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Zweites Kapitel.
Die Erbschaft – wie sie wirklich ist

Bevor der Professor jedoch zu sprechen begann, ging er noch einmal an seinen Schreibtisch, schloß ein geheimes Fach auf und nahm ein wohlverwahrtes Packet Papiere daraus hervor. Diese legte er vor sich auf den Tisch, sah seinen Neffen unendlich liebevoll an und ließ sich nun mit leiser, fast schüchterner Stimme folgendermaßen vernehmen:

»Wie mich die Nachricht von dem so plötzlich erfolgten Tode meines Bruders überraschte, weißt Du eben so gut, wie Du die bitteren Gefühle kennst, mit welchen ich mich von meiner kleinen liebgewonnenen Heimat und meinen Lebensgewohnheiten losriß. Vier Tage vor meiner Abreise schrieb ich an den Rentmeister Hummer und bezeichnete ihm die Stunde, in welcher ich in Hamburg einzutreffen gedachte. Mir war beklommen zu Muthe, da ich in den Wagen stieg, als ob ich ein Verbrechen begangen hätte und zum Richtplatz geführt werden sollte. Dieser unbequeme Zustand wuchs von Stunde zu Stunde, je weiter ich kam, und jeder Pfiff der Locomotive, wenn sie an einem neuen Orte anlangte, schnitt mir wie ein Messer durch die Seele. Hätte ich meine treue Dralling nicht bei mir gehabt, die mir unterwegs Trost und Muth einsprach, ich wäre, glaube ich, sterbenskrank an Ort und Stelle gekommen. Endlich waren wir in Hamburg. Ich denke, es war Mittag, obgleich ich für die Berechnung der Zeit damals gar keinen Sinn hatte. Aber da sollte meine Angst vor der Hand ihr Ende finden, der liebe Gott schickte mir einen Beistand, auf den ich hier noch nicht gerechnet hatte. Der Erste, der mich begrüßte, als ich aus dem Wagen stieg, war der Rentmeister Hummer. Ich hätte ihn vor Freuden umarmen mögen, obgleich die Dralling eine entsetzliche Grimasse schnitt, als sie sein ehrliches Gesicht sah und seine ehrerbietige Begrüßung vernahm, die mit einem Ausdruck der Trauer gemischt war, der mir bewies, wie nahe der guten Seele der Verlust meines armen Bruders ging.

Von nun an sorgte dieser mir so unersetzliche Mensch für alles Nöthige. Er brachte uns in einem Wagen nach einem Gasthaus und aß mit mir an der Wirthstafel, während die Dralling auf ihrem Zimmer blieb. Nach Tische ging er mit mir zu dem Banquier meines verstorbenen Bruders, dem er mich vorstellte und wo ich verschiedene Papiere empfing und eine lange Unterredung mit dem fremden Manne zu bestehen hatte, von der ich kein Wort mehr weiß, da sie sich immer um Geldverhältnisse drehte, in denen ich wenig bewandert war, so daß Hummer stets für mich sprechen mußte, was auch vortrefflich ging, da der Mann den göttlichen Instinct besaß, mich immer zu verstehen, ehe ich auch nur ein Wort geäußert hatte.

Unsere Ankunft in Hamburg war zu einer sehr glücklichen Zeit erfolgt, so daß wir gleich am anderen Morgen ein Schiff besteigen konnten, um nach Cuxhafen zu fahren. Bis hierher war Alles ganz gut gegangen und ich war durch die Unterhaltung mit Hummer viel ruhiger geworden. In Cuxhafen aber begann ein neuer Sturm von seltsamen Ueberraschungen. Als ich mit dem Rentmeister und meiner Alten aus dem Schiff gestiegen und in das Gasthaus Belvedere getreten war, glotzten mich alle Menschen wie ein überseeisches Wesen an und viele von ihnen beugten sich tief vor mir. Ich wußte gar nicht, wie ich mich dabei verhalten sollte und muß eine sonderbare Figur gespielt haben, namentlich als ich in einen kostbaren Wagen mit Glasfenstern steigen mußte, der mit vier Pferden bespannt war und den außer dem Kutscher zwei Bediente in Livree begleiteten. Außer diesem Wagen, um den sich eine Menge aufdringlicher Menschen versammelt hatten, war noch ein zweiter da, der mein Gepäck fahren sollte und den nun die Dralling bestieg, da sie immer fürchtete, es würden uns unsere Sachen gestohlen werden. So fuhren wir nach Ritzebüttel. Unterwegs zitterte mir das Herz, als der Rentmeister mir erklärte, daß wir zum Amtmann führen, woselbst ich durch ihn und meine Papiere legitimirt werden würde, um alsobald als der gesetzliche Erbe meines Bruders betrachtet zu werden. Als ich durch den Park des Schlosses von Ritzebüttel fuhr, sah ich hier und da Schildwachen in Uniform stehen und als wir vor'm Schlosse ausstiegen, präsentirte ein alter Mann das Gewehr vor mir, eine Ehre, die mir bis dahin noch niemals zu Theil geworden war. Ich nahm höflich meinen Hut ab und sagte: ›Guten Morgen, mein Freund!‹ worauf er sein Gewehr noch einmal präsentirte und dabei so viel Geräusch machte, daß ich förmlich erschrak.

Der Rentmeister geleitete mich in das Schloß und ließ mich als Herrn van der Bosch auf Betty's Ruh anmelden. Ich wurde in ein hübsches Zimmer geführt, wo mir ein sehr liebenswürdiger Mann mit einem röthlichen Vollbart, geistvollen blauen Augen und einer Sprache entgegen kam, die mich entzückte, denn sie verrieth mir auf der Stelle einen hochgebildeten Mann, der sich sogar vollkommen wissenschaftlich auszudrücken verstand. Sehr bald saßen wir im Zimmer und die Besichtigung meiner Papiere begann, was eine reine Förmlichkeit war, da der hier bekannte und geachtete Rentmeister Hummer mich ja schon persönlich als den Erben meines Bruders kannte.

›Mein Herr van der Bosch,‹ sagte da der Amtmann zu mir, ›ich freue mich sehr, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, zumal ich damit gleich meine Gratulation zum Antritt einer so schönen Erbschaft verbinden kann. Ich hoffe, wir werden fortan gute Nachbarschaft halten. Ihr Herr Bruder freilich pflog keinen Umgang mit mir, wahrscheinlich weil ich eine Gerichtsperson bin, für die er niemals besondere Sympathie fühlte. Darum hat er auch nicht gewollt, daß die Gerichte sich in sein Vermächtniß mischten und namentlich hat er sich die Versiegelung seines Hauses und was dazu gehört verbeten, indem er seinen treuen Diener, eben diesen Herrn Rentmeister, zum alleinigen Testamentsvollstrecker ernannte. Herr Hummer aber hat in seiner gewissenhaften Aengstlichkeit und durch ein Zartgefühl geleitet, welches man ehren muß, die große Verantwortlichkeit nicht allein auf sich nehmen wollen und mir sogleich nach dem Tode Ihres Herrn Bruders dessen Ableben angezeigt und um Versiegelung der wichtigsten Effecten gebeten. Dies ist nun geschehen und Sie werden also Ihr Besitzthum unter amtlichem Siegel vorfinden. Damit dies Hinderniß sehr bald beseitigt wird, will ich Ihnen sofort zwei Beamte mitgeben, die das Geschäft in einigen Minuten vollbringen werden. Was die übrigen Pflichten betrifft, die Sie gegen den Staat, in dem Sie von nun an leben, zu erfüllen haben, so werden Sie aus Ihren Papieren ersehen, daß Ihr Herr Bruder schon lange vor seinem Tode seinen Besitz laut dem beglaubigten Inventarium gerichtlich hat abschätzen lassen, damit wir die Collateralsteuer von fünf pro Cent bestimmen könnten, die Sie als Bruders Erbe zu entrichten haben. Es ist dies allerdings eine bedeutende Summe, die Sie verlieren, aber da Ihr übriger Besitz groß genug ist, werden Sie dieselbe leicht verschmerzen. Die Zahlung selbst kann ganz nach Ihrem Belieben binnen hier und sechs Wochen erfolgen, und erwarte ich Nachricht von Ihnen, wie Sie es damit gehalten wissen wollen. Sie können das Geld in Person oder durch einen Bevollmächtigten zahlen, oder auch es einem Beamten in Ihrem Hause übergeben, den ich, falls Sie diesen Weg vorziehen, damit beauftragen werde.‹

Er hielt inne und sah mich leutselig lächelnd an. Ich verbeugte mich stumm, da ich nicht wußte, was ich darauf entgegnen sollte und auch der Rentmeister sich schweigsam verhielt. Da kam mir mit einem Male die dumme Frage auf die Lippen, wie groß wohl das Vermögen sei, welches mein Bruder hinterlassen.

