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Fünftes Kapitel.
Das geheime Manuscript

Fritz hatte nicht Unrecht gehabt: von diesem Augenblick an sah Paul van der Bosch die Erbschaft seines Onkels allerdings mit etwas anderen und freundlicheren Augen an und er wunderte sich sogar bisweilen über sich selbst, daß sie ihm nicht schon lange als ein nicht zu verachtendes, ganz kleines in der Ferne tagendes Licht erschienen sei. Ja, er ertappte sich in den nächsten Tagen schon auf dem Wunsch: der Onkel möge bald von sich hören lassen, und als in einer und mehreren Wochen kein Brief von Betty's Ruh kam, fühlte er fast eine Art Unruhe, die ihm bisher fremd geblieben war. Allein auch diese kleine Unruhe legte sich mit der allmälig fortschreitenden Zeit wieder und als nun endlich schon zwei Monate seit der letzten Nachricht des Onkels verstrichen waren, hatte er sich in Geduld gefunden und blickte nur noch viel seltener nach dem Postboten aus, der ihm zwar Briefe aus der Stadt genug brachte, aber den am meisten begehrten aus der Ferne hartnäckig zurückhielt.

Nach Ablauf dieser beiden Monate war man nun schon mitten in den Sommer eingetreten und da fand sich zum Glück eine neue Abwehr gegen die bisweilen doch hervortretende Ungeduld. Der erste Juli war dazu bestimmt worden, mit dem Einzug in das neue, nun fertig gewordene Gartenhaus zu beginnen, und da gab es natürlich für Paul Aufregung und Abwechselung in Fülle. Der Banquier Ebeling hatte ihm schon lange vorher die innere Ausstattung der schönen Räume übertragen und die Künstler und Handwerker waren mit der Ablieferung der bei ihnen bestellten Gegenstände pünctlich gewesen. Die nach seiner Zeichnung und Angabe verfertigten Möbel wurden von ihm aufgestellt, die Vorhänge, die Teppiche und Alles, was zur Ausschmückung des Hauses eines so reichen Mannes gehört, waren nach seiner Auswahl der Farben und Muster beschafft worden, und täglich brachte er mit mehreren Handwerkern einige Stunden in den Räumen zu, um sie zu schmücken und das Ganze bis auf das letzte an der Wand befestigte Bild zu vollenden. Auch der Park hinter dem Hause hatte sich nach Wunsch entwickelt; der Rasen hatte sein sammetgrünes Kleid angelegt, die eingepflanzten Zierbäume hatten sich im vorigen Winter erholt und prangten jetzt im vollsten Blätterschmuck; in dem Garten vor und zunächst dem Hause blühten die schönsten Blumen, die theils das kleine Treibhaus geliefert, theils der Gärtner aus der Erde hervorgelockt, und schon hatten sich befiederte Gäste reichlich eingefunden, die auch für sich eine neue liebliche Heimat gegründet sahen und ihr unschuldiges Frohlocken darüber laut in die frische Luft jubelten.

Bis zum ersten Juli war der fleißige Baumeister denn auch glücklich mit Allem zu Stande gekommen, und nun war ihm die Freude beschieden, seine Freunde in eigener Person in das Werk seiner Hände einzuführen und es ihnen zum bleibenden Genuß zu übergeben, indem er sie in ihren neuen Wänden willkommen hieß und ihnen auch einmal Glück für alle Zeiten wünschte, wie sie ihm früher schon oft Glück zu einem vielleicht noch schöneren einstigen Erwerb gewünscht hatten.

Da war denn die Freude natürlich groß auf allen Seiten, und der Baumeister war in den Herzen des Bauherrn und der Seinigen wieder ein Stück weiter vorgerückt, von denen er schon lange einen so großen Theil besaß. Fritz jubelte laut, als er das obere Stockwerk betrat, welches der Oberforstmeister von Hayden mit seiner Familie nun leider nicht mehr bewohnen sollte, denn für den einzigen Sohn hatte der freigebige Vater das Stockwerk bestimmt, das einst dem vornehmen Schwager zugedacht gewesen war.

»Nun ja,« sagte der brave junge Mann, als sein Freund ihn in der geschmückten Zimmerreihe umherführte, »groß und schön genug sind die Räume für mich, aber sie können noch lange warten, bis sie von Bewohnern ausgefüllt werden, auf die Du doch, wie ich aus der ganzen Anordnung sehe, gerechnet zu haben scheinst. Ich habe noch lange zu suchen, bis ich eine Betty finde, die mir das neue Haus heimisch macht, und das habe ich mir einmal in den Kopf gesetzt: finde ich nicht ein Mädchen, wie meine Cousine war, so bleibe ich ledig, mein Leben lang.«

Paul lächelte schmerzlich wie immer, wenn sein Freund das Gespräch auf die Cousine brachte, und er sagte auch diesmal nichts, da er nicht wußte, was er sagen sollte, und Jenem den schönen Gedanken nicht verargen konnte, den er so eben ausgesprochen. So verlebte man denn den Sommer viel in der freien Natur, nicht mehr von der Enge und dem Dunst und Staub der geräuschvollen Stadt bedrückt und jeden Abend, wenn seine Arbeit ruhte und seine Zeit es erlaubte, war Paul wieder in dem trauten Familienkreise zu finden, ohne den er sich das Leben nun schon nicht mehr denken konnte, das ja durch sie allein ihm so angenehm und erfreulich geworden war.

Allein auch der Sommer verging und der Herbst kündete sein Nahen wieder mit seinen Winden, seiner rauhen Luft und seinen Regengüssen an. Dennoch blieb man bis Anfang November in dem neuen Hause wohnen, dann aber faßte man einen raschen Entschluß und siedelte an einem regenfreien Tage nach der Stadt über, wo das große leere Haus die alten Bewohner wieder gastlich empfing und ihnen in seinen schönen Räumen die langgewohnte Gemüthlichkeit bot.

Aber merkwürdig war es: kaum saß man sich in diesen alten Räumen gegenüber, so tauchten auch die alten Erinnerungen wieder auf, mit denen man im Sommer davon geschieden war, und es kam Allen mehr oder weniger so vor, als schlichen auch einige Sorgen und bisher unbefriedigte Wünsche aus den Winkeln hervor, die den Sommer über fest darin geschlummert hatten. Erst hier kam es wieder zur Sprache, daß Onkel Casimir noch immer nicht geschrieben habe, und sehnsüchtig wie früher richteten sich die Blicke von Neuem nach dem Norden und der Briefträger wurde wiederholt mit scharfen Augen betrachtet, ob er denn noch nicht eine Botschaft in Gestalt eines kleinen viereckig gefalteten Papiers in's Haus tragen wollte.

Allein, so viele Briefe er täglich brachte, von Betty's Ruh war niemals einer darunter, und endlich wurden sogar Klagen darüber laut, daß der alte Onkel doch wirklich über Gebühr saumselig und schreibefaul sei.

»Ich werde,« sagte Fritz eines Abends zur Mutter, als er mit ihr allein war, »einmal an meinen alten Freund Hugo Baring in Hamburg schreiben, denn ich kann wirklich nicht begreifen, was dies lange Schweigen zu bedeuten hat und ich sehne mich von ganzem Herzen nach klarer Einsicht in die Sache. Meinst Du nicht auch – soll ich schreiben?«

»Schreibe,« erwiderte die Mutter, »aber vorsichtig. Du weißt, Paul liebt die Aufdringlichkeit nicht und wir müssen sein Gefühl darin schonen, obgleich es auch mir fast zu zart in dieser Angelegenheit erscheint.«

Das ließ sich Fritz wohl gesagt sein und er schrieb wirklich an seinen alten Freund einen herzlichen Brief, lud ihn zu einem Besuche bei sich ein und erlaubte sich dabei ganz leise auf Betty's Ruh hinzudeuten, ohne jedoch irgend eine bestimmte Frage danach auszusprechen.

