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Das Chorgericht von Ins.

Verhandlungen.

Gleich mit dem Jahr 1587, in welchem die Berner Regierung mittelst des «Christenlich Mandat» die Choorgg’richt ins Leben rief, setzen auch die Inser Chorgerichts-Manualien ein. 1 Wie dankbar wäre es, an der Hand gleichartiger Dokumente aus allen bernischen Gemeinden eine bernische Kulturgeschichte zu schreiben! Die würde unzählbare Kleinzüge des privaten und öffentlichen Lebens auf die Bildfläche bringen, welche für Geschichts­forscher, Volksbildner, Staatsmänner und Richter gleich wertvoll wären. Den letztern würde sie auch die Lücke vor Augen führen, welche zwischen den heutigen Befugnissen weltlicher und kirchlicher Gemeinds­behörden und den Bezirks­beamtungen klafft. Eine Menge Ungehörigkeiten, deren gedeihliches regeliere n von der intimsten Personen- und Sachkenntnis, von der Autorität, vom Takt und von der Promptheit des zum dḁrzue tue n Berufenen abhängt, würden aufhören, sich als Krebsschäden in Lebens­anschauung, Lebenshaltung und Lebensgewohnheit ganzer Volkskreise einzufressen. Wer aber mag sie vor die schwerfällige und plumpe, dazu Geld und Zeit fressende Maschinerie des altjuristischen Formalismus schleppen? 2 Wer mag mit ere n Kanunnen uf Chrääijen u nd Spatze n schieße n, wo n es hundert G’schrööt­chrü̦geli brụụchti?

592 In diese seit 1874 zu einem sehr geringen Teil durch den Kirchgemeinderat ausgefüllte Lücke trat in keineswegs idealer, doch immerhin außerordentlich bemerkenswerter Tätigkeit seit 1587 eine Behörde, die uns unter den verschiedensten Bezeichnungen begegnet.

Sie hieß z. B. 1855 in Ins Kirchenvorstand. Als Sekretär desselben amtete der Pfarrer. Ein Mann aus Gäserz und je zwei aus Brü̦ttele n, Treite n, Möntschemier und Eiß bildeten die Behörde unter dem Presidänt, der (als Inser) neben einem Mitglied zugleich als Chilchmäier g’funktioniert het. Ein ferneres Mitglied verwaltete das Chilche nguet. Als Bote diente der Choorwäibel (s. u.). Derselbe gehörte früher (z. B. 1753) auch zu der Facies Consistorii Annetensis, welche aus acht Beisitzern, dem Pfarrer (Jenner) und dem Landvogt als Obmḁ n bestand. Der Titel « Consistorium» (vgl. Consistoire admonitif) 3 begegnet uns schon 1666, der von Kirchenältesten ( anciens de l’église) 1769, der der «Ehrbarkeit» oder «Ehrsamkeit» 1746 u. ö.

Das g’loobe n, zu welchem feierlichen Akt nach der pfarramtlichen Ansprache die Mitglieder des Kirchenrats gegenüber dem Präsidenten der Kirch­gemeinds­versammlung verpflichtet waren, charakterisierte erst recht «das geistliche G’richt» (1639). 4 Nicht weniger jedoch die Behörde der «Eherichter» (1597 und 1655: Eerichter) oder (ebendann) Choor­richter oder (1833) Sitte n­richter.

«Öffentlich Chorgericht» hielt man z. B. 1746 an Werktagen ( Weerchtige n) «offt und dickh» (1648) unter dem Landvogt, ohne diesen aber Stillstand an vielen Sunntige n na̦ der Bredig. Da «stand» eben, nachdem die Gemeinde entlassen war, 5 das obligatorischer­weise im Chor der Kirche anwesende «Gericht» «still», um vom Pfarrer zu vernehmen, göb öppis z’verhandle sịịg.

Im Erlach-Moos

Der unter dem Eindruck großer Stetigkeit uns so oft begegnende Titel Choor­richter war in Wahrheit ein recht schwankender. So amtierten 1585 und 1586 vier Corrichter unter dem Richter, wie oft auch der Landvogt sich als Nachfolger der Twingherren nannte. Unter diesem einzigen Richter oder «Judex» (1586) standen 1645 und 1646 die Chorrichter als «Zügen» oder (1586) Testes, 1662 auch als «Rechtsprecher» und 1667 als «Mitsäßen». Mit diesen untergeordneten Titeln mußten dann auch Würdenträger wie der Herr Dekan und wie der Statthalter als Gemeinds­präsident sich begnügen. Dagegen sehen wir in Jahren wie 1667 und 1677 den Land­schrịịber von Erlach ausführlich und schön das Protokoll führen, nachdem er in Gesellschaft des 593 Landvogts isch hee̥rḁg’ritte n choo̥ n. Denn es gab Fälle, wo es nicht genügte, daß der predicant vnd vorstand (beide Titel galten dem Pfar rer) allwegen am Corgricht sin soll (1576) und dieses mit Bywäsen (1648) oder sogar unter der Leitung z. B. des Herrn Decani Langhanß (1647) g’halten wurde. Predicant und übrige Chorrichter (1666) durften in gewissen Fällen nur In gegenwürtigkheit (1646) oder im Bysin Vogts (1576) verhandeln. Wenn es sich um Ergänzung oder neue Besatzung (1585), um Besatz und Beeydigung des Chorgrichts (1666) handelte, ja wenn auch nur der Chorweibel zu wählen war (1788), durfte das Chorgericht nur die und die zum Vorschlag geben (1776); ja der Predicant zuo Erlach soll der Chorgerichts Besatzung eben nit bywohnen, doch syn advis und meinung ouch darüber geben (1629). Der Entscheid aber ist für den H. Vogt geschlagen (1589, 1646), ihm in die schoß geworfen (1755).

Oft auch (z. B. am 10. Januar 1647) ist nichts fürgnommen ( fụ̈ụ̈rg’noo̥ n) worden, diewyl die Corrichteren nicht in völliger anzal (1661) beiwohnten, sondern die anzahl gar gering ware. Solches schwänze n konnte allerdings dazu führen, daß gelegentlich (z. B. am 15. Februar 1667) die vnflyßigen Corrichter nach dem Gesätz ein jeder vmb 5 ß gestrafft wurden.

Nicht selten (z. B. 1586 und 1588) heißen die mit dem Vogt als dem «Richter» oder (1581, 1589 und 1590) mit dem Meyer als dem «Chorrichter» oder mit dem Predicant Beratenden: Göümer, Ehegöümer, Eegöümer, Eegoumer, gemeine ehegöümer, Gemeins­ehegöümer (1606). 6 Diese sind, was seit 1836 die Sitte nrichter (1842: Sidenrichder) waren: die sieben auf je zwei Jahre gewählten Beisitzer des Sitte ng’richt als der zweiten Instanz in Paternitäts­sachen, während die Burgerräte von Brüttelen und Treiten die erste Instanz bildeten (1843). Dies Sittengericht hatte den Unter­statt­halter zum Präsidenten, sowie (seit 1836) seinen Weibel. Dieser konnte allerdings als Chorweibel seinen Namen bis heute behalten und etwa durch Chorweibels Fritz, Sammi u. dgl. in seiner Nachkommenschaft forterben, wenn seine Stellung nicht (wie schon 1576) in der des Si̦gerist aufgeht. Auch ein Kirchmeier, Chilchmäier, konnte (z. B. 1710) als Chorweibel in Frage kommen, falls nicht der Pfarrer einwendete, daß ein Weybel Schmähliche sachen zu verrichten obligiert seye 7 und dabei dann wieder als Kelchhalter zu fungieren habe.

Verwirrender Weise, wie das früher in Landgemeinden auch sonst vorkommen konnte, 8 sehen wir dann doch wieder Ehegäumer oder 594 Heimlicher neben dem Chorgericht (1659). Sonst erscheinen bloß die Heimlicher (deren z. B. 1654 je einer aus Brüttelen, Gäserz, Treiten und Müntschemier und zwei aus Ins gewählt und beeidigt wurden) als Untergebene des Chorgerichts und diesem für ihr Tun und Lassen verantwortlich (1588, 1591). Sie hatten besonders uneheliche ( u̦nehligi) Schwanger­schaften einzuberichten. 9

Was vor 1831 der Landvogt oder Oberamtmann als Obervormund, Friedensrichter, Bagatellrichter, als erste Instanz in Polizeifällen und Verwaltungs­streitigkeiten und als Ratgeber in Rechtsfällen nicht erledigen durfte, schickte durch seine Vermittlung das Chorgericht an das Ehe- oder das obere Chorgericht in Bern. 10 Das flößte dank seiner Befugnis, bis 400 Pfund Bueß oder bis 40 Tage Cheefi zu verhängen, so viel Respekt ein, daß auch mit Bisidaz (1747) u. dgl. drohende Widerspenstige schließlich vorzogen, «3 Tag und 3 Nächt in die Keffi» zu gehen und die Kosten des Chorgerichts «an die Hand zu nemmen» (1579), für nu̦mmḁ n nid uf Bern z’müeße n. Die Furcht vor dieser Instanz vermochte 1695 auch, einer Lästerzunge ein gebiß ( es Bi̦i̦s) an vndt einzulegen.

Mit nicht wenig Rückgrat erlangte das Chorgericht 1844 die Abbitte (das z’ru̦gg bätte n oder z’ru̦gg leese n) eines gewesenen Sittenrichters, der zu Ins b’lagiert hatte, sị ns Roß sịg meh weert, weder d’s ganz iezig Sitte ng’richt. Die drei Gemeinden Müntschemier, Brüttelen und Treiten mußten im Januar 1589 si ch ga̦ n verspräche n, daß sie die Pätstagen am Frytag vnder wägen Laßindt und nur offtmalen Ire wiber schickend, selbs aber nit gan mögend; jeder Hausvater hatte damals 5 Schilling Buße zu zahlen. Am 7. Juni 1668 wurden die Haußvätter von Treitten all mit einanderen b’schickt wegen fahrleßiger besuchung der Kinderlehren. (Der Chin͜delehre n, zu deren Besuch damals Erwachsene und Konfirmanden — Un͜derwịịsiger — gleicherweise verpflichtet waren.) Hend neüwen flyß und yffer versprochen, worauf das Chorgericht beschloß, man solle nochmalen probeiren. Ammänner, Chorrichter, Heimlicher wurden zitiert, Weibel von Erlach und Lüscherz i n d’s Gebät g’noo̥ n wegen Skandals (1658, 1666). Die Inser Wirte zum Beere n und zum Chrụ̈̆tz häi n wegen Skandals voor müeße; sie wurden gebüßt und mit Gefangenschaft bedroht (1593). Einem andern Wirt stand in Aussicht, mi tüei ’nḁ b’vogte (1747). Trunkenbolde wurden wirklich bevogtet, verrüeft (1749), mit Wirtshaus­verbot bestraft (1589, 1839 u. ö.) und 595 geheim überwacht (1746). 1805 wurde eine Strafe gegen Gemeindeaufsicht ausgetauscht. 11

Denn dem Chorgericht stand auch die volle Ortspolizei zu. 12 Es büßte (1660) selbst Dorfmäister um 5 ß weil sie ihm versụụmti G’mäinweerch nicht angezeigt. Ihnen und den Ofnern ( S. 440) schärfte es (am 11. März 1655) ein, besonders am Sambstag zu nacht ( am Samstḁ g z’Nacht, d. h. Abend) nit lenger den n biß zu Nidergang der Sonnen bachen zu lassen. D’Wesch (Wäsche) sollte vor Ende der Woche eingelegt — ịị ng’läit — werden (1855). Um zwei Weiber, wo gäng g’rị̆felet häi n, auseinander zu halten, mußte 1785 ihre gemeinsame Chuchchi un͜derschlage n werte n. Einen Weinberg schädigende Schafe wurden 1657 auf die Zelg verwiesen. Zwei Schafhirten sollen eintweders ( ä̆i ntweeders) vor oder nach der predig (statt während derselben) hornnen ( S. 158), oder gestrafft werden (1581). Das Chorgericht erteilte die Leumunds­zeugnisse (1670) und warnte (1750) vor dem Umgehen seiner Gesamtheit durch Einholen einer Zụ̈̆gsḁmi bei bloß einem Mitglied.

