Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.
Ein Todter lebt auf und ein Lebender stirbt

Der für unsere Freunde so ereignißreiche October war endlich vorübergegangen, um einem ruhigen November Platz zu machen, und auch dieser war dem December gewichen, der dies Jahr mit reichlichem Schneefall begann und früh Kälte heranführte, so daß man sich gern in das warme Haus zurückzog, um allmälig behagliche Vorbereitungen für den langen Winter zu treffen.

Es war ein Sonntagabend und die Familie Ebeling saß traulich im Zimmer der Hausfrau beisammen. Der weiße Porzellanofen hauchte eine angenehme Wärme aus und die beiden großen Lampen brannten hell auf dem mit grünem Plüschteppich verhangenen Tische. An dem einen Ende dieses Tisches saß Herr Ebeling, dem Sopha gegenüber, in den Tageszeitungen blätternd und dann und wann seine Meinung über die Weltlage, den Stand der Börse und industrielle Unternehmungen zum Besten gebend. Frau Ebeling saß auf dem Sopha und schrieb Briefe an ihre Schwester und Betty, mit denen jetzt eine sehr eifrige Correspondenz unterhalten wurde. Fritz saß zwischen ihnen, in einem Buche lesend, aber seine Aufmerksamkeit nur halb auf den Inhalt desselben gerichtet, denn dann und wann stand er vom Stuhle auf und ging unruhig im Zimmer hin und her, als erwarte er Jemand. Ein Fremder konnte dies nicht sein, denn Sonntags Abends wurde die Familie nur selten von einem unangemeldeten Gast gestört.

Endlich hatte der Banquier seine Zeitungen durchflogen und faltete sie zusammen, um sie auf die kleine Console unter der Uhr zu legen, wo sie bis zum nächsten Tage ihren Platz fanden, bis der Comptoirdiener sie mit neuen vertauschte. Als Herr Ebeling eben vor die Uhr trat, schlug sie sieben Mal an.

»Es schlägt Sieben,« sagte er,« sich zu seinem Sohne gesellend, der, den Rücken an den Ofen gelehnt, horchend dastand. »Bosch kommt doch heute Abend?«

»Ei gewiß, Vater, es ist ja Sonntag, und da hat er noch nie bei uns gefehlt. Aber ich habe ihn heute früher erwartet, er muß also eine Abhaltung bekommen haben.«

Als Frau Ebeling dies Gespräch vernahm, welches immer Interesse für sie hatte, legte sie ihre Papiere und Federn zusammen, klappte die Schreibmappe zu und sagte aufstehend; »So, für heute habe ich genug geschrieben, morgen Abend mehr. Betty können unsere Briefe nie lang genug sein und da habe ich schon wieder zwei Bogen gefüllt.«

»Ihr werdet Euch noch die Finger abschreiben,« bemerkte ihr Mann, »und könnt nie ein Ende damit finden. Ich möchte nur wissen, was es so Vieles mitzutheilen giebt, da doch in unserm Hause wahrhaftig nicht viel Neues passirt.«

»O, genug, lieber Mann. Du weißt ja, Frauen finden in Allem und Jedem Stoff und werden nie mit ihren Herzensergießungen fertig.«

In diesem Augenblick hörte man die Glocke der Hausthür laut und rasch anklingen und eine Minute später klopfte ein Finger in wohlbekannter Weise an die Zimmerthür.

»Da kommt er!« rief Fritz, dem Freunde entgegenspringend. »Herein, immer herein, Paul, ein solcher Gast ist immer willkommen. Aber warum so spät, mein Junge?«

Paul, nachdem er dem draußen ihn erwartenden Diener Mantel und Hut übergeben, trat in's Zimmer und begrüßte die Versammelten freundlich und eigenthümlich lächelnd. Beim ersten Blick auf sein Gesicht sahen Alle, die ihn so genau kannten, daß er ihnen etwas Neues zu verkünden habe und daß es sogar etwas Gutes sei.

»Was giebt's?« fragte Frau Ebeling zuerst, als sie dem Freunde die Hand reichte und ihn noch immer lächeln sah. »Ist endlich ein Brief von Ihrem Onkel gekommen?«

»Sie haben es errathen,« erwiderte Paul, »ja, sogar von zwei Onkeln, denn nun hat auch Onkel Quentin an seinen Bruder Casimir geschrieben.«

Ein großes und freudiges Staunen malte sich bei diesen Worten auf allen Gesichtern ab. »Na,« sagte der Banquier und rieb sich vergnügt die Hände, »also endlich! Nun werden wir gewiß Entscheidendes erfahren; ich bin neugierig wie selten in meinem Leben. Heraus damit und lassen Sie uns hören, wenn man es hören darf.«

Paul nickte mit freudigem Gesicht. »Ja,« sagte er, »Sie sollen jedes Wort hören, aber erst setzen wir uns. Ich will Ihnen beide Briefe nach einander vorlesen. Aber erwarten Sie nicht zu viel, das obwaltende Geheimniß wird auch jetzt noch nicht ganz entschleiert. Der Brief des Onkels Quentin ist nicht direct von seinem Wohnort, sondern wieder durch die Hände von Baring und Sohn in Hamburg an den Professor gelangt.«

»Das ist einerlei,« rief der Banquier, schon am Tische sitzend und beide Lampen dem jungen Manne näher rückend. »Das Licht des Tages springt auch nicht mit einem Ruck in die Welt, sondern entwickelt sich allmällig und langsam. So, nun sitzen wir und jetzt beginnen Sie Ihren Vortrag; Sie haben aufmerksame und dankbare Zuhörer.«

