, längst vorbereitet, denn ich kannte meine Schwester, die, so sanft und nachgiebig sie sonst war, einen ungewöhnlich festen und beharrlichen Sinn in der Befolgung dessen besaß, was sie einmal als recht und billig erkannt zu haben glaubte. So sah ich sie denn vor Schreck erbleichend zusammensinken, als sie jetzt erfuhr, daß sie die Universalerbin des reichen Mannes sei, und daß dessen einziger leiblicher Sohn sich, infolge seiner früheren, den Vater empörenden Handlungsweise, nur mit einem Pflichtteil begnügen müsse.

»Das nehme ich nun und nimmermehr an,« rief sie entschlossen, nachdem sie sich von dem Schreck erholt, »und du, du, Leo, wirst mich nicht bestimmen oder überreden wollen, von dem Rechte Gebrauch zu machen, welches mir hier ganz gegen meinen Wunsch übertragen wird.«

»Ich kann und will weder etwas dafür noch dagegen tun,« sagte ich ihr ruhig. »Baron Juell Wind, dein Vater, hat gesetzlich über sein Vermögen verfügt, und auch du wirst dich seinen Anordnungen so gut wie jeder andere unterwerfen müssen.«

»Das wollen wir abwarten,« erwiderte sie. »Wir sind nicht die ersten, die für oder gegen das Testament auftreten werden, das weiß ich gewiß; aber es wird in Kopenhagen Menschen geben, die an unserer Stelle handeln und mich hoffentlich von der Last befreien werden, die durch dieses Testament auf meine Seele gehäuft ist.«

Dabei blieb es vor der Hand, und die gute Karoline sollte in ihren Voraussetzungen von den Menschen in Kopenhagen recht haben, wie auch dir bald das Nächstfolgende beweisen wird.

Nicht auf uns allein hatte der Inhalt des Testaments eine so große Einwirkung geübt, auch auf andere brachte er dieselbe hervor; denn kaum war das Vermächtnis des Barons, sowie der Umstand bekannt geworden, daß Harup mit allem und jedem Inventar schon längst zu Gunsten Karolinens verkauft sei, so flutete ein wahrer Strom von Vorwürfen und Anklagen gegen uns auf, und die am mildesten über uns urteilenden Gegner waren die, welche uns ganz einfach einer nichtswürdigen und bei einem unzurechnungsfähigen Greise vollkommen geglückten Erbschleicherei beschuldigten. Von den mir Näherstehenden, die mich und Karolinen kannten und meinen öffentlichen wie privaten Charakter besser zu würdigen wußten, wurde dieses herbe Urteil natürlich nicht über uns verhängt, im Gegenteil, man nahm herzlich für uns Partei, man gönnte uns das uns zugefallene Glück – was wahrhaftig unter den obwaltenden Umständen kein Glück für uns war – und fand es ganz in der Ordnung, daß Baron Juell Wind in seinem letzten Willen nach seiner Überzeugung entschieden hatte.

Ich für meinen Teil bekümmerte mich indessen nicht um das Gerede der Leute. Wo ich dennoch gefragt wurde, erzählte ich ehrlich den wahren Sachverhalt und ließ mich niemals auf nähere Erörterungen darüber ein. Ruhig wie bisher ging ich meinen Geschäften nach, nur konnte ich sehr bald bemerken, daß alle Personen, die mit den verschiedenen dänischen Behörden in Apenrade in irgend einer Verbindung standen, mit einem Wort: alle dänisch Gesinnten, mir geflissentlich aus dem Wege gingen, mich mit höhnischen Blicken verfolgten, wo sie es unbeachtet tun zu können glaubten, und in ihrem ganzen Wesen einen stillen Triumph durchblicken ließen, der denn auch bald zum Ausbruch kam und mich auf eine Weise niederwerfen sollte, wie ich es bis dahin nicht für möglich gehalten hatte.

Gegen meine Schwester, die das Haus mit keinem Schritt verließ, konnte und wollte niemand einschreiten, sie war doppelt und dreifach durch das Gesetz geschützt, welches der alte Baron zu ihren Gunsten aufzurufen wohl verstanden hatte, dafür aber schüttete man allen Groll über meine unschuldige Person aus und bald sollte ich das Weh empfinden, zu erfahren, auf welche nie dagewesene Weise man das Glück eines Mannes untergraben könnte, dem man von keiner anderen Seite her beizukommen imstande war.

