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Erstes Kapitel.
Eine unschuldige Fastnachtsfreude

Der zwanzigste Februar des Jahres 184.. war ein naßkalter, unfreundlicher Tag, der sich schon am frühen Morgen mit heftigen Windstößen, eisigen Regengüssen und hagelreichem Schneegestöber angekündigt hatte. Und doch war er im Jahrescalender und in der Hoffnung der Menschen roth angestrichen, denn auf ihn fiel die Fastnacht und viele Bewohner der norddeutschen großen Residenz hatten sich schon lange darauf gefreut und mannigfaltige Vorbereitungen getroffen, um ihn trotz der ungünstigen politischen Verhältnisse so festlich wie möglich zu begehen und so wenigstens einen matten Abglanz von den Freuden zu gewinnen, die in süddeutschen katholischen Ländern seit uralter Zeit heimisch sind und den an sich schon närrischen Menschen auf einige Stunden das Privilegium officieller Narrheit verleihen.

Indessen wenn die Menschen sich zu maskiren lieben und manches Engelsantlitz sogar hinter einer Teufelslarve sich verbirgt, warum sollte der launige Festtag seine sonnige Miene nicht auch einmal hinter Regengüssen Schneegestöber und düsteren Wollen verstecken? Er nahm ja damit nur ganz einfach das allgemeine Privilegium auch für sich in Anspruch, und das gelang ihm diesmal so gut und vollständig, daß er mit seinem rauhen Morgen die frohen Erwartungen Vieler täuschte und diese den lustigen Schalk erst erkannten, als er am späteren Nachmittag endlich seine Maske abnahm und einen reinen stahlblauen Himmel sichtbar werden ließ, der gleichsam lächelnd auf das heimliche Treiben der Menschen niederblickte.

Die Carnevalsfreuden im protestantischen Norddeutschland treten aber weniger geräuschvoll und bunt als zum Beispiel in Cöln und anderen süddeutschen Orten hervor; während hier ein fast allgemeiner Taumel auf Straßen und öffentlichen Plätzen wogt, sind dort immer nur Einzelne gelaunt, dem modischen Tagesgötzen ihr Opfer zu bringen und sich höchstens zwischen den Mauern ihrer Häuser eine falsche Nase vorzubinden, wo Jene vor aller Welt ihr ganzes Gesicht verkappen und ihren Leib in Gewänder von brennenden Farben und abenteuerlichen Gestaltungen hüllen.

Wie nun die vornehme Welt in geschlossenen Räumen, die nur wenig Auserwählten den Zutritt gestatten, ihre Fastnacht begeht und in einer Galaoper oder auf prunkvollen Bällen ihren Glanz und ihre Reize zeigt, so tobt der vielköpfige Arbeiterstand seinen Muthwillen in öffentlichen Tanzlocalen und Bierhäusern aus. Beide vergnügen sich auf eine ihrem Geschmack und ihrer Bildung entsprechende, allerdings sehr verschiedene Weise, und nur das Eine haben sie hierbei mit einander gemein, daß sie den bleich und kalt heraufdämmernden Fasttag mit hohlen Augen und müden Gliedern anbrechen sehen. Und warum sollten sie das nicht? Wer will es ihnen verdenken, wer sie bekritteln? Höchstens ein Neidischer, der mit scheelen Augen und verödetem Herzen den blasirten Weltweisen spielt, oder ein armer Hungernder, dessen Mittel ihm nicht erlauben, an dem Jubel seiner Mitmenschen Theil zu nehmen, oder ein Kranker, der mit gebrochener Kraft auf seinem Schmerzenlager liegt, oder endlich vielleicht auch ein politischer Heißsporn, dem der Fortschritt der Menschheit nur wie eine Schnecke zu kriechen scheint und der das theoretische Ei allgemeiner Weltbeglückung in athemloser Sitzung in einer einzigen Stunde ausbrüten möchte.

Aber nicht die sogenannten Vornehmen und der genußsüchtige Arbeiter allein feiern ihre Fastnacht nach ihrem Gefallen und ihren Mitteln, auch der wohlhabende Mittelstand nimmt auf seine Weise daran Theil und läßt in größeren oder kleineren Familienkreisen, an wohlbesetzter Tafel oder bei heiterem Tanz und Spiel die flüchtigen Stunden des festlichen Tages verstreichen; und wer so glücklich ist, einem solchen Familienfeste beizuwohnen, der hat vielleicht den besten Theil von Allem erwählt; er braucht am trüben Aschermittwochmorgen nicht wehmüthig in seine geleerte Kasse zu schauen oder sich ein unbehagliches Fasten aufzuerlegen, da ihm weder seine zerschlagenen Gliedmaßen noch sein überfüllter Magen die nöthigen Dienste versagen.

Auch wir, die wir uns, wenn wir können, stets zu der bevorzugten Mittelklasse gesellen, wollen uns an diesem Tage in das Haus eines wohlhabenden, ja vielleicht reichen Mannes begeben und zu erkunden suchen, wie man hier im Kreise geistig und herzlich Gebildeter die Fastnacht im Jahre 184 beging, und wenn wir dem gemüthlichen Feste auch nicht bis zum Ende beiwohnen, so werden wir doch schon bei dem Vorspiel desselben einigen Personen begegnen, mit denen eine Reihe von Jahren zu verleben, wohl angenehm und ersprießlich sein dürfte, weshalb wir ihre Schicksale auch in der folgenden Erzählung zum Gegenstande unserer Darstellung gewählt haben.

