Gustav Freytag
Erinnerungen aus meinem Leben
Gustav Freytag

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Beim Theater

Karl von Holtei war 1842 nach Breslau gekommen und hatte die künstlerische Leitung des Stadttheaters übernommen. Wir wurden bald gute Bekannte, saßen nebeneinander am Mittagstisch und spielten Domino um den Kaffee. Holtei hatte ein langes Wanderleben hinter sich und in dem unsteten Treiben auch wohl manche Einbuße erlitten. Aber in allen Beziehungen zu seinen literarischen Bekannten war er ein feinfühlender Mann von Ehre geblieben. Er lebte sehr einfach mit geringen Bedürfnissen, obgleich das Geld für ihn nicht den landesüblichen Wert hatte; denn wenn es ihm einmal fehlte, packte er kleine Bücher ein, fuhr in die Welt, um dramatische Vorlesungen zu halten, und kehrte in der Regel nach einigen Wochen mit gefüllten Beuteln zurück. Sein Drang zu schaffen war sehr lebendig, Kunst und Urteil nicht sicher, auf Wohlgelungenes folgte gänzlich Verfehltes, und es war merkwürdig, wie sehr er, der Bühnenkundige, sich über das Wirksame seiner Erfindungen täuschen konnte. Er war auch vor den Arbeiten anderer nicht geeignet Kritik zu üben, und ging allen Erörterungen darüber aus dem Wege. Aber er hatte warme und neidlose Anerkennung für jede selbständige Kraft und wurde nicht müde, sich zum Nutzen anderer schreibend und befürwortend in Bewegung zu setzen. Seiner nervösen und reizbaren Natur fehlte die gleichmäßige Stimmung allzusehr, doch auch, wenn ihn etwas verstörte, wurde er anderen nicht lästig, sondern zog sich still in sich zurück. Mir wurde er lieb und wertvoll, weil es kaum einen zweiten gab, der mit Personen und Verhältnissen der deutschen Bühnen so bekannt war wie er. Da er mir aber auf Fragen über unser Handwerk nicht Auskunft gehen konnte, sah ich mich nach anderer Hilfe um.