Der alte junge Freund war pünctlich wie sein Vater, und schon nach acht Tagen ging ein Schreiben von ihm ein, welches eben so herzlich war wie das empfangene. Er beantwortete dasselbe genau und zuletzt sprach er sich folgendermaßen aus:

»Was meinen Besuch bei Dir betrifft, mein lieber Fritz, so bin ich hier eben so an den Comptoirtisch gefesselt, wie Du bei Deinem Vater. In diesem Jahre und auch im nächsten darf ich dem Alten mit keiner Reise kommen, die nicht das Geschäft berührt, dann, aber dann gewiß fasse ich mir ein Herz und trage ihm mein Anliegen vor, mir nach so langer fleißiger Arbeit einmal ein paar Wochen zu meiner Belustigung zu schenken, und ich hoffe, er wird es mir nicht abschlagen.

Doch Du schreibst auch etwas von Betty's Ruh und möchtest gewiß, wie damals, wissen, wie die Sachen daselbst stehen. Aber leider, mein lieber Junge, kann ich Dich auch diesmal nicht ganz befriedigen, denn wie früher scheint sich jetzt ein neues Geheimniß auf das langweilige und öde Nest in Ritzebüttel niedergelassen zu haben. Gott weiß, was da vorgehen mag! Mein Vater, der sonst bisweilen darüber sprach, ist mit einem Mal still geworden, und wenn Briefe von Herrn van der Bosch ankommen, liest er sie ganz für sich und legt sie, ohne ein Wort davon zu verrathen, in sein Geheimfach. Als ich ihn neulich einmal danach fragte, runzelte er die Stirn und sah mich grimmig an, wie es seine Gewohnheit ist, wenn er nicht gefragt sein will.

›Das geht Dich nichts an,‹ sagte er bestimmt, ›bekümmere Dich um Deine Sachen, nicht um die meinigen.‹ Damit hatte ich genug und ich sah also, daß er diese Sache wieder in seine Hand genommen, wie ehedem. Doch halt – noch Eins will ich Dir verrathen, wenn Du schweigen, kannst. Aber ich bitte Dich um Gottes willen, keinen unedlen Gebrauch davon zu machen, sonst könnte es mir schlimm ergehen. Wie Du weißt, haben wir früher mit dem verstorbenen van der Bosch viele Geschäfte gemacht, aber plötzlich scheint ein Stillstand darin eingetreten zu sein. Außer den Aufträgen zu Ein- und Verkäufen von Staats- und Eisenbahnpapieren, je nachdem die Course standen, kamen sonst immer sehr viele Coupons in unsere Hände, sobald sie fällig waren, aber seitdem der Herr Professor darauf residirt, geschieht das nicht mehr oder nur noch, in viel geringerer Ausdehnung. Möglich ist es – und ich glaube es fast – daß der neue Besitzer, durch irgend einen Zwischenrath oder ein aufdringliches Haus dazu veranlaßt, seine Geldgeschäfte mit einem anderen Bankhause macht, und das würde mir auch den Grimm meines Alten erklären. Kein Geldmann sieht es gern, wenn ein alter Kunde abtrünnig wird, und das mag meinen Vater warnen. Doch nun still darüber und vernichte lieber diesen Brief –«

Das that Fritz nun freilich diesmal nicht, aber er bewahrte ihn sorgsam auf. Auch sagte er seinem Freunde nichts davon, um ihn nicht unnöthig aufzuregen, nur seiner Mutter vertraute er das neue Geheimniß. Diese aber nahm dasselbe ohne alles Erstaunen auf, worüber Fritz sich höchlichst wunderte und wodurch er fast ganz beruhigt wurde.

»Wenn es so ist, wie Dein Freund Hugo vermuthet,« sagte sie ihm, »so trifft der Schaden allein das Haus Baring und Sohn und geht uns und Paul nichts an. Es mag schlimm für sie sein, aber etwas Aehnliches begegnet dann und wann jedem Geschäftsmann. Etwas Wichtiges ist es also in meinen Augen durchaus nicht.«

»Nein, das ist es nicht,« stimmte Fritz bei, »und darum will ich schweigen. Die Sache muß sich doch endlich einmal aufklären und der Professor muß schreiben.«

»Er wird auch schreiben, verlaß Dich darauf, und gerade darauf, daß er noch nicht geschrieben hat, erkenne ich, daß in Betty's Ruh Alles ganz gut und nach Wunsch geht.« –

Fritz war mit diesem Trost zufrieden und eine Weile ruhte das Gespräch über den beregten Gegenstand, bis es endlich auf eine ganz unerwartete Weise wieder auf die Tagesordnung kommen, aber durch viel wichtigere Ereignisse rasch verdrängt werden sollte, von deren Mittheilung wir in unserer Erzählung jetzt nicht mehr weit entfernt sind.

Von einer viel angenehmeren Einwirkung, wenigstens so weit dieselbe sichtbar zu Tage trat, erwies sich eine andere Correspondenz, die um diese Zeit sehr eifrig betrieben wurde, Wie wir wissen, hatte Frau Ebeling seit dem Tode des Barons von Wollkendorf, bis wohin jeder Briefwechsel gestockt, mit ihrer Schwester und Betty eine lebhafte schriftliche Unterhaltung gepflogen, und namentlich mit Letzterer nahm dieselbe in gegenwärtiger Zeit von Woche zu Woche zu.

Dabei waren die zwischen Beiden gewechselten Briefe so umfangreich, daß es Fritz schon mehrfach aufgefallen war, wenn er statt der drei oder vier von ihm erwarteten Bogen immer nur einen davon zu sehen und zu lesen bekam. Frau Ebeling mußte also Grund haben, einige dieser Bogen für sich allein zu behalten und den Uebrigen, Paul mit eingerechnet, nur denjenigen vorzulegen, der, das allgemeinere Interesse berührend, als Gemeingut betrachtet werden konnte. Eines Tages fragte Fritz, als er wieder nach Ankunft eines sehr dicken, von Betty's Hand adressirten Packets, nur einen sehr dünnen Briefbogen zu lesen bekam, seine Mutter: »Ist das denn der ganze Inhalt des Briefes, den der Postbote Dir heute gebracht hat? Ich dächte, es müßten wenigstens sechs solcher Blätter darin enthalten gewesen sein.«

Frau Ebeling erröthete leicht und wollte sich schon an's Läugnen begeben, als ihre gerade Natur sich dagegen sträubte und sie ganz offen sagte: »Ich will Dir die Wahrheit sagen, mein Sohn, obwohl Du nicht ganz zu dieser Frage berechtigt bist. Nein, die beiden Bogen, welche Du hier siehst, der eine von meiner Schwester, der andere von Betty, sind nicht allein in dem Packet gewesen, es waren vielmehr noch zwei andere darin. Du wirst mir aber wohl erlauben, daß ich sie für mich behalte, einmal, weil sie kein Interesse für Andere haben, sodann aber, weil sie Dinge betreffen, die eben noch nicht unter die Leute kommen sollen.«

»Ah,« erwiderte Fritz, »dann bin ich zufrieden, liebe Mutter. Eine so ehrliche Sprache liebe ich und Du wirst mich nicht wieder nach Deinen Geheimnissen forschen sehen.«

Und er hielt sein Versprechen und brachte stets selbst, ohne eine Miene zu verziehen, auch ferner der Mutter die Briefe aus Wollkendorf, die jetzt fast in jeder Woche anlangten und von Frau Ebeling jedesmal auf der Stelle und mit freudiger Miene erwidert wurden.