Es mochte etwa sechs Uhr Abends sein, als die zahlreichen Fenster der beiden oberen Stockwerke eines großen und schönen Hauses in der Bremerstraße sich zu erhellen begannen, nachdem die weißen Vorhänge derselben sich bereits eine Stunde früher geschlossen hatten. Das Haus war ein Eckhaus und sah mit seiner größeren, acht Fenster langen Front in eine verkehrsreiche, aber etwas enge Hauptstraße, mit seinem um die Hälfte kleineren Flügel dagegen in eine viel breitere Pulsader der großen Stadt, in deren Mitte der mit Kähnen aller Art bedeckte Fluß seine grüngelben Wogen wälzte. Hier lag auch der Eingang des Hauses und im Parterre daneben befand sich ein allbekanntes und weithin Vertrauen erweckendes Geschäftslocal. Ueber der breiten Flügelthür bezeichnete ein schwarzes Schild mit großen goldenen Buchstaben die Art desselben und den Namen des Besitzers. Bei der hellen Gasbeleuchtung der davor brennenden Laternen lesen wir deutlich die Firma: ›Emil Ebeling, Geld- und Wechselgeschäft.‹

Das ganze große Haus war nur von zwei, noch dazu sehr wenig zahlreichen Familien bewohnt. Das untere, ziemlich hoch über der Straße gelegene Stockwerk des Vorderhauses hatte der Banquier Ebeling mit seiner Frau und seinem einzigen Sohne inne; im stattlichen Hinterhause lagen außer den Wirthschaftsräumen die Stuben der Dienerschaft und einige Zimmer für die beiden ältesten Commis, welche sich dicht an die Comptoirs schlossen und die nächste Verbindung damit unterhielten.

Das oberste Stockwerk bewohnte der Oberforstmeister von Hayden mit seiner Gemahlin und Tochter, ein Schwager des Banquiers, die Beide fast zu gleicher Zeit zwei Schwestern, Töchter eines höheren und längst verstorbenen Beamten geheirathet hatten.

Das mittlere Stockwerk dagegen, welches die Wohnungen beider Familien trennte, stand gewöhnlich leer und enthielt nur einen großen Saal und verschiedene reich ausgestattete Gesellschaftsräume, welche von beiden Schwägern gemeinschaftlich benutzt wurden, wenn irgend eine größere Festlichkeit, wie bisweilen geschah, bei einem oder dem anderen stattfand. Hinter dem Hauptgebäude und dem Seitenflügel lag ein großer Hofraum mit den nöthigen Stallungen, und an diese schloß sich ein wohlgepflegter Garten mit einem kleinen Gewächshause, Blumenpartien und edlen Obstbäumen, welches Alles gleichfalls dem Belieben beider Familien zu Gebote stand, die in herzinnigster Eintracht mit einander lebten und, in ihrem kleinen Kreise sich glücklich fühlend, nur in Ausnahmefällen mit anderen Leuten verkehrten.

Ein solcher Ausnahmefall aber fand an diesem Fastnachtabend statt. Der reiche Banquier hatte es für geeignet gehalten, ein kleines Fest zu veranstalten, und da zwei junge Leute sich im Hause befanden, deren Vergnügen den wohlwollenden Eltern stets am Herzen lag, so sollte diesmal ein Ball die Carnevalszeit beschließen und dazu hatte man eine Gesellschaft von einigen fünfzig Personen eingeladen, die, von jedem Alter und Geschlecht, theils der Beamtenwelt, theils dem höheren Kaufmannsstande angehörten, vor allen Dingen aber die Bildung des Geistes und Herzens besaßen, die in dem bezeichneten Hause von jeher als Maaßstab und Zielpunct für einen näheren Umgang gegolten hatten.

Um sechs Uhr Abends, sagten wir, begannen die Fenster des Festhauses sich zu erhellen, und in der That zeigte sich um diese Zeit schon ein reges Leben auf Treppen und Corridoren unter den Dienern des Hauses, die es sich mit warmem Eifer angelegen sein ließen, die letzte Hand an das ihnen übertragene Werk zu legen.

Während um diese Zeit ein eiskalter Wind durch die Straßen zu blasen begann und neu heranziehende schwarze Wolken einen starken Schneefall verkündeten, herrschte auf den Fluren und Treppen des wohlverschlossenen Hauses eine angenehme Wärme, gemischt mit dem Duft zahlloser Blumen, die in zierlichen Vasen und Körben auf den Treppenabsätzen standen und den erwarteten Gästen das erste freundliche Willkommen boten. Dabei flammten die Gaslampen hell und erleuchteten die breite Treppe von braunpolirtem Holze, die zierlichen Statuen von Gyps und die bunten Wandgemälde, die der kunstsinnige Kaufherr mit großen Kosten von namhaften Künstlern hatte herstellen lassen. Hatte man die blitzende Glasthür durchschritten, die in den inneren Vorsaal vor der Treppe führte, so trat der Fuß auf weiche Teppiche, die sich die Stufen hinauf bis in das oberste Stockwerk zogen, und auf jeder Windung derselben sah man einen Diener, der in einfacher blauer Livree mit blanken Knöpfen, in weißer Weste und Halstuch, ohne Prunk, aber mit gefälliger Miene der Gäste harrte, welche den größten Theil der Nacht in diesem wirthlichen Hause zubringen sollten.