Der Amtmann zuckte die Achseln und erwiderte mit einem feinen Lächeln: ›Das weiß ich nicht, mein Herr, wenigstens über das baare Vermögen Ihres Herrn Bruders war und ist Niemanden, sogar nicht einmal dem Herrn Rentmeister Hummer, etwas Sicheres bekannt. Nur der liegende Besitz und viele Kostbarkeiten, wie sie das mir vorgelegte und von mir beglaubigte Inventarium angab, sind gerichtlich taxirt und mit einer Steuer belegt. Sollten Sie aber unerwartet eine große Summe Geldes vorfinden,‹ – und hier erhob der Amtmann seine Stimme mit einem bedeutsamen Blick – ›so hege ich das Vertrauen zu Ihnen, daß Sie mir diese Summe angeben werden, damit der Staat auch dafür zu seinem Rechte komme.‹

›Natürlich,‹ erwiderte ich, ›das versteht sich ja ganz von selbst.‹

Bald nach diesem Gespräch brachen wir auf, vom Amtmann bis zum Wagen begleitet, und ich schied mit herzlichem Händeschütteln von dem edlen Mann.

Mir war dieser förmliche Besuch – der erste in meinem Leben der Art – sehr peinlich gewesen und auch der Rentmeister mußte meine Empfindungen theilen, denn auf dem Wege nach Betty's Ruh war er ungemein heiter und gesprächig, und erzählte mir, um mich aufzuheitern, tausend verschiedene Dinge, von denen ich jedoch nichts behalten habe, da es mir von dem vielen Neuen gleichsam im Kopfe wirbelte. Ich sah nichts von dem Lande, durch welches wir fuhren, und weiß auch nicht, ob die Sonne schien oder ob es regnete. Endlich kamen wir hier an und fanden die Dralling, die schon vor uns eingetroffen war, auf ihren Koffern wie eine brütende Henne sitzend und unserer wartend in der Halle vor. Aber wer beschreibt meinen Schreck, als ich dies Haus sah, in dem es von eilfertig hin und her rennenden Menschen mit erstaunlich neugierigen Gesichtern wimmelte, die sich alle bemühten, mir die größte Ehrfurcht und irgend einen Dienst zu erweisen, den ich gar nicht nöthig hatte. Doch ich will mich mit der Beschreibung meines damaligen Zustandes nicht aufhalten und Du magst ihn Dir denken. Mit einem Wort, ich war ganz benommen und doch wunderbar redselig, als hätte ich eine ganze Flasche Wein getrunken, während ich doch ganz nüchtern war. Ich glaubte ein Mährchen aus Tausend und eine Nacht zu erleben, und hielt mich für Aladin, der im Besitz seiner Wunderlampe ist. Ich machte meine Augen immer weiter auf und sah doch eigentlich weiter nichts, denn es lag mir wie ein Flor vor dem Gesicht. Hätte ich nicht den Rentmeister zur Seite gehabt, der mich wie ein Kind leitete und für Alles Sinn und Empfindung zu haben schien, so weiß ich nicht, ob ich die Stufen hätte ersteigen können, die in meine Vorzimmer führten. Sehr bald nach uns, nachdem ich die Diener, Frauen und Mägde in der Halle begrüßt und ihnen die Hände geschüttelt hatte, kamen die Beamten von Ritzebüttel an und die Entsiegelung des Saales, des Schreibtisches und des eisernen Geldschrankes im Alkoven begann. Erst jetzt war ich der vollständige und unbestrittene Besitzer meines Erbes geworden und nun fing ich allmälig an zu sehen und zu begreifen, was die Vorsehung mir in die Hand gelegt hatte. O, und da begann schon die Angst wieder, ob ich auch wohl würdig und kräftig genug sei, die Last zu tragen, die Quentin mir auf die Schultern gedrückt. Allein der Rentmeister, der mein Bedenken sah und dem ich meine Gefühle offen enthüllte, tröstete mich und wich nicht von meiner Seite, indem er mich fragte, ob ich nicht den Geldschrank öffnen und das Testament meines Bruders nebst dem Inventarium, welche darin niedergelegt, lesen und mit den Papieren, welche ich von dem Banquier in Hamburg erhalten, vergleichen wollte.

Bevor wir jedoch dazu kamen, war die Tafel bereitet und eine Menge Speisen wurden nach und nach aufgetragen, nebst drei oder vier Sorten Wein, wovon mir der sogenannte Champagner am besten schmeckte, den der Rentmeister mich zum ersten Mal in meinem Leben kosten ließ. Als wir nun Beide gegessen, wobei uns zu meinem Erstaunen vier Lakaien in weißen Strümpfen, rothen Westen und hellblauen Röcken aufwarteten, forderte der Rentmeister mich noch einmal auf, an das wichtigste Geschäft zu gehen.

Ich war bereit. Er schloß das Schreibpult auf und zeigte mir zuerst verschiedene Kostbarkeiten, Dosen, Ringe, mit Edelsteinen besetzt, und dergleichen, die Du alle noch jetzt darin sehen kannst, denn ich habe sie kaum angerührt. Auch die Uhr und der Ring, den mein Bruder getragen, als er starb, waren dabei.

Glücklicherweise wußte Hummer in Allem Bescheid und kannte alle Schlüssel, die damals wie jetzt in dem großen Schubfach lagen. Auch die Schlüssel zum Geldschrank befanden sich darunter und mit ihnen begaben wir uns in den Alkoven, wo Du Dir nachher das Ungethüm in der hinteren Wand ansehen kannst. Hier zeigte mir der Rentmeister den Mechanismus und lehrte mich die Art und Weise, wie man den eisernen Schrank öffnen konnte, was erst große Schwierigkeiten für mich hatte, aber am Ende lernte ich es doch, wie man ja Alles lernt. Zuletzt stand der Schrank mit allen seinen Fächern offen, wozu noch besondere Schlüssel vorhanden waren, und der Rentmeister zeigte mir die Geld- und Werthpapiere, das baare Geld in Rollen und Scheinen, und endlich dies Packet, welches das Testament meines Bruders und das von ihm selbst aufgenommene und von dem Amtmann in Ritzebüttel beglaubigte Inventarium enthielt.

So will ich Dir denn jetzt, bevor ich in meiner Erzählung weiter schreite, dies Testament oder vielmehr den letzten Willen meines Bruders vorlesen. Es ist sehr kurz und wir werden bald damit fertig sein. Du siehst, er hat es selbst geschrieben und auch dieses Blatt, welches die Aufzählung und Summirung der verschiedenen Legate enthält, rührt von seiner Hand her.«

Der Professor, ganz erhitzt vom anhaltenden Reden, machte eine Pause, trocknete sich den Schweiß von der Stirn, trank einige Tropfen Wein und las dann folgendes Schriftstück vor:

 

»Letzter Wille des Quentin van der Bosch auf Betty's Ruh.
Eigenhändig verfaßt und wiederholt durchgesehen von ihm selbst,
zuletzt am 18. April 185 ..
zu Betty's Ruh.

Ruhe und Frieden in Gott! Das ist jetzt mein einziger Wunsch, wie es früher mein Wunsch war, Ruhe und Frieden mit allen Menschen auf Erden zu haben. Bald werde ich mit Der im Himmel vereint sein, die mir für die Erde versagt blieb, aber für die lange Trennung, die uns Beiden auferlegt ward, habe ich wenigstens den Trost und die Freude, schon jetzt, da ich noch athme, zu wissen, daß auch mein vergänglicher Leib an ihrer Seite ruhen wird, die mir so lange in jene Ewigkeit vorangegangen ist. Der brennende Wunsch, den ich ein ganzes Menschenleben mit mir herumgetragen: auf dieser Stätte zu wandeln und auf ihr meine Tage zu beschließen, ist mir erfüllt worden und ich danke meinem Gott mit kindlicher Ergebenheit für diese Wohlthat. –

Wenn ich auf mein vergangenes Leben zurückblicke, so sucht mich keine Reue heim. Ich habe Niemanden wissentlich geschadet, Niemanden wissentlich gekränkt, Niemanden wissentlich betrübt. Nur das Eine kann man von mir mit Recht behaupten, daß ich wie ein Egoist gelebt, daß ich mit dem von mir erworbenen Besitz nach Laune und Willkür geschaltet, daß ich mein Leben als Einsiedler verbracht, ohne mit thätiger Kraft in die Speichen des großen Rades, welches die Welt bewegt, eingegriffen zu haben. Ja, ich habe für mich allein gelebt, da ich nicht mit Derjenigen leben konnte, mit der ich am liebsten gelebt hätte und unter deren Einwirkung ich vielleicht ein ganz anderer Mensch geworden wäre. Wenn das ein Unrecht, ein Fehler ist, so habe ich sie begangen, aber eines andern bin ich mir nicht bewußt. So also kann mein Erbe meine Hinterlassenschaft mit gutem Gewissen übernehmen; mag er sich ihrer noch lange in Gesundheit erfreuen und mag er vor einem Schicksal bewahrt bleiben, wie es leider mir beschieden ward: keinen Menschen auf Erden zu haben, der seinem Herzen nahe steht, denn das ist der einzige Kummer, der mich bis in das Grab begleitet.