Vierzehn Tage hatten wir in größter Zurückgezogenheit von aller Welt in unserm stillen Häuschen verbracht, und ich hatte Karolinen nur verlassen, wenn ich meine Kranken besuchen mußte, als ich eines Morgens vom Polizeiamt der Stadt eine schriftliche Vorladung zu einem Termin auf einem Gerichtszimmer erhielt, in welchem, wie mir bekannt war, nur wichtige Verhandlungen gepflogen wurden. In der Überzeugung, daß diese Vorladung mit der Erbschaft in irgend einer Verbindung stehe, sagte ich Karolinen nichts davon und begab mich zur bestimmten Zeit auf das Amt. Hier wurde mir zu meinem grenzenlosen Erstaunen die Mitteilung gemacht, daß ich mich von neuem in Untersuchung befände und zwar aus dem Grunde: den verstorbenen ehrenwerten Baron Olaf Juell Wind weder wissenschaftlich noch gewissenhaft ärztlich behandelt, vielmehr nach oberflächlicher Beobachtung in seiner Krankheit fahrlässig im Stich gelassen und somit unmittelbar seinen Tod, wenn nicht veranlaßt, doch verschuldet zu haben. Infolge dieses, mich und meine ärztlichen Leistungen sehr gravierenden Vorfalles sei ich des öffentlichen Vertrauens verlustig gegangen, und ich müsse deshalb von gegenwärtiger Stunde an über alle Kranken, die noch in meine Behandlung kämen, wöchentlich vollständige Krankenberichte, nebst Angabe der ihnen verordneten Arzneien, der Behörde einreichen, damit diese imstande sei, mein ferneres ärztliches Wirken gehörig zu kontrollieren. Im übrigen sei der Amtsphysikus Krabbe beauftragt, mir in vorkommenden schwierigen Fällen als Beistand und Berater zu dienen, und ich habe deshalb allen Anordnungen desselben Folge zu leisten.

Als mir diese Mitteilung von dem dänischen Herrn in dänischer Sprache gemacht wurde, stand ich einen Augenblick wie versteinert da, denn einen solchen gewalttätigen Eingriff in die persönlichen Rechte eines gebildeten und schuldlosen Mannes, der allen Anforderungen der Wissenschaft wie des Gesetzes jederzeit entsprochen hatte, war mir ganz unbegreiflich und, soviel ich weiß, noch in keinem Staate Europas vorgekommen. Und dennoch war dieser Angriff gegen mich geschehen und mir stand in meinen augenblicklichen Verhältnissen kein Mittel zu Gebote, welches mich dagegen zu schützen vermochte.

Als ich mich aber bald von meinem ersten Erstaunen erholt hatte, erklärte ich dem Beamten, daß ich keinesfalls gewillt sei, diesen Anforderungen nachzukommen, daß keine Behörde befugt sei, auf diese Weise in meine mir vom Staate garantierten Rechte einzugreifen, und daß ich dagegen gerichtlichen Beistand ergreifen, mein Recht bis zum äußersten verfolgen und dasselbe erlangen würde, trotz aller mächtigen Gegner, die mir in diesem Falle gegenüberstehen möchten.

Man lachte mir ins Gesicht, als ich dies ruhig und ohne alle Aufregung vorbrachte, und erwiderte mir höhnisch: ich solle den angedrohten Prozeß nur beginnen, ich würde mich aber bald überzeugen, daß kein Gericht denselben führen werde, da ich von langer Zeit her als Übelgesinnter bekannt sei, da ich von jeher ein unruhiger Kopf gewesen, und daß man deshalb sich vorgesehen und vom höchsten Tribunal in Kopenhagen selbst die Befehle zur gesetzlichen Einschreitung gegen mich habe erteilen lassen.

