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Der Rittmeister von Alt-Rosen

1. Im Jahre 1647

Nahe der Heerstraße, welche von der Tauber zum Main führt, rastete an einem Nachmittage des Frühsommers eine Anzahl Bewaffneter auf niedrigem Hügel. Eine alte Linde gab den sonnengebräunten Männern dürftigen Schatten, die Hälfte des Baumes war durch Feuer zerstört und nackte Äste starrten zwischen dem Laube in die Luft, dennoch blühte der Baum, und würziger Duft mischte sich mit dem Brandgeruch, welcher aus der Niederung heraufzog.

Rings um den Hügel lagerte Kriegsvolk, und man übersah von der Höhe die Reihen der angepflöckten Pferde, kleine Laubschirme aus schnell zusammengetragenen Baumästen, dazwischen wenige Zelte und die Feuer, um welche sich Männer und Reiterbuben bewegten. Dick und wetterschwül war die Luft, sie drückte den Dampf der Feuer an der Erde dahin, und wenn zuweilen ein kurzer Windstoß den Rauch in Wolken emportrieb, dann verhüllte er die Reiterstandarten, welche im Boden steckten, und die Reihen der Pferde, dann ragten die Gestalten der berittenen Wachen, welche die Außenseite des Lagers umgaben, undeutlich aus der mißfarbigen Wolke, und man vernahm auf dem Hügel aus dem Dunst der Tiefe nur Geschrei der Buben, Wiehern der Rosse und gebietende Rufe.

Wer die Standarten musterte, sah, daß sie mehreren Reiterregimentern zugehörten, nur eine Kompanie Fußvolk lag dazwischen, und ihr großes gelbes Fahnentuch, gebleicht durch Sonne und Regen manches Feldzugs, hing, in den Knoten geschlagen, um die Stange. Dem Reiterhaufen fehlten die Karren und das Gesinde seines Trosses. Im Rücken des Haufens zogen sich dichtbelaubte Höhen auf beiden Seiten des Weges nordwärts, und die rastende Schar war nur eine Nachhut, welche anderen Teilen des Heeres ihren Marsch durch den langen Engpaß gegen einen Feind decken sollte, der südwärts von der Tauber her erwartet wurde.

Anderes freilich mußte einen Kriegsmann befremden. Es waren ausgewetterte Soldaten, welche um den Hügel lagerten, narbige, gefurchte Gesichter mit trotzigen Augen, viele mit grauem Haar, in ihren Bewegungen sicher und bedächtig, untereinander schweigsam und von stolzer Haltung, Leute, die auch ohne Befehl zu tun wußten, was die Stunde verlangt; aber nur spärlich waren neben den zahlreichen Kornetten die Trompeter zu sehen, welche doch sonst in jeder Kompanie als vertraute Boten der Offiziere bei den Feldzeichen lagen. In den Reihen der Rosse und Feuerstellen vernahm man nicht die kräftigen Worte der Unteroffiziere, welche anderswo überall die Ordnung des Lagers mit vielem Fluchen und Sausen ihrer Stöcke aufrechterhalten mußten. Auch der Hügel in der Mitte, der das Hauptquartier vorstellte, war nicht durch Wachen von dem Volke geschieden, wie Lagerbrauch war; zwanglos und ohne Scheu verkehrten die gemeinen Reiter mit den Herren auf der Höhe, sie riefen im Vorbeigehen hinauf und lachten über einen launigen Zuruf, der ihnen von oben gegönnt wurde. Und die Befehlshaber selbst glichen nicht in allem den Offizieren, wie sich diese in anderen Heerhaufen darstellten. Bei den meisten erwies nur die große Feldbinde, daß sie Rang und Amt hatten, aber Samt und Seide, goldene Tressen und wallende Federn auf den Hüten waren selten zu erblicken; die Männer lagen im Grase, rauchten aus kurzen Tonpfeifen, spielten mit Würfeln, und einer besserte gar eigenhändig am schadhaften Wams, das er sich ausgezogen hatte. Die Mehrzahl schien von demselben Schlage wie die Soldaten, ein Geschlecht alter harter Kriegsgurgeln, dem der Dienst vieler Jahre anzusehen war. Nur ein jüngerer Mann befand sich unter ihnen mit neuer seidener Feldbinde und silbernem Ringkragen. Dieser, ein stämmiger Herr, saß auf einem Stein in der Mitte, er hatte ein breites Angesicht und große, gescheite Augen, welche in unablässiger Bewegung über die Begleiter, das Lager und die Landschaft flogen. Die weißen Straußenfedern auf seinem Hut kündigten den obersten Befehlshaber an.

