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Sechstes Kapitel.
Der Professor besucht seine Schülerin

Etwa um elf Uhr am nächsten Morgen war Paul mit seiner letzten Untersuchung fertig geworden und wie alle früheren hatte sie nicht das geringste Resultat geliefert. Mit der Meldung dieses Ausfalls trat er zur Frühstückszeit bei dem Onkel in den Saal ein, aber er ließ es sich deshalb nicht weniger gut schmecken, da er bereits am Tage vorher die Hoffnung aufgegeben hatte, irgend etwas Erwünschtes in den verschiedenen Räumen des Hauses zu finden. Als er sein letztes Glas Wein getrunken, rückte er sich mit Frau Dralling's Hülfe einen Tisch in der Bibliothek zurecht, an dem er von nun an ungestört arbeiten konnte, und sein Onkel versorgte ihn aus den nachgelassenen reichen Vorräthen seines Bruders hinreichend mit dem schönen Papier, worauf er, seitdem er in Betty's Ruh wohnte, seine eigenen Briefe zu schreiben pflegte. Eine Viertelstunde später saßen die beiden Männer schon bei der Arbeit, ihre Federn kritzelten lebhaft und ihre Aemsigkeit und Ausdauer war so groß, daß sie sogar die Speisestunde vergessen haben würden, wenn Frau Dralling nicht aufmerksamer als sie gewesen wäre.

Unmittelbar nach Tisch begab sich Paul wieder an die Arbeit, der Professor dagegen folgte verwundert einem stillen Winke der Haushälterin, die ihn aus dem Saal in's Freie zog und hier zu ihm mit einem gewissen demonstrirenden Eifer sagte:

»Herr Professor, sehen Sie sich einmal den schönen blauen Himmel, die grünen Bäume und die so warm scheinende Sonne an – ist das nicht eine wahre Pracht? Und Sie hocken immer da drinnen, die Brust gegen den Tisch geklemmt, die Augen auf das Papier geheftet und genießen von der ganzen schönen Gotteswelt gar nichts. Wissen Sie wohl, daß das eine wahre Sünde ist und daß der liebe Gott eigentlich ein sehr großes Unrecht begangen, indem er Ihnen eine Erbschaft hat zufallen lassen, die Sie gar nicht zu nutzen verstehen?«

Der Professor sah die also Redende mit großen Augen an, nachdem er bei ihren ersten Worten einen Blick nach dem Himmel und den Bäumen geworfen hatte, die allerdings im vollsten Frühlingsschmuck prangten und sein altes Herz mit frischer Wonne erfüllten.

»Hm, ja, Sie raisonniren nicht ganz ohne Grund, Frau Dralling,« erwiderte er schmunzelnd, »aber was soll ich denn thun als arbeiten? Sehen Sie denn nicht, daß der Junge da drinnen auch fleißig ist, und darf ich mich wohl von ihm beschämen lassen?«

»Ach, das ist nur eine schwache Ausrede, Herr Professor, und ein so kluger Mann, wie Sie einer sind, müßte immer was Besseres bei der Hand haben. Na, diesmal habe ich es. Sie sollten einmal einen tüchtigen Spaziergang antreten, da Sie sich schon so lange keine ordentliche Bewegung gemacht haben.«

»Ja, das ist wahr; aber es ging doch in den letzten Tagen nicht, es gab ja genug im Hause zu thun. Na, ich werde heute nach der See gehen und meine liebe Kugelbaake besuchen.«

Die Dralling lächelte verschmitzt; hatte sie ihren Zweck doch schon halb erreicht. So schritt sie denn rasch weiter vor, um ihn ganz zu erreichen, und sagte: »Nach der Kugelbaake – sollten Sie denn nicht ein noch angenehmeres Ziel kennen?«

»Welches meinen Sie denn? So sprechen Sie doch.«

»Ach, Du lieber Gott, und das soll ich Ihnen noch sagen? Na, Sie sind mir ein eifriger Liebhaber, Herr Professor! Sie haben Lust, sich zu verheirathen, und doch zieht Sie keine Sehnsucht nach der schönen Frau hin, die Ihnen ja auch ihr Herz geschenkt hat? Sie haben wohl über die Ankunft des Herrn Baumeisters ganz und gar die Frau Baronin von Wollkendorf vergessen, wie?«

Der Professor warf noch einen fragenden Blick nach dem heiteren Himmel und rieb sich vergnügt die Hände. »Sie haben diesmal Recht,« sagte er sanft, »ich habe sie nicht – aber ich hätte sie beinahe über all' das Neue vergessen, was mir in den letzten Tagen begegnet ist.«

»Na ja, ich dachte es wohl; und doch haben Sie ihr versprochen, ihr sogleich Kunde zu geben, wenn der Herr Baumeister angekommen wäre.«

»Wie?« rief der Professur erstaunt, »habe ich das? Ja wahrhaftig, ich glaube es selbst, und da schickt es sich doch wohl, daß ich als ehrlicher Mann mein Wort halte.«

»Natürlich müssen Sie es halten, und nun werde ich gleich anspannen lassen und Sie fahren selbst nach Wollkendorf hinüber.«