Als ich diese Aufklärung über meine Lage erhielt, verstummte ich, denn ich sah ein, daß ich von mir unbekannten Richtern bereits vor der Untersuchung verurteilt sei, und daß mir kein Protest, er sei so gerecht wie er wolle, gegen eine solche Gewaltmaßregel etwas helfen werde. So erkannte ich denn zu meiner tiefsten Betrübnis, daß meine Existenz in Schleswig vernichtet war, daß man, da man mir wegen der Erbschaft meiner Schwester kein Hindernis in den Weg legen konnte, das Äußerste getan, um mir ein längeres Verweilen in meiner Heimat unmöglich zu machen, denn daß ich mich als Mann von Ehre, Gewissen und Rechtlichkeitsgefühl nicht unter jene maßlosen Verordnungen beugen würde, stand bei mir auf der Stelle fest. Meine Feinde waren also mächtiger als ich, und so viel Beistand ich auch von meinen Freunden erwarten konnte, sie waren ohnmächtig gegen die höhere politische Gewalt, die uns Deutsche, noch ehe wir für schuldig befunden, schon alle verurteilt hatte.

Dennoch nahm ich, bevor ich meiner Schwester den letzten Schlag mitteilte, Rücksprache mit verschiedenen mir befreundeten Advokaten, allein sie zuckten sämtlich die Achseln und rieten von einem Vorgehen gegen die feindliche Übermacht ab, da nichts imstande wäre, den gegen mich von oben her verhängten Beschluß rückgängig zu machen. Eine Bestätigung dieser Ansicht erhielt ich acht Tage später, als mir eine noch verschärfte schriftliche Wiederholung jener Mitteilung von der Behörde überreicht wurde, worin am Schlusse der meine Existenz wirklich vernichtende Entscheid ausgesprochen war: daß ich von der obersten Medizinalbehörde des Staats für unfähig erkannt sei, ferner im Reiche Dänemark ausübender Arzt zu sein, und daß ich die mir verliehenen dahinzielenden Dokumente zurückzureichen habe.

Erst nachdem ich alle Schritte, dies unverdiente Unheil von mir abzuwenden, für vergeblich erkannt, entschloß ich mich, meine Schwester von meiner verzweifelten Lage in Kenntnis zu setzen. Sie nahm ganz gegen Erwartung meine Mitteilung wunderbar gefaßt auf. »Mich bindet nichts mehr an dieses unglückliche Land,« sagte sie, »seitdem mein guter Vater tot ist. Suche dir eine andere Heimat, wo du willst, ich folge dir gern und willig dahin.«

So fingen wir denn ohne Säumen unsern Abzug von Apenrade vorzubereiten an, ohne daß ich außer meinen besten Freunden irgend jemandem meine Absicht zu erkennen gab. Nur unter der Hand waren wir um so tüchtiger. Ich hatte das Glück, mein letztes Besitztum in der Stadt, mein Wohnhaus, ziemlich gut zu verkaufen, ebenso meine Wagen und Pferde, und nachdem ich auch meine Möbel und sonstige Dinge, die ich nicht mitnehmen wollte, teils verschenkt, teils verhandelt, meldete ich mich bei der Polizeibehörde und bat um den Auswanderungskonsens. Mit diesem Gesuch trat ich bei dem Polizeimeister so unerwartet ein, daß er erstaunt aufblickte und mir erst nach einer Weile zu verstehen gab: so eilig das Land zu verlassen, liege ja eigentlich keine Notwendigkeit vor, und ich hätte lieber die mir gestellten Bedingungen annehmen sollen und dann noch lange unangefochten im Lande leben können.

Ich antwortete ihm nichts hierauf und fragte nur, zu welcher Zeit ich meinen Paß erhalten könne?

»Den können Sie sich überallhin nachschicken lassen,« erwiderte er brummend, da er an meinem Schweigen merkte, daß ich auf seine Meinungsäußerungen gar nicht geachtet hatte.

»So schicken Sie ihn mir nach Hamburg, und hier ist die Adresse, unter welcher er mich erreichen wird.«

Das war meine letzte Verhandlung mit einer dänischen Behörde in Schleswig, und schon einige Tage später, nachdem wir noch einmal ganz im stillen das Grab unseres Wohltäters in Harup besucht, befanden wir uns auf der Reise nach Hamburg, um uns sogleich zu dem befreundeten Bankier zu begeben, der in Gemeinschaft mit einem ihm beigegebenen Advokaten das Vermögen meiner Schwester verwaltete.