Ein kleiner Trupp kam in scharfem Trabe auf der Landstraße heran und hielt außerhalb des Lagers, ein einzelner Reiter sprengte durch die Lagergasse dem Hügel zu.

Der Feldoberst trat dem Ankommenden entgegen und rief mit guter Laune: » Maecenas, atavis edite regibus!

O Bernhard, aus der König altem Haus,
Entsprossen, du mein Schutz und Augenschmaus,

was bringst du Neues?«

Der Angeredete sprang vom Pferde, eine schlanke Kriegergestalt mit scharfen blauen Augen, gebräunten Wangen und schwedischem Knebelbart, dem die braunen Locken bis auf den Halskragen herabhingen: »Marschall Turenne hat einen Offizier mit Trompeter gesandt, welcher an den Kriegsrat dieses Schreiben überbringt.«

Die Miene des Befehlshabers wurde finster. »Hofft der Franzose immer noch, durch Briefe und Boten die weimarischen Regimenter in seinen Dienst zurückzuzwingen?« rief er laut. Unter den Offizieren auf der Höhe entstand eine Bewegung, sie sprangen empor und umringten den Anführer, welcher das Schreiben öffnete: »Marschall Turenne verheißt zum drittenmal Verzeihung und Amnestie, wenn wir reuig zurückkehren und uns aufs neue dem König von Frankreich zuschwören.« Er hob den Brief in die Höhe. »Es steht kein Wort darin, daß er unser verbrieftes Recht anerkennen will, uns nur in deutschen Landen zu gebrauchen und nur für die Sache des Evangeliums.«

»Ich warne euch, ihr Herren,« rief ein alter Offizier aus dem Gefolge, »daß ihr der Redlichkeit des Franzosen jetzt weniger traut als zuvor; der Wolf wird um so bissiger, je mehr ihn hungert. Schon einmal, als er Amnestie verhieß, hat er gleich darauf Reiter von uns, die in seine Gewalt fielen, auf die Folter gespannt, damit sie gegen uns aussagten. Dieselbe schwarze Treulosigkeit wird er auch jetzt gegen unsere Völker beweisen und vor allem gegen die Befehlshaber.«

»Wer ist sein Bote, Rittmeister König?« fragte der Feldoberst.

»Der Junker Reinbold, welcher unter dem Marschall meine Kompanie führte,« meldete der Befragte, »es war ein seltsames Wiedersehen.«

»Wir zerreißen den Brief,« rief ein anderer, »und dem schurkischen Boten, der seine Kompanie um des Franzosen willen verlassen hat, zerbrechen wir den Degen und jagen ihn mit blutigem Rücken von dannen.« Der General vernahm beifällig den Ausbruch des Zornes: »Dennoch rate ich,« entschied er, »daß wir dem Marschall nach Kriegsbrauch antworten und seinen Boten ehrlicher behandeln, als er verdient. Dem Rittmeister vom Regiment Alt-Rosen befehle ich die Aufsicht. Geleitet den Abgesandten herein.« Und näher zu dem Angeredeten tretend, setzte er hinzu: »Hindere ihn, mit den Gemeinen zu schwatzen. Wie gebärdet er sich?«