Pius nahm zwei Briefe aus der Brusttasche, legte sie vor sich nieder und öffnete den von Onkel Casimir geschriebenen zuerst. »Also Onkel Casimir schreibt Folgendes,« sagte er:

»Mein lieber Junge! Du wirst lange auf meine Antwort gewartet haben, aber ich konnte sie Dir bei'm besten Willen nicht eher geben als heute. Weiß der Himmel, je älter man wird, um so kürzer werden Einem die Tage und man möchte doch immer mehr arbeiten als früher, da man von Stunde zu Stunde mehr Einsicht gewinnt, wieviel man noch unvollendet vor sich hat. Allein selbst wenn ich Dir geschrieben, ich hätte Dir doch keine Aufschlüsse über meinen Bruder geben können, da ich dieselben erst in den letzten Tagen in beiliegendem Briefe erhalten habe. So schicke ich Dir denn auch diesen Brief und ersuche Dich, ihn genau zu studiren und mir dann wieder zurückzusenden. Wie sehr ich mich gefreut habe, endlich etwas von meines Bruders eigener Hand Geschriebenes zu sehen, kannst Du Dir denken, und doch befriedigt es mich nicht ganz, weil es durchaus nicht in Alle klar und auf Alles eingehend ist und sogar Vieles im Dunkeln läßt, was ich hell zu sehen gewünscht hätte. Auch geht aus dem Schreiben selbst hervor, daß mein Bruder sehr schwach und hinfällig sein muß, man liest es gleichsam zwischen den Zeilen und die Handschrift ist nicht frei und frisch, wie sie ein Mann hat, der aufrecht vor seinem Pulte sitzt oder steht. Solltest Du einige Bemerkungen an seinen Brief zu knüpfen haben, so bitte ich sie mir aus, doch brauchst Du Dich damit nicht zu übereilen; da ich noch heute an ihn schreiben und ihm die Gefühle ausdrücken werde, die mir sein Wiederaufleben verursacht hat. Ehe ich dann wie schreibe, wird wohl einige Zeit vergehen und dazu kommt Deine Antwort immer zeitig genug.

Hiermit sage ich Dir für heute Lebewohl und wünsche Dir Glück in allen Deinen Unternehmungen, wie Du es in Betreff Deiner bestandenen letzten Prüfung gehabt hast. Bei meiner früheren Bestimmung bleibt es: wenn ich einst der Erbe meines Bruders werde, so bist Du mein Erbe und damit ist Alles gesagt, was Dir sagen kann

Dein alter treuergebener Onkel Casimir.«

»Nun, der Schluß ist das Beste,« sagte Fritz, als Paul den Brief zusammenfaltete und einsteckte, »im Uebrigen erfahren wir nichts Neues daraus.«

»So gedulde Dich doch,« ermahnte der Vater, »jetzt kommt ja erst der Brief von dem verschollenen alten Holländer. Ah – ja, das hat ein alter gebrechlicher und von seinem Tode gewiß nicht weit entfernter Mann geschrieben!«

Paul hatte den Brief des Onkels Quentin dem Freunde hingehalten und dieser betrachtete ihn unter dem Licht der nächsten Lampe. In der That war derselbe sehr klein und kritzlich geschrieben und die Zeilen liefen bald auf bald niederwärts. Auch zeigten gewisse Abschnitte, deren Schrift von einander abwich, daß er zu verschiedenen Zeiten abgefaßt sei, und selbst als man seinen Inhalt hörte, gaben die oft kurzen und abgerissenen Sätze ein ziemlich klares Bild von einem ermüdeten Geiste und einer demselben nur noch mit Mühe gehorchenden Hand. Wohnort und Datum fehlten gänzlich daran und der Brief an Casimir van der Bosch war dreifach versiegelt in einem Couvert mit der Adresse von Baring und Sohn nach Hamburg abgegangen, welches letztere Herr Baring in sein Couvert an den Professor mit eingelegt, nachdem er die eine Ecke, in welche wahrscheinlich der Poststempel des Aufgabeortes aufgedruckt gewesen, abgeschnitten hatte. Der Brief selbst aber lautete folgendermaßen:

»Mein guter Bruder Casimir! Also Du lebst, in Gesundheit und geistiger Frische! O, das hat meinem Herzen wohlgethan, als mein treuer Hummer«- »so heißt der Rentmeister,« schaltete Paul ein – »mir diese Nachricht von Dir zurückbrachte und so voll des Lobes von Dir war, daß ich mich doppelt über Deine Auffindung freuen mußte. Der gute Kerl hat es schlau angefangen, Kundschaft über Dich einzuziehen, und erst dann Dein Haus betreten; als er schon Alles erfahren hatte, was mir von Dir zu wissen nothwendig war. O ja, dazu ist er zu gebrauchen und ich bin zufrieden mit ihm, wie immer. – Also, mein lieber Casimir, ich freue mich sehr, daß ich Dich wiedergefunden habe, und da ich nicht weiß, wie lange ich lebe, so muß ich Dir heute Alles mittheilen, was auch Dir von mir zu wissen nothwendig ist. Ich bin nämlich neun Monate sehr krank gewesen, habe meist nur auf meinem Stuhl gelegen und nicht schreiben können. Was ich Dir aber zu sagen habe, konnte und wollte ich nur selbst schreiben, da es doch Dinge und Verhältnisse zwischen Blutsverwandten giebt, die selbst der vertrauteste Freund und Diener nicht zu wissen braucht. Da Dir aber doch Hummer schon hinreichende und, wie ich ihm befohlen, sogar sehr genaue Auskunft über mein Leben und meine Verhältnisse gegeben ist, so kann ich mich glücklicherweise hier kurz fassen. Wenn Du mich im nächsten Sommer besuchst, was ich sehnlichst wünsche, so wirst Du Alles noch viel umständlicher erfahren, denn sprechen kann ich viel leichter als schreiben, da ich nur periodisch an meinem alten Asthma leide.«