Beide empfingen uns mit der herzlichsten Freundschaft und wollten uns sogleich von dem vorhandenen und schon bedeutend durch Zinsen angewachsenen Vermögen Rechnung ablegen. Allein wie erstaunten sie, als Karoline ihnen sagte, daß sie dieses Vermögen nicht als das ihrige betrachte, vielmehr gegen das Testament ihrerseits Protest einzulegen beabsichtige.

»Ich erkenne und ehre Ihre Absicht wohl, mein Fräulein,« erwiderte ihr der Advokat, »aber ein solcher Protest ist ganz überflüssig. Wenn Sie das Vermögen wirklich nicht für sich in Anspruch nehmen wollen, so können Sie es ganz einfach in der Bank oder wo Sie sonst wollen, stehen und uns auch fernerhin für die Verwaltung desselben sorgen lassen. Anderweitige Bestimmungen, je nach Ihrer Ansicht, können Sie dann jeden Augenblick treffen. Auch würde Ihnen jener Protest gar nichts nützen: der Testator hat sich einmal zu Ihren Gunsten ausgesprochen, und falls Sie keinen Gebrauch von Ihrem Vermögen machen wollen, so ist das eine rein persönliche Angelegenheit, die Gerichte aber bekümmern sich nicht darum.«

»Bis sie sich darum bekümmern müssen,« erwiderte meine Schwester, die auf ihrem einmal gefaßten Vorsatz unabänderlich beharrte.

»Wieso? Was meinen Sie?« fragte der Advokat und der Bankier in einem Atem.

»Ich bin überzeugt,« erwiderte sie, »daß der enterbte Sohn des Barons Juell Wind sich nicht mit der Enterbung beruhigen, vielmehr alles aufbieten wird, um die fremden Ansprüche den seinigen und natürlicheren nachzusetzen.«

Die beiden Männer lächelten und nickten sich mit stillem Einverständnis zu. »Sie brauchen das nicht mehr zu befürchten,« sagte dann der Advokat, »denn der Sohn des Erblassers hat sowohl in Kopenhagen wie hier bereits Einspruch gegen das Testament erheben lassen, ist aber mit allen seinen Ansprüchen für alle Mal zurückgewiesen worden.«

Karoline sowohl wie ich machten große Augen, denn davon hatten wir noch kein Wort gehört.

»Ja,« fuhr der Advokat fort, »der Herr hat sich viel Mühe gegeben, um die Erbschaft für sich zu erlangen und hat uns durch seinen Advokaten sogar mit einem Prozeß deshalb bedroht. Allein er hat sich bald zufrieden geben müssen, nachdem er von verschiedenen Seiten her die nötige Aufklärung erhalten. Das Testament, hat man ihm begreiflich gemacht, ist in aller Form Rechtens ausgestellt. Der Erblasser hat gerechte Gründe für seine Enterbung gehabt, und es sei keine Aussicht vorhanden, wenn er auch noch so viele Kosten aufwende, ihn jemals für sich zu gewinnen. Namentlich aber habe die Erklärung seines Vaters ein schweres Gewicht geübt, daß er ihn deshalb enterbt und nur auf den Pflichtteil gesetzt, weil er sich gegen seinen Willen und die in der Familie üblichen Grundsätze mit einer Ausländerin verbunden und weil er hierdurch alle kindliche Achtung gegen seinen Vater aus den Augen gesetzt habe. Auf diesen Bescheid hat sich der Advokat Ihres Gegners und dieser selbst zufriedengegeben, und Sie können die Sache als ein für allemal abgemacht betrachten.«

Karoline senkte den Kopf und schwieg. Endlich aber gab sie den beiden Herren die Erklärung ab, die sie schon vorher angedeutet, daß sie das Erbteil nicht als das ihrige betrachte und daß sie fernerhin von ihr oder mir erfahren würden, was mit den alljährlich ablaufenden Zinsen des Kapitals zu beginnen sei.

Dies, mein Sohn, war die letzte gerichtliche Verhandlung, die deine Tante wegen ihres Vermögens abhielt, und seitdem hat sie nur mit mir privatim darüber geredet, und ich habe ihren Wunsch und Willen pünktlich befolgt. Doch davon nachher. Ich habe erst noch einiges andere nachzuholen, um in meiner Erzählung bis auf diesen Tag zu gelangen.