»Er faucht wie ein Marder, und es wird ihm schwer, die Höflichkeit zu bewahren.«

Der Rittmeister sprengte zurück zur Lagerwache, während der General, den sich die empörten Regimenter aus ihren Reihen selbstwillig erwählt hatten, mit den Offizieren beriet. Kurz darauf ritt der Bote des Marschalls mit seinem Begleiter durch die Lagergasse. Er war ein junger Edelmann von entschlossenem Wesen, und sein Gesicht wäre hübsch gewesen, bis auf den unsteten, wilden Blick der Augen, hätte nicht das wüste Lagerleben ihm vor der Zeit Furchen eingegraben. Er sah hochmütig über die düstern und feindseligen Mienen der Reiter, welche herandrängten, um den wohlbekannten Mann zu betrachten. Als er am Fuß des Hügels abgestiegen war, verbeugte er sich mit höhnender Artigkeit gegen den Feldobersten, dieser aber schnitt ihm die Anrede ab, indem er, an seinen Hut rührend, im Tone ruhigen Befehls sagte: »Das Schreiben des Marschalls Turenne ist mir übergeben, Ihr werdet hier die Antwort des Kriegsrats erwarten.« – Dabei wandte er dem Boten den Rücken und schritt mit seinem Gefolge dem Zelte zu, welches in einiger Entfernung eilig aufgeschlagen wurde.

»Alle Teufel!« rief Reinbold spöttisch, »Wilhelm Hempel aus Weimar trägt seine Plumage so stolz wie vorzeiten Saul, der vom Eseltreiber zum König avancierte. Ich bin ihm dankbar, daß er geruht hat, gerade Euch zu meinem Hüter zu bestellen, Monsieur König, der Ihr mein Fähnrich wart.«

Bernhard antwortete ernst: »Zwingt mich nicht, Euch zu zeigen, daß Ihr jetzt mir zu gehorchen habt.«

»Verzeiht,« versetzte der andere, »Eure junge Würde als Rittmeister in Ehren; ich bin die verkehrte Welt nicht gewöhnt wie Ihr. Bah! Was weiter? Ihr seid auf Fortunas Rade in die Höhe gestiegen und ich bin herabgeschwenkt. Das ist der Welt Lauf.« Er rief einen Vorübergehenden an: »Gottlieb Stange, du hast ein Pferd und Beutegeld bei uns zurückgelassen, wir heben's dir auf, bis du wiederkommst.«

Bernhard griff an den Degen: »Ich warne Euch, daß Ihr zu niemandem aus dem Volke redet, sonst wird Euch Eure Ambassade nicht vor einem Stich in die Kehle schützen.«

Der Angerufene war stehengeblieben, ein alter Kriegsmann mit großem Schnauzbart, grauen, scharfen Augen und hagerem Angesicht, der schon unter Gustav Adolf als Kanonier gedient hatte und jetzt die Stelle eines Leutnants versah, er war ein Liebling des Heeres, wegen harter Tapferkeit, und weil er über viele Dinge seine eigenen Gedanken hatte.

»Ob ich Gott lieb bin, werdet Ihr am wenigsten wissen, Junker von Reinbold,« antwortete er, »denn Eure Bekanntschaften im Himmel sind mir sehr zweifelhaft. Wenn ich Euch wie einem Gaste Rede stehen soll, so verlange ich vor allem als Leutnant Stange ästimiert zu werden, denn ich trage meine Feldbinde mit mehr Recht, als Ihr die Eure. Mir traben die Reiter nach, wenn ich sie kommandiere, Euch aber nicht.«

»Da habt Ihr Euren Bescheid«, sagte Bernhard.

Reinbold nickte gleichgültig: »Ihr haltet Eure Leute in strenger Zucht, das merkten wir auf dem Wege hierher, bei jeder Raststelle sahen wir arme Sünder, die Ihr als Eicheln an die Bäume gehängt habt. Wollt Ihr alle hängen, die Euer Abzug reuen wird, so werdet Ihr zuletzt die Regimenter aus der Luft zusammenblasen müssen. – Ist bei euch auch der Trunk verboten? Sonst war es guter Brauch, einem alten Kameraden die Kanne nicht zu versagen.«