Es mochte endlich sieben Uhr geworden sein, und in etwa einer Stunde konnte man die ersten Gäste erwarten, als wir Gelegenheit finden, die persönliche Bekanntschaft eines Mitgliedes der Familie des Festgebers zu machen. Es war dies der einzige Sohn des Hauses, Fritz Ebeling, ein Knabe von etwas über sechszehn Jahren, der Primus der Secunda eines Gymnasiums und eine Erscheinung, wie man sie nicht gar häufig auf den Schülerbänken unter jungen Männern gleichen Alters zu treffen pflegt.

Fritz war ein ziemlich lang aufgeschossener Knabe mit feinem, intelligentem Gesicht, hellblauen Augen und lang herabwallenden blonden Haaren, den man in seinem modischen schwarzen Anzuge und bei seiner ruhigen Haltung wie bei seinem gesetzten Wesen auf den ersten raschen Blick schon für einen völlig erwachsenen jungen Mann halten konnte, was er doch gewiß noch lange nicht war. Seine blassen Gesichtszüge glichen, wir werden das bald näher zu prüfen Gelegenheit finden, auffallend denen seiner einst sehr schönen Mutter; von ihr hatte er auch die edle Ruhe, das milde Gemüth, das wohlwollende Herz, von seinem Vater dagegen ein rasches Temperament geerbt, das ebenso schnell einen Entschluß auszuführen liebt, wie es ihn mit kühnem Blick gefaßt hat, wenn ein bestimmtes Ziel sicher damit erreicht werden kann. Fügen wir hinzu, daß Fritz Ebeling sich weder im Stillen noch öffentlich je über sein Alter erhob, das heißt, daß er, wie es wohl jungen Leuten eigen ist, nie älter und klüger sein wollte als er war, daß er, obwohl das einzige Kind reicher Eltern und von ihnen auf jede Weise gehätschelt und verwöhnt, nicht allein gegen fremde Personen bescheiden, sondern gegen die Dienstboten und namentlich gegen die geprüften Comptoirarbeiter seines Vaters freundlich und gefällig war, so glauben wir ihn für's Erste hinreichend gezeichnet zu haben, zumal er selbst bald handelnd auftreten und die Eigenthümlichkeit seines Wesens uns offenbaren wird.

Um die angegebene Zeit sehen wir also Fritz Ebeling aus einer der Thüren seiner elterlichen Wohnung treten und, nach einem flüchtigen Blick auf den Blumenkorb am Fuß der Treppe, dieselbe hastig besteigen. Bald diesem, bald jenem Diener einen Guten Abend bietend, kam er in dem zum Feste geschmückten Stockwerk an, aber auch hier hielt er sich nicht auf, sondern mit fast heftigen Sätzen sprang er leicht und elastisch noch eine Treppe höher hinauf, wo, wie wir wissen, sein Onkel, der Oberforstmeister von Hayden wohnte. Hier angekommen, schritt er schon bedächtiger einher und nachdem er langsam den ganzen Corridor bis zum Ende desselben hinabgegangen war, blieb er endlich vor einer Thür stehen, lauschte mit angehaltenem Athem und klopfte gleich darauf beinahe zaghaft an, worauf er den seinen Kopf mit den wallenden Haaren noch mehr vorwärts neigte, um den Laut der aus dem Zimmer erwarteten Stimme besser vernehmen zu können. Als aber, sogar auf sein wiederholtes Klopfen, im Zimmer Alles still blieb, rief er mit gedämpfter Stimme:

»Betty! Bist Du mit dem Ankleiden fertig und kann ich bei Dir eintreten? Ich bin es – Fritz, und wünsche Dir etwas zu sagen.«

Auf diese mit freundlichem Tone, wiewohl immer leise gesprochenen Worte erhielt er jedoch keine Antwort, und da er nun sicher zu sein glaubte, daß Niemand im Zimmer sei, der ihm eine Antwort hätte geben können, legte er leise die Hand auf das Schloß der Thür, öffnete sie und trat sofort in ein geräumiges, nur von einer Moderateurlampe erleuchtetes Gemach.

Auf den ersten Blick konnte man hier wahrnehmen, daß man sich in einem Zimmer befand, welches eine Dame bewohnte und daß dieselbe sich so eben darin angekleidet haben mußte. Auf der Console von weißem Marmor unter dem goldumrahmten Spiegel, wo auch die Lampe stand, lagen die Utensilien, welche eine Dame zur Vollendung ihres Kopfputzes gebraucht, und über einigen Stühlen hingen einige Kleidungsstücke, welche die Bewohnerin des Zimmers ohne Zweifel bis zur Toilette zu dem bevorstehenden Feste getragen hatte. Dabei duftete das Gemach lieblich nach cölnischem Wasser und in der ganzen Anordnung des Mobiliars und der Aufstellung zahlloser kleiner Schmucksachen rings umher erkannte man, daß Geschmack und Kunstsinn der Besitzerin derselben eigen und daß die augenblicklich sichtbare Unordnung nur eine zufällige und vorübergehende sei.