Die erste Frage, die uns nun in Hamburg entgegentrat, betraf die Wahl unseres künftigen Aufenthalts. Ich wäre gern in Hamburg geblieben, aber da hatten wir den traurigen Schauplatz unseres Mißgeschicks beständig zu nahe vor Augen. Einen Augenblick lang dachte ich an eine Auswanderung nach Amerika, aber Karoline lehnte dieselbe bestimmt ab, und auch deinetwegen war mir ihr Widerspruch recht. Unsere deutsche Heimat war uns beiden zu lieb, als daß wir sie, so lange uns noch die Wahl blieb, mit dem unbekannten Lande jenseit des Meeres hätten vertauschen sollen, und so beschlossen wir beide, uns nicht davon zu trennen. So nahmen wir uns denn vor, fürs erste zu reisen und uns da eine neue Heimat zu suchen, wo es uns am besten gefallen würde.

Wir begannen unsere Reise damit, daß wir dich am Rhein besuchten, worüber du damals eine so große Freude hattest, ohne das unermeßliche Wehgefühl zu ahnen, welches uns aus unserer Heimat so schmählich Vertriebenen das Herz zerriß. So sehr auch wir uns freuten, dich wiederzusehen und in der hoffnungsvollsten künstlerischen Entwicklung zu finden, und so überaus schön uns der Rhein mit seinen malerischen Burgen und seinen weinbekränzten Höhen entgegentrat, so vermochte doch alles dies noch lange nicht die Wolken zu lichten, die unser Gemüt so trübe verschleierten. Auch das herrliche Baden mit seinen dunklen Bergwäldern, seinen Gärten und fröhlichen Menschen übte noch keine erheiternde Wirkung auf uns aus, obwohl wir uns gemächlich darin umsahen, denn wir hatten ja keine Eile. Endlich lockte uns die nahe Schweiz, und wir traten bei Basel in dieselbe ein, um uns bald nach Zürich zu begeben. Da, beim Anblick des hochherrlichen Sees ging uns zum erstenmal das Herz wieder auf, und eine leise Ahnung beschlich uns, daß es noch eine zweite Heimat auf dieser Erde für uns geben könne. Wir weilten mehrere Wochen am Züricher See und machten uns während dieser Zeit mit den Schweizer Zuständen bekannt. Von Zürich gingen wir nach dem Vierwaldstädter See und fuhren entzückt das herrliche Reußtal hinauf, kletterten über die Furca und den Rhonegletscher und gelangten, wie du vor einigen Tagen, durch das Haslital nach dem Berner Oberlande. Hier in Interlaken machten wir einen längeren Halt und kehrten in die gemütliche Pension bei dem guten Ruchti in Unterseen ein.

Bis hierher waren wir, das empfanden wir jetzt erst, auf unserer ganzen Reise eigentlich blind, taub und gefühllos gewesen, denn das uns widerfahrene Unglück drückte so schwer auf unser Gemüt, unsern Geist, daß auch unser Körper zu leiden und die ihm anheimgegebenen Sinnesfunktionen nur mechanisch zu verrichten schien. Wenn aber irgend noch ein Funke des alten gesunden Lebens und Gedeihens in uns verborgen lag und es ein Mittel gab, ihn wieder zur hellen Flamme anzufachen, hier ward er entzündet, und das merkten wir sehr bald an uns selber, denn hier wachten wir wie aus einem schweren Traume, einem gefühllosen Schlafe auf, und unsere Augen öffneten sich weit, weit, um die Reize in sich aufzunehmen, die Gott der Allmächtige mit seiner unendlichen Vatergüte ringsherum so reich ausgestreut hat. Ja, als ich mich hier im Bödeli umgeschaut, als ich das ganze wonnige Tal von einem Ende zum andern durchwandert und nach allen Seiten das angehäufte Schöne und Große darin, vor allem, als ich die erhabene Jungfrau mit ihren unermeßlichen Schneefeldern und Gletschern gesehen, da sagte ich mir: ja, wenn ich irgendwo gesunden, mich selbst wiederfinden kann, so kann es nur hier geschehen!