Hintertreibung der Bättleren (1699) selbst mittelst der Landts-Jegi (1642) war ebenfalls Chor­gerichts­sache. Ehegatten, welche die Flucht genommen (1786) und sich uß dem Land gemacht (1646) ( si ch drụ́s g’macht hatten), wurden durch Rueffbriefe n und drei ordentliche Rüeff ab dem Chanzel an drei verschiedenen Sonntagen vor der Scheidung durch das Oberchorgericht (1786) i n d’s Rächt g’rüefft (1788). Daheim einer Vorladung Trotzende (1859) konnten gleich Nachtschwärmern (1750), wie einmal (1646) auch eine durch Liebeszauber sich gefährlich machende Magd, zur Bannisation (1749) oder zu förmlichem Jagen aus der Kirchhöri (1750), ja vß der Herrschaft Erlach (1646) verurteilt werden. Das Oberchorgericht bannisierte dann z. B. Verleumderinnen unter Umständen (1754) für sechs Jahre aus dem Kanton. (So lange mußten sie läiste n.) Zu einer Chorgerichts­buße von 10 ß aber konnte bei Rückfall die (oder das) vrfech 13 gefordert werden (10. Dezember 1585). — Drei Fälle endlich (vom Jahr 1587) sehen wir «vom weltlichen rechten für ein Chorgericht geschlagen».

Ein Ehepaar aus Brüttelen wurde 1859 wegen Tischrückens (Tischchlopfe n) i n ’s Pfarrhụụs b’schickt. Hier nämlich, oder aber im Ra̦a̦thụụs, wurde jeweils Chorgricht bsamblet (1678) und Corgricht celebriert 596 (1667). Dann ḁ nt 14 wann fand der Zusammentritt (1697) zum ordinari Chorgricht (1668) häufig statt (z. B. 1576 zwölfmal); vielfaltig (1724) isch ’s umma lang ’gange n, wenn nämlich beim Umgang der Chorrichter während der Predigt und Kinderlehre (1786), oder bei der Umbfrag, waß etwan Straffwürdiges seyn möchte, sich nützit (1668) oder höchstens die geringigkeit eines Vergehens (1692) befunden hat. Auch Kriegszeiten wie 1653 und 1656 verursachten Unterbruch (die Chorrichter wurden «zum Unterbruch verursachet»: 1644). Allein auch Kläger konnten durch den Weibel (1699) Chorgericht anstellen (1747) und halten (1587), wenn sie den Gạstguldi (1668-1670) für solch ein Gastg’richt erlegten, also den Beklagten « gastg’richtlich anlangten» (1699) oder für nahmen (1704). So durften sie drei oder vier Tag nach einander (1697) 15 gastwys gegen den Beklagten an ein recht stahn (1662) und z. B. Verleumdungen ab ihnen thun (1662). Quängeler ( Cheerine n) konnten allerdings auf diesem Wege sich Vorhalte zuziehen, wie den, daß sie nie in der Kirche, dafür aber all grichtstagen do sigen (1591). Wer an das geseßne (1750) Corgricht müeße n (gmüssen, 1585) oder welle n (gewollt) hat, also gechoret (1667) oder g’chooret wurde, erhielt vom Chorweibel ein bott angelegt (1669); es wurde ihm gebotten ( b’botte n); es wurde ihm citation angelegt (1749), er wurde ans Chorgericht zitiert, b’schickt (1586); man rufte ihn (1784) oder ihm (1815), mi n het ĭhm g’rüeft. Wer durch Ausbleiben sogar etwa das von ihm angestellte (1592) Chorgricht verachtet (1576) oder geäffet (1749) oder verschmecht (1576), ihm eine verschmecht (Geringschätzung) erwiesen hat und wohl gar sein «Abwesen» rechtfertigte: man solle ihn an dem Ort suchen, da er sich aufhalte (1769), ward sehr verschieden behandelt. Es konnte bis zum vierten fruchtlosen Aufgebot kommen; aber auch zu scharfen Bußen, zum exekutorischen (1862) Herführen durch den Landjeger (1838, 1861), zum inlegen (1590) in Gefangenschaft: zum hin͜derḁ g’heie n. (Hin͜derḁ mit ihm!)

Was sin anligen sige (1581)? oder sein Sach (1667)? wurde gefragt, wer jemanden «vor Chorgericht gehalten» hatte (1753). Er solle auch ehistens ( ú̦f der Stell) anzeigen (1670), wen anträffend (1658) er klage. Nun begann Ihr der Partheyen Beiderseyts förmtkliches veroffnen (1667). Der Kläger durfte sich klagen (1667) oder si ch erchlage n (sich erklagen: 1552), zum Gegner klagen (1537), ob (1666), 597 oder ab ihm chlage n (1654), er seye d’Schuld (1776) am entstandnen Schaden; er sịg repondierlich und habe die Folgen zu gewarten (1666). Er durfte d’Chaarten ụụsp’hacke n und der Chropf leere n.

Hatte das Chorgericht von sich aus einen sonderbar (1653, d. i. b’sun͜derig, für sich allein) oder es baar z’seeme n zitiert, so hieß es etwa: Wir haben mit höchster bedurnus (1646) vernommen, du habest ( dụ häigisch) oder ihr habet ( dier häigit) das und das getan. Man habe dich darüber verwü̦tscht (1640, erwütscht) und es werde dir aufgeruckt (1650); du seiest deswegen verschreit (1587, verschroue n- oder verbrüelet, vgl. jedoch S. 327); du seiest oder man habe dich deßwegen im Zyg. 16

Es folgte das Rogatorium (1755), die verhör (1715), die zuredstellung (1669); es wurde mit scharfem zureden in den Beschuldigten gesetzt (1747); er ward z’Reed g’stellt: zur Rede gesetzt (1746) oder gestoßen (1653): Was das sịịg!? Was das söll z’bidụ̈te n haa n?! Er solle die Mitschuldigen oder Mitwisser vernamse n (1789), damit sie (konfrontierend) für Ihne gestelt (1650) werden können.

Was nun da alls für Antworte n fü̦ü̦rḁ choo̥ n sịị n, zeugt vielfach von weiblicher Minderwertigkeit. Zahlreiche Verhandlungen eröffnen eine unglaubliche Liederlichkeit (z. B. 1841), aber auch bodenlose Dummheit (z. B. 1844) verführter Mädchen. Andere (wie 1588) bieten nichts als elenden Klatsch verlogener Weibsbilder (1839 u. ö.), G’rätsch und G’chnätsch (1844) und ein Tüfels Klapperwerk (1677) manch eines von Plaudersucht (1589, 1765) besessenen Klapper­däschli (1670). Die Klatschsucht erhält Nahrung durch die Wunderigkeit (1653, Gwun͜derigi) perfider Aushorcherinnen vor des Nachbars Fenster (1754). Eine derart geschulte Zuträgerin und Zankstifterin wurde 1754 um elende 10 Schilling gebüßt — zur Aufmunterung für Lästermäuler, wie eine Anna Schmidt, die Verleumderin des Pfarrers Henzi in Vinelz (1695).

Zwei Weiber zanken sich 1576 vor Chorgericht. Etliche so gar versoffne wyber (1646) fulentzen natürlich erst recht den gantzen tag daheimen (1652), lassen als Luenze n: fule luschen oder lüschli (1670) sich vom Mann oder von der Mutter d’s z’Morgen i n d’s Bett bringe n (1841: das in England übliche breakfast into bed), lassen den müden und hungrigen Mann am Abend weder feür noch liecht finden (1652); und ein solches Mensch (1749) schmeißt 1663, da es 598 auf Pfingsten einmal Küchli ( Chüechli) machen soll, vß nyd und zorn den AnkenKübel zum hus hinus, daß die Hüner den Anken fressen. Der arbeitsame und nützliche Mann (1765) eines außerordentlich faulen alten Weibsstückes (1765) aber kommt 1652 wegen Hausstreites 24 Stunden i n’s Loch. 17

Von Erpressungs­versuchen am eigenen Ehemann (1651) und Plündern des Hauses durch die es böswillig verlassende Ehefrau (1653), aber auch von den abergläubischen Künsten zweier Weiber zur Entdeckung eines Diebs (1766) nicht weiter redend, überblicken wir nun vom gewonnenen Gesichtspunkt aus das Verhalten der G’choorete n.

Ein einvalt Mädchen steht vertatteret da. Angentz (1657) staht es ab (1671) von jeglichem Leugnen. Es ist alleße 18 (1654) bekannt (1654) oder bekhandtlich oder kentlich (1580); es ist der Klegt bekantlich (1668); es wird sofort zur Bekanntnuß gebracht (1753); es erkennt (1666) oder bekennt (1586, b’chennt) 19 die Anklag (1746) an (ohne) alle Vorbehaltnus (1586), es könne seinem Fehler (1593) oder seines Fehlers (1586) oder des Fehlers halber (1589) nit ab sin; es sig desselben anred (geständig). Es Beanthwortet sich (1658, gibt Auskunft) über die Hergangenheit (1700). Einem ist eine Schmähung in zornigem (1647) und vnuerdachtem Mut (1586, unüberlegt) vß hin Entwütscht. Eine nach langem lurgen (1688, lu̦u̦rgge n) nachträglich Gestehende hat weeger (wahrlich) nit mehr daran gesinnet ( d’ra n g’sinnet, si ch dra n b’sinnt); sie wollte nicht leugnen: sie hetts nit wellen thun (1586). Sie zeigen sich reüwent (1668). Ihnen sei and 20 (leid), erklären sie. Sie erbitten sich (bitten sich los) von Strafe, betten (1750) und begehren (1604) vmm verzihung und nachlassung (1649) und legen sich an gnad (1592).

Die bitten um e̥nes milds U̦u̦rtäil. Andere hinwieder verabsoumen nichts (1752), sich auszuschönen (1755, vgl. beschönigen) und ihren ganzen Handel zu verglimpfen (1724, vgl. äi’m Glimpf gee n), oder zu verdüschen (1668, vertuschen). Sie sinnen auf dessen verdüschung (1749) mittelst Fürwörter (Vorbehalte [ NM] oder ausweichender Antworten, 1704), mittelst Vorgeben einer mißverständnuß 599 (1652: si häigi oder mi häig daas lätz verstan͜de n), mittelst perfider Ablenkungen auf Andere ( An͜deri dri n stooße n) und sonstiger kommliger (1641) zuofälle (Einfälle, NM.). Sie verlegen sich auf die glichsnereyen eines glichs, eines gliß ( NM. für Gleißner, der derglịịche n tuet, («tuet als ob»), damit man sie beseitige (1646, d. i. aus dem Spiel lasse). Ihre Charakterwörter sind halt (eben), acht, echt, echter ( NM. für etwa, wohl), mich sicht an ( NM.), allweeg, al lweeg ni̦i̦d! v’li̦cht = vi̦lichtert (1641: villichter). Dazwischen suchen sie ihren im Nebel herumfahrenden etzwenn (1465), etwer, etwar ( öpper), etwas ( öppis), etwa ( öppḁ), ne weiss man, neys wan (1534), neiswann ( NM.) = näümḁ n, näuḁ n, oder (ich) ne weiss was = näumi̦s, näüi̦s = näu(m)ḁn öppis ( any thing) nähere Bestimmtheit zu erteilen durch Zeitangaben wie: die tagen (1586), di Daage n, (dieser Tage), vor etwas tagen (1667); auff ein Zeit (1537), vor etwas abgeruckter Zeit, ein Zyt dahar (1661), vor etwas abgelüffenen Zyts 21 (1654); unlangest (1667, vgl. langist); verschinenen (1651) oder verwichenen Aprellen (1651); abetszyts (1667); äi n Nacht (d. i. eines Abends, vgl. nächti = gestern Abend, aber auch = di letz̆ti Nacht), nechtig abendts (1620), z’moo̥rnderisch ( le lendemain, 1586: morndest), biß vf den Morndrigen abendt (1646), moo̥rn ( demain); hü̦̆t (heute), hụ̈ụ̈r (Heuer), feern (letztes Jahr); hernachen (1658) = demnach (1580) = folgsam = du̦ dḁrna̦a̦ ch (vgl. ŭ́ nd du̦u̦? = und dann? et puis?). «Ebenmäßig» (1658) = ebenso usw. usw. sind formale Ausweichgeleise, auf denen Versicherungen wie: ich kann im nüt thun (1589: i ch cha nn nụ̈ụ̈t dḁrfü̦ü̦r, g’wü̦ß, g’wü̦ß ni̦i̦d) das letzte schützende Versteck suchen.

Durch noch Geriebenere wurde «ein Berg umgelogen»: g’looge n, «daß sich der berg Runzefal bog», 22 oder «daß ich dacht ein wil, der kilchturn sollt sich biegen». 23

Allein, gerade damit ist der Leugnende i’ n Ru̦nzifall choo̥ n. Er ließ sich so weit hinaus (1747, er het si ch so wit uf d’Nest ụụsa n gla̦a̦ n), daß er keinen Ausweg fand und sich in den eigenen Schlingen fing. So schuod ( NM., schadete) er nur sich selber, und es war niener fü̦r (HRM.), 24 dise sach ze bruchen, nämlich das lụ̈ụ̈ge n, die Lu̦u̦gi.