Hier hatte der Professor folgende Worte an den breiten Rand des Briefes geschrieben: »Mein Bruder beruft sich auf eine genaue und hinreichende Auskunft, die mir sein Verwalter gegeben hätte. Das ist nicht ganz richtig. Was mir jener Mann über ihn gesagt, war so unbedeutend und enthielt so wenig Aufklärung über meines Bruders Verhältnisse, daß ich annehmen muß, Letzterer irre sich, oder ich müßte denn nicht immer ganz aufmerksam auf des Rentmeisters Erzählung gehorcht haben, was auch möglich ist, da ich bisweilen an meine Gleichung dachte, die ich damals gerade berechnete.«

»Ja, so wird es wohl gewesen sein,« bemerkte Herr Ebeling lächelnd. »Doch nun fahren Sie im Lesen fort.«

»Nur auf einen Punct, den Du auch schon kennst,« las Paul weiter, »muß ich zurückkommen, denn er enthält die Triebfeder meiner ganzen späteren Handlungsweise und schließt auch den Grund ein, warum ich mich hier in dieser Einsamkeit niedergelassen habe. Du wirst Dich wohl erinnern, daß ich in meiner Jugend ein Brausekopf war und mit meiner kühnen Stirn den Himmel gestürmt hätte, wenn es nur möglich gewesen wäre. Das armselige Leben auf dem Lande, wo man immer gehen muß oder höchstens einmal im Trabe fahren kann, sagte meinem Ungestüm, meiner Wanderlust nicht zu und so lief ich davon und ging zur See. Aber die harte Behandlung die mir auf dem Schiffe widerfuhr, erkältete meinen Eifer sehr bald und nach vier Jahren kehrte ich, etwas zahmer geworden, nach Hamburg zurück und wurde ein sehr bescheidener und lernbegieriger Kaufmann. Ich wäre gewiß auch in Hamburg geblieben und Dir nicht so lange entzogen worden, hätte mich nicht ein Unglück betroffen, was ich damals für ein großes Glück zu halten so thöricht war. Ich verliebte mich nämlich in die schöne Tochter meines Principals und bald wurde meine Leidenschaft für sie eine Art Raserei. Weil ihr Vater meine Erfahrungen zur See schätzte und mir auch sonst gewogen war, zog er mich in seine Familie und ich durfte bisweilen mit ihm sein Landgut besuchen, welches auf dem Hamburger Gebiet gelegen war und seiner Familie zum Sommeraufenthalt diente. Diese Gunst stieg mir in den Kopf und erhitzte mein Blut bis zu einem Grade, daß ich, der ich doch gewiß nicht auf den Kopf gefallen war, in einer Beziehung dumm wurde. Ich hielt bei meinem Principal um die Hand seiner Tochter an und er lachte mich natürlich aus. Ich wurde aus dem Geschäft verwiesen. Seine Tochter freilich, die hatte mich gern, ich wußte es wohl, wollte mir auch einmal durch einen Brief den Beweis davon geben. Dieser Brief fiel unglücklicher Weise in des Vaters Hände und – in vier Wochen war Betty die Braut eines anderen jungen Mannes.«

»Wie?« riefen die drei Ebelings, den Lesenden unterbrechend, der die letzten Worte sehr langsam gesprochen hatte. »Betty hieß das junge Mädchen?«

»Ja, hier steht es so,« sagte Paul ruhig.

»Aber das ist ja höchst sonderbar,« rief Fritz.

»Haltet ihn nicht auf,« ermahnte Herr Ebeling, mit bei den Händen gegen die Seinigen hin winkend – »jetzt wird die Sache wirklich interessant!«

Paul, der die Augen nicht von dem Briefe erhoben hatte, las sogleich weiter.

»Ja, sie war Braut und ich – war vernichtet. Doch nein, ehe ich vernichtet ward, wurde ich wahnsinnig, denn ich schrieb an den Bräutigam meiner innig geliebten Betty: wenn es ihm einfiele, sie zu seiner Frau zu machen wäre er ein Kind des Todes und ich selbst würde ihn mit eigener Hand erwürgen. Ob diese Drohung dem armen Menschen imponirte oder ob ein anderer Grund ihn dazu veranlaßte, weiß ich nicht, genug, die übereilte Verlobung ging rückwärts und ich genoß meinen Triumph im Stillen. Jetzt verfiel ich einen anderen Paroxysmus. Meine Geliebte war reich ich und ich war arm, und darum allein sollte sie nicht mein werden. Ich beschloß also reich zu werden. So ging ich nach Indien und das Glück wollte mir wirklich wohl und machte mich reich. Aber ach, glücklich wurde ich darum doch nicht, denn meine Betty, meine innig geliebte Betty starb, ohne je einem anderen Manne gehört zu haben, an einer abzehrenden Krankheit, deren Grund mir nicht bekannt geworden ist, und ich hatte sie nun auf ewig verloren. Was half mir nun später mein Reichthum, der sich von Jahr zu Jahr vermehrte? O, der wahrhaft goldene Glanz meines Lebens lag hinter mir und vor mir nur ein langes Leben voll Schmerz und Qual, denn diese eine Liebe, mein Bruder, hat mich durch das ganze Leben begleitet und ich habe nie wieder ein anderes Weib in mein Herz geschlossen.