Schon bei den Proben zur Brautfahrt hatte ich bemerkt, daß die Schauspieler auf einzelne Stellen Wert legten, die mir unwesentlich schienen, und daß sie vieles bei der Darstellung nicht so herausbrachten, wie ich es empfunden hatte, zum großen Teil, weil sie es nicht zu machen verstanden, zuweilen aber auch, weil die Wirkung der gesprochenen Rede auf dem Theater eine weit andere war, als ich während der Arbeit gedacht. Ich merkte auch, daß mir beim Schreiben zwar an einigen Stellen vorgeschwebt hatte, wo die Personen auf der Bühne stehen und wie sie sich zueinander regen sollten, daß ich aber die in der Szene notwendigen Veränderungen ihrer Stellung nicht deutlich genug geschaut und nicht bequem zurechtgemacht hatte. Mir wurde klar, daß die Schauspieler für ihre besten Wirkungen zuweilen etwas anderes zu fordern berechtigt waren, als ich ihnen gegeben, und ich erkannte, daß mir nützlich sein würde, genau zu erfahren, was sie für ihre Kunst brauchten. Nun war die Mehrzahl von ihnen wenig geeignet, sich über künstlerische Aufgaben auszusprechen. Doch einen fand ich, der mir Rede stehen konnte und der ein Vergnügen darin fand, über seine Rollen und sein Spiel mit mir zu verhandeln. Das war August Wohlbrück. Er war das bedeutendste Talent einer großen Schauspielerfamilie und gehörte seiner Bildung nach der Hamburger Schule an; feines Detaillieren, biedere Sentimentalität, zuweilen altfränkische Zierlichkeit waren die Eigenschaften dieser Entwicklungsstufe dramatischer Kunst. Wohlbrücks Instinkt für künstlerische Wahrheit war merkwürdig richtig; Stimme und Aeußeres setzten ihm feste Grenzen, Shylock und Nathan fielen noch vollständig in das Bereich seiner Mittel, Lear lag schon jenseits. Innerhalb dieser Grenzen aber besaß kaum ein deutscher Schauspieler so großes Repertoir, wenige eine so dauerhafte Darstellungskraft wie er. Es verschlug ihm nichts, sieben Tage der Woche hintereinander zu spielen, heut Menenius, morgen den Weltumsegler, übermorgen den Lügner Krack, darauf Nathan, den alten Klingsberg, den Geizigen und zum Sonnabend den Bengel Nazi in der Posse Eulenspiegel, wo er Nangkinghöschen trug, an denen die Jacke festgenäht war; er verstand zu rühren, Cachucha zu tanzen und sogar zu singen, war in allen Rollen tüchtig, in einigen unübertrefflich. Und dazu kam als größter Vorzug, daß er ein echter Charakterspieler war; darin war er Beckmann und Scholz, den großen Wiener Komikern jener Jahre, überlegen, denn Nestroy war nur ein großer Schwätzer, aber kein Komiker. Beckmanns Meisterschaft bestand darin, daß er in die Maske eines drolligen Kauzes kleine Scherze und allerliebste Erfindungen einsetzte, ziemlich unbekümmert darum, ob sie zur Rolle paßten. Scholz war groß als Tölpel, er hatte diesen Charakter zu einer ähnlichen Virtuosität ausgebildet, wie die alten Hanswürste einzelne Masken, die durch sie beliebt wurden und mit ihnen vergingen. Beide waren einförmig, und ihre Laune starb, wenn sie gezwungen wurden, die Arbeit des Dichters zu ehren; Wohlbrück verstand aus allem einen Charakter zu machen, er war in jeder Rolle ein anderer, und weil er bestimmte Persönlichkeiten bildete, wirkte er auch da, wo die Posse sehr niedrig ging, immer noch behaglich und schützte das Publikum vor der Verstimmung, welche Gemeinheit hervorbringt, wenn sie nicht als Inhalt eines geschlossenen Charakters auf die Bretter tritt. In den wenigen Rollen unseres Theaters, wo der Humor bereits vom Dichter in meisterhafter Bestimmtheit dargestellt ist, hat der Komiker die Feuerprobe zu bestehen, ob er ein Künstler ist, und eine der besten Leistungen Wohlbrücks war sein Menenius. In Breslau blieb er durch fünfzehn Jahre Liebling des Publikums, Träger und Schutzgeist aller Possen und Kassenstücke, und bewahrte dabei doch Begeisterung für die großen Aufgaben seiner Kunst. Ihn suchte ich gern auf, und er wurde nicht müde, Stellen seiner Rollen, auf die es uns ankam, vorzuspielen und dabei zu erklären, warum er es gerade so mache und nicht anders. Wir saßen oft bis lange nach Mitternacht in solchen Zwiegesprächen.

Ich hatte in dieser Zeit für das Theater hier und da Gelegentliches geschrieben, außer Prologen ein Festspiel, mit welchem eine Versammlung der deutschen Landwirte begrüßt wurde; darin kämpften Rübezahl als Vertreter der ungebändigten Naturkräfte und Puck als Führer landwirtschaftlicher Elfen in kriegerischen Versen gegeneinander, bis Germania erschien und den Streit schlichtete. Die Ausführung der Idee war nicht aufs beste gelungen und die stolze Germania vermochte durchaus nicht, einen guten Abschluß zu verleihen. Mit den Versen war ich später nicht unzufrieden. Ich begann ferner eine Oper »Russen und Tscherkessen«, worin sich die Liebenden zuletzt selbst in die Luft sprengen; ich ersann eine politische Posse »Dornröschen«, worin vier Prinzen: Treffleton, Carreau, Pickowitsch und Michel Herz mit ihrem Gefolge von Kartenblättern ausziehen, um die schlafende Schönheit zu erlösen, welche unter wohlwollender Aufsicht des Geisterfürsten Europius steht. Der deutsche Michel, der mit seinem unpraktischen Hofmeister Philosophus die Fahrt unternommen hat, gewinnt zuletzt die Braut, nachdem er durch einige Akte von den anderen sehr schlecht behandelt worden ist. Die Idee war nicht übel, der guten Laune fehlte das Derbe und Kräftige, was die Posse braucht, und als Holtei, dem ich das Bruchstück zeigte, beim Durchlesen den politischen Hintergrund gar nicht merkte, ließ ich es unvollendet liegen.