So kam wieder Weihnachten heran und die Familie sah mit Paul schon das siebente Mal die Kerzen auf dem Festbaum brennen, der diesmal wie immer seine Gaben reichlich nach allen Seiten austheilte. Von einer Nachricht aus Betty's Ruh sprach man nicht mehr. Jeder wunderte oder ärgerte sich im Stillen, denn da man keinen Erfolg von dem vielen vergeblichen Wünschen und Hoffen sah, wurde man müde, zwar nicht darüber nachzudenken, aber doch seine Meinung zu sagen, zumal ja Alles, was man sagen konnte, doch nur in irgend einer Muthmaßung bestand.

Der Januar brachte diesmal große Kälte, aber der darauf folgende Februar war bei Weitem milder und freundlicher als im vorigen Jahr, wo man gerade die Nachricht vom Tode des Oberforstmeisters erhalten hatte. Kurze Zeit nach dem Jahrestage dieses Todesfalls erhielt Frau Ebeling abermals einen sehr starken Brief aus Wollkendorf und nach der Lesung desselben erschien sie Abends, als ihr Mann, Fritz und Paul bei ihr eintraten, in einer ungewöhnlich heiteren Stimmung. Sie liebkoste ihren Mann, was diesem ganz sonderbar vorkam, und küßte Fritz, und als Paul sich ihr begrüßend nahte, reichte sie ihm mit einem so freudigen Drucke die Hand, daß er sie verwundert ansah, da er die Lebhaftigkeit, die aus allen ihren Zügen und Bewegungen sprach, sich gar nicht erklären konnte.

»Ja, ja,« sagte da der Banquier in scherzhafter Weise zu Paul, als dieser seinen Blick fragend auf den älteren Freund richtete, »Sie wundern sich auch über meine liebe Frau. Na, beruhigen Sie sich, Sie sind nicht der Einzige, der Grund dazu hat. Wir Alle bekommen heute ein freundliches Gesicht: in dem Briefe, der am Morgen von Wollkendorf gekommen ist, muß etwas ungewöhnlich Freudiges gestanden haben.«

»Da liegen sie,« lautete die rasche Antwort – »Ihr könnt sie ja lesen.«

»Das wollen wir auch, aber erst nach Tische, meine Liebe; ich bin zu hungrig, um mich wahrhaft freuen zu können. Aber wie, Du wirst mir doch nicht vorreden wollen, daß nur diese beiden dünnen Blättchen in dem Couvert gelegen haben?«

»Vorreden? Ich – Dir? Gott soll mich bewahren! Es haben noch drei andere darin gelegen, lieber Mann, die aber, meist Wirthschaftsangelegenheilen betreffend, an mich allein gerichtet sind, und fast sollte ich Euch, da Ihr mich so bedrängt, nicht sagen, was mir nebenbei die größte Freude in diesen geheimen Mittheilungen bereitet hat.«

»Oho! Wir bedrängen Dich gewiß nicht und wollen gar nicht in Geheimnisse eingeweiht werden, die zwischen Frauen obwalten.«

»Nun sollt Ihr es aber doch, da Ihr so artig seid,« sagte Frau Ebeling, fröhlich umherblickend, »und Ihr werdet hoffentlich meine Freude mit mir theilen. Ja, ich bin ganz glücklich, meine Lieben, daß die Zeit endlich auch auf Emilie und Betty so heilsam zu wirken beginnt. Meine Schwester ist zwar kränklich und muß bisweilen das Haus hüten, schreibt sie mir, aber sie hat sich doch allmälig über den erlittenen Verlust beruhigt. Und das ist ein großer Fortschritt zur Wiederkehr eines glücklichen Lebens. Auch Betty schreibt außerordentlich liebevoll und innerlich erfreut, das darf ich Euch nicht verhehlen. Sie gewöhnt sich alle Tage mehr an die einsame Lage ihres Gutes Und findet es schon viel wohnlicher und hübscher als früher. Dabei hat sie verschiedene Bekanntschaften in der nächsten Umgebung gemacht, die ihr zusagen, ja, die sie befriedigen, so daß ihr Gemüth immer mehr aufgeheitert wird und sie sogar schon einige recht frohe Tage selbst im Winter verlebt hat, der im Norden noch viel starrer als bei uns ist, wie sie schreibt und nun frage ich Euch – ist das Alles kein Grund, daß ich froh und heiter bin? Was kann es Wohlthuenderes für ein mütterliches Herz geben, als wenn es sieht, daß alle seine Lieben sich zufrieden und glücklich fühlen, nicht wahr?«

Alle stimmten ihr bei, aber der Banquier leitete das Gespräch rasch auf etwas Anderes, da er die Entdeckung gemacht zu haben glaubte, daß seine Frau ihm zwar die Wahrheit, aber bei Weitem nicht die ganze Wahrheit gesagt habe, warum sie so fröhlich sei.

Am späteren Abend, als er mit ihr allein war, kam er daher noch einmal auf das vorher geführte Gespräch zurück. »Höre, Charlotte,« sagte er, »was ist das mit der Betty? Deine Freude über ihre jetzige Zufriedenheit ist keine Freude allein, sie scheint mir vielmehr mit einer bei Dir ganz ungewöhnlichen Aufregung verbunden zu sein. Wie, wirst Du auch mir allein nicht Rede stehen?«

Frau Ebeling lächelte still in sich hinein. »Ich wußte es, daß diese Frage mich heute Abend noch erwartete,« sagte sie und legte ihre Hand vertraulich auf die Schulter ihres Mannes, der, was er selten that, neben ihr auf dem Sopha saß, »ja, ich wußte es, und so hatte ich ja Zeit, mich einigermaßen auf meine Antwort vorzubereiten.«

»Willst Du damit sagen, daß Du mich auch diesmal nicht die ganze Wahrheit hören lassen wirst?« fragte ihr Mann ernst.«

»Weißt Du denn, ob ich es darf?« fragte sie dagegen. »Wenn ich Dir nun eine ganz neue Nachricht über Betty mitzutheilen hätte,« fuhr sie fort, ihr Gesicht seinen Augen entziehend, da sie ihn in diesem Augenblick nicht in ihr Herz blicken lassen wollte – »versprichst Du mir dann, das Geheimniß ganz für Dich zu behalten?«

»Wie Du so fragen kannst – aber Du machst mich schrecklich neugierig – heraus damit!«

»Du? Neugierig? Ei, das wäre ja köstlich. Nun denn – Betty, ja, Betty ist recht glücklich für jetzt, lieber Mann und wird vielleicht bald noch glücklicher –« fügte sie schelmisch lächelnd hinzu.

