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Siebentes Kapitel.
Sonne und Komet nähern sich

Wie jener erste Sonntagabend im gastlichen Hause des Banquiers verlaufen war, in ähnlicher und noch viel angenehmerer Art verliefen in der nun folgenden Zeit viele andere. Paul war, wie wir wissen, der stete Sonntagsgast bei den Eltern seines Freundes geworden, Nachmittags führte er seine Spaziergänge mit Fritz aus und Abends fand sich in der Regel wieder die ganze Familie zusammen ein, obgleich der Oberforstmeister selbst der am häufigsten Fehlende in der Gesellschaft war und nach alter Gewohnheit seinen eigenen Zerstreuungen und Liebhabereien nachging. Frau von Hayden dagegen fehlte fast nie am Abendtisch, und wenn sie einmal ihren Mann in eine Gesellschaft begleitete, so vertrat wenigstens Betty ihre Stelle, die Frau Ebeling schon lange unentbehrlich geworden war und von ihr und ihren Angehörigen wie die eigene Tochter des Hauses betrachtet wurde. Die einzelnen Mitglieder dieses kleinen Familienvereins fühlten, als sie sich mit der Zeit an Paul's Gegenwart gewöhnt hatten, nicht mehr das Bedürfniß, immer auf einer Stelle zusammenzusitzen, und während Frau von Hayden häufig mit ihrer Schwester allein blieb und sich mit derselben über sie vorzugsweise interessirende Gegenstände unterhielt, beschäftigten sich eben so die älteren Herren wie die jungen Leute nach Gefallen, wobei wir nur zu erwähnen haben, daß dies stets auf eine ernste Weise geschah, daß Jedes von ihnen in der Regel eine besondere Arbeit verrichtete, daß aber Alle an der der Uebrigen Theil nahmen und Eins das Andere auf irgend eine Art zu fördern suchte, indem eines Jeden Beginnen und Wirken besprochen und auf das Genaueste nach allen Richtungen verhandelt wurde.

Wie diese Arbeiten und Unterhaltungen im Winter in Frau Ebeling's behaglichem Zimmer und bei traulichem Lampenschein begonnen hatten, so wurden sie im Frühling und Sommer im freundlichen Garten hinter dem Hause in freier, frischer Luft fortgesetzt. Und wenn Paul, seines Freundes Vorschlag gern befolgend, aus dem Balcon desselben zeichnete oder malte, zog Beide doch allmälig die ›Sonne des Hauses‹ in ihre Nähe, die mit irgend einer weiblichen Arbeit oder mit Lesen beschäftigt in ihrer Weinlaube saß. Bei günstiger Witterung blieben dann Alle Abends im Garten, oft sogar bis in die heraufsteigende Nacht beisammen, bis ein längerer oder kürzerer Spaziergang im Mondenschein den ruhig verlebten Tag beschloß, der von Einigen von ihnen fast nie ohne den Wunsch beendigt ward, daß dergleichen noch recht oft wiederkehren möge.

So verging die Zeit rasch, ohne irgend ein auffälliges Ereigniß, ohne jede Spur von Betrübniß, aber reich an unschuldigen und harmlosen Gewissens wie sie vielleicht die höchsten und beneidenswerthesten auf dieser Erde sind, da sie die störende Leidenschaft ausschließen, den bösen Dämon alles irdischen Behagens, der die Lust am Leben erstickt, anstatt sie zu erhöhen und zu versüßen. Je weiter die Zeit aber vorschritt, je älter Fritz wurde und je mehr er sich in seinen Studien und Beschäftigungen dem älteren Freunde näherte, um so ernster wurden auch die Unterhaltungen und Arbeiten in dem kleinen Familienkreise, um so hingebender schlossen sich die Gemüther auf, um so bewußter trat das Gefühl der Freundschaft hervor, welches sie Alle mit einander verband.

O, das waren reizende Abende, voll Poesie und Lebensgenuß, an welchen sich schon im nächsten Winter und dann noch ein Jahr später nach der Reise der jungen Männer die Familie des Banquiers und des Oberforstmeisters zu einer versammelten! Da gab es keine starr abweichende Meinung, keine verkehrte Ansicht von Menschen und Dingen, da war Alles Wohllaut und Harmonie, wie in einer schönen Musik, wo jedem Instrumente durch ein höheres Gebot seine Leistung vorgeschrieben und die Gränze bestimmt ist, innerhalb deren es seine Kräfte und Schönheit entwickeln kann. Namentlich die Abende, an welchen der Oberforstmeister nicht in der Gesellschaft war, zeichneten sich vor allen übrigen aus. Da durfte man, ohne Anstoß zu erregen, von der herrschenden Göttin des Tages, der Politik, reden, da konnte der Banquier Ebeling seinem Herzen freien Laut und, ohne Widerspruch befürchten zu müssen, ein frisches, wohlverstandenes Wort über den traurigen Zwist laut werden lassen, der damals die öffentlichen Gewalten mit einander verfeindete und Zwietracht, Haß und Hader aller Art in die Gemüther der sonst so ruhigen Menschen schleuderte.

In der Regel aber, wenn die Politik in der Unterhaltung durch Herrn von Hayden's Anwesenheit ausgeschlossen blieb, der in dieser Beziehung zu hitzig, zu eigenmächtig und zu gewaltsam verfuhr, beschäftigte man sich viel mit Gesprächen über die Kunst im Allgemeinen und die verschiedenen Künste und Wissenschaften insbesondere, und da war denn Paul der am häufigsten Vortragende, da Alle ein gleiches Interesse und gleiche Lust hatten, von seinem gediegneren Wissen Vortheil zu ziehen und seine Meinung über Dies und Jenes zu hören, wie es im Augenblick gerade durch irgend Einen der Anwesenden angeregt wurde. Waren die älteren Männer aber einmal Beide abwesend, so las Paul den Uebrigen irgend ein gutes Buch, ein classisches Meisterwerk vor und Alle lauschten seinem herrlichen Vortrage, seiner volltönenden Stimme mit hohem Genuß, der sich in ihren Mienen und ihrem späteren Beifall aussprach, so daß dem jungen Mann sein Amt, die beiden Familien zu unterhalten, leicht und lieb wurde und er sich selbst dabei in jeder Weise gefördert und beglückt fühlte.