Im Sommer 1844 entstand der Plan zu dem Drama »Der Gelehrte«. Ich fühlte mich, obgleich ich ein fester Liberaler war, oft im Gegensatz zu dem geräuschvollen und flachen Gebaren des jungen Geschlechts, welches sich in den preußischen größeren Städten rührte, und hatte die Ansicht, daß jeder sichere politische Fortschritt von einer Steigerung der Volkskraft auf allen Gebieten des wirklichen Lebens abhängig sei. Diese Steigerung der Kraft aber werde zunächst durch den Zwang der realen Verhältnisse bewirkt, bis zu einem gewissen Grade auch durch Lehre und persönlichen Einfluß solcher, welche sich eine Lebensaufgabe daraus machen, den kleinen Kreisen des Volkes die Kraft zu mehren. Die Grundlage und Stimmung des Stückes wurden durch den Gegensatz zwischen zwei Freunden gegeben, von denen der eine, ein stiller Gelehrter, dazu kommt, von seiner Wissenschaft zu scheiden und als Arbeiter mitten im Volke niederzusitzen, während der andere, Politiker mit fortschrittlichem Antlitz, zuletzt dem Dienst bei einem Aristokraten verfällt. Das Ganze sollte drei Abteilungen haben. Die erste: Lösung des Gelehrten Walter von der Geliebten Leontine, welche sich ihrem Vetter, dem Fürsten, auf Reisen verlobt hat, um einen Familienzwist zu beenden, und Lösung Walters von seinem Amte; die zweite: Gegensätze und Kämpfe, in welche Walter als Werkführer in dem Geschäft eines großen Steinmetzen mit den Arbeitern gerät und seine Entfernung von dort, welche durch die unerwiderte Neigung der Meisterstochter zu ihm veranlaßt wird. Nachdem er verschwunden, erscheint Leontine als Verlobte des Fürsten auf Reisen, sie ist nach jener Trennung von Walter in Tiefsinn versunken, wird mit der Tochter des Steinmetzen bekannt, entdeckt, daß Walter hier gewesen, und findet im Verkehr mit dem Mädchen die Kraft, sich von dem Fürsten zu trennen. Dritte Abteilung: der Familienstreit ist aufs neue entbrannt, die Güter der Leontine sind dem Fürsten zugesprochen, der Freund Walters ist sein Geschäftsführer geworden, Walter kommt als Steinmetz wegen großer Bauten, welcher der andere einrichten soll, Konflikte, Erklärungen, Vereinigung der Liebenden.

Nur der erste Akt wurde vollendet. Ich fand eine Befriedigung darin, daß ich mich an einem modernen Stoff mit unserm dramatischen Jambus versucht und die Sprache gefunden hatte, in der nach meiner Meinung ein Schauspiel in Versen zu behandeln war. Die späteren Teile der Handlung lockten mich weniger, weil mir die anregenden Beobachtungen aus dem wirklichen Leben nicht so reichlich zu Gebot standen und weil ich den ersten Akt niedergeschrieben hatte, bevor dem letzten Akt eine befriedigende Handlung erfunden war.

Unleugbar wurde ich durch den unablässigen Zug zu eignem Schaffen gerade in der Zeit gestört, wo mir für eine fruchtbare akademische Tätigkeit die größte Sammlung nötig gewesen wäre. Ich habe keinen Grund, zu bedauern, daß allmählich die Freude, selbst Dichterisches zu bilden, stärker ward als der Drang, über dem zu verweilen, was andere in alter und neuerer Zeit geschaffen haben, und ich darf mit Fug behaupten, daß ich nicht in jugendlicher Selbstüberschätzung dem erwählten Gelehrtenberuf entsagte; denn ich war 28 Jahr alt, als ich mich entschloß, meine Vorlesungen einzustellen. Die Weigerung der Fakultät, mir eine beabsichtigte Vorlesung über deutsche Kulturgeschichte zu gestatten, gab die Veranlassung. Die Fakultät war formell ganz in ihrem Rechte; denn ich war nur für die deutsche Sprache und Literatur habilitiert, auch hatten meine wissenschaftlichen Leistungen ihr keinerlei Grund gegeben, mir auf dem neugewählten Gebiet etwas Besonderes zuzutrauen, und die Welt hat völlig nichts daran verloren, daß mir dies Kollegium nicht gestattet werden wollte; denn was ich etwa von den Zuständen aus deutscher Vergangenheit den Zuhörern hätte berichten können, das mitzuteilen habe ich mir später mit reiferem Wissen doch nicht versagt, wenn auch in anderer Form. Damals aber war mir das Verweigern ärgerlich.