»Wie,« rief der Banquier verwundert, »verstehe ich Dich recht? Denkt sie etwa an eine neue Heirath?«

»Und wenn sie nun daran dächte, warum denn nicht?«

»Aber mein Gott, will sie denn die Bedingungen brechen, die der Baron ihr gestellt hat –?«

»Ei, wer sagt denn das, so thöricht wird sie doch nicht sein! Nein, nein, sie erfüllt ihre Bedingungen – und –«

»Heirathet doch? Ah! Einen über sechszig Jahre alten Mann?« rief Herr Ebeling in höchster Verwunderung aus. »Nein, Charlotte, das – das habe ich am wenigsten erwartet und – aufrichtig gesagt – ich glaube es auch nicht, bis ich es erlebe –«

»Das ist Deine Sache, mein Lieber – den Glauben kann ich Dir nicht verschaffen, wenn Du ihn nicht in Dir trägst –«

»Also wirklich! Charlotte, Du setzest mich in Staunen. Wer hätte das gedacht!«

»Aber warum denn nicht? Wenn sie nun einen edlen, rechtschaffenen Mann gefunden hätte, den sie trotz seiner Jahre lieben kann – willst Du ihr etwa in dieser Liebe entgegentreten – wie einst –«

Sie schwieg. Beinahe hätte sie etwas gesagt, was ihrem klugen Mann denn doch die Augen geöffnet. Aber er achtete in diesem Augenblick nicht auf die letzten Worte.

»Nein,« sagte er, sich heftig von seinem Sitze erhebend, »das ist mir doch ganz neu und kommt mir völlig unerwartet. So weit glaubte ich die Betty noch nicht vorgeschritten. Hast Du schon Fritz und Bosch irgend einen Wink darüber zukommen lassen?«

Frau Ebeling fuhr fast erschrocken in die Höhe. »Um Gotteswillen, Emil, wie kannst Du Dir das vorstellen?« rief sie heftig.

Herr Ebeling sah seine Frau bei dieser ungewöhnlichen Aufwallung groß an. Beinahe durchschaute er das gute, liebe, redliche Weib. »Nein, nein,« sagte er, »beruhige Dich, sie brauchen auch nichts davon zu wissen, und ich – darin kannst Du sicher sein – werde gewiß nicht den Verräther machen.«

Frau Ebeling näherte sich ihrem Mann und küßte ihn herzlich. »Du bist brav,« sagte sie, »und hier empfange Deinen Lohn. Da hast Du noch einen Kuß, und nun laß uns schlafen gehen. Damit Du aber keine unruhige Nacht hast, will ich Dir noch so viel sagen: ängstige Dich um die Betty nicht. Sie hält ganz gewiß die Bedingungen des Testamentes ein und – und wird stets, wie es auch kommen mag – ihrer würdig handeln. Darauf verlaß Dich – und nun gute Nacht!«

 

Allmälig war man aus dem Winter abermals in den Frühling übergetreten und der letzte Tag des April war gekommen. Wie wir schon früher aus dem Munde des Banquiers Ebeling gehört, war die Zeit eine höchst unruhige und alle Gemüther waren voller Spannung auf die politischen Kämpfe gerichtet, die sich innerhalb der Gränzen des Staats nach und nach aus widerstreitenden Meinungen entsponnen hatten. Der markig fortstrebende Geist, der die liberalen Schichten der Bevölkerung, also die große Mehrzahl durchdrang, hatte sich emporgearbeitet und, da ihm von allen Seiten geistige und intelligente Kräfte zuströmten, allmälig eine Machtstellung errungen, welche die Regierung des Staates, in welchem der erste Theil unserer Erzählung sich abwickelt, bedenklich zu machen begann. Diese Bedenklichkeit aber stieg nach und nach zu einer Art trotziger Besorgniß, und nun endlich glaubten sie die Zeit gekommen, in welcher schonungslos gegen die Häupter der sogenannten demokratischen Partei vorgegangen, der widerstrebende Geist gebändigt und in die ihm zugewiesenen Schranken zurückgedrängt werden müsse.

Die Beruhigung, welche die regierenden Herren in dieser ihrer Machtentwickelung fanden, glaubten sie auch noch in das Volk verpflanzen zu können, und indem sie die Hindernisse aus dem Wege räumten, die ihnen selbst entgegenstanden, hofften sie damit auch alle Hindernisse für jetzt und immer zu beseitigen, welche ihrem Princip den unbestrittenen Sieg bisher vorenthalten hatten.

Ob sie damit in ihrem Rechte waren, wollen wir hier keiner näheren Erörterung unterziehen, daß sie die Ruhe wollten, um jeden Preis, können wir ihnen aber so wenig verdenken, wie man es dem Volke verdenken kann, wenn es seine ihm verheißenen und hartnäckig vorenthaltenen Rechte auf gesetzlichem Wege zu erringen trachtet. Allein wie es bei solchen Parteikämpfen in der Regel zu geschehen pflegt, vergriff man sich bisweilen in den Mitteln, indem man hier ein Recht und zugleich die Macht entwickelte, wo sie nicht nöthig war, und dort zu duldsam verfuhr, wo eine durchgreifende Energie besser am Platze gewesen wäre. Aus jenem ersten Wege wurden nicht selten gerade die Unschuldigsten am härtesten betroffen, und auf jenem zweiten ließ man gerade Diejenigen aus den Augen, denen die größte Schuld an dem allgemeinen Wirrwarr aufzubürden war, wenn eine solche überhaupt in dem Maaße vorhanden, wie es als feststehend angenommen wurde.

An den öffentlichen Parteiversammlungen, die zu damaliger Zeit an verschiedenen Orten stattfanden, bethätigten sich, wie wir wissen, weder der Banquier Ebeling, noch Paul van der Bosch, obwohl sie von ganzem Herzen der gesetzlich fortstrebenden und sogenannten liberalen Partei angehörten. Nur in kleinen Kreisen, und dann auf eine höchst mäßige und verständige Weise, gaben Beide ihre Meinungen kund und Paul hatte sogar, wie uns bekannt, seiner Meinung Worte geliehen und diese Worte waren gedruckt und in viel weiteren Kreisen mit der größten Bewunderung und Theilnahme gelesen worden.

Es war am letzten Tage des April dieses Jahres, als Paul gegen Abend von einem seiner Bauplätze nachdenklich nach Hause schritt, um die letzten Stunden dieses Tages wie gewöhnlich bei seinen Freunden zuzubringen. Es war ein trübes Wetter, düstere Wolken hingen schon seit dem Morgen am Himmel und jeden Augenblick drohten sie, ihre wässerige Ueberfülle auf die Erde zu gießen. Paul trug keinen Regenschirm bei sich und so eilte er von einem entfernt liegenden Thore seiner Wohnung zu. Da, mitten auf dem weiten Wege begriffen, öffneten sich die Schleusen des Himmels und ein eisiger Regen fluthete unaufhaltsam hernieder. Schon halb durchnäßt, wollte er sich eben in ein offen stehendes Haus flüchten, als ein Fiaker vorüberfuhr, in welchem der Buchhändler saß, der seine Brochüren verlegt hatte, und seit langer Zeit mit ihm herzlich befreundet war. Der Buchhändler ließ, als er den jungen Baumeister auf der Straße ohne Schutz erblickte, seinen Wagen halten und eine Minute später saß Paul neben ihm. Der Mann begrüßte ihn warm und freute sich über das unerwartete Zusammentreffen.