Wenn ich todt bin, so weiß mein Secretair Hummer, wie ich es mit meiner Leiche gehalten haben will; er hat mir sein Wort gegeben, daß er meine Wünsche erfüllen werde, und ich vertraue ihm, wie in allem Uebrigen, auch hierin.

Was nun meinen Nachlaß betrifft, so ernenne ich zu meinem alleinigen Universalerben meinen einzigen mich überlebenden Bruder Casimir van der Bosch, den Professor der Mathematik an der Universität zu ???. Ihm vermache und vererbe ich mein Gut Betty's Ruh mit allem darauf lebenden und todten Inventar, wie es in beiliegendem Papier No: Zwei verzeichnet und von meiner und meines Secretairs Hand unterschrieben ist. Auch mein baares Vermögen, sei es in Metall oder Papier, vererbe ich diesem meinem Bruder Casimir. Da ich aber leidend und zu anstrengenden Geschäften nicht mehr aufgelegt bin, so habe ich es unterlassen, die Summe meines Vermögens aus den vorhandenen Geld- und Werthpapieren zusammenzuzählen, auch habe ich keine Neigung dazu, mich mit Dingen zu quälen, die erst zur Verhandlung kommen, wenn ich nicht mehr bin. Möge also mein Bruder dies Geschäft übernehmen, er wird Zeit genug dazu haben, und auch die Lust dazu wird sich bei ihm finden. Wenn er die sichere Ueberzeugung von dem Umfang seines Erbes erlangt hat, so überlasse ich seiner Ehrlichkeit und Gewissenstreue, dem Gerichte anzugeben, was er an baarem Gelde in meinem Nachlaß vorgefunden hat, damit er dem Staate, in dem ich zuletzt lebte und in dem er in Zukunft lebt, den ihm gebührenden Zins davon entrichte. Ich habe es absichtlich vermieden, irgend Jemanden auf den Grund meiner Kasse blicken zu lassen; einmal, weil ich auf keine Weise dazu verpflichtet war, und sodann, weil mich von jeher ein gewisses widerwilliges Gefühl peinigte, aller Welt offen zu sagen, wie hoch sie mich zu schätzen habe.

Auch mein treuer Secretair, der Rentmeister Hummer, kennt den Umfang dieses meines Vermögens nicht und daher darf Niemand – ich füge dies ausdrücklich auf seinen eigenen Wunsch meinem letzten Willen bei – daher darf Niemand, sage ich, ihm eine Unkenntniß zur Last legen, in der er mit meinem Willen erhalten worden ist. Um ihm aber den Beweis meines vollsten Vertrauens dafür zu geben, daß er mir zwanzig Jahre hindurch mit seltener Treue und Redlichkeit zur Seite gestanden, ernenne ich besagten Rentmeister Uscan Hummer zum alleinigen Testamentsvollstrecker, und mein Bruder und Erbe Casimir mag überzeugt sein, daß er ihm in allen Dingen und nach allen Richtungen hin vollkommen vertrauen darf.

Mein Nachlaß soll nicht versiegelt und von keinem Menschen, der irgend eine amtliche Stellung bekleidet, in näheren Betracht gezogen werden. Hummer allein hat über denselben zu wachen und ihn meinem Erben zu überantworten, was ihm um so leichter und angenehmer sein wird, da er meinen Bruder Casimir schon aus eigener Anschauung kennt und zu ihm dasselbe Vertrauen und dieselbe Neigung gewonnen, die er mir bewiesen hat.

Auf beiliegendem Blatt No: Drei stehen die Namen aller meiner Diener und Dienerinnen verzeichnet und daneben die Summen angegeben, die ich jedem Einzelnen zur Belohnung der mir geleisteten Dienste als mein Vermächtniß überweise. Ich will und bestimme dabei, daß mein Bruder, sobald er hier eingetroffen ist, es als eine seiner ersten Pflichten betrachte, unter Beistand des Rentmeisters Hummer, die Legate in baarem Gelde auszuzahlen, und habe ich dafür gesorgt, daß das dazu nöthige Capital jederzeit in meinem Schranke vorhanden ist. Niemand wird sich somit beklagen können, daß ich ihn übersehen oder zu knauserig behandelt habe, denn ich habe eines Jeden persönlichen Werth und meine Neigung zu ihm wohl erwogen und danach mein Vermächtniß bestimmt. Will mein Bruder die genannten Diener in seinem Hause behalten, so wird mir das angenehm sein; ich verpflichte ihn aber nicht dazu, da ich seine Ansichten in dergleichen Dingen nicht kenne und seiner Neigung in keiner Weise vorgreifen mag. Hält er es daher für rathsam, seinen Haushalt zu beschränken, so mag er es damit halten, wie er will – ja, er ist sogar in seinem Rechte, wenn er sie alle fortschickt und an ihrer Statt sich neue Diener wählt.

Wie die Summe jener Legate in meinem Schranke vorräthig liegt, so ist auch die vorhanden, welche mein Erbe als Collateralsteuer für die Ererbung meines Grundstückes, meines Hauses und übrigen Besitzes darin an den Staat zu zahlen hat. Ich habe Sorge getragen, daß auch diese Summe vor meinem Ableben gerichtlich festgesetzt wurde, um meinem Erben die Mühe zu ersparen, die mit einem solchen Geschäft unabweislich verbunden ist. Er wird außerdem noch Mühseligkeiten genug zu überwinden haben, das sehe ich voraus, ich kann ihn derselben aber leider nicht überheben.

Die Hülfe, die er dabei gebraucht, findet er zunächst und am besten in meinem Secretair Hummer selbst. Dieser hat mir sein heiliges Versprechen gegeben, so lange im Dienste meines Bruders zu bleiben, bis das letzte Geschäft in Betreff meines Nachlasses geregelt und beseitigt ist, und ich baue sicher darauf, daß er sein Versprechen erfüllen wird. Dafür aber soll mein Bruder Casimir verbunden sein, auch diesen Secretair Hummer in seinem Dienst zu behalten, bis der Nachlaß geordnet, und selbst später noch, so lange bis derselbe aus freien Stücken sich seinen Abschied erbittet. Letzteres wird wahrscheinlich schon nach einiger Zeit der Fall sein, da Uscan Hummer – auch dies erwähne ich hier ausdrücklich auf seinen Wunsch – schon seit Jahresfrist mit dem Gedanken umgeht, Europa wieder zu verlassen und in das Land zurückzukehren, wo er mit mir so lange gelebt und gearbeitet hat. Jedoch wiederhole ich im Interesse meines Erben, daß dieses erst dann geschehen kann und darf, wenn mein Bruder Casimir ihm mündlich und schriftlich erklärt, daß mein Nachlaß geordnet ist und alle Geschäfte in dieser Beziehung vollständig abgewickelt sind.

Mit diesen meinen Worten glaube ich Alles abgethan zu haben, was meinem Bruder und Erben zu wissen nöthig ist. Ich weiß kein einziges mehr hinzuzufügen, wenn es nicht das ist, daß ich ihm Genuß und Freude an seinem Erbe wünsche, daß Gott ihm ein langes Leben und beständige Gesundheit schenken und daß er so glücklich sein möge, einen Erben, wo möglich aus unserer Familie zu finden, dem er vertrauen kann, wie ich ihm vertraue.