»Aber nicht allein, Alte, ich werde diesmal den Jungen mitnehmen –«

»Nein, thun Sie das lieber heute noch nicht,« ermahnte Frau Dralling mit ernster Miene; »der Herr Baumeister hat etwas sehr Wichtiges zu schreiben, das sehen Sie doch wohl, und darum stören Sie ihn für jetzt nicht.«

»Na, ich will ihn doch wenigstens fragen!« rief der Professor und ging eilig in den Saal zurück, denn der Vorschlag seiner Haushälterin behagte ihm, der blaue Himmel hatte ihn mit so heiteren Augen angeblickt und nun war er mit einem Mal in einen ganz neuen und viel lebhafteren Gedankengang gerathen.

»Höre, Paul,« sagte er, als er an den Tisch des Schreibenden getreten war, »entschuldige, daß ich Dich störe – willst Du mit mir eine Spazierfahrt machen?«

Paul sah ruhig von seiner Arbeit auf und besann sich nur einen Augenblick. »Nein, lieber Onkel,« sagte er bestimmt, »heute nicht. Ich bin jetzt gerade im besten Fluß, es springt Alles wie von selbst aus der Feder, und was ich schreibe, ist wichtig für Dich wie für mich.«

»O ja, ich glaube es wohl. Aber ich – ich fahre nach einem recht hübschen Orte.«

»Und wenn es das Paradies wäre, wohin Du fährst, ich würde Dich heute doch nicht dahin begleiten. Mein Brief ist wichtiger als alles Uebrige auf der Welt. Von morgen an aber stehe ich Dir zu Gebote und dann wollen wir alle Tage große oder kleine Ausflüge machen.«

»Gut, ich bin es zufrieden. So will ich Dich nicht länger stören. Wenn Du früher fertig bist, als Du denkst, so komm mir entgegen, die Dralling wird Dir den Weg beschreiben, den ich einschlage.«

»Ja, gut, es soll geschehen!« sagte Paul und hatte die Feder schon wieder in die Tinte getaucht. –

Der Professor ging in den Alkoven und zog sich frisch und sauber an, wie er es immer that, wenn er in Wollkendorf einen Besuch abzustatten Willens war. Als er damit zu Stande gekommen, begab er sich, ohne noch ein Wort mit Paul zu sprechen, in das Vorzimmer, wo Frau Dralling ihm entgegen kam, seinen Anzug musterte, zufrieden nickte und dann meldete, daß der Wagen vor der Thür stehe und die Reise beginnen könne.

»Adieu, Dralling!« rief ihr der Professor zu und trat unter das Säulenportal der Halle. Vor der Thür derselben stand ein leichter, aber höchst bequemer Wagen, das Halbdeck tief zurückgeschlagen, die mit dem van der Bosch'schen Wappen bemalte Thür schon geöffnet. Die beiden muthigen Grauschimmel, die sich über keine zu schwere Arbeit zu beklagen hatten, scharrten unruhig mit den Hufen, käuten klirrend an dem stählernen Gebiß und schwenkten die schönen Köpfe gar anmuthig in die Luft. Als der Professor in's Freie trat, nahm der alte graubärtige Kutscher seinen Hut ab und sagte:

»Guten Tag, gnädiger Herr! Also es soll nach Wollkendorf gehen?«

»Ja, Louis, und bringe mich schnell und sicher hinüber.«

Er war schon, von Frau Dralling unterstützt, eingestiegen, die immer sehr strahlend aussah, wenn ihr Herr spazieren fuhr, was ein großes Glück und stets ein Vergnügen in ihren Augen war. Sie legte auch noch eine wollene Decke, ein großes Plaid, einen Schirm und des Professors Stock in den Wagen, und als nun Alles besorgt und fertig war, rief sie:

»Grüßen Sie die schöne Frau Baronin von mir und sie soll uns recht bald wieder besuchen und ihre Stunde nehmen. Vielleicht läßt sich Herr Paul auch Mathematik beibringen und dann haben Sie gleich zwei Schüler statt eines.«

»Adieu, Dralling!« rief der Professor ernst und dann rissen die Pferde ungestüm den leichten Wagen fort und in kurzem Galopp ging es dem Parkthor zu, wo der Weg sich quer zwischen den Feldern hindurch schlängelte, den Hügel umging, auf dem Paul neulich mit dem Rentmeister gesessen, und sich dann südwärts wandte, um bald über cultivirtes Land, bald über Haiden und durch kleine Waldungen zu führen, was Alles in raschem Wechsel sich unterwegs darbot und die Fahrt nicht gerade reizend aber doch anmuthig machte, zumal das Wetter so günstig, die Luft so mild war und Alles ringsum blühte und grünte, wie der Mai es bisweilen so freigebig und wonniglich spendet.