Auch in die Familie des Oberforstmeisters selbst hatte er zu dieser Zeit schon Eingang gefunden. Im zweiten Winter fand einmal ein Fest bei demselben statt und Fritz unterrichtete pflichtgemäß seinen Freund, daß er auch zu demselben eingeladen werden würde, wenn er die gebräuchliche Form beobachten und der Dame des Hauses vorher einen Besuch machen wolle.

Paul entschloß sich gern hierzu und stattete diesen Besuch zeitig ab. Wie vorauszusehen gewesen, wurde er freundlich empfangen und, da er schon an die Art und Weise des aristokratischen Herrn von Hayden gewöhnt war, fühlte er nicht jenen seltsamen und oft so peinlichen Zwang, den sich so viele Adlige in ihren Häusern selbst auferlegen zu müssen glauben, um nur ihren Rang und Stand so recht in das volle Licht zu setzen und jeden ihrer Besucher empfinden zu lassen, daß bei ihnen eine feinere Luft wehe, als bei anderen Leuten, daß der Stoff, aus dem bei ihnen das Leben gewebt wird, ein erhabenerer und ätherischerer sei, und daß die Menschen, denen der Zutritt zu ihrem Heiligthum verstattet ist, sich besonders geehrt fühlen und sich bewußt werden müssen, mit Personen in Berührung zu kommen, die zwar eben so sterblich und vergänglich wie Andere, doch, so lange sie auf dieser Erde wandeln, immer von einer wärmeren Sonne beschienen und von feineren Triebfäden in Bewegung gesetzt werden, als andere Erdgeborene.

Das alle Jahre nur einmal wiederkehrende Fest fand bei Herrn von Hayden statt und auch Paul war einer der Gäste. Er vergnügte sich zwar nicht so gut, wie an den gewöhnlichen Sonntagsabenden im Ebeling'schen Hause, allein er fühlte sich auch nicht bedrückt im Gewoge der ihm unbekannten versammelten Menschen, denn Diejenigen, die ihm jene Sonntage jedesmal zu einem Feste gestalteten, waren auch hier zugegen, sie zumeist zogen ihn an und beschäftigten ihn, und es unterlag keiner Schwierigkeit, den Augen zu begegnen, welche eine vertrauliche Sprache mit ihm redeten, und bei Tische einen Platz zu finden, der ihn nicht zu weit von seinen alltäglichen Wünschen entfernte.

So hatte sich allmälig ein höchst trauliches Verhältniß zwischen ihm und den Familienmitgliedern des Oberforstmeisters gebildet, und gerade der ›Sonne des Hauses‹, wie er Betty nun einmal im Stillen bezeichnete, war er, ohne es besonders zu erstreben, viel näher gerückt, so daß nicht nur der kleine aufgehende Stern von ihr sein leuchtendes Licht erhielt, sondern daß auch ihm, dem irrenden, räthselhaften Kometen davon reichlich zu Theil wurde und daß er die trübe öde Nacht, die nun schon weit hinter ihm lag, immer mehr und mehr vergaß und allmälig in den vollen klaren Glanz eines heiteren Lebenstages eintrat.

Wenn er jetzt einmal zufällig an sein Fenster gerieth und, nach dem befreundeten Nachbarhause hinüberschauend, einer Gestalt, einem Gesicht begegnete, dem er früher aus zaghafter Scheu ausgewichen war – jetzt wich er ihm nicht mehr aus, jetzt sendete er seine Begrüßung dreist und offen über die Straße, denn immer wurde sie ihm freundlich und mild erwidert und dieser stumme Gruß schloß eine beredte Sprache in sich ein, die, wenn sie auch kein Anderer verstand, doch ihm gewiß verständlich war, indem sie ihm sagte, daß er kein Fremdling mehr in dem Hause drüben sei, daß man ihn, wo und wann man ihn sehe, willkommen heiße und daß man sich schon im Voraus auf den nächsten Sonntag freue, wo er wieder einen neuen Ring zu der Kette der Freundschaft und des Vertrauens fügen könne, die, jetzt schon stark genug, um allen feindlichen Angriffen von Außen zu widerstehen, sich auch in Zukunft bewähren werde, in Zukunft, die, ach! doch immer noch so ungewiß und verschleiert vor seinem sehnsuchtsvollen und nach Licht suchenden Auge lag.

Wenn aber ein solcher Gruß ihm an einem Morgen zu Theil geworden war, dann war der ganze folgende Tag ein geweihter und beinahe festlicher für ihn geworden.

Rüstiger denn sonst ging er seinen Geschäften nach, freudiger arbeitete er, und wenn er sich spät Nachts von seinen unablässigen Studien und literarischen Uebungen ermüdet zu Bett legte, glaubte er noch die Wärme und den Strahl der glänzenden Sonne zu fühlen, die nun einmal in voller Glorie an seinem Lebenshorizonte ausgegangen war und denselben, so hoffte er wenigstens im Stillen, nie wieder verlassen sollte.

Man verstehe diese figürliche Ausdrucksweise nicht falsch und nehme sie nur als ein Festhalten an dem einmal gebrauchten Bilde auf. Wie die Sonne am Himmel dem Erdgeborenen ein unerreichbares Gestirn ist, das er aber liebt und verehrt, weil es ihm wohlthut, weil es ihn wärmt und belebt, so, gerade so, oder wenigstens in ähnlicher Weise, betrachtete und liebte Paul van der Bosch das schöne, liebliche Wesen, welches er, durch seines jungen Freundes Ausspruch angeregt, seine irdische Sonne zu nennen pflegte.