So lebe denn wohl, mein Bruder Casimir! Wenn Dir diese Zeilen zu Gesicht kommen, ruhe ich schon an der Seite meiner Jugendgeliebten, meiner ewigen Sehnsucht auf Erden. Beschütze ihr und mein Grab, Du siehst es jede Stunde vor Deinen Augen, wie auch ich es jede Stunde sah, und möge der Anblick desselben Dich stets an mich und die Pflichten erinnern, die ich Dir in diesem meinem letzten Willen übertragen habe. Friede sei mit Dir wie mit mir, wenn Du diese Zeilen liesest, und das ist das letzte Wort, der letzte Wunsch, den Dir in Voraussicht des allmälig herannahenden Todes ausspricht

Dein Bruder Quentin van der Bosch.«

 

»Findest Du etwas an diesem letzten Willen meines Bruders auszusetzen?« fragte der Professor seinen Neffen, als er das Testament zu Ende gelesen hatte.

»Nein,« erwiderte Paul nach einigem Nachdenken, »doch werde ich es später mit Deiner Erlaubniß noch einmal lesen. Für jetzt bin ich nur um so mehr auf die Fortsetzung Deiner Erzählung gespannt. Laß mich nicht zu lange darauf warten.«

»Nein, das sollst Du auch nicht und ich fahre sogleich darin fort. Ich hatte also meine Erbschaft angetreten, allein der Genuß derselben, was man so nennt, sollte mir noch lange nicht zu Theil werden. Jetzt erst kamen die eigentlichen Geschäfte haufenweise über mich und ich gerieth in einen Strudel von Aufregung und Mühsal, den ich, ohne treuen und redlichen Beistand, niemals überwunden hätte. Wie mein Bruder es mir gesagt, stand mir der brave Hummer kräftig zur Seite, er wußte für Alles einen Rath und eine Hülfe, und ihm allein habe ich es zu danken, daß ich so weit gekommen bin, wie Du mich gegenwärtig findest.

Indessen war die Arbeit bei Weitem nicht so rasch vollbracht, wie ich mir vorgestellt hatte; es gingen Wochen und Monate darüber hin und schon das Durchgehen des so reichhaltigen Inventariums nahm eine ungeheure Zeit weg, denn der Rentmeister ruhte nicht eher, als bis ich mich mit eigenen Augen überzeugt, daß auch nicht das Kleinste fehlte, was in dem Verzeichniß geschrieben stand, welches allerdings überaus genau und fast mit peinlicher Sorgfalt abgefaßt war. Dabei überzeugte ich mich denn wirklich mit eigenen Augen, daß man mir bisher treu gedient und die Schätze bewahrt hatte, die mein Bruder besessen, und auch Du kannst Dich noch heute überzeugen, daß Niemand mir auch nur das Geringste entwendet hat.

Doch nun komme ich endlich zu dem nachgelassenen Vermögen meines Bruders,« fuhr der Professor seufzend fort und legte das Testament und das Inventarium, welche er bisher in der Hand gehalten, auf den Tisch zurück, während Paul eine ernstere Miene annahm und mit erneuter Spannung den Worten des Redenden folgte, der sogleich fortfuhr.

»Ja,« sagte er, »als der Rentmeister zum ersten Mal die in dem Geldschrank liegenden Papiere, die Geldrollen – es war meist Gold – preußische Kassenanweisungen und Gott weiß was sonst noch für Geld aufhob, hier auf dem großen runden Tische der Reihe nach ausbreitete und mir die einzelnen Summen mit ruhiger Geschäftsmiene vorzählte, wobei er einen beschriebenen Zettel benutzte, der, von meines Bruders Hand verfaßt, auch in dem Schrank gelegen, war ich über die Höhe dieser Summen über die Maaßen erstaunt. Ich hatte nicht allein nie in meinem Leben eine solche Geldsumme beisammen gesehen, sondern ich war auch der Meinung, daß sie so groß sei, daß sie niemals von mir verausgabt werden könne. Allein als es nun an die Absonderung der für die Diener ausgesetzten Legate ging – aus jenen Papieren kannst Du ersehen, daß der Rentmeister allein fünfzigtausend Mark und der älteste Diener meines Bruders zehntausend Mark empfing – gewahrte ich, daß doch auch eine sehr große Summe sich unter Umständen rasch vermindern könne.

Als wir so weit waren, fragte mich der Rentmeister, ob ich gesonnen sei, der vorgeschriebenen Bestimmung meines Bruders gemäß, diese Legate sogleich zu vertheilen, und als ich ihm natürlich beistimmte, sagte er: ›Dann wollen wir die übrigen Geschäfte so lange ruhen lassen!‹ und wir trugen nun das jetzt nicht gebrauchte Geld sammt allen Papieren in den Geldschrank zurück. Nur das für die Legate bestimmte blieb hier auf dem Tische liegen.

Eine Stunde später waren alle Diener und Dienerinnen des Hauses, vom Rentmeister herbeigerufen, in den Vorzimmern versammelt und jeder Einzelne ward nun zu uns in den Saal beschieden und es wurde ihm die seine Person betreffende Stelle des letzten Willens meines Bruders vorgelesen und gezeigt, woran die genannte Summe ihm sofort ausgehändigt ward und ein Jeder nach besten Kräften in einer offen gelassenen Rubrik den Empfang quittirte. Daß und wie dies geschehen, kannst Du in jenen Papieren später nachsehen. Als das letzte Legat gezahlt war, lagen nur noch fünfzigtausend Mark für den Rentmeister selber hier auf dem Tisch.«

»Halt!« unterbrach den Redenden hier der sichtbar irgend einen Gedanken verarbeitende Neffe, »erinnerst Du Dich vielleicht, lieber Onkel, in welchem Papier oder in welcher Geldsorte diese fünfzigtausend Mark gezahlt wurden?«

Der Professor dachte einen Augenblick nach, dann sagte er mit seinem gutmüthigen Lächeln: »Es ist merkwürdig, daß Du danach fragst, und zwar insofern, weil ich gerade einen Theil dieser Papiere genauer angesehen habe, da sie mir damals zum ersten Mal in meinem Leben vor Augen kamen. Es waren preußische und russische Papiere, und ich glaube – ja, es ist sicher, ich irre mich nicht – der Rentmeister sagte mir, daß die letzteren zur neuesten russischenglischen Anleihe gehörten.«

Paul's Gesicht, das noch so eben eine große Spannung verrathen, beruhigte sich bei dieser Erklärung wunderbar schnell. Er nickte ziemlich befriedigt seinem Onkel zu und sagte: »Verzeihe die Unterbrechung, und nun fahre in Deiner Erzählung fort.«

»Nachdem ich dem Rentmeister nun auch einige von mir schon vorher angestrichene Stellen des Testaments vorgelesen hatte, in welchen von der Treue desselben und dem Vertrauen meines Bruders zu ihm die Rede war, händigte ich ihm mit herzlichem Danke das ihm gehörende Geld ein, indem ich ihm auch meine Anerkennung für die meinem Bruder geleisteten Dienste aussprach.

Da legte der gute Mann die rechte Hand auf die Brust, in seinen Augen schimmerten Thränen der Rührung und er sprach zu mir mit tief bewegter Stimme: ›Ich habe nur meine Schuldigkeit gethan, Herr Professor; ich konnte gar nicht anders, denn Ihr Herr Bruder war gütig gegen mich, wie ein Herr gegen seinen Untergebenen es nur sein kann.‹

›Und sind Sie geneigt,‹ fragte ich weiter, ›dem Wunsche meines Bruders zu willfahren und so lange bei mir zu bleiben, bis Alles um mich her in bester Ordnung ist?‹

›Das ist ja eine beschworene Pflicht,‹ erwiderte er mit erhobenem Kopfe, ›und Sie werden finden, daß ich keinen Finger breit davon abweiche.‹

›So danke ich Ihnen nochmals,‹ sagte ich und unterschrieb nun das vor mir liegende Protokoll – auch das liegt in jenen Papieren – welches besagte, daß die Legate in meiner Gegenwart ausgezahlt seien und daß Jeder den ihm nach dem Willen des Erblassers gebührenden Antheil empfangen habe, wie die beiliegenden Quittungen es ergäben.