Wenn einer seiner früheren Bekannten den guten Professor Casimir van der Bosch in dem eleganten, mit so schönen Pferden bespannten Wagen so durch die Felder hätte fahren sehen, er hätte gewiß gelächelt und vielleicht hätten wir es selbst gethan; denn der gute Mann sah ganz eigenthümlich und am allerwenigsten wie Jemand aus, der von Kindesbeinen an in einem solchen Gefährt zu sitzen gewohnt gewesen ist. Vielmehr saß er so steif und straff auf seinem mit blauem Sammet überzogenen Sitz, als fühle er sich selbst dadurch genirt und als könne er sich noch immer nicht in den Vorzug und das Glück finden, in einem solchen Wagen durch die Welt zu rollen. Auch lehnte er sich nicht an, wie es andere bequeme Leute thun, die sich behaglich gebettet fühlen, wenn sie so rasch durch die Luft gerissen werden, nein, er hielt sich gerade aufrecht und gravitätisch, als ob er auf dem Katheder sitze und eben seine Vorlesung beginnen wolle. Dabei trug er den hohen cylinderförmigen Hut, der ihm stets etwas zu eng gewesen, nur halb auf dem mit dichtem Haar bewachsenen Kopf, so daß die Stirn fast ganz frei blieb, wobei er eine sichtbare Richtung nach hinten annahm, wie es sich seit urewigen Zeiten für Leute von großer Gelehrsamkeit gebührt und von ihnen auch mit oder ohne Wissen gehandhabt wird.

Dennoch schaute das gute, harmlose Gesicht mit dem schneeweißen gekräuselten Bart außerordentlich vergnügt in die Welt; der steife Kopf nickte jedem ihm begegnenden Jungen freundlich zu und vor jedem Bauer, der des Weges kam, nahm er sogar leutselig den Hut ab und sprach jedesmal das übliche Wort. ›Ich grüße Euch!‹ dabei. O ja, der Professor war am Beginn dieser ihn rasch fördernden Fahrt sehr froh und heiter gestimmt. Einmal hatte er ja nun seinen Neffen im Hause, der die Besorgung aller seiner lästigen Geschäfte so freundlich übernommen, er selbst konnte also wieder arbeiten wie früher und vielleicht sogar noch ganz neue Studien beginnen, dann aber freute er sich auch, die liebe junge Freundin wiederzusehen, die er seit einigen Monaten gewonnen und mit der er so rasch, er wußte selbst nicht wie es geschehen, in einen so vertraulichen Verkehr gerathen war. Ja, er freute sich sehr, sie wiederzusehen und ihr nun selbst die Nachricht zu bringen, daß sein Neffe gekommen, daß er für immer bei ihm bleibe und daß dieser sein Neffe ein gewaltig prächtiger Kerl sei, der in Betreff seines Aussehens, seines Wesens und seiner Leistungsfähigkeit alle Erwartungen weit übertroffen habe.

Alle diese Gedanken strichen ihm während der ersten Viertelstunde in buntem Gewirr durch den Kopf und er gab sich der Lust und Freude unbefangen hin, die sie in ihrem Gefolge hatten. Ach, und die Lerchen schmetterten so lustig über seinem Haupte, die Sonne blitzte so hell in den kleinen Seen wieder, an denen er vorüberfuhr, die Luft, je tiefer er in das gelobte Land Hannover kam, schien immer süßer und milder, der Himmel immer blauer und klarer zu werden – da sah er mit einem Mal ein gelbblühendes Rappsfeld an seiner Seite – die Form desselben fiel ihm sogleich auf – sie bildete ein Quadrat – ein Quadrat! Ha, eine mathematisch so wichtige Figur – und plötzlich war die schöne, warme, blühende Welt um ihn her verschwunden, der zum Vergnügen Fahrende war, wie durch die Wirkung eines Zauberstabes, wieder in den Gelehrten, den Mathematiker verwandelt, und ehe er es sich versah, war sein Körper in sich selbst zusammengesunken, es hatten sich verschiedene Gleichungen und Fragen in seinem Hirne gebildet, und da er dieselben nicht im Kopfe entwirren konnte, zog er sein altes Notizbuch hervor und fing im Fahren an zu kritzeln und verschiedene, ganz krumm werdende Figuren zu malen, wobei er sich so sehr in seine Berechnungen vertiefte, daß er ordentlich erschrocken auffuhr, als der Wagen plötzlich hielt und er sah, daß er bereits an sein heutiges Ziel, vor dem Herrenhause in Wollkendorf angekommen war.

»Louis!« rief er dem Kutscher zu, »sind wir geflogen? Wir sind schon da?«

»Ja natürlich, gnädiger Herr,« sagte der Kutscher, sich lächelnd umdrehend, »natürlich sind wir da. Die Schimmel greifen tüchtig aus, wie immer, und wir haben kaum eine Stunde gebraucht. – Aber mein Gott,« unterbrach er sich, »kommt denn heute kein Mensch herunter, ist etwa Niemand zu Hause?« Und er knallte heftig mit der Peitsche, so daß die Grauschimmel erschraken und mit Gewalt wieder vorwärts wollten.

