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Elftes Kapitel.
Der letzte Sonnenblick

Es giebt Menschen, die nur thätig sein und vorwärts streben und dabei ihre geistige und sittliche Entwickelung langsam und stetig vollenden können, wenn Alles um sie her in tiefer Ruhe und in ungetrübtem Frieden bleibt, wenn die Gemächlichkeit des Lebens ihnen alle Bedürfnisse faßlich zur Hand rückt und weder ein höherer Wellengang des ungestümen Welttreibens, noch ein jäher Windstoß ihren ruhig steuernden Gleichmuth erschüttert, andere dagegen, die nur mit Leichtigkeit arbeiten und sich mit einem wahrhaft rapiden Aufschwunge entwickeln, wenn Alles um sie her in Kampf und Streit liegt, wenn Unruhe die Welt und ihr Haus erfüllt und dadurch ihr Gemüth und ihren Geist gleichsam in eine treibende Gährung versetzt. Bei dieser Gährung kreisen ihre Gedanken mächtiger und rascher, ihre Thatkraft wird bis zum höchsten Grade angespannt, und sie erklimmen im geistigen Sturmschritt eine Höhe und Ausbildung in ihrem ganzen Sein und Wesen, welche sie im gewöhnlichen Laufe der Dinge vielleicht niemals erklommen hätten.

Etwas von der Begabung dieser Letztgenannten mußte wohl Paul van der Bosch innewohnen, denn wenn er auch gewiß kein Freund von Zwietracht, Hader und Unfrieden war, denen er sogar überall, wo er konnte, aus dem Wege ging, so war sein Geist doch so organisirt, daß aus dem Zwiespalt, der ihn umgab, immer eine treibende, anspornende Kraft in ihm thätig wurde, die ihn unaufhaltsam zum geistigen Fortschritt drängte und dadurch von selbst die Betrübniß niederhielt, die sich von anderer Seite her seines ganzen Wesens bemächtigt hatte.

So finden wir ihn denn, nachdem seit jenem traurigen Abend kaum eine Woche verstrichen war, von einer wahren Fluth ernster Arbeiten aller Art überschüttet, denen er sich mit rastloser Ausdauer und völliger Hingebung überließ. Wenn er bei Tage seine Vorlesungen gehört und die schwierigen Arbeiten zu der bevorstehenden großen Prüfung beschlossen hatte, gab er sich eifriger denn je den Betrachtungen hin, die seine Seele erfüllten, aber nicht etwa um thatlos darüber zu grübeln, sondern sie in gediegener Form auf das Papier zu werfen und sein eigenes Geschick mit dem Gewoge der äußeren Welt zu vergleichen, die ihm in gegenwärtiger Zeit in ähnlicher Aufregung zu schweben schien, wie sein Gemüth und sein Herz. Allerdings floß dabei manche Bitterkeit und manche trübe Anschauung mit ein, er mußte wider seinen Wunsch oft tadelnd und krittelnd, ja, verwerfend erscheinen, die Zustände und Verhältnisse der Welt däuchten ihm wie in einen dunklen Trauerflor gehüllt, aber dabei hatte seine Sprache, sein Ausdruck im Ganzen und Einzelnen eine treffende Schärfe gewonnen und die Ueberzeugungstreue, mit der er sein Thema erfaßte und aus der es sich bei ihm entwickelte, lag klar vor den Augen Dessen, der vielleicht künftig einmal diese vereinzelten und im Stillen gesammelten Aufsätze lesen sollte.

Mehr als früher gab er sich auch in dieser Zeit dem Verkehr mit geistig ihm gleichstehenden Männern hin; er tauschte gern mit ihnen seine Ideen aus, er besprach die Erscheinungen der Kunst und Literatur, und leider war diese Zeit von manchem Giftstoff geschwängert, der wider sein Wissen Eingang in sein Inneres fand und seinen Gedanken und Worten einen viel schärferen Stachel und eine ausgeprägtere Richtung gab, als sie ihm früher eigen gewesen waren.

Mit der Familie des Banquiers verkehrte er in dieser traurigsten Zeit seines Lebens viel weniger als sonst; nur einzelne kurze Augenblicke brachte er täglich bei seiner mütterlichen Freundin zu, und auch Fritz kürzte, obgleich er nach wie vor alle Tage erschien, seine Besuche ab, da Beide keine Neigung verspürten, über das zu reden, was doch zumeist ihr ganzes Innere erfüllte.