600 Ebensowenig nützte es, sich zu entschuldigen (1649), d. h. ohne über die Anklage überhaupt etwas zu antworten (1650), dahin und dawägg, dür ch d’s Ban͜d e nwägg, allerdingen (1590), alßamen (1589) zu lougnen, alles stark zu verlougnen (1646), es ụụsz’louggne n. Solche Leugnende verharrten dennoch auf ihrer Negativ (1753): daß das und das geschehen sei, das syge nụ̈ụ̈t (1583), nützit (1652), allermaßen (1602) nichts; sie haben nie nichts 25 ( nie nụ̈ụ̈t) Unrechtes getan, weder in Worten noch in nichts, 26 keintwederes (1721: käitweeders, neutrum, ni l’un ni l’autre); was man ihnen vorrücke, haben sie niene n than (1534); es syge nit minder (1585), daß sie das geholffen machen (1576).

Mit gleicher einthönigkeit (1649) insistierte (1752) aber die Gegnerschaft styff (1659) vff (1658) oder by ihrer klag. Eine will (1647) von ihrer Zulage gegen eine andere nit abstaan ( absta̦a̦ n).

Wo das gwüßne ( NM. für das Gewissen, d’s Gwüsse n) rein war, durfte der Angeschuldigte ( niemmer besser wi̦i̦ dee r!) z. B. den Ausstreuer eines bösen Gerüchts auffordern, er solle diß entweders ( äi ntweeders) vff Ihne bringen, oder aber an syne Fußstapffen tretten und reparation thun (1669). Wan er ein biderman (1586: biderbman) seye, so sölle er die wort vor biderlühten reden (1669). Wo nicht, so sei er vrbietig (1720) oder vrpütig (1612: erbötig) und wolle sich vnderstehen (1704), sich zu versprechen ( NM.: zu verteidigen. Heute heißt si ch verspräche n: um Entschuldigung bitten). Er wolle mit wüssenthaffter tädung (1586) jenen der Unwahrheit beschulten (1668). Er wolle das, was er b’hou pti, heiter und vßtruckenlich vffrichten und erzeigen (1590), empleken ( NM., d. h. vor «Blick» und Augen stellen), und was sich eröugnet ( NM.), scheinbahr machen vnd beweisen (1701), es erweislich machen (1747). Er wolle, was er behaupte, vor Fürsten und Herren reden (1647) und den Eid darthun (1670, praestare, prêter sermon), thut er hinzu (1737: het er dḁrzue ’ța̦a n).

Der letzte Ohmgeldbeamte
in Gampelen:
Fritz Käch
(der alt Meier Fritz)

Nicht so sicher war seiner Sache der Polderi, der sich ungeziemend eynstellte (1751: si ch ung’regeliert ịị ng’stellt het) und einen sölichen schalk 27 (1584) anfieng, das schier keiner het mögen z’red kommen ( daß mḁ n nid mit eme n Hämmerli het darzwüsche n chönne n). Er begann sich nerrisch zu [ge]baren (HRM): är het taa n wi verrückt. Es sig ein blutt schand (1586, e n wahri Schan͜d), übrigens ja freilich ein alter sitten 28 ( NM.): es sig ja̦ richtig öppḁ gäng 601 lsó g’si̦i̦ n, daß jedermann seines gefallens (1640, na̦ ch sị’m G’falle n) äi’m all der Tụ̈ụ̈fel ụụfgrü̦ü̦ble n un d ụụfru̦pfe n und einen faltschlich ( faltscher Wịịs) anklagen dürfe (1668). Er opponiere sich dessen! (1755). Ein als Trunkenbold und Tagedieb verklagter Schuster het g’resiniert ( raisonné, nämlich 1589): Er diene jedem, der siner arbeit mangelbar sige und ihn anspreche. Es habe ihm niemand nichts ( niemmer nụ̈ụ̈t) zu befehlen (1751), und wenn er getrunken habe, so habe er es auch bezahlt (1769)! Man lasse ihn ungeirrt ( NM., vgl.: dụ iir rst mi ch, du störst mich in meinem Tun), und lasse ihn deß Ohrts (vo n da̦ naachḁ) z’ruhwen und z’friden 29 (1666)! Wer ihn fatzen (fuchsen, fu̦xe n) wolle (HRM.), der sölle schwigen, er habe ouch etwz ( öppis) vff der nasen (1666, e n Dräck uf der Naase n)! Mancher Chorrichter habe auch schon einen Rausch getrunken (1769); und: wenn man mich facht, so muß man noch viel hie fachen (1586). Ein Weibsbild (dessen Buße wegen Armut auf zwei Pfund ermäßigt wurde) stichelte 1667: Es sye mancher ein Schelm, der sage es nit. Ihr mann habe noch niemals kein ( no ch nie käi ns) Korn vß der Zeendschüür gestolen vnd zum Bären ( Beere n) getragen, wie andere. Und seye kein wunder, daß (der Angeredete) die Löcher in dem Trül ( Trüel) habe vermuhren müßen. Letzlich, behauptet einer (1671), 602 seye er ein besserer Bidermann als (1362: wand) 30 der NN. Er sige an einem Finger besser, als sein Ankläger am gantzen Lyb (1669). Was der geredet, habe er erheit, wie ein anderer Dieb (1669). Er habe es erheyt in die gurgel ynhin (1668). Man möge ihn vngehyt lassen (1586: La̦ß mi ch ung’heit!). Was Ihn der Ankläger und syn wyn g’keye (1670)! Dieser habe lätz, und er (der Angeklagte) heiße ihn liegen (1587, noch baslerisch für lụ̈ụ̈ge n).

Wer hat mich angemuthet (1702), als Sünder hier zu stehen? So ruft neben dem Blaagöör, welcher blaagiert, ein freven ( NM.) und drutzlich ( NM.) mensch, das sich e n chläi n pru̦nt (hässig, vgl. pronto und prompt) und grimm erzeigt ( NM.), bald p’hü̦ktelet, bald chịịbet und bald trotzig polderet (1751), schreit und polderet, als wann es im Wirthshaus wäre (1751), letz thut (1649): lätz tuet oder tuet wi lätz, sich letz stellt ( NM.), pracht oder gepracht, gebrecht ( NM. für Geschrei, Tumult) erhebt, hoffartigen (1581), bösen (1656) und fulen (1649) und vnbescheiden­lischen Bscheid (1667) gibt und so einsdar ( NM., «eiste̥r») mit Gwalt seinen Fehler von ihm schalten will 31 (1640). Solche vnderwindung (1704), solches sich verwegen 32 ( NM.), solches geturren oder tören 33 ( NM. für wagen, vgl. how dare you!), sich übel zu gehaben ( NM.) und unantwort zu geben (1578, vgl.: i ch han ihm nie käi ns Unantwöörteli g’gee n), galt vor allem als gefährliches Unterfangen, den Landvogt zu affrontieren (1715). Deshalb die gutmütigen (1768) Vorstellungen, das immer wieder gebrachte (1637) insinuieren (1751), d’Pfị̆ffen ii nz’zieh n, und das verteuten (1751), es könnte schlimm herauskommen. Es möge die lenge ( uf d’Lengi) nümmen sin ( NM.), daß man ruhig zuhöre. Äine nweeg wird zugeschimpft, alles Zusprechen ist unerheblich (1704) und wird vernütet ( NM., für nichts geachtet; vernụ̈ụ̈tiget: als Nichts erklärt). Wer soll schweigen? Nein ich ( NM.)! Ni̦d i̦i̦g! Die us dem Hụ̈ụ̈sli Geratene verschweert si ch hoch und thüwr (1667), sie wölle Ihra (der sie Verklagenden) es wol yndränken (1668, ịịtränke n). Komm außen ( chŭ̦mm ụụsḁ), du Schäli ( S. 154), 34 und sage eß vor Lüthen (1670, vor de n Lụ̈̆t)! Wenn ich etwas Ungebührliches getan, so wolle (1665: solle) Gott ein Zeichen an mir tun (1668, es Zäichen a n mme̥r tue n)! Das Ende ist ein baschgen ( NM., bemeistern) der Rasenden.

So die Geständnisse oder Verteidigungen. Ihnen folgte die Beratung, während deren die Vorgeladenen an den Tisch in der nebendstube 603 (1667) abzutreten (1767), einen abtritt zu nehmen (1750, 1751), oder aber des Urteils vorú̦sse n, dŭ̦sse n (draußen, 1650), zu warten hatten. Es kam aber vor, daß die Abzuurteilenden sich davon machten (1650, 1670, si ch d’rụs g’macht häi n), sich auß dem Staub begaben (1700).

Schon solches Auskneifen mußte zum Beschlusse führen, es solle die Sach (1590) oder der Handel (1587) oder aber auch ein Angeklagter (1591) still ston; die Verhandlungen darüber seien ungeschaffter Sach (1650) stilgestellt (1586), angestelt (1590), yngestellt (1649, ịị ng’stellt), vffgeschlagen (1573), hinders gewisen (1648) biß vff witteren bscheid (1590, bis u̦f wị̆tere n B’schäid). Besonders aber die Unaufgehellt­heit über die Gestaltsame einer Sache (1759) mußte den Vorsatz reifen, man welts baß (1668, bas) erkundigen (1573) und dann von frischem (1780), frischer dingen (1746), früscher dingen (1757, uf d’s frische n) darauf eintreten.

Zur Aufhellung ließ sich auf verschiedenen Wegen Anstalt verfügen (1759), die anstaltung thun (1709). Die Chorrichter konnten einen Augenschyn ynnemen (1629). Sie konnten ferner über jemand genaue Nachricht einnemmen (1699), sich gegen ihn nachrichtlich verhalten (1670), sich eines Kerls informieren (1749). Mächtig gewann die Sicherheit der Verhandlung, wenn ein zu Verhörender erklärte, er sei deßen zefriden (1671), er habe verzogen (1637, d. i. vorgezogen), oder er gär (1584, begehre) statt bloß mundlich (1860) oder Vnder Munts (1654) seine Aussagen in Schrift von sich zu geben (1679). Wer gegenteils als Partei seiner Sache unsicher war, wollte lieber von dem bewyßthum stahn (1667), sowie als verdachter (HRM., d. i. argwöhnischer) Zeuge nicht g’lobe n, bis er doch lestlich glopt het (1590).

Die Hauptmethode schon der alten Zeit war, einen Schuldigen mit drey Biderbermannen 35 zu überwisen (1668). Es konnte jedoch dem Kläger auch nachgelaßen syn (1671), einen durch zwei Manßpersohnen zu bezügen (1578, zu überweisen), daß er schuldig sei. Ja, neben einem züg (1670) oder Gezeüge (1755) konnte eine gezügin (1661) bricht geben, sie sig dar by und mit gsin (1534). Das Zeugenverhör geschah auf unrechthabende Kosten hin (1748), indes die Gegenpartei wegen sonst gutem Zeugsamme ( weege n gueter Zụ̈ụ̈gsḁmi) geschont wurde (1747). Das gewöhnlichere alte Wort war indes «Kundschaft» im Doppelsinn von Zeuge, Zeugenschaft, Kundt­schaffts­tregern (1667, 1670) und Zeugnis, Zeugenaussage, kundtschafftssaag (1663). Man stellte (1751) oder legte (1580) Kundschaft, indem man die und die zur Kuudschafft g’namset (1668) , g’nambset (1661) hat. Solche Kundschafft wurde in schwierigen 604 Fällen mit ernst ersucht (1646, ausgefragt); man hat, wenn jemand von ersten heitter lougnete, heittere und gnugsame kundtschafft verhörtt (1591), damit man wo möglich möge erzeigen (1594), beschynlich machen (1663), schynbar machen (1670), erschynen lassen (1670), kundschafftsweiß (1658) oder kundschafftlich erweisen (1759), auf welcher Seite das Recht sei.

Solche Vorsicht war und ist um so mehr am Platze, da es ja immer anscheinet (1749) oder wirklich so ist, daß die Zeugen, statt die Wahrheit niemanden ( niemmerem) z’lieb u nd niemmerem z’läid zu zügen (1671), des Bevorzugten Parthey halten (1670) und ihm ein rucken stellen (1670), alß (1641, also, daher) ihn zu endtschlagen (1671) suchen. Auch der Schmaus kann seine Rolle spielen, wenn beim zur Kuntschafft (1669) vermahne n («der red sölt ir mir indenk sin!») 36 und fürstellen von Wyn, Brot vnd Käs (1679) der Spender von zwo mas (1670) den sparsamern Gegner übertrumpft. So kann es kommen, daß 1704 ein halsstarriger Lästerer sich erbot, drey khundtschafften mit Neün anderen khundtschafften zu fältschen (als falsch hinzustellen) und abzusetzen. 37 Faltsche (1671) und fauli (1646, fụụli) kundschafft bestrafte allerdings das Chorgericht mit Nichtzulassung des Purgationseides (1754), das Oberchorgericht mit vier Tagen Gefangenschaft und der Verurteilung, d’Chösten an ’ne n sälber z’haa n (1747).