Diese erste Arbeit hatte eine lange Zeit fortgenommen und ich fühlte mich danach äußerst angegriffen. Der Rentmeister sah es und rieth mir, die noch übrigen Geschäfte auf den folgenden Tag zu verlegen, und so geschah es. Am nächsten Morgen, als ich kaum aufgestanden, ließ der eifrige Mann sich schon wieder bei mir melden und wir begaben uns bald an die Arbeit. Zuerst handelten wir die gesetzliche Steuer ab, die bereits genau verzeichnet war und zu meinem Erstaunen eine ungeheure Summe betrug. Wir zählten das Geld – es waren nur preußische Kassenanweisungen, zu fünfhundert und hundert Thalern eine jede, – drei bis vier Mal nach, und als wir uns überzeugt, daß es richtig sei, schlossen wir die ganze Summe in ein festes Papier und siegelten es zu, worauf der Rentmeister es mit dem Wort ›Collateralsteuer‹ bezeichnete und es wieder in den Geldschrank legte.

›So,‹ sagte er, ein großes Packet anderer Papiere in seinen Händen hierhertragend, ›das wäre abgemacht. Sie sind allen Ihren Verpflichtungen für's Erste nachgekommen und nun – nun können Sie an die Durchsicht und Summirung Ihres eigenen Vermögens gehen, bei welcher angenehmen Beschäftigung Sie hoffentlich keinen Zeugen gebrauchen.‹

›Wie,‹ rief ich, ›Sie wollen mich doch nicht verlassen? O nein, nein, bleiben Sie und helfen Sie mir zählen, ich bin darin nicht so ängstlich und geheimnißvoll wie mein Bruder, und ich werde Sie sogar sofort nach Beendigung dieses Geschäfts beauftragen, die Summe meines Vermögens dem Amtmann in Ritzebüttel mitzutheilen, damit derselbe die dem Staate zukommende Steuer auch davon erhebe.‹

Ich sah deutlich oder glaubte wenigstens zu sehen, daß diese meine Worte einen peinlichen Eindruck auf den Rentmeister machten und er sagte auch sogleich:

›Wenn es sein muß, will ich auch dieser Pflicht genügen, obwohl ich es nicht für nothwendig erachte, hierbei Ihr Zeuge zu sein, denn es ist eine reine Privatangelegenheit, die Niemand als Sie allein betrifft. – Doch, erlauben Sie,‹ unterbrach er sich, ›ich habe Ihnen zunächst erst noch eine Bitte vorzutragen. Wie Sie bereits wissen, ist der Pächter Dirksen vorige Woche gestorben und Sie müssen nothwendig bald einen neuen Pächter haben, wenn Sie das Gut nicht selbst bewirthschaften wollen. Darf ich hoffen, daß Sie in Ermangelung eines anderen Bewerbers mich selbst bei dieser Pachtung berücksichtigen, das heißt für die Zeit wenigstens, die ich noch in Europa zu verleben gedenke?‹

Ich war höchst erfreut über diesen Vorschlag, denn die Besetzung jener wichtigen Stelle hatte mir schon schwer auf der Seele gelegen. ›Natürlich,‹ erwiderte ich, ›Sie haben den ersten Anspruch darauf und ich freue mich, in Ermangelung jedes anderen Bewerbers sie Ihnen sofort übergeben zu können.‹

Der Rentmeister verbeugte sich dankbar, indem er tief erröthete. ›Dann handelt es sich nur noch um die Höhe des Pachtzinses, den Sie von mir beanspruchen wollen,‹ sagte er mit lächelnder Miene.

›Den kennen Sie ja,‹ erwiderte ich, ›ich kann Ihnen doch nicht die Pacht erhöhen, da Sie für meinen Bruder und mich so viel gethan haben. Wie hoch belief sich die Summe?‹

›Dirksen gab jährlich zweitausend preußische Thaler, aber das war nur ein geringer Preis, Herr Professor. Das Gut trägt bei Weitem mehr ein und Dirksen hat sich sehr gut dabei gestanden. Ihr Herr Bruder aber verlangte nicht mehr, und so ließ er sie ihm dafür bis an sein Ende.‹

›Was mein Bruder gethan, kann ich auch thun,‹ sagte ich, ›er war hoffentlich nicht der einzige großmüthige Mensch auf der Welt. Zweitausend Thaler jährliche Einnahme ist immer ein hübsches Geld für mich und wenn Sie dabei Vortheil haben, so gönne ich Ihnen denselben.‹

Der Rentmeister ergriff meine Hand und fast hätte er sie geküßt, wenn ich ihn nicht davon abgehalten hätte.

Wir stellten sogleich den nöthigen Contract aus, womit der Rentmeister schnell zu Stande kam, denn die üblichen Formausdrücke flossen ihm aus der Feder wie mir meine Gleichungen, und so war die Sache bald abgemacht und ich hatte glücklicherweise wieder einen Pächter. Vier Wochen später verließ die Familie des verstorbenen Dirksen das Gut und der Rentmeister zog in das Pachthaus, nachdem er sich in Bezug auf das vorhandene Inventar mit der Wittwe geeinigt hatte.«

»Also Du hast ihm die Pacht nicht auf ewige Zeiten überlassen?« fragte Paul, der bei der letzten Mittheilung seines Onkels mehrmals schnell geathmet hatte.

»Wie meinst Du?« fragte der Professor.

»Ich meine, Du hast mit dem Rentmeister nicht auf eine bestimmte Reihe von Jahren hinaus den Contract abgeschlossen?«

»Nein, mein Lieber, es ist gar keine Zeit bestimmt, vielmehr nur der Ausdruck gebraucht: so lange der Rentmeister Hummer in Europa zu bleiben gedenkt.«

»Es ist gut,« sagte Paul, »und nun erzähle weiter.«

Der Professor seufzte schwer auf und man sah ihm an, daß die Fortsetzung seiner Erzählung ihm immer saurer wurde. »Nun,« sagte er, »als wir auch damit zu Stande gekommen, begaben wir uns endlich an die Zählung meiner Papiere. Der Rentmeister ging sehr langsam und vorsichtig zu Werke und dictirte mir laut die Summen in die Feder, die ich, neben ihm sitzend, sogleich auf ein Blatt Papier niederschrieb. Es kam zuerst eine Rolle mit hundert Louisd'or, dann preußische Staatspapiere und zuletzt Stammactien irgend einer Eisenbahn. Als ich im besten Schreiben war, hielt der Rentmeister plötzlich inne und sah mich mit verwunderten Blicken an. Und ich ihn auch, denn sein Gesicht nahm den Ausdruck eines mit jedem Augenblick wachsenden Schreckens an.

›Was ist Ihnen?‹ fragte ich.

›Wir müssen uns geirrt haben,‹ sagte er, ›denn so wenig Vermögen kann Ihr Herr Bruder unmöglich hinterlassen haben. Die Papiere sind zu Ende und, so viel ich weiß, liegt kein einziges mehr im Geldschrank. Zählen Sie die Summe doch einmal gefälligst zusammen.‹

Ich zählte und es kamen, Alles in Allem, etwas über einundvierzigtausend Thaler heraus. Auch ich, mein lieber Junge, fand diese Summe etwas gering, obgleich ich gewiß nicht habgierig bin, aber mir that der Rentmeister leid, der sich vor Staunen gar nicht zu lassen wußte. Wir gingen noch einmal an den Geldschrank, suchten alle Fächer durch, fanden aber nichts. Nun fingen wir noch einmal an zu zählen und es stimmte die vorher angegebene Summe auf ein Haar. Es stand also fest, daß das baare Vermögen, welches mein Bruder mir hinterlassen, nicht mehr und nicht weniger als etwa einundvierzigtausend Thaler betrug.«

Paul's Antlitz hatte bei dieser Erzählung eine tiefe Blässe überzogen. »Aber das ist ja gar nicht möglich!« rief er jetzt mit energischer Stimme. »Ein Mann, der sich ein solches Haus baut, darin eine so große Dienerzahl ernährt, wie Dein Bruder, und der sein ganzes Leben lang kaufmännische Geschäfte betrieben hat, muß rechnen können und wissen, daß er von zweitausend Thalern Pacht und einundvierzigtausend Thalern Vermögen kein solches Hauswesen auf die Dauer unterhalten kann. Habe ich nicht Recht?«

»Gewiß hast Du Recht,« sagte der Professor kleinlaut, »und das dachte auch ich damals und der Rentmeister sprach es laut und offen aus. ›Das geht nicht mit rechten Dingen zu,‹ sagte er, ›es muß noch irgend wo anderes Geld verborgen sein. Lassen Sie uns suchen.‹ Ach, mein lieber Junge, und nun begann eine wahre Hetzjagd nach verstecktem Gelde. Vierzehn Tage lang durchsuchten wir alle Kasten, Behälter und Fächer, aber so viel wir auch suchten, wir fanden nichts, und endlich, ermüdet, erschöpft, standen wir Beide davon ab und fügten uns in das Unabänderliche.«

»Also wirklich?« rief Paul wie betäubt. »Nein, das kann ich nicht denken, Ihr müßt nicht ordentlich gesucht haben. Und es hat sich in diesem ganzen Jahre, wo Du hier lebst, nichts gefunden?«

»Keine Spur, mein Lieber.«

Paul senkte den Kopf in die Hand und dachte tief nach. Plötzlich sprang er auf. »Laß mich einmal Deinen Geldschrank sehen und die Papiere betrachten, die aus dem Nachlaß Deines Bruders herrühren,« rief er.