»Hören Sie, mein lieber van der Bosch,« sagte er eilig, »ich preise den Zufall, der Sie mir hier in den Weg führt. Ich habe schon den ganzen Tag an Sie gedacht und hätte Sie auch besucht, wenn meine Zeit nicht ganz übermäßig in Anspruch genommen wäre. Doch nun treffe ich Sie und jetzt will ich meinem Herzen keinen Zwang anthun. Hören Sie. Mir ist von einem hochstehenden Mann, der nicht genannt sein mag und nicht genannt werden darf, da er in einer amtlichen Stellung nicht gefährdet sein will, eine kleine Schrift zugegangen, die, vortrefflich in ihrer Art, unsre ganze jetzige politische Lage gleichsam aus der Vogelperspective überschaut und darstellt. Eine wunderbare Klarheit und Gediegenheit spricht sich in dem ganzen Werke aus; der Autor giebt seine Meinung mit einer Würde und Einsicht kund, wie man sie selten findet, und so muß die Wirkung derselben eine ganz gewaltige sein. Indessen, und hier liegt der kritische Punct, ich bin in der letzten Zeit etwas stutzig geworden. Man paßt mir schon lange scharf auf die Finger und ich muß mir den Rücken decken. In der besagten Schrift tauchen Dinge, Personen und Namen auf, die Schrecken in den Reihen unserer Gegner verbreiten werden, wenn sie unter die Leute kommen, und ich bin mit mir selbst nicht recht einig, ob ich die Schrift drucken lassen und verlegen soll oder nicht. Nun kommen Sie mir in den Weg und die Frage wird von selbst laut: wollen Sie mir den Gefallen thun und das Manuscript einmal in einer ruhigen Stunde lesen? Wenn Sie mir dann sagen: drucken oder drucken Sie nicht, so will ich Ihren Rath befolgen. Natürlich haben Sie weiter gar nichts damit zu thun, Sie sollen mir eben nur Ihre Meinung aussprechen. Wollen Sie das?«

»Warum nicht?« erwiderte Paul ohne Besinnen. »Lesen kann man Alles, und es heißt ja schon in der Schrift: ›Prüfet Alles und das Beste behaltet!‹«

»Nun, das freut mich. Wenn Ihr Weg Sie morgen bei mir vorüberführt, treten Sie einen Augenblick ein, ich bin den ganzen Morgen zu Hause. Ich möchte das mir anvertraute Schriftstück keinem Fremden in die Hand geben, und wenn Sie es gelesen haben, bringen Sie es mir wieder – sind Sie auch damit einverstanden?«

»Gewiß, und ich bin sehr neugierig auf den ›hochstehenden‹ Mann, der sich fürchtet, mit seiner Klugheit und seinem Geist vor die Augen der Welt zu treten. Wenn ich ein hochstehender Mann wäre, so würde ich erst recht vor Gott und aller Welt mein Licht leuchten lassen, das ist Pflicht gerade hochstehender und angesehener Männer. – Allein meine Zeit bei Tage ist sehr in Anspruch genommen und ich weiß wirklich nicht, ob ich morgen früh Muße finden werde, bei Ihnen vorzusprechen.«

»Nun, dann wollen wir es anders einrichten. Wenn Sie bis Mittag nicht bei mir gewesen sind, bringe ich Ihnen selbst das Manuscript.«

»Thun Sie, wie Ihnen beliebt – hier aber lassen Sie den Wagen halten. In diesem Hause habe ich einen Augenblick zu thun und finde auch einen Schirm.«

Der Wagen hielt und die beiden Männer verabschiedeten sich. Paul stieg aus und sprang in die Wohnung eines Künstlers, mit dem er zu reden hatte. Als er Abends bei Ebelings eintrat, hatte er, von vielen anderen Gedanken erfüllt, den Buchhändler mit seinem Manuscript bereits wieder vergessen und am nächsten Morgen dachte er noch weniger daran. Als er aber Nachmittags in seine Wohnung trat, fand er ein versiegeltes Packet auf dem Tische liegen, welches in seiner Abwesenheit angekommen war.

»Wer hat das gebracht?« fragte er Frau Zeisig, die mit dem Kaffee eben im Zimmer erschien.

»Ein junger Mensch war es, Herr Baumeister, der noch von einem Bekannten begleitet schien, der aber unten auf dem Flur stehen blieb. Aber er wollte nicht sagen, von Wem er käme, Sie würden es schon wissen, meinte er, wenn Sie das Packet aufmachten.«

»Es ist gut, ich danke Ihnen.«

Als die Frau gegangen war, öffnete Paul das Couvert und zog mit dem Manuscript des Buchhändlers einige Zeilen von der Hand desselben heraus, worin er sich entschuldigte, nicht selbst der Ueberbringer des verheißenen Manuscriptes sein zu können, da es ihm dazu an Zeit fehle. Paul zerriß diesen kleinen Zettel und warf ihn in den Papierkorb. Eben war er im Begriff, das Manuscript aufzuschlagen und den Anfang zu lesen, als plötzlich die Thür aufging und Fritz Ebeling in einiger Aufregung bei ihm in's Zimmer trat. Paul wickelte das Packet zusammen und legte es in seinen Schreibtisch, den er sofort wieder verschloß, noch während Fritz seine ersten Worte sprach.

»Nun,« redete Paul ihn an, »warum kommst Du so eilig? Du bringst doch keine Hiobspost, wie es mich nach dem Ausdruck Deines Gesichts fast bedünken will?«

Er hatte Recht. Fritz war erregt und vom raschen Gehen erhitzt. »Nein,« erwiderte der junge Mann, »eine Hiobspost bringe ich nicht, aber es scheint mir doch einigermaßen wichtig zu sein. Ich habe Dich schon seit zwei Stunden gesucht und eben komme ich aus Deinem Speisehause, wo Du gerade weggegangen warst, als ich eintraf.«

»Nun, so bringe Deine Post an, hier bin ich und meine Ohren sind schon weit geöffnet.«

»Heute Morgen um elf Uhr,« berichtete Fritz, nachdem er neben seinem Freunde Platz genommen, »führte mich ein Geschäftsgang auf das Wechselcomptoir von Jung und Compagnie, dessen erster Buchhalter mir ziemlich genau bekannt ist. Als ich mit diesem hinter dem großen Verschlage über meine Geschäftsangelegenheit sprach, trat ein fremder Mann herein, der eine ganze Tasche voll preußischer und russischer Papiere hatte und sie in englische umsetzen wollte, wenn sie zur Stelle wären. Da sie nicht zur Stelle waren, ließ er sich herbei, einige zu verkaufen, etwa für vier bis fünftausend Thaler in Summa. Man prüfte die Papiere, sah sich den Mann an und zahlte nach dem Course, aber in englischen Banknoten, die derselbe sich wo möglich erbeten hatte. Der Revers wurde geschrieben und der Fremde unterzeichnete mit dem Namen ›Baron von Hagen, Rittergutspächter in Westphalen‹.«

»Sah er denn wie ein Baron aus?« fragte Paul, seinen sich allmälig beruhigenden Freund unterbrechend.