Auf der früher so harmlos und glücklich lebenden Familie lag in diesen wenigen Wochen ein unsichtbarer aber schwer empfundener Druck, der weit von der Freude entfernt war, die sonst in einem Hause zu herrschen pflegt, wenn sich ein hervorragendes Mitglied desselben einem Ziele nähert, wie es hier dicht vor Aller Augen stand. Ueberdies war ein peinlicher Zwiespalt der erste von Bedeutung, so lange sie sich kannten zwischen den Häuptern, der beiden verwandten Familien ausgebrochen. Der Banquier, durch Betty's und deren Mutter Klagen auf das Tiefste ergriffen, hatte mit seinem Schwager einige harte Auftritte gehabt und diesem offen seine Ansicht über die tyrannische Handlungsweise gegen seine Tochter dargelegt. Der ursprüngliche Stolz des Herrn von Hayden war dadurch aus seinem Schlummer geweckt und er hatte mit einem Nachdruck, der leider häufig ein erzwungener Beistand des seines Unrechts sich bewußten Menschen ist, das Urtheil seines Schwagers höhnisch zurückgewiesen und dessen aufrichtige Meinungsäußerung als einen gewaltsamen Eingriff in seine väterlichen Rechte betrachtet. Als dieser Ausspruch aber auf eine überaus harte und herbe Weise erfolgt war, stieg die Spannung zu einem sichtbaren Bruch, die Familien hielten sich im Ganzen von einander fern, und nur Betty besuchte täglich ihre Tante, was der Vater derselben trotz seines inneren Grollens doch nicht verhindern zu wollen sich die großmüthige Miene gab. Auch Frau von Hayden kam noch bisweilen zu ihrer Schwester, aber diese Besuche brachten weder Frieden noch Behaglichkeit hervor, im Gegentheil, die lauten Klagen der beängstigten und beeinflußten Frau liefen am Ende immer in einen lauten Thränenstrom aus und führten niemals zu einem erwünschten Ziele, da keine Mittel vorhanden waren, den einmal auf abschüssiger Bahn eigensinnigster Rechthaberei befindlichen Oberforstmeister in seinem leidenschaftlichen Sturmlaufe aufzuhalten.

Auch Paul war einige Male zufällig der bedrängten Schwester Frau Ebeling's in den Weg getreten, obgleich er sich bemühte, ein solches Zusammentreffen zu vermeiden oder, wenn es geschah, es nach Möglichkeit abzukürzen. Die arme Frau hatte selbst in ihrem Schmerz noch immer einige Freundlichkeit für ihn, reichte ihm jetzt stets die Hand, sah ihn auch wohl theilnehmend mit ihren schwimmenden Augen an, aber ein näheres Gespräch über das Vorliegende fand nie zwischen ihnen statt, und die Menschen, die früher so oft sich gemüthlich und froh unterhalten hatten, schieden stets mit dem traurigen Bewußtsein von einander, daß fortan eine weite Kluft zwischen ihnen liege und daß die schönen vergangenen Zeiten ihnen niemals, niemals wiederkehren würden.

Frau Ebeling, die in diesen Tagen ebenfalls nie mit Paul über die Verhältnisse ihrer Schwester und deren Tochter sprach, da sie sowohl durch ihres Sohnes Mittheilung wie aus eigener Anschauung wußte, wie sehr sie damit Paul's Wunsch entgegenkam, konnte sich eines Abends, als ihre Schwester sie Beide eben verlassen hatte, doch nicht enthalten, zu ihm zu sagen:

»Ach, Du lieber Gott, das war einmal wieder eine traurige Stunde für mich, lieber Freund. Die arme Frau, sieht sie wohl aus wie eine Mutter, die eben ihr geliebtes einziges Kind in äußerlich so glänzende Verhältnisse bringen will? Nein, wahrhaftig nicht! Aber, lieber Bosch, verzeihen Sie, daß ich davon rede; ich hatte mir zwar fest vorgenommen, jetzt nicht mit Ihnen darüber zu sprechen, allein oft, recht oft fühle ich das Bedürfniß, die Banden meines Gelübdes zu sprengen und mir so recht die volle Seele vor Ihnen auszuschütten. Aber nein, es soll gewiß noch nicht geschehen beruhigen Sie sich und sehen Sie mich nicht so wehmuthsvoll und bittend an ich verstehe Sie. Lassen Sie die paar Wochen erst vorüber sein, dann gehören wir uns wieder wie früher, aber auch ganz, ganz, und dann wollen wir mit einander so recht, recht glücklich sein, wenigstens so viel wir es noch nach dem Verluste vermögen, der uns nun unvermeidlich bevorsteht. Ach, was hülfe es auch, wollten wir uns jetzt einander unsere Noth, klagen! Nichts! Wie sind übrigens nicht die einzigen Leidenden, das glauben Sie mir nur, auch Andere leiden unter der schrecklichen Verblendung dieses Einzelnen.«