Und in der Tat, mein Sohn, wir fanden uns und gesundeten wieder, denn Karoline teilte alle Gedanken und Empfindungen mit mir. Von hier aus unternahm ich Schritte in Bern, um mich in der Schweiz naturalisieren zu lassen, was keine Schwierigkeiten bot, denn ich hatte in einem bei der Regierung angesehenen Mann einen alten Bekannten daselbst gefunden, der sich meiner freundlich annahm und mich in allen meinen Wünschen unterstützte. So blieb ich denn mehrere Monate bei Ruchti in Pension, bis ich durch Zufall im Frühling des Jahres l857 meinen kleinen Wohnsitz erwarb. Ein alter Engländer, der sich hier niedergelassen, starb plötzlich, und seine Verwandten, die nicht nach dem Festlande übersiedeln mochten, boten sein Haus zum Verkauf aus, nachdem er es eben erst neu erbaut und mit einer hübschen inneren Einrichtung versehen hatte. So kaufte ich es für einen verhältnismäßig billigen Preis mit seinem Inventarium, und so lebe ich jetzt als Schweizer Bürger in Interlaken in friedlichster und glücklichster Stille. Bisweilen allerdings sucht uns noch ein leise nachzitternder Schmerz um das Verlorene heim, ein schwermütiges Gefühl, dem Heimweh ähnlich, verdunkelt uns noch dann und wann eine helle Stunde, aber das neue Vaterland läßt bald darauf wieder seine vollen Reize wirken, und wir sind endlich im ganzen so glücklich und zufrieden geworden, wie es aus ihrem Vaterlande Verbannte nur sein und werden können.

Über die Stellung, die ich unter den Mitbewohnern des Bödeli und meinen Nachbarn einnehme, brauche ich dir nur wenige Worte zu sagen. Ich habe mich hier nicht als Arzt, vielmehr nur als Privatmann niedergelassen. Im Winter beschäftige ich mich mit wissenschaftlichen Studien und Arbeiten, und im Sommer erfreue ich mich der großartigen Natur, deren geheimnisvolles Walten hier mehr als irgendwo anders dem denkenden Menschen ein schönes Rätsel aufgiebt, das er, wenn nicht zu lösen, doch immer wieder von neuem zu sehen und zu hören die Neigung besitzt. In dieser Weise wollte ich ganz unbemerkt und unbeachtet leben, allein man kann nur schwer ganz von einem Beruf lassen, dem man alle Kräfte und Mittel geweiht, den man so viel Jahre getrieben und daher liebgewonnen hat und in den man immer wieder zurückfällt, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Einige schwer Erkrankte, denen ich zufällig einen heilsamen Rat gab, in den Bergen Verunglückte, denen ich beisprang, brachten mich bald als Heilkünstler in Ruf, und so kam es, daß man mich in verzweifelten Fällen, wo auch ich nicht immer nützen kann, weit und breit zu Rate zieht. Nun, ich habe meinen Nächsten überall gern geholfen, wo ich konnte, also tue ich es auch hier gern, und so bin ich allmählich in meinem jetzigen Wohnort ein geachteter Mann geworden, wie ich es einst in meinem Vaterlande war, und ich habe eine so schöne Wirksamkeit gefunden, wie sie sich ein arbeitsamer Mensch nur wünschen kann.

Hier hast du das Leben, welches ich mit meiner Schwester noch heute ruhig führe, und es ist dir nun nichts mehr in unsern Verhältnissen verborgen geblieben. Freue dich, daß du ähnlichen Schicksalsschlägen, wie wir sie erlitten, für dein ganzes Leben entrückt bist, denn du lebst in einem Lande, in welchem der Mensch mit seinem zu Gott aufstrebenden Geist sich nach allen Richtungen frei bewegen und alle seine Fähigkeiten entwickeln kann, ohne bald hier, bald da ein Hemmnis und einen Wächter aufgestellt zu finden, der ihm zuruft: bis hierher darfst du nur gehen und nicht weiter.