Alle diese Einzelnheiten jedoch, die wir hier in der Kürze erwähnen, schien der leise eintretende Knabe nicht im Geringsten zu bemerken. Nach einem flüchtigen Umblick trat er vielmehr hastig an das eine der beiden Fenster, zog mit sichtbar erregter Hand den blendend weißen Vorhang in die Höhe und schaute mit falkenartig blitzenden Augen durch die Spiegelscheibe nach einem jenseits der Straße liegenden Hause hinüber.

Er schien auch bald gefunden zu haben, was er suchte, wenigstens hafteten seine hellen Augen lange mit sinnendem Ausdruck auf einem matt erleuchteten Fenster, welches dem, an welchem er stand, gerade gegenüber lag und einem ärmlichen Dachstübchen angehörte, das, so klein und unansehnlich es auch sein mochte, ein besonderes Interesse für den jugendlichen Beschauer haben mußte.

Indem auch wir den Blick auf dieses Fenster richten, nehmen wir wahr, daß es kaum halb so hoch wie die im Banquierhause befindlichen war, daß weder ein Vorhang noch eine Gardine es verschloß und daß man also einen ziemlich deutlichen Einblick in das unscheinbare Zimmer dahinter gewinnen konnte. Nur zwei Schritte vom Fenster entfernt sehen wir dann auch vor einem matt brennenden Lämpchen den Kopf eines jungen Mannes auftauchen, der, tief über die vor ihm liegende Arbeit gebeugt, nicht die geringste Kunde von der Aufmerksamkeit hatte, die ihm so eben zu Theil ward. Ein anscheinend blasses Gesicht, von dunklen Haaren umwallt, hob sich freilich dann und wann empor, aber rasch wieder zur ämsigen Arbeit zurückkehrend und sich tief niederbeugend, ließ es keinen seiner Züge genauer erkennen, so scharf wir auch mit dem jungen Manne hinüberblicken mögen.

Was diesen bewog, wohl eine Viertelstunde lang seine Beobachtung unermüdlich fortzusetzen, wissen wir noch nichts, endlich aber schien er seine Neugierde, wenn er von einer solchen gepeinigt wurde, befriedigt zu haben und zog sich mit einem halb unterdrückten Seufzer vom Fenster zurück, worauf er den Vorhang wieder herabließ und leise, wie er gekommen, aus dem Zimmer auf den Corridor hinaustrat. Hier blieb er noch einen Augenblick stehen, besann sich, ob er noch ein anderes Zimmer in demselben Stockwerk betreten solle, stand aber bald davon ab und schritt sinnender und viel langsamer, als er hinaufgestiegen war, wieder die helle Treppe hinab, bis in das mittlere Stockwerk, wo ihm ein Diener entgegentrat und auf die Frage: »Ist meine Mutter schon hier?« auf eine große Flügelthür deutete und ihm entgegnete:

»Ihre Frau Mutter ist so eben heraufgekommen und befindet sich im Saal.«

Fritz nickte mit dem Kopfe und eine Minute später stand er in einem lichtdurchflutheten Raum, dessen Größe und prachtvolle Einrichtung sogleich den Tanzsaal erahnen ließ, in dem das heutige Fest seinen Glanzpunct finden sollte.

Aber all der Lichterglanz, den die blitzenden Spiegel doppelt zurückwarfen, und was sonst in diesem strahlenden Raume das Auge eines jungen Menschen blenden konnte, äußerte nicht die geringste Wirkung auf den Secundaner; seine Seele war vielmehr von einem ganz anderen Gedanken ergriffen und er sehnte den Augenblick herbei, wo er ihn in die Seele eines Anderen, von der er wußte, daß sie ihn verstehen würde, ausgießen könne. Die Mutter allein war es, die er suchte, nach der er sich sehnte, und da sie nicht in dem Saale zu finden war, schritt er rasch über den spiegelglatten Fußboden desselben und näherte sich eben der geöffneten Flügelthür eines Nebenzimmers, als die Mutter selbst ihm entgegenschritt und, da sie den Sohn so unerwartet vor sich sah, ihn mit herzlichen Worten begrüßte.

Frau Charlotte Ebeling war eine Frau von etwa vierzig Jahren, von schlankem und hohem Wuchs, und bewegte sich in ihrem rauschenden hellgrauen Seidenkleide langsam und etwas feierlich, doch gewiß nicht steif einher. Ihr reiches Haar, welches, nicht in Folge von Sorge und Kummers denn diese irdischen Dämonen waren ihr glücklicherweise bis jetzt fern geblieben, vielmehr durch ein Spiel der launenhaften Natur vor der Zeit gebleicht war, trug sie in, glatten Scheiteln eng an den Schläfen anliegend, und darüber schwebte ein feines modisches Häubchen, dessen breite blauseidene Bänder gefällig über die Schultern zurückfielen. Wie ein solches silberfarbiges Haar aber Gesichtern, welche das Alter noch nicht gefurcht hat, häufig eine weiche Milde verleiht, die nicht ohne Würde ist, das konnte man so recht an diesem Antlitz erkennen, das noch immer in seinen wohlwollenden und angenehmen Zügen einen gewissen anmuthigen Reiz der hingeschwundenen Jugend bewahrte und, was die Jahre an Schmelz und Farbe davon genommen, durch ein gewinnendes, der Seele entstammendes Lächeln zu ersetzen schien. Wohlgefällig und vielleicht nicht ohne eine kleine mütterliche Eitelkeit ruhten die sanften blauen Augen dieser Frau auf dem ihr entgegenschreitenden Knaben, und wie sie gleich darauf dicht vor einander standen, konnte man in der feingeschwungenen Nase, in der weichen Rundung der Lippen und den etwas hageren Wangen keinen Augenblick die große Aehnlichkeit verkennen, die sie mit ihrem Liebling hatte, ihrem einzigen Sohn, den sie aus überschwenglicher inütterlicher Liebe vielleicht verzogen hätte, wenn sein Naturell und strebsamer Geist überhaupt von einem solchen Schicksal hätten betroffen werden können.