Paul nickte ihr ruhig zu und sagte: »Ich glaube es! Tragen wir unser Leid diese Anderen haben vielleicht noch mehr zu tragen als wir wer weiß es!«

»Meinen Sie Betty?« fragte da Frau Ebeling, wider ihren Willen den Namen Derjenigen aussprechend, die jetzt eben so schwer auf dem Herzen Aller lag, wie sie auch ihre Zungen zu fesseln schien. Paul sah sie groß und starr an und ein wehmüthiges Lächeln umspielte dabei seine Lippen. Dann nickte er und wandte sich seitwärts.

»O, um Betty ängstigen Sie sich nur nicht,« fuhr Frau Ebeling fort. »Die ist merkwürdig gefaßt. Wir Alle müssen es bewundern. Sie hat sich in ihr Schicksal ergeben und erträgt es wie eine Heldin, die man dafür nur noch mehr lieben muß.«

»Gute Nacht!« sagte Paul rasch, der das Gespräch über diesen Gegenstand nicht weiter geführt wissen wollte, und nach einem warmen Druck ihrer Hände schieden sie von einander, die Eine, um zu ihrem einsamen Gram, und der Andere, um zu seiner nicht minder einsamen Arbeit zurückzukehren.

 

Aber nicht allein Paul van der Bosch entwickelte in dieser Zeit eine ungewöhnliche Thätigkeit, auch drüben im Hause war Jemand, der obgleich zu einem ganz anderen Zwecke, seine bisherige Lebensweise völlig aufgegeben und eine andere eingetreten zu haben schien. Niemals hatte irgend wer den Oberforstmeister so rührig und hastig wirkend gefunden und fast nie mehr sah man ihn, wie sonst, seiner Liebhaberei huldigen und stundenlang im Fenster liegen, um, eine Cigarre nach der andern rauchend, das Treiben auf der lebhaften Straße zu betrachten. Schon früh am Morgen sah man ihn jetzt, oft allein, oft in Begleitung seiner Frau, bald nach dieser bald nach jener Richtung der Stadt fahren oder gehen, um die verschiedenen Ausstattungsgegenstände für seine Tochter zu besorgen, ein Geschäft, an das er für seine Person früher wohl niemals gedacht oder für welches er irgend ein Talent zu besitzen geglaubt hatte. Allein jetzt weckte sein Eifer und vielleicht auch die Noth dieses Talent aus seinen Banden, denn die Zeit, nur das Nöthigste zu beschaffen, war ihm kurz gemessen, und da er ganz allein auf sich und seine Frau angewiesen war, indem er das Anerbieten seiner Schwägerin, ihrer Schwester im Stillen zur Hand zu gehen, streng und kurz zurückgewiesen, so mußte er doppelt thätig sein. Betty selbst verhielt sich in Bezug auf diese Einkäufe vollkommen passiv. Sie hätte, sogar auf wiederholtes Befragen, keinen Wunsch laut werden lassen, sondern Alles in das Belieben ihres Vaters gestellt, der ja nun den seinen Geschmack offen offenbaren konnte, den er im Gegensatz zu seinem spießbürgerlichen Schwager, so oft aller Welt selbst angepriesen hatte. Uebrigens war die Sorge um die Beschaffung dieser Artikel nicht sehr groß und erstreckte sich ganz allein auf die Ausrüstung einer vollständigen Toilette seiner Tochter, wobei die glänzenden Verkaufsläden solcher Gegenstände mit ihrer reichen Auswahl ihm bestens zur Hand gingen und Verkäufer genug sich fanden, die für einen guten Verdienst ihr Alles und Jedes zur Ansicht in seine Wohnung brachten oder bringen ließen. Um andere Gegenstände, Möbel, Weißzeug und dergleichen brauchte der glückliche Hochzeitsvater sich gar nicht zu bemühen, sein reicher Schwiegersohn hatte sich jede Aussteuer dieser Art verbeten, da er mit Allem reichlich versehen und sein Haus so von Luxusgegenständen überfüllt sei, daß nichts Neues mehr Platz darin finde.