War es denn aber ein Wunder, daß diese beiden Naturen so viele Anziehungspuncte für einander besaßen? Doch ganz gewiß nicht. Aecht weibliche Eigenschaften, wie sie Betty zu eigen waren, lassen selten einen wahrhaft edlen und dem Schönen ergebenen Mann unbewegt. Es war ja auch nicht die körperliche Schönheit allein, die hier auf den Kampfplatz trat und den Sieg errang, es kamen noch viele herrliche Eigenschaften des Geistes und der Seele hinzu. Nach beiden Richtungen hin hatte sich Betty von Hayden in den letzten drei Jahren, welche nun schon seit unserm ersten Zusammentreffen mit ihr verstrichen sind, bedeutend entwickelt und sie war in das herrliche Alter getreten, in welchem nicht allein die weibliche Formenschönheit, sondern auch der gereifte Geist sich völlig entfaltet zu zeigen pflegt und damit eine Rolle in dem ernsten Drama des Lebens zu spielen beginnt.

Allein hier war es, wenn wir zuerst ihre körperlichen Eigenschaften in Betracht ziehen, nicht die eigentliche Schönheit der Form, die das Anziehendste war, nein, es war der seelische Ausdruck derselben, wie er sich in wunderbarer Reinheit und fast idealer Färbung bei ihr kundgab. Es war mehr eine alle Tage sichtbarer hervortretende Lieblichkeit und Milde der Züge eine Harmonie der Linien und Farben, die an ihr so auffallend und siegreich wirkte. Leise und ruhig trat sie langsamen, fast bedächtigen Schrittes einher, leise und ruhig führte sie alle ihre Bewegungen mit dem Kopfe und den Händen aus. Da war nirgends eine ungeduldige Hast, eine angstvolle Eile, da war Alles natürliche und harmonische Ruhe in ihrem Thun und Gebahren, die den Beschauer eben so befriedigt, wie sie ihn bezaubert. Und nun, wenn sie sprach, wie klang diese wunderbare Flötenstimme so ergreifend und süß, wie schmeichelte sie sich, ohne künstliches Dazuthun, durch die ihr inwohnende Milde und Weichheit in das Ohr, das Herz des Hörers ein! Ja, aus dieser Stimme hörte man heraus, wie man es aus ihrem sanften, verständigen Blick las, daß auch ihr Geist mit dem Körper Schritt gehalten, daß sie klar und selbstbewußt in das Gewirr des Lebens, in die Verhältnisse der Menschen schaute, und daß dabei ihr Gemüth still und ruhig blieb, wie die sanft hinwogende Welle, die kein Windstoß aufregt, das lag auf allen diesen klaren Zügen, in diesen weichen Linien – ihr Gemüth, in welches wohl eine stille, ihr ganzes Wesen füllende Verehrung für irgend eine Person, aber keine zerstörende Leidenschaft Eingang finden konnte, da die Leidenschaft ganz außer ihr stand und ihr nur dem Namen, nie aber der Empfindung nach bekannt geworden war. Ja, die Empfindung alles Guten und Schönen, das Trachten und Sehnen danach, das Hegen und Pflegen desselben, das war es, was den größten Zauber auf Alle ausübte, denen ihr näherzutreten vergönnt war, denn Allen sagte es ihr Auge, ihr Blick, ihre Haltung, jede ihrer Bewegungen, ja auch jedes ihrer Worte, daß nur das Schöne und Gute für sie geschaffen, wie sie nur, um dasselbe zu genießen und zu empfinden, geboren war.

Eben so wenig aber war es auch ein Wunder zu nennen, daß Paul van der Bosch von Allen geliebt und verehrt wurde, die mit ihm in nähere Berührung traten und daß seine männlichen Eigenschaften namentlich auf ein Wesen von Betty's Empfänglichkeit wirken mußten. Schon sein früheres herbes Geschick, dann sein fleißiges, einsames Leben voller Entbehrungen hatten bereits im Anfang seines Auftretens im Ebeling'schen Hause ein großes Interesse für ihn wach gerufen, das durch Fritz Ebeling's Enthusiasmus alle Tage mehr geschürt und befestigt wurde. Nun erkannte man allmälig das dem jungen Manne inwohnende Talent, nun sah man deutlich die mächtige Entwickelung seines Geistes mit an, nachdem er sich erst aus den Wirren seines beschränkten Lebens herausgearbeitet, und nun hörte man ihn diesen Geist verkünden in seiner edlen und kräftigen Sprache, sobald er sich zu äußern veranlaßt ward. Ja, auch in seiner Sprache lag eine bezwingende, siegreiche Gewalt. Nichts vielleicht in der Welt von allen die Menschheit bewegender Potenzen ist und wirkt so mächtig und nachhaltig wie das gesprochene Wort. Es ist viel mächtiger als das geschriebene, weil es nicht allein auf den Geist, sondern auch auf die leiblichen Organe des menschlichen Geistes, die Sinne wirkt. Und wenn nun die Lippen, die solche Worte verkünden, von Jugend schwellen, wenn die Augen, die das Wort gleichsam mit ihrem Lichte erhellen, schöne, glanzvolle Augen, und wenn diese Worte zugleich vom Geiste durchdrungen sind und belehrend, erläuternd, anfeuernd wirken, dann, ja dann ist es kein Wunder, wenn der Meister dieser Worte selbst ein Meister in den Herzen seiner Zuhörer wird.

Diesen Worten nun lauschte mit immer steigendem Antheil Betty lange Zeit hindurch, ihr Ohr faßte aufmerksam den Klang, und ihr Geist begierig den Sinn derselben auf, und da Paul die Aufmerksamkeit dieser Ohren und dieses Geistes gewahrte, so wirkte das befeuernd und anregend auf ihn und seine Sprache entwickelte sich noch mächtiger und gewaltiger, so daß sie zuletzt eine Art Begeisterung erregen mußte, wie sie früher nur der Secundaner in jugendlicher Empfänglichkeit schon durch den Blick allein empfunden hatte.