»Fritz!« rief sie und streckte in freudiger Aufwallung ihm beide Hände hin, die er sogleich ergriff, »Fritz, da bist Du. Das ist recht, mein Sohn; Du Bist der Erste, der mir Gesellschaft leistet, und das ist mir lieb. Nun, mein Kind, Dein liebes Fastnachtsfest ist da und nun vergnüge Dich, wie Du es Dir lange gewünscht hast.«

Bei den ersten Worten hatte Fritz seine Mutter freundlich lächelnd angeschaut, bei den letzten aber senkte er allmälig das Gesicht zur Erde und es war dem Scharfblick der Mutter eine leichte Aufgabe, wahrzunehmen, daß irgend ein ernster Gedanke die Seele des jungen Mannes beschäftige und daß er ihr noch etwas zu vertrauen habe, bevor er sich dem Vergnügen hingäbe, welches sie ihm bereitet zu haben hoffte.

Als nun Fritz den Worten der Mutter nicht gleich mit einer Antwort begegnete, sondern noch immer ernst und sinnend vor sich niederschaute, drückte sie seine rechte Hand, die sie in der ihren behalten hatte, fester, als wolle sie ihn damit aus seinen Gedanken aufrütteln, und fuhr mit langsamerer Sprache also zu reden fort:

»Nun, und Du sprichst nicht? Warum nicht? Was ist Dir begegnet, Kind – o laß mich hören, was Du mir zu sagen hast, denn Etwas hast Du mir zu sagen, das sehe ich, das fühle ich.«

Bei diesen ermunternden Worten erhob Fritz hastig den Kopf, schaute lächelnd in das ihn sinnig betrachtende Auge der Mutter und sagte, indem ein tiefer Seufzer seine Brust erleichterte: »Ach, Mutter, ich habe eine Bitte, vielleicht eine kindische Bitte, aber ich hoffe, Du wirst sie mir gewähren, da Du mich doch heute recht glücklich sehen möchtest.«

Frau Ebeling schaute hoch auf und dann lächelte sie. »Eine Bitte, eine kindische Bitte?« fragte sie. »Nun, es freut mich, daß sie kindisch oder vielleicht nur kindlich ist, dann kann sie ja eine liebende Mutter gewähren – also sprich dreist und habe Vertrauen zu mir.«

»O, das habe ich,« antwortete Fritz schnell. »Und nun will ich es Dir rasch und gleich sagen, damit ich die richtige Zeit nicht verfehle. Weißt Du – ja, weißt Du, wo ich eben gewesen bin und was ich gesehen habe?«

»Nein, das weiß ich nicht. Wo warst Du denn und was sahst Du?«

»Ich war auf Betty's Zimmer und habe über die Straße fort nach dem Hause des Bäckers hinübergeblickt – nach dem Dachstübchen und –«

»Ah, ich weiß!« schaltete die Mutter ein, da Fritz einen Augenblick inne hielt. »Nun, was sahst Du? Wahrscheinlich Jemanden, den Du schon oft da drüben wahrgenommen?«

»Ja, Du hast es errathen, Mutter, es war der arme Student, den ich nicht oft genug belauschen kann, da er mir alle Tage besser gefällt und dem ich auf irgend eine Weise näher kommen möchte. Sieh, liebe Mutter, auch heute, wo alle Welt einen Festtag hat und sich amüsirt, sitzt er wie immer an seinem Arbeitstisch und liest und studirt – ist das nicht wunderbar?«

»Wunderbar ist es eigentlich nicht, aber der Fleiß des jungen Mannes, den Du uns schon oft gerühmt, ist wenigstens bewundernswerth.«

»Ganz gewiß. Wer weiß, warum er vom frühen Morgen an, den ganzen Tag und dann noch bis spät in die Nacht fleißig ist, warum er es sein muß. Vielleicht drängt ihn die Noth dazu, denn arm ist er, das weiß ich längst.«

Die Mutter, die auf einem Sessel Platz genommen hatte, während Fritz lebhaft redend noch immer vor ihr stand, beugte einen Augenblick ihr mildes Haupt, als sie es aber dann wieder erhob, lächelte sie sanft und freudig und sagte dann leise:

»Erkenne daraus, mein Sohn, wie gütig das Schicksal gegen Dich gewesen ist – Du bist nicht gezwungen, so anhaltend fleißig zu sein –«

»O nein, nicht gezwungen, aber ich arbeite auch gern. Doch das ist es ja nicht, was ich Dir sagen wollte, wir kommen von meiner Bitte ab.«