Alle diese interessanten Verhältnisse waren, man weiß kaum, wie das immer geschieht, sehr bald unter die Leute gekommen und namentlich war es Frau Zeisig, die ein großes Vergnügen daran fand, alle Tage eine frische Neuigkeit berichten zu können. Allein ihr erster Versuch, ihren lieben Baumeister damit zu unterhalten, fiel so gründlich unglücklich aus, daß sie ihm niemals mehr einen Bericht abzustatten unternahm, und so sah sie sich genöthigt, ihre schwer errungene Wissenschaft allein ihrem Manne und anderen Freunden zu verrathen, die dafür aufmerksamere Ohren hatten als ihr seltsamer Herr, dessen Benehmen zu dieser Zeit der guten Frau ein vollkommenes Räthsel erschien.

So waren die ersten drei Wochen nach der Rückkehr der Hayden'schen Familie sehr rasch vergangen und nur noch sechs Tage waren zu überwinden, bis der große Tag herankam, der den entschiedenen Sieg des Herrn Oberforstmeisters aller Welt verkünden sollte. Viele unserer näheren Freunde mochten diese Tage nach Stunden und Minuten berechnen, Keiner aber theilte dem Andern seine Bemerkung über den Ablauf der Zeit mit und doch mochten sie Alle mit einer gewissen Bangigkeit dem endlichen Ziele entgegensehen, das unaufhaltsam näher rückte und dem Schlusse eines langen Trauerspiels zu vergleichen sein möchte, das Jeder mit Zagen erwartet und ihm doch voll Sehnsucht entgegensteht, um endlich der lästigen Spannung sich entwinden zu können, die einem solchen Ende vorherzugehen pflegt.

Da trat ein neuer Abschnitt dieser Zeit sichtbar an den Tag und Paul van der Bosch sollte es nicht erspart bleiben, einer der Ersten zu sein, der ihn mit seinen eigenen Augen wahrnahm. Eines Mittags kam er aus dem Speisehause in seine Wohnung und näherte sich zufällig dem Fenster, von welchem er jetzt einen größeren Theil der Wohnung des Oberforstmeisters bestreichen konnte, als früher von dem kleinen Dachstübchen aus. Da fiel sein Auge plötzlich auf ein Fenster eines der gegenüberliegenden Zimmer und er nahm auf der Stelle zwei Gestalten daran wahr, von denen er die eine noch niemals gesehen hatte. Neben dem Oberforstmeister stand ein Fremder und augenblicklich sagte unserm stillen Beobachter eine innere Stimme, wer derselbe sei. Paul konnte sich nicht enthalten, diese Persönlichkeit einer genaueren Musterung zu unterwerfen, und so lebhaft sein Herz auch dabei schlug, er hielt den Anblick standhaft aus und setzte seine unfreiwillige Prüfung mit ziemlich langer Ausdauer fort.

Dieser Fremde war kein junger Mann mehr, das gewahrte man auf den ersten Blick, und hatte ohne Zweifel längst das vierzigste Lebensjahr überschritten. Er war groß, starkknochig, und am Umfange seines Leibes sah man, daß er nie in seinem Leben Mangel an guter Nahrung gelitten haben konnte. Auf seinem wettergebräunten Gesicht lag unverkennbar der Ausdruck einer ächten Nimrodsnatur. Er hatte eine unendlich hohe Stirn, die durch das Fehlen des heublonden Haares auf dem Schädel noch viel auffallender wurde, und einen ungeheuren röthlichen Bart, der die untere Hälfte seines nicht gerade unschönen aber gewiß nicht edlen Gesichts fast ganz bedeckte.

Der Oberforstmeister sprach sehr angelegentlich mit ihm und der Fremde lächelte fortwährend äußerst zufrieden, wie es ja ganz natürlich für einen Mann war, der im Begriff stand, seinen übrigen reichen Schätzen noch den edelsten und besten hinzuzufügen, den die Welt ihm nur bieten konnte.

Als Paul schließlich auf diesen unglücklichen Gedanken gerieth, wandte er sich rasch vom Fenster fort und zog die Vorhänge desselben möglichst dicht zusammen, mit dem festen Entschluß, diesmal solle es das letzte Mal gewesen sein, daß seine Augen auf jenen Fenstern hafteten, fortan solle das Haus drüben nicht mehr für ihn vorhanden sein, bis bis der Augenblick gekommen, daß es seine Schrecken für ihn verloren habe und nur noch das leblose Denkmal einer schönen Erinnerung sei, die ihm wie eine glänzende Fackel seine Jugend erleuchtet und wenigstens eine Zeit lang sein einsames Leben vergoldet und verschönert hatte.

Am Abend dieses Tages – es brannte schon Licht in dem Zimmer des fleißigen Bauführers klopfte eine bekannte Hand an Paul's Thüre. Er legte ruhig die Feder weg, stand auf und trat dem stets willkommenen Freunde entgegen. Dieser zeigte ein etwas befangenes Gesicht, da er nicht wußte, ob er mit seiner neuen Botschaft genehm sein würde, und doch hielt er sich verpflichtet, sie abzustatten.