Wie aber trat diese Begeisterung für den jungen Mann etwa den Augen Aller sichtbar, klar und deutlich hervor? Wurde das Wort der Zustimmung, des persönlichen Gefallens etwa vor allen Ohren laut? O nein, ganz gewiß nicht. Wie eine kleine stille Flamme auf einem verborgenen Altare brennt, die nur der sie bewachende Priester sieht und unterhält, so brannte die Flamme der Ergebenheit, der Theilnahme still und ungesehen in dem reinen Busen dieses herrlichen Mädchens fort. Niemals äußerte sie gegen ihre Angehörigen, selbst ihre Vertrautesten, gegen Fritz und dessen Mutter, ein Wort über dieses ihr innerstes Gefühl, niemals legte sie es deutlich und klar an den Tag, es war nur eine tief bewahrte, aber auch eben so tief wurzelnde Achtung und Verehrung für den ernsten und gediegenen Mann, die er ihr durch eine gleiche Empfindung wieder vergalt, und so entstand zwischen Beiden jenes schöne und reine Seelenverhältniß, welches mehr ein gegenseitiges geistiges Anlehnen und Aufrichten, ein Erheben und Beleben als ein bewußtes flammendes Gefühl war, das, oft Liebe genannt, weniger leuchtet und erwärmt als es brennt, und weniger befriedigt als es aufregt und verwirrt.

Dazu kam aber noch Eins, ein Wichtiges, Beherzigenswerthes, was diesem Verhältniß eine ganz besondere Färbung und Reinheit verlieh. Paul van der Bosch war und blieb sich Betty von Hayden gegenüber, klarer als je ein Anderer, seiner Stellung und Pflicht bewußt. Indem er in Betty die Tochter eines hoch geachteten und auf einer für ihn unerreichbaren Lebensstaffel stehenden Beamten, und in sich weiter nichts als einen armen, strebsamen Arbeiter sah, der sein Brod und seinen Unterhalt nur durch die Anstrengung seines Geistes und den Fleiß seiner Hände erwirbt, erkannte er die unermeßlich weite Kluft, die zwischen ihnen Beiden lag. Er wußte also, was sie von einander trennte und das vergaß er nie. Und selbst wenn später in einzelnen Momenten der Erregung sein innerster, ihm selbst kaum bewußter Wunsch einen Anlauf zum Ueberspringen dieser Kluft nahm, so unterstützte ihn doch niemals eine tollkühne Hoffnung darin, wie es wohl manchem in ähnlichen Verhältnissen lebenden jungen Manne geschehen sein möchte, der seinen Gefühlen die Zügel schießen läßt, wenn er ein so glänzendes und lockendes Ziel vor seinen Augen sieht. Und gerade, daß Paul diese ihm von den Umständen gesetzten Schranken inne hielt, gewahrten die ihn Umgebenden und eben deshalb schenkten sie ihm jenes Vertrauen, welches wir schon früher angedeutet und später noch öfter anzudeuten Gelegenheit finden werden.

Es war ein schöner warmer Herbstsonntag, als der Oberforstmeister mit seiner Gemahlin in eine Mittagsgesellschaft gefahren war und Betty schon zur Speisestunde bei ihrer Tante erschien, um den Tag bei ihr zuzubringen. Als nun auch Paul wie gewöhnlich zu Tisch kam, fand er zu seiner nicht geringen Freude Betty bereits vor und zwar mit ihrer Tante in eifrigem Gespräch begriffen, welches dem aufmerksamen Bauführer, der die Augen in allen Winkeln zu haben pflegte, einem ernsten Gegenstande zu gelten schien. Man ging eine Stunde früher als gewöhnlich zu Tisch, da auch der Banquier außerhalb speiste, und die vier so herzlich befreundeten Menschen feierten einmal einen recht gemüthlich frohen Tag.

Als nun gleich nach Tisch die Stunde des Spazierganges gekommen war, die Paul und Fritz bis zu dieser Zeit festgehalten hatten, näherte sich Betty dem Bauführer und fragte mit ihrem sonnigen Lächeln, ob die Herren lange ausbleiben würden.

»Wenn Sie es wünschen, bleiben wir ganz zu Hause,« erwiderte Paul, »und führen unsern Spaziergang im Garten unter den Weinlauben aus.«

»Nein, das thun Sie lieber nicht,« lautete die Antwort. »Gehen Sie wenigstens eine Stunde, so lange habe ich noch mit meiner Tante zu reden, dann aber wird mir Ihre Gesellschaft sehr angenehm sein.«

Es war natürlich, daß Paul und Fritz nun nicht länger als eine Stunde ausblieben, und als sie wieder in den Garten traten, fanden sie die Damen in Betty's Weinlaube am Kaffeetisch sitzend und, wie es schien, nicht unangenehm überrascht, die Spaziergänger so bald wiederzusehen.

Nachdem man aber den Kaffee getrunken und dabei einige Worte gewechselt, stand Frau Ebeling auf und verließ die Laube, um mit Fritz, den sie an ihre Seite rief, auf und niederzuwandeln. Jetzt merkte Paul, daß man ihn absichtlich mit der jungen Dame allein ließ und daß es sich also um irgend einen Plan derselben handele, was auch in der That der Fall war.

»Wollen wir auch ein wenig spazieren gehen?« fragte Betty, indem sie den leichten Strohhut mit schwarzem Sammetbande, der neben ihr an einer Stuhllehne hing, ergriff und auf das glänzend dunkle Haar drückte.

Paul erhob sich auf der Stelle und nahm das leichte Sammetmäntelchen, das neben dem Hut gelegen, um es seiner Besitzerin umzuhängen.

»Nein,« sagte diese, »lassen Sie es ruhig liegen, es ist warm genug heute. Mein seidenes Kleid« – sie trug ein solches von schwerem, ebenfalls schwarzem Stoff – »schützt mich hinreichend.«

Paul ließ auch seinen Hut in der Laube liegen und so schritten die beiden schönen jungen Menschen bald neben einander durch die theilweise beschatteten Weingänge dahin, wobei Paul in seiner Freude nicht gewahrte, daß Frau Ebeling und Fritz ihnen stets aus dem Wege zu gehen beflissen waren.