Der Schmerz aber, den ihr Verlust mir bereitete, machte mich frühzeitig grämlich, menschenscheu und seltsam; ich nahm eigenthümliche Gewohnheiten an und wurde vielleicht das, was man im Leben einen Sonderling nennt. Indessen lebe ich ja nur zu meinem eigenen und nicht zu anderer Menschen Behagen. Die Welt außer mir bietet mir nichts, ich bin für sie und sie ist für mich todt. Auch kann ich nichts Anderes mehr genießen, als mein Haus, es fehlt mir sowohl die Kraft wie die Lust dazu. Was die Menschen von mir denken und schwatzen, ist mir immer gleichgültig gewesen, und da ich niemals in die Gewohnheiten und Rechte Anderer eingegriffen habe, so, denke ich, brauche ich mir das auch nicht von ihnen gefallen zu lassen. Doch – ich war ja mit meiner Lebensbeschreibung noch in Indien. Ja, so lange ich rüstig und gesund war, gefiel es mir in Batavia, als aber das tropische Klima und mancherlei Anstrengungen mich mürbe gemacht, sehnte ich mich nach dem heimatlichen Europa zurück. Da drang vor etwa elf Jahren die Kunde zu mir, mein ehemaliger Principal in Hamburg habe fallirt und seine liegenden Besitzthümer ständen zum Kaufe aus. Ich bevollmächtigte sogleich ein Haus in Hamburg, mir diese Besitzungen zu erwerben, und das geschah. Ich kehrte nach Europa zurück und betrat als ein auf seinen Beinen schon wankender Mensch den deutschen Boden, den ich mir nun einmal zu meiner letzten Heimat auf Erden auserwählt hatte, weil die Gebeine meiner Betty in seinem Schooße ruhten. Da, wo sie begraben lag, baute ich mir ein meinen Mitteln und meinem Geschmack entsprechendes Haus und bettete die Theure in ein neues, ihrer Schönheit und meiner endlosen Liebe angemessenes Grab. Ueber diesem erhebt sich ein einfaches Denkmal und von meinen Fenstern aus blicke ich zu jeder Stunde des Tages auf ihre jetzige irdische Ruhestätte. Das Gut ihres Vaters, früher anders geheißen, nannte, ich nach ihr Betty's Ruh. Wenn ich Dir wieder schreibe und um Deinen Besuch bitte, werde ich Dir sagen, wo Du uns finden wirst.

Auf dieser Erdscholle nun lebe ich seit zehn Jahren – das neue Haus ist aber erst seit fünf Jahren vollständig fertig – als Einsiedler und genieße die Tage, die mir der Allmächigte noch schenken mag, auf meine Weise. Wenn Du zu mir kommst wirst Du sehen, was das für eine Weise ist. Da ich weiter keine Erben habe als Dich und Du mein nächster Verwandter bist, so wird alles Meinige nach meinem Tode Dir gehören. Meine Papiere sind geordnet und Alles liegt wohlverwahrt in meinem Hause. Ein eigentliches Testament habe ich nicht gemacht, sondern nur meinen letzten Willen aufgesetzt, der über mein Hab und Gut zu Deinen Gunsten verfügt. Dieser letzte Wille liegt in meinem eisernen Schrank und eine versiegelte Abschrift davon hat ein Mann in Händen, der einen großen Theil meiner Geldangelegenheiten besorgt und dem ich in dieser Beziehung vertrauen kann. Mit den Advocaten und Gerichten wollte ich nichts zu thun haben, die habe ich nie leiden können, auch bin ich in der Noth stets mein eigener Anwalt gewesen und habe mich gut dabei befunden.

Damit Dir Niemand Abbruch thun kann, habe ich ein genaues Inventarium meiner Besitzthümer anfertigen lassen und Du wirst es bei mir und eine Abschrift davon ebenfalls bei jenem vorgenannten Hause finden. Ich hätte Dir auch leicht jetzt schon eine dritte Abschrift davon senden können, damit Du weißt, was Dich erwartet, allein es gehört zu meinen Gewohnheiten dergleiche wichtige Documente, wenn es nicht unbedingt nöthig, nicht aus den Händen zu geben, da man nie wissen kann, wie das Unglück darüber walten könnte, wenn sie eine weite Reise unternehmen müssen, und ich habe in dieser Beziehung Uscan Hummer's Lieblingsspruch zu dem meinen gemacht, der da heißt: › Man muß in allen Dingen immer sicher gehen!