»O ja, er konnte dafür gelten. Fein genug war er gekleidet und er machte einen ganz guten Eindruck. Auch sein Gesicht sprach nicht dagegen und am wenigsten seine Haltung, denn der Mann hatte etwas ungemein Sicheres und Ruhiges in seinem Auftreten, was wir Beide recht gut bemerkt hatten. Doch das ist nicht die Hauptsache, mein Lieber, und jetzt paß auf. Als er seine englischen Banknoten erhalten und mit der größten Ruhe in eine Brieftasche von russischem Juchtenleder gesteckt hatte, verbeugte er sich sehr vornehm, dankte und verließ das Comptoir. Da sagte ich zu dem Buchhalter: ›Es ist doch eigentlich gefährlich, von einem gänzlich Unbekannten Papiere von so hohem Betrage zu kaufen – meinen Sie nicht auch?‹ – ›Ei, gewiß,‹ erwiderte er, ›aber was will man machen? Man kann doch nicht bei jedem Verkäufer die Polizei requiriren und noch weniger einen rechtlichen Mann für einen Spitzbuben halten?‹ Ueber dergleichen sprachen wir noch eine Weile mit einander und dabei hatte ich eins von den auf dem Tische liegenden Staatspapieren in die Hand genommen und besah es von allen Seiten. Plötzlich durchfuhr mich ein gewaltiger Schreck, obgleich ich mich bald sammelte, nachdem ich reiflicher darüber nachgedacht. Denn auf der Kehrseite des Papiers – und alle übrigen Papiere trugen dasselbe Zeichen – stand ganz unten in der Ecke mit unsicherer Hand der Name ›van der Bosch‹ gekritzelt. Jetzt bedauerte ich sehr, das Papier nicht früher in die Hand genommen zu haben, denn das Geschäft war schon vor einer Viertelstunde abgeschlossen. Da mir der Fall aber doch von einiger Wichtigkeit zu sein schien, so kaufte ich auf meine Rechnung eins der Staatspapiere, lautend auf fünfhundert Thaler Preußisch Courant, und – sieh', hier habe ich es und Du kannst mir vielleicht sagen, ob Dein Onkel Casimir diesen Namen geschrieben hat.«

Paul stand sogleich auf und ehe er das ihm hingereichte Papier ergriff, holte er einige Briefe seines Onkels hervor, die den Namen ›van der Bosch‹ an ihrem Schlusse trugen.

Jetzt erst besah er das Geldpapier und die Unterschrift der Kehrseite. Nach genauer Prüfung und Vergleichung mit der Unterschrift der Briefe aber, sagte er: »Sieh selbst, mein Onkel Casimir kann diesen Namen nicht geschrieben haben. Der schreibt viel deutlicher und hat ganz andere Grundstriche – siehst Du es nicht?«

»Ja wohl sehe ich es, aber nun kommt die zweite Frage: wenn Dein Onkel Casimir es nicht geschrieben, dann ist es vielleicht der verstorbene Quentin van der Bosch gewesen – hast Du von dessen Hand keine Unterschrift mehr?«

»Nein, die habe ich leider nicht, sie sind alle wieder an den Professor zurückgegangen, aber ich erinnere mich ihrer sehr wohl und sie däucht mir allerdings dieser kleinen Kritzelei ähnlich gesehen zu haben.«

»So! Wer von den beiden Onkeln mag sie dann aber verkauft haben?«

»Wie weiß ich das, mein Lieber? Es kann sowohl der Eine wie der Andere gethan haben und dies Papier ist unterdeß vielleicht schon durch viele Hände gegangen.«

»Wohl möglich, und das habe ich mir auch gesagt. Der verstorbene Onkel, der wahrscheinlich die Gewohnheit hatte, die viele Leute haben, seinen Namen auf erworbene Papiere zu setzen, die er zu behalten gesonnen war, um blos die Zinsen davon zu ziehen, kann sie schon längst verkauft haben und jetzt ist dies Papier durch die dritte oder vierte Hand in die meine gekommen. Aber auch Dein Onkel Casimir kann sie verkauft haben, ohne daß ihm die Unterschrift seines Bruders in die Augen gefallen ist. Vielleicht hat er Geld gebraucht oder aus irgend einem Grunde einen Umtausch damit vorgenommen. Das ist Alles möglich, aber doch kommt mir die Sache eigenthümlich vor. Jedenfalls werde ich dies Papier aufbewahren, ich habe ja nichts dabei zu verlieren. Oder willst Du es vielleicht behalten?«

»Ich? O nein, ich habe nicht gleich fünfhundert Thaler zum Ankauf eines Papiers. So weit bin ich noch nicht. Behalte Du es nur, in Deinen Händen ist es besser aufgehoben als in den meinen.«

»Gut, es soll sicher liegen, und wenn Du es einmal zu irgend einem Zweck gebrauchst, so laß es mich wissen, dann sollst Du es erhalten.«

Paul sann eine Weile nach und dann lächelte er. »Du denkst doch nicht etwa daran,« sagte er, »daß dieses Papier meinem Onkel Casimir auf irgend eine Weise entwendet sein kann?«

»Lieber! Ich denke vor der Hand gar nichts. Aber das wirst Du zugestehen, in solchen Dingen hat die Phantasie einen weiten Spielraum –«

»O ja, die Phantasie hat überall Spielraum. – Doch jetzt, Fritz, habe ich meinen Kaffee getrunken und muß wieder an meine Arbeit. War das Deine ganze Post?«

»Ja, das war sie. Wohin gehst Du zunächst von hier?«

»Vor das Braunschweiger Thor, um meine beiden neuen Villen zu inspiciren.«

»Gut, ich habe noch eine halbe Stunde Zeit, ich begleite Dich. Doch halt, noch Eins. Meine Eltern sind heute Abend in Gesellschaft und wir Beide allein. Wollen wir den freien Abend benutzen und in die Oper gehen?

Ich dächte, wir könnten uns einmal dies Vergnügen machen.«

Paul besann sich nicht lange. »Ja,« sagte er dann, »dazu bin ich ebenfalls geneigt und eine kleine Zerstreuung wird mir gut thun. Besorge Du die Billets und erwarte mich heute Abend um sechs Uhr am Schauspielhause.«

Fritz stimmte ihm bei und begleitete seinen Freund bis an das genannte Thor, wo er umkehrte, um in sein elterliches Haus zurückzukehren.

Am Abend trafen sich Beide zur verabredeten Zeit vor dem Schauspielhause und hörten die Oper an. Als sie gegen zehn Uhr nach Hause gingen und vor Paul's Thür kamen, fragte Letzterer seinen Freund:

»Willst Du nicht ein halbes Stündchen noch mit zu mir hinaufkommen, da Deine Eltern ja doch nicht zu Hause sind?«

»Ja, wir können noch eine Cigarre rauchen und plaudern.«

Sie traten in das Haus. Als Paul die ersten Stufen der Treppe betreten hatte, hörte er oben die Stimme der Frau Zeisig laut aufschreien. Die Frau hielt ihre Lampe in der Hand, obgleich die Gasflammen des Flurs noch brannten. Sie sah bleich und auffallend erschrocken aus.

»O mein Gott, mein Gott!« schrie sie ihrem Herrn entgegen »Wie gut ist es, daß Sie endlich kommen, ich habe Sie schon überall vergeblich gesucht!«

»Was ist denn los?« fragte Paul mit seiner gewöhnlichen Ruhe.

»Kommen Sie nur, kommen Sie nur – Sie werden es gleich selbst sehen.« Und hastig den beiden jungen Männern voranschreitend, trat sie in Paul's Wohnung ein, wo sie mit zitternden Händen zwei Kerzen anzündete, die auf der Console unter dem Spiegel standen.

»Nun?« fragte Paul, sich rings im Zimmer umblickend, ohne im ersten Augenblick etwas zu bemerken.

»Da, da – sehen Sie es denn nicht?« rief die Frau, ihre Hände ringend und auf den Schreibtisch deutend.

»Wie!« rief Paul, nun ebenfalls erschreckend, – »bin ich bestohlen?« Denn er hatte sofort bemerkt, daß sein Pult erbrochen oder wenigstens geöffnet war, da er es doch selbst vor dem Fortgehen fest verschlossen hatte.