Es kam selten vor, daß er sich so ganz allein mit Betty frei hin und her bewegen konnte; wenn es aber einmal geschah, waren sie immer sehr bald in ein lebhaftes Gespräch gerathen, das sich gewöhnlich auf die Baukunst bezog, denn Betty baute so gern in Gedanken und mit Worten, wie Paul in der That, und vor ihrer Phantasie stiegen dann immer schnell köstliche Tempel und Wohnstätten auf, herrlichen Luftschlössern gleich, die sich mancher junge Mensch construirt und die doch nie in Wirklichkeit ausgeführt werden.

Auch heute geriethen sie sehr bald in ein ähnliches Gespräch und Betty war es, die durch ihre Fragen die Rede ihres Begleiters in raschen Fluß zu bringen verstand. Sie erzählte, daß sie vor einigen Tagen mit ihrer Mutter durch ein entfernt liegendes Stadtviertel gefahren sei und sich gewundert habe, ganze Reihen neuer Häuser zu finden, die im modernen Villastyl errichtet wären und ganz hübsche Wohnungen zu liefern versprächen.

»Ach,« nahm nun Paul das Wort, »das scheint allerdings so, aber es ist leider doch nicht ganz der Fall. Diesen Stadtbaumeistern ist es hauptsächlich darum zu thun, durch eine bestechliche Façade ihrer modernen Schöpfungen wie durch eine schöne Maske die Beschauer zu blenden und Miether anzulocken. Der Baustyl, dem man gegenwärtig fast überall huldigt, ist mitunter recht hübsch, wenn er nur eben so zweckmäßig und ersprießlich wäre. Das Aeußere – wie jetzt überall in der Welt – ist ihnen Hauptsache und das Innere, das Wichtigste, vernachlässigen sie auf unveranwortliche Weise. Der Nutzen, den sie, aus ihren Räumlichkeiten ziehen, ist es fast allein, der die Bauunternehmer leitet, um die Behaglichkeit und Gemüthlichkeit, ja, um die Gesundheit Derer, die in ihren Häusern wohnen sollen, ist es ihnen gar nicht zu thun. Darum und um so viel Familien wie möglich hineinzustopfen und daraus einen möglichst großen baaren Vortheil zu ziehen, sehen wir auch so viele kasernenartige, bis in die Wolken ragende Gebäude erstehen. Ich kann mich diesem maaßlosen Beginnen durchaus nicht anschließen und muß sogar auf das Ernstlichste dagegen protestiren. Denn die Wohnung, in welcher der Mensch den größten Theil seines Lebens zubringt, in der er arbeitet und rastet, wacht und schläft, ist eben so wenig gleichgültig für sein leibliches, wie für sein geistiges Wohlbefinden, sie ist im Gegentheil höchst wichtig für Beides, und der klügelnde Mensch, der jetzt in Allem das Rechte gethan haben und thun will, sollte sich dreimal besinnen, ehe er ein Haus baut, in welches er sein Haupt zur Ruhe legen und für seinen Leib eben so wie für seinen Geist sorgen will. Meiner Ansicht nach sollte ein Haus für den Menschen sein, was der Leib für seine Seele ist, und Sie wissen ja, wer es gesagt, daß eine schöne Seele auch in einem schönen Körper wohnen sollte.«

»Ach Du lieber Gott,« erwiderte Betty lächelnd, »daran denken jene Bauherren gewiß nicht; sie berechnen wirklich nur, was für Miethe ihre Stockwerke ihnen bringen.«

»Das ist es ja eben, was ich tadle!« rief Paul lebhaft aus. »Ich würde nicht so denken, wenn ich mir ein Haus bauen wollte und könnte.«

Betty lächelte sanft vor sich hin, dann erhob sie ihr helles Auge ruhig zu dem neben ihr Gehenden und sagte mild und freundlich: »Wie würden Sie sich denn Ihr Haus bauen, wenn Sie sich eins gründen wollten, um glücklich, fleißig und beschaulich darin leben zu können?«

Paul schaute nachdenklich zur Erde und versetzte erst nach einer Weile mit einem tiefen Seufzer: »Ach ich! Dazu werde ich wohl nie kommen, mein Fräulein!«

»Wer weiß es! Wenn Sie aber dazu kämen, wie würden Sie sich Ihr Haus gestalten?«

Ueber Paul's ausdrucksvolles Gesicht flog ein Schimmer warmer Röthe. Er hob seinen dunklen Kopf empor, schüttelte die üppigen Haare zurück und sagte dann, aus voller Brust aufathmend: »Soll ich Ihnen einmal einen Traum erzählen, den ich einst gehabt und den ich nie vergessen kann? Ja?«

Sie nickte ihm ermunternd zu und er fuhr lebhaft also fort:

»Ach, es war ein gesegneter Abend, als ich vor etwa einem Jahre bei meinen Zeichnungen saß und neue Pläne und Entwürfe schmiedete. Ich hatte lange nachgedacht und mein Bleistift war rüstig über das Papier geglitten und hatte ganz hübsche Sachen zu Tage gebracht. Alles aber, was ich geschaffen, wollte mir nicht so recht behagen und ich fühlte endlich eine sanfte Müdigkeit sich meiner bemächtigen. Ich ließ meine Blätter liegen, wie sie lagen, und ging zu Bett, um sogleich einzuschlafen. Und in dieser Nacht nun hatte ich jenen wunderbar köstlichen Traum, von dem ich vorher sprach. Wie von eines unsichtbaren Zauberers Hand geschaffen, sah ich plötzlich einen wahren Prachtbau vor meinen Augen aufsteigen, so, wie ich ihn mir schon oft gedacht, aber nie hatte gestalten können. Auf einem nicht allzu hohen Hügel, von wogenden Baumwipfeln und grünen Rasenflecken umgeben, stieg ein herrliches Gebäude empor. Es war nicht übermäßig hoch und bestand nur aus zwei stattlichen Stockwerken, aber es war geräumig und weit und schloß viele kostbare und wohlverzierte Gemächer ein. Das schönste Gemach von allen aber war ein großer, breiter und langer Saal, von hoher durchsichtiger Decke überwölbt, durch die ich den blauen Himmel deutlich erkannte, von Marmorwänden eingefaßt und von tausend kunstvollen Zierrathen blitzend und strahlend. In diesem Saale nun war Alles enthalten, was ein Mensch zu einem arbeitsamen und glücklichen Leben gebraucht. Bücher aller Art füllten ihn auf der einen Seite, auf der andern stand eine lange Tafel mit herrlichem Geräth und zahllosen Kunstwerken bedeckt. In der Mitte aber blieb Raum genug, um bequem hin und her zu wandeln, mit einem Freunde zu reden und ihm dabei meine Entwürfe mitzutheilen. Ich liebe nämlich das Gehen im Zimmer während der Arbeit und darum ist mir ein großer Raum dafür so recht in's Herz gewachsen. Als ich nun am nächsten Morgens erwachte, fiel mir sogleich mein schönes Gebäude im Traume ein und ich setzte mich rasch nieder und versuchte, das im Gedächtniß Behaltene auf das Papier zu werfen. Aber siehe da, ich fühlte mich nicht dazu im Stande. Bald war mir das Eine, bald das Andere entschwunden, und endlich konnte ich gar nicht mehr den Zusammenhang der einzelnen Theile wiederfinden. Nur bisweilen in rasch vorüberfliegenden Momenten, zum Beispiel jetzt, wo ich so recht daran denke, tritt es mir wieder zum Theil vor die Seele, und da sehe ich von Neuem, wie schön und erhaben und doch wie gemüthlich und behaglich es war.«

Er schwieg, und auch Betty sann eine Weile still vor sich hin. Plötzlich erhob sie wieder den Kopf zu ihm und sagte:

»Also in dieser Art würden Sie Ihr Haus bauen, wenn Sie sich eine schöne Heimat gründen wollten?«

»Ach nein,« erwiderte Paul bescheiden, »das würde ich am Ende doch wohl nicht. Zum Bau eines solchen Hauses, wie ich es damals sah, gehört ein übervoller Geldbeutel, und den habe ich nicht und werde ich nie haben. Ich wollte Ihnen ja eben nur meinen schönen Traum erzählen. Ich für meine Person, wenn ich mir einmal einen gewissen Besitz erwerbe, würde mir vor allen Dingen ein meinen Verhältnissen entsprechendes Haus bauen, ich würde es innen und außen harmonisch gestalten, in der Ausstattung aber mich weise beschränken, wie es meinen Mitteln geziemt. Allerdings würde jenes Traumgebilde immer mein geträumtes Eldorado sein und bleiben und ich würde es in der Wirklichkeit nachzuahmen suchen, so weit es in meinen Kräfte liegt.

»Da haben Sie Recht, der Mensch muß sich nach der Decke strecken, unter der er liegt, das ist ein altes gutes Sprichwort, und klug und weise ist, wer zufrieden mit dem ist, was er besitzt, über seine Leistungsfähigkeit muß Niemand hinauswollen. Nun aber, Herr van der Bosch,« fuhr sie mit ernsterer Miene fort, »haben wir einmal wieder recht mit Behagen Luftschlösser gebaut, jetzt wollen wir in die Wirklichkeit zurückkehren und da will ich Ihnen sagen, daß ich ein kleines Geheimniß auf dem Herzen habe, welches Sie noch heute, ja in diesem Augenblick, erfahren sollen.«

»Ein Geheimniß?« fragte Paul überrascht. » Sie wollen mir ein Geheimniß mittheilen, welches Sie auf dem Herzen tragen?«

»Ja, das will ich. Merken Sie sich aber wohl, es ist eben ein Geheimniß und Niemand außer uns Beiden darf es in der ersten Zeit erfahren. Uebrigens,« setzte sie eifrig hinzu, »leitet es seinen Ursprung nicht aus mir selbst her, im Gegentheil, meine Tante hat es in mir angefacht und mich aufgefordert, es weiter auszubilden und dann mit Ihnen zu berathen. Das will ich jetzt thun, die Stunde ist günstig und dürfte so leicht nicht wiederkehren.«

Paul schaute verwundert in die Höhe. Seine Augen begegneten dabei zwei milden freundlichen Sternen, und Beide fühlten, daß sie abermals in Uebereinstimmung waren, und wie die Eine bereit war, ihr Herz zu erleichtern, so war der Andere willig, ihren Erguß in sich aufzunehmen und danach zu handeln, wie es ihm zu handeln möglich sei.

»Sie haben mich schon so oft,« fuhr Betty langsam weiter gehend fort, »Ihre Gesinnung in Betreff der Familie Ebeling erkennen lassen und mir namentlich wiederholt das Gefühl der Dankbarkeit geschildert, welches Sie für so mannigfache Ihnen bewiesene Freundlichkeit gegen meinen Onkel und meine Tante hegen. Sie haben auch schon oft nach einer Gelegenheit gesucht, diese Dankbarkeit auf eine sinnige Weise an den Tag zu legen, nicht wahr? Nun ja, ich weiß es wohl. Jetzt, Herr van der Bosch, dürfte eine solche Gelegenheit gefunden sein und ich erlaube mir, Sie darauf aufmerksam zu machen.«

»Wie?« rief Paul, stehen bleibend und seiner Begleiterin vor Glück strahlend in's Angesicht blickend. »Sie machen mich darauf aufmerksam? O, wie doppelt herrlich ist das! Rasch, sprechen Sie weiter, ich brenne nach dieser Gelegenheit.«