Doch, da ich wieder von Hummer spreche, muß ich noch Folgendes hinzufügen, und das ist mit ein Grund, warum ich ihm nichts von diesem Schreiben gesagt habe und es Dir durch Baring und Sohn sende. Schicke Deine Antwort also ebenfalls durch dieses Haus, wie Deine erste Meldung, denn alle Briefe, die von ihm kommen, öffne und lese ich selbst, weil ich der Meinung bin, daß Hummer seine Nase nicht in alle meine Angelegenheiten zu stecken braucht. Doch ich wollte ja von ihm reden. Ja, dieser mein Secretair oder Rentmeister, wie er sich lieber nennen hört, so vertraut er im Ganzen mit meinen Verhältnissen ist, weiß doch bei Weitem nicht Alles, und namentlich ist ihm der Umfang meines Vermögens nicht bekannt. So ist er factisch nicht im Stande, darüber zu plaudern. Einen klaren Begriff hat er nur von der Höhe der Summen, die unmittelbar durch seine Hände gegangen sind, alle übrigen sind seiner Einsicht absichtlich von mir entzogen worden. Für Dich aber, wenn Du zu mir kommst, habe ich ein Büchelchen zurechtgelegt, in welchem die ganze Summe meines Vermögens und die Art ihrer Anlegung verzeichnet ist. Sollte ich plötzlich und unvorhergesehen von dieser Welt abberufen werden, so werde ich dafür sorgen, daß dieses Büchelchen Dir auf irgend eine Weise in die Hände geräth. Doch das fürchte ich nicht. Ich bin jetzt wieder rüstig genug und fühle, daß ich wenigstens noch ein paar Jahre leben kann, wenn ich mich recht vor Zugwind in Acht nehme, und dafür ist bei mir hinlänglich gesorgt.

Eine Versiegelung meines Hauses und meiner Effecten habe ich mir verbeten, denn ich kann auf die Redlichkeit Hummer's bauen. Er allein ist auch zum Vollstrecker meines letzten Willens ernannt und die Gerichte – die leidigen Gerichte, ich habe sie in dieser Beziehung doch nicht ganz umgehen können! – sind davon unterrichtet. Ich habe dies wohlweislich so angeordnet, denn wenn ich den weisen Herren vom Rathe Einsicht in meine Verhältnisse gestatten wollte, so würden sie Dir, Gott weiß welche Steuern und Lasten aufbürden und Du hast, als Erbe meines Grundstücks, schon eine ganz hübsche Summe als Collateralsteuer zu bezahlen. Diese Summe, die ich im Voraus nach der Taxation besagten Grundstücks habe ermitteln lassen, liegt baar in meinem Schranke vorräthig, Hummer überwacht sie und Du hast dabei weiter keine Umstände, als Dich bei der nächsten Behörde als mein Erbe zu melden und die Summe zu zahlen, die man Dir abverlangen wird.«

»Halt!« unterbrach hier den Lesenden der Banquier Ebeling, »halt, mein Lieber! Das ist ein wichtiger Punct, und ich muß bekennen, daß ich ihn für einen schwachen halte! Der alte Mann ist allerdings schlau und hat sich Alles sehr wohl überlegt, aber er hat nicht bedacht, daß er von dieser Welt abberufen werden kann, ehe er jenes Büchelchen in die Hände seines Erben, Ihres Onkels bringt. Dies Büchelchen aber ist in meinen Augen das Wichtigste in seinem ganzen Vermächtniß und darauf scheint er mir nicht den nöthigen Werth gelegt zu haben. Wenn es nun verloren ginge, wie dann?«

»Nun,« sagte Fritz, »dann ist doch noch die Summe Geldes vorhanden, die er baar oder in Papieren hinterläßt, und das ist noch wichtiger als das Buch.«

»So, und wenn diese Summe von einem noch schlaueren Menschen, als der Erblasser ist, beseitigt oder nur beeinträchtigt wird?«

»In der That, das ist ein möglicher Fall,« sagte Paul, »und ich werde meinen Onkel Casimir bitten, bei seinem Bruder dahin zu wirken, daß die Sache in's Reine kommt.«

»Ja, thun Sie das, und zwar bald, gleich morgen schon. Ich will zwar Niemanden verdächtigen, Gott bewahre mich davor, aber mir fallen die Worte Herrn Uscan Hummer's ein: man muß in allen Dingen immer sicher gehen. Gehen Sie also auch sicher, oder sorgen Sie dafür, daß Ihre beiden Onkel sicher gehen. Man muß in diesem Falle bedenken, daß keine gerichtliche Versiegelung stattfindet, wenn Ihr Onkel Quentin stirbt, und daß er die Vollstreckung seines Willens in die Hand eines einzigen Menschen gelegt hat, den allerdings er, nicht aber sein Erbe kennt, ihm also auch nicht unbedingt vertrauen kann.«

»Ja, und dieser Mensch heißt Uscan Hummer, und die Hummer sind, wie bekannt, gefräßige Thiere!« warf Fritz lächelnd ein.

»Fritz!« rief die Mutter, ihren Sohn liebevoll und doch ernst anblickend, »das war nicht recht von Dir!«

»Ich bitte um Verzeihung, liebe Mutter, es war auch wirklich nur ein schlechter Witz, der mir entschlüpft ist.«

»Bitte, lesen Sie weiter!« wandte sich der Banquier an Paul und dieser nahm das zweite Blatt des Briefes auf und las:

»Für die reichliche Anzahl von Menschen, die mich hier umgiebt, habe ich natürlich gesorgt und auch in dieser Beziehung ist Hummer von allen meinen Wünschen unterrichtet, die ich schriftlich in meinen Schrank niedergelegt habe, so daß darin kein Irrthum und kein Unterschleif möglich ist. Ich habe für sie Alle Legate ausgesetzt, oft ziemlich bedeutende, weil die Empfänger sie meiner Meinung nach verdienen, und Du wirst dafür zu sorgen haben, daß Jedem sein Recht geschieht. Vor allen Dingen aber wundere Dich nicht, daß ich Hummer ein großes Legat ausgesetzt; er hat meine Erkenntlichkeit vor Allen verdient, denn er ist mir mehr als zwanzig Jahre hindurch ein treuer und redlicher Diener und in mancher Hinsicht sogar ein Freund gewesen. Ob er in Europa bleiben und Dir auch ferner zur Seite stehen wird, weiß ich nicht; in der neuesten Zeit hat er oft den Wunsch ausgesprochen, nach Ostindien zurückzukehren, um dort sein Heil für sich zu versuchen, und das mag er thun, wenn ich todt bin, so lange aber bleibt er hier und er hat mir auch versprochen, in Deinem Dienste so lange zu bleiben, bis Du mit Deiner Erbschaft in Ordnung und seiner nicht mehr benöthigt bist.

Ich bin überzeugt, Du wirst gern alle meine hier ausgesprochenen und schriftlich hinterlassenen Wünsche erfüllen, vor allen Dingen aber wirst Du – darum bitte ich wiederholt – das Grab meiner Betty heilig und in dem vorgefundenen Zustande erhalten, zumal auch ich an ihrer Seite einst begraben sein werde. Mein Sarg steht schon leer in dem Gewölbe neben dem ihren, denn auch darauf hat sich meine Sorge bei Zeiten erstreckt. Also ich baue auf Dich in Allem, mein Bruder, Du sollst ja ein gerechter, wackerer und edler Mann sein, wie mir Hummer versichert hat. Und darum sehe ich Dich gern als Erbe an meine Stelle treten, da ich meinen irdischen Besitz ja doch nicht mit in den Himmel nehmen kann. Lieb wäre es mir freilich, wenn Du leibliche Erben hättest, denn dann bliebe doch mein Hab' und Gut, mit vielen Sorgen und Mühen erworben, in unserer Familie.

Auf unsern Stiefbruder Adrian, den ich nur als ganz kleines Kind gekannt, habe ich keine Rücksicht nehmen können, dazu hat es mir an Arbeitskraft und – offen gesagt – auch an Lust gefehlt.

Seine Mutter war nicht unsere Mutter, und darum steht er mir ferner, viel ferner als Du. Solltest Du jedoch wissen, ob und wo er lebt, so handle in Bezug auf ihn nach Deinem Ermessen, ich gebe Dir darin volle Freiheit. Wenn er Kinder hat, so dürften diese in Ermangelung anderer näherer Erben wohl zu bedenken sein. Doch das mag Deine Aufgabe bleiben, ich will nur mit Einem abschließen, und das bist Du.

Nun weißt Du ziemlich Alles, was Dir zu wissen nothwendig ist. Wenn ich plötzlich sterben sollte – es kann dies doch möglich sein – so wende Dich zunächst an Baring und Sohn in Hamburg. Sobald Du Dich ihm persönlich vorstellst, wird er wissen, was er zu thun hat, er ist instruirt für diesen Fall. Eben so weiß Hummer Alles, was er wissen soll; an ihn halte Dich, wenn Du mich nicht mehr hast, und weise ihn nicht von Dir, bis Du über Alles im Klaren bist, denn Du wirst seine Umsicht, Treue und Geschäftskenntniß noch oft zu Rathe zu ziehen haben.

Jetzt wäre ich fertig mit Dir und doch kann ich mit meinem Schreiben nicht zu Ende kommen. Es hält mich ein unbestimmtes Etwas wie ein im Verborgenen wirkender Faden an Dir fest. Wenn der Sommer doch bald kommen wollte, damit ich wieder die frische Luft genießen, mit Dir genießen kann! Ich lebe jetzt sehr einsam und still in meinem großen Hause, bin krank und verwöhnt, eigensinnig und launenhaft, und habe bisweilen Sehnsucht nach einem mir nahestehenden Menschen, namentlich wenn mein Asthma mich plagt, welches manchmal so stark wird, daß ich denke, mein Athem bleibe stehen. Dies Schreiben, obgleich ich Wochen damit zugebracht, und immer heimlich, hat mich sehr angegriffen; mehr durch die von Neuem in mir erweckten Gefühle als durch die Arbeit selbst. Doch so bald fürchte ich noch nicht, daß mein Ende naht. Ich bin schon kränker und schwächer gewesen. Doch – es muß nun endlich geschieden sein, also lebe wohl, mein Bruder! Gott erhalte Dich gesund und frisch, damit Du mit besseren Kräften meine Stelle vertreten und meinen Besitz genießen kannst, wenn ich nicht mehr bin. Lebe wohl, lebe wohl, es grüßt Dich herzlich – o wie herzlich! – Dein Bruder, der Dich so früh verloren hat und jetzt erst, am Ende seines Lebens, so glücklich ist, Dich wiederzufinden. Lebe wohl und gedenke jedes Wortes und jedes Wunsches Deines

Quentin van der Bosch.«

Als Paul diesen Brief zu Ende gelesen hatte, ihn langsam zusammenfaltete und in die Brusttasche steckte, hingen aller Augen voller Spannung, Freude und Theilnahme an den lebensvollen und selbst jetzt noch so ruhigen Zügen seines schönen Gesichts. Einer von ihnen war so erfreut wie der Andere, aber auch Verwunderung mischte sich damit, denn daß nun Alles so günstig für den geliebten Freund sich gestaltete, bewegte sie tief. Es dauerte aber ziemlich lange, ehe Eins von ihnen sprechen konnte, der eigentliche Brief des kranken und so seltsamen Onkels hatte sie stark erschüttert und Manches auch mochten sie zu bedenken haben, was sich nicht so leicht in die richtigen Worte kleiden ließ.