Mein mir übrig gebliebenes kleines Vermögen ist in Hamburg sicher angelegt; ich besitze gerade so viel, daß ich einfach und gemächlich leben kann. Schwelgerische und größere Genüsse, als ich sie mir hier bereiten kann, habe ich nie geliebt und niemals Bedürfnis danach gehabt.

Meiner Schwester stehen freilich, außer ihrem kleinen elterlichen Vermögen, bedeutendere Mittel als mir zu Gebote, wie du eben erfahren hast, aber sie hat sie bis auf den heutigen Tag nicht angerührt, die unerhobenen Zinsen vielmehr sammeln und zum Kapital schlagen lassen. Welchen Gebrauch sie einst davon machen wird, wenn sie es überhaupt je als das ihrige betrachtet, weiß ich nicht und danach forsche ich auch nicht, da es eine stillschweigende Übereinkunft zwischen uns ist, nicht mehr über gewisse Personen und Verhältnisse zu reden, was ihr stets eine bittere Pein verursacht. Wenn ich jedoch aus einigen Andeutungen schließen darf, die sie mir dann und wann zufällig oder in mitteilsamen Augenblicken gemacht hat, so glaube ich, daß sie das vom Baron Juell Wind ererbte Vermögen niemals für sich, oder ihre Angehörigen in Anspruch nehmen, sondern es einst den Kindern dessen vermachen wird, dem es nach ihren Begriffen von Recht und Billigkeit eigentlich gebührt. Darin nun kann ich ihr nicht entgegenstreben, ja es liegt etwas in mir, was mich ihr in diesem Punkte beizupflichten zwingt. So schwer Rolf Juell Wind Karolinen auch einst gekränkt und so bitter er mich im tiefsten Herzen verwundet hat, Karoline trägt ihm keinen Groll mehr nach und ich hasse ihn nicht, er ist mir nur gleichgültig geworden. Darin aber stimmen wir beide überein, daß seine Kinder, wenn er welche hat, an seinen schlimmen Handlungen unschuldig sind, also auch nicht die Nachteile verdient haben, die ihrem Vater aus dem Verluste eines so bedeutenden Vermögens erwachsen sind.

Hier hast du alles, was ich dir über unsere Verhältnisse sagen kann. Du willst jetzt nach Italien und brauchst Mittel dazu. Willst du diese Mittel von der Tante beziehen, da ich sie dir nicht so reichlich gewähren kann, wie ich wohl möchte, so gehe sie selbst wiederholt mit Bitten an und vielleicht gelingt es dir, ihrem Liebling, ihren Sinn zu ändern und sie zu vermögen, wenigstens einen Teil von den Zinsen anzugreifen –«

»Halt, mein Vater,« unterbrach Franz Marssen den Redenden mit auffallender Wärme und legte seine Hand fest auf dessen Arm, »Gott bewahre mich vor einem solchen Versuch! Ich bin weit entfernt davon, Tante Karoline überreden zu wollen, auch nur einen Pfennig dieses Vermögens für mich anzugreifen. Ehe ich das tue, will ich lieber keine Studienreise machen und mich mit dem begnügen, was ich hier habe und finde. Nein, dieses Vermögen Karolinens ist ein heiliger Schatz, den keine fremde Hand anrühren darf. Die Seelenruhe der guten Tante würde gestört werden, wollten wir nur unsere Augen darauf richten. So werde ich mir denn selbst zu helfen suchen. Ich werde meine drei fertigen Bilder ausstellen, einige andere dazu malen und vielleicht finden sich Käufer dafür. Bis dahin aber bleibe ich bei dir, wenn du mich behalten willst, studiere ruhig weiter und bemühe mich, mit eigenen Kräften das Ziel zu erreichen, welches ich mir vorgesteckt. Doch nun habe ich noch eine Frage. Was ist aus Rolf Juell Wind geworden? Habt Ihr keine Kunde von ihm?«