»Das dachte ich mir wohl und darum habe ich mich so sehr auf diesen Nachmittag gefreut. Nun hören Sie weiter. Mein Onkel geht schon lange mit dem Plan um, dem Geräusch und dem Staube der großen Stadt im Sommer zu entfliehen und sich vor dem Thore in einer hübschen Vorstadt ein Haus zu erbauen. Dieser sein langjähriger Wunsch scheint jetzt der Erfüllung nahe gekommen zu sein. Es hat sich ihm ein wohlgelegenes, bisher wüstes Grundstück dargeboten und er hat es ganz in der Stille vor einigen Tagen gekauft. Darauf will er sich ein Haus nach seinem Geschmack errichten, sobald er einen annehmbaren Plan dafür gefunden hat. Sie kennen ja seinen Geschmack darin, und was Sie nicht kennen, werde ich Ihnen gern mittheilen, nachdem ich mit meiner Tante darüber gesprochen habe, die also nur eine halbe Mitwisserin unseres Geheimnisses sein wird, aus leicht begreiflichen Gründen aber nicht mit Ihnen darüber reden will. Nun geht mein Vorschlag dahin: erdenken Sie einen recht hübschen Plan, in modernem Villastyl, und richten Sie, ganz Ihrer Einsicht gemäß, das Innere dieses Hauses dem Aeußern entsprechend ein. Es soll kein Luxusbau werden, aber wohnlich, geräumig, so daß seine ganze Familie, wir mit eingerechnet, für den Sommer darin Platz hat. Zwei Stockwerke würden also nothwendig sein. Wenn Sie sich das leere Grundstück angesehen haben – ich werde Ihnen die Lage nachher genauer bezeichnen – dann denken Sie über Ihre Aufgabe nach, und wenn Sie damit zu Stande gekommen sind, theilen Sie mir Ihre Gedanken mit. Wir wollen sie gemeinschaftlich besprechen und berathen, wir Beide ganz allein, denn ich möchte meinem Onkel eben eine Ueberraschung durch Sie bereiten. Wenn wir dann über die Grundidee einig sind, begeben Sie sich an die Arbeit. Zeichnen Sie die nöthigen Risse und schenken Sie sie meinem Onkel zu Weihnachten. Ich bin überzeugt, daß er wie Sie das Richtige treffen, bereit sein wird, Ihren Plan im nächsten Frühjahre auszuführen. Sind Sie damit einverstanden?«

»O, mein Fräulein,« rief Paul entzückt, »wie sollte ich nicht! Tausend Dank sage ich Ihnen für diese freundliche, mich beglückende Mittheilung. Ja, es soll Alles geschehen, wie Sie sagen, und zwar bald, und mit frischen Kräften, mit gehobenem Geiste will ich an die Arbeit gehen. Wo liegt der Bauplatz?«

Betty bezeichnete denselben genau und Paul beschloß, noch diesen Abend einen Gang dahin zu unternehmen. »Und Sie wollen so gütig sein, mir Ihren Beistand dabei zu leihen?« fragte er nach kurzer Pause.

»Ja, natürlich, so weit ich kann. Dann wird es aber nöthig sein, daß wir häufiger zusammenkommen als nur Sonntags, und Sie dürfen Ihre Zeichnungen nicht so lange ruhen lassen, ich muß immer gleich sehen, was Sie vollbracht haben.«

»Gern, von ganzem Herzen gern soll es Ihnen vorgelegt werden. Aber wie machen wir es, auf daß unser Beginnen nicht ruchbar wird?«

Betty schwieg eine Weile, dann sagte sie, heiter lächelnd: »Auch darüber habe ich schon nachgedacht und das Richtige gefunden, wie ich glaube. Wir brauchen nothwendig Fritz als Mittelsperson, der glücklicherweise jetzt immer im Hause ist. Es wird meine Sache sein, ihm seine Instructionen zu geben. Sobald Sie mich sprechen wollen – oder müssen,« setzte sie nachdrücklich hinzu, »lassen Sie mich es wissen, dann sende ich ihn zu Ihnen hinüber und lasse mir Ihre Zeichnungen holen oder komme zu meiner Tante herunter, bei der Sie sich zur festgesetzten Zeit auch einfinden können. Sie wird uns stets Gelegenheit geben, ungestört über unsre Pläne reden zu können.«

Paul senkte nachsinnend den Kopf. »Ja,« sagte er, »aber wie soll ich Sie wissen lassen, daß – daß ich Sie sprechen muß oder Ihnen etwas zu zeigen habe?«

»Das ist ja ganz einfach,« fuhr Betty in ihrer naiven Weise zu reden fort, »Wir richten eine Art telegraphischer Verbindung zwischen unsern Fenstern ein. Sobald Sie Fritz zu irgend einer Bestellung bedürfen, setzen Sie irgend einen Gegenstand an Ihr Fenster, den wir von den unsrigen aus wahrnehmen können. Ich werde aufmerksam sein und Fritz wird es auch nicht daran fehlen lassen. Wollen Sie mir aber etwas mittheilen, was Fritz selbst nicht wissen soll, so schreiben Sie mir Ihre Meinung, fragen Sie mich, und ich – ich werde Ihnen auf gleiche Weise antworten, wenn es nicht mündlich geschehen kann. Sind Sie auch damit einverstanden?«

Ueber Paul's schönes Gesicht flog es wie ein lichter verklärender Sonnenstrahl. »Es bedarf wohl keiner Antwort von meiner Seite darüber,« sagte er. »Ihr Plan ist gut und wohl überlegt. An mir soll es nicht liegen, wenn er nicht vollkommen zur Ausführung kommt. – Aber nun lassen Sie mich Ihre Idee in Betreff des neuen Sommerhauses etwas näher kennen lernen; das würde vor der Hand das Nothwendigste sein.«

Betty entwickelte jetzt diese Idee und führte Alles an, was sie bereits in Bezug auf die Wünsche ihres Onkels in Erfahrung gebracht und was sie mit ihrer Tante gesprochen hatte. Als er Alles in sich aufgenommen, führte er Betty zu Frau Ebeling und empfahl sich auf eine Stunde den Damen, welche Zeit Betty dazu benutzte, dem über ihre lange Unterhaltung mit Paul schon neugierig gewordenen Cousin ihre Instructionen zu geben, die dieser natürlich mit Freuden empfing und nach besten Kräften auszuführen versprach.