»Wollt Ihr Eure Zunge hüten und Euren Zorn bändigen,« antwortete Bernhard, »so soll die Kanne nicht fehlen, obwohl unser Wein zur Neige geht.« Er winkte einem Knecht und bot dem Gesandten Sitz und Becher. Vor der vollen Kanne fuhr Reinbold vertraulicher fort: »Du tust Unrecht, Bruder, aus dem Weinlande nordwärts zu reiten, für uns Verlassene ist jetzt Wein der einzige Trost in unserem betrübten Witwerstande.«

»Dann wundert mich, daß Ihr und Euer Marschall uns nachzieht, über den Rhein, den Neckar, die Tauber bis zum Main.«

»Marschall Turenne sucht und reitet nach seinem verlorenen Glück. Der König von Frankreich hat nirgend Soldaten gleich den acht Regimentern, welche Ihr ihm entführt habt.«

»Wir hörten zuweilen den welschen Hahn in unserem Rücken krähen«, versetzte Bernhard. »Wie vertragt Ihr Euch mit den Franzosen?«

»Wie Hund und Katze, um die Wahrheit zu sagen. Zuerst hat uns der Franzose schöne Worte und hohe Versprechungen eingeschenkt, solange er euch an unseren Feldbinden festzuhalten hoffte; jetzt macht er uns bereits den Trunk sauer durch seine Mienen; und mit seinen Günstlingen, den Laffen aus Paris, gibt es täglich Tänze hinter der Mauer, die mit blutigem Hinfallen enden. Viele von uns denken daran, die Pferde zu satteln und von den Franzosen abzureiten.«

»Kommt zu uns zurück,« mahnte Bernhard, »noch ist es Zeit.«

»Wollt Ihr mir meine Kompanie zurückgeben?« fragte der Abgesandte schnell; »und wollt Ihr wieder Fähnrich unter mir werden?«

»Ich bin's zufrieden,« entgegnete der Befragte, »wenn Ihr Euch durch denselben Eid bindet, den wir untereinander geschworen haben, und wenn die Kompanie, welche Ihr den Fremden zu verkaufen dachtet, Euch zurücknimmt.«

»Also, wenn Wasser den Berg hinauffließt,« lachte der Gesandte, »seid bedankt für die gute Meinung. Doch sage, Bruder, wohin will dein Kriegsfürst Hempel die Völker führen?«

»Das fragt ihn selbst.«

»Ich denke doch, Bernhard, du bist sein Vertrauter?« forschte der andere mit treuherziger Miene.

»Wäre ich's, so dürftet Ihr von mir zuletzt Bescheid erwarten.« – Reinbold aber fuhr fort: »In Hessen und in Westfalen findet ihr die Betten belegt. Da ihr von den Kaiserlichen ab nordwärts reitet, so denke ich, es zieht euch zu dem Schweden und zu den thüringischen Klößen.«

»Ihr selbst seid ein Thüringer?« fragte Bernhard ablenkend.

»Vom Rande des Waldes. Geratet Ihr dorthin, so gebe ich Euch Grüße mit an einen alten Schatz.«

»Erst muß ich wissen, ob ich auch guten Willkommen finde, wenn ich Eure Grüße ausrichte«, antwortete Bernhard.

Der Fremde verzog den Mund. »Vielleicht wird sie Euch freundlicher ansehen, wenn Ihr erzählt, daß Ihr mich zum Rittmeister ohne Kompanie und zum Junker Habenichts gemacht habt.« Er trank hastig aus: »Doch sage ich dir, Bruder, manches Weib hat seitdem an meinem Halse gelegen, aber die Dirne vom Walde kann ich nicht vergessen. Wachend und im Traume sehe ich sie vor mir, zuweilen mit geballter Faust, zuweilen mit lachendem Munde; mir sträubt sich das Haar, und mich packt die Begierde, ihrer Herr zu werden oder sie zu erstechen. – Hoscha! Still! Trinken wir eins auf Euer Wohl bis dahin, wo mir Euer Wehe nötig wird zum eignen Glück.«