»Guten Abend, Paul,« sagte er und nahm bald seinen gewöhnlichen Platz in der Sophaecke ein, nachdem Jener die immer dienstfertige Lampe auf den Tisch davor gestellt hatte. »Ich störe Dich doch nicht, wie? O, Du bist jetzt wieder so fleißig wie vor vier Jahren, ich weiß es wohl, und wirst Dich noch zu Tode arbeiten.«

»Zum Leben, mein Lieber, zum Leben, denn bald soll es ja erst recht beginnen, was ich so lange mit allen Kräften meiner Seele erstrebt habe.«

»Du wirst es auch erreichen, gewiß. Doch höre, ich habe Dir heute eine ganz besondere Neuigkeit zu überbringen «

»Auf die ich wahrscheinlich schon vorbereitet bin,« unterbrach ihn Paul mit einem seltsam matten Lächeln.

Fritz schaute hoch auf und schien ganz erfreut über diese Vorbereitung »Wie meinst Du?« fragte er, »ich verstehe Dich nicht.«

»Sprich nur weiter, wir werden uns bald verständigt haben.«

»Nun denn aber sei nicht böse, daß ich Dir es sage Er da drüben Du weißt schon ist angekommen und der Anfang vom Ende ist also in's Leben getreten.«

Paul nickte, still vor sich niederbückend. »Ich weiß es, ich habe ihn mit dem Oberforstmeister am Fenster stehen sehen,« sagte er ruhig.

»Na, das ist ja ganz gut,« rief Fritz, tief Athem schöpfend, »dann kann ich um so kürzer sein. Wie hat Dir der Mann gefallen?«

Paul zuckte mit den Schultern. »Ich habe kein Urtheil darüber, mir ist der Mann an sich sehr gleichgültig.«

»Ja wahrhaftig mir auch! Na, das ist kein Mensch, der jemals Betty's Liebe gewinnen kann «

Paul schaute rasch auf. »Warum nicht?«

»Ei, er ist gerade das Extrem von ihr, an Bildung und Anschauung, an Gesinnung und Lebensweise «

»Woher weißt Du das schon?« fragte Paul wie ein mit seinem Geiste weit abwesender Mensch.

»Er hat mit der Tante meinen Eltern heute seinen Besuch gemacht und bedauert, daß sie auf seiner Hochzeit fehlen würden, da er schon gehört, sie müßten eines kranken Bruders meines Vaters wegen eine mehrtägige Reise antreten. Das war das Gescheidteste, was er gesagt, denn alles Uebrige, was er vorbrachte, war halb Windbeutelei, halb Großthuerei. Er erzählte von seinen ungeheuren Waldungen, seinem reichen Wildstand, seinen Wiesen und Mooren, seinen Pferden und Hunden, und ist also so recht ein Genoß seines zukünftigen Schwiegervaters, der nun bald sein Amt aufgeben und zu seinem Schwiegersohn auf's Gut ziehen wird, um bei den bevorstehenden Halalis auf den großen Jagden das erste Horn zu blasen. Haha!«

Paul schwieg nachdenklich, dann sagte er, noch immer einige Worte seines Freundes festhaltend: »Warum sollte das Windbeutelei oder Großsprecherei sein? Er ist ja ein reicher Mann und kann das Alles besitzen, was er nannte.«

»Nun freilich, aber die Art und Weise, wie er es vorbrachte, war windbeutelig, obgleich er wahrhaftig über die Jahre der Windbeutelei weg ist. Er that gerade so, als ob wir in der Wildniß lebten und noch nie gewußt hätten, wie der Hase läuft, den wir verzehren. Nun, mit diesem ersten und letzten Gespräch war die Bekanntschaft gemacht Fortsetzung folgt vielleicht in jener großen, dunklen Zukunft, die wir noch nicht ergründen können. Da hast Du meine Nachricht und nun habe ich noch eine Bitte von Seiten meiner Mutter an Dich zu richten.«

»Sprich sie aus; Deine Mutter hat stets nur Bitten für mich, die ich gern erfülle.«

»Gut. Meine Eltern reisen morgen Abend mit dem Nachtzuge nach Cöln und lassen mir das ganze Haus in Verwahrung. Das wird recht ergötzlich sein, wenn ich keinen besseren Gesellschafter finde als Du jetzt bist.«

»Sprich doch Deine Bitte aus!« ermahnte Paul sanft.