Da war Paul der Erste, der sich sammelte und, mit freudigem Auge im Kreise umherschauend, fragte: »Was sagen Sie nun? Ist das nicht ein seltsamer Brief?«

»Ja, sehr seltsam,« erwiderte der Banquier, »aber er ist noch etwas mehr als seltsam – er ist von großer Bedeutung für Sie.«

»Zuerst für meinen Onkel, lieber Freund!«

»Ja, aber dann kommen Sie gleich in nächster Reihe. Die Erbschaft ist jedenfalls eine große und es wäre mir lieb, wenn der sonderbare Onkel wenigstens eine Andeutung über den Umfang derselben gemacht hätte.«

»Da er es aber nicht gethan hat, was eben mit zu seiner Sonderbarkeit gehört, so muß ich mich schon zufrieden geben, nicht wahr?«

»Allerdings! Wenn der Sommer nur bald kommen wollte! so sage auch ich, denn für jetzt wird der Professor, wie er einmal ist, nicht zu bewegen sein, seinen Bruder aufzusuchen.«

»Das kann er auch nicht,« sagte Paul nach einigem Besinnen. »Der Alte will ihn ja noch gar nicht sehen und hat sich noch immer in Räthsel und Geheimnisse gehüllt.«

»Das ist wahr. Hm! Also Betty's Ruh heißt sein Gut! Wo mag es nur liegen?«

»Das werde ich bald erfahren,« rief Fritz lebhaft. »Zwar kann man an Baring und Sohn noch keine Frage stellen, das wäre vergeblich, aber ich werde morgen zu unserm ersten Landkartenhändler gehen und mir eine Specialkarte von Hamburg und Umgegend geben lassen. Jedenfalls liegt es in der Nähe der Stadt und ich habe mein Auge schon im Stillen auf das schöne Blankenese gerichtet.«

Der Vater nickte ihm beifällig zu, auch seine Mutter und Paul waren mit ihm einverstanden. Den ganzen Abend aber sprach man über den Inhalt des Briefes und die verschiedenen darin angedeuteten Verhältnisse, und erst sehr spät kaum Paul nach Hause, nachdem er die Ueberzeugung erlangt, daß er auf der ganzen Welt keine theilnehmenderen Freunde finden könne, als die Familie Ebeling sich an diesem Abend gegen ihn erwiesen hatte.

Die Hoffnung des jüngeren Freundes jedoch, die derselbe auf die Specialkarte von Hamburg gesetzt, sollte nicht erfüllt werden. Karten selbst waren bald genug gefunden, aber ein Gut Betty's Ruh war auf keiner derselben verzeichnet, mochten sie nun zu alt oder zu wenig genau abgefaßt sein. Das vorhandene Dunkel blieb also noch unaufgeklärt und einige Monate sogar sollten vergehen, bis auch dieses schwand und Alle erfuhren, wo das Gut Betty's Ruh wirklich zu finden war.

Wie es beschlossen worden, hatte Paul gleich am nächsten Morgen an den Professor geschrieben und demselben seine Bemerkungen über den Inhalt des Briefes seines Bruders mitgetheilt. Auf das ›Büchelchen‹ benannte Verzeichniß des Vermögens Onkel Quentin's machte er ihn wiederholt aufmerksam und bat ihn, in dieser Beziehung so aufmerksam wie möglich zu sein. Als er aber diesen Brief abgesandt, fühlte er, daß er seine Schuldigkeit in jeder Richtung gethan habe und nun gab er sich rastlos seinen neuen Arbeiten hin, die alle Tage einen größeren Umfang erhielten, denn der Bauherren fanden sich immer mehr, die von ihm Grundrisse gezeichnet und Häuser gebaut haben wollten. Diese ernsten Beschäftigungen nahmen ihn ganz und gar in Anspruch, Tage und Wochen verschwanden ihm unter den Händen und sein Unternehmungsgeist entwickelte sich immer kräftiger dabei, wie sein Character sich schon lange unter dem Einfluß so verschiedenartiger Lebenserfahrungen gestählt und gehärtet hatte.

Bisweilen allerdings, aber nicht mehr so häufig wie sonst, denn er war ja nie ein Grübler oder Schwärmer gewesen, besuchte ihn eine aus Freuden und Schmerzen gemischte Erinnerung. Auch er hatte ja eine Betty verloren, und wenn sie auch noch nicht im Grabe lag, wie die Betty seines Onkels Quentin, so war sie ihm doch ganz entzogen; weite Strecken trennten sie von ihm und eine Kluft war zwischen ihr und ihm errichtet, die überspringen zu können er niemals hoffen durfte. So leuchtete sie ihm nur noch wie ein sanft dämmerndes Licht aus der Ferne herüber, die Erinnerung an verschwundene Stunden war allein süß und so trat er allmälig in sein Mannesalter ein, wie so viele vom Schicksal verfolgte und durch dasselbe wiederum gestählte Menschen, die ihre Jugend nur wie einen längst Verschwundenen Traum betrachten gelernt und, wenn sie auch Viel seitdem verloren, doch manches Andere gewonnen haben, was zu finden sie einst nicht erwartet hatten: eine edle umfangreiche Thätigkeit, herrliche Freunde, und wenn auch nicht die Befriedigung ihres Herzens, doch eine stille Zufriedenheit und ein fortgesetztes rastloses Streben nach einem höheren Ziele, was allein schon manchen Ausfall in unsern Herzenswünschen ersetzt.