In diesem Augenblick kam ein Diener in Livree hastig aus dem Hause gesprungen, begrüßte den willkommenen Besuch und half dem Professor beim Aussteigen, während der Kutscher mit dem Wagen nach dem nahegelegenen Hofe fuhr, um für seine Pferde und sich ein gutes Unterkommen zu suchen. –

Das Rittergut Wollkendorf war von viel größerem Umfange als Betty's Ruh, aber bei Weitem nicht so wohlbestellt und so allgemein cultivirt, noch viel weniger aber mit so schönen Gebäuden und Anlagen geschmückt. Der verstorbene Gutsherr, früher ein Lebemann, in seinen letzten Jahren ein mit sich selbst zerfallener Hypochonder, – die so häufige Folge eines wirklich verfehlten Lebens – hatte es nie selbst bewirthschaftet, sondern seit langen Jahren einem etwas lässigen Pächter übergeben, der für ihn seine Schuldigkeit gethan, wenn er pünctlich den ausbedungenen Pachtzins zahlte. Der Pachthof mit allen Wirthschaftsgebäuden lag ungefähr in der Mitte des Gutes, und in der Nähe davon am Eingang eines leidlich verwilderten Parkes, der in eine ausgedehnte Waldung mit vielem Hochwild überging, das Herrenhaus, ein großes weißgetünchtes, zweistöckiges Gebäude, das von außen wenig Einladendes besaß und im Innern mit viel größerem Luxus und überflüssigem Prunk und Tand als mit Geschmack und Kunstsinn ausgestattet war. Die Baulichkeit selbst anlangend, so war das Ganze, wie es sich noch heute darstellte, gewiß schon vor hundert Jahren aufgeführt, und niemals war etwas Wesentliches daran gebessert oder umgestaltet worden. Das Mangelhafte, Verfallende hatte man nur äußerlich nothdürftig übertüncht, und so waren die schlechten engen Treppen, die schiefen Balken, die zerfressenen Fußboden geblieben, obgleich der Firniß, – die Farbe und kostbare Teppiche, mit denen man sie überkleidet, einem ungeübten Auge so ziemlich den immer tiefer um sich greifenden Verfall verbargen.

Seit dem so plötzlich erfolgten Tode des Gutsherrn und namentlich seit dem Ableben des Oberforstmeisters von Hayden ging es sehr still auf dem abgelegenen Gute her. Die beiden Damen, die jetzt in dem Herrenhause wohnten, lebten sehr zurückgezogen und sahen nie mehr größere Gesellschaften bei sich, wie sie auch weniger noch als sonst Besuche in der Nachbarschaft abstatteten. So hatten Mutter und Tochter, jedes erfreulichen Umganges und besonders des früher gewohnten erweiterten Verwandtschaftskreises entbehrend, so viel wie möglich ihre ehemaligen Gewohnheiten wieder angenommen, sie lasen fast den ganzen Tag, gingen und fuhren spazieren, ohne in der Regel ein bestimmtes Ziel vor sich zu haben, und für den mangelnden Verkehr entschädigten sie sich durch eine fleißige Correspondenz, die, wie wir bereits wissen, namentlich von der jungen Baronin sehr ämsig betrieben wurde.

Frau von Hayden war seit dem Tode ihres Mannes fast beständig kränklich gewesen und hatte im Winter fast nie, im Frühjahr nur selten das Haus verlassen. In den letzten Wochen hatte sie sich jedoch wieder bedeutend erholt und der nahende Sommer erfüllte sie mit neuen Hoffnungen, wozu besonders die frohe Aussicht beitrug, ihre geliebte Schwester, die Frau Ebeling, längere Zeit bei sich zu sehen, ein Wunsch, der ihr bisher noch immer durch irgend einen unberechneten Vorfall vereitelt worden war. Im Innern aber war sie so ziemlich mit den Neigungen und Bestrebungen ihrer Tochter einverstanden, sie hatte sich ihr viel näher angeschlossen als früher; ein so großes Vertrauen jedoch, wie Betty von jeher zu ihrer Tante gehegt, konnte ihr die sich vornehmer fühlende und geberdende Mutter nie einflößen, und so kam es, daß Frau Ebeling viel inniger mit den inneren Zuständen Betty's befreundet war, als deren eigene Mutter, obgleich das äußere Verhältniß zwischen Beiden ein durchaus günstiges und natürliches war.

Frau von Hayden saß in ihrem gewöhnlichen Zimmer im oberen Stockwerk des Hauses – das untere, welches früher die beiden verstorbenen Männer bewohnt, stand seit deren Tode völlig leer – und war sehr eifrig mit dem Lesen einiger Briefe beschäftigt, die erst am Mittag dieses Tages angekommen waren. Da hörte sie einen Wagen auf das Pflaster vor dem Hause rollen und als sie an's Fenster trat, erkannte sie den guten Professor, den originellen Nachbar, den ihre Tochter so überaus hochschätzte und verehrte, so daß sie ihm zu Liebe oft stundenweit ritt oder fuhr, um sich von ihm in seiner geliebten Wissenschaft unterweisen zu lassen und mit ihm heitere und ernste Gespräche zu führen, wie wir ja schon einmal selbst in Betty's Ruh einem solchen Besuche beigewohnt haben.

