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Achtes Kapitel.
Der Komet entwickelt allmälig seinen Glanz

Es läßt sich bei dem großen Fleiß und der Geschicklichkeit, die Paul in Anfertigung von Arbeiten besaß, wie ihm jetzt eine zur Vollendung übertragen war, leicht vorstellen, daß dieselbe rasch vorschritt. Sein erfinderischer Geist wurde durch die reinen und edlen Beweggründe, welche sie in's Leben gerufen, eben so sehr gekräftigt, wie seine Hand beflügelt durch die Aufmerksamkeit, mit welcher die Auftraggeberin jedem Fortschritt derselben Zug für Zug folgte. Wenige Tage genügten, um den Grundriß seines neuen Gebäudes vollständig herzustellen und dann die einzelnen Theile des schönen Ganzen kunstgerecht zusammenzufügen. Beiden Stockwerken wurde in ihrer festen und soliden Construction wie in der behaglichen Harmonie ihrer inneren Einrichtung eine gleiche, fast liebevolle Fürsorge gewidmet und auf alle, selbst die kleinsten Räumlichkeiten, bis auf deren Farben und Schmuck im Einzelnen, erstreckte sich die Umsicht des jungen Bauführers. Als aber erst der innere Raum des Hauses seine Eintheilung und Verzierung erhalten hatte, begab er sich rasch an das Aeußere desselben, und dafür hatte er schon so lange im Kopfe vorgearbeitet, daß das Hinwerfen auf das Papier ihm fast nur wie eine mechanische Arbeit erschien. Auch gelang es vortrefflich, und lange vor Weihnachten waren alle Blätter, die Façaden, Park- und Gartenanlagen, Nebengebäude und Kostenanschläge mit eingerechnet, bis auf den letzten Strich fertig und Paul konnte sich gestehen, daß er nie in seinem Leben eine Arbeit mit größerer Liebe begonnen und mit sichtbarerem Erfolge vollendet habe.

O, diese Arbeit war ihm in allen Phasen, von der Entstehung der ersten Linie bis zur Vollendung des letzten Pinselstrichs auf das Erstaunlichste erleichtert und versüßt worden, denn welche angenehme Erörterungen, mündliche und schriftliche Unterhaltungen knüpften sich daran! Fritz war dabei häufig in Anspruch genommen worden und das jetzt wie ein Heiligthum gepflegte Myrthenbäumchen hatte oft am kalten Fenster stehen und seine ungewohnten Telegraphendienste verrichten müssen. Viele glatte Briefbogen auch waren beschrieben worden und mußten über die Straße wandern, und stets kam am Abend die Antwort zurück, die fast niemals eine abweichende Meinung kund gab, sondern immer nur Beistimmung, Lob und Freude brachte. O, das waren glückliche Tage, wie sie unserm Freunde noch nie geblüht, und in der ganzen Zeit bis zum Weihnachtsfeste befand er sich in einer Art Rausch, der ihm das Leben leicht und die Arbeit darin unsäglich süß erscheinen ließ.

Seine übrigen Arbeiten hatte er dabei keineswegs verabsäumt, da er meist Nachts an der so unerwartet ihm zugeflogenen Beschäftigung thätig war und nur die feinsten Zeichnungen und Colorirungen bei hellem Tageslichte ausführte. Ueberdieß hatte er im Winter weniger außer dem Hause zu thun und sein theoretisches Studium nahm bei Weitem die meiste Zeit in Anspruch, da er im October des nächsten Jahres seine Bauführerstellung bei der Regierung aufgeben mußte, um noch einmal auf ein Jahr, wie wir bereits früher erwähnt, die Bauakademie zu besuchen und während dieser Zeit sich zu seiner Baumeisterprüfung vorzubereiten, eine Prüfung, sagen wir es hier gleich, die ihm keine große Mühe, noch weniger Beschwerde verursachte, da er fortwährend fleißig gewesen war, sich bedeutende Sachkenntniß nach allen Richtungen erworben und die Theorie seiner schönen Kunst mit der Praxis auf die zweckmäßigste Weise verbunden hatte.

Schon am ersten December hielt Betty eine neue schöne Mappe in Händen, die Alles einschloß, was ein wohlhabender Bauherr in Bezug auf einen neu auszuführenden Bau sich nur wünschen kann, und sie freute sich herzlich über den Ausfall des kostbaren Inhalts, da sie sich eingestehen konnte, daß sie theilweise die Urheberin des schönen Ganzen war. Sehnsüchtig erwarteten nun alle in das Geheimniß mehr oder minder Eingeweihte das herrliche Fest, und einen Tag vor demselben erhielt Paul den letzten Brief, der ihm vom jenseitigen Hause von der Hand seiner schönen Bundesgenossin über den vorliegenden Gegenstand zu Theil ward.

Fritz war es wieder, der ihm diesen Brief einhändigte, und da er vollständig die damalige Stimmung der Schreiberin wiedergiebt, so wollen wir uns erlauben, denselben hierherzusetzen.

»Ich bin so voll Freude,« lautete er, »daß ich mich noch einmal gegen Sie schriftlich aussprechen muß, bevor das nahe Fest unsere bisherige Correspondenz verstummen macht. Es ist Alles gelungen, was wir uns vorgesetzt, und sogar ist es noch schöner geworden, als ich mir habe träumen lassen, daß es werden könnte, als ich Ihnen den ersten Wunsch darüber aussprach. Dafür Ihnen zu danken, der Sie hauptsächlich uns Allen diese Freude bereitet, ist ein Bedürfnis meines Herzens, welches ich schon heute befriedigen muß, da wir am Feste selbst doch nur wenig Gelegenheit finden werden, unsere Meinungen und Empfindungen auszutauschen. Nehmen Sie also diesen Dank hin und seien Sie überzeugt, daß nicht ich allein ihn ausdrücken werde, sobald Ihr Werk in seiner ganzen Schönheit vor die Augen aller Uebrigen tritt.

Kommen Sie morgen Abend recht früh herüber und bringen Sie einen großen Sack für die Aepfel und Nüsse mit die wir Ihnen bescheeren werden. Ich selbst habe reichlich für Sie gesammelt, denn ein anderes Geschenk darf ich Ihnen ja doch nicht bieten. Wenn es Ihnen aber eine Freude macht, aus dem Herzen einer Freudigen ein wahres Wort zu vernehmen, so will ich es Ihnen mit der Unterschrift dieser Zeilen zurufen, die Sie daher nicht übersehen dürfen. Leben Sie wohl und nehmen Sie noch einmal den Dank

Ihrer Freundin Betty.«

Das Blatt zitterte in Paul's Händen so heftig, als er diese Unterschrift las, daß er es vor sich auf den Tisch legen mußte.

»Was zitterst Du denn so und warum siehst Du so ganz und gar verzückt aus?« fragte ihn Fritz, der ein aufmerksamer Zuschauer dieser ganzen Scene gewesen war.

Paul reichte ihm die Hand und sagte mit leisem, innigem Tone: »Fritz, Du bist mein Freund – da, lies diese Zeilen und sage mir, ob ich nicht Grund habe, darüber glücklich zu sein.«

Fritz nahm das Blatt und las es flüchtig durch. »Ihre Freundin Betty,« las er zuletzt laut. »Nun, mein Gott, was ist denn das weiter?« rief er lachend. »Das ist doch wahrhaftig kein Grund, um sich so bewegt zu fühlen! Hast Du denn noch nicht gewußt, daß sie Deine Freundin ist? Bei Gott, das weiß ich schon lange und sie sagt mir damit gar nichts Neues mehr.«

» Dir!« rief Paul, »aber mir hat sie es zum ersten Mal gesagt.«

»Was da – gesagt! Bewiesen hat sie es Dir schon tausendmal, und ich wundre mich wirklich, daß Dir das bisher noch nicht klar geworden ist.«

»Nein, so klar, wie es mir jetzt ist, ist es mir erst heute geworden, mein Lieber!«

»Nun, dann bist Du blind oder wenigstens verblendet gewesen!« versetzte Fritz, nahm seinen Hut und sagte seinem Freunde ›Gute Nacht‹, wobei er das Wort Betty's scherzhaft wiederholte: morgen nicht zu spät zu kommen und sich einen großen Sack für Aepfel und Nüsse mitzubringen, denn – der Herbst sei gut gewesen und man habe eine reichliche Erndte gemacht.«

 

Der so sehnsüchtig erwartete heilige Feierabend war endlich gekommen und in dem schönen großen Saale des ersten Stockwerks im Ebeling'schen Hause waren die Tische mit zahllosen und reichen Weihnachtsgeschenken ausgestellt. Die Frau des Hauses, immer und überall bei der Hand, wo es Freude zu spenden gab, war mit Betty und ihrer Wirthschafterin beschäftigt, die Kerzen anzuzünden, denn bereits hatten sich in einigen Nebenzimmern der Oberforstmeister mit seiner Frau, Fritz, Paul van der Bosch und alle zum Hause gehörigen Arbeiter und Diener versammelt, um ihre Bescheerungen entgegenzunehmen.

Da erscholl der Klang der sie einladenden Glocke und die Flügelthüren öffneten sich. Geblendet vom Kerzenglanz der vielen Weihnachtsbäume und der tageshell flammenden Gaskronen, kamen die Versammelten theils mit froh lächelnden, theils mit scheuen Mienen herein und Jeder begann, nachdem er sich erst im Allgemeinen umgeschaut, den Platz zu suchen, der die für ihn bestimmten Gaben enthielt, wie ihn von der besten Schreiberhand des Comptoirs beschriebene Zettel deutlich genug bezeichneten.

Bald hatte Jeder gefunden, was ihm gebührte, und auch Paul gehörte zu diesen Glücklichen. Er hatte nicht nur viele Aepfel und Nüsse, wie ihm verheißen, sondern auch andere kostbare und erfreuliche Geschenke erhalten, da man ja mit dem Ernst dieses göttlichen Festes auch stets den Scherz zu verbinden pflegt.

Wir wollen das Einzelne hier nicht aufzählen, da es uns zu weit von unsrem Ziele abführen würde, und nur des Hauptsächlichen gedenken. Paul, mehr bedrückt fast als überrascht von den zahlreichen ihm zu Theil gewordenen Gaben – auch eine hübsche Handarbeit von Betty von Hayden war darunter – hatte seinen herzlichen Dank abgestattet und war darin, von Betty gefolgt, die ihre Ungeduld kaum zu zügeln vermochte, an den Platz getreten, wo des Hausherrn Geschenke lagen. Bald gewahrten Beide, daß er die Mappe noch nicht gesehen habe, denn sie lehnte auf einem Stuhl, der jenem Platze gegenüber an der Wand stand. Als nun alle Commis und Dienstboten an ihn herangetreten waren und sich bedankt, viele von ihnen sich auch gleich wieder mit ihren Geschenken entfernt hatten, gab Frau Ebeling Paul und Betty einen Wink und näherte sich mit ihnen ihrem Manne.

»Bist Du diesmal zufrieden?« fragte sie in ihrer stillen Art und schlang den Arm um den Leib des geliebten Mannes.

Er küßte sie auf die Stirn und sagte: »Ich bin immer zufrieden, Charlotte, wie wäre ich es heute nicht, wo ich so viel Ursache habe, zufriedener denn je zu sein?«

»So hat Dir auch die Mappe recht vielen Spaß gemacht, wie?«

»Welche Mappe?« fragte Herr Ebeling, seine Frau neugierig anblickend.

»Nun, Du hast sie wohl noch gar nicht einmal gesehen – da steht sie ja auf dem Stuhl –«

»Wie, ist das auch noch mein? Gieb sie her und öffne sie – aber warum zittern denn Deine Hände so sehr dabei? O, Betty, hilf ihr doch – sie hat sich heute wieder zu viele Sorgen gemacht.«

Betty ergriff die schöne große Mappe von der einen Seite, wie ihre Tante schon die andere erfaßt hatte, aber auch ihre Hände zitterten seltsam heftig dabei.

»Nun, das muß ich sagen,« rief der Banquier, »die hat es auch in den Gliedern! Fritz, Bosch – kommt doch her, Kinder, und helft Alle zusammen!«

Aber Paul regte sich nicht, er stand etwas entfernt von der Gruppe und schaute sie mit fliegendem Athem an, denn auch sein Herz schlug laut, wie das aller in das Geheimniß Eingeweihten schlug.

Endlich aber war es gelungen, die absichtlich fest geknüpften Bänder zu lösen. Da aber sagte Betty, die sich mächtig zusammennahm: »So weit haben wir es glücklich gebracht, lieber Onkel, nun ist es Deine Sache, weiter vorzudringen, denn Dein allein ist die schönste aller Gaben.«

Jetzt fing auch der Banquier an eifrig zu werden. Er hob die große Mappe auf einen schon dazu bereit gestellten Tisch und schlug sie auseinander. Auf dem ersten Blatt, welches sein Auge erblickte, standen in der Mitte sinnreicher Arabesken und schöner Akanthusblätter die mit prächtiger Fracturschrift geschriebene Worte:

» Das neue Haus vor dem Braunschweiger Thor.« Und darunter die viel kleiner geschriebenen: »Eine Weihnachtsgabe von einem dankbaren Freunde Emil Ebeling's.«

Der so unerwartet Beschenkte schaute sich rings im Kreise um und seine in der Regel ernst blickenden Augen drückten eben so viel Verwunderung wie Spannung aus. Aber er sprach kein Wort, als ob ihm ein Siegel die Lippen verschlösse. Aller Augen dagegen wurzelten auf ihm, und seine Frau rief nun laut:

»Verwundere Dich nicht zu lange, Mann, sondern schlage das Blatt um und freue Dich!«

Er schlug es um und die schöne Vorderfaçade eines reizenden Landhauses, mitten in einem blumenreichen Garten gelegen und von grünen Wipfeln beschattet, schaute ihm in ihrem bunten Farbenschmuck entgegen.

Jetzt erst begriff der Banquier, um was es sich handelte, und er nickte bedeutungsvoll mit dem Kopfe. Aber nachdem er das erste Blatt mit raschem Blick überflogen, schlug er das zweite um, welches die Seitenfaçaden und eine neue Gartenansicht enthielt. Das dritte zeigte die Hinterfaçade, und nun erst kamen die Grundrisse der einzelnen Stockwerke, dann die Halle und die Zimmer in zahlreichen Blättern, und zuletzt ein weißes Blatt, worauf die Worte standen: ›Kostenanschlag für das neu zu erbauende Haus vor dem Braunschweiger Thor.‹

Da schaute der tiefbewegte Mann endlich auf und diesmal glänzte ein heller Freudentropfen in seinem Auge. »Frau,« rief er in großer Rührung – »jetzt begreife ich erst das Ganze. Aber wer, wer hat mir das gethan?«

Da ergriff die vor Freuden weinende Hausfrau Paul bei der Hand, zog ihn dicht zu ihrem Gatten hin und sagte: »Du fragst, Emil? Wer kann es anders gewesen sein als dieser, unser Aller und Dein Freund!«

»Herr Ebeling,« stammelte Paul, »ich mußte es thun, es gab eine zwiefache moralische Gewalt, die mich dazu drängte: die Dankbarkeit und noch ein anderes Gefühl. Aber nicht ich bin der eigentliche Urheber dieser Arbeit, die ich mit tausend Freuden vollendete, diese junge Dame da, Ihre Nichte, hat den Plan angegeben, mich dazu aufgemuntert –«

»Nein, nein,« unterbrach ihn Betty frohlockend, »die Tante hat mich dazu angestachelt, und der da, unser guter Fritz, ist der Handlanger bei dem heimlichen Bauentwurf gewesen.«

Alle standen tief bewegt im Kreise um den beglückten Hausvater. »Kinder,« sagte er, »wer es auch von Euch gewesen, der dazu gerathen, gestachelt und geholfen hat, ich danke ihm, denn Ihr habt damit meinen Lieblingswunsch erkannt und erfüllt. Dir vor Allen aber, Betty, danke ich, daß Du, wie es scheint, meiner Frau beigestanden hast und an die rechte Quelle gegangen bist. O ja, Ihr Weiber wißt immer die rechten Männer zu Euern Handlungen zu wählen. – Nun aber wende ich mich zu Ihnen, lieber Bosch,« fuhr er fort, indem er beide Hände nach Paul ausstreckte, die dieser sogleich herzlich ergriff. »Ich wußte ja schon lange, was wir Alle an Ihnen haben, und nun zeigt es sich klar und deutlich. Sehen Sie, was für eine schöne Frucht das kleine Samenkorn bringt, wenn man es in gute Erde legt – und das menschliche Herz ist ja der fruchtbarste Boden dafür. O, ich sage Ihnen meinen herzlichsten Dank für Ihre Liebe, Sie haben mir wirklich eine große Freude bereitet, und mag Ihnen ein Anderer einmal künftig beweisen, wie wohl es thut, so in aller Stille begriffen und verstanden zu werden. Aber nun hören Sie mich wohl an! Sie sollen jene Zeichnungen da, die ich mir morgen genauer betrachten werde, nicht blos auf das Papier geworfen haben, nein, Sie sollen sie auch in Stein, Holz und Eisen ausführen, das heißt mit einem Wort: Sie sollen mein und der Baumeister Ihrer eigenen Entwürfe sein. Es ist das Ihr erstes, selbstständiges Werk und Sie sollen es allein mit meinen Mitteln in's Leben rufen. Wohlan denn, bedenken und besorgen Sie Alles; was dazu gehört; schließen Sie Contracte für die Lieferungen des besten Materials ab, ich bekümmere mich um Nichts und lege Alles in Ihre Hände. Am ersten März aber beginnen Sie den Bau und die nöthigen Gelder sollen Ihnen wöchentlich ausgezahlt werden.«

Dabei drückte er dem jungen Manne noch einmal herzlich die Hände und trat ihn dann an seine Frau und seinen Schwager ab, die ihm ebenfalls herzlich dankten und ihm liebevoll die Hände schüttelten. Als sich aber dann Alle wieder um die Mappe gruppirten und bald dies, bald jenes Blatt mit steigendem Behagen prüften, näherte sich Betty leise dem jungen Baumeister und, indem sie ihm ihre schöne Hand hinreichte, sprach sie halblaut, daß nur er sie verstehen konnte, mit freudig aufschauendem Auge:

»Sehen Sie wohl, daß Alles gekommen ist, wie ich Ihnen sagte? Nun haben Sie und ich die Freude davon! Das ist das erste schöne Werk, welches uns gerathen ist. Wie ich Ihnen aber schon gestern meinen Dank schriftlich ausgesprochen, wiederhole ich ihn heute mündlich und Sie merken mir wohl an, daß ich es ehrlich meine. Nicht wahr?«

Paul schwamm in einem Meere von Wonne. Es war das erste Mal, daß er diese warme Hand in der seinen hielt und zum ersten Male konnte er die Worte nicht finden, die er sprechen wollte. Das Herz war ihm zu voll und er nickte mit strahlendem Lächeln, bis er sich endlich fassen und sagen konnte:

»Ja, ich merke es Ihnen an und bin unsäglich dankbar dafür. Wiederholt sich aber auch heute die Unterschrift Ihres schönen gestrigen Schreibens?«

Ein lebhafter Druck von Betty's Hand beantwortete diese Frage, und ein bejahendes Kopfnicken und ein tiefer, halb in Lächeln, halb in Rührung verschwimmender Blick bestätigten die Unterschrift. Weiter aber sprachen sie nichts mehr und konnten es auch nicht, denn Fritz drängte sich jetzt an sie heran, umfaßte Beide stürmisch und rief:

»Ihr seid ein paar göttliche Menschen, wahrhaftig! Was Ihr in die Hand nehmt, gelingt immer. O, vergönnt auch Eurem Handlanger, daß er mit Euch glücklich ist, und wenn Ihr wieder einmal einen Boten braucht, so sagt es, mein Herz wie meine Beine sollen Euch immer zu Diensten stehen!«

 

Am ersten März des folgenden Jahres wurde wirklich in Gegenwart der männlichen Familienmitglieder auf dem neuerworbenen Grundstück der erste Spatenstich gethan. Der junge Bauführer hatte mit unermüdlichem Eifer Alles eingeleitet und angeordnet, wie es ihm übertragen worden war. Arbeiter waren in Fülle vorhanden, die Materialien lagen in übersichtlichen Haufen in der nächsten Umgebung aufgeschichtet und im Hintergrunde des umfangreichen Grundstücks steckte schon ein kunstsinniger Gärtner, der von Paul gewonnen war, die Wege des Parks ab, um möglichst bald seine Anpflanzungen beginnen zu können. Zu passender Zeit griff nun Alles in einander; unter tüchtiger Aussicht wurde fleißig gearbeitet und auf dem festgemauerten Grunde stieg rasch zu Aller Freude das solide Untergeschoß hervor, bis man in der Mitte des Mai schon zu den Fenstern des oberen Stockwerks gekommen war, das über der von Säulen getragenen Halle frei und kühn in die Höhe strebte.

Paul, der in diesem Frühjahr gerade mehr als gewöhnlich beschäftigt war, brachte jede freie Stunde bei seinem neuen Baue zu, ganz bestimmt aber war er von zwei bis drei Uhr draußen zu finden, da um diese Zeit Herr Ebeling zu kommen pflegte und es gern sah, wenn er sich mit Paul über den Fortschritt des Werkes, das ihm alle Tage mehr gefiel, unterhalten konnte. Um drei Uhr aber mußte unser Freund den Bauherrn nach Hause begleiten, denn seit dem ersten März war er sein täglicher Tischgenoß, wozu der Banquier ihn wiederholt aufgefordert und endlich vermocht hatte, da die Damen in seinem Hause die Bemerkung gemacht: Herr van der Bosch sehe sehr angegriffen aus; er strenge seine Kräfte zu übermäßig an und er müsse auf jede Weise mit guten Nahrungsmitteln und stärkenden Weinen gepflegt werden.

Ob Dies sich so verhielt, lassen wir dahingestellt; so viel aber war gewiß, daß Paul in jener Zeit sich durchaus nicht schwach oder schwächer als sonst fühlte; im Gegentheil, er war vollkommen gesund, er war sich seiner geistigen wie leiblichen, täglich zunehmenden Kräfte bewußt, und nur Abends um zehn Uhr beschlich ihn in der Regel eine sanfte Müdigkeit, da er um vier Uhr Morgens schon aufzustehen und den ganzen Tag tüchtig umherzulaufen pflegte. –

Es war gegen Ende des Mai, als Paul zur Mittagszeit, von einem weiten Wege zurückkehrend, das Grundstück vor dem Braunschweiger Thore erreichte, um mit seinem Polirer über den rasch vorschreitenden Bau Rücksprache zu nehmen und dann dem Aufwinden der beiden großen Sandsteinblöcke beizuwohnen, die das Frontispiz der Halle krönen sollten. Die schwere Arbeit war eben geglückt, die Steine, durch Mörtel und eiserne Klammern verbunden, lagen fest in einander gefügt und Paul stand noch auf dem Gerüste davor, als er von unten her hastig seinen Namen rufen hörte.

An den Rand des Gerüstes tretend, blickte er nach dem Rufenden hinab und sah hier Fritz Ebeling stehen, der sich in sichtbarer Aufregung befand und eben in großer Hast nach dem Bauplatz gelaufen war.

»Ah, Du bist es,« rief Paul hinab; »was giebt es so eilig? Du bist ja ganz außer Athem!«

»Hol's der Teufel! wenn man gerade einen Wagen gebraucht, kann man nie einen finden, und so mußte ich wohl laufen. Bist Du da oben bald fertig?«

»Für heute, ja! Nur am Abend will ich noch einmal her.«

»So komm rasch herunter, ich habe Dir etwas Wichtiges mitzutheilen.«

Die Stimme, mit der Fritz dies noch immer hastig sprach, zitterte merklich, und die Bewegungen der Arme, womit er die Worte begleitete, verriethen eine an ihm sehr selten wahrnehmbare Aufregung.

Paul stieg die Leiter hinab und dachte dabei:

»Was mag denn Dem begegnet sein? Sein Gesicht hat ja einen ganz eigenen Glanz. – Guten Morgen, Fritz, was führt Dich her?« fragte er dann den jungen Mann, sobald er auf ebener Erde neben ihm stand.«

Fritz, ohne weiter ein Wort zu sprechen, steckte seinen Arm unter den des Freundes und zog ihn mit fast zunehmender Heftigkeit bei Seite, bis er, eine ziemliche Strecke vom neuen Hause entfernt, eine Bank erreichte, auf welcher die Arbeiter zu sitzen und ihr Mahl zu verzehren pflegten. Er athmete noch immer rascher als gewöhnlich, seine Miene war seltsam aufgeregt und doch lag eine gewisse freudige Spannung darauf.

»Nun, was hast Du?« fragte Paul noch einmal, »Du kommst mir mit Deiner Hast und Deinem glänzenden Gesicht ganz merkwürdig vor.«

»Es ist kein Wunder,« nahm nun Fritz das Wort, »und Du wirst meine Aufregung sogleich begreifen. Ich bringe Dir jedenfalls eine wichtige Nachricht – meinem Vater und mir erscheint sie wenigstens so – und es wollte mich bedünken, als dürften wir keine Minute verlieren, um sie Dir mitzutheilen. Darum habe ich auch meine Arbeit im Comptoir liegen lassen und bin rasch herausgelaufen. Glücklicherweise habe ich Dich bald gefunden.«

Paul war ein ruhiger Mann und so leicht keiner Aufwallung seiner Gefühle unterworfen, die Art und Weise aber, wie Fritz jetzt sprach, machte ihn doch etwas betroffen und, an einen ganz andern Gegenstand denkend, als an den, der ihm sogleich offenbar werden sollte, fragte er noch einmal: »Wichtig für mich? Nun, da bin ich doch neugierig.«

»Ja, sieh: unter den Zeitungen, die im Comptoir gehalten werden, befindet sich auch der Hamburger Correspondent, den aber in der Regel nur unser ältester Commis liest und dann meinem Vater die nöthigen Mittheilungen daraus macht. Heute nun nahm zufällig mein Vater selbst – hier habe ich es – dies Blatt in die Hand, und als er es, nachdem er das Wichtigste gelesen, zusammenlegen wollte, fiel ihm diese mit dicken Lettern gedruckte Stelle in die Augen. Er las sie und da war er natürlich sehr überrascht und rief mich herbei, woran er mich fragte, ob Dein Onkel, der Professor der Mathematik, nicht Casimir heiße.«

»Aber woher weiß denn Dein Vater diesen Namen?« fragte Paul dagegen.

»Woher er ihn weiß? Nun, von mir, der ich ihm und meiner Mutter vor Jahren schon Deine Lebensgeschichte erzählte, wie ich sie aus Deinem eigenen Munde erfuhr. Siehst Du nun, wie Dein Vertrauen zu mir sich jetzt auf eine ganz unerwartete Weise belohnt?«

Paul lächelte für sich, als wollte er sagen: »Das hat sich schon auf andere Weise belohnt!« und griff nach dem ihm hingehaltenen Blatt, die Stelle mit den Augen festhaltend, auf die der Finger des Freundes wiederholt deutete.

So las denn Paul nicht ohne merkliche Spannung das folgende Inserat:

»Wiederholte Aufforderung.

»Wenn ein gewisser, in Amsterdam in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts geborener, und als junger Mann nach Deutschland ausgewanderter Casimir van der Bosch, der Sohn des in Amsterdam verstorbenen Malers Jan van der Bosch, noch in Deutschland lebt, so wird er hierdurch ernstlich aufgefordert, seinen Stand- und Wohnort, überhaupt die Verhältnisse, in denen er lebt, ohne Säumen schriftlich an das Haus Baring und Sohn zu Hamburg einzusenden. Da diese Mittheilung sehnlichst erwartet wird und von wichtigen Folgen begleitet sein kann, so wird der p. Casimir van der Bosch hiermit wiederholt ersucht, unserer Aufforderung möglichst schnell und genau nachzukommen.

Baring und Sohn.«

Als Paul diese Zeilen gelesen, sahen sich die beiden jungen Männer erstaunt und mit großen Augen an.

»Das kann nur Dein Onkel sein, nicht wahr?« fragte Fritz lebhaft;

»Ohne Zweifel ist er es. Und was mag diese Aufforderung zu bedeuten haben?«

»Nun, so viel ist doch gewiß, daß sie von Wichtigkeit ist, und ich bin fest überzeugt, daß mein Vater Recht hat, wenn er glaubt, sie rühre von Deinem verschollenen Stiefonkel, dem Quentin van der Bosch her, von dem Ihr nie eine directe Nachricht erhalten und nur durch das Gerücht gehört habt, daß er in Ostindien lebe und ein reicher Mann geworden sei. Mag es aber sein, wie es will, Du mußt sogleich mit mir nach Hause gehen und diese Aufforderung sofort Deinem Onkel übersenden, der natürlich auf der Stelle an Baring und Sohn nach Hamburg schreiben wird. Du glaubst nicht, wie freudig bewegt ich über diese Aufforderung bin, denn wenn mein Gefühl mich nicht täuscht, so – so handelt es sich hier um eine Erbschaft, und Du, der einzige lebende Verwandte Deines Onkels Casimir, bist also auch der einzige Erbe desselben.«

Paul lächelte etwas zweifelhaft. »Gemach,« sagte er, »Dein Wunsch, mich reich zu sehen, also Deine Liebe zu mir, verblendet Dich und zaubert Dir ein schönes Luftschloß vor. Doch ich werde Dich sogleich nach Hause begleiten, mit Deinem Vater reden und dann an meinen Onkel schreiben. Laß mich nur noch einige Worte mit dem Polirer sprechen, ich bin bald mit ihm fertig.«

Mit ruhigen langsamen Schritten, wie er immer ging, kehrte Paul nach dem Bauplatz zurück und rief den Polirer vom Gerüst herunter. Mit der gewöhnlichen Gemüthsruhe gab er ihm seine Anweisungen und dann wandte er sich wieder nach Fritz Ebeling um, dem die Zeit schon lang zu werden anfing, ehe er seinen Freund am Arm nehmen und mit ihm der Stadt zueilen konnte.

Sie trafen den Banquier Ebeling nicht gleich zu Hause, er hatte eben einen kurzen Geschäftsgang angetreten, wurde aber bald erwartet. Um keine Zeit zu verlieren, setzte sich Paul sogleich auf seines Freundes Comptoirstuhl und schrieb einige Zeilen an seinen Onkel, denen er das Blatt der Hamburger Zeitung beilegte, nachdem er die wichtige Stelle mit Rothstift angestrichen hatte.

Als ein Comptoirdiener eben den Brief auf die Post brachte, erschien Banquier Ebeling und lud die jungen Männer ein, ihm in sein Arbeitscabinet zu folgen, welches dicht neben dem Comptoir lag und nur durch eine Glasthür davon geschieden war, deren dunkle Vorhänge in der Regel herabgelassen waren.

In diesem Arbeitscabinet des Chefs des Hauses sah es höchst gemüthlich aus, nur ein großer mit Briefen und verschiedenen Geschäftsbüchern bedeckter Tisch verrieth das kaufmännische Treiben, im Uebrigen war es mit bequemen Möbeln, Sophas und Sesseln gefüllt, die mit dunkelgrünem Stoff überzogen waren.

Der Banquier, sobald er den jungen Männern voran eingetreten war, bot ihnen eine Havannahcigarre an, aber Keiner von ihnen hatte jetzt besondere Lust zum Rauchen und so lehnten Beide das Dargebotene ab.

»Aha,« begann der Banquier seine Rede, »die wiederholte Aufforderung aus Hamburg hat auf Euch gewirkt, nun, das ist natürlich. Fritz hat Ihnen wohl mitgetheilt, lieber Bosch, was für eine Ansicht ich von der Sache habe, nicht wahr?«

»Ja, Herr Ebeling, und es ist auch sehr möglich, daß Sie nicht weit von der Wahrheit entfernt sind, obgleich es auch etwas Anderes als eine Erbschaft betreffen kann.«

»Natürlich, natürlich! Schulden würde ich auf diese Erbschaft noch nicht machen. Haha! Der so lange verschollene Bruder Ihres Onkels will sich vielleicht blos nach seinem jüngeren Bruder erkundigen, um ihm endlich Nachricht von seinen Lebensereignissen und Verhältnissen zu geben.«

»Nein, das glaube ich doch nicht,« warf Fritz nachdrücklich ein. »Dazu war die Aufforderung von Baring und Sohn zu ernstlich und dringlich gehalten. Sie sprach von wichtigen Folgen – das dürft Ihr nicht vergessen.«

»Er hat Recht,« sagte der Banquier nach einigem Nachdenken. »Jedenfalls wäre es der Mühe werth, sich eine nähere Einsicht in die Lage zu verschaffen, und das scheint mir nicht ganz unmöglich. Das Haus Baring und Sohn in Hamburg ist mir sehr genau bekannt, es ist eins der größten und reellsten Häuser daselbst und ich bin mit dem Alten von früherer Zeit her sogar persönlich befreundet.«

»Dann forsche doch einmal bei ihm nach!« rief Fritz wieder mit seiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit.

»Hm! Ja, das könnte am Ende geschehen, nur müßte es auf eine geschickte Weise angefangen werden – in solchen Fällen ist man discret, zumal wenn Einem der Mund gebunden ist, was hier leicht der Fall sein kann. Unter der Hand jedoch ließe es sich vielleicht versuchen.«

»Natürlich,« fuhr Fritz fort, »es muß auf diplomatische Art geschehen – mit der Thür darf man bei Baring und Sohn nicht in's Haus fallen.«

Der Banquier Ebeling zog seine Cigarre mit starken Zügen an und blies unaufhörlich dicke Rauchwolken vor sich hin, was sonst gar nicht seine Gewohnheit war. Er schien über irgend etwas scharf nachzusinnen, doch war es, als würde es ihm schwer, den Entschluß zu fassen, der zu der von ihm angedeuteten Handlung nothwendig war. Plötzlich warf er die Cigarre weg, rieb sich die Hände und sagte, sich von seinem Sitze erhebend:

»Da schlägt es drei Uhr, nun laßt uns zu Tisch gehen. Nach Tische will ich mit meiner Frau sprechen und bis ich mit ihr fertig bin, erwartet mich hier. So viel Zeit müssen Sie heute haben, lieber Bosch. Ach, und nun habe ich heute unsern Bau nicht gesehen! Na, morgen ist auch ein Tag und dann haben wir doppelte Augenweide.«

»Ja, das Frontispiz ist im Rohbau fertig,« versetzte Paul ruhig und schickte sich an, dem Banquier in das Speisezimmer zu folgen.

»Sie sind ein merkwürdiger Mensch,« sagte dieser stehen bleibend und Paul lächelnd anschauend. »Man würde es nicht glauben, wenn man es nicht mit eigenen Augen sähe. Eine große Erbschaft schwebt über Ihnen in der Luft und Sie schauen so ruhig darein, als ob das gar nichts für Sie wäre!«

Paul lächelte sanft. »Es giebt viele andere Dinge im Leben, Herr Ebeling,« erwiderte er, »die mir lieber sind als eine Erbschaft, zumal eine, die so hoch über mir in der Luft schwebt, daß ich sie noch nicht einmal sehen kann. Und zwischen Sehen und Ergreifen liegt auch noch eine tiefe Kluft.«

»Da mögen Sie Recht haben. Aber was ist Ihnen denn lieber auf der Welt als eine Erbschaft, he?«

Paul sann einen Augenblick nach, dann sagte er mit wahrer Empfindung: »Die Achtung der Menschen, der Erfolg der Arbeit und – die Liebe meiner Freunde.«

»Ah ja, das mag sein. Sie sind ein braver Mann, aber so eine tüchtige Erbschaft ist doch auch nicht zu verachten.«

»Ich verachte sie nicht – für's Erste jedoch habe ich sie noch nicht.«

»Das ist wahr! – Nun aber kommt – ich habe Appetit und die Frau vom Hause wird uns hoffentlich was recht Gutes vorsetzen.« –

Bei Tische war es, wo Frau Ebeling die erste Kunde von dem neuen Ereigniß erhielt, welches die Männer so lebhaft beschäftigte, und die theilnehmende Frau wurde dadurch noch viel lebhafter betroffen. Die Nachricht hatte sie dermaßen überrascht, daß sie fast kein Wort sprechen konnte und nur bald ihren Mann und bald den ebenfalls schweigsamen Paul ansah, als ob sie aus den Mienen derselben auf ihre Gedanken schließen wolle.

Endlich faßte sie sich und sagte zu Paul: »Das ist jedenfalls ein sehr wichtiger Vorfall, mein lieber Freund, und auch Haydens werden ihn gewiß dafür halten. Darf ich es ihnen denn mittheilen?«

Ueber Paul's bleiches Gesicht zog flüchtig ein dunkler Schimmer. »In Gottes Namen,« erwiderte er, »aber sagen Sie nur nicht, daß ich irgend etwas Erhebliches davon erwarte, wie zum Beispiel Fritz es denkt.«

»Nun, darin hat Fritz doch wohl nicht so ganz Unrecht, dächte ich,« fuhr sie fort. »Und ich bin überzeugt, Betty wird es auch so ansehen. Ohne Gratulation kommen Sie nicht fort, das sage ich Ihnen vorher.«

»Das wäre zu früh,« rief der Banquier, schon von seinem Stuhle aufstehend, »eine Gratulation kann Bosch noch nicht annehmen.«

»Das werde ich auch nicht, Herr Ebeling, und hoffentlich wird man mir es ersparen, sie anhören zu müssen.«

»Ach, die Weiber, die Weiber! Es ist ein Hauptgenuß für sie, zu gratuliren oder zu condoliren, und unter dieser Firma werfen sie sich leider nur zu oft in Staat, um ihre neuesten Roben der Welt zu zeigen.«

»Aber Ebeling!« rief seine Gattin mit dem Finger drohend, »wer hat Dich denn heute so bissig gemacht?«

»Wahrscheinlich die in der Luft schwebende Erbschaft. Doch nun, Kinder, geht in mein Cabinet und erwartet mich, ich habe nur noch einige Worte mit der Mutter zu sprechen.«

Als die jungen Männer das Zimmer verlassen hatten, gab der Banquier seiner Frau einen Wink und schritt ihr nach dem gewöhnlichen Wohnzimmer voran. Hier angekommen, setzte er sich bequem auf ein Sopha und sagte:

»Nun, Charlotte, was sagst Du denn in Wahrheit zu dem Neuesten? Unter uns – ich bin fest überzeugt, daß der alte verschollene Onkel gefunden ist und sein Hab und Gut seinem Bruder vermachen will. Die Erbschaft schwebt also nicht so hoch in der Luft, wie der anspruchslose und immer zufriedene Paul es glaubt.«

»Ich wundere mich gar nicht darüber, Emil, das muß ich Dir sagen,« erwiderte seine Frau, die sich neben ihn gesetzt. »Denkst Du noch daran, was ich Dir einst über den jungen Mann sagte, als er für uns noch ›der arme Student‹ war?«

»Ei ja, ich denke gar wohl daran und Du magst am Ende ganz Recht mit Deiner Diagnose und Prognose gehabt haben. Nun höre aber, was ich Dir sagen will. Der Fritz ist sehr neugierig auf den Zusammenhang der geheimnißvollen Aufforderung, und ich – ja, ich bin es auch.«

»O, ich auch, ich auch, lieber Mann!«

»Nun natürlich, warum wärest Du denn ein Weib? Haha! Nun sieh, da bin ich auf den Gedanken gekommen, den Fritz mit einem geheimen diplomatischen Aufträge nach Hamburg an meinen alten Freund Baring zu senden und diesen einmal ein Bischen auf den Zahn fühlen zu lassen.«

»Thu es doch,« sagte Frau Ebeling nach kurzem Nachdenken, »falls Du Fritz wirklich dieser Aufgabe gewachsen glaubst. Was mich betrifft, ich trenne mich gern auf ein paar Tage von ihm, wenn es zu seines Freundes Bestem gereicht.«

»Aha, das ist es, Ihr seid Alle in den Bosch verliebt, ich weiß es wohl, na, und ich kann es Euch nicht verargen. Er ist wahrhaftig ein Prachtmensch, so ganz durch und durch. – Aber Du hegst Zweifel, ob Fritz dieser Aufgabe gewachsen ist? Bei Gott, dann kennst Du doch Deinen eigenen Sohn nicht! Unser ehemaliger kleiner Junge, liebe Charlotte, ist ein großer Schlaukopf geworden, das kannst Du mir glauben. Der vertraute Umgang mit Paul und das mannigfache Studium haben ganz sonderbaren Erfolg bei ihm gehabt. Du solltest einmal seine Correspondenzen lesen, ich bin oft ganz betroffen darüber. Das ist ein kaufmännisches Genie, meine Liebe, und er hat für noble Speculationen aller Art ein ausgebildetes, gesundes Organ, wo Andere nur ein fieberhaftes Ahnungsvermögen haben. Also – soll ich ihn nach Hamburg senden?«

»Ja, Emil, sende ihn hin, ich bin damit einverstanden!« sagte Frau Ebeling mit festem Entschluß.

»Nun, dann packe seinen Koffer, denn er muß noch heute Abend fort. Ich habe keine Ruhe mehr, bis ich weiß, woran wir sind.«

Herr Ebeling verließ jetzt seine Frau, um sich in sein Arbeitszimmer zu begeben, wo die jungen Männer ihn schon sehnlich erwarteten.

»Laßt mich kurzen Proceß machen,« sagte er zu ihnen, »und rasch ein vernünftiges Wort sprechen. Fritz, willst Du Deine erste diplomatische Reise antreten und Dir dabei Deine Sporen verdienen?«

»Ah!« rief Fritz frohlockend. »Ich soll nach Hamburg und Baring und Sohn besuchen, nicht wahr?«

»Ja, das sollst Du, wenn Dein Freund nichts dagegen hat.«

»Was sollte ich Dagegen haben?« fragte dieser mit seiner alten Ruhe. »Wenn es aber etwas ganz Anderes ist, als Sie erwarten, dann hat Fritz seine Zeit und Sie haben das Geld verloren, was die Reise kostet.«

Vater und Sohn lachten laut auf über diesen letzten Einwurf.

»Sie haben diesmal in Beidem Unrecht, lieber Bosch,« sagte der Banquier. »Zeit und Geld sind nie verloren, wenn man damit einem Freunde etwas Liebes thut und dadurch erreicht, was man erreichen will. Etwas erreichen wir durch Fritz bestimmt: Entweder erfahren wir, daß wir recht calculirt, oder daß wir ein Luftschloß gebaut. Auch die Einsicht eines Irrthums ist oft Geld werth, mein Lieber. Und nun sind wir fertig. In zwei Stunden, Fritz, komm zu mir und nimm einen Brief an den alten Baring in Empfang. Ich werde Dich ihm als meinen Sohn vorstellen und ihn bitten, Dir von seinem jüngsten Sohn – er hat zwei und der älteste ist schon sein Compagnon – die Stadt Hamburg zeigen zu lassen. Die übrigen Instructionen werde ich Dir mündlich geben. In dem Briefe wird natürlich nichts von Casimir van der Bosch stehen und Du wirst ihn selbst auf's Tapet bringen müssen. Jetzt geh' zu Deiner Mutter und sage ihr, was Du für Sachen eingepackt haben willst, Deinen Koffer hat sie schon von dem Boden holen lassen.«

Paul hörte das Alles an wie Jemand, der gar nicht an der Sache betheiligt ist, und fast kam ihm der Eifer seiner Freunde scherzhaft vor. Aber diese faßten seine Angelegenheit wirklich ernsthaft auf. Zwei Stunden später hatte sich Fritz bei der Familie des Oberforstmeisters verabschiedet und von Betty den besonderen Auftrag erhalten, ja nichts zu versäumen, was zum Besten ihres beiderseitigen Freundes gereichen könne.

»Ich glaube gar, Du gingest lieber selbst nach Hamburg, um Deine kleine Spürnase in Baring's Comptoir zu stecken, wie?« fragte der heitere Cousin.

»Wenn ich ein Mann wäre, gewiß, Fritz, und sei überzeugt, ich brächte mehr heraus als Du.«

»Oho! Das wollen wir doch erst sehen! Baring und Sohn und Ebeling und Sohn werden sich messen und ein kleines Turnier bestehen.«

»Soll ich Dir einmal Etwas prophezeien?« fragte Betty lachend.

»Ja – ich will Dich zum falschen Propheten machen, wenn Du etwas Schlimmes prophezeist.«

»Nun denn. Du gehst zum Turnier und kommst zwar mit stumpf geschlagenen Waffen aber ohne den Sieg errungen zu haben, zurück.«

Fritz schaute trüb vor sich nieder. » Du sagst das?« rief er. »Pfui, das klingt bitter. Du hättest mir auch einen besseren Trost mit auf die Reise geben können. – Dafür bekomme ich aber einen Kuß, nicht wahr?«

»Da hast Du einen – und noch einen – so! Und nun reise glücklich. Hast Du sonst nichts auf dem Herzen?«

Fritz besann sich. »Daß ich nicht wüßte. Oder ja, doch. Sorge doch ja dafür, daß Paul alle Tage seine Flasche Rothwein trinkt; er will nie daran, wenn ich ihn nicht ermuntere, und doch stärkt ihn der Wein so und macht ihn immer heiter.«

»Ich werde dafür sorgen, ja!«

»Thu das. Deine Bitten wirken bei ihm, wie der Stab Mosis auf den Felsen – er läßt Wasserquellen sprudeln –«

»Es sollte diesmal ja Wein sein –«

»Ach ja, aber Du hast mir nur zwei Küsse gegeben und darum spreche ich Unsinn –«

»Aha – hier hast Du den dritten, und nun Adieu, mein Bursch, jetzt wirst Du hinreichend mit Klugheit gewappnet sein!«

Sie drückten sich herzlich die Hände und schieden von einander. Abends nach neun Uhr aber begleitete Paul seinen Freund nach dem Bahnhof und Punct zehn Uhr dampfte Fritz mit dem Schnellzuge ab, um sich die Sporen zu verdienen und – wie die Cousine es ihm prophezeit – mit stumpfer Waffen aus seinem ersten Turnier zurückzukehren; ob aber ganz ohne Erfolg, wird bald die Folge lehren.


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