Zu diesem moralischen kommt das psychische und das juridische Unvermögen der Zeugenschaft. Selbst wo die Lüt vff den gassen an ort vnd enden (1585) vil heigen darvon gredt (1671) und dem Verlaut nach (1724) viel zu sagen wäre, kann dieser Vorsichtige, Kopfscheue, Weltfremde oder Beschränkte nützit zügen (1647), nichts ausreden (1765); es sigi iren nit in wüssen (1586); er habe nichts davon g’hören reden, seye ihm neüws (1669); sy wüsse es nit eigentlich; es möge wol sin (1585, es chönn ja̦ so sịị n). Dem gänzlich Erfahrungslosen isch es nie darzue choo̥ n, über das Verhandelte sich ein Urteil zu bilden. Der Gedächtnis­schwache endlich wüßte sich nicht zu versinnen (1666, si ch dra n z’bsinne n), sich zu errinnern (1753); es isch ĭhm us dem Chopf ụụsḁ. — Endlich sind nur unverlümbdete (1579, unbescholtene), nicht an Eeren geschultene (1583), nicht überwiesene (1755) Personen thugenlich (1637, tauglich), Kundtschafft zu reden. Verwandte werden als Zeugen recusiert (1670). — So sind es schließlich nur wenige, die von einer Sachlage Wüßenschaft tragen (1658) und erklären: Ich wil glatt vßher reden ( ’s grad ụụsḁ seege n), was ich han ghört, Gott geb wie es gangi (1586; göb wí n es gang)! Wenige auch sind des 605 nicht frivol abgehetzten Zeugeneides fähig, wenn die Gegenpartei der einfachen Aussage sich nicht will ersettigen (1704).

So wurde verhandelt biß austrags Handes (1757), biß vstrag handels (1669). Ụụstraags Handẹls, u̦f letz̆t, wurde das U̦u̦rtel (die Urthel, 1649) gefällt und damit der Gegenstand beseitigt (1836, uf d’Sịte n ’bra̦a̦cht), an ein ohrt gebracht (1667), über Ort. Es wurde geschlossen und erkennt (1746), man achte (1606, halte dafür), die und die seien am lätzeren (1646) oder am unrechten erfunden (1788).

Den Schuldigen wurde ihr Vergehen sträflich (mit Worten strafend) vorgehalten (1759), und sie wurden zur fromkeit und beßerung vermahnt (1666). Einer soll syn mul beßer im Zaum halten (1668) und sich fürohin vngerympter reden gegen synen fürgesetzten müßigen (1655) oder mussig gan (1586). Einer soll anderer Unziemlichkeiten mit ston und gon müssigen (1585), ihrer abston (1601), sich ihrer verhüten (1669), sie un͜derweege n la̦a̦ n (vnderwegen laßen, 1720), so daß sie vermitten bleiben (1652). Zankende sollen sich gegeneinander nachbürlich (1667), nachpurlich vnd fryndlich (1587), duldig (1589) und frein eynstellen (1750), einanderen besser meinen (1667 u. ö.) und eins dem andern in synen gebrächlichkeiten verschonen (1669). Kinder sollen den Eltern folgen (1670) und gehorsamme erzeigen (1646). Alle sollen sich vor den lümbden 38 so wohl alß vor der That hüten.

Weniger Schuldige, welche sich der Besserung Erbotten (1596) und ihr Vergehen verlobten, d. h. gelopten, si welli’s nümme̥ hr mache n, und versprachen, jrem verheyßen gestracks (1641, sogleich) stadt zu thun (1641) wurde Gnad bewissen (1604). Sie wurden pardonniert (1749), dimittiert (1749), liberiert (1752), ohne Strafe weggelassen (1756), erlasen, heimg’laßen (1746), abgewiesen (1668) und ledig Heimbgeschickt (1654), nachdem man sie um besseres (1720) oder zu besserem Betragen angemahnt (1759), ja hochlich vermandt (1595).

Schuldigern mußte man doch ihr ungeziemmendes Verhalten vormahlen (1720) und verwißen ( NM.), und ihnen deßwegen die nötige ernstliche Vorstellung tun (1771). Sie empfingen eine scharpfe ( scharffi) Vermahnung (1784), wurden erstmals oder aber zum anderen (1591) Mal ernstig gewarntt (1585). Sie wurden exhortiert (1752), remonstriert (1752) und empfingen eine gute demonstrantz (1671). Sie wurden comminiert und scharpf, stark censuriert (1749); sie wurden mit Gebung (1867) einer Censur, einer scharpfen (1649), starken (1667), ja einer 606 guten boumbstarken (1666), einer gantz boumstarken Censur (1667) abgestrafft (1666). 39

Es folgte die Commination (1751), Bescheltung und Bedröwung (1646), Betröüwung (1646), das Betrohen (1756): Tuest du drum, wohl und guet, wo aber nit (1646), so sol das die letzti warnig sin. Den n ein gleichliches (1699, d’s glịịchlig) ist nun offt geschechen (1590)! Wer diese Warnung übersicht (1586), so daß es mehr zur Klag kumpt (1590), ist schwärerer straff zu erwartten (1595). Die Strafe wird multipliciert (1670); der Täter wird toppel (1587), also nach der rüche ( Rụ̈ụ̈chi) gestraft (1594). Freilich sogar hier mit der Frage: Wie lang (tuet e̥s ’s) ächt? 40

Damit Gescholtene und Verleumdete verzüchen (1590, verzeihen) und beide Teile des einanderen nüt mher denkhen (1691), auch In das könfftige deß g’schwygen (1667), mußten die Schuldigen unter Handgebung (1668) gegen jene sich erkennen (1747), ihnen ihrer Ehren gnug thun (1646), reveration thun (1758), außgegoßene Nachtheillige wort wider zu sich nehmen and in sich schlucken (1707, 1755). 41 Sie mußten sie entschlagen (1747), ihnen Wandel (1586), Reparation und Entschlachnissen (1659) thun; 42 dann wurden wort und werk in bester Form vfgehebt (1667) und sollten ein vsgemachte und wol vertragne sach syn (1668).

Unfleißige Kirchenbesucher mußten zu gelindester Strafe sich im Pfarrhaus entschuldigen (1748). Flucher hatten vff gebogenen kneüwen Gott und ein gnädige obrigkeit vmb gnad und verzychung zu bäten (1662) und zu depräcieren (1666). Viele Flüche und ehrenrührige Reden gegen Vorgesetzte sehen wir bestraft mit dem Herdfall (1629), Herdfahl (1668), Herdtfahl (1646) und dem Erdkuß (1585), Herdkus (1576). Der Verurteilte mußte vff die Erden valen (1581), den Fußfall tun (1647) und die Erden, den Härd (1578), Herd (1576) Heert küssen (ihm es Mü̦ndschi gee n), wohl auch da nider knüwen ( chnäüle n), Ein krütz (1581: cröüz) in Herd machen, dz küssen, vnd Gott vm verzüchen Betten (1581). Noch um 1801 mußte ein Inser, der seinen Vater geprügelt, den Herdfall in der Weise tun, daß er während des Gottesdienstes neben dem Taufstein kniete. 43 1749 mußte eine Ehebrecherin zwanzig Tage Gefangenschaft aushalten und hernach offentliche abbitt vor der gantzen geärgerten Gemeynd leisten.

Neben solchen Abbitten hatten die Verurteilten und vmb tue Cösten verfelten (1704) regelmäßig Bußen zu erleggen (1650), gutzumachen und 607 zu bezahlen (1705), herauszugeben (1668), vßzurichten (1589), vßzuwysen (1590), gelegentlich (z. B. 1664) auch zu verbürgen. Wo nicht Einfahlt (1649) oder der Mangel an Mittlen zum erlaßen oder nachlaßen (1662) der Geltstraf (1651) oder des Geltschuß (1747) nötigte, mußten die mit ihrem erlag abgestrafften (1666) die Beträge vollkommen (1668) und gsatzmeßig abschaffen (1670), d. h. vmb sie mit dem Chorgericht abschaffen (1662).

Statt «Buße» treffen wir in den Chorgerichts­manualien nicht selten das Wort Ursatz, Vrsatz. Zankenden, Schwörenden, ein ergerliches läbwäsen Führenden wird ein Vrsatz auferlegt (1652, 1667), oder der schon verhängte erhöht (1775). Im fernern wird 1754 zwei Weibern, die im Hausstreit aneinanderen gewachsen waren (1648), zum ursatz gesetzt, daß dasjenige von ihnen, welches wieder als Zänkerin vor mues, statt 10 Schilling 2 Pfund zu erlegen hat. Ein ähnlicher uhrsatz wird 1753 und 1755 verhängt. 1652 und 1753 haben zwei Zänkerinnen den Vrsatz oder uhrsatz, den Mann ihnen hat auferlegt, gebrochen. Sie müssen 1753 denselben mit 15 Batzen bezahlen. Neben dem wird ihnen ein nüwer uhrsatz von drei Kronen auferlegt. 44

Wie vielgestaltig aber war, namentlich vor der Newen bußen Ordnung von 1721, dies Bußenwesen und -unwesen! Zunächst bezog der Chorwäibel, der auch als Kassier waltete und Rechnung gäben mußte (1650, Rächnig gee n), den Gebotlohn (1702, für z’biete n, ein- und vorzuladen), sowie seit 1750 für jede Einkerkerung vom Verurteilten 10 Schilling. Dann kam das Kundtschafftsgelt (1669, Zụ̈ụ̈ge ngält). Die Chorrichter rechneten ihr sitzgelt (1647 u. ö.) oder ihre tagcosten (1664), tagcösten (1662) an. Zu gewissen Zeiten ward die Büchse geteilt (1767), das Büchsengelt zertheilet (1755), wobei seit 1637 zu Erlach auch der Vogt nicht mehr als seine Portion wie ein anderer 45 bekam. Der ist überhaupt nid z’chu̦u̦rz choo̥ n! Wie mancher wurde von ihm und bloß zu seinen Handen vmb ein Schlachtbuß (1670) oder Schlagbuß (1668, für drị n z’schla̦a̦ n) oder um eine Scheltbuß (1667, wegen seiner scheltworten, 1669) verfel lt (1667)! Waren aber Landvogt und Landschreiber, die als Kostenmacher z. B. 1670 eine unsaubere Bagatelle durch drei Chorgerichte hindurch schleppten, bei diesen anwesend, so rechneten sie neben ihren tagcösten (1671) den Rịtlohn an. Auch für die Schreiben an das Oberchorgericht mußte ein Vernügen geschafft werden (1671). Aber mehr: Neben der Forderung, mit dem Vogt abzuschaffen, 608 konnte es noch heißen: dem Corgricht ein Morgenbrot (1648, S. 419) abschaffen, das morgenbrott bezallen (1593), oder wie 1585 bei einem bereits zu 5 Pfund Buße und dreimal 24 Stunden Gefangenschaft Verurteilten: das Chorgericht entschädigen für das Gastmahl des hergerufenen Vogts und den Schreiberlohn. Es war also eine Ermäßigung, wenn es ebenfalls 1585 hieß: NN. soll mit dem Corgricht machen vmb Ihr Arbeyt der halb deyl des Morgenbrots.

Zu all diesen Empfängern von früher von so rarem Geld konnte z. B. 1647 die Kirche kommen: da mußte einer für Lästerworte zu ihren Händen 10 Pfund zahlen. Von diesem Höchstbetrag, der 1661 für den brutalen Überfall einer nööhige n (der Geburt nahen) Frau in deren Bett gefordert wurde, stieg die Buße über die Mittelstufe einer Dublone (1655) abwärts bis zum Minimum von 5 Schilling. Dieses ward aber mit der Gedanken­losigkeit, die das Bußensystem bis zur Stunde charakterisiert, nebst 24stündiger Gefangenschaft und der Forderung, innert e̥-mene n Moonḁt di zeeche n Gebot z’chönne n, einer Frau auferlegt, die im Wolfmonat (Dezember) 1577 sich zu Murten hat wellen ertrenken. Aufs leichtfertigste aber wurde am 8. Februar 1646 einer, der syn Frau, so ein säugend Kind ghan, vßgejagt, dz sy die ganze nacht vßert dem Huß gebliben, mit einer Ermahnung und 10 Schilling Buße entlassen.

Dagegen wurde 1668 eine Tochter, welche für ihre kranke Mutter und Schwester vier Trauben entwendet hatte, drei Stunden in das Tschuliloch (s. «Twann») erkennt (1654) und gelegt oder Inngesetzt (1646): in Tschulis Loch oder -loch (1663), in deß Tschulis loch (1662), in Tschuliß loch (1658, 1666, 1668), in Tschulins Loch (1655) oder -loch (1668, 1669), in Schuliß Loch (1655), Schuliß loch (1657), in das Schulins loch (1668), in das Tschudiloch (1748) oder kurzweg ins Loch (1649), also i n d’Cheefi, in die Keffi (1576, 1581, 1587), in die gefäncknus (1584), die Gfengnuß (1696), die gfangenschaft. By solcher tröüwte das Chorgericht (1649) überaus häufig. Erwahrte sich die Drohung, so hatte der Chorwäibel auch hier seines Amtes zu walten. Daß das nicht immer kauscher war, bewies 1710 ein Einzukerkernder, der gegen den Weibel mit einem Beil zuckte ( ’zü̦ckt het). Was es aber mit dem vßstahn (1646) solcher Strafe auf sich hatte, erfuhren recht viele alte Inser, wenn es ihnen nicht wie 1754 einem in Erlach gelang, sich loos zu würcken. Der Vorteil solchen Entwischens war um so einleuchtender, da (z. B. am 2. November 1655) ein halber Tag in Tschulins Loch gegen 2 tag in der Schloß­gefangen­schaft auf der Wage stand (die beiden z’seeme n g’wöoglet häi n). Man würdigte 609 daher doppelt die Wohltat des Erlasses gegenüber einer, die wegen hochen alters und Übelmögenheit der wolverdienten Gfangenschaft überhebt, dafür aber mit einer boumbstarken censur ( S. 606) und erlag dreier pfundt abgestrafft wurde (1667); gegenüber einer, wo mit dem Chin͜d ’gangen isch (1696) und einer an den Haushalt Gebundenen (1650). Ein Treitener, der 1646 den Pfarrer mit der Taufzeit für ein Kind genarrt hatte mit fürwenden, dz es gar übel vf, durfte zwei Stunden Gefangenschaft loskaufen mit dem Süberen ( putze n) der Kefi, wyl die gar vnsuber ( u nsụ̆fer) sige. Andere endlich wollten lieber bueße n weder i n d’Cheefi. Schon wenn vier Pfun͜d gege n zwoo̥ Stund (1747) auf der Wahl standen; wie dann erst bei den Gleichungen 1 Pfund gegen 2 Stunden (1746, 1771), gegen 4 (1746), gegen 12 (1754), gegen 24 (1747) Stunden!

Nur einer nimmt 1748 lieber für 3 Stund das «Tschulisloch» an, statt 2 Pfund zu zahlen; und an einem Armen wird 1662 ohni wịters ein stund Gefangenschaft vollstreckt, also d’Armuet g’stra̦a̦ft.

Am nechsten ( nööchste n) Chorgerichtstag sollte 1670 einer in Tschulis loch, der unverschambter wyß sich darvon gemacht ( si ch drụs g’macht) und dem vsspruch nit erwartet ( g’waartet) hatte; biß vff den Abendt des 18. Februar 1646, und zwar gegen Urfehde, der Sigrist wegen Skandals; etlich (1666) oder ein bar (1663, es par) stund ein Flucher: auf unbestimmte Zeit 1842 ein zankendes Ehepaar. Für harte Worte aber enthielt ( NM. für erhielt, het überchoo̥ n) 1748 einer eine Stunde; wegen Schwörens einer 1657 an͜derthalb Stun͜d; zwei Stunden 1669 eine, die den pfarramtlichen Besuch ihres kranken Sohnes abgelehnt: sy mangle derglychen Trösteren nit.

 
1  Leider sind sie nicht lückenlos erhalten.   2  Vgl. Zeitschr. d. schweiz. Gemeinnütz. Gesellschaft 1857, S. 116 f.   3   Lign. 39.   4   EB. A 38.   5  Vgl. die Wortgeschichte von «Messe».   6   EB. A 373.   7   EB. A 489; RM. 11. Apr.   8  Vgl. Gw. 627.   9  Vgl. schwz. Id. 2, 304 f., 1288 f.   10  Über einen Chorweibel desselben, Hans Jakob Dünz, s. J. G. Schaffroth im Taschb. 1899, 67-92.   11   Probst III.   12   EB. A 33 (1637).   13  Der Sühnebrief oder «das» abgenötigte Versprechen, daß nach Abfluß der Verbannungs­zeit die Feindschaft (die Fehde, vêhede, vêhe, vêch) zu Ende (aus, ûz, ur-) sein solle. Vgl. die urvèhe ( mhd. WB. 3, 286) = Urfehde ( Kluge 471).   14  Die Grundform von «und» (idg. ǝnthá) konnte, wie z. B. engl. and holl. en, ahd. inti beweist, verschiedene Vokale oder auch gar keinen (vgl. noo ’t noo) aufzeigen.   15   EB. A 596.   16  Vgl. einen eines Vergehens «zeihen»; hiervon abstehen heißt «verzeihen», vgl. auch «verzichten». ( Kluge 476. 504.)   17  Dagegen bleibt 1661 der Diebstahl des Taufkessi ungesühnt. Wo bleibt die Zensur? fragt ein späterer Protokollführer.   18  Interessanter Genitiv, analog « desse n», vgl. eiße n ( one’s) Dativ: öppisem u. dgl.   19  Bemerke die Prägnanz dieser Bildung aus kannjan (wissen machen, cf. Kluge 28): anerkennen, zu einer Person oder Sache, Tatsache «stehen»; vgl. gestehen und Geständnis.   20  Nach Niklaus Manuel (in dieser Umgebung als NM. zitiert). Ahd. der anado, anto ist widerfahrne Kränkung, darüber verbittertes Gefühl, Zorn ( Kluge 9); dazu verhält sich «and» wie grimm zu Grimm, wie leid zu Leid, zorn zu Zorn u. dgl. Das Verb ahnden (strafen) bedeutet also: Leid antun.   21  Also sächlich wie Gw.   22   NM. am Schluß von Ecks und Fabers Badenfahrt. Der Name des durch Rolands Niederlage und Tod bekannten Tales Ronceval in den Pyrenäen wurde auch auf dieses Gebirge übergetragen. Vgl. schwz. Id. 6, 1167.   23   NM. Ablaßkr. Vs. 247.   24  HRM. = Hans Rudolf Manuel, vgl. S. 598.   25  Maler König 1821.   26  Ebd.   27  Unsprachlich für: Lärm eines Schalks.   28  «Die Sitte» ist ursprünglich Mehrzahl von ahd. der situ, mhd. der site, verwandt mit gr. ethos (vgl. ethisch).   29  Zur Wortgeschichte von «zufrieden»   30  Font. 8, 465, vgl. Gw. «wan».   31  Hans Jakob Dünz.   32  Noch erhalten im isolierten Partizip «verwegen» und «verwogen».   33  Das anomale Verbum ich (gi)tar: Braune, ahd. Gr. S. 262; Graff 4, 443; mhd. WB. 3. 15 f.   34  Vgl. Gb. 165.   35  Gebildet wie «Biedermänner». Vgl. Kluge 52.   36  HRM. Weinspiel 657.   37   EB. A 618.   38  Altes liumunt (Ruf, Gerücht) einseitig in malam partem gedeutet wie «Tat» auch; vgl. «der Täter».   39  Pfarrer Hagelstein.   40   Naturam expellas furca, tamen usque recurret, zitiert das Chorg. 1646.   41   EB. A 622.   42   EB. A 557 f.   43   Kal. Ank.   44  Nach mhd. WB. 2, 2. 344 bedeutet ursaz: «was als Unterpfand, Hypothek oder als Konventional­strafe gesetzt wird». Vgl. dazu schwz. Id. 7, 1544-1548. Ursatz verhält sich zu ersetzen, wie Urteil zu [Recht] erteilen, wie Urlaub zu erlauben usw.   45   EB. A 26.  
 

Schlag- und Streiflichter.

In altsprachlicher Mosaik zeichnen wir, wie bisher die Art, so nun auch die Anlässe der Chor­gerichts­verhandlungen. Das damit entfaltete Register von Polizei­widrigkeiten zeigt trotz der kleinen Auswahl ein zutreffenderes Sittenbild der «guten alten Zeit», als die bloß in Extremen sich bewegenden moral­pathologischen Fälle großer Vergehen und Verbrechen.

Empfindlich wurden begreiflicherweise Amtsehr­verletzungen geahndet, wie Weibel, heimliche Chorrichter und Pfarrer sie zu erfahren bekamen. Gestrafte riefen vermeinten oder wirklichen Angebern und Angeberinnen zu, si tragen dem predikanten vil merli, d. h. Lu̦u̦gine n für (1589), 610 oder sie tragen dem Pfaff alles zeoren, damit er Corgericht könde halten (1586), oder aber (wieder) uber Luginen predigen (1646). Sticheleien wie: es sei schon mancher Schelm im Chorgericht gesessen (1837); Hohnrufe wie: du cha nnst mer chrụ̈tzwịịs bla̦a̦se n! (1749); sogar Tätlichkeiten gegen einen Chorrichter (1784) illustrieren genugsam die Selbstbescheidung, mi mües der Ee̥hr ó ch öppis räch ne n. Mit Rachsucht und Zorn aber vereinigten sich Bosheit und Aberglaube in der Zulage, der Pfarrer habe Hagel gemacht und müße verbrennt werden (1647).

Auf gleiche Linie mit solchen damals verhängnisvollen Äußerungen stellte aber das Chorgericht mittelst starker Bußen «Klügelreden», wie diese, der Allwissende kenne doch eins nicht, nämlich sịnes glịịche n. Der Arme, der (1670) diesen landläufigen Witz «verbrochen», mußte ihn mit Herdfahl ( S. 606), drü pfund Buße und den Tagcösten für Landvogt und Landschreiber bezahlen! Die trostlos hölzerne Behandlung der Wunder führte um 1800 einen Inser zu der Rede: Lieber a n nụ̈ụ̈t glaube n, weder a n vill dumms, einen Brütteler aber zu der Behauptung, die Bibel sei ein Lugibuech. Der vor den Oberamtmann und durch diesen an das Sittengericht Ins gewiesene Brütteler mußte in der Kirche vor dem Landvogt und der ganzen Gemeinde abbitten. 1 Absolutes Unverständnis der Qualen einer Fallsüchtigen, welche in der Verzweiflung geäußert, der Thüffel wol Iren nüt vnd Got nüt, und Got syg wol ein fulen Man, das er sy nit nämme, rief dem entrüsteten Vermerk in Kanzleischrift: Sols Minen Gnedigen (Herren in Bern) zugeschriben werden. (1586.) 2

Zwischen solcher Verzweiflung und jener Spottlust, die auch den Zuhörer lächeret (lachen macht), gibt es eine Reihe von Gemüts­bewegungen, die im Schwören Auslösung suchen. Und zwar äinisch oder an͜derisch in einem absönderlichen Fall (1667) sogar bei einem, der sonst mit Ja̦ und Nääi n, eexakt und ämmel (1670 «einmal» iSv. quidem) als Versicherungen sich begnügt, schon um der Ohren­zeugenschaft sinere Kinder (1652) willen. Andere freilich schwören bloß im Tag mängs malen (1589), zum offtermalen (1661), vnzahlbarlich (1670) mit der Entschuldigung: Mi isch si ch dra n g’wennt. Es schlụ̈fft grad fü̦rḁ wi n e n Dräck.

Es bedarf hierzu der geringfügigsten Anlässe. Einer hat den andern, dem er vnkommlich (1612, u nchummlig) begegnet (1668: bekommen, e̥bchoo̥ n) ist, im Scherz: im Schimpf (1651), in schimpfs wyß (1579), schimpflich (1701), mit schimpflichen Worten (1707), die aber allerdings 611 schon als Schimpf im heutigen Sinn aufgefaßt wurden, 3 g’fäxiert (1671: gefexiert, vexé) ihn an seinen Ehren gemeint (1701). 4 Er hat ihn ohne absehen (1747, unabsichtlich) geschelckt (1592, als «Schalksknecht» behandelt), ihm mit ehrrührigen Worten (1667) ehrverletzlich und schmächlich (1593) zugeredt (1667), ihn ohne anlaß angestochen (1671) und behähligt (1724), ist ihm mit vngebühren (1671) überlegen gewesen (1701); er hat ihn aa ng’surret, aa ng’ränzt (1586) oder aa ng’ranzet, mit ihm wüest g’macht (1750). Denn der so Angeredete ist ni̦i̦rpig und cheerig veranlagt; er ni̦i̦rbet und cheeret gern; er eeket (zänkelt) und zi̦gglet ( S. 468) und läßt bei jeder Gelegenheit seinem Chịịb (1667: Kyb, d. h. dem versäuerten Gemüt), freien Lauf. Ein anderer fa̦a̦t Unglegenheit (1636) aa n mit gedankenlosem laafere n und braatsche n und bewirkt synes Klepfens wegen (1654), daß sonst ganz verträglich Zusammen­lebende unlieplich (1596), vnfrüntlich (1593), vnlidig (1591), ruch (1592, rụụch), in häßlichem (gehässigem) vnwillen (1646) ein häßlich vnwäsen (1650) anfangen, mit einander worten (1670), ja vff das bösiste (1666) zusammen leben, mit einander schantlich machen (1586). Eine verklagt, wylen sy ein böses maul hat (1669), ihren Mann vmm vill böß articklen (1593) und ist allzyt an ihme mit Schwächworten und bößen Scheltworten (1667), darüber er auch entrüstet werde und widerthöni (1667). Wie guet, wenn sie für immer verreiste! (1720.)

Dazu kommen vnderschidliche (1701, verschiedene, vgl. différents, several) Anlässe realer Art. Einer redet den andern an wegen reüwigen Handels (1753, vgl. e n g’rouwni Sach). Eine schilt die andere, wegen’ [wil] syä vor ira gebachen und das Ofenhus beschloßen (1667, d’s Oofe nhụụs b’schlosse n, vgl. S. 440). Eine Stein­brechers­frau (vgl. S. 44) hat ihrem Mann Söllen helffen ein stein vffhan, da hat sy dz so vnwyßlich angryffen (1586). Eine hinwieder hat die Zungen gegen einen vngleckt anglellet (1586). Einer hat den neuen Hut, den sein vor höherer Instanz siegreicher Prozeßgegner ihm zeigte, einen Appelladenhut (1668) oder Appellatzhut (1670) geheißen. Eine Frau ist einem hart und höchstens (höchst) unanständig begegnet (1747). Das bedurt ( dụụret) ihn (1643), und seine Ärgernuß (1746) ist groß. Er gerät in Zornigkeit (1641), ja in wütenden Zorn (1765). Es ertäubt ihn; er wird tạub, 612 böös, höhn. 5 In einer Höhni, höne (1669), Höni (1667), in einem zornigem schalckhaftigem mutt (1584) läßt er ein alsbald bereutes Wort lauffen (1746). Ja, bim win kann er towben, wütten, fluchen, schweren und vngeschickt mit anderen sin (1588). Es werden u nfleetigi, unfletige (1588), ungerymte (1647), wüesti, vnerbare wort vßgoßen, die schier nit zemelden sind. Es werden maleficische sachen gredt (1584), einem schelt- vnd schmechwort zugeredt (1669), alle füle zugeschrouwen (1664), 6 als Ketzer, Schelm und Dieb (1668), Binggis (1667), Galgenvogel und Lecker (1670), Brätißli (1671), Hălu̦ngg (nicht einklagbar 7 ), Hungerlyder (1671), Vergebenfresser (1671), volls Lümpli, Mörli und Lekerli (1671, Schelte auf Männer), Burrenryter (1670, dies mit « rev.»), Huntzfott (1671), Kuhmaul (1671), Mannsverderberin (1766), Triefoug und Blinzoug (1589), Affolteren-Nasen (1651), ful alts Thierr (1667), Pestilentzkrämer 8 (1670). Der Mann gehöre an es an͜ders Ort (1645), gleich seiner hingerichteten Schwester (1666). So wird g’schulte n (1651) und dem Angefahrenen alli liebi Eerde n Gotts Schan͜d g’säit. Es fliegen Wünsche, daß einer an Hend und Fuß erlame, und das s im das best Roß, Ku und anderes abgange (1590); daß der genossene Ziger Gift in ihm wurde (1667). Eine wolle ihren Mann dahin bringen, daß er muß g’henkt werden (1596), und einer will den andern am Galgen sechen hangen (1670). Man möchte wohl ein mord 9 uff ihn sagen (1590), d. h. wünschen, daß er gechligen (1667) oder gächlich (1596) sterbe. Sich selbst aber wündtscht (1639) ein Bibelfester im Zorne an, das er ein mülistein am Hals hette vnd inß Wasser versteckt werde (1586).

Zu solch jähem Ende kann das Gewitter führen, oder es kann doch Leib und Gut zu Schaden bringen. Daher fromme Wünsche wie diese: Du Tonner­schießiger Schelm (1670), das dich der Tonder schies! (1584.) Dich sölle der Thonner und das Wetter erschießen! (1669.) Der heiter Donner (1669) soll in NNs Huß schießen und es zu eschen verbrennen (1588). Der Donner sölle ihme beide augen vß schießen! wen n er NNs Schaf habe sehen vß synem Stall gahn (1646). Ein vom Referenten eingeklammertes «Gott behüte uns» zeigt den ehemaligen Ernst dieses Fluchens bym Donner (1662), das denn auch mit Härdfahl und starker Buße bestraft wurde. Gleich stand es mit Ausrufen wie r Plitzg! Du Haagel!

613 Im Gegensatze zur schreckhaften Katastrophe des Gewitters zerstört unheimlich still und langsam ein krebsartiges Geschwür zumal das Gesicht. Es ist die Fräßle n oder die eßlen, 10 die der Zornige dem Gegner anwünschte: daß dich die Fräßlen fraß! (1666 und ö.) Daß dich die eßlen fressi! (1587.) Sogar über tote Gegenstände wie den Pflug (1669) konnte solcher Wunsch ergehen; wie denn nicht über ein unruhiges Roß! Dem sollen die Fräßlen die Augen vsfressen! (1668.)

Dieses Krebsgeschwür galt wie andere Übel als Sendung des Bööse n, des malo, des Tụ̈ụ̈fel oder vielmehr der Legion von Teufeln. Es söllind so vil Tüfel in sya fahren, als sy Haar vff Ihrem Haupt trage, lautet ein Wunsch von 1669. Einen solle der Tüfel über Stuben und Stock führen (1667); und einem Knaben, der beim Chorn putze n ein wenig strouw in das Chornbü̦tteli fallen ließ, wünschte sein eigener Vater den Tüfel in die Händ.

Teuselskinder aber sind die Hexer und Häxe n: die vnhulde, die zeuerbrönen ( z’verbrönne n) gehören (1593), und die vnhuldinnen (1596 und sehr oft). Als Hexe (1665: heck) 11 gescholten zu werden, galt wegen der traurig bekannten Hexenprozesse als besonders schweres Unrecht. So z. B. wenn die Gescholtene als Kindsverderberin (1746) gelten mußte, oder wie 1670, wo eine Inserin einem Müntschemierer ein Rindschi verhäxet haben sollte. Sie habe dem Thier i n der Rüebe n ( S. 207) vergee n. Darum begere er dz sy visitiert werde. Sy hat sich anerboten, man solle sy besichtigen, damit der Handel an ein ohrt gebracht werde, doch mit protestation deß kostens.

Die Schwüre bym Crütz (1671), bei Gotts Krütz (1581) und bym 1000 Sacrament (1669), vgl. palesan (par 1e sang de Jésus), 12 erinnern genugsam an unsere mißbrauchung (1755) des Wortes Sackermänt, sowie an das üppikliche Gebrauchen des Namen Gottes (1669) aus einer Ringen Ursach (1652) schon bei fünfjährigen Kindern. Da werden gemeine und vo n dene n höhere n Flüech vsglaßen: zimliche (1661, d. i. ziemlich schwere), üble (1667), schandtliche (1589), schröckenliche (1671), scheürliche (1655) und grewliche (1660), daß ein schryber dz nit alls erschriben möchti (1588), ja, daß sich der Himmel möchte biegen. 13

Der auch in diesem Fache keineswegs als Stümper dastehende Eißer übt wenigstens in humoristischer Form eine nicht unwirksame 614 Selbstkritik, wenn er erzählt: Ein Inser sei von einem Kuhhandel in Murten mißtrauisch abgestanden: der ihm das Tier Anpreisende häig ĭhm z’weeni g g’fluechet; es sei also da etwas zu verheimlichen gewesen. Ein Fuhrmann an Bergeshang wünschte den Pfarrer, dessen Nähe ihn g’schiniert het, außer Hörweite: Herr Pfar rer, ganget e n chläi dänn, es gäit de nn besser! Einen Postelion redete sein Pfarrer an: Jää, Maa n, wenn dier ḁ lsó fluechit, chömet de̥r nid i’ n Himmel. Antwort: U nd wen n i ch nid flueche n, so chöme n me̥r üser Läbstig nid uf F.! Ein Anderer meinte: Wen n i ch nu̦mmḁ n so rächt döörft flueche n! Jää, glaubit de̥r, es gang de nn besser? erwiderte der Pfarrer. Wir vermuten, ein unterdrückter «Innetsi chfluech» 14 habe als Sicherheitsventil ’s ó ch ta̦a̦ n.

Wo aber ihrer Zwei des uneinen (1663, 1669) und vnder einander strytig werden (1670), in Mißhäl (1383), in gspan und mißverstendtnuß (1640), in einen Zankhandel (1668), in Dispudáz und Wortgefecht kommen (1701), also in eine Balgeten (1668), ein balgen (1651) bloß noch im abgeschwächten Sinn, da ist der Weg zum Sichbalgen im Ursinn nicht weit. Es braucht nur, daß der Ursächer der Streits (1770) oder die längst in ein böses Geschrey (1751) gekommene Vrsecherin (1655) oder anfängerin (1667), welche die anlässige Ursache gegeben, nun auch anschlage (1670, aa nfang schla̦a̦ n). Dann ist der Friede verübt (1653, d. h. verwirkt), und es beginnen die vnzüchten (1604), es beginnt das vnzüchtig (zuchtlose) wäsen (1577) der Schleglerei (1648). Gelingt es dem mit Tätlichkeiten Bedrohten nicht, den Angriff zu erweren (1671), den Angreifer abzuschaffen (1650, sich vom Leibe zu halten) und nötigenfalls vs dem hus ze laden (1589, also «aus»- statt einzuladen), so werden die beiden vom worten ( z’seeme n worte n) an einanderen grahten (1668), daß sie einander vngütlich tractieren (1646). Kaum hat der, der an den andern will (1667), zum zugryffen (1670), mit vngebürlichen gepärden (1667) gegen ihn würckliche Handt auffgehoben (1707) oder die Hende vferhept (1586, d’Han͜d ụụfg’haa n), und ihn angefallen (1661), so hört man einen klapf ( Chlapf) ins Angesicht (einen Mụụltätsch, une tappa, un tapin). Das klatscht ( daas chlöpft), wie wenn ein Kind gebrätschet (1668 ’brätschet) wird, daß es Schnatten gibt eines Fingers groß (1587, e̥’s Fingers läng). Das Auge ist blauw ( blaau) geschlagen (1662). Und ein Schrei ertönt (die g’chläpfti Person het e n Brüel ụụsg’la̦a̦ n), als hätte man einem Bub die Ohren geträyt (1666, d’s Ohre n ’trääit). Ja, der Schlagende brucht gwalt mit dem Gegner (1589) vnd macht ihn herdt 615 fellig (1666): werchet ihn zu Boden (1657). Er sticht mit Füßen zu ihm (1658) und schlägt vff ihn (1580), daß er blüetet (1667); er schlägt ihn blutruns (1669), blutrunz (1771). So auch eine Wütende: Wenn man iren wert ( ihrḁ wehrt), so schlachst sy noch mehr, anderen zleid. (1589.) Zwei Erboste wellind ein anderen zer hacken (1587). Einem Rasenden muß man den tolchen (Dolch) 15 nehmen (1586).

Schädigung an Existenz und Gut heißt 1724 die letze. Als gelindeste Art solcher «Verletzung» erscheinen: das Treiben der Schafe nach dem Läßet ( Leset) in die räben (1657); den Lütten ( de n Lụ̈̆t) durch den Haber hin und wider straffen machen (1576) und ihnen d’zün zerbrechen (1590, d’Zụ̈ụ̈n verheie n). Müller lieferten zu wenig Mehl ab (1652). Einer hat einem zvil abgehöuschen (1590, z’vi̦ll g’höüsche n). An die Brụnst bättlen (1657) war eine der zahllosen B’schịssereie n. Am Lastwagen d’Roß verschüchen (1656, verschụ̈ụ̈che n) war eine andere Art des Übergangs zum Diebstahl, zu dessen ersatzung (1667) manch ein Schelm und Dieb (1668) und mehr als eine Diebe (1653, Diebin) verurteilt wurde. Da kamen vor: das entrücken (1669), entzucken (1652), entragen (1662) von allerlei Feldgewächsen auf dem Wege des Nachtfrevels (1694); das abstrauffen ( abstraupfe n, heute: abstru̦pfe n) von Haber und zettlen von Graß daruff (1577). Eine ward 1593 ertappt ( erwütscht), wie sy den lütten die salzuaß ( d’Salzchü̦ü̦bel) rumptte. Eine andere hat 1590 dem Ehemann hinder Rucks (1651, hin͜derru̦cks) vnwüssend (ohne dessen Wissen) Geld genommen und verschläikt. Solches verschleigen ( NM.) oder wegschleichen (1837) wurde zur Beschaffung von Bargeld auch an Lebensmitteln geübt.

Auf eine Linie mit den genannten Vergehen kamen früher Volks­belustigungen wie das Eier­ụụf­leese n (1768), kruglen ( Chru̦gle n) werffen (1671), keigle n (1649, chäigle n) und das kurzwylen mit den Karten (1668, spi̦i̦le n), dies mit Vorliebe im Oofe nhụụs (z. B. 1663). Die Spielkarten ( Chaarte n) 16 mit dem Belli ( à tout), Näll 17 usw. wurden konfisziert, und nach den g’spanen (1649) oder gsellen (1649) einer Spiel­genossen­schaft fahndete man zuweilen in einer ganzen Reihe von Sitzungen. Auch wer denen, die vmb wyn gespylt, die den Gewinn und Verlust kontrollierenden Kreidestriche auf der Tafel ụụfg’macht (vffgemacht) und abg’wüscht hatte (1679), ward mitgebüßt.

Eine eigentümliche Verhandlung wurde am 15. Januar 1666 geführt. Heinrich Wäber von Brüttelen, Hämmerlins Sohn, ward fürghalten, ob er nit am Knechtenmärkt ( Chnächte nmeerid, s. «Twann») 616 oder am Frytag darvor allhier zu Innß im Ra̦a̦thụụs gewesen, gespilt, vnd vff dem Heimwegg, wie man Vernommen, Ihmme ein vngehüren schwarzen wolff [begegnet sei], welcher Ihne habe (wegen groben fluchen und schwerens) 18 nemmen wollen. Ist deßen keineswegs gestendig und sagt, [er] seye am Knechtenmerkt nit zu Inß gewesen, aber am Freytag darvor seye er zur (Frịịta g-) Predig vnd von derselben mit den Kilchenlüthen ( Chilche nlụ̈̆t) nacher Hus gangen; seye Ihmme nichts bös begegnet, habe auch nit gespilt. Zwar (das sig wahr:) vor vngfahr 5 wochen, als er nacher Inß wollen, habe er ein Wolff by der rötschmatten gsechen hinder der reben vffhin 19 louffen, vnd demselben ein Hundt nach, wüsse aber nit eigentlich, ob es ein wolff gewesen seye. Weliches er dem Peter Weibel und Hansen Geißler dem Bader ( S. 58), als weliche Ihmme vff der straß e̥bchoo̥ n (begegnet), angezeigt, und seye er vff amman Wäbers roß, mit synem Knab und Müller heimgefahren, vnd habindt nichts böses Jemalen gespürt 20 oder gesechen.

Doppelt gestraft wurden die genannten Belustigungen, wenn sie auf einen Sonn- oder Sonnentag (1586) und einen Feiertag fielen. Das große Mandat von 1669 untersagte in erneuter Strenge auch das Arbeiten an diesen Tagen, zu welchen noch die allwöchentlichen bettstag (1587), Bäthstag (1588), gebäthstag (1587), Bettag (1585) kamen. Unzählige Mal finden wir Arbeiten schon am Sonntag Zmorgen (1579, am Sunndḁ g äm Moorge n), wie gon wesseren (1585, uf d’Wässermatte n ga̦ n wässere n), die Segesen dängen (1654, d’Seege̥ze n dängele n), Jagd auf Hasen (1588) und Wildschweine (1748, S. 267) usw. bestraft. Am 16. Juli 1587 ist beschickt Lorentz Groß, warum er am Sonntag g’schaffet (gewerckt, und zwar) zimmeret, seine werchlütt aber schicke gon brott höuschen. Der Rathauswirt soll in währendem Gottesdienst kein Fleisch mehr vor die Schall hängen (1746, vor d’Scha̦a̦l hänke n). Der Badwirth darf (1667) weder am Sunndḁ g noch am Samstḁ g z’Nacht (an Sambstagen vff den abend) das Baad wermen. Eine, die am Sonntag das Werch vfghan (das zum roo̥ße n auf der Wiese ausgebreitete Weerch [den Hanf] ụụfg’haa n), milderte die Buße damit, daß sie vor dem Chorgericht hatt können petten (1577, bätte n). Wie den Sabath fyren (1663), sich seiner fyrung befleißen (1669), sollte man besonders vf dem Ostertag, an Ooftere n (1585) jedes Ärgernis meiden.

617 Dies bestand besonders in mangelhafter besuchung der predigen (1663, z’weeni g z’Bredig gaa n). In scharfem vff sehen (1586) ward jene den sümigen (1663) vorgerechnet (1670) und Ausreden, wie: man habe khein schuch ( Schueh) ghan (1586), scharf geprüft.

Schlafen und schnarchlen (1667) während des Gottes­dienstes hatte anmanung (1668) zum flyßigen losen (1669), vflosen (1668) und wachen, wachtbar seyn (1668) zur Folge. Betrunkenes Erscheinen zu Taufe (1786) und Abendmahl (1755), Lachen (1667), Klappern ( chlappere n, 1668) und Ba̦lgen (1589, Schimpfen) in währe nd der Bredig ward natürlich gestraft, wie erst recht allerlei Spöttlicher muhtwillen (1750). Solchen triebe (1751) ein Brütteler, indem er, nachdem die Inser zur Kinderlehre ( S. 594) eine linie ( Linge n, Zeile) angefangen zu singen, ihnen zum trotz einen andern Psalmen 21 angestimmt; (1756) ein anderer, indem er singend in das Vorlesen des Schulmeisters 22 einfiel.

Es ist die nämliche Ube̥rigi, die nämliche uberigi Art, welche junge Kerls (1821, Kärline n, Kärlisse n) kutzlet (1667, chu̦tzelet, kitzelt), nach Art min͜derer Nachtbuebe n 23 in betrübten Exempeln (1763) von beschuldigter (1755) nächtlicher unfueg (1755), unflat (1584) und vnzucht (1584, d. h. Zuchtlosigkeit) und verüebten Geschwindigkeiten (1653) sich herauszulassen (1747), um bei der geringsten Gefahr feige drụs z’stelle n. Es sind die nämlichen Tröpf (1624: Tropfen 24 ), welche das Gestüchel (1656) und den lermen (1754) des Trossel führen, troßle n 1773 mit je drei Pfund Buße und 1762 mit sechs Stunden Gefangenschaft zu sühnen bekamen. Auch an und für sich schöne und sinnvolle Feste wie die zum Chi̦lbig’läüf (1589, S. 417) ausgeartete Kirchweih, das Fasnḁchtfụ̈ụ̈r (1576, 1588, S. 417) mit dem Schlitten-Ziehen, das Meyen stecken (1768) am Maibaumstag ( S. 417) waren ein bloßes si ch veramüsiere n. Es ist übrigens argwönig (1589), daß dasselbe nur eine Nachahmung des Tuns der Alten 618 war beim nächtlichen Niedersingen 25 an Hochzeiten (1754), an den Tauffmahl­zeiten ( Tauffine n), sogar bei einer Leichenfeier (1776, Lịịch), warum denn nicht am Hammentag (z. B. im März 1753).

Auch zwischen solchen Anlässen gab es dank dem über alle Zyt wirten (1661) ohne erlouptnuß (1660) ein übig (1646) oder üpigs wäsen (1652), ein überflüssiges prassen und zeeren, ein ußschweiffig sein (1580). Da konnte mehr als eine Ehefrau klagen, allemal wenn der Mann heim köme (1590, chööm), so habe er sich gefüllt. Auch wölle ( well) er allezyt wol und köstlich leben und nichts sparen, damit sy desto ( di̦ßt) bas Ihre schulden bezalen könnind (1669).

Ein häßliches Gefolge solchen Gehabens waren die Einzüge bey spater nacht (1750), ja biß heitern (zum häiter-hälle n Daag) Tag (1654) in unsaubern Winkeln, wo man bei durchnächtigem wyntrincken (1653) mit weiblichem Gesindel um lichtscheue Dinge sich besprachet hat (1661). Das Chorgericht machte 1647 bekannt: Falls die Eva Struch noch mehr fuhle Lüt Inzüche, werde man sy sampt denn Jenigen, so sy bherbriget, zum Dorff vß stüpenn und in gfangenschaft legen. Es handelte sich vielfach um Eltern von Almußenkind (1593), welche vom gilen n 26 (betteln, NM.) lebten, dem Bättel (1661) und dem heiligen Allmusen (1660) nachzogen, statt zu wercken und die Kinder zur arbeit zu halten.

In Verbindung mit solchen Gelagen stand das verbotene dantzen (1580), wobei zetantz mit der gigen gemacht (1580, ụụfg’macht) wurde. Es wurde (1652) auch mit einer Leier, Lyren, (vgl. Drääioorgele n) 27 vfgespilt oder, wie 1668 zu Treiten, das Ziberi, Zibery 28 geschlagen.

Viel Arbeit verschaffte in dieser Beziehung den Chorgerichten zu Ins und Bern das Brüttele nbad. Ersteres erhielt Befehl, die hier dienenden Weibspersonen scharf zu überwachen (27. Juli 1767). Infolgedessen wurde nach zwei Monaten der Wirt Kohli um 5 Pfund gebüßt, 619 weil er vielerley unerlaubte Dinge gestattet. Wieder wurde er am 8. August 1773 um 5 Pfund gebüßt, weil er an Sonn- und Werktagen bis spät in die Nacht tanzen lassen. Aber schon nach zwei Monaten wiederholte sich die Buße, weil er allerlei Unwesen gestattet. Am 26. März 1786 wurde der Wirt Bikelmann nach Bern zitiert, weil er zugunsten eines Herrn Schaufelberger in Treiten einem « Louis» und dessen Zuhälterin aus Frutigen den ganzen Winter Unterschlauf gewährt und gegenüber dem, was hin͜der sị’m Rügge n ’gangen isch, den Nichtswisser spielte. Das angeblich zum Herbsten und Spinnen eingeschmuggelte «Ehepaar Schmid» erhielt den Laufpaß.

Gestohlene Wasser sind süß. Und die durch Verbote süß gewordenen Früchte zeitigten deren neue in Form von Kült- 29 oder Chilt- (Kilt-) rummel. Dabei wurden 1590 sogar einer Frau ire pfenster vßgenomen. Ja, verbutzte Tänzerinnen (1576) übten wie Kiltbuben ihr Unwesen, 30 bis (1771) drei junge Treitener eine solche in einen Säüstall einsperrten. Es bedurfte immerhin nicht der hier bloß angedeuteten 31 Sitte, um Fälle des unberechtigten Kränzli- ( Chränzli-) 32 tragens (1751) hervorzurufen. Allzugroße Familiarität (1751), allzu gemeynsamer Umbgang (1751), zu genaues (1747) zusammen wandlen (1594) und einander familiarer weis frequentieren (1751) reichte hin, daß 1646 sy sich mit Ime verimpfet 33 hat und sie sich vertrabt haben (1649), nachdem sie iren Muttwillen verbrochen (1581). Tätlichs verbrechen (1585) konnte dabei nach altem Volksglauben weibliche Abgefeimtheit, die durch Zaubertränke zu Stättigem nach züchen (1646) anlockte, Widerstand aber mit Gift bestrafte. Eine Sirene habe 1662 einem die Gefolgschaft Verweigernden todbringende schwarze Körnli im Honig ’bäizt. 34

Wie leicht übrigens sogar eine unbescholtene Ehefrau in den Verdacht eines solchen aa ntue n kommen konnte, zeigt eine weitläufige doppelte Chorgerichts­verhandlung von 1677. Ein gechligen ( gääijer Wịịs) von Übelkeit befallener Taufffestgast, den es daheim im Bette trotz tiriac (Theriak, Dreíax 35 ) und einer purgation von einem gwüßen damals Im Dorff befundenen Schreyer zu versprengen drohte, bis künstlicher Brechreiz half, schrieb sein Mißgeschick jener Festgenossin zu. Die habe mit der Aufforderung, zum Gesundheit Trinken ein herumgehendes Glas ohni abz’stelle n z’leere n, ihm etwas Böses angetan, so daß es Ihnne vber dz herz brönnt. (Vgl. der Heerzbrönner S. 422.) 620 Die Zeugen stellten fest, es werde dem Geistesschwachen vilmalen also, und er verirre zun zytten Im Haupt. Nachdem beiderseits zusammen 18 Pfund als Buße ingeseklet worden, galt der Handel unter Ehrverwahrung als erledigt.

Paternitätssachen verblieben schließlich (bis 1881) als fast einzige «Chorhändel» (1754): formliche (1755) genißtliche Examination (1770) zwecks Zusprechung eines bankhert (1576) an den nicht eydlich entschütteten (1746) Vater, dem wirklich das Kind züchen mag (1671) und dem es ist (1839), Heimats und Erhaltung halb (1782). Dazu kamen Bußen für unberechtigtes chränzle n (1759: 3 Pfund), für vorzeitige Gnißt (1758: 2 Pfund), für versuchtes abdoktere n (1841) durch gwüß gwürtz (1649) oder tranck, wenn nicht die Angeschuldigte mit Erfolg des trancks Lougnett (1589).

Der besonders hier (vgl. S. 597) zutage tretenden bodenlosen Dummheit von Mädchen früherer Zeit kommt nur die Leichtfertigkeit gleich, in der sie mit der Eheversprechung (1651) spielten, und die äige nsüchtiig Pfiffigkeit, mit der sie zur Ergatterung einer lockenden Existenz dem Ersehnten un͜der der Schwelle n dü̦ü̦r ch g’lochet häi n. 36

Da machte 1581 eine geltend, er habe (ihns, sie), da die Haselnuß zyttig gsin, zu Brüttelen by sinem meister g’reicht und in die studen by den fluen ( Flüeh) gfürt. Er aber lougnet alles, was es für gitt. Eine Anna Strigel von Lüscherz will 1583 vffrichten (beweisen), daß Petter Reibi den ihr auf ihre Bitte gereichten trunk Wasser iren vff die Ee geben habe. Er aber erklärt, er welle iren nüt, und die Eltern legen dar, der knab sige noch vnder den iaren, sige ein Kind, und in keinen weg müglichen zu einem Husman. Vnd so man den Kilchen Rodel ersucht, findt man darin, daß er bloß vierzehnjährig ist. Umgekehrt macht 1668 eine Zwölfjährige, die gegen ein spaßweise geraubtes Na̦delhụ̈sli einem einen Seckel mit einem Ring und einem halben Thaler entrissen hat, Ernst aus der Aufforderung, ihm die Beute un d ihns darzue zu geben. Es well ĭhm drụ̈ụ̈ Jahr warte n. Das Mädchen gibt aber nur den leeren Beutel zurück 37 und leugnet vor dem Chorgericht (das jede Partei schwer büßt) alles.

Die bei der anwerbung (1668) beforderst (1663) verlangten Ehepfänder: ein guter Seckhel mit Gelt (1586), ein frankischer Dickpfennig (1578), 2 Dick 38 (1583), 10 Batzen (1753), 1 Batzen (1576), 2 Gürtel (1587), eine Ha̦a̦rschnuer (1667), eine Nestel (1663) usw. galt als 621 rechtskräftige Bestätigung der reziprozierlichen Verabredung (1759). Darauf gründete sich die Eeliche ansprach (1585); sie sprach ihn der Ehe an (1579), die er ihr vfrecht und redlich versprochen (1661), vielleicht mit den Worten: er wolle sie nicht bescheyßen ( b’schịsse n) und nicht laßen stechen ( im Sti̦i̦ch la̦a̦ n), sondern hụ̈ra̦ate n, heürathen (1751). Er solle also seinem Versprechen stattthun (1662) und durch den Öffentlichen Kilchgang bestättigen (1651), damit die Ehe volle zogen 39 werde (1666). So soll er sie zu Eeren haben (1590) oder halten (1843). Aber auch eine ohne Haftpfennig (1581) durch die bloße Erklärung «sy sige sin Eygen gut» (1580) gegebene Verheißenschaft (1581) wurde geltend gemacht: Sya wil nit von Ihmme stahn, sondern Ihnne gentzlichen zur Ehe haben (1663), auch wenn er verlange, daß man mit ihm Ehetagen thuye (1671), oder wan n sie Ihmme noch zechen Jahr lang warten müsse (1667). Dann werden sie beide Ein läng Jar ( i n d’s läng Ja̦hr) dinge n (1587).

Einer aber verweigerte 1663 das Ehepfand: Nein, er gebe Ihren kein gelt, und wann er schon so vil Dublonen hätte, als tropfen waßer in dem bach syend. Ein anderer, der keineswegs bedacht ist, sya zur kirchen zeführen (1670), leugnet allen Wortwechsel (1748, d. i. alle gewechselten Worte), lougnet die Ee (1590) und behauptet, er habe ihr niemals nichts gegeben (1751: nie nụ̈ụ̈d ’gee n). Ein Dritter hat wohl einen halben Thaler Handgeld gegeben, aber für n e n Jumpfrau (Magd), nid für n e n Frau! (1664.) Ein Vierter gab 1664 etwas Gelts nur vß vexax (vexaz, nid ung’fäxiert), nur im schimpf ( für G’spaß oder z’G’spassem, als Gegenstück zu z’Eer nstem (vgl. S. 416, und schimpfen = tändeln bei NM.). Dann er will iren nüt (1583); er begehre Ihra nüt, wolle ehe 40 (ehnder) das Land myden (1671).

Aber auch hie und da eine weist einen müeden (HRM. für ermüdenden, aufdringlichen) Bewerber ab; sie hat noch nicht g’wellen (1586, welle n) in die Ehe stellen (1670); sy hat Im gentzlich nützit verheißen (1587) und will ihm der Ee nit bekanntlich sin (1590). Auch würden ihre Angehörigen fást 41 (sehr) wüst Thun (1586, wüest tue n); denn alle wüßen wol, daß er nit gern werke ( schaffi) und nur hin und wider vagiere (1664, um enan͜dere vaganti).

Ehrenhaft wird dann Rabatt (1667, Abschlag) gegeben; die Sache bleibt (auf sich) beruwen (1581), und es heißt: Wenn du mynen nüt begerst, so beger ich dynen ouch nüt (1661).

622 Damit unterbleibt manches aufgenötigte schäide n zwischen Zankenden (1669), sowie etwa alle zehn Jahre (1852) eine Scheidung, Scheidigung (1774), ein schäide n oder schäidige n von oder zu (1776, 1839) Tisch und Bett als Vorstufe zum gänzlich gescheiden werden (1780). Die Wartezeit wurde von Fall zu Fall bemessen ( S. 508) und konnte (1842) für eine Weibsperson auf vier Jahre ansteigen. Zwei Jahre betrug sie (1843) für die Frau eines zu 25jähriger Kettenstrafe Verurteilten.

Zur Scheidung führte einmal (1660) die Verweigerung ehelicher Minne wegen ganz hertigklichen und erbärmklichen Niederkunften (1668, 1787), so daß die Mutter schier am kind bliben ist (1581). Ein anderer Grund war (1669) der Verdacht des Vergiftungs­versuchs durch Wein, darab der Mann gestorben wäre, sowie unter Umständen die böswillige Verlassung (1576, 1578, 1579 zweimal). 1576 ist Elsbeth Tondertschi von irem man g’lüffen. Ob sy betten kennd? Hatt gebettet. Kan die zechen gepott nit. Sol in 4 Wochen können die zechen gepott und sol 10 Pfund.

Zweckmäßiger lebten besonders (1774, d. h. b’su̦n͜derig, getrennt) solche ung’wäschen Ehlüt (1646), deren jeder Teil verbünstig (1751) dem andern nichts hat gegunnen. Wo im Katzenleben (1646) der Mann voll Bitterkeit und Bärtigkeit (1765) die Frau gauz schnöd hält (1649) und sich ihren nichts annimmt, ja einst (1587), wo sie vom gotz wort erheym 42 komt, Ir Züg vff der gaßen findet. Wo sy klagt, dz er nit Mans gnug sy, um Hand obzuhalten (1746, seine Autorität geltend zu machen) usw.

Zum Schluß sei folgendes Befinden von 1668 erwähnt: Die NN. soll ihre Dochter, welche von ihrem Mann wegen syner Jugendt zu Bern gescheiden worden, anstatt mannens ( z’manne n) lehren wol Schryben vnd lesen, vermag m. H. der ChorRichteren Befelch.

 
1   Kal. Ank.; Probst III (31. Mai 1804).   2   EB. A.   3  Mhd. schimpfe schampf schumpfen, g’schumpfe n ( WB. 2, 2, 137 ff.) bedeutete kurzweilen (besonders durch Kampfspiel), erheitern, wozu allerdings auch der Spott gehört, der (im 17. Jhd.) die heutige Bedeutung des Worts vermittelte (vgl. Kluge 398).   4   EB. A 614. Meinen: im Sinne haben, bedenken, im bösen Sinne wie hier, oder im guten, wie S. 605 und sonst (Freiheit, die ich meine); vgl. Stucke S. 145; dazu Minne, vgl. besonders mhd. WB. 2, 1, 177-186.   5  «Papas Barometer ist bei beständig höhn.» (Des Pfarrers und Dichters streng erzogener Sohn Kuhn im Taschb. 1911, 29.)   6  Im EB. A gibt es eine eigene große Kategorie «Scheltungen».   7  Vgl. schwz. Id. 2, 1131.   8  Aus der verpesteten Pfalz hergekommen.   9   Gb. 549.   10   Schwz. Id. 1, 1328.   11  Ahd. hag-zussa: Haag- oder Wald-Dämon, zu altgall. dusins (Dämon): Kluge 207. Mhd. die haegtis, hecse und die häckel, häggele; der hacke, hagg, haagg (Gaumer), hagsch (verschmitztes Weib, Hexe): mhd. WB. 1, 607. Hex: schwz. Id. 1, 1725-1729.   12  Freiburgisch.   13   NM., Klaglied der armen Götzen Vs. 277.   14  Gfeller, Heimisbach 49.   15  Fz. 15. Jhd. dollequin aus holl. dol (Degenstock). Kluge 95.   16   Anz. N. 7, 37. NM.   17  Die Trumpf-Neune im Jaß ( schwz. Id. 3, 69 f.).   18  Das Genitivzeichen in alter Sprache häufig als Exponent einer Wortgruppe.   19  Also das jetzt verlorne -hin; vgl. S. 456.   20  Auf seiner Spur ( G’spu̦u̦r) angetroffen. Heute ist g’spü̦ü̦re n bloß noch: mit dem Tast- und dem Temperatur­sinn wahrnehmen.   21  Zurückgehend auf gr.-lat. psállo (zupfe schnellend), wie der Zitherspieler ( psáltēs) und die -spielerin ( psáltria) tun, bedeutete das psálma oder der psálmós das zum Saitenspiel gesungene Stück, besonders Lied und bei den kirchlichen Schriftstellern das geistliche Lied, speziell die 150 biblischen Psalmen. Wegen der Auswahl derselben in den Kirchen­gesang­büchern heißen auch diese Psalmebüecher, und jedes Lied darin hieß der Psalme n oder der Psalm, entsprechend dem ahd. psalmo oder salmo ( Graff 3, 370) und mhd. der salmo oder der salm, vereinzelt (in der Mehrzahl selmer) auch «das» salm. ( Mhd. WB. 2, 2, 42.)   22  Während des Einläutens aus der Bibel, wie noch vor wenig Jahrzehnten üblich war.   23  Sehr verschieden von dem in Gottheits «Käserei» durch ihren «Herzog» disziplinierten.   24  Dünz. Vom triefenden Tropfe n differenzierte sich der «arme» Tropf, wie vom lümpelige n (schlaffen) Lumpe n der verächtliche Lump.   25   Id. 7, 1402 f.   26  «Geil» ist ursp. svw. von überschüssiger, wilder Kraft ( Kluge 165). Vgl. das «unverschämte Geilen» Luc. 11, 8.   27  Die siebensaitige und täüffböödnigi alaûd oder alûd (arab.), lëut (afz.), luth (fz.) lûte (mhd.) Laute (nhd.) hieß gr.-lat. lyra; die ahd. lïra, mhd. lïre unterschied sich von ihr als eine Art Gitaare n, die als «Leierkasten» mittelst einer Kurbel gespielt wird ( Kluge 285). Dieser Kasten bietet mit seiner kargen Abwechslung sozusagen gäng di gliichi alti Liire n, wie übertragend auch das ermüdend wiederholte Gerede heißt. Das mechanische Ableiern ist ein aacheliire n auch gedankenlos vorgetragener Geistes­erzeugnisse; und das Drehen des Liirum (der Kurbel) als solches wird zum liire n, uuf-, ab-, umliere n ( Gw. 666) als ein Winden oder Wickeln. ( Schwz. Id. 3, 1370-1372.)   28  Irgendwie mit der tibia zusammenstellbar: der ursprünglich aus dem Schienbein gefertigten Pfeife oder Flöte.   29   Lf. 556.   30  Vgl. Gw. 632.   31  Ausführlich: Lf. 556 f.; Gb. 480.   32   Gw. 632.   33  Impfen, mhd. impfeten, ahd. impitôn aus « imputare» ( enter) ist der alte Ausdruck für pfropfen.   34  Vgl. Katzenhirn als sexuelles Reizmittel: NM. Elsli Tragdenknaben 163.   35   Lf. 460; Gw. 639.   36  Wie der Fuchs, der in den Hühnerstall will.   37  Vgl. den durch Lisi ausgeraubten Jakobli in Gotthelfs Annabäbi.   38  Vgl. der Groschen aus grosso, gros im Gegensatze zur Blechmünze ( Hoops 1, 293).   39  Wie voll(e)kommen.   40  Ehe und ehrr sind Schwester­formen wie da und dar (-in. -aus usw.), wie wo und vor.   41  Betontes fást = sehr, enttontes fast = beinahe, wie Gb. und Gw.   42  «Aus» ( us, ur-, er-) der Kirche nach Hause.  
 



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