Doktor Marssen runzelte etwas die Stirn, dann sagte er, wie aus einem Traume erwachend: »Ich weiß eigentlich nur sehr wenig von ihm, mein Sohn. Anfangs hatte ich mir alle Mitteilungen über ihn verbeten, denn ich wollte nicht immer und ewig an den schwarzen Flecken in meinem Leben erinnert werden. Späterhin aber gingen mir doch einige Andeutungen zu und erst ganz kürzlich habe ich eine solche erhalten. So viel ich weiß, ist er in Kopenhagen und ein Mitglied des fanatischen Ministeriums, welches mit Friedrich dem Siebenten im Bunde daran arbeitet, Dänemark groß und reich zu machen, indem es die Herzogtümer verschlingt, in Wahrheit aber, ohne es selbst zu ahnen, an seinem Untergange arbeitet. Rolf Juell Wind gibt dem verblendeten König Ratschläge, dem deutschen Reiche und Volke mit Gewalt, List und Hinterhalt zu widerstehen; dieser eiserne, fanatische, auf keinen festen Grund gebaute Widerstand aber wird sich an Dänemark selbst bestrafen, indem er es zugrunde richtet. Denn mag es kommen, wie es will, die Herzogtümer werden einst von Dänemark getrennt und zu Deutschland geschlagen werden, wohin sie kraft aller göttlichen und menschlichen Rechte gehören – ob dieser Zeitpunkt aber fern oder nahe ist, wer möchte das ermessen, ich gewiß nicht!«

»Wenn aber diese Zeit kommen sollte, mein Vater, und du noch gesund und kräftig bist, wie dann?«

Doktor Marssen richtete sich stolz auf, drückte seinem Sohne männlich die Rechte und sagte mit fester Stimme: »Dann werde ich mich darüber freuen und Gott für die Erhörung meiner innigsten Wünsche danken, die ich täglich zu ihm emporgesandt habe. Mein Haus im Bödeli aber werde ich bewohnen, bis sich meine Augen schließen, denn ich habe das Leben hier von einer neuen Seite liebgewonnen, so daß mir nichts mehr zu meinem irdischen Glück fehlt. So will ich denn einst im Angesicht dieser erhabenen Schneehäupter begraben werden, und die donnernde Lawine, wenn sie von ihrem hohen Gipfel sich herabwälzt, soll die Musik sein, die über meinen Gebeinen ertönt, eine Musik, wie sie alle Millionen Menschen, welche die Erde bewohnen, niemals hervorbringen werden und welche allein ein leiser Atemzug Gottes ins Leben ruft. Nein, Franz, Gott ist überall groß und mächtig, hier aber sehe und höre ich seine Größe und Macht in jedem Augenblick, und darum, ja, schon darum allein, mein Sohn, werde ich meine jetzige Heimat nie, nie mehr verlassen. Hier hast du heute mein letztes Wort, und mag es dir lange in der Seele nachklingen, wie es mir aus der Seele gesprochen ist.«

Doktor Marssen hatte seine Erzählung beendet und erhob sich von seinem Platz. Sein Sohn näherte sich ihm und drückte ihm herzlich und dankbar die Hand. Dann aber schloß er das noch immer offene Fenster, zog den Vorhang herab und verließ mit dem Vater das kleine Haus, um sich durch den Garten nach dem Wohnhause zu verfügen, wo beide ihre Ruhestätte hatten.

Als die beiden hohen Gestalten schweigend durch den Garten schritten, dessen Blätter sich im leisen Nachtwinde bewegten, strahlten über ihnen Gottes funkelnde Sterne in wunderbarer, hochherrlicher Pracht. Außer dem leisen Winde aber regte sich nichts in ihrer Nähe und nur von dem bleichen gespenstischen Gipfel der Jungfrau dröhnte zuweilen ein ernster, feierlicher Ton herab, der ihnen bewies, daß auch heute, in dieser Nacht, Gottes Atemzug in Tätigkeit sei, und beide ahnten nicht – o wie konnten sie es ahnen! – daß nicht sein Atem allein, sondern daß auch sein Auge über ihnen leuchtete, daß seine allgütige Vorsicht über ihnen waltete und daß er, wenn er nicht selbst Zeuge ihrer Unterhaltung gewesen, doch einen Zeugen gesandt hatte, den keiner von ihnen gesehen, der aber, wenn es auch nur der leise unter ihrem Fenster rauschende Nachtwind war, doch göttliche Schwingen besaß, auf denen er das Vernommene zu Zielen trug, die, wie immer dem Menschen, als verschleierte Zukunft das eigentliche Rätsel des irdischen Lebens sind.


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