Der Professor zündete eine Kerze an, Paul nahm eine zweite und sie gingen nach dem Schrank im Alkoven. Dieser war ziemlich leer und außer dem Testament, dem Inventarium und verschiedenen anderen Papieren lag nichts darin, als einige Rollen Silbergeld, in die das einst gefundene Gold schon lange umgesetzt war, und die einundvierzigtausend Thaler in preußischen Staatspapieren und Eisenbahnactien. Paul nahm diese zur Hand und besichtigte sie genau. Dann aber sah er bei jedem die Rückseite an und fand, wie bei jenem Papier, welches Fritz Ebeling einst auf so seltsame Weise erhandelt, den Namen van der Bosch unten in der Ecke von derselben Hand gekritzelt, wie jener Staatsschuldschein ihn gezeigt.

»Hast Du jemals russischenglische oder preußische Staatspapiere verkauft?« fragte Paul seinen Onkel mit brennend auf ihn gerichteten Augen.

»Ich? Nie. Von den ersteren habe ich ja nie welche besessen.«

»Hat etwa der Rentmeister die seinigen verkauft?« fragte Paul mit noch schärferem Blick.

»Wie Du so seltsam fragst! Wie soll ich denn das wissen? Der Mann kann ja mit seinem Gelde machen, was er will.«

»Das ist wahr. Ist der Rentmeister jetzt wohl zu Hause?«

»Der Rentmeister? Ei, mein Gott, er ist ja schon vierzehn Tage verreist, wie ich Dir schrieb, und ich erwarte ihn erst heute oder morgen zurück.«

»Wohin ist er gereist?« fragte Paul weiter und sein dunkles Auge brannte wie Feuer dabei.

»Nach Ostfriesland, sagte er mir, um seine Verwandten zu besuchen, die er seit zehn Jahren nicht gesehen hat.«

Paul verfiel wieder in Nachdenken. In seinem Geiste stieg bereits die Idee auf, von der ganzen heutigen Unterredung mit seinem Onkel, sobald er noch nähere Kunde über Personen und Verhältnisse eingezogen, einen treuen Bericht an Ebelings zu senden. Als er zu diesem Entschluß gekommen, stellte sich seine frühere Ruhe allmälig wieder ein, und er kehrte mit dem Onkel nach dem Platze zurück, den sie vorher eingenommen.

»Jetzt kannst Du weiter erzählen,« sagte er, »Du bist mit Deinen Erlebnissen noch nicht zu Ende gekommen, wie ich merke.«

»O, noch lange nicht, und jetzt kommen erst die schlimmsten. – Von jenem Tage an, wo wir die Entdeckung machten, daß ich keineswegs ein so reicher Mann geworden sei, wie es so Viele vermuthet, wurde der Rentmeister von einem tiefen Kummer befallen. Ich merkte dem guten Manne an, wie sehr er litt und lernte nun auch sein edles Herz und sein theilnehmendes Gemüth kennen, wie mein Bruder es schon vor mir erkannt. Jeden Morgen, wenn er zu mir kam, fand ich ihn bedrückter und trauriger, und in diesem Zustande fuhr er eines Tages nach Ritzebüttel, um dem Amtmann die noch einmal von uns durchgezählten Steuergelder zu überbringen, zu welcher Handlungsweise ich mich entschlossen hatte, da ich einen Widerwillen hegte, noch einmal in meinen Angelegenheiten mich zu dem Beamten zu begeben. Allein ich hatte mich verrechnet, das Zusammentreffen mit ihm sollte mir dennoch nicht erspart werden.

Den Tag nach des Rentmeisters Fahrt nach Ritzebüttel nämlich kam der Amtmann selber zu mir und sprach offen seine Verwunderung aus, daß mein Bruder kein größeres Vermögen hinterlassen habe, als die Summe betrug, die am Tage zuvor der Rentmeister ihm genannt. Wir sprachen die Sachlage nach allen Richtungen durch und auch der Amtmann äußerte die naheliegende Vermuthung, daß Quentin doch noch vielleicht eine größere Summe Geldes irgend wo verborgen habe. Bis auf Weiteres indessen zählte ich einige Tage später, die mir von Amtswegen auferlegte Collateralsteuer von fünf Procent für die einundvierzigtausend Thaler, und damit war ich für's Erste allen meinen Verpflichtungen gegen Fremde nachgekommen.

Nun aber, mein Lieber,« fuhr der Professor fort, nachdem er vielleicht wider sein Wissen ein halbes Glas Wein getrunken, »hatte ich auch noch eine Verpflichtung gegen mich selbst zu erfüllen. Von der Dralling aufmerksam gemacht, erinnerte ich mich zur rechten Zeit, daß ich ein Rechenkünstler sei und – ich begab mich zum ersten Male in meinem Leben daran, mein eigenes Vermögen zu berechnen und meine Ausgaben mit meinen Einnahmen zu vergleichen. Aber da machte ich eine traurige Entdeckung, denn ich sah ein, daß ich, wenn ich meinen Haushalt so fortführen wollte, wie ich ihn von meinem Bruder übernommen, für meine Person eine kaum nennenswerthe Summe übrig behielt.

Ich hatte etwa ein Einkommen von viertausendfünfhundert Thalern, wenn ich den Pachtzins und sogar mein früheres kleines Vermögen mit in Anschlag brachte, und meine jährlichen Ausgaben an Steuern und Unterhalt meines überflüssigen Hausgesindes nahmen allein schon einen großen Theil dieser Summe weg. Dies konnte also nicht so bleiben. Es mußten Einschränkungen aller Art eintreten und zuallererst mußte nothwendig die Dienerschaft bedeutend verringert werden. Natürlich legte ich meine Berechnung zunächst dem Rentmeister vor und nach einiger Ueberlegung stimmte er mir vollkommen bei. Es war hart für mich, den gefaßten Entschluß zur That werden zu lassen und den alten treuen Dienern meines Bruders unser bisheriges Verhältniß aufzukündigen. Dennoch mußte es geschehen und die gesammte Dienerschaft wurde eines Tages in diesen Saal beschieden. In Gegenwart des tief niedergeschlagenen Rentmeisters theilte ich den Leuten die Nothwendigkeit mit, unser bisheriges Verhältniß zu lösen, und ich bat sie, mir das Herz nicht noch schwerer zu machen und ohne eine Aeußerung ihrer Gefühle sich in das Unabänderliche zu fügen und am nächsten Monat ganz still Betty's Ruh zu verlassen. Aber mein Gott, da stürmte ein ganz neues und unbekanntes Weh über mich herein. Männer und Weiber fingen bitter an zu klagen und laut zu heulen, beschworen und baten mich mit thränenden Augen, sie nicht in die weite Welt zu stoßen, nachdem sie es hier so gut gehabt, und viele von ihnen wollten sich sogar mit der Hälfte ihres bisherigen Lohnes begnügen, wenn sie nur hier bleiben dürften. Aber ich konnte ihnen nicht willfahren, ich war gezwungen, hart zu erscheinen, wo ich doch so weich war und – mußte standhaft auf meinen Beschluß beharren. Vier Wochen später zogen die Leute mit Wehklagen, einige freilich auch mit Zorn und Unwillen ab und zerstreuten sich in alle Welt, Jedermann, der es hören wollte, verkündend, was Unerhörtes, Grausames und Unmenschliches auf Betty's Ruh geschehen. Na, da gab es natürlich eine große Aufregung in der ganzen Umgegend. Kein Mensch wollte glauben, daß ich durch die Noth zu jener Handlungsweise gezwungen worden, und ich ward überall – die Dralling setzte mich davon in Kenntniß – als unersättlicher Geizhals verschrieen, als ein Mann ohne Herz und Gefühl, worein ich mich natürlich mit philosophischem Gleichmuth ergeben mußte, da ich ja nichts daran ändern konnte. Schon dadurch war ich beruhigt, daß wenigstens der Amtmann in Ritzebüttel und seine Bekannten wußten, wie die Sache zusammenhing, und mein Gewissen machte mir nicht den geringsten Vorwurf. So behielt ich nur die nothwendigsten Diener im Hause, um meine Zimmer, meine Ställe, Küche, Garten und Park nicht ganz verkommen zu lassen, und die Dralling trat wieder wie in der kleinen Heimat in ihre früheren Rechte ein, indem sie von Neuem thätig werden und als Oberaufseherin und erste Wirthschafterin mein Hauswesen in Ordnung halten mußte.«