Paul dagegen nahm einen Fiaker und fuhr ohne Säumen nach dem ihm bezeichneten Grundstück vor dem Thor und fand es sehr schön in unmittelbarer Nähe der öffentlichen Promenade gelegen und von hübschen Landhäusern umgeben. Er maß auf der Stelle den Umfang und Flächeninhalt desselben ab, bezeichnete sich im Stillen, was bebaut und was Park und Garten werden sollte, und kehrte dann, den Kopf voll gährender Gedanken, nach dem Ebeling'schen Hause zurück, wo er den Banquier bereits antraf, dem bald auch Frau von Hayden folgte.

Man fand ihn an diesem Abend nicht so gesprächig und an der allgemeinen Unterhaltung Theil nehmend wie sonst, fast zerstreut, denn er arbeitete schon im Stillen den in seiner Phantasie fluthenden Plan aus. Um zehn Uhr Abends in seine Wohnung zurückkehrend, entschloß er sich rasch zu einer angenehmen nächtlichen Arbeit, und als er am nächsten Morgen seine Grundidee mit kritischen Augen besah, fand er, daß sie gut und würdig sei, der Ansicht und Prüfung zweier anderer Augen unterbreitet zu werden. Flüchtig und doch fest, wie er immer schrieb, warf er nun einige erklärende Worte auf einen Briefbogen, und als er auch damit zu Stande gekommen, begab er sich an sein Fenster, um zum ersten Male als Telegraphist das verabredete Werk zu versuchen.

Er war mit Betty übereingekommen, daß das Zeichen, er habe ihr Etwas mitzutheilen, ein Blumentopf mit einem hochgewachsenen grünen Bäumchen sein solle, und zu diesem Zweck hatte er einen gerade vorhandenen Myrthenstock aus des Banquiers Garten mit hinübergenommen. Alsbald stand der reizende Baum an dem bezeichneten Fenster und in kurzer Zeit sollte sich die Wirkung dieses ersten Versuches zeigen. Fritz hatte das telegraphische Zeichen zuerst wahrgenommen, und einige Minuten später trat er bei seinem Freunde ein.

»Der Tausend!« sagte der gute Junge, »hast Du schon etwas Wichtiges zu Stande gebracht?«

»Ja, wie Du siehst, hier ist es, ich habe die halbe Nacht gearbeitet. Nun übergieb Deiner Cousine diese beiden Blätter – so, wir wollen sie in diese Mappe stecken – und dazu diesen kleinen Brief.«

Fritz warf nur einen Blick auf das ihm einfach zusammengefaltet hingehaltene Blatt ohne Adresse, dann sagte er: »Es ist ja nicht versiegelt, Paul – willst Du es nicht wenigstens mit einer Oblate verschließen?«

Paul dachte einen Augenblick nach. »Nein,« sagte er dann fest, »ich habe Deiner Cousine nichts zu sagen, was Dir verheimlicht zu werden brauchte, nur Deinem Vater muß es noch verborgen bleiben. Du kannst also alle meine Dir übergebenen Mittheilungen lesen.«

»Das werde ich aber nicht thun, Paul, Du kennst mich darin. Mir macht es schon Freude genug, der Vermittler einer so herrlichen Ueberraschung zu sein, die meinem guten Vater zugedacht ist. Was bis Weihnachten in Euren Briefen steht, ist Eure Angelegenheit allein, und ich möchte auch ein wenig überrascht werden, wenn Euch Euer Vorhaben gelingt.«

»Es wird uns gelingen, mein Freund, verlaß Dich darauf. Bis Weihnachten aber wird die Correspondenz nicht dauern, denn ich werde mit meinen Arbeiten in höchstens vier Wochen fertig sein.«

»Beeile Dich nicht zu sehr, wir haben Zeit. Mache Alles lieber recht hübsch, damit wir sämmtlich unsere Freude daran haben.«

Als Paul am Abend dieses Tages von seinen Berufsgeschäften nach Hause kam, fand sich Fritz abermals bei ihm ein und brachte die sorgsam zugebundene Mappe mit den beiden Blättern wieder zurück.

»Du hast Betty eine große Freude bereitet,« sagte er, »sie ist mit Deinem Eifer zufrieden. Lies, was sie Dir schreibt, und gieb mir, wenn es nöthig ist, wieder eine Antwort mit zurück.«

»Hat sie denn geschrieben?«»So mach' doch die Mappe auf, dann siehst Du es ja.«Paul öffnete die Mappe und fand ein ebenfalls nur zusammengefaltetes Blatt vor, auf dessen erster Seite er mit funkelnden Augen folgende, mit schöner deutlicher Schrift hingeworfene Zeilen las:

»Sie haben mich überrascht. So schnell habe ich keine Mittheilung über die bewußte Angelegenheit erwartet. Es ist Alles ganz allerliebst und ich gebe mit Freuden meine Beistimmung zu einer näheren Ausführung. Zeichnen Sie aber ruhig und langsam, überarbeiten dürfen Sie sich nicht. Sie haben ohnehin genug zu thun. Fritz ist von seinem neuen Amte entzückt und wir halten fortan alle unsere Verabredungen fest.

Es grüßt Betty.«

»Nun,« sagte Fritz, als Paul an diesen wenigen Zeilen sehr lange las und sie sogar zwei- oder dreimal durchmusterte, »giebt es eine Antwort darauf?«

»Nein, mein Freund,« erwiderte Paul, wie aus einem glücklichen Traume erwachend, »heute nicht. Aber in wenigen Tagen wirst Du vielleicht schon wieder mein Bote sein müssen.«

»Meinetwegen alle Tage zweimal; das Comptoir verschlingt meine Kräfte nicht und es ist reizend für mich, Dein und Betty's Bote in solcher Angelegenheit zu sein.«


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