Da sollte er plötzlich durch ein neues und unerwartetes Ereigniß noch einmal an seinen unglücklichen Jugendtraum erinnert und mit ihm zugleich die ganze Ebeling'sche Familie tief erschüttert werden.

Es war am Ende des Monats Februar des folgenden Jahres und eine übermäßig starre Kälte hielt Wasser und Land in ihrer eisigen Fessel, da langte von Wollkendorf her ein Schreiben an, welches die baldige Folge eines noch herberen fürchten ließ. Frau von Hayden schrieb an ihre Schwester, daß der Oberforstmeister in Folge einer Jagd, die er ungeachtet ihrer und Betty's Abmahnung bei der großen Kälte veranstaltet, sich eine Lungenentzündung zugezogen habe und ernstlich, wenn nicht bedenklich krank darniederliege.

Zwei Tage später traf ein neues Schreiben ein, welches die Krankheit als eine lebensgefährliche schilderte, und schon einen Tag darauf folgte diesem die Todesnachricht.

Frau Ebeling weinte bittere Thränen darüber und auch ihr Mann war tief erschüttert. Er war von seinem Schwager nicht mit den alten freundschaftlichen Gefühlen geschieden und nun hatte derselbe das Leben verlassen, ohne wieder ein freundliches Wort mit ihm ausgetauscht zu haben. Das drückte den braven Mann sehr darnieder und er machte sich im Stillen Vorwürfe, seinerseits nicht auf eine schnellere Versöhnung bedacht gewesen zu sein. Allein nun war es zu spät und der stolze Schwager war in schweigsamem Groll von ihm auf ewig geschieden.

Frau Ebeling wäre gern nach Wollkendorf gereist, um ihrer Schwester und Betty tröstend zur Seite zu stehen, allein ihr Mann redete sie davon ab, da die Kälte zu grimmig und der Weg dahin, der theilweise zu Wagen zurückgelegt werden mußte, in dieser Jahreszeit und bei dem fußhohen Schnee ein sehr beschwerlicher war. So mußten sie sich denn Alle mit schriftlicher Theilnahme begnügen und Briefe wurden genug gewechselt, bis das neuste Unheil nach allen Seiten erörtert und, wie es glücklicherweise nicht anders sein kann, durch das heilsame Walten der vorüberrauschenden Zeit bezwungen, wenigstens gesänftigt war.

Anfangs April schrieb Frau von Hayden den letzten auf diesen Todesfall bezüglichen Brief. »Ich bleibe bei Betty,« schrieb sie, »und denke Euch erst im Sommer oder Herbst zu besuchen, wenn ich mich bis dahin wohl befinde, denn auch ich kränkle oft. Betty ist jetzt mein Alles, was ich außer Euch habe, und da sie hier so ganz allein ist, kann ich sie nicht gut verlassen. Vielleicht besucht Ihr uns nun einmal bald, und obgleich ich von Ebeling weiß, daß er sich sehr schwer von seinem Geschäfte losreißt und daß Fritz auch in Jahre noch keine Vergnügungsreise machen kann, so hoffe ich doch, Du trennst Dich uns zu Liebe einmal von Deinen beiden Lieben und schenkst uns einige Wochen. – Beiliegend sende ich Dir ein Verzeichniß derjenigen Sachen, die Du mir nach und nach über Bremen schicken kannst. Meine Möbel, so wie Wagen und Pferde, verkauft, ich gebe Euch Vollmacht, darin ganz nach Einsicht und Belieben zu schalten und zu walten.« –

Der Wunsch Frau von Hayden's wurde nur in einer Richtung erfüllt. Ihre Besitzthümer wurden günstig verkauft, den schönen Wagen und die guten Pferde behielt der Banquier für sich und die gewünschten kleinen Besitzthümer wanderten nach Wollkendorf. Ein Besuch Frau Ebeling's dagegen kam nicht zu Stande, diese wollte nicht allein zu ihrer Schwester reisen und ihr Mann konnte und wollte sich der politischen Ereignisse wegen nicht von seinem Geschäfte trennen. »Wenn aber nichts Neues, Unerwartetes vorfällt,« sagte er, »so reisen wir Alle nächstes Frühjahr gewiß und vielleicht begleitet uns dann auch Bosch.«

Frau Ebeling lächelte bei diesen Worten, denn sie hatten auch ihren Wunsch und ihre Erwartung ausgesprochen, und sie begnügte sich vor der Hand mit dem Versprechen ihres Mannes. Wie aber viele Versprechungen und Hoffnungen der Menschen nicht ganz so in Erfüllung gehen, wie man es sich vorstellt oder wünscht, so sollten auch diese an Klippen scheitern, die ihnen Allen die Vorsehung in den Weg warf und die kein Pilot im menschlichen Lebensocean vorhersehen, noch weniger vermeiden kann.

Hören wir, was zunächst der erste Mai dieses Jahres den Freunden brachte, und diesmal war es wieder Paul van der Bosch, der in erster Reihe davon betroffen wurde, obgleich seine Freunde den innigsten und wärmsten Antheil an der anscheinend so günstig sich gestaltenden Entwicklung seines Schicksals nahmen.


 << zurück weiter >>