»Ja, meine Mutter wünscht vorher noch Abschied von Dir zu nehmen, Du möchtest also morgen Abend in der Dämmerung hinüberkommen und Dich ein halbes Stündchen bei ihr aufhalten.«

»Gem. Aber warum sprichst Du das so zaghaft und beklommen? Es hört sich gerade so an, als ob Du mit dieser Bitte noch irgend etwas Anderes sagen wolltest «

»Was Du für ein Gehör hast! Aber diesmal diesmal hast Du Dich doch geirrt. Meine Mutter hat mir das wirklich so aufgetragen.«

»Das glaube ich. Nun, ich werde kommen. In der Dämmerstunde also?«

»Ja, etwa um sechs Uhr, vergiß das nicht.«

»Ist das denn so schwer zu behalten?«

»O, Du bist jetzt so zerstreut «

»Nicht im Geringsten. Willst Du schon wieder fort?«

»Ja. Ich darf Dich jetzt nicht lange abhalten. Künftig kommen vielleicht bessere Zeiten und dann wollen wir wieder redlich beisammen sein, nicht wahr!«

»Darauf gebe ich Dir meine Hand. Recht redlich und von ganzem Herzen gern!«

Sie drückten sich die Hände und kaum war Fritz gegangen, so ließ Paul sich wieder vor seinem Schreibtisch nieder und nahm die Feder zur Hand, um, ohne irgend zerstreut zu sein, seine begonnene Arbeit bis gegen Mitternacht fortzusetzen.

 

Die Dämmerung des nächsten Tages war angebrochen und Paul schickte sich zu seinem Abschiedsbesuche an. Es war das erste Mal, daß er sich auf mehrere Tage von der Mutter seines Freundes trennen sollte, seitdem er mit ihr in ein vertrauteres Freundschaftsverhältniß getreten war, und dieser Gedanke, der ihn auf dem kurzen Wege nach dem Nachbarhause begleitete, mochte es wohl sein, der sein Herz zu lebhafterem Schlage veranlaßte und sein Gemüth in eine größere Wallung versetzte, als er sie seit längerer Zeit empfunden hatte.

Als er in Frau Ebeling's, Zimmer trat, fand er nur sie und den Banquier darin vor, und daß sie verreisen wollten, sah man schon an ihren Koffern und Taschen, die noch unverschlossen auf einigen Stühlen lagen. Frau Ebeling saß schweigend auf dem Sopha und ihr Mann ging, die Hände auf dem Rücken haltend, vor ihr auf und nieder, die Eine wie der Andere wenig aufgelegt, ein wortreiches Gespräch zu führen. Als Paul bei ihnen eintrat, übte seine Erscheinung auf beide Personen eine gleich wohlthuende Wirkung aus. Beide kamen ihm mit aufgehobenen Händen entgegen und Jedes von ihnen faßte eine der seinen.

»Da sind Sie ja, lieber Bosch,« sagte der Banquier zuerst, »na, wir haben Sie schon erwartet und eben von Ihnen gesprochen. So, nun setzen wir uns und dann können wir mit Ruhe besprechen, was wir uns noch mitzutheilen haben. Bei Gott,« fuhr er fort, als er auf einem Stuhl und Paul neben Frau Ebeling auf dem Sopha Platz genommen hatte, »wir gehen nicht gern aus unserm Hause, aber das traurige Zerwürfniß mit meinem Schwager vor Ihnen existirt ja darin kein Geheimniß treibt uns fast gewaltsam fort, wenn wir nicht eine traurige Rolle bei bei dem Bevorstehenden spielen wollen. Indessen werden wir nicht lange ausbleiben und sobald hier Alles im Reinen ist, sind wir wieder da. Na, dann gehen wir hoffentlich glücklicheren Tagen entgegen, denn die letzten Wochen haben uns Allen nichts Gutes gebracht. Unser Fritz bleibt zu Hause und wird unsere Stelle da oben vertreten. Der arme Junge thut mir leid, er wird keine leichte Aufgabe haben und sich mannhaft zusammennehmen müssen. Sollte er in irgend einer Hinsicht Ihres Rathes bedürfen, dann ich brauche Sie ja kaum darum zu bitten, da ich Sie kenne dann rathen Sie ihm und gestatten Sie ihm auch, daß er Sie täglich nach wie vor in Ihrem Hause besucht, da das meinige zur Zeit wohl nichts Einladendes für Sie enthält, wenn wir fort sind. Na, traurige Tage gehen auch vorüber und bessere kommen wieder. Und das soll mein Abschiedsgruß sein, denn ich muß noch auf das Comptoir. Leben Sie wohl, bester Freund, und Gott behüte Sie!«

Er drückte Paul herzlich und wiederholt die Hand und entfernte sich schnell, einmal, weil er kein Freund von langen Abschiedsceremonien war, und dann, weil eine weiche Stimmung ihn ergriffen hatte, als er von den im Hause herrschenden Verhältnissen sprach und dabei das bleiche Gesicht seines jungen Freundes krampfhaft zucken sah.

