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Schluß

In einem Kirchdorfe, nahe bei Gotha, war die Getreideernte beendigt. Nicht alle Äcker der großen Dorfflur hatten Frucht getragen, und nicht in jeder Hofstätte wohnten Landleute, welche sich der Ernte freuen konnten, aber die Gemeinde saß doch wieder um ihre Kirche, mancher war aus der Stadt zurückgekehrt mit den geretteten Rindern und dem Ackergerät, und mancher war aus der Fremde zugezogen. Zum ersten Male seit langen Jahren hatten die Leute in Frieden ihre Garben gebunden und, wenn sie auf dem Felde schafften, in leidlicher Sicherheit auf die kleine Turmglocke gehört, welche ihnen Mittag- und Abendruhe ankündigte. Auch im Pfarrhofe stand der Wagen mit der letzten Mandel, die am Abend noch nicht abgeladen war, und über ihm schwebte der Erntekranz. Das Hoftor war verschlossen, der Hofhund saß achtsam neben seiner Hütte und murrte zuweilen, wenn ein Käuzlein schrie oder ein später Fußtritt auf der Dorfgasse schallte. Die Frau Pfarrerin sah am Fenster nach der runden Mondscheibe, welche, umsäumt von einem Strahlenkranze, den Hof und die Türschwelle mit grellem Licht überzog, als wären sie mit weißem Sande bestreut. Ihr Gatte trat herzu, um den Laden zu schließen und sein stilles Heimwesen vor dem Gesindel zu wahren, welches obdachlos durch das Land zog. »Alle Abende steht mein liebes Weib am Fenster, sieht hinaus auf die Straße und horcht auf fernes Geräusch.«

Regine sah bittend zu ihm auf. »Alle Abende hofft die Schwester, daß der Verlorene kommen wird. Bei Tage bin ich ruhig in der Arbeit und meinem Glück, aber wenn der Mond auf die Dächer scheint und die Wolken an ihm vorüberfahren, dann ergreift mich Angst und Sehnsucht. Zürnt nicht, lieber Herr.«

»Das ist der jungen Frau zurückgeblieben aus der Zeit, wo sie mit hellen Worten träumte.«

»Die Traumreden sind zu Ende, seit ich einen Hausherrn habe, den ich nicht aufwecken darf«, sagte sie und barg ihr Haupt an seiner Brust. »Schließt das Fenster,« sprach sie nach einer Weile, »es ging vorüber.«

Da bellte der Hofhund laut und zornig und die Rassel am Hoftor erklang. Regine fuhr zusammen und rief: »Er kommt!« Doch im nächsten Augenblick faßte sie ängstlich den Arm des Gatten. »Weckt die Leute.«

Der Pfarrer ergriff den Hut. »Ich sehe, bevor ich öffne«, tröstete er.

Regine eilte ihm nach bis auf die Hausschwelle. Er schob den Riegel zurück, die Pforte sprang auf, niemand war im Eingang zu sehen. Doch zur Seite im Schatten des Zaunes kauerten zwei dunkle Gestalten, und eine Knabenstimme fragte leise: »Wohnt hier jemand, der einst zu Alt-Rosen gehört hat?«

»Ich bin's, Knabe«, schrie Regine und sprang an das Tor. Der Knabe trat heran, ein Bündel in den Armen; ihm folgte ein Mann, den Hut tief in die Augen gedrückt. Der Fremde sah vorsichtig hinter sich und schloß das Tor, dann nahm er den Hut ab, und im Mondlicht erkannte Regine das gefurchte Antlitz eines alten Freundes.

»Wir bringen der Schwester das Erbteil, welches ihr Bruder auf Erden zurückließ. Der Rittmeister und sein Weib sind dahin, ich denke, es war die letzte Kugel, welche sie traf, als der Friede eingeläutet wurde. Was der Knabe im Arm hält, trugen wir vom Riesengebirge heran, eine Frau des Trosses, die ihm Nahrung gab, der Knabe und ich.«

Regine stand regungslos und ihr Gatte sagte, sie festhaltend: »Tretet in das Haus!« – Der Alte schüttelte den Kopf. »In diesem Lande bringt es den Leuten Unglück, uns zu beherbergen. Wir ziehen bei Nacht weiter dahin, wo uns niemand kennt. Denkt insgeheim der Toten und der Lebenden.« Gottlieb winkte grüßend mit der Hand, öffnete die Pforte, und sein eiliger Schritt verklang auf der leeren Straße. Der Knabe trug seine Bürde hinter der wankenden Pfarrerin in die Stube und legte sie auf einen Stuhl. »Der Feldprediger hat es getauft, es heißt, wie mein Herr hieß«, sagte er und wandte sich zum Gehen.

»Du aber bleibst bei uns«, rief der Pfarrer.

Doch Pieps sah von der Schwelle stolz in die Stube zurück: »Ein Reiterjunge von Alt-Rosen wird kein Küster. Adjes! Ich werde manchmal nachsehen, wie es diesen geht.«

Er wies auf Regine, welche vor dem Kind kniete.


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