Ich blieb in Breslau, zog mich von manchem Zerstreuenden zurück und arbeitete still für meine Zukunft.

Eines Tages trat Berthold Auerbach bei mir ein, damals in voller Jugendkraft und auf der Höhe seines literarischen Ruhms. Denn wie man auch den Wert von allem, was er später geschrieben, beurteilen möge, die beiden ersten Bände der Schwarzwälder Dorfgeschichten waren bei weitem das Wirksamste, was er geschaffen hat, für Deutschland ein literarisches Ereignis. Sie erschienen als eine Erlösung von der öden Salonliteratur, welche französischen Vorbildern ungeschickt nacharbeitete, sie brachten Schilderungen aus dem deutschen Volkstum zu Ehren, Charaktere und Sitten, die auf unserem Boden gewachsen waren. Das wurde überall dankbar empfunden und der frische treuherzige Gesell, welcher den Norddeutschen selbst wie eine Gestalt aus seinen Dorfgeschichten entgegentrat, ward, wohin er kam, mit Begeisterung empfangen und als Verkünder einer neuen Gattung von Poesie gefeiert. Es ist jetzt leicht, die Grenzen seiner Begabung abzumessen und in seiner Weise zu schildern die Manier zu erkennen, wer aber mit ihm jung gewesen ist, wird die große und wohltätige Einwirkung seiner Geschichten dankbar in der Seele bewahren.

Seit 1840 rührte sich eroberungslustig ein neues Leben in der dramatischen Literatur und in den Seelen derer, welche für die Unterhaltung des gebildeten Publikums sorgten. Die ältere Generation der Unterhaltungsschriftsteller war stärker durch die Engländer, zumal Walter Scott, beeinflußt worden, die jüngeren hingen von Stil und Geschmack der Franzosen ab. Eine Reise nach Paris war für die deutschen Schriftsteller ebenso wünschenswert wie für den Archäologen eine Fahrt nach Italien. Laube und Gutzkow hatten begonnen, für das Theater zu schreiben, und man hoffte für das deutsche Schauspiel eine neue Blüte. Wenn man auch den poetischen Wert ihrer ersten Dramen, welche als Anzeichen einer neuen Zeit Aufsehen erregten, nicht allzu hoch stellt, sie waren unleugbar ein großer Fortschritt, schon darum, weil sie durchaus auf Bühnenwirkung ausgingen.

Mich verletzte an den Franzosen das keltische Wesen, welches dort in der Literatur nach Molière allmählich obenauf gekommen ist, und die Stücke Viktor Hugos, wie Hernani und Le roi s'amuse, waren mir völlig zuwider. Wohl aber erkannte ich den Wert des französischen Lustspiels für die Bühne. In diesem Bereich war damals Scribe das herrschende Talent. Es wurde einem Deutschen leicht, zu übersehen, daß seine Bühnengestalten fast alle zu mager waren und daß er seine Handlung mit größerem Streben nach wirkungsvollen Situationen als nach innerer Wahrscheinlichkeit zusammenfügte, aber der Bau der Szenen selbst und der behende Dialog waren vortrefflich. Seine Stücke besaßen, was der deutschen Bühne allzusehr fehlte, und wir alle konnten nach dieser Richtung von den Franzosen lernen.

Im Frühjahr 1846 schrieb ich zu Breslau das Schauspiel »Die Valentine«, und es ging mir dabei, wie bei allen meinen späteren Arbeiten von freier Erfindung; langsam kam mir die Wärme für den Stoff, deren ich bedarf, um überhaupt schreiben zu können. Sobald aber die Hauptcharaktere und die Situation feststanden, ließ mich die Arbeit nicht los und die Ausführung war wieder eine Zeit stiller Freude und gehobener Stimmung. Das Schauspiel zeigt deutlich den Geschmack jener Jahre und ein wenig auch die Einwirkung der französischen Komödie. Für jeden Helden, den der Dichter ersann, war es damals wünschenswert, sich in der Fremde gerührt zu haben. Das kleinstaatliche Wesen der deutschen Heimat, die engen Verhältnisse und unsere alte Spießbürgerei wurden mit großer Verachtung verurteilt. Aber, was bedenklicher war, in der Sehnsucht nach größerer Freiheit wurde auch die herkömmliche Auffassung von Sitte und Sittlichkeit mit kritischem Blicke betrachtet und oft zu niedrig geschätzt. In der »Valentine« verrät der freie Held Georg am auffälligsten die Unfreiheit des Dichters.