»So sprich sie aus, ich höre sie gern an, mein Sohn.«

»Ja, Mutter, und nun sollst Du sie hören. Sieh, ich habe den brennenden Wunsch, dem armen jungen Mann drüben, um den sich kein Mensch bekümmert, heute auch eine Fastnachtsfreude zu machen. Als ich heute Mittag aus der Schule kam, begegnete er mir auf der Straße, um in sein armseliges Speisehaus zu gehen, und da sah er mich mit seinem bleichen Gesicht so freundlich an, daß es mir wie ein Stich durchs Herz ging. Dabei grüßte er mich –«

»Wie? Er grüßte Dich? Seid Ihr schon so weit mit einander?«

»Ja, Gott sei Dank, so weit sind wir!« erwiderte Fritz rasch und leicht aufathmend, »und das wenigstens ist mein Verdienst. Du weißt, wie oft ich mich bei seiner alten Waschfrau, die ihn bedient und bei der er wohnt, nach ihm erkundigt, wie ich aber wenig oder nichts über ihn erfahren habe. Da er nun alle Abende Betty's Fenster gegenüber bei seinen Büchern sitzt und ich ihn von dort oben auch oft bei Tage bei der Arbeit sehe, habe ich ihn liebgewonnen. Ja, liebgewonnen, das ist das rechte Wort, Mutter, und o – ich habe ja keinen Freund, mit dem ich verkehren könnte, wie ich möchte. Und nun, siehst Du, habe ich ihm schon vor einigen Wochen, wo ich ihm begegnete, einen Guten Morgen geboten, habe ihn gegrüßt und da hat er mich stets mit einem so wehmüthigen Blick angesehen, daß – daß –«

»Ich verstehe Dich,« sagte die Mutter, von dem weichen Gefühl ihres Kindes im Herzen betroffen, indem sie sich von ihrem Sitze erhob. »Aber nun sprich rasch – was willst Du von mir?«

»O, Mutter, ich will – ja – aber Du mußt nicht lachen oder gar böse sein –«

»Nein, nein, ich lache nicht und ich bin auch nicht böse,« sagte die Mutter mit gepreßtem Herzen.

»Ich will ihm eine Freude machen, ich sagte es ja schon. Er sah so elend aus – so, so – ja" so verhungert – Und wir, wir haben heute viele Gäste und Du hast so viele schöne Speisen bereiten lassen. Da wollte ich Dich bitten, mir einige davon zu geben – und auch ein paar Flaschen Wein – die packe ich in einen Korb, trage sie hinüber und bringe sie ihm als ein Geschenk von Dir zur Fastnacht –«

»Nein, nicht von mir,« unterbrach ihn die Mutter, ohne Besinnen auf die Bitte des Sohnes eingehend. »Von Dir selbst mußt Du kommen und kommst Du ja auch. Und nun rasch, folge mir. Ja, mache dem jungen Mann einen frohen Abend. Suche ihm einige Speisen aus und dann kann Friedrich den Korb in Deinem Namen hinübertragen.«

»O nein, Mutter! ich will nicht, daß die Bedienten etwas davon erfahren, ich selbst will der Bote und Träger sein, denn wenn ich nicht sehe, wie er sich freut, daß Jemand an seinen Fastnachtabend denkt, dann habe auch ich keine Freude davon.«

Die Mutter war mit dem Sohn schon nach einem der Nebenzimmer geschritten, wo das reiche Büffet aufgeschlagen und mit unzähligen Leckerbissen besetzt, stand. Ihr weiches Herz war schon lange bezwungen und nur dagegen allein sträubte sie sich noch, daß Fritz selbst der erfreuende Bote sein sollte.

»Aber es schneit ja, Fritz,« sagte sie. »Auch weht ein kalter Wind und Du bist schon in Deinem Ballstaat –«

»O,« das thut nichts, Mutter,« bat der Knabe, der mit einem Mal von Glückseligkeit überschwoll und dessen bleiches Gesicht eine warme Röthe übergossen hatte, »ich nehme einen Mantel und darunter trage ich den Korb – in zehn Minuten bin ich wieder hier und dann – dann will ich heute Abend auch recht vergnügt sein.«

»Gut,« sagte die Mutter, »da hast Du meinen Vorrath von Speisen – dort steht der Wein, und der Korb – der Korb –«

»Den hole ich mir selber!« rief Fritz triumphirend, und mit einem Satze war er zur Thür hinaus und bald kam er mit einem Korbe wieder herein, dessen Größe der Mutter ein heiteres Lächeln abzwang, denn wenn Fritz denselben vollpackte, würde der arme Student acht Tage lang nichts als Leckerbissen zu essen gehabt und sich vielleicht den Magen daran verdorben haben.

»So,« sagte Fritz, »da bin ich und hier ist der Korb, ich fand gerade keinen andern. Darf ich nehmen, was mir gefällt?«

»Ja, von Herzen gern,« erwiderte die Mutter und stand mit glühendem Gesicht neben ihrem Liebling, dessen Augen begehrlich über die lange und bunte Tafel flogen, da er im ersten freudigen Augenblick nicht wußte, was er zuerst auf die ihm von der Mutter dargereichten Teller legen sollte.«

»Nimm dreist das Beste,« ermuthigte ihn diese, »und reichlich mein Sohn. Sieh, diesen gebratenen Kapaun würde ich Dir empfehlen oder dieses runde Rebhühnchen. So. Nun weiter, was ist hier nach Deinem Geschmack?«

»O, nach meinem! Ich möchte den seinigen befriedigen, und den kenne ich leider nicht.«

»Er wird wohl nicht so wählerisch sein. Was meinst Du zu dieser kleinen Schüssel italienischen Salats und zu dieser Portion Lachs, wie?«

Fritz packte getrost Alles ein, wie die Mutter es ihm reichte, und legte in den Pausen auch einige feine Brödchen und einen Neufchateller Käse dazu. Dabei schielte er wiederholt nach einigen mit Caviar belegten Assietten hinüber, die appetitlich mit seinen Citronenscheiben belegt waren.

»Darf ich auch eine davon nehmen?« fragte er dann schüchtern.

Die Mutter lächelte. »Immerhin, wenn Dein Schützling Gefallen daran findet. Nur die Kuchen muß Du mir ganz lassen, ich darf meine Tafel nicht ganz zerstören.«

»Gewiß nicht, und aus Kuchen mache ich mir gar nichts. So, nun ist es wohl genug. Darf ich mir auch eine Flasche rothen und weißen Wein nehmen?«

»Mir ist es recht, so hat er die Auswahl für heute und den Rest für morgen. Und nun ist der Korb doch beinahe voll. Aber Du hast ja kein Eingemachtes!«

»Ein andermal, Mütterchen; die süßen Sachen liebt er gewiß nicht und sie stillen auch den Appetit nicht. So!«

Fritz stülpte den Deckel über den großen Korb und schickte sich an, damit fortzugehen, nachdem er der Mutter noch einmal seinen Dank ausgesprochen, als diese ihn mit einem Winke zurückhielt und mit lächelnder Miene sagte:

»Aber da fällt mir etwas ganz Neues ein, Fritz. Wenn Dein armer Student nun ein stolzer und kaltherziger Mensch wäre, der Dir diesen Fastnachtsscherz übel nähme, wie?«

Fritz setzte den schweren Korb unwillkürlich etwas hastig auf die Erde. »Fastnachts scherz und – übel nehmen?« fragte er erbleichend. »O nein, Mutter, wie kannst Du so etwas denken! Das ist Beides nicht der Fall. Es ist kein Scherz, den ich hiermit unternehme, sondern es ist mir wahrhafter Ernst, mit dem ich mich dem armen Studenten nähere, denn ich liebe ihn. Und eben weil ich ihn liebe und er das merken muß, wird er mir meine kleine Gabe auch nicht übel deuten, wenigstens wie ich sie auffasse. Ja, schlimmsten Falls, Mutter, und das sage ich Dir nur, weil Du einiges Bedenken über den Ausfall meines Vorhabens hegst, – wenn meine Gabe dem armen Studenten keine Freude bereitet, so bereite ich doch wenigstens mir eine, und das ist auch etwas werth.«

»Da hast Du ganz Recht, mein Sohn, und nun geh' hinüber und – zeige Deine Liebe.«

Sie wollte sich eben mit einer stillen Thräne, die ihr die Freude über ihren warmblütigen Sohn auspreßte, von ihm abwenden und Fritz nahm schon seinen Korb von der Erde auf, als ein Diener die Flügelthür des großen Saales öffnete und Mutter und Sohn das Rauschen der Kleider von sich nähernden Damen hörten. Gleich darauf traten diese in das Büffetzimmer und Fritz sah die Schwester seiner Mutter und deren Tochter vor sich stehen.

Die Frau Oberforstmeister von Hayden, nur wenige Jahre älter als ihre Schwester, war von noch höherem Wuchse und ungleich vollkommeneren Verhältnissen, die ihr bei ihrer fast phlegmatischen Ruhe und einer sichtbaren Hinneigung zu althergebrachten Förmlichkeiten einen nicht ungefälligen Anstrich vornehmer Würde verliehen. Auch sie hatte schon reichliche silberne Fäden in ihren gelockten Haaren, obwohl es ihrem noch immer schönen Gesicht nicht an Frische der Farbe und Reinheit der Form gebrach; der liebliche Ausdruck einer sanften Seele aber, der selbst im Alter sich nicht verliert und den die Frau des Banquiers auf den ersten Blick zeigte, fehlte ihr fast ganz, und nur, wenn sie lächelte, vergoldete ein Schimmer leutseliger Freundlichkeit ihre gleichmäßigen Züge, ohne jedoch jemals das Gemüth zu ergreifen, wie die stillheitere Miene ihrer Schwester, in deren Nähe sich Jedermann auf der Stelle behaglich und heimisch fühlte.

Einen ganz anderen und wohlthätigeren Eindruck brachte dagegen ihre etwa siebzehnjährige Tochter hervor, die in ihrem blüthenweißen gestickten Tüllkleide, das ihr nur bis an die schwellenden Schultern reichte, mit ihrem glänzenden kastanienbraunen Haar und ihrem unnachahmlich anmuthigen Wesen einer Fee glich, die, wo sie sich zeigt, Freude und Frohsinn erweckt und wie das warme Sonnenlicht wirkt, das alles Lebendige bei seinem Aufgang mit Behagen und Zufriedenheit erfüllt.

Augenscheinlich war Betty von Hayden noch nicht zu ihrer vollkommenen weiblichen Entwicklung gelangt, aber die aufblühende Knospe verrieth schon, was die völlig erschlossene Blume einst werden würde. Aller Liebreiz, womit die Jugend ihre Auserwählten begaben kann, war über diese herrliche Gestalt und über dieses holdselige Gesicht ausgegossen, und damit dürften wir eigentlich genug gesagt haben, da die eigenthümlichen Reize eines schönen Menschenantlitzes sich nie dergestalt schildern lassen, daß man dadurch eine richtige Vorstellung desselben gewinnt. Nur einen einzigen, hervorragenden Reiz dieser schönen Persönlichkeit wollen wir zu bezeichnen versuchen, und das war der, der in ihrem sprechenden Auge lag. Dieses Auge vom klarsten Hellbraun war mit einem Lichtglanz begabt, der, wenn sie dabei sprach und lächelte, eine wunderbare Wirkung hervorbrachte, indem er mit geheimnißvoller Kraft in die verschlossenste Seele drang; und nur wenn ihre Empfindungen erregt waren, ihre Gefühle zum Durchbruch kamen, wurde jener Glanz zum mächtigen Strahl und vermehrte so den unaussprechlichen Zauber, dem kein Mensch unzugänglich war, welcher in die Nähe dieses holdseligen Wesens kam und sich dadurch beglückt fühlen mußte.

Mit langsamen Schritten und fast majestätischer Haltung, die ihr schweres, dunkelblaues Damastkleid mit der langen Schleppe noch vermehrte, kam die Oberforstmeisterin, von ihrer Tochter gefolgt, der Schwester näher, und indem sie einen halb verwunderten Blick auf Fritz mit dem schweren Korbe warf, begrüßte sie jene mit einigen herzlichen Worten. Gleich darauf aber wandte sie sich zu dem Neffen um, der schon mit seiner Cousine im Gespräch begriffen war, und fragte, wohin er mit diesem Korbe wolle und was er darin verborgen trage. Fritz, an den dieselbe Frage schon von einer anderen Seite gerichtet war, schlug lächelnd die Augen nieder, und seine Mutter, die das Zartgefühl des Knaben zu würdigen wußte, erklärte mit wenigen Worten, was so eben vorgefallen war.

Frau von Hayden lächelte, nickte Fritz beifällig zu und folgte dann ihrer Schwester in das Zimmer, wo man die sogleich anlangenden Gäste empfangen wollte.

Nicht so Betty. Denn als Fritz, einen Finger, auf die Lippen drückend und seiner schönen Cousine zuwinkend, als setze er ein geheimes Einverständniß bei ihr voraus, seinen Korb ergriff und nach der Saalthür schlüpfte, trat sie ihm rasch nach, und ihre rechte schöne Hand, die noch ohne Handschuh war, auf den Arm des jungen Mannes legend, flüsterte sie:

»Warte noch einen Augenblick, Fritz. Also wirklich? Du willst es wagen? O, das ist hübsch von Dir und ich möchte wohl sehen und hören, wie Du drüben empfangen wirst und was für Worte Ihr mit einander austauscht.«

Fritz lächelte glückselig und nickte ihr herzlich vertraulich zu. »Ich werde Dir Alles getreulich berichten, wie es abgelaufen ist,« sagte er leise. »Morgen früh komme ich zu Dir, dann können wir vielleicht sehen, wie es ihm schmeckt. Aber jetzt halte mich nicht auf, ich muß endlich fort, denn eine Viertelstunde wenigstens hoffe ich mit ihm plaudern zu dürfen.«

»Geh, geh,« sagte die sanfte melodische Stimme der schönen Cousine, »ich gönne Dir Dein Vergnügen und bedaure blos, daß ich Deiner Gabe nichts weiter hinzufügen kann.«

Fritz hatte den Korb schon wieder von dem Fußboden aufgehoben und war der Thür zugeschritten, als die letzten Worte Betty's ihn wieder auf seinem Wege aufhielten. »Was wolltest Du mir für den armen Studenten geben?« fragte er. »O, Du könntest ihm gewiß auch eine Freude machen.«

»Recht gern, Fritz, aber was soll ich thun?«

»Ich weiß es nicht, wenn Du es nicht selber weißt.«

Betty schien sich einen Augenblick zu besinnen und dabei roch sie wie vor Verlegenheit an einem der prachtvollen Blumenbouquets, deren sie zwei in der linken Hand hielt.

»Ah,« sagte sie plötzlich, »jetzt weiß ich es. Sieh, ich habe hier zwei Bouquets und eins brauche ich doch nur – das andere ist mir sogar hinderlich. Da, gieb ihm die Blumen, dann hat auch sein Auge eine Freude mehr.«

Fritz griff schnell nach dem schönsten von beiden Blumensträußen, den sie ihm hinhielt und der aus Veilchen und Camelien bestand. »Ich danke Dir,« sagte er, »und ich werde ihm sagen, daß die Blumen von Dir kommen.«

»Nein, Fritz, das thust Du nicht, ich will es nicht.«

Aber der Secundaner, schelmisch mit den Augen winkend und das Bouquet wie zum Gruße schwenkend, war schon zur Thür hinaus und die Treppe hinuntergeeilt; wo er in seinem Zimmer die Blumen vorsichtig in den Korb legte, sich dann rasch einen Mantel umhing und so, von Niemanden beachtet, die Hausthür gewann, über die vom Schneegestöber verdunkelte Straße lief und in der Thür des Bäckerhauses verschwand, in dessen oberstem Dachstübchen der arme Student wohnte, dem er eine so frohe Ueberraschung an diesem Fastnachtabend zugedacht hatte.


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