Als der Banquier das Zimmer verlassen hatte, ergriff Frau Ebeling Paul's Hand und wiederholte auf ihre Weise, was eben ihr Mann gesagt. Beide tauschten dann noch einige Worte aus und Paul wollte sich schon zum Aufbruch anschicken, als die Thür aufging und Fritz mit vorsichtig suchender Miene in's Zimmer schaute. Ohne daß Paul es merkte, tauschten Mutter und Sohn einen raschen Wink aus und gleich darauf hatte Frau Ebeling sich erhoben und auf herzliche Weise von Paul Abschied genommen.

Als dieser aber nun das Zimmer durch die gewöhnliche Thür verlassen wollte, trat Fritz an ihn heran, hielt ihn auf, indem er seinen Arm traulich um seinen Leib schlang und sagte: »Nicht da hinaus, Paul, komm noch einen Augenblick in mein kleines Zimmer, ich habe Dir etwas zu zeigen.«

Nicht die Worte des Freundes waren es, die auf Paul eine seltsame Wirkung übten, wohl aber die eigenthümliche Hast und Dringlichkeit, mit der sie gesprochen wurden, und der Blick, mit dem er ihm dabei in's Auge sah. Unwillkürlich bebte er zusammen und, ohne ein Wort zu sprechen, folgte er mit zögernden Schritten dem Freunde, der ihn durch mehrere Zimmer nach seinem kleinen Gartenstübchen führte, in dem Beide früher so manche glückliche Stunde verbracht hatten. Als sie sich nun demselben näherten, schritt Fritz voran, und hastig die Thür aufstoßend und Paul hineindrängend, sagte er: »Geh voran, ich folge Dir!«

Fast mechanisch bewegte sich Paul vorwärts und trat in das schon von der Dämmerung mäßig beschattete Zimmer ein, aber Fritz folgte ihm nicht, sondern schloß sogleich hinter ihm die Thür und Paul war in dem bekannten Raume allein. Aber nein, er war nicht darin allein, denn kaum seinen Blick erhebend, bemerkte er eine Gestalt, die bisher am Fenster gestanden und jetzt mit langsam schwebenden Schritten auf ihn zu kam und ihm schon von Weitem eine Hand bewillkommnend entgegenstreckte.

Paul fuhr zurück, wie von einem electrischen Schlage berührt. Hatte irgend ein vorahnendes Gefühl ihm vorhergesagt, wer und was ihn noch in Fritz Ebeling's Zimmer erwartete, oder war es eine rauschartige, aufblitzende Freude, die ihn fast starr machte, oder endlich erschrak er wirklich, als er Betty von Hayden vor sich sah, Betty, mit ernst wehmüthigem Gesicht, aber dabei von einem Liebreiz übergossen, wie er ihn noch nie an ihr wahrgenommen zu haben glaubte?

»Herr van der Bosch,« redete sie ihn mit ihrer wunderbar süßen und jetzt leicht vibrirenden Stimme an, als sie seine Hand schon in der ihren hielt, »verzeihen Sie, daß ich Sie auf diese Weise hierherbescheiden ließ; aber es wäre mir unmöglich geworden, von diesen Stätten zu scheiden, ohne Sie noch einmal gesehen und aus Ihrem eigenen Munde gehört zu haben, daß Sie wie bisher wenigstens im Stillen fortfahren werden, mein Freund zu sein. Aber mein Gott, wie bleich sehen Sie aus! Sie sind doch nicht krank?«

Paul holte tief Athem und nur mit Mühe brachte er die Worte hervor: »Nein, ich bin gesund aber Sie sehen auch nicht rosig und trunken vor Freude aus doch das ist natürlich der Abschied vom Elternhause hält schwer «

»Still!« unterbrach sie ihn, »kein Wort darüber wir haben es hier nur mit uns Beiden zu thun und unser Abschied muß kurz sein ich habe nur wenige Minuten für mich und für Sie.«

»Ach, auch für eine Minute schon bin ich Ihnen mein ganzes Leben lang dankbar «

Sie sah ihn mit einem unaussprechlich freundlichen Blick bei diesen Worten an und nickte ihm mit ihrer alten Vertraulichkeit zu. »Das freut mich,« preßte sie hervor »und Sie bleiben mein Freund, nicht wahr? Darf ich wohl noch einmal Ihre Antwort hören?«

Paul vermochte nichts mehr zu sprechen, es war, als wäre ein schwerer Fels auf seine Brust gewälzt, aber aus seinen dunklen Augen schoß ein so leuchtender Strahl und seine Hand umspannte dabei ihre Hand so fest, daß Betty das Ja, welches Beides enthielt, doch verstand.