»Erlaube mir nur ein Wort,« unterbrach hier Paul den von seinem eifrigen Vortrage erhitzten Professor, »Deine Handlungsweise in Betreff der vielen überflüssigen Haus, Stall- und Gartendiener kann ich nur billigen, Du mußtest so und konntest nicht anders handeln. Allein mit einigen der alten Getreuen hättest Du vielleicht eine Ausnahme machen sollen und Du würdest Dir dadurch wahrscheinlich manche üble Nachrede erspart haben.«

Der Professor horchte hoch auf. »Eine Ausnahme?« fragte er. »Mit einigen Getreuen? Mit welchen denn zum Beispiel – hast Du vielleicht schon etwas darüber gehört?«

»O ja,« erwiderte Paul, »man hat es mir unterwegs erzählt, als ich zufällig Jemanden nach Betty's Ruh fragte. Am bittersten wurde getadelt, daß Du auch den ältesten Leibdiener Deines Bruders entlassen habest, der demselben doch so lange Jahre treu zur Seite gestanden hatte.«

»Aha,« rief der Professor, »Du meinst den Laurentius Selkirk. O, o, mein Lieber, wenn man Dir gesagt, daß ich ihn wie alle übrigen fortgeschickt, so hat man Dir eine ganz falsche Mittheilung gemacht. Gerade ihn, den mein Bruder in seinem Testament so reichlich mit zehntausend Mark bedacht, wollte ich behalten und ich bat ihn sogar wiederholt, bei mir zu bleiben. Allein, ich habe vom ersten Augenblick an aus dem Mann nicht klug werden können; er stand mir niemals Rede und legte sogar einen merklichen Eigensinn an den Tag, der mit einer wunderbaren Menschenscheu verbunden war. Gerade in der Nacht, die dem Tage folgte, wo ich ihm zum letzten Mal gesagt, daß ich ihn in Betty's Ruh behalten wolle und worauf er mir noch heute die Antwort schuldig ist, verließ er gegen alles Vermuthen und ohne allen Grund bei Nacht und Nebel das Gut und – ich habe nie erfahren, wohin er sich von hier aus gewandt hat. So, nur so, mein Junge, hängt die Sache zusammen, und Du siehst, daß ich mich gegen diesen Mann keiner Pietätsverletzung schuldig gemacht habe.«

Paul schüttelte verwundert den Kopf, als er dies hörte, aber er schwieg. Die Art und Weise, wie Laurentius Selkirk sich von Betty's Ruh entfernt, fiel ihm auf und er beschloß im Stillen, sich noch einmal genau nach demselben im Leuchthause an der Kugelbaake zu erkundigen und dann auch auf Neuwerk Nachfrage nach ihm zu halten, wenn der seltsame Mann noch auf der Insel verweilen sollte.

»Hast Du mir noch mehr zu erzählen?« fragte er endlich den Onkel laut.

»O Du mein Himmel, es kommt ja erst noch das Aergste!« rief dieser, indem er nach der Uhr sah, »und ich möchte gern mit meinem Bericht zu Ende kommen, ehe unsre Speisestunde schlägt. Na, es ist noch Zeit bis dahin und ich fahre also fort. – Wie ich es mit den dienenden Männern und Weibern gehalten, so mußte ich es natürlich auch mit anderen Dingen machen. Da kamen denn zuerst die Pferde an die Reihe, deren zwölf im Stalle standen und die täglich viele Scheffel Hafer fraßen. Wozu mein Bruder diese Menge Pferde gebraucht hat, ist mir unerklärlich, es müßte denn sein, daß er sie dazu benutzte, alle seine Leute täglich spazieren fahren zu lassen. Es waren sämmtlich vortreffliche Thiere und ich ließ sie in öffentlichen Blättern ausbieten, eben so die Equipagen, von denen auch ein unnützer Vorrath vorhanden war. Da kamen denn die Käufer von allen Seiten herbei und es begann, ein Handeln und Feilschen, das mir die Haare zu Berge trieb. Ich hatte keine Stunde Ruhe bei Tage und ich dankte meinem Gott, als die letzten Pferde und Wagen verschachert waren, wofür ich einen ganz hübschen Preis erhielt, der die durch Steuern und sonstige Ausgaben für Diener und andere Dinge entstandene Kassenlücke wieder zum Theil ersetzte. Nur zwei flinke Grauschimmel und einen leichten Wagen, der für jede Jahreszeit benutzt werden kann, behielt ich. Ganz ohne Fuhrwerk konnte ich nicht bleiben, und so gern ich mir auch noch diese Einschränkung auferlegt, so bewies mir doch der Rentmeister mit verständigen und eindringlichen Worten, daß sie bei der Lage von Betty's Ruh unmöglich sei. So habe ich mir denn das Leben bisher gefristet; meine Ausgaben entsprechen meinen Einnahmen und ich habe in dieser Beziehung die Ueberzeugung gewonnen, daß ich in Zukunft wenigstens, nicht zu darben brauche, wenn ich etwas sparsam bin. Auch brauche ich nun vor der Hand von dem vielen Tand, den ich besitze, nichts weiter zu verkaufen, wogegen ich einen großen Widerwillen hege, zumal ich ja doch nur Alles, wie Wagen und Pferde, weit unter seinem wirklichen Werth losschlagen müßte.

Doch das habe ich Dir nur vorweg mitgetheilt – es fielen noch ganz andere Dinge vor, die meine Zeit in Anspruch nahmen und mir alle Freude an der neuen Erbschaft benahmen.

Ich habe Dir schon gesagt, daß der Rentmeister in eine kummervolle Stimmung gerathen war, seitdem er in Erfahrung gebracht, wie gering an baaren Mitteln meine Erbschaft ausgefallen war. Der arme Mann verging fast vor Schmerz, als er die Diener vom Hause scheiden und den Verlauf der schönen Pferde und Wagen sah, und jeden Abend saß er hier bei mir und klagte mir seine Noth, als ob mein Schicksal ihn selbst betroffen habe. Da, eines Morgens, als ich eben aus dem Alkoven in den Saal getreten war, kam er ganz verstört zu mir und sagte, er müsse mir ein schreckliches Ereigniß berichten. Ich war darüber so betroffen, daß ich kaum reden konnte, denn ich glaubte schon, mein Grund und Boden sei über Nacht von dem Meere verschlungen worden.

›Was giebt es denn?‹ fragte ich endlich mit bebender Stimme und mußte mich auf einen Stuhl setzen, so bewegt war ich. Und da kam er denn mit der Sprache heraus und erzählte mir, daß seine Ehre von verschiedenen Seiten her angegriffen sei, daß das Gerücht sich in der Umgegend verbreitet habe, es sei bei dem Tode meines Bruders hier nicht mit rechten Dingen zugegangen, und daß er, um wenigstens seine völlige Unschuld zu beweisen, genöthigt sei, zum Amtmann nach Ritzebüttel zu gehen und eine Untersuchung zu beantragen, deren Resultat er mit Ruhe entgegensehe und von der er allein Hülfe erwarte, da er in der bisherigen Noth und Sorge nicht mehr leben könne.