»Bestohlen? O Gott, nein, Herr Baumeister, aber hören Sie nur, jetzt will ich es Ihnen erzählen. Heute Abend um neun Uhr, es war schon dunkel im Hause, kamen drei Männer zu mir und fragten, ob der Baumeister van der Bosch hier wohne? Ich sagte: ›Ja, er wohnt hier.‹ – ›Ist er zu Hause?‹ – ›Nein, er ist ausgegangen.‹ – ›So schließen Sie uns die Thür seines Zimmers auf und dann lassen Sie uns allein.‹ – ›Ich werde mich wohl hüten, das zu thun,‹ sagte ich, ›dazu habe ich keine Erlaubniß und Sie kein Recht.‹ – ‹Kein Recht?‹ rief da der eine bärtige Mann. ›Sie sind ein dummes Weib. Wo wir eintreten, sind wir immer im Recht, denn wir gehören zur Criminalpolizei.‹ – ›Zur Criminalpolizei!‹ schrie ich und sank auf einen Stuhl. O mein Gott, und jetzt sah ich es: von den drei Männern waren zwei in Uniform mit dem blauen Kragen, den ihre Mäntel bisher verdeckt hatten. Und da – und da, Herr Baumeister, gingen sie in Ihr Zimmer – schlossen mir nichts, Dir nichts mit irgend einem Schlüssel Ihr Pult auf, suchten wohl eine halbe Stunde darin herum und nahmen zuletzt ein großes Packet Briefe und Papiere mit fort. Und als sie auf der Treppe waren und ich zitternd dabei stand, sagte der Eine, der nicht in Uniform war: ›Theilen Sie Ihrem Herrn mit, was hier geschehen, und sagen Sie ihm, das Uebrige werde sich finden.‹«

Paul hatte diesen Bericht ruhig mit angehört und sich schon lange von seinem ersten Schreck erholt, während Fritz auf das Sopha gesunken war und von hier aus den immer noch im Zimmer stehenden Freund voller Entsetzen anstarrte.

»Haben Sie mir sonst nichts zu sagen?« fragte Paul Frau Zeisig.

»Nein, Herr Baumeister, sonst nichts und ich dächte, das wäre auch schon genug.«

»Freilich – aber nun lassen Sie uns allein – das Uebrige wird sich ja finden.«

Als Frau Zeisig das Zimmer verlassen hatte, faßte sich Paul zuerst. »Sei ruhig, Fritz,« sagte er, »das ist allerdings seltsam, aber ich wundere mich darüber nicht. Dergleichen ist jetzt an der Tagesordnung. Meine Papiere kann Jedermann sehen und lesen, auch die Criminalpolizei – doch halt!« und er blieb stehen und strich sich über seine mit kaltem Schweiß bedeckte Stirn, denn eben erst war ihm das Manuscript des Buchhändlers eingefallen, an das er bis jetzt gar nicht gedacht hatte.

»Paul!« rief Fritz, vom Sopha aufspringend, »Du hast doch nicht irgend etwas Gefährliches im Pult gehabt?«

»Nein,« sagte Paul, sich fassend, »mich gefährdet es nicht, vielleicht aber einen Anderen, denn mir ist heute erst ein Schriftstück aufgedrungen worden, wovon man möglicherweise Kunde erhalten, daß es in meine Hände übergegangen und das sucht man wahrscheinlich.«

Er trat dabei an das Pult und fand alle seine politischen Schriften, seine Brochüren und verschiedene Briefe nicht mehr vor, nur das Album seiner Mutter, in welches jetzt auch Betty's Briefe eingeheftet waren, war unversehrt vorhanden obgleich man auch in dessen Inneres einen Blick geworfen zu haben schien.

»Richtig!« fuhr er fort, indem er immer ruhiger ward, »sie haben Alles genommen, was in ihren Kram paßt, aber mein Liebstes haben sie mir glücklicher Weise gelassen. Nun, das Uebrige wird sich ja finden, haben sie gesagt, und darauf will ich getrost warten. Aber ich habe eine Bitte an Dich, lieber Fritz. Sage Deinen Eltern heute Abend nicht, was hier vorgefallen. Sie kommen von einem Vergnügen nach Hause und wir dürfen ihre nächtliche Ruhe nicht stören. Morgen früh werde ich zeitig bei Deinem Vater sein und Rücksprache mit ihm nehmen.«

Fritz war immer noch ganz zerschmettert und konnte sich von seinem Schrecken gar nicht erholen. Nachdem er noch eine halbe Stunde bei Paul geblieben, ging er endlich wie ein halb Trunkener nach Hause. Jener aber blieb noch bis nach Mitternacht wach und dachte reiflich über das wichtige Ereigniß nach, welches so eben ganz unerwartet und gewaltsam in sein stilles Leben eingegriffen hatte. Aber unser Freund – wir wissen es ja – war ein starker Mann, und als er sich endlich zur Ruhe begab, war er vollständig auf Alles gefaßt, was da kommen könnte, und nachdem er sich auf seinem Lager nur einige Mal hin und her geworfen, schlief er sanft wie jeden Abend ein, bis das neue Tageslicht ihn erweckte, und jetzt erst kam ihm das traurige Ereigniß des letzten Abends wieder in's Gedächtniß und er beschloß nun nicht länger zu zaudern, sondern den Banquier und dann den Buchhändler davon in Kenntniß zu setzen.

Rasch warf er sich in die Kleider und traf den fleißigen Kaufmann schon in seinem Arbeitscabinet hinter dem Comptoir an: Die Thatsache, wie sie sich gestern zugetragen, war bald erzählt und Herr Ebeling war beinahe eben so tief davon ergriffen, wie am Abend vorher sein Sohn. Indessen faßte er sich schneller und war in kurzer Zeit bereit, mit Paul Rath zu pflegen, was nun vor allen Dingen geschehen müsse.

»Ihr erster Gang muß Sie zu dem Buchhändler führen,« sagte er, »der allein hat Ihnen das Netz über den Kopf geworfen. Er wird ehrlich und männlich genug sein, es wieder zu zerreißen, und dann hat ja die ganze Sache nichts auf sich. Indessen müssen Sie sich auf eine Vorladung gefaßt machen und werden zu Protokoll vernommen werden. Das wird bald genug geschehen. In politischen Dingen – und dies wird man dazu machen – liebt man einen raschen Geschäftsgang. Sprechen Sie Alles der Wahrheit gemäß aus und zeigen Sie den Leuten, wer und was Sie sind. Ich baue darauf, daß man den Weizen von der Spreu wird unterscheiden können. Im Uebrigen,« fuhr er fort und dabei reckte er sich stolz in die Höhe, »werden Sie vielleicht eine Bürgschaft gebrauchen. Nun denn, dann bin ich da und ich hoffe, Sie werden mir die Ehre anthun, meinen Namen, wenn es nöthig ist, zuerst zu nennen.«

Paul reichte ihm freudig bewegt die Hand und sagte: »Sie sind sehr gütig, mein lieber Freund, und ich werde von Ihrer Erlaubniß Gebrauch machen, wenn es nöthig sein sollte, was ich indessen noch nicht glaube.«

»Ich aber glaube es. So. Nun sind wir fertig und jetzt verlieren Sie keinen Augenblick. Jede Stunde ist von großer Wichtigkeit und die Zeit ist heute noch mehr werth als Geld. Aber wie,« fragte er, als Paul schon seinen Hut nahm – »soll ich meiner Frau sagen, was vorgefallen ist?« Sie ist von jeher meine Theilnehmerin und Rathgeberin in schweren Stunden gewesen.«

Paul besann sich nur einen Augenblick. »Nein,« sagte er dann entschieden, »sagen Sie ihr noch nichts und ersuchen Sie auch Fritz, daß er nicht mit ihr davon spricht. Ich finde keinen Grund auf, warum wir ihre Ruhe ohne Noth stören sollen. Ist die Sache abgethan, so erfährt sie es noch immer zeitig genug und wir haben ihr Aufregung und Sorge erspart.«

»Ha! Sie denken an Alles. Das ist recht, der ächte Mann muß den Kopf immer oben behalten Nun, so gehen Sie denn mit Gott! Sobald Sie aber etwas Neues erleben, bitte ich mir aus, daß ich es zuerst erfahre.«

Paul versprach es und eilte davon. Zehn Minuten später trat er bei dem Buchhändler ein, den er noch gemächlich im Schlafrock am Kaffeetisch sitzend fand, während die Frau desselben eiligst die Flucht ergriff.