Bernhard stieß das Glas weg: »Trinkt allein zu so widerwärtigem Wunsch.«

»Noch sind wir ja gute Freunde«, versicherte der Fremde. »Und wenn ich so neben dir sitze, fällt mir aufs Gewissen, daß du zu deiner Zeit ein ehrlicher Kamerad gewesen bist, vor allem damals, als du mich aus Lamboys Dragonern heraushiebst. Trink, Bruder, scheiden wir voneinander mit heilen Gliedern, dann setze ich mich auf einen Stein und blase drei Federn in die Luft, eine für die Landgräfin von Hessen, die andere für den Schweden, die dritte für den Kaiser, und die am höchsten fliegt, der reite ich nach. Es kann wohl sein, daß mir eine Feder, die ich in der Luft vor mir sehe, zum Kaiser nach Böhmen winkt.« – Er schwieg eine Weile, hob drohend die Faust und fuhr leise fort: »Kommt eine dorthin, die ich kenne, so biete ich ihr den Willkommen.« – Er lachte wieder. »Laß mein Glas nicht leer stehen, meine Pflicht ist, euch zu schädigen, wo ich kann, darum will ich vor allem euren Wein austrinken.«

»Holla, Pyritzer!« unterbrach Bernhard, einen Offizier anrufend: »Was hat Euch mein Bube getan, daß Ihr ihn gefesselt heranführt?«

Der Angerufene ritt näher, neben dem Pferde lief ein Knabe mit geschnürten Händen, durch einen Riemen am Sattel festgebunden. Es war ein Reiterbube von etwa zwölf Jahren, doch ungewöhnlich klein für sein Alter, als Junge eines angesehenen Offiziers trug er gute Kleider, aber sein Wämschen war beschmutzt und zerrissen; es war auch kein schönes Kind, das bleiche Gesicht mit Sommersprossen bedeckt, das rötliche Haar kurzgeschoren, große Nase, großer Mund und ein Zug von Verschlagenheit in dem jungen Gesicht, der verriet, daß der Kleine über seine Jahre gewitzigt war.

»Ich wollte die Range dem Rumormeister übergeben, sie hat sich in mein Zelt geschlichen, und ich traf sie über meiner Feldflasche. Der Teufel muß ihr geholfen haben einzudringen, denn unsere Knechte und Buben lagen rings um das Zelt.«

»Wie, Pieps, du machst deinem Herrn die Schande, im Lager zu mausen?« rief Bernhard zornig.

»Es geschah nicht wegen des Branntweins,« entschuldigte sich Pieps, »nur wegen der Ehre. Die Reiterbuben von Taupadel verhöhnen mich, weil ich auf die Bank steige, wenn ich das Pferd striegle. Da kroch ich zwischen ihnen durch, um zu zeigen, daß Alt-Rosen mehr versteht als sie.«

»Überlaßt mir den Buben zur Bestrafung,« ersuchte Bernhard, »und wenn Ihr mir Eure freundliche Gewogenheit erweisen wollt, so gestattet, daß ich Euch als Ersatz für den verdorbenen Trank die letzten Flaschen von diesem hier in das Zelt sende.« Er bot ihm den Becher.

»Ich fürchte, Herr,« sagte der Offizier, den Knaben losbindend, »der Junge wird der ärgste Taugenichts im Troß. Er ist im ganzen Lager beleumdet.«

»Ich wundere mich, Bruder,« warf Reinbold dazwischen, »daß du das garstige Krötlein als deinen Läufer unterhältst, mache es zum gemeinen Buben.«

»Ich fand ihn in der ersten Woche, als ich zum Heere kam, neben seiner Mutter an der Landstraße liegen. Die Mutter war tot, das Kind kam zum Leben und wuchs bei den Pferden auf, soweit es vermochte.«

Der Pyritzer, ein bedächtiger Pommer, gab den Becher dankend zurück, hielt im Abreiten noch einmal an und begann vertraulich: »Ihr seid von den Gelehrten, Herr Kamerad, wißt Ihr mir den Traum zu deuten, den ich heute nacht hatte? