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Neuntes Kapitel.
Der zweite Besuch auf der Kugelbaake

Am nächsten Morgen finden wir Paul van der Bosch schon bald nach fünf Uhr wieder auf den Füßen. Er hatte Niemanden beauftragt, ihn zu wecken und er bedurfte dessen auch nicht. In seiner eigenen Brust wachte jetzt der gewissenhafteste Wecker, der wie eine unsichtbare elastische Sprungfeder seinen Geist in Bewegung hielt und ihn zum Handeln und Wirken aufschnellte wie nie zuvor in seinem Leben. Es war, als ob alle seine Kräfte und Fähigkeiten sich plötzlich verzehnfacht hätten, als ob seine Sinne schärfer und weitreichender, seine Gedanken beflügelter und umfassender geworden wären – und alles dies hatten die Ereignisse eines Tages, das Wiederfinden einer Person bewirkt, die ihn wie mit dem Stabe eines allgewaltigen Zauberers berührt und bisher noch unbekannte Hülfsquellen in ihm zu Tage gefördert zu haben schien.

Mit solcher Begabung ausgestattet und das Bewußtsein derselben in sich tragend, was die Kräfte stets verdoppelt, erhob sich Paul an diesem Morgen und rüstete sich zu dem neuen Tagewerke mit einer Seelenfreudigkeit und Geistesfrische, die ihn in seinen eigenen Augen zu einer bevorzugten Persönlichkeit stempelte, da er noch nie in seinem Leben etwas Aehnliches empfunden zu haben glaubte. Wo war nun mit einem Mal der wie eine Fessel auf ihm lastende Trübsinn früherer Tage, wo war die Erinnerung an erlittene Drangsale und Bitterkeiten des Lebens geblieben? Fortgeweht hatte sie der sanfte Athem eines lieben Mundes, wie der mächtig sausende Wind die düsteren Nachtwolken verweht, und das neue Licht, welches aus dem klaren Auge wieder in seine Seele gefallen, hatte alle Schatten verscheucht, die bisher wie ein dämonischer Alp auf ihr gelegen.

Als Paul aus dem Alkoven in den Saal trat und aus dem Fenster in den Park schaute, konnte er nicht einmal den grünen Rasen erkennen, der unmittelbar vor diesem Fenster lag. Ein undurchdringlich weißes Nebelmeer wogte in den Lüften und lagerte auf der Erde, noch viel dichter als am vorigen Tage.

Aber was hatte dieser Nebel für ihn zu bedeuten? Ein einziger Windstoß konnte ihn ja zerschellen, vertreiben, und so rüstete er sich bei Zeiten zum Aufbruch, während der Professor noch sanft und ruhig schlief und keine Ahnung davon hatte, welche göttliche Triebkraft den Willen seines Neffen von jetzt an in Bewegung setzte.

Paul hatte ihm schon am Abend vorher gesagt, daß er am Morgen früh seinen Weg antreten werde, um Mittags zu rechter Zeit zurück sein zu können, und so konnte der gute Professor sich nicht wundern, als er beim Erwachen den jungen Mann nicht mehr in seiner Nähe fand. Frau Dralling dagegen wußte nichts von dem Unternehmen des Baumeisters, eben so wenig wie irgend ein anderer Bewohner des Schlosses, und so staunte sie über die Maaßen, als sie gegen sieben Uhr dem Professor den Kaffee brachte und von ihm erfuhr, daß der Herr Baumeister schon lange über alle Berge sei.

»Ach, Du lieber Gott, Herr Professor,« rief sie, diesmal ›den alten Mann‹ mit einem schmollenden Gesicht begrüßend, »und Sie haben es zugegeben, daß er ohne jedes Frühstück in den kalten Nebel hinausging? Wissen Sie wohl, daß das grausam von Ihnen ist und daß ich Ihnen so etwas gar nicht zugetraut habe?«

»Schreien Sie nicht schon am frühen Morgen so laut,« unterbrach sie der Professor, »das verdirbt Einem den ganzen Tag und weckt die bösen Geister aus ihrem Schlummer. Der Junge wird schon sein Frühstück finden, wenn er es finden will, und gegen die kalten Nebel wird er sich auch wohl zu verwahren wissen.«

»Ja, das meinen Sie, aber nicht ich, Herr Professor. Wohin ist denn der unruhige Mensch so in aller Frühe gegangen, doch nicht schon nach Wollkendorf?«

Der Professor lachte laut, was ihm selten des Morgens begegnete. »Dummes Zeug!« rief er. »Wie können Sie ihn einen unruhigen Menschen nennen, ihn, der drei Tage lang wie angenagelt hier gesessen hat? Und was soll er denn schon in Wollkendorf? Die Damen kommen ja Nachmittag selber hierher. Mit einem Wort – und nun lassen Sie mich in Ruhe – er hat Geschäfte, und um damit fertig zu sein, wenn der Besuch eintrifft, hat er sie so früh beginnen müssen.«

»So, so, na, dann bin ich zufrieden, aber wissen muß man es doch!« sagte die Dralling besänftigt und ging an ihre Arbeit, die auch sie heute zeitig beginnen mußte, um damit fix und fertig zu sein, wenn der Besuch kam. –

Als Paul die Halle verlassen hatte und in das Freie getreten war, ließ sich noch Niemand aus dem Schlosse blicken. Rüstigen Schrittes eilte er dem Parkthore zu, aber auch hier war noch Niemand sichtbar und der Hüter mußte erst geweckt werden, um ihm das Nachts stets geschlossene Thorgitter zu öffnen.

»Schon so früh fort, junger Herr?« fragte der alte Diener, der erst nach längerer Zeit am Fenster erschien und Paul den Schlüssel herausreichte.

»Ja, ich habe einen nothwendigen Gang zu thun. Guten Morgen!«

Und fort war er und bald dem Auge des ihm verwundert Nachschauenden im Nebel verschwunden.

Erst als er sich ganz im Freien fühlte, wurde ihm wohler und behaglicher zu Muthe, und da die Luft wirklich kühl war, so setzte er sich in raschen Schritt, um den leichten Frost abzuschütteln, der sich seiner Glieder bemächtigt hatte. Wie es aber bei geistesfrischen und an innerem Stoff reichen Menschen in der Regel zu geschehen pflegt, daß sie, je rascher sie gehen, auch um so stürmischer von über sie hereinbrechenden Gedanken heimgesucht werden, so ging es auch Paul an diesem Morgen. Und merkwürdig war es für ihn selber, als er plötzlich die Entdeckung zu machen glaubte, daß sein heutiges Unternehmen ihm viel wichtiger als früher däuchte. Ueberhaupt schienen ihm die Verhältnisse seines Onkels mit einem Male viel bedeutender zu sein, als sie ihm bis jetzt vorgekommen waren, und wie diese so schnell in seinen Augen gewachsen, so war auch die ihm selbst zugefallene Aufgabe, das Dunkel derselben zu lichten und sie zu günstigeren zu gestalten, eine viel bedeutsamere geworden.

»Was oder wer hat denn diese plötzliche Wandlung bewirkt?« fragte er sich, und da war er offen genug, sich die Antwort zu geben: »Betty's Wiedereintritt in mein Leben hat sie bewirkt, sie, sie allein, und darüber sollte ich mich eigentlich gar nicht wundern, vielmehr mich erinnern, daß es ja auch schon in meinem früheren Leben so war, daß sie allein meine damaligen Tage verschönte und vergoldete und daß mein ganzes Sein und Wirken in sich selbst zusammensank und erbleichte, als sie aus dem Gesichtskreise desselben getreten war. Ha, ja, es ist sonderbar, welche Einwirkung ein Mensch, wenn es der rechte Mensch ist, auf uns und unsere Existenz zu üben vermag! Zwei Augen mehr, die auf unserer Thätigkeit ruhen, in unser Dasein leuchten, potenziren unsere Kräfte, verdoppeln unsere Leistungsfähigkeit und – wenn sie sich schließen, sinken wir wie gelähmt und zerknickt dahin und es ist, als ob mit ihnen die Welt alle Reize für uns verloren hätte. Doch – täusche Dich nicht selbst, guter Freund! Die beiden Augen sind allerdings für Dich wieder erschienen, aber das ist auch Alles und Du darfst keine zu großen Hoffnungen daran knüpfen. Hoffnungen? Was man gewöhnlich darunter versteht? O nein, das ist ein falsches Wort – die habe ich ja nicht – Eins aber habe ich gewiß und daran klammere ich mich wie an meinen Rettungsanker fest – und das ist die Freundschaft, die sie mir für ewig gelobt. Auf die kann ich rechnen und auf die rechne ich auch. Und damit kann ich zufrieden sein – und bin es auch!« setzte er mit einem stillen, leise in den Lüften verhallenden Seufzer hinzu. –

Es war noch nicht sechs Uhr gewesen, als Paul die Halle verlassen, aber der Aufenthalt am Parkthor hatte ihm fast eine Viertelstunde gekostet und so konnte er rechnen, bald nach sieben Uhr an der Kugelbaake zu sein, und das schien ihm zeitig genug, um alle seine heutigen Unternehmungen, die er bereits genau im Kopfe hatte, in's Werk zu setzen. So, um nicht früher bei Whistrup einzutreffen und Friede Zeit zu lassen, ihr Hauswesen in Ordnung zu bringen, ging er jetzt, nachdem er schon wärmer geworden war, langsamer vorwärts und, als er nun seinem inneren Gedankenfluge Genüge geleistet, gab er sich wieder, wie früher so gern, der Betrachtung der Außendinge hin.

Auf den Feldern, die zu beiden Seiten am Wege lagen, zeigten sich die Nebelschichten viel dünner und durchsichtiger als im Park von Betty's Ruh.

Man konnte schon in der Ferne die kleinen Häuser der sich an einander reihenden Ortschaften, einzelne Bäume, Gebüsche und weidende Kühe unterscheiden. Als er aber die Stelle erreichte, wo er den Deich betreten mußte und sich so um zwanzig Fuß über die feuchten Niederungen erhob, senkte der Nebel sich noch rascher und in wenigen Minuten war der neidische Vorhang gefallen, der seinen Augen bisher die noch schlummernde Welt verborgen, und er erkannte fast Alles ringsum ziemlich deutlich, obgleich die abziehenden Weltengebilde noch immer wie ein zarter bläulicher Dust in der Höhe schwebten. Als er sich aber dem Dünendorfe Duhnen näherte und nun in den Bereich der See kam, verschwand auch dieser Duft allmälig, denn der Wind blies diesmal aus Osten und trieb die widerspenstigen Nebel gebieterisch vor sich her, so daß von Zeit zu Zeit schon ein ganz klarer Horizont auftauchte, in den hie und da goldene Fäden eingewebt zu sein schienen.

Endlich ließ er auch Duhnen hinter sich und schritt dem Stranddorfe Döse zu, von wo aus er sein heutiges Ziel bereits in's Auge fassen konnte. Hier aber machte die Nähe der See sich schon bedeutend fühlbar. Der Wind blies heftiger heran, die letzten Nebelgebilde wichen rascher und rascher und plötzlich trat die weißgoldene wunderbare Wasserlinie vor sein Auge, die bei heraufsteigender Sonne den Horizont des flüssigen Elements bildet, und die innerhalb dieser Linie heranwogende Fluth ließ ihre gewaltige Naturstimme vernehmen, mit der keine andere auf der Welt sich vergleichen läßt, da sie keine Pausen des Schweigens in sich schließt, wie der Donner des Himmels und die Lawine der Berge, sondern immerwährend und ohne Unterlaß brüllt und tobt, wie die Fluthen, die sie veranlassen, selbst ohne Nachlaß ewig und ewig fließen und strömen.

Paul's Herz, als er dieses wogende Meer wiedersah und die brausende Stimme desselben vernahm, wurde abermals von jener zauberhaften, dämonischen Gewalt ergriffen, welche die See auf ihn geübt, als er das erste Mal in ihre Nähe getreten war. Es ging ihm weit auf, dies Herz, und mit ihm öffneten sich alle seine Sinne und er blieb stehen und ließ seine Augen über die ungeheure Fläche schweifen, die sich in Millionen kleiner Hügel erhob, auf deren Spitzen goldene und silberne Kronen blitzten, von denen bald Tausende in die Tiefe sanken, bald wieder neue Tausende aus dem Schooße des Meeres sich erhoben. Ueber diese Wasserberge kamen mit der heranstürzenden Fluth zahllose Schiffe gezogen, mit allen Segeln gegen den ihnen widerstrebenden Ostwind lavirend, der aber heute seine feindselige Kraft nicht ganz an den Tag legen konnte, da die Fluth gegen ihn ankämpfte und die Schiffe auf ihrem geschmeidigen Rücken herantrug; und sie drängt kein Wind, kein Sturm zurück, sie besiegt alle Hemmnisse und wenn sie den Wind oder gar den Sturm zum Bundesgenossen gewinnen kann, ist sie sogar im Stande, Berge zu versetzen und aller menschlichen Stützen und Hülfen zu spotten, denn dann ist sie das ungeheure, furchtbare, unüberwindliche Vernichtungselement, dem schon Tausende zum Opfer gefallen sind und das nie durch Dämme und Deiche, von Menschenhänden gemacht, wird im Zaum gehalten werden können.

Als Paul sein Auge eine Weile an diesem Anblick gelabt, setzte er sich wieder in Bewegung, bis er bei einer Wendung des Deiches plötzlich des schwarzglänzenden Daches des Leuchtfeuerhauses an der Kugelbaake ansichtig wurde und sich darüber herzlich freute, denn er hatte angenehme Stunden unter diesem Dache zugebracht, er hatte herzensgute und brave Menschen daselbst kennen gelernt und nun kam er wieder zu ihnen, um ihnen heute mehr zu bringen und hoffentlich auch mehr von ihnen mit fortzunehmen, als sie empfangen und geben zu können vielleicht selber der Meinung waren. In diesem Augenblick aber drang die Sonne vollkommen siegreich aus den sie verhüllenden Dünsten hervor. Ihr Strahl fiel mit blitzartiger Schnelligkeit hernieder und im Augenblick darauf glühte das ganze Meer in seiner unermeßlichen Fläche, ein rosiger Goldschimmer ergoß sich über die tanzenden Schaumkronen und nun bot sich dem Auge ein Farbenreichthum, ein Glanz und ein Schimmer dar, der Paul nochmals zum Stehen brachte und ihm den Ausruf staunender Bewunderung entlockte: »Ja, schön ist das Meer!« –

Endlich schritt er wieder weiter; je näher er aber dem freundlichen Hause kam, das im goldenen Sonnenschein so friedlich hinter seinem Schutzdeich lag, um so langsamer ging er, denn obgleich es schon sieben Uhr vorüber war, so fürchtete er doch, die guten Leute zu stören, was er freilich nicht ganz umgehen konnte, da er heute einen guten Theil ihrer Zeit für sich allein in Anspruch nehmen mußte.

Da er sich von dem südwestlich landeinwärts laufenden Deiche her dem Hause näherte und keiner der Bewohner im Freien war, so sah ihn Niemand herankommen, und erst als er die hintere Thür fast erreicht, die auf den Wiesenplan innerhalb des Deichwinkels führte, erblickte ihn die Vierländer Magd, die eben aus dem Hause kam, um Wäsche zum Bleichen auf dem Rasen auszubreiten.

»Ist Herr Whistrup und seine Tochter zu Hause?« fragte Paul sie, nachdem sie ihn sogleich wieder erkannt und freundlich begrüßt hatte.

»Ja, Herr, sie sind Beide zu Hause. Der Herr ist oben in der Laternenkammer beschäftigt, das Fräulein aber ist vorn in der Stube und arbeitet schon.«

»Das ist mir lieb – sind sonst noch Fremde im Hause?«

»Kein Mensch außer Vater und Tochter, Herr.«

Paul trat in das Haus ein, ging durch die Küche und klopfte nun an die Thür des saubern Stübchens, in welchem er bei seinem ersten Besuch einen so heiteren Abend verlebt hatte.

»Herein!« rief eine frische, jugendliche Altstimme, und gleich darauf sah er die hübsche Friede vor sich, die schon vollständig im Tagesanzug war und eben die blonden Flechten ihres reichen Haars in die anmuthige Kranzrundung gebracht hatte.

»Herr Baumeister!« rief sie fröhlich und doch etwas verwundert aus. »Sie sind es und schon so früh? O, Sie wollen doch nicht wieder mit dem nächsten Schiff stromaufwärts fahren?«

»Nein, Friede,« entgegnete Paul und reichte ihr vertraulich die Hand; »ich kam vielmehr heute blos Ihres Vaters und Ihretwegen und verkünde Ihnen gleich von vorn herein, daß Sie mich bis eine Stunde vor Mittag nicht wieder los werden. Wenn ich Sie dabei von wichtiger Arbeit abhalte, so thut es mir leid, allein es geht einmal nicht anders. Auch das Geschäft, welches ich heute bei Ihnen zu verrichten habe, ist wichtig und kann nicht gut länger aufgeschoben werden.«

»O nein, Herr Baumeister,« erwiderte Friede mit heiterer Miene, »Sie halten uns durchaus nicht von etwas Wichtigem ab. Mein Vater wird mit seiner Laterne in einer Stunde fertig sein und ich kann meine Nadel zu jeder andern Zeit in Bewegung sehen. Da Haus ist auch schon in Ordnung und was die Küche betrifft, so ist das unserer Magd Sache, die sie im Nothfalle ganz allein zu besorgen versteht. Doch nun, Herr Baumeister, setzen Sie sich und sagen Sie mir, wie es Ihnen ergangen ist, seitdem Sie neulich von hier nach Betty's Ruh wanderten. Wir sind schon recht neugierig darauf gewesen und haben viel, recht viel von Ihnen gesprochen.«

»Das ist mir lieb und Sie sollen befriedigt werden. Bevor ich Ihnen jedoch Alles erzähle,« sagte Paul lächelnd, indem er seinen alten Platz in der Sophaecke wieder einnahm, »muß ich Ihnen erst noch eine Bitte aussprechen. Ich bin früh von Betty's Ruh fortgegangen und habe noch keinen Kaffee getrunken. Darf ich Sie also um mein erstes Frühstück bitten?«

Friede war schon aufgesprungen und freudig nickend eilte sie in die Küche, und in zehn Minuten brachte die schmucke Magd Kaffee, frisches Brod und Butter herein und Paul konnte seinen Appetit stillen, der sich bereits unterwegs in der frischen Luft fühlbar genug bei ihm gemeldet hatte.

Bevor der Kaffee aber kam, hatte sich schon längst das Gespräch zwischen Beiden angesponnen, und Friede, die zu neugierig war, um zu erfahren, ob es dem geheimnißvollen Fremden auf dem schönen Betty's Ruh gefalle und ob er ihre Aussage darüber bestätigt gefunden, hatte es mit einer Menge von Fragen eingeleitet, die sich alle theils auf den Besitzer des Gutes, theils auf Paul's eigene Verhältnisse daselbst bezogen.

»Was macht denn der Herr Professor?« fragte sie unter Anderm. »Wir sind eigentlich etwas besorgt um ihn gewesen, da wir ihn so ungewöhnlich lange nicht gesehen haben.«

»Er befindet sich sehr wohl,« erwiderte Paul, »und er bedauerte selbst, mich heute nicht begleiten zu können; aber ich, der ich jetzt einen großen Theil seiner Geschäfte übernommen habe, wollte lieber allein gehen, da ich mit Ihnen und Ihrem Vater Dinge zu verhandeln gedenke, von denen der Professor selbst bis jetzt noch nichts zu wissen braucht.«

Friede's schalkhaftes Gesicht erröthete lebhaft und sie sah den Fremden mit einem Blick an, der sagen zu wollen schien: »Wie, beginnen die Geheimnisse schon wieder? Werden sie sich denn noch nicht bald lösen?«

Paul schien die Bedeutung dieses Blickes errathen zu haben, denn er fuhr sogleich fort: »Wundern Sie sich nicht über meine heutigen seltsamen Fragen und wenn ich bisweilen rasch von einem Gegenstande zum andern überspringe. Am Ende unserer Unterhaltung wird Ihnen der Zweck meines Besuches ganz klar sein und Sie werden einsehen, wie wichtig derselbe sowohl für Sie und Ihren Vater, wie auch für mich und den Professor ist.«

Friede wurde etwas unruhig bei diesen Worten, die ihr sogar noch viel mehr verhießen, als sie anfangs von ihrem angenehmen Besuche erwartet hatte. »Fragen Sie mich, wonach Sie wollen,« sagte sie endlich, »ich will mich über nichts wundern; aber daß ich mich freue, Sie wiederzusehen, das kann ich Ihnen nicht verhehlen, wie auch mein Vater sich freuen wird, wieder mit Ihnen zu reden, da er sich auf mancherlei Neues besonnen hat, was neulich zur Sprache kam und woran Sie ein so lebhaftes Interesse zu nehmen schienen.«

»Das ist mir lieb, meine gute Friede,« sagte Paul in traulicher Weise, »und vielleicht begegnen sich unsere Wünsche, wie sich unsere Interessen begegnen. Doch bevor ich zu der Hauptsache übergehe, sagen Sie mir, wie geht es dem Capitain Hardegge? Ist er noch auf dem Feuerschiff?«

Friede neigte einen Augenblick den Kopf und erröthete stark. »Es geht ihm gut, so viel ich weiß,« sagte sie dann heiter lachend, »und natürlich ist er noch auf dem Schiffe, da heute über acht Tage erst sein Dienst auf demselben abgelaufen ist.«

»Also dann kommt er erst wieder an's Land?«

»Früher keine Stunde, obgleich er bei diesem guten Wetter sehr wenig auf dem Schiff zu thun hat und sicher bisweilen Langeweile und Sehnsucht hierher empfinden wird.«

»Das glaube ich. Nun, ich habe ihm eine kleine Unterhaltung zugedacht, doch davon nachher. Jetzt wollte ich Sie zuerst bitten, mir über den bewußten Laurentius Selkirk Alles zu sagen, was Sie von ihm wissen oder was irgend ein Licht auf sein früheres Verhältniß zu dem verstorbenen Herrn van der Bosch auf Betty's Ruh wirft. Wissen Sie bestimmt, ob er noch auf Neuwerk weilt?«

»Nein, Bestimmtes weiß ich darüber nicht, doch vermuthe ich, daß er noch dort ist. Wir können aber darüber sehr bald durch Capitain Hardegge etwas Gewisses erfahren.«

»Gut, das wollen und müssen wir allerdings. Nun sagen Sie mir aber Alles, was Sie sonst von ihm wissen, und verfahren Sie recht gewissenhaft dabei, denn mir ist an jeder Kleinigkeit gelegen, die ich über seine Vergangenheit und Gegenwart erfahren kann.«

Friede senkte den blonden Kopf und besann sich.

»Wir haben Ihnen eigentlich schon Alles gesagt, was wir von ihm wissen,« versetzte sie. »Er war von jeher ein treuer und redlicher Mensch, bei Jedermann dafür bekannt, unbescholten in jeder Beziehung und nie hatte man an ihm etwas Auffälliges bemerkt, bis zu dem Tode seines Herrn, wo er anscheinend ohne allen Grund plötzlich schwermüthig wurde, was alle Welt auf den Umstand bezog, daß er so unverhofft aus seinem Dienst entlassen und in die fremde Welt gestoßen wurde.«

»Nein,« sagte Paul ernst, »das ist nicht geschehen. Es hängt anders zusammen und das weiß ich bestimmt. Er ist nicht in die fremde Welt gestoßen und seiner Stellung unfreiwillig enthoben worden, im Gegentheil, er hat sich freiwillig von Betty's Ruh entfernt, trotzdem der Professor ihn bat, daselbst zu bleiben und nach wie vor seinen gewohnten Dienst bei ihm zu verrichten.«

»So, das ist mir neu. Aber wenn Sie es bestimmt wissen, wird es wohl so sein. Nun, er ging also nach Neuwerk zu seinem Verwandten, dem dortigen Vogt, und da lebt er zurückgezogen von allem Verkehr, ist traurig und niedergeschlagen, spricht mit keinem Menschen ein Wort und beweint seinen verstorbenen Herrn, den er nicht vergessen zu können scheint.«

»Ha, gut! Das haben Sie durch den Capitain Hardegge in Erfahrung gebracht, obwohl man auf Betty's Ruh selbst nicht weiß, wo er geblieben ist. Das ist schon etwas. Er hat also mit Niemanden Verkehr?«

»Mit Niemanden außer mit dem ehemaligen Secretair seines verstorbenen Herrn, dem Rentmeister Uscan Hummer, und es weiß also doch Jemand auf Betty's Ruh, wo Laurentius sich aufhält. Der besucht ihn sogar bisweilen und noch neulich, als er von seiner Reise zurückkehrte und auch hier war,« setzte das Mädchen mit niedergeschlagenen Augen hinzu, »hat er sich zur Ebbezeit in Duhnen einen Wagen genommen und ist, so bedenklich diese Fahrt auch jetzt ist, nach Neuwerk gejagt, wo er, wie ich weiß, den Laurentius gesprochen hat.«

»Ah!« rief Paul lebhaft aus, »also der Rentmeister ist wieder bei ihm gewesen? Das ist abermals etwas Neues. Vermuthen Sie vielleicht, was er von dem Laurentius will und warum er ihn so oft und, wie es scheint, ziemlich heimlich besucht?«

»Nein, eigentlich nicht. Aber ein Matrose, der zufällig und ohne von Hummer dazu aufgefordert zu sein, mit nach Neuwerk gefahren ist, um seine Mutter zu besuchen, erzählte meinem Vater, der Rentmeister sei lange, bis die Ebbezeit ablief, bei Laurentius geblieben, habe heftig mit ihm gesprochen ihn zu trösten versucht und ihm den Vorschlag gemacht, Neuwerk zu verlassen und mit ihm nach Amerika oder wo anders hin zu gehen.«

Paul sann einen Augenblick scharf nach. »Das ist abermals etwas Neues und Wichtiges!« sagte er, wie zu sich. – »Nun aber wollen wir einmal den Laurentius außer Acht lassen,« fuhr er nach einer Weile fort. »Der Rentmeister ist also auch bei Ihnen gewesen?«

»Ja,« flüsterte Friede und ließ das Köpfchen wie eine eingeschüchterte Taube hängen

»Seien Sie aufrichtig,« ermahnte sie Paul, »und verbergen Sie mir nichts, was Ihnen bekannt ist. Ich muß Alles erfahren, was Sie von ihm wissen oder denken, denn es ist meine Pflicht, die genauesten Forschungen über diesen Mann anzustellen.«

»Ach,« fuhr Friede seufzend fort, »mein Vater hat Ihnen ja schon gesagt – er erzählte es mir, als Sie fort waren – warum der Rentmeister bisweilen zu uns kommt, jetzt freilich seltener als sonst.« »Ja, er kam Ihretwegen hierher, ich weiß es, und erwies sich gegen Sie aufdringlich, nicht wahr?«

»Ja, das that er, auch diesmal sogar,« lachte Friede freimüthig, »obgleich ich ihm ein für alle Mal meine Meinung gesagt. Lieben kann ich den Mann nicht, das ist ja ganz klar, da ich einen Anderen liebe, der mir viel würdiger erscheint als er – aber leider kann ich ihn nicht einmal achten.«

»Warum nicht? Was haben Sie an ihm auszusetzen?« »Weil er ein verliebter Geck ist und weder mich, meinen Vater, noch den Capitain Hardegge mit ungerechten Vorwürfen verschont. Wir würden noch einmal zu bereuen haben, hat er neulich gesagt, daß wir ihn so schnöde – so nannte er es – von der Hand gewiesen. Er sei ein zuverlässiger Freund für Den, der es ehrlich mit ihm meine, aber ein gefährlicher Feind, wenn man sich ihm hartnäckig widersetze.«

»Aber was kann er Ihnen und Ihrem Vater denn anhaben?«

»Ich weiß es nicht, aber geschadet hat er uns schon genug dadurch, daß er meinem Vater die Pachtung von Betty's Ruh nahm. Aber dergleichen Drohungen spricht er oft in's Blaue hinein aus, wenn er in Leidenschaft geräth, und das geschieht bei ihm gar leicht, denn er ist ein jähzorniger Mann, so sanft und weich er sich oft stellt, und Niemand mag ernstlich mit ihm anbinden, weshalb Viele ihm ganz aus dem Wege gehen.«

»Hegt er denn wohl eine wirkliche Neigung zu Ihnen?«

Friede schwieg eine Weile, dann schaute sie hastig auf und sah Paul ehrlich mit ihren blauen Augen an. »Das glaube ich nicht, obwohl es so scheinen mag, da ich doch kein vermögendes Mädchen bin und der Rentmeister ein habsüchtiger und geldgieriger Mensch ist, was alle Welt weiß. Namentlich seine Untergebenen erzählen davon genug. Er behält sein so leicht verdientes Geld nur zu gern im Kasten und zahlt kaum den Lohn, den seine Arbeiter rechtlich beanspruchen können. Fragen Sie nur die Leute einzeln und auf's Gewissen aus und Sie werden bald erfahren, daß auch nicht Einer für ihn das Wort nimmt.«

»So. Auch das ist mir neu. Er ist also auch geizig?« fragte Paul lächelnd.

»Sie können ganz ernst dabei bleiben,« versetzte Friede mit steigender Lebhaftigkeit, »denn auch ich meine es sehr ernst. Allerdings ist er geizig, habsüchtig und nur auf seinen eigenen Vortheil bedacht. Das geht aus allen seinen Reden und Handlungen hervor, und darum glaube ich auch, daß er nicht aus Liebe oder Freundschaft zu Laurentius Selkirk nach Neuwerk geht, sondern eben um seines eigenen Vortheils willen; und wenn die Leute unter sich darüber reden und ihre Meinungen austauschen, ist mir immer zu Muthe, als ob irgend ein wichtiger Grund vorhanden wäre, der die Verbindung dieser beiden Männer unterhält und als ob der Gewinn derselben allein auf Seiten des Rentmeisters läge, wenn sie durch nichts getrübt wird.«

Paul erhob sich. Er glaubte über diesen Punct vor der Hand genug gehört zu haben. »Hören Sie, Friede,« sagte er, »ich danke Ihnen für Ihre freundliche Mittheilung. Nun zu etwas Anderem. Ich muß nach dem Feuerschiff zu Capitain Hardegge hinüber, mit ihm über diesen Laurentius sprechen und dann diesen selbst aufsuchen, wenn er noch auf Neuwerk ist. Wie können wir das am leichtesten erfahren? Haben Sie in Ihrem kleinen Signalbuch – ich meine Ihre Privattelegraphie, von der Sie mir neulich erzählten – vielleicht die Mittel, den Capitain gleich jetzt darüber zu befragen?«

Friede hatte sich auch erhoben und trat jetzt an einen kleinen Tisch, aus dessen Schubfach sie ein kleines Buch hervorzog, in dem sie blätterte. Nach längerer Forschung erhob sie den Kopf wieder zu Paul und sagte: »Nein, darauf bin ich nicht vorbereitet und so bestimmte und Personen bezeichnende Signale haben wir bis jetzt noch nicht. Bis morgen aber kann ich sie mir verschaffen, da ich blos einen Brief an Capitain Hardegge zu schreiben und ihn von Ihrem Begehren in Kenntniß zu setzen brauche.«

Paul dachte rasch nach. »Gut,« sagte er, »wie lange dauert es wohl, bis ein Bote von hier nach dem Feuerschiff segelt und die Antwort wieder in unsere Hände liefert?«

Friede sprang an's Fenster und sah nach dem Winde hinaus. Dann kehrte sie zu Paul zurück und sagte: »Wir haben zwar Fluth, aber der Ostwind weht frisch und begünstigt trotzdem die Fahrt. Draußen an der Kugelbaake ankern gerade Helgoländer Fischer, die wahrscheinlich bis zur Ebbezeit hier bleiben, um dann um so rascher nach ihrer Insel zu kommen. Sie erwarten auch noch Ladung von Cuxhafen her, wohin einer ihrer Gefährten hinabgegangen ist. Ich habe schon heute Morgen mit einem von ihnen gesprochen, da er uns frische Seezungen gebracht hat. Wenn der Mann sich dazu bereit finden läßt und sich beeilt, so braucht er vielleicht eine Stunde nach dem Feuerschiff und eine zurück. Wenn Philipp meinen Brief schnell beantwortet, und daß er es thue, kann ich ihm ja in meinem Brief sagen, zumal wenn ich ihn durch meine Signale darauf vorbereite, so können wir in drei Stunden seine Antwort in unsern Händen halten, wobei freilich nicht die Zeit gerechnet ist, die ich oder Sie zu dem Briefe gebrauchen, den das Boot überbringen soll.«

Paul sah nach der Uhr, es war noch nicht Acht.

»Dann wollen wir sogleich alle Beide schreiben,« sagte er hastig. »Geben Sie mir Papier und Tinte, ich werde Capitain Hardegge selbst meinen Wunsch aussprechen.

Schreiben Sie, was Sie wollen, vor allen Dingen aber bitten Sie ihn, sich zu beeilen und mir meine Fragen so kurz wie möglich nach bestem Wissen zu beantworten. Meine Fragen an ihn lauten ganz einfach: ›Ist Laurentius Selkirk noch auf Neuwerk? Wann kann ich Sie auf dem Schiff besuchen, um nöthigen Falls Selkirk selbst zu sprechen? Es ist Eile nöthig und Niemand darf von meinen Nachforschungen etwas erfahren.‹ Das ist Alles, was ich ihm zu sagen habe.«

»Ich weiß auch schon, was ich ihm schreibe!« rief Friede, von dieser Briefsendung, die so unverhofft gekommen war, freudig ergriffen, »und ich werde ihn bitten, bis morgen mein Signalbuch zu vervollständigen, damit wir, wenn es Noth thun sollte, ihn künftig rascher um Rath befragen können.«

»Thun Sie das, ich bin damit einverstanden.«

Zwei Minuten später saßen Beide am Tisch und faßten hastig ihre kurzen Briefe ab, und als sie dieselben beendet, legten sie sie in ein Couvert, siegelten es zu und nun begaben sie sich über den steinernen Damm zur Kugelbaake, in deren Nähe zwei große Helgoländer Fischerboote vor Anker lagen, die geduldig den Anfang der Ebbezeit abwarteten, um nachher um so bequemer ihre Reise antreten zu können.

»Hans Rogge!« rief Friede den ihr bekannten Fischer an, der schon auf sein Deck getreten war, als er sie mit ihrem Begleiter nach der Kugelbaake kommen sah, »wollt Ihr Euch ein paar Mark durch eine Bootfahrt verdienen?«

»Gern,« antwortete der gefällige Helgoländer, »für Sie thue ich Alles, Jungfer. Wo soll ich hinsegeln?«

»Nach dem ›Jacob Hinnerich‹ und Capitain Hardegge diesen Brief bringen. Ihr müßt aber auf Antwort warten und sie gleich wieder zurückbringen, der Herr hier wartet darauf.«

»Ihr erhaltet vier Mark von mir, wenn Ihr die Antwort sicher zurückbringt,« erläuterte Paul.

Der Fischer lachte mit beiden Backen und entgegnete: »Für sechs thue ich es lieber!«

»So sollt Ihr sechs haben; aber löst Eure Jolle schnell ab und holt Euch den Brief.«

Während der junge Helgoländer seine Jolle mit einigen Riemenschlägen der Kugelbaake näherte und hier den Brief empfing, hatte ein älterer Mann schon die Segel des großen Bootes gelöst, die sich nun rasch entfalteten, als der junge Mann wieder an Bord kam und den Anker hob. »Habe ich weiter nichts auf dem ›Jacob Hinnerich‹ zu thun?« fragte er noch einmal zurück.

»Weiter nichts, nur müßt Ihr Euch beeilen.«

Ohne ein Wort zu sprechen und nur mit dem Kopfe nickend, nahm der Fischer seinen Platz am Steuer ein und eine Secunde darauf schoß das Boot in den Wind, so hurtig und frisch, daß man, nach dem schnellen Anfang zu urtheilen, keine allzu lange Fahrt befürchten zu dürfen glaubte. Paul und Friede sahen ihm eine Weile nach, dann nickten sie sich befriedigt zu und schritten langsam nach dem Hause zurück.

»Nun wollen wir meinem Vater einen Guten Morgen sagen,« nahm Friede wieder das Wort, »und dann dem Capitain Hardegge einen Wink geben, daß er die Augen aufmachen und sich sputen möge. Da können Sie gleich einmal mit eigenen Augen sehen, wie trefflich unser Telegraph spielt.« –

Als Beide die Laternenkammer erreicht hatten, wo Friede's Vater die Gläser reinigte und seine Lampen in Ordnung brachte, war dieser nicht wenig erfreut, den jungen Fremden wieder bei sich zu sehen, der einen so tiefen Eindruck auf ihn und seine Tochter gemacht und der ihnen so reichen Stoff zu lebhaften Unterhaltungen geboten hatte. Der ehrliche Mann kam Paul mit lächelndem Gesicht entgegen und rief ihm herzlich zu:

»Guten Morgen, mein lieber Herr Baumeister! O, ich habe Sie schon gesehen, als Sie mit Friede nach der Kugelbaake gingen. Wie geht es Ihnen und was macht der Herr Professor?«

Paul beantwortete diese Fragen freundlich und theilte ihm dann in wenigen Worten die eben eingeleitete Unternehmung mit.

»Aha,« entgegnete er, »ich verstehe. Sie wollen also telegraphiren. Na, da will ich Ihnen nur mein bestes Glas zurechtmachen, damit Sie auch Capitain Hardegge's Signal sehen können. Man muß darin etwas geübt sein, denn so gut die Gläser sind, die Entfernung ist doch ein wenig weit. – Bist Du schon fertig mit Deinen Flaggen, Friede?« fragte er diese, die sich unterdeß bei Seite mit dem Hervorsuchen verschiedener Flaggen beschäftigt hatte.

»Ja, und nun kommen Sie auf den Balcon, Herr Baumeister, und fassen Sie den ›Jacob Hinnerich‹ scharf in's Auge. Sie werden gleich sehen, was für eine Wirkung meine Zeichen an Bord üben.«

Paul trat mit Friede auf den Balcon hinaus, der nach Westen sah, also durch das Haus selbst vollkommen gegen den Ostwind geschützt war. Friede stellte sich an das äußerste linke Ende desselben und schwang zwei weiße Flaggen mit beiden Händen lebhaft in der Luft.

Paul hatte das große, von Whistrup selbst gestellte und befestigte Fernglas vor Augen und schaute mit froher Erregung über die ungeheure Wasserfläche hin, die, vom goldenen Schimmer der Sonnenstrahlen übergossen, in tanzender Bewegung vor ihm lag, denn der Ostwind war noch frischer geworden und regte schon in naher Ferne die Wogen zu ganz artig emporsteigenden Wasserhügeln auf. Da faßte sein Auge den ruhig vor Anker liegenden ›Jacob Hinnerich‹ auf, der mit seinem Buge dahin wies, wohin die Fluth ging, also nach Cuxhafen zu. Das feuerfarbige Roth des großen Schiffes war grell von der Sonne beleuchtet und Paul konnte deutlich die drei Masten mit ihren Raaen erkennen, an deren mittlerem auf dem Top eine rothe Flagge wehte, die in der Mitte ein weißes Quadrat zeigte.

Alles schien still und ruhig an Bord zu sein; als aber Friede etwa fünf Minuten mit ihren Flaggen geweht, ging etwas Neues darauf vor, denn plötzlich stieg ein weißer langer Wimpel am vordersten Mast in die Höhe und eben wollte Paul dies Signal verkünden, als Friede ruhig fragte:

»Sehen Sie noch nichts?«

»Ja, am vordersten Mast ist eben ein lang hin flatternder Streifen weißen Tuches sichtbar geworden.«

»Aha,« rief Friede erfreut, »das heißt nach unserm Signalbuch: Ich habe Dein Zeichen bemerkt, fahre fort, ich gebe Acht!«

Schnell nahm sie nun die beiden Flaggen und hielt sie unmittelbar über einander, ohne sie weiter wie vorher zu bewegen.

»So,« sagte sie, »das ist Alles, was ich ihm jetzt zu sagen brauche.«

»Was bedeutet denn dieses einfache Zeichen?« fragte Paul.

»Es bedeutet: daß er die Augen aufmachen solle, da eine Botschaft von Wichtigkeit unterwegs sei, und daß er dieselbe nicht in den Wind schlagen dürfe. Da er nun auch schon den Helgoländer bemerkt haben wird, der vorher an der Kugelbaake gelegen, so weiß er, daß dieser ihm wahrscheinlich Botschaft bringt. – Hat der ›Jacob Hinnerich‹ noch den weißen Wimpel am Vormast aufgesteckt?«

»Nein, eben zieht er ihn ein!«

»Dann ist es gut, dann können wir unsere Flaggen auch einziehen, denn nun weiß er, was er wissen soll. Das Einziehen seines Wimpels bedeutet, daß er mich verstanden hat und meinen Wink befolgen wird. – O, sehen Sie doch, wie weit Hans Rogge schon vorgerückt ist! Die Helgoländer bauen doch wirklich vortreffliche Segler – er hat gewiß schon die Hälfte seines Weges zurückgelegt –«

»Dann braucht er aber bei weitem keine Stunde,« erwiderte Paul.

»O doch, es geht nicht immer so rasch. Machen Sie sich dreist auf drei Stunden gefaßt, so lange müssen Sie nun schon bei uns aushalten.«

»Das ist von Anfang an meine Absicht gewesen, Friede, und ich habe mit Ihnen und Ihrem Vater noch Vieles abzumachen, was einen guten Theil von diesen drei Stunden ausfüllen wird.«

»Dann werde ich ein paar Stühle heraufbringen lassen, damit wir uns hier setzen und gemächlich unterhalten können, denn Sie werden doch für's Erste unseren Boten im Auge behalten und sehen wollen, was an Bord vorgeht, wenn der Brief in Capitain Hardegge's Hände gelangt ist, nicht wahr?«

»Das möchte ich allerdings sehen, wenn überhaupt etwas davon zu sehen ist.«

»Das kann man nicht wissen,« versetzte Friede. »Wenn der Capitain nicht bestimmt weiß, ob der Laurentius auf Neuwerk ist, so sendet er sein eigenes Boot hinüber, und da er jetzt gerade Fluthzeit hat, so ist das leicht abgethan. Ob dies nun geschieht, das können Sie von hier aus genau erkennen und darum eben wollen wir oben bleiben.«

Friede's Voraussetzung erwies sich als richtig, und um das Gespräch, welches sich alsbald zwischen den drei Personen in der Laternenkammer entspinnen sollte, nicht zu unterbrechen, wollen wir gleich hier bemerken, daß unmittelbar nach Ankunft des Helgoländer Bootes beim Feuerschiff, die Schaluppe desselben in See gelassen, bemannt wurde und sofort ihren Cours nach dem nahen Neuwerk nahm. Kaum eine Viertelstunde aber hatte dieselbe nur an der Insel gelegen, so schoß sie wieder nach dem ›Jacob Hinnerich‹ zurück, und nun dauerte es etwa noch eine halbe Stunde, bis der Helgoländer seine Depesche empfangen haben mußte, denn um diese Zeit verließ er das Feuerschiff und trat mit der noch immer vorhandenen Fluth seine Rückkehr nach der Kugelbaake an, die allerdings durch den nun gegen ihn anströmenden Wind etwas verzögert wurde, da das sonst vortrefflich in den Segeln liegende Boot sich auf mehrfache Kreuzungen einlassen mußte. Dennoch kam es allmälig dem Lande näher und nach drei und einer Viertelstunde, seitdem es seinen Ankerplatz an der Kugelbaake verlassen, warf es daselbst wieder den Anker aus und Hans Rogge brachte seine versiegelte Depesche selbst nach dem Leuchtfeuerhause, deren Inhalt wir zu seiner Zeit erfahren werden.

Unterdeß war bald nach dem Einziehen der auf dem Balcon ausgesteckten Flaggen der Laternenwärter mit seiner Arbeit fertig geworden, und während nun Paul und Friede dicht am Fenster auf Stühlen Platz nahmen, um von Zeit zu Zeit die Wasserfläche bis zum Feuerschiff zu überschauen, blieb Whistrup selbst neben seiner blitzenden Laterne stehen und richtete sein gutmüthiges Gesicht erwartungsvoll auf Paul, da dieser sich jetzt offenbar anschickte, ihm und seiner Tochter etwas von Bedeutung mitzutheilen. Er hatte sich darin auch nicht geirrt.

»Mein lieber Herr Whistrup,« begann Paul seine Rede, »damit Sie wissen, was ich bisher mit Ihrer Tochter verhandelt habe und weshalb ich heute hierhergekommen bin, so will ich Ihnen sagen, daß wir über den Rentmeister Hummer gesprochen, daß Ihre Tochter mir Ihre neulichen Mittheilungen über ihn vervollständigt und daß ich mich sodann genauer nach Laurentius Selkirk erkundigt, weshalb wir auch so eben eine denselben betreffende Anfrage an Capitain Hardegge gerichtet haben. Ich komme auf Beide vielleicht später noch einmal zurück, jetzt aber will ich von etwas Anderem reden und zwar zunächst von Ihrem Wunsch, einmal die Pachtung von Betty's Ruh zu übernehmen, wenn Herr Hummer, was vorauszusehen, bald seinen Vorsatz ausführt und nach Amerika oder Java geht.«

Der Laternenwärter machte große Augen und Friede's Gesicht übergoß eine dunkle Freudenröthe. Dieser Punct war ja ein Hauptpunct in ihrem Leben und gerade darüber hatten sie am häufigsten mit einander gesprochen, seitdem Paul ihnen seinen Einfluß in dieser Angelegenheit versprochen hatte.

»Ich habe diesen Ihren Wunsch nicht vergessen,« fuhr der Redende mit einem freudigen Beben der Stimme fort, »und Ihnen in der That neulich nicht mehr verheißen, als ich wirklich halten kann. Zur Sache denn. Ja, ich habe mit meinem Onkel darüber alles Nothwendige abgehandelt und er hat mir Vollmacht gegeben –«

Er konnte nicht weiter sprechen, denn das Aussehen von Vater und Tochter machte ihn stumm und rief ein heiteres Lächeln auf seinem Gesicht hervor. Denn kaum hatte er das Wort ›mein Onkel‹ ertönen lassen, so sahen sich Beide wie von einem blitzartigen Schreck getroffen an und gaben in dem Ausdruck ihrer Mienen ein fast maaßloses Erstaunen kund.

»Ihr Onkel?« fragte Friede endlich stammelnd. »Wer ist denn das?«

»Mein Onkel ist der gegenwärtige Besitzer von Betty's Ruh,« erwiderte Paul mit möglichster Ruhe.

»Der Herr Professor?« schrie Whistrup auf.

»Ja, der Professor Casimir van der Bosch ist mein Onkel, und ich, Paul van der Bosch, bin sein Neffe und habe Ihnen also neulich nicht die Unwahrheit gesagt, als ich mich den Baumeister Paul nannte, denn Baumeister bin und Paul heiße ich.«

»Ach Du lieber Gott!« rief Whistrup und wandte sein verlegenes Gesicht seiner Tochter zu.

»Siehst Du wohl, daß ich Recht hatte! Nun wissen wir ja, warum mir der Herr gleich von Anfang an so aufgefallen ist, jetzt wird uns die Erklärung zu Theil. Es ist die Aehnlichkeit, Herr, die Sie mit dem verstorbenen Herrn van der Bosch haben, und diese ist ja nichts Absonderliches, wenn Sie mit ihm verwandt sind.«

»Freilich,« entgegnete Paul, »ich bin auch Quentin van der Bosch's Neffe, wie ich des Professors Neffe bin, denn Beide waren ja Brüder, obgleich Quentin und mein Vater nur Stiefbruder waren. Die Aehnlichkeit aber ist Ihnen nicht allein aufgefallen, auch der Rentmeister und der Gärtner Barker haben sie entdeckt, und sogar der Kutscher Louis hat mir darüber wiederholt seine Verwunderung geäußert.«

»Aber Du lieber Gott,« nahm nun Friede das Wort, »dann habe ich Sie gar sehr um Entschuldigung zu bitten, Herr van der Bosch. O, o, wie leid thut mir das!«

»Was thut Ihnen denn leid?«

Friede war ganz blaß geworden und rang ihre niedlichen Hände krampfhaft in einander. »Daß ich so vorlaut war – ich nannte es damals offenherzig – und Ihnen Ihren Onkel als Geizhals geschildert habe.«

Paul lächelte freundlich und reichte dem jungen Mädchen vertraulich die Hand. »Lassen Sie sich das nicht leid thun,« sagte er. »Sie haben mir mit Ihrer Erzählung von Betty's Ruh sogar sehr wohl gethan und mich auf viele Dinge aufmerksam gemacht, die ich, ohne von Ihnen vorbereitet zu sein, vielleicht nicht so bald in Erfahrung gebracht hätte. Indessen haben Sie meinen Onkel doch mit Unrecht geizig genannt, denn im gewöhnlichen Sinne des Worts ist er es durchaus nicht. Nein, nein, er ist es nicht, mir können Sie es glauben, und das war das Einzige, was ich an Ihrer neulichen Aussage bezweifelte. Allerdings hat er den luxuriösen Haushalt, den er vorgefunden, bedeutend eingeschränkt, er hat die meisten Diener entlassen, er hat Wagen und Pferde verkauft, allein – und nun merken Sie wohl auf – er hat dies Alles thun müssen, von den Umständen dazu gezwungen, da er nicht die Mittel in Besitz hat, über die sein Bruder Quentin gebot.«

»Wie?« rief Whistrup verwundert aus, »er hat nicht die Mittel im Besitz, die der verstorbene Herr van der Bosch besaß? Ist er denn nicht sein Erbe geworden?«

»Ja wohl ist er sein Erbe geworden, aber –, und nun erweise ich Ihnen ein großes Vertrauen, mein lieber Whistrup, und Ihnen, Friede – er hat zwar das schöne Gut, das herrliche Schloß mit vielen Kostbarkeiten geerbt, indessen – das baare Vermögen ist nicht vorhanden gewesen, welches Sie und Jedermann bei ihm vermutheten, und mein Onkel hat nur einundvierzigtausend Thaler vorgefunden, mit denen er, wie Sie nun selbst einsehen werden, einen so kostbaren Haushalt, wie sein Bruder geführt, nicht bestreiten konnte.«

Whistrup war bei dieser Mittheilung ganz bleich geworden und sah seine Tochter erschrocken an, wie diese auch ihn ansah. »Aber mein Gott,« rief er fast angstvoll, »wo ist denn das ungeheure Vermögen geblieben? Der verstorbene Herr war ja, wie überall bekannt, ein Millionair!«

»Alle Welt hat sich entweder darin geirrt,« fuhr Paul langsam redend fort, »oder – es ist ein unerhörter Betrug begangen, denn, wie gesagt, außer einundvierzigtausend Thalern in Staatsund Eisenbahnpapieren, ist kein Geld in dem eisernen Schrank des Verstorbenen zu finden gewesen.«

»Das ist ja nicht möglich, Herr, wer sollte denn einen so ungeheuren Betrug verübt haben?« fragte Whistrup mit fast thränenden Augen.

»Irgend ein Mensch,« sagte Paul mit eiserner Ruhe, »und diesen Menschen zu entdecken, das ist jetzt meine Aufgabe.«

Whistrup und seine Tochter waren so betroffen, ja, bestürzt, daß sie kein Wort hervorbringen konnten. Sie sahen sich nur von Zeit zu Zeit wie versteinert an und schüttelten die Köpfe, als könnten sie das eben Gehörte nicht sogleich in seinem ganzen Umfange begreifen.

»Die Sache ist sehr verwickelt,« fuhr Paul fort, »und wenn der Zufall mir nicht hilft, werde ich viel Zeit gebrauchen, sie zu ordnen und den wahren Thatbestand zu entdecken. Mein Onkel Quentin hat seinem Erben, dem Professor, leider keine Mittheilung über sein Vermögen gemacht; nach der eigenen Aussage des Erblassers weiß auch der Rentmeister nichts davon, die Gerichte haben ebenfalls keine Aufklärung geben können, und so ruht die ganze Angelegenheit im tiefsten Dunkel und es sind nur trübe und unsichere Muthmaßungen, die man über den Verbleib des wahrscheinlich einst vorhandenen Vermögens aufstellen kann. Zu diesem Zweck – und nun erweise ich Ihnen abermals ein großes Vertrauen – habe ich mich bei Ihnen nach den Verhältnissen des Rentmeisters und des Laurentius Selkirk erkundigt, zu diesem Zweck will ich Letzteren selbst aufsuchen, und Sie sehen also ein, wie wichtig es ist, daß mein Unternehmen geheim gehalten werde und Niemand als Sie ein Wort davon erfahre.«

»Ja, ja, ja,« sagte Whistrup mit zitternden Lippen, »das sehen wir ein, Herr van der Bosch, und ich versichere Ihnen mit einem heiligen Eid, daß über unsere Lippen kein Wort kommen soll, was diese Ihre wichtige Unternehmung betrifft.«

»Dann bin ich zufrieden.«

»Erlauben Sie,« unterbrach ihn Friede mit glühendem Gesicht, »darf ich auch dem Capitain Hardegge nichts davon mitheilen? Er ist so sicher wie wir, Herr, und seine Hülfe dürfte sich unter Umständen nicht ganz unnütz erweisen.«

Paul sann einen Augenblick nach, dann sagte er: »Wenn Sie des Capitains sicher sind, so theilen Sie ihm Alles mit. Ich würde ihm vielleicht aus eigenem Antriebe meine Lage vertraut haben, wenn er hier gewesen wäre. – Doch das war noch immer nicht die Hauptsache, weshalb ich heute mit Ihnen sprechen mußte,« fuhr Paul wieder mit heitererem Gesicht fort. »Ich habe vielmehr jetzt über Ihre eigenen Verhältnisse zu reden und von Seiten meines Onkels eine Frage an Sie zu richten, die Sie – Sie ganz allein beantworten können und um deren augenblickliche Beantwortung ich Sie bitten muß.«

Whistrup und seine Tochter unterhielten wieder eine stumme Mienensprache. Ihr Herz war so bewegt, daß sie nicht viel hätten reden können. Sie nickten sich und Paul nur wiederholt zu und endlich sagte Whistrup halb stammelnd: »Ach Gott, Herr, fragen Sie nur, ich werde antworten, so gut ich kann, aber Alles, was Sie mir heute sagen, ist so ungeheuer wichtig und bedeutungsvoll, daß ich mich kaum zu fassen und darein zu finden weiß.«

»So erholen Sie sich erst,« sagte Paul, »und unterdeß werde ich nach dem Helgoländer aussehen – Ha, er liegt noch immer dicht bei dem ›Jacob Hinnerich‹!« rief er, nachdem er wieder durch das Glas gesehen. Als er aber dann zu Vater und Tochter zurückkehrte, die mit beklommener Brust auf ihrem alten Fleck standen und saßen, sprach er weiter; »Nun lassen Sie mich aber fortfahren, ich habe noch reichen Stoff vor mir, bis unser Bote wiederkommt. Also vorwärts. Sie erinnern sich, lieber Whistrup, daß ich Ihnen versprach, an Sie zu denken, wenn einmal eine Aenderung in den Pachtverhältnissen meines Onkels vor sich gehen sollte, nicht wahr? Nun denn, diese Aenderung steht nahe bevor. Der Rentmeister hat meinem Onkel die Pacht zum ersten October dieses Jahres gekündigt und dieser es angenommen und mir die Wiederbesetzung der Stelle übertragen. Da bin ich nun natürlich des Ihnen gegebenen Versprechens eingedenk gewesen und habe auf Sie gerechnet. Nach Ihrem Leumund, das sage ich Ihnen offen, habe ich mich bei Niemanden erkundigt und nur der Zufall hat mir die Meinung eines ehrlichen Mannes verschafft, und diese lautet günstig für Sie. Ich verlasse mich bei Ihnen allein auf Ihr ehrliches Gesicht. Sie haben mir Vertrauen eingeflößt und ich denke, mich nicht in Ihnen zu irren. Wenigstens wollen wir es einige Jahre mit einander versuchen, wenn Sie meinen Vorschlag annehmen. Wohlan denn, wollen und können Sie die Pachtung der Ländereien von Betty's Ruh am ersten October dieses Jahres antreten, so sagen Sie Ja und fügen Sie die Bedingungen hinzu, unter welchen Sie sie annehmen zu dürfen glauben.«

Der gute Laternenwärter, dem lange keine so süß tönenden Worte in den Ohren geklungen, taumelte beinahe gegen die Laterne, neben der er stand. Sein Gesicht nahm einen unbeschreiblichen Ausdruck von Freude, Ueberraschung und Glückseligkeit an, und indem er nur einen raschen, frohlockenden Blick auf die schwer athmende Friede warf, rief er mit kurz hervorgestoßenen Worten:

»Wie, Herr, ich armer, vom Schicksal bedrängter Mann, sollte wirklich noch so glücklich sein, Pächter von Betty's Ruh zu werden?«

»Es liegt wenigstens in Ihrer Hand,« erwiderte Paul ruhig. »Ich erwarte also ein Ja oder ein Nein.«

»Ach Du lieber Gott, Herr, wie kann es denn da ein Nein geben? Es wäre ja meine höchste Seligkeit auf Erden, wenn ich Pächter von Betty's Ruh würde.«

»Das heißt also, Sie nehmen meinen Vorschlag an, nicht wahr?«

»Ja, ja, Herr!« schrie Whistrup laut auf und stürzte auf Paul los, dessen Hand er mit seinen zitternden Händen ergriff.

»Lassen Sie es gut sein, und auch Sie, Friede, beruhigen Sie sich. Sie bereiten mir mit Ihrer Annahme eben so viel Freude, wie ich Ihnen mit meinem Angebot. Die Sache ist ja nun abgemacht, wenn Ihre Bedingungen mir genehm sind. Diese aber müssen Sie jetzt deutlich und klar aussprechen, und dann wollen wir nachher unsern schriftlichen Contract entwerfen.«

»Die Bedingungen, Herr?« fragte Whistrup mit freudestrahlenden Augen. »O ja, die will ich Ihnen nennen. Ich habe schon oft erklärt und erkläre noch jetzt, daß ich gern sechstausend preußische Thaler jährlicher Pacht für Betty's Ruh zahlen will und kann, aber für das erste Jahr würde es mir nur mit fünftausend möglich sein, da ja viele Unkosten mit der neuen Einrichtung und dem Inventarium verbunden sind, wozu ich mir freilich – Gott sei Dank! – achttausend Mark gespart habe. Wenn Sie also mit fünftausend Thalern für das erste Jahr zufrieden sind –«

»Still!« sagte Paul. »Kein Wort weiter, die Sache ist abgemacht. Fünftausend Thaler für das erste Jahr, und das Uebrige wird sich nach Ihrem eigenen Ermessen finden. Sie sollen von uns auf keine Weise gedrückt werden. Nun haben Sie mir Ihre Bedingungen gestellt und ich stelle Ihnen auch die meinigen. Sie heißen: Treue, Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit in unserm gegenseitigen Verkehr! Sie gehören von diesem Augenblick an zur Familie meines Onkels, also auch zu meiner Familie. Alle Ihre übrigen Vorkehrungen treffen Sie bei Zeiten, nur wäre es mir lieb, wenn Sie noch einige Zeit Stillschweigen darüber beobachten wollten, da es ja nicht nöthig ist, daß alle Welt unsere neue Verbindung kennt. Sie verstehen mich.«

»Ja, ja,« erwiderte Whistrup und lief, die Hände über dem Kopf zusammenschlagend, in der kleinen Kammer auf und ab, als wäre er ganz außer Stande, sein neues Glück zu fassen. Friede dagegen, das sonst so heitere Mädchen, brach in einen lauten Thränenstrom aus. Sie hatte Paul's Hand ergriffen und sprach ihre Dankbarkeit nur durch Blicke aus, denn auch sie fand eben so wenig Worte wie ihr überglücklicher Vater.

Nach einer Weile aber sah Paul diese seligen Menschen, die er schon lange mit herzlichem Antheil betrachtet, fragend an: »Whistrup,« sagte er, »und Sie, Friede, sind Sie nun ruhig und besonnen genug, daß Sie wieder in Ihr alltägliches Leben zurückkehren können!«

»Ja, Herr van der Bosch, wir sind es!« riefen Beide mit einem Athem.

»So ist es gut, dann kommen Sie hinab. Ich sehe eben, daß unser Helgoländer Bote wieder unterwegs ist und daß wir ihn in einer Stunde hier erwarten können. Es ist jetzt gleich halb elf Uhr. Lassen Sie mich etwas essen und geben Sie mir ein Glas Wein. Dabei können wir unsern neuen Bund einweihen und außerdem den Contract besprechen. Wollen Sie das?«

Whistrup nickte, während Friede schon die Treppe hinuntersprang, um das Nothwendige zum Frühstück zu veranlassen. Als Paul nach einer Weile mit seinem neuen Pächter in das schmucke untere Zimmer trat, fand er das Gewünschte schon vor und nun setzten sich die drei Personen um den Tisch, da sie wohl Alle nach ihrer großen Gemüthsbewegung einer leiblichen Stärkung bedurften.

Während des Essens besprachen sie ihren Contract und nach demselben entwarf ihn Paul schriftlich, um eine Abschrift davon mit nach Hause zu nehmen und mit seinem Onkel und dem Gärtner Barker darüber zu reden. Späterhin wollten sie ein noch genaueres Abkommen treffen, aber das Vorläufige war geschehen und beide Theile waren zufrieden damit, obgleich Whistrup und seine Tochter den ganzen Morgen in einer Gemüthsverfassung blieben, die sie nicht recht zur klaren Einsicht des Vorliegenden gelangen ließ.

Gegen halb zwölf Uhr endlich näherte ein schwerer Schritt sich der Thür des Zimmers, in welchem die drei Personen noch immer saßen, und bald darauf trat Hans Rogge, der Helgoländer, ein, um seine Depesche getreulich abzuliefern, die Capitain Hardegge ihm eingehändigt hatte. Paul dankte ihm freundlich für den geleisteten Dienst und ging bei der Bezahlung desselben noch über den bedungenen Preis hinaus, was dem jungen Fischer ein freudiges Grinsen entlockte. Als er das Leuchthaus wieder verlassen, um bei sogleich beginnender Ebbe nun endlich die Fahrt nach der heimatlichen Insel anzutreten, öffnete Friede den Brief ihres Bräutigams, denn an sie war die Adresse desselben gerichtet. Capitain Hardegge aber schrieb folgende Worte:

»Meine liebe kleine Friede! Ich danke für Deine freundlichen Grüße und sende sie Dir eben so herzlich zurück. Ich bitte mich auch dem Herrn Baumeister angelegentlich zu empfehlen. Ich habe sogleich meinen Bootsmann nach Neuwerk gesandt und er hat Laurentius Selkirk selbst gesehen und von ihm gehört, daß er für's Erste gar nicht daran denkt, seinen Zufluchtsort zu verlassen. Was den Besuch des Herrn Baumeisters auf dem ›Jacob Hinnerich‹ betrifft, so wird er mir jederzeit willkommen sein. Bei dem guten Wetter, welches gewiß noch einige Tage anhalten wird, habe ich wenig oder gar nichts zu thun, daher freue ich mich schon jetzt auf einen so seltenen Gast. Er wollte ja so gern einmal eine Nacht an Bord bleiben und dazu ist gerade jetzt eine günstige Zeit. Mag er also morgen gegen Abend bei mir eintreffen, und am nächsten Morgen, sobald gute Tide1 ist, will ich ihn entweder selbst nach Neuwerk bringen oder ihn durch meinen Bootsmann dahin bringen lassen. Um zwölf Uhr übermorgen Mittag kommt der Dampflootsenkutter von der rothen Tonne stromaufwärts und legt am ›Jacob Hinnerich‹ an, da der Lootsencommandeur Geschäftliches mit mir zu verhandeln hat. Mit dem Kutter kann der Baumeister nach Cuxhafen zurückfahren und ist dann spätestens um ein Uhr wieder an Land.

Ich grüße Dich und den Vater noch einmal herzlich und sehe mit Verlangen einiger Aufklärung entgegen, die Du mir über das Laurentius Betreffende noch schuldig bist.

1Gute Tide, das ist gute Zeit, also in der Seemannssprache gleichbedeutend mit: Fluthzeit.

Treu ergeben bis in alle Ewigkeit
Dein Philipp.«

»Das trifft sich ja herrlich!« rief Paul erfreut aus. »Kommen Sie, Friede, stoßen wir auf das Wohl Ihres treuen Philipp an. So! Er soll leben, und Sie mit ihm! Ich werde also morgen Nacht an Bord des ›Jacob Hinnerich‹ schlafen und übermorgen Mittag schon wieder zurück sein. Das ist mir lieb, meine Vorkehrungen werde ich zeitig treffen.«

»Soll ich Ihnen vielleicht ein Boot in Döse zu morgen Abend bestellen,« fragte Friede mit wieder ganz heiterem Gesicht, »damit Sie es hier gleich vorfinden und nicht lange darauf zu warten brauchen? Es kann sich ja an der Kugelbaake vor Anker legen.«

»Dieser Vorschlag kommt mir erwünscht. Ich werde um sechs Uhr morgen Abend hier sein und um Sieben absegeln, dann lege ich die Wasserfahrt noch bei Tage zurück. – Jetzt aber muß ich Sie verlassen; meine Zeit ist abgelaufen und ich habe meine Aufgabe erfüllt. Und nun leben Sie wohl, alle Beide. Gott behüte Sie, heute scheiden wir als noch bessere Freunde als neulich, nicht wahr?«

Whistrup sowohl wie seine Tochter schlugen herzhaft in die dargebotene Hand Paul's ein, und gleich darauf verließ er das Haus, von Beiden auf den grünen Deich begleitet, wo sie ihm wieder nachsahen, bis er ihren Augen entschwunden war.

Als Vater und Tochter aber in ihr Stübchen zurückgekehrt waren, fielen sie sich schluchzend um den Hals und weinten Beide ihren inneren Freudensturm aus. Als aber auch dieser Erguß vorüber, setzte Friede sich noch einmal zum Schreiben nieder und theilte im Drange ihres Herzens ihrem Philipp alles Hauptsächlichste mit, was sich an diesem bedeutungsvollen Morgen zwischen Herrn Paul van der Bosch und ihnen zugetragen hatte. Als Friede am Nachmittag mit diesem langen Briefe zu Stande gekommen war, setzte sie ihren Strohhut auf, nahm ein Tuch und schlug den Deichweg noch Döse ein. Hier suchte sie einen bekannten zuverlässigen Schiffer auf und händigte ihm den Brief ein, um ihn ohne Zeitverlust nach dem ›Jacob Hinnerich‹ hinausbringen zu lassen, da es ihr wünschenswerth schien, daß Capitain Hardegge von Allem unterrichtet sei, bevor Paul van der Bosch bei ihm eintraf, was diesem eine lange Mittheilung ersparte. Der Schiffer versprach, den Brief treulich zu besorgen, und eben so, am nächsten Abend um sechs Uhr an der Kugelbaake den ihm gemeldeten Herrn zu erwarten, um ihn nach dem Feuerschiff zu bringen, vor allen Dingen aber gegen Niemanden ein Wort darüber verlauten zu lassen.

Friede blieb an dem Deich bei Döse so lange stehen, bis der Schiffer mit dem in seiner Rocktasche verborgenen Brief sein Boot in See gehen ließ. Als sie es aber auf den blauen Wogen des Meeres tanzen und gleich einem Schwanz hurtig über die Wellen fliegen sah, sandte sie ihm erst tausend Grüße und Küsse nach, dann kehrte sie mit still frohlockendem Herzen nach dem friedlichen Hause ihres Vaters zurück, der ihr schon auf dem Deich entgegenkam. Der gute Mann konnte sich noch immer nicht in sein neues Glück finden, das ihm so unerwartet gekommen war, als wäre es ihm vom Himmel in den Schooß geworfen, und er fühlte das Bedürfniß, sein Kind in der Nähe zu haben, mit ihm von diesem unerhörten Glück zu sprechen, dann aber auch an den entsetzlichen Vorfall in Betty's Ruh zu denken, der ihm nahe ging und über den er eben so wenig klar werden konnte, wie Andere vor ihm, obgleich er mit Friede darin einverstanden war, daß an einem schändlichen Betruge hier nicht zu zweifeln sei und daß es dem Zufall oder dem Glück doch gelingen werde, dem Thäter auf die Spur zu kommen, dem Thäter – der seinen Raub ohne Zweifel so sicher ausgeführt und geborgen – oder es wenigstens gethan zu haben glaubte – daß kein Mensch, der nicht hinter die geheimnißvollen Schleier der Vergangenheit blicken konnte, im Stande war, denselben zu erkennen, geschweige denn zu ergründen, wie er wieder in die Hände des rechtmäßigen Eigenthümers zurückgebracht werden könne.


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