Oft stehen der geringe Kunstwert eines poetischen Werkes und das abfällige Urteil, womit ein späteres Geschlecht dasselbe richtet, in schroffem Gegensatz zu der warmen Anerkennung, welche ihm in der Zeit seines Erscheinens zuteil wird. Das war von je so und wird bleiben; denn die Mängel einer Dichtung in Charakteren, Handlung und Sprache sind oft nur ein Abbild der besonderen Mängel, welche der gesamten Bildung einer Zeit anhängen. Leser und Hörer erfreuen sich am meisten an der Abspiegelung dessen, was ihnen selbst eigentümlich ist und im Dichterwerk als neue Gabe gegenüber dem alten erscheint, und jede Dichtung, welche frischen, noch nicht dagewesenen Abdruck der Zustände und Anschauungen bietet, die gerade modern sind, gilt den Lebenden als neuer Fund und als ein Fortschritt in der Kunst. Die Folgezeit freilich erspart dem Schaffenden den Rückschlag nicht, und wenn sein Gedicht Verbildungen vergangener Jahre recht deutlich offenbart, so wird dasselbe dem jüngeren Geschlecht, welches sich im Kampfe gegen das ältere zu erheben sucht, gerade wegen derselben Besonderheiten verleidet, durch die es im Anfange den Menschen lieb wurde. Glücklich ist der Autor, dem vergönnt war, in seinen Arbeiten auch so viel von dem tüchtigen und gesunden Leben seines Volkes abzuspiegeln, daß das spätere Urteil über die Mängel, welche ihm als Schwäche seiner Zeitbildung anhaften, ein mildes wird.

Ich aber hatte während der Niederschrift des Schauspiels die frohe Empfindung, daß ich der dramatischen Bewegung in den Charakteren und der wirksamen Szenenführung Herr geworden war. Das Stück konnte bis auf eine kleine Vereinfachung der Szenerie, so wie es niedergeschrieben war, aufgeführt werden.

Noch fehlte etwas, was dem dramatischen Schriftsteller nötig ist: genaue Kenntnis und einige Uebung in der Regiearbeit, ich hatte noch zu lernen, wie man ein Stück in Szene setzt und einstudiert. Deshalb ging ich im Winter 1846 nach Leipzig, wo das Schauspiel gerade unter der Führung von Heinrich Marr ein vielversprechendes Aussehen gewonnen hatte. Dort wurde mir bereitwillig gestattet, den täglichen Proben, sooft ich wollte, beizuwohnen und alles, was ich zu kennen begehrte: den Bau der Bühne, alle Vorbereitung und Hilfe der Aufführungen bis auf die Werke des Schnürbodens, genau zu erkunden. Es waren einige gute Monate, die ich dort verlebt habe; noch jetzt gehören sie zu meinen angenehmsten Erinnerungen. Oft war ich im Hause von Heinrich Laube. Wir waren Landsleute, aber wir waren auf ganz verschiedenem Boden herausgewachsen. Er, der ältere, galt immer noch für einen Führer der jungdeutschen Richtung und hatte die Vorliebe für französischen Geist in sich aufgenommen; ich folgte der Strömung, welche die deutsche Art in der Poesie zu Ehren bringen wollte. Den Gegensatz fühlten wir beide, etwas davon hat auch in späteren Jahren bestanden, aber wir haben immer vermieden, das gute persönliche Einvernehmen dadurch zu stören. In Wahrheit war der gesamte jungdeutsche Trödel nicht seiner Natur gemäß, welche derb, praktisch, auf verständige Würdigung des wirklichen Lebens angelegt war, er hatte ein redliches deutsches Gemüt mit allen Bedürfnissen des deutschen Herzens in Ehe und Familienleben. Daß ihm eine liebenswerte Frau als Vertraute und Beraterin zur Seite stand, das erleichterte ihm die Befreiung von den literarischen Schwächen seiner Jugend.