›Eine Untersuchung,‹ fragte ich mit laut schlagendem Herzen, ›eine gerichtliche Untersuchung?‹

›Ja,‹ sagte er fest, ›und von mir gerade muß der Antrag darauf ausgehen, wenn meine völlige Unschuld für ewige Zeiten erwiesen werden soll.‹

›Aber, mein Gott,‹ rief ich, ›ich habe ja noch nie an Ihrer Unschuld gezweifelt – was sollten und könnten Sie denn Unrechtes begangen haben? Sie haben ja nur stets und überall Ihre Pflicht erfüllt –‹

›Sie haben sie allerdings nicht bezweifelt,‹ erwiderte er, ›das weiß ich wohl und dafür danke ich Ihnen schon lange im Stillen, aber die Welt hat auch eine Stimme und ich fühle mich von dieser Stimme verletzt, selbst wenn sie der erbärmlichste Lump hören ließe. Es ist also meine Pflicht, daß ich handle, um jene Stimme für ewig zum Schweigen zu bringen.‹

Kannst Du Dir eine ehrlichere Seele vorstellen?« fragte der Professor seinen Neffen mit der mildesten und harmlosesten Miene. »Nein, gewiß nicht; der Mann ist ein wahres Muster von Ehrlichkeit und Selbstverläugnung. Ich mochte ihm sagen, was ich wollte, ihn bitten, wie ich wollte, er beharrte auf seinen Entschluß, führte ihn aus und fuhr nach Ritzebüttel zum Amtmann. Und nun kannst Du Dir denken, was geschah. Der Amtmann nahm sogleich die Untersuchung auf und begann eine lange gerichtliche Verhandlung: deren genaue Schilderung Du mir erlassen magst. Der Amtmann erschien abermals in Person hierselbst und es wurden außer mir alle vorhandenen Diener, der Rentmeister und sogar der Laurentius Selkirk zu Protokoll vernommen, den Hummer irgend wo aufgetrieben hatte. Aber es kam nichts dabei heraus – der Selkirk verweigerte sogar anfangs jede Auskunft und war fast geisteskrank, als er vor Gericht stand. Niemand konnte aus ihm klug werden. Er gab ganz unzureichende und nichtssagende Antworten und so wurde er endlich wieder aus seiner Haft entlassen, in die man ihn zu bringen für nöthig gehalten. Nach drei Monaten endlich – es ist jetzt etwa zwei Monate her und so lange hatte die Verhandlung gedauert – kam der Amtmann abermals hierher und erklärte mir, daß gegen den Rentmeister Hummer nichts, durchaus nichts vorliege, daß derselbe, wie er zwanzig Jahre lang von seinem alten Herrn treu befunden sei, sich auch gegen mich treu erwiesen habe und daß ihm nicht das Geringste zur Last gelegt werden könne.

Ich war davon schon vorher überzeugt gewesen und freute mich in der Seele des guten Rentmeisters. Ich ließ ihn sogleich rufen und der Amtmann wiederholte in seiner Gegenwart, was er mir allein gesagt, wobei der Rentmeister heftig zu weinen anfing und endlich sagte: er habe sein Geschick mit Ergebung ertragen, da er das reinste Gewissen gehabt. Er werde fortfahren, mir treu und redlich zu dienen, wie bisher, aber der Herr Amtmann möge dafür sorgen, daß sein persönliches Urtheil über ihn und seine Ansicht der Sache auch anderweitig bekannt werde. Das versprach der Amtmann auch und so hatte diese fatale Geschichte ihr Ende und nun konnte ich endlich etwas freier athmen. Was meinst Du zu dieser Mittheilung, mein Junge, wie? Findest Du mich nicht beklagenswerth, daß ich so viel auszustehen fand, und begreifst Du, wie mir das erste Jahr in Betty's Ruh in Sorgen und Nöthen vergangen ist, von denen ich in meinem früheren Leben keine Ahnung hatte?«

»O ja,« sagte Paul nach einigem Nachdenken, »ich begreife das. Aber wenn Du nun mit Deiner Erzählung zu Ende bist, lieber Onkel, so möchte ich mir noch eine Frage an Dich zu richten erlauben.«

»Ja, sprich sie aus, ich bin mit meiner Erzählung glücklicherweise zu Ende.«

»Diese Frage ist wichtig,« fuhr Paul mit Nachdruck fort, »wie es Dir gleich selbst einleuchten wird. Erinnerst Du Dich des Briefes Deines Bruders Quentin, in welchem er Dir von einem ›Büchelchen‹ schrieb, das er für Dich angelegt und worin er Dir den genauen Nachweis seines baaren Vermögens geliefert habe?«

Der Professor wurde plötzlich bleich und schaute mit einer gewissen Verschämtheit vor sich nieder.

»Ja, ich erinnere mich,« sagte er leise, indem er sich den Schweiß von der Stirn trocknete.

»Nun denn, hast Du den Rath, den ich Dir damals schriftlich zusandte, nicht befolgt und Deinen Bruder gebeten, dieses ›Büchelchen‹, so nannte er es ja, sorgfältig zu bewahren und dafür zu sorgen, daß es sicher in Deine Hände käme?«

»Mein lieber Junge,« sagte der Professor mit fast weinerlicher Stimme, »in diesem Puncte muß ich mich freilich einer Unterlassungssünde anklagen. Deinen Rath habe ich wohl erhalten und ihn auch befolgen wollen. Allein ich verschob es von Tag zu Tag, weil ich so viel zu thun hatte, bis die Nachricht vom Tode meines Bruders mich plötzlich überraschte, und da war es mit der Befolgung des Rathes für immer vorbei.«

Paul schüttelte bedenklich den Kopf. »Das ist sehr übel,« sagte er, »und hierin liegt vielleicht die Ursache aller der Verlegenheiten, denen Du hier preisgegeben gewesen bist.«

»O, o, mein Junge, ich weiß es, Du hast Recht, aber verurtheile nur Du mich nicht, ich habe mir schon oft selbst darüber Vorwürfe gemacht. Jetzt ist leider nichts mehr daran zu ändern. Auch habe ich die unterlassene Bitte an meinen Bruder hier wieder gut zu machen gesucht, indem ich wiederholt nach dem Büchelchen forschte, aber ich habe keine Spur davon gefunden und mein Bruder muß also vielleicht von seinem Vorhaben zurückgekommen sein oder das Buch irgend wo niedergelegt haben, wo es bisher noch nicht entdeckt worden ist.«

»Hast Du dem Rentmeister von diesem Buche und der Erwähnung desselben Seitens Deines Bruders irgend eine Mittheilung gemacht?« fragte Paul mit scharfem Aufblick seines dunklen Auges.

Der Professor sah ihn befremdet an. »Nein,« sagte er, »das habe ich nicht gethan. Mein Bruder schrieb mir ja, daß dem Rentmeister nichts davon bekannt sei, wie er ihm überhaupt verschwiegen, daß er an mich geschrieben habe. Meinst Du aber, daß ich ihn danach fragen soll, wenn er zurückkommt?«

»Nein,« erwiderte Paul bestimmt. »Sprich auch ferner kein Wort mit ihm darüber, und wenn Du mir einen Gefallen thun willst, so überlaß mir – mir allein jetzt, nach diesem Buche zu forschen, wie überhaupt Licht in das Dunkel Deiner Verhältnisse zu bringen. Vielleicht gelingt es mir besser als Dir. Ich habe keine Vorurtheile, weder für, noch gegen Personen und Dinge, ich bin unbefangener als Du, weil ich weniger betheiligt bin als Du, und vor allen Dingen: ich komme mit frischen Kräften hierher, während Du Dich schon übermüdet und überbürdet hast.«

Der Professor reichte dem Neffen beide Hände. »Paul,« rief er mit entzückter Miene, »Du sprichst mir wie aus der Seele; das ist ja ganz meine Ansicht, die Du da eben entwickelst. Warum hätte ich denn an Dich geschrieben und Dich gebeten, mich zu besuchen? Nun bist Du ja da, Du hast Zeit, Dich hier umzusehen. Vielleicht, ja, findest Du die Spur des wichtigen Buches, und dann – dann tritt Ruhe hier ein, denn sowohl Du, wie alle Welt wird sich überzeugen, wie ich schon lange überzeugt bin, daß hier nichts vorgefallen, was irgend einen Schatten auf einen der hier lebenden Menschen wirft.«

Paul lächelte still in sich hinein, nickte mit dem Kopfe und dann stand er auf, um einige Male im Saale auf- und abzuwandeln und sich seinen Gedanken zu überlassen, die mit Sturmesgewalt über ihn herflutheten. Nun endlich war ihm das Räthsel von Betty's Ruh gelöst, der ›Geiz‹ des neuen Herrn war ihm erklärt und die ganze Erbschaft lag mit ihren bereits offenen und noch verschlossenen Geheimnissen vor seinen Augen; vor seinen Augen, die zwar noch nicht Alles sahen, was vielleicht zu sehen war, die aber doch klar, hell und scharf genug waren, den Vorhang zu durchdringen, der noch bis auf diesen Tag alle Verhältnisse auf Betty's Ruh verschleierte, und, mit seinem starken Willen im Bunde, das Siegel des Räthsels zu brechen, das noch Niemand erbrochen, so viele Hände sich auch schon bemüht hatten, diese schwierige Arbeit zu verrichten.


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