Frau von Hayden war sichtlich gealtert, seitdem wir sie nicht mit Augen gesehen, und vielleicht trug auch der schwarze Wittwenanzug dazu bei, den sie seit dem Tode ihres Gatten, obwohl derselbe schon vor Jahresfrist erfolgt war, bis jetzt beibehalten hatte. Ihre frühere stattliche Fülle war bedeutend gewichen und ihre blühende Farbe kaum noch in wenigen Spuren sichtbar. Um ihre sonst lebhaften Augen lagen einige bläuliche Schatten und verschiedene Furchen, und an die Stelle ihrer ehemaligen Munterkeit war ein stilles, fast beklommenes Wesen getreten, das nur selten noch in lautere Freude überging und sich meist in Gestalt nervöser Resignation darstellte, wie sie Frauen ohne großen Geist und ohne besondere Fähigkeiten im nahenden Alter so häufig eigen zu werden pflegt.

Als der wohlgeschulte Diener den eben angelangten Besuch meldete, stand die Dame von ihrem Sitze auf, legte die Briefe, in denen sie so eifrig gelesen, in ein Fach ihres Schreibtisches und ging ihm mit heiterem Gesicht entgegen. Ihre Begrüßung des stillen gemüthlichen Mannes war eben so herzlich wie aufrichtig und sie bot ihm wie einem alten Freunde ihre weiße Hand. Der Diener nahm ihm Hut und Stock ab, den er mit heraufgebracht, und trug beides dienstfertig in das Vorzimmer. Bald darauf saß der Professor neben ihr auf dem Sopha und das Gespräch begann.

»Wir haben schon seit einigen Tagen etwas von Ihnen zu hören erwartet,« sagte sie, »und nun kommen Sie selber. Das ist allerliebst von Ihnen, Herr Professor. Sie sehen so freudig und wohlgemuth aus, daß Sie uns gewiß angenehme Nachrichten mitzutheilen haben. O, es ist heute ein reicher Tag in dieser Beziehung. Mein Schwager, meine Schwester und mein Neffe haben geschrieben und Betty sitzt auf ihrem Zimmer und verschlingt die übersandten Neuigkeiten mit einem wahren Heißhunger. Aber sie wird gewiß gleich kommen und sich sehr über Ihren gütigen Besuch freuen, wie ich. Was bringen Sie uns denn nun mit?«

»O,« sagte der Professor mit seiner gewöhnlichen Ruhe, aber doch mit hoch erfreuter Miene, »ich bringe Ihnen auch manches Neue. Auch ich habe von meinem Neffen Nachricht erhalten –«

»Nur Nachrichten?« fragte Frau von Hayden mit erstauntem Gesicht.

»Ja, aber er hat sie mir selbst gebracht, liebe gnädige Frau, denn er ist gekommen! Wahrhaftig, der Junge ist gekommen und nun können Sie sich meine Freude und das neue Leben in Betty's Ruh denken.«

»Ja, das kann ich mir denken. Sie schwelgen in Wonne, nicht wahr?«

»Ja, vollständig, und ich habe wohl Grund dazu. Denn mit dem Paul ist ein guter Engel in mein Haus gezogen, und nun schaltet und waltet er nach Herzenslust darin.«

»Und Sie können auch nach Herzenslust schalten und walten?« unterbrach sie ihn lächelnd.

Der Professor lachte und drohte mit dem Finger. »Ja, das thue ich wirklich,« sagte er, »und ich habe mich nun ganz wieder meiner Wissenschaft ergeben, die ich leider so lange vernachlässigen mußte. Und das Uebrige wird sich ja nun auch wohl finden.«

Frau von Hayden sah ihn voller Theilnahme fragend an. »Wenn Sie damit das bisher Vermißte meinen, so sollte mir das lieb sein,« sagte sie. »Ist denn irgend eine Aussicht dazu vorhanden?«

»O, der Junge hat ja den besten Muth und entwickelt einen wahren Feuereifer. Sie glauben gar nicht, was er schon in den wenigen Tagen geleistet hat, seitdem er bei mir ist.«

»Ist er denn schon seit mehreren Tagen da?« fragte Frau von Hayden verwundert.

»Ja, gewiß, seit fünf oder sechs Tagen, und seitdem bin ich ein ganz anderer Mensch geworden.«

»Das macht mir ja große Freude. O, was wird Betty dazu sagen!«

Als ob die Genannte diesen Ausruf vernommen oder ihn vorhergesehen hätte, so trat sie eben in die Thür und augenblicklich sprang der Professor lebhaft auf und ging mit freudiger Geberde auf die stattliche Erscheinung zu, die in ihrem langen schwarzen Seidenkleide und mit flammendem Gesicht hereintrat, auf dem die Rosen der Jugend, der Schönheit und der Freude um die Wette strahlten. Dennoch war sie nicht ohne einige Befangenheit und einen gewissen Rückhalt, aber der gute Professor bemerkte davon nichts; er begrüßte sie nur eben so herzlich, wie er vorher ihre Mutter begrüßt, und nahm dann augenblicklich das Gespräch über den eben abgebrochenen Gegenstand wieder auf und wiederholte fast mit denselben Worten, was er so eben der Mutter Betty's gesagt.

Bald aber wurde seine Berichterstattung unterbrochen. Ein Diener brachte das Kaffeegeschirr von strahlendem Silber herein und sogleich begann die junge Baronin als Hausfrau ihre Pflicht zu erfüllen, und so saßen die drei Personen bald um den brodelnden Wasserkessel und tranken bei ruhiger fortgesetztem Gespräch ihren Kaffee. Am eiligsten aber erwies sich Betty dabei, und als sie ihre zweite Tasse geleert, ging sie einen Augenblick hinaus und kam gleich darauf mit Strohhut, Sonnenschirm und Handschuhen wieder, als wolle sie ungesäumt einen Spaziergang antreten.

»Nun,« fragte die Mutter, »Gehst Du in den Park? Bist Du denn schon mit Deinen Briefen fertig?«

Betty nickte mit strahlendem Lächeln. »Ja,« sagte sie, »zum ersten Mal habe ich sie flüchtig durchgelesen, aber am Abend werden sie wieder und ernstlich vorgenommen, denn sie enthalten zu viel des Neuen und Unerwarteten.«

»So gieb sie mir doch während Du hinuntergehst.«

»Nein, liebe Muter, noch nicht!« bat Betty mit zärtlicher Freundlichkeit, »Laß sie mich erst noch einmal allein lesen und darin werde ich Dir den Inhalt selbst vortragen. Wir haben mehr Vergnügen davon, wenn wir gleich über das Einzelne zusammen plaudern können. – Und nun, Herr Professor, darf ich unruhige Person Sie schon wieder in Bewegung setzen? Ich bin heute noch gar nicht in der freien Luft gewesen und habe eine unaussprechliche Sehnsucht danach, auf und ab zu streifen. Sie gehen ja gern, mein Freund, begleiten Sie mich?«

»O ja!« rief der Professor. »Daß es so kommen würde, habe ich mir schon zu Hause gedacht und mir dazu gleich meinen Spazierstock mitgebracht. Also Sie wollen uns noch nicht begleiten, gnädige Frau?« wandte er sich zu Frau von Hayden.

»Nein, lieber Herr Professor, ich habe noch Stubenarrest; bis zur nächsten Woche, wenn das Wetter so bleibt, habe ich ihn mir selbst dictirt, dann aber soll mein erster Besuch Ihnen und dem schönen Betty's Ruh gelten.«

»Ich halte Sie bei'm Wort!« sagte der Professor und verbeugte sich. Zwei Minuten später stieg er mit Betty die Treppe hinab und gleich darauf traten Beide in den schönen Park, der wie sein schönerer Nebenbuhler in Betty's Ruh auch im reichsten Frühlingskleide glänzte.

Als die beiden Personen eine lange mit Kastanien, Buchen und Linden besetzte Allee erreichten, an deren Rändern üppiger Hollunder, Geisblatt und Goldregen wuchsen, die aber ihre duftenden Blüthen noch nicht erschlossen hatten, fing Betty an langsamer zu gehen. »So,« sagte sie und erhob ihren reizenden Kopf, den jetzt der kleidsame Strohhut bedeckte, gegen das mild lächelnde Gesicht des neben ihr Wandelnden, »so sind wir also allein, mein Freund, und das habe ich heute vor allen Dingen gewünscht. Sie werden mir viel zu berichten haben, ich hoffe es bestimmt, und nun erzählen Sie mir Alles, was Ihnen begegnet ist, seit ich bei Ihnen war, und nichts, nichts dürfen Sie vergessen, sonst frage ich Sie todt, denn ich bin heute ganz unmenschlich neugierig gestimmt.«

»Na,« versetzte der Professor lachend, »so leicht sterbe ich nicht, ich habe eine zähe Natur und bin aus altem holländischen Blute. Glücklicherweise auch kann ich Ihnen mit vielem Neuen dienen.«

»So fangen Sie an. Warum haben Sie so lange Ihren Besuch verschoben oder – hatten Sie mir nichts zu melden, wie Sie mir neulich versprachen?«

»Kind, mein Kind,« erwiderte der Professor mit väterlicher Milde, »wo soll ich anfangen und wo aufhören mit meinen Entschuldigungen? Doch, ich muß wohl ehrlich sprechen und so sage ich Ihnen: ich habe erst heute Zeit gefunden, mich meines Versprechens zu erinnern, denn ich fand wahrhaftig mehr zu thun, als ich für möglich hielt.«

»Und Ihr Besuch ist also wirklich gekommen?« fragte Betty mit frisch auflodernder Neugier und mit jenem naiv sinnigen und sanften Tone, der ihr zur zweiten Natur geworden war, wenn er nicht ursprünglich in ihrem Wesen lag.

»Gott sei Dank, ja, er ist gekommen, wie ich Ihnen schon oben sagte, und er war bereits in meiner Nähe, als Sie mir neulich die Ehre Ihres Besuches schenkten. Er hat die Nacht auf der Kugelbaake zugebracht, da das Wetter ihn weiter zu gehen verhinderte, wie mich. Na, jetzt ist er da, und sein Erscheinen hat natürlich eine Art Revolution im ganzen Hause erzeugt.«

»Das kann ich mir denken. Was sagte Ihr Herr Neffe denn, als er Ihren Saal sah?« fragte sie mit gespanntem Gesichtsausdruck.

»Ah, er war ganz erstaunt und konnte sich gar nicht satt sehen. So etwas Aehnliches hätte er einmal geträumt, sagte er. Ist das nicht sonderbar?«

»O ja!« lautete es leise von Betty's Lippen und ihr Kopf nickte ganz eigenthümlich dabei. »Und was sagte er zu Ihren Angelegenheiten?« fuhr sie lebhafter fort.

»Er interessirt sich erstaunlich dafür und er hat fast noch keine Stunde im Hause gerastet, so lange er da ist. Er hat Alles um und um gekehrt, ist in jeden Winkel gekrochen, bis in die Keller hinein, hat jeden Streifen Papier durchgelesen, aber – er hat eben so wenig wie ich auch nur das Geringste gefunden.«

»Das ist übel,« sagte Betty nach einer Weile und wie aus einem langen Traume erwachend. – »Nun wird es mit unseren mathematischen Stunden wohl vorbei sein?« fragte sie plötzlich.

»Ei, ich denke gar nicht daran. Sie werden mich doch nach wie vor in Betty's Ruh besuchen, wie?«

Betty zögerte etwas mit der Antwort. »Das wird darauf ankommen,« sagte sie endlich. »Zuerst müssen Sie uns doch Ihren Neffen vorstellen – oder beabsichtigen Sie das vielleicht nicht?«

Der Professor sah sie erstaunt an. »Wie können Sie so fragen, meine Liebe,« sagte er. »Natürlich werde ich ihn Ihrer Frau Mutter und Ihnen vorstellen und er wäre schon heute mitgekommen, aber der gute Junge brennt ja fast vor Eifer und, nachdem er drei Tage lang das ganze Haus durchstöbert, sitzt er jetzt am Schreibtisch und arbeitet einen langen Bericht für einen seiner Freunde aus, wie er sagt, der ihm einen guten Rath geben soll.«

»Aha!« sagte Betty, als stimme sie diesem Unternehmen aus vollem Herzen bei. »Das ist gut.«

»Ja, das glaube ich auch, obwohl ich doch einige Furcht vor einer etwaigen neuen Untersuchung hege, auf die er mich immerhin gefaßt gemacht hat.«

»Das darf Sie nicht in Furcht setzen, durchaus nicht. Sie haben ja jetzt eine mächtige Hülfe und stehen nun erst in der zweiten Reihe des Treffens.«

»Haha! Gut gesagt, und auch wahr, denn der Paul ist kein Schwachkopf und kein Maulheld, er spricht wenig, aber er handelt um so energischer.«

»Das ist noch besser. Also heute schreibt er schon?«

»Ja, und auf morgen, wenn er bis dahin fertig ist, hat er mir seine Begleitung zugesagt, obwohl er noch nicht weiß, wohin ich ihn führen will, eben so wenig wie er weiß, wohin ich heute gegangen bin.«

»Wohin wollen Sie ihn denn führen?« fragte Betty mit etwas zaghafter Miene, wobei ihr Athem auffallend kürzer wurde.

»Nun, natürlich zu Ihnen, da Sie sich doch gewiß freuen werden, ihn kennen zu lernen.«

Betty lächelte verstohlen und blickte seitwärts in die grünen Gebüsche. »Haben Sie ihm denn noch nicht gesagt, daß wir mit einander bekannt sind?«

»Noch kein Wort ist darüber gesprochen, es gab ja so viel Wichtiges und Unaufschiebbares zu thun.«

»So so! Ja, ja! Sie wollen es ihm auch wohl nicht sagen, wohin Sie ihn morgen führen werden?«

»Gewiß werde ich ihm das sagen und zwar sobald ich heute nach Hause komme. Es liegt ja kein Grund vor, ihm das zu verschweigen.«

»Nein, es liegt kein Grund vor. Doch – wie sieht denn Ihr Herr Neffe aus?« fragte sie mit einer leichten Beklemmung.

»Wie er aussieht? O, das sollen Sie mir selbst sagen, wenn Sie ihn gesehen haben. Alle Leute in Betty's Ruh, die meinen verstorbenen Bruder gekannt, behaupten, er sehe ihm sprechend ähnlich, obwohl er viel größer, fester und kräftiger sei. Denn in Wahrheit, er ist ein wahres Bild von guter Gesundheit und Lebenskraft.«

Betty nickte, als ob sie von dieser Mittheilung befriedigt wäre. – »Wie ist er denn sonst?« fragte sie, behutsam und etwas leiser sprechend. »Ist er fröhlich, heiter, zum Scherz aufgelegt?«

»O nein, das ist er leider nicht, liebe Frau. Er ist sogar sehr still, viel stiller, als ich mir ihn gedacht und als man es nach seinem Alter erwarten sollte, denn er ist, glaube ich, noch nicht ganz dreißig Jahre alt.«

»Das ist das glücklichste Alter für Männer, namentlich wenn es ihnen immer gut ergangen ist, wie ich es von Ihrem Neffen hoffe.«

»O – das glauben Sie nicht,« fuhr der Professor ernsthafter fort, »der arme Junge hat auch schon seine Schicksale gehabt.«

Betty erhob rasch ihren Kopf gegen den Redenden und sah ihn mit scharfer Aufmerksamkeit an. »Was für Schicksale hat er denn gehabt?« fragte sie mit etwas bewegter Stimme.

»In seiner Jugend schon ist es ihm sehr trübe und überaus ärmlich ergangen. Aber er hat sich mit Hülfe wackerer Menschen brav emporgearbeitet, bis – bis ihn jetzt, da er fast über den steilsten Berg war, der letzte Schlag traf.«

»Was war das für ein Schlag?«

Der Professor schwieg einen Augenblick, dann seufzte und gleich darauf lachte er. Das Erste galt seinem Neffen, das Zweite ihm selber. »Ich will es Ihnen erzählen,« sagte er nach einiger Ueberlegung, »das heißt, so viel ich davon behalten habe, da ich bei seiner Mittheilung etwas zerstreut war und mir so viele Gedanken jetzt durch den Kopf schwirren.«

Und nun erzählte er Paul's Leben in der fernen Residenz, seinen Erfolg in seinen Bauunternehmungen, seine Freundschaft mit dem guten Banquier Ebeling und endlich kam er auf die Ursache, die Paul heimatlos gemacht oder ihn wenigstens so plötzlich und unerwartet aus seinen bisherigen Verhältnissen getrieben hatte.

Betty hatte voller Spannung zugehört. Als der Professor aber mit seinem Bericht fertig war, sagte sie mit einem eigenthümlichen Lächeln:

»Aha, nun weiß ich, worüber Sie vorher lachten. Ihren Neffen hat ein Unglück betroffen, ja, indessen machen die Umstände es weniger schwer und bedeutsam. Ihnen wenigstens ist aus seinem Unglück das Glück erwachsen, ihn ganz bei sich zu haben und vielleicht auch zu behalten, nicht wahr?«

»Ja gewiß, mein gutes Kind,« erwiderte der Professor mit schmunzelndem Gesicht, »und das ist ja eben meine ganze Freude. Mir ist das ein wahres und großes Glück und ich werde es mir auch zu nutze machen.«

»Sie sind doch wohl nicht auch ein großer Egoist?« fragte sie, indem sie herzlich lächelnd ihm mit dem zugeklappten Sonnenschirm drohte.

»Ja, ja, das bin ich, wenigstens in diesem Punct, ich gestehe es offen ein. – Doch, meine Liebe, Sie sehen ja merkwürdig erhitzt aus – ist es Ihnen denn so sehr heiß – wollen wir uns vielleicht irgend wo setzen?«

»Ja – nein, wie Sie wollen – ich bin zu Allem bereit, was Sie wünschen. Kommen Sie, da vorn steht eine Bank. Es scheint wirklich sehr warm zu sein. Oder vielleicht macht es auch die Freude, Sie – den Mann bei mir zu sehen, der mich heirathen will,« fügte sie schalkhaft lächelnd hinzu.

Der Professor lachte herzlich auf. »Sie kommen immer wieder auf diese Idee zurück,« sagte er, »aber mag sie sein, was sie will, Scherz oder Ernst – hübsch ist sie und eine so kleine, niedliche Frau bei mir im Hause zu haben, müßte wahrhaftig ein großes Glück sein.«

»Herr Professor!« rief Betty mit neckischem Ernst, »ich bin größer als Sie!« Und sie stellte sich dicht neben ihn und reckte sich dabei straff in die Höhe.

»Wahrhaftig! Wenigstens eben so groß! Ei, das hätte ich nicht gedacht. Na, aber dem Paul reichen Sie kaum bis an die Schulter, der ist ein halber Riese.«

»Trotz seiner Größe ist er Ihnen wohl sehr an das Herz gewachsen, wie?« fragte Betty, anmuthig lächelnd.

»Nicht blos an's Herz, sondern ganz und tief in dasselbe hinein, liebes Kind, so daß mir kein Opfer zu schwer fallen würde, um ihn glücklich zu machen. Ja, Sie müssen es mir verzeihen, wenn ich mein eigenes Blut lobe, aber der Junge hat Etwas an sich, was ihn unwiderstehlich macht, und alle Leute im Hause laufen ihm schon nach – vor Allen die Dralling, die ihren Dragonersäbel ganz vergißt, wenn sie mit oder von ihm spricht. Selbst der Rentmeister war ganz erstaunt über ihn.«

»So. Wie machte sich denn die Bekanntschaft zwischen den Beiden?« fragte Betty, plötzlich wieder ernst werdend.

Der Professor erzählte den Auftritt im Saal, und während er noch sprach, hatten sie die erstrebte Bank erreicht und ließen sich darauf nieder, um das begonnene Gespräch in ähnlicher Weise noch lange Zeit fortzusetzen.


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