Außerdem verkehrte ich fast nur mit den Schauspielern Marr, Berta Unzelmann, Joseph Wagner, Elisabeth Sangalli. Den Stunden nach dem Theater, welche wir in lebhafter Unterhaltung über unsere Kunst am Teetisch zubrachten, habe ich vieles zu danken, und lobend muß ich hervorheben, wie hingebend alle für ihre Kunst lebten und wie gut bei aller Zwanglosigkeit die Haltung war, in welcher diese Kinder der launigsten Muse miteinander verkehrten. Nur selten brach die Heftigkeit Heinrich Marrs, der damals wohl auf der Höhe seiner Tüchtigkeit stand, heraus. In meiner Gegenwart wurde »Die Valentine« einstudiert; das Stück gefiel.

Ich wurde auf einmal ein Dichter, der zu Hoffnungen berechtigte, und fand mich in einem umfangreichen Briefverkehr, genoß reichlich das Vergnügen, welches durch das freundliche Entgegenkommen der Theaterleitungen und durch die Empfänglichkeit der Darsteller bereitet wird, und machte auch Erfahrungen über Ungeschick der Intendanzen und Eitelkeit der Künstler.

Als ich »Die Valentine« an die Theater versandt hatte, erhielt ich zu Leipzig einen Brief Gutzkows, der damals Dramaturg des Dresdener Hoftheaters war, er sei geneigt, das Stück zu geben, doch sei vorher persönliche Besprechung nötig. Ich fuhr nach Dresden und ging zu ihm. Er empfing mich, die Finger der rechten Hand hinter der Rockklappe, genau so, wie auf der Bühne der Minister einen armen Teufel von Bittsteller annimmt, und leitete stehend die Verhandlung mit den Worten ein: »Ihr Stück ist so, wie Sie es versandt haben, für unsere Bühne nicht zu gebrauchen, ich bin aber bereit, selbst die nötigen Aenderungen vorzunehmen und dasselbe für das deutsche Theater einzurichten und frage, ob Sie mir dies überlassen wollen.« Ich mußte antworten: »Nein; ich habe im zweiten Akt eine kleine Szenenänderung gemacht, die ich den Theatern nachträglich zusenden werde, im übrigen habe ich bei der Leipziger Aufführung gesehen, daß das Stück bühnengerecht ist.« Darauf er, noch strenger: »Leipzig ist nicht maßgebend; wenn wir das Stück hier zur Aufführung bringen sollen, müssen Sie sich die Aenderungen gefallen lassen, die ich für nötig finde.« Und ich: »Nach dieser Erklärung muß ich Ihnen antworten, entweder geben Sie das Schauspiel so, wie ich es übersandt habe mit der erwähnten Aenderung, oder ich, der Verfasser, versage Ihnen die Aufführung und fordere meine Sendung zurück. Leben Sie wohl.« Eine Weile darauf kam Emil Devrient – durch seine Gastspiele in Breslau ein alter Bekannter – eilfertig in das Hotel: »Was haben Sie mit Gutzkow gehabt, er war außer sich bei mir.« Ich schilderte ihm den lächerlichen Verlauf. Emil entfaltete die Fittiche eines versöhnenden Engels und lud zu einem Friedensmahl. Bei Tisch saß ich Gutzkow gegenüber, ich unterhielt mich mit meinen Nachbarinnen, während er schweigsam beobachtete. Nach dem Essen trat er an mich, sprach artig sein Bedauern über das Mißverständnis aus und ersuchte um Zusendung meiner Aenderung. Das Stück wurde jedoch erst gegeben, als er nicht mehr Dramaturg war, und als Grund angeführt, daß die Intendanz Bedenken gehabt hatte, was sehr wahrscheinlich war. Gutzkow aber habe ich unter vier Augen nur noch einmal gesehen und da erschien er mir in anderem Licht. Er hatte fast zu derselben Zeit, wo das Schauspiel »Graf Waldemar« auf die Bretter kam, das Trauerspiel »Wullenweber« geschrieben und damit kein Glück gehabt. Damals machte er mir ganz unerwartet in Dresden einen Besuch, fing von Waldemar an und sprach Beistimmung und Bedenken dagegen so gescheit und unbefangen aus, daß ich ganz erstaunt war; dann ging er auf sein Stück über, bedauerte den unglücklichen Wurf und äußerte sich schonungslos über sein eigenes Schaffen. Er hatte leider in allem recht, was er von sich sagte, und ich schied mit wahrhafter Teilnahme von ihm.

Einen heiteren Vorfall anderer Art erlebte ich in Berlin. Louis Schneider, der gern Episoden spielte und sich bei der Regie wohlwollend die kleine Rolle eines einbrechenden Spitzbuben, »des Zigeuners«, ausgebeten hatte, nahm mich vor der Probe beiseite, erklärte mir, daß es sein Grundsatz sei, sich in allem nach den Wünschen des Dichters zu richten, und ersuchte deshalb, in der Garderobe sein Kostüm anzusehen. Dort wies er dem erstaunten Verfasser einen ungarischen Zigeuneranzug, wie für einen Maskenball, den er sich eigens zusammengesetzt hatte: unförmlichen Schlapphut, buntgeschnürten Rock, enge Beinkleider und gelbe Stiefletten mit ungeheuren Sporen.

»Unmöglich, Herr Schneider, der Spitzname Zigeuner ist für den Strolch nur gewählt, um der Regie und dem Darsteller eine kleine Schattierung in der Erscheinung nahezulegen: dunkles Haar, braune Haut, die Beinkleider in den Stiefeln, allenfalls die heftigen Bewegungen eines Südländers. Sie wollen doch nicht mit klirrenden Sporen den Balkon hinaufsteigen.« »Meinen Sie nicht?« frug er enttäuscht. Als nun in der Probe die bedenkliche Szene kam, wo die einbrechenden Gauner das Zwiegespräch zwischen Valentine und Georg stören, tat Zigeuner Schneider mit den Händen die Falten des Balkonvorhangs ein wenig auseinander und steckte sein rundes Angesicht mit schlauer Miene so hindurch, daß der Kopf von dem dunkeln Vorhang ganz umrahmt wurde. Da das Publikum ohnedies gewöhnt war zu lachen, so oft er auftrat, mußte diese groteske Einführung seines Gesichtes tödlich für die Wirkung der Szene und wahrscheinlich für das ganze Stück werden. Ich sagte ihm das und er versprach ergeben, sein Antlitz den Zuschauern zu versagen und nur an den Falten des Vorhanges zu rühren. Weil aber vorauszusehen war, daß er bei der Vorstellung doch irgend etwas unternehmen werde, was die Aufmerksamkeit in störender Weise auf ihn zog, so ersuchte ich Hendrichs, der den Georg spielte, bei der Aufführung dem Künstler die Gelegenheit zu kleinen Streichen nicht zu gewähren. »Sobald er an dem Vorhang rührt, springen Sie hinzu und schlagen ihn hinter der Gardine zu Boden.« Das versprach Hendrichs eifrig und er machte es auch bei der Darstellung ganz gut. Zwar konnte Schneider sich nicht enthalten, auf dem Boden in lächerlicher Weise bis mitten auf die Bühne zu kollern und die Galerie auf einen Augenblick fröhlich zu machen, doch ging die Störung ohne weitere Folgen vorüber. – Nicht immer sind die eitlen Mimen so gutherzig, wie Louis Schneider im Grunde war.