»Ich danke Ihnen,« sagte sie, immer leiser sprechend, »für dieses nicht gesprochene und doch gehörte, und auch für alles Gute, was Sie mir erwiesen haben «

Die beiden Hände faßten sich bei diesen Worten noch fester, und der Druck, den sie zugleich auf einander übten, war so voll, so fest, so warm, wie der Blick, mit dem sich Beide in die Augen schauten, tief war und bis auf den Grund ihrer Seelen zu dringen schien.

»Gehen Sie,« flüsterte Betty da, »es ist Zeit meine Minute ist vorüber.«

Er nickte ihr zu, sie desgleichen, und gleich darauf hatte er sie verlassen und stand vor der Thür, die sie nun auf ewig von ihm scheiden sollte. Da erfaßte plötzlich ein dämonischer Schmerz seine Brust. »Mein Gott,« sagte er zu sich im Fluge, »ich habe ihr ja gar nichts gesagt und mein Kopf ist doch so voller Gedanken nein! so kann ich nicht scheiden, ich muß sie noch einmal sehen und mir ihr liebes Gesicht für alle Ewigkeit einprägen.«

Und ohne sich einen Augenblick zu besinnen, drückte er die Thür wieder auf und wieder sah er sich Betty gegenüber, die noch auf derselben Stelle im Zimmer stand und unbeweglich, starr nach der Thür blickte, durch die so eben der Freund entwichen war.

»Verzeihen Sie,« rief nun Paul, »daß ich noch einmal komme ich konnte nicht anders o mein Gott, ja. Leben Sie wohl, leben Sie wohl und Gott behüte Sie!«

Das war wieder Alles, was er sprechen konnte, und die zahllosen Gedanken, die er vorher im Kopfe gehabt, waren abermals verflogen. Aber Betty begriff ihn. Mit einem glückseligen Lächeln hatte sie ihn noch einmal erscheinen sehen und mit einer unwillkürlich hastigen, fast sprungartigen Bewegung war sie ihm entgegen getreten, und ohne daß sie wußte, wie es geschah, hatte sie noch einmal die Hand gefaßt, die sie ja doch nicht so bald wieder berühren sollte. Und wieder umschlossen sich die beiden Hände fest und fester, als ob ihre Seele mit in diesen Druck übergehen wollte, und wieder senkte sich Auge in Auge aber sprechen konnte Keines von Beiden mehr, so sehr wenigstens Paul sich bemühte, sein übervolles Herz zu entlasten.

Betty bemerkte, wie er mit sich kämpfte, und mit ihrem beruhigenden milden Lächeln und einer unbeschreiblichen Anmuth den Kopf schüttelnd, sagte sie so leise, daß er sie kaum verstehen konnte.

»Sprechen Sie kein Wort mehr ich verstehe Sie doch und Sie mich hoffentlich auch. Leben Sie recht, recht wohl! Gott gebe Ihnen alles Glück, welches er in seinen reichen Händen hält. O Sie wissen ja: Das Glück kann alle Tage kommen!«

Paul lächelte bei diesem Citat schwermuthsvoll. »Ach ja, es kann kommen, aber jetzt jetzt ist es wahrhaftig nicht da.«

»Nein, Sie haben Recht, jetzt ist es nicht da. Doch wir haben es nicht verschuldet. Und nun?«

»Nun sei es wirklich geschieden!« stieß er mit einem tief aus seiner Brust dringenden Seufzer hervor.

»Ja gehen Sie jetzt haben wir uns Alles gesagt, was wir uns sagen können «

»Leben Sie wohl! Darf ich sagen: auf Wiedersehen?«

Sie nickte freundlich. »Gott gebe es und ich ich wünsche es!«

»Dann gehe ich doch etwas getröstet!« rief Paul frohlockend und, nach noch einem, dem letzten warmen, festen Druck ihrer Hände, lösten sich Beide von einander los und Paul eilte mit raschen Schritten aus dem Zimmer, aus dem Hause, zum ersten Mal seiner eignen Kraft nicht trauend, die ihn sonst immer vorwärts trieb, heute aber ihn mit einer unbegreiflichen, fast unwiderstehlichen Gewalt zurück zu reißen drohte.


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