»Ah, mein lieber Herr van der Bosch,« empfing ihn der Buchhändler, »Sie sind pünctlich, das freut mich. Nun, wie gefällt Ihnen das Manuscript? Ist es nicht prächtig?«

»Ich habe kein Urtheil darüber, mein lieber Herr, denn ich habe es noch gar nicht lesen können.«

»Wie? Und doch sind Sie schon hier?« fragte der Buchhändler voller Staunen, indem seine Miene eine etwas unruhige Gestaltung annahm.

»Ja, ich bin hier, aber nicht mit Ihrem Manuscript, wie Sie denken, sondern um Ihnen einen sanften Vorwurf zu machen, daß Sie Ihr Wort nicht gehalten und es mir nicht von Hand zu Hand haben zugehen lassen.«

»Wie?« rief der Buchhändler erschrocken – »Sie haben es doch erhalten?«

»O ja und ich habe es sogleich in meinen Schrank geschlossen, da ich ausgehen mußte. Aber der Bote, der es mir gebracht, scheint nicht überaus ehrlich gewesen zu sein, wenigstens hat er irgend wo und irgend Wem ausgeplaudert, mit welcher wichtigen Sendung er betraut war.«

»Wie meinen Sie das?« fragte der Buchhändler stammelnd.

»Ich meine es so« – und nun erzählte Paul den Vorgang, wie er uns bereits bekannt ist.

Der Buchhändler hatte bald seine Haltung verloren und fiel schon während der Erzählung halb todt vor Schreck auf einen Sessel. Als aber Paul damit zu Ende gekommen, rief er ächzend: »Mein Gott, mein Gott! Ist es denn möglich! Wie hängt das zusammen! O, o – wissen Sie wohl, daß ich ein unglücklicher Mensch bin, wenn es herauskommt, daß ich Ihnen das Manuscript gegeben? Daß ich meine Concession verlieren kann – ich, ein Mann mit Frau und sieben Kindern –«

»Aber wie so denn? Gefährdet denn diese Schrift so sehr Ihren Ruf und Ihre Stellung?«

»Wie Sie so fragen können! Natürlich, ich habe mein Ehrenwort gegeben, den Verfasser nicht zu nennen, und das muß ich halten. Nenne ich ihn aber nicht, so straft man mich dafür, da ich schon lange auf dem schwarzen Brett stehe und man mir bereits dreimal eine ernstliche Mahnung ausgesprochen hat.«

Paul schwieg und sah den Mann mitleidig an, der sichtlich schwer litt und sich nicht zu rathen wußte. »Nun,« sagte er endlich, »Sie sehen vielleicht zu schwarz –«

»Zu schwarz? Ganz im Gegentheil. O, Sie kennen meine und der Welt Lage nicht, wenn Sie so sprechen. Nein, lieber Freund, nein, nein, ich bin ein verlorener Mann – ich sage es Ihnen ganz bestimmt, und nur Sie – Sie allein können mich retten, wenn Sie nämlich wollen –«

»Wenn ich will? Warum wollte ich Sie nicht retten, wenn ich Sie durch irgend etwas retten kann? Aber das Rettungsmittel muß ich natürlich wissen.«

Der Buchhändler athmete auf. Er erhob sich, stellte sich dicht vor Paul, faßte seine Hände, sah ihm flehend in's Auge und flüsterte: »Das Rettungsmittel wollen Sie wissen? Es giebt in diesem Falle nur eins für mich – es heißt: Sie dürfen nicht sagen, von Wem Sie das Manuscript erhalten haben, und glücklicherweise haben Sie den Boten ja nicht gesehen – das Partei ist in Ihrer Abwesenheit in Ihr Haus gebracht worden –«

»Ganz richtig, so viel an mir liegt, kann und soll das geschehen. Ja – aber der Bote, der ungetreue Boote, wenn man sich an den hält – wird er nicht sagen, wer ihn zu mir gesandt hat?«

Der Buchhändler taumelte wieder zurück und schlug sich mit der Hand vor die Stirn, daß es laut dröhnte. »Halt!« rief er plötzlich, »es ist doch noch eine Möglichkeit vorhanden, daß der Bote nicht ungetreu war, daß er nur von einem feinen Spürhund beobachtet ist. Ist er aber untreu und hat man ihn bestochen, so wird man ihn nicht zwingen, zu sprechen, zumal man ihm gewiß völlige Straflosigkeit zugesichert hat. Nein, nein, an dem Menschen wird sich Niemand vergreifen, er steht zu niedrig, er hat ja nichts zu verlieren, und wenn er dennoch etwas verliert, so kann ich ihm das doppelt ersetzen.«

»Wenn es so steht und Sie des Boten sicher sind, so mögen Sie ruhig sein. Ich werde und ich will verschweigen, von Wem mir das Manuscript zugekommen ist. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.«

Dem Buchhändler fiel sichtbar ein centnerschwerer Stein vom Herzen. Beinahe hätte er den edlen jungen Mann umarmt, der so ruhig, so gefaßt, so aufopferungsfähig vor ihm stand und der noch gar nicht wußte, nicht bedachte, wie schwer dieses sein gegebenes Wort in die Waage seines eigenen Schicksals fallen könne; aber er mäßigte seine aufwallende Freude, um den Baumeister nicht auf die übergroße Leistung aufmerksam zu machen, die derselbe eben auf sich genommen hatte.

»Was wird nun zunächst geschehen?« fragte Paul, dem es in der Nähe dieses zerschmetterten Mannes nicht behaglich erschien, weshalb er auch schon seinen Hut ergriffen hatte.

»Zunächst?« fragte der Buchhändler erbleichend. »O, man wird Sie verhören.«

»Und dann?«

»Ja – das weiß ich nicht. Aber die Untersuchung wird ihren regelrechten Gang gehen. Ohne Zweifel.«

»Und dieser Gang – wohin führt der?«

»Mein Gott, wie kann ich das wissen, lieber Herr?«

»Ah, Sie wissen es nicht. Nun, mag sie führen, wohin sie will, ich habe Ihnen mein Wort gegeben und das bleibt stehen. Leben Sie wohl!«

Paul war schon auf der Straße, ehe der Buchhändler noch ein Wort erwidert hatte und – sagen wir es hier gleich – auch fernerhin, als die Untersuchung wirklich ihren regelrechten Gang nahm, sprach er kein Wort und – er war wenigstens gerettet und konnte ferner für die Blüthe seines Geschäfts und für das Wohl seiner Frau und seiner sieben Kinder sorgen.


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