Im Jahre 1847 siedelte ich nach Dresden über. Dort richtete ich meinen kleinen Haushalt ein, heiratete eine Freundin, der ich seit Jahren mit inniger Neigung zugetan war, und fand mich bald in geselligem Verkehr mit schlesischen Landsleuten, welche in der Fremde ihre Wanderrast hielten, und mit der Künstlerschaft Dresdens. Aus dieser wurde mir Eduard Devrient, der ältere Bruder Emils, besonders wert. Er hatte nach Gutzkow die Leitung des Schauspiels übernommen, lebte in wohlgeordneter glücklicher Häuslichkeit, sein Haus ein Mittelpunkt für einheimische und zureisende Kunstgrößen. Mit ihm und seiner Familie bin ich, solange er gelebt hat, in freundschaftlicher Verbindung geblieben. Zu unserem Kreise gehörte auch der Sozialist Julius Fröbel, in politischen Fragen so doktrinär, daß er kaum für zurechnungsfähig gelten konnte, im persönlichen Umgange fein und weich und von vornehmer Haltung. Er hatte mit Arnold Ruge vor kurzem eine Buchhandlung gegründet, welche unter großen Hoffnungen der Teilhaber ins Leben trat; sie hatten sich erboten, meine Verleger zu werden, und die erste Sammlung meiner Theaterstücke ist in ihrem Verlage erschienen. Auch Ruge weilte oft unter uns, und wenn er und Fröbel vor mir saßen, so mischte sich zu dem lebhaften persönlichen Anteil, den man beiden zuwenden mußte, leicht der Humor über das Wesen der beiden so verschiedenen Größen, von denen jeder die Welt durch bunte Seifenblasen umgestalten wollte, die er in die Luft schickte, während jeder die eigenen geschäftlichen Verpflichtungen mit wahrhaft kindlichem Ungeschick behandelte.

Auch Richard Wagner wurde mir in größerer Gesellschaft bekannt, ohne daß ich ihm näher trat. Dieser erzählte bei einem Begegnen im Herbst 1848, daß ihn die Idee zu einer großen Oper beschäftige, die in der germanischen Götterwelt spielen solle; der Inhalt aus der nordischen Heldensage stand ihm noch nicht fest, aber was ihn für die Idee begeisterte, war ein Chor der Walküren, die auf ihren Rossen durch die Luft reiten. Diese Wirkung schilderte er mit großem Feuer. »Warum wollen Sie die armen Mädchen an Stricke hängen, sie werden Ihnen in der Höhe vor Angst schlecht singen.« Aber das Schweben in der Luft und der Gesang aus der Höhe war für ihn gerade das Lockende, was ihm die Stoffe aus dieser Götterwelt zuerst vertraulich machte. Nun ist für einen Schaffenden nichts so charakteristisch als das Ei, aus welchem sein Vogel herausfliegt. Die Freude an unerhörten Dekorationswirkungen ist mir immer als der Grundzug und das stille »Leitmotiv« seines Schaffens erschienen.

Im Herbst 1847 schrieb ich in Dresden das Schauspiel »Graf Waldemar« Es sollte ein Gegenstück zu »Valentine« sein. Seinem Lauf über die deutschen Theater war das Jahr 1848 nicht günstig. Auch mir lag seitdem anderes im Sinn als meine Schriftstellerei; aber das Stück verschaffte mir doch die Freude, in dem Berliner Schauspielhaus eine gute Aufführung zu erleben.

Im Jahre 1847 hatte ich die Bekanntschaft von Ludwig Tieck gemacht. Gegen ihn fühlte ich eine jugendliche Verehrung, er galt mir für den Vertreter einer glorreichen Zeit deutscher Dichtkunst und die kleine romantische Zauberwelt seiner Gedichte hatte sich in meine lyrischen Versuche überall eingedrängt. Auch die persönliche Bekanntschaft tat mir wohl, die wunderbar leuchtenden Augen in dem ausdrucksvollen Haupte, welches wie ermüdet über die zusammengedrückte Gestalt neigte, und die milde feine Weise, in welcher er sprach und zu fragen wußte. Er war gegen mich von anmutiger Herzlichkeit.

Durch die erwähnten Schauspiele hatte ich festen Fuß auf der deutschen Bühne gefaßt, ich war ein genannter Autor geworden, der von den Theatern mit Achtung betrachtet wurde. Fünf Jahre von der »Brautfahrt« bis zur »Valentine« war ich nach den Geheimnissen des dramatischen Stils auf der Fahrt gewesen, wie das Kind im Märchen hatte ich bei Sonne, Mond und Sternen danach geforscht, endlich hatte ich sie gefunden; die Seele schuf sicher und behaglich in der Weise, welche die Bühne für sich fordert, und ich durfte mir ohne Selbstüberhebung sagen, daß es zurzeit in Deutschland niemand gab, der die technische Arbeit des Bühnenschriftstellers besser verstand als ich. Ich hatte einigen Grund zu der Hoffnung, daß ich in dem gewählten Berufe ohne übergroße Anstrengung alljährlich ein neues Stück für die deutschen Theater schreiben und eine gute Stellung in unserer Literatur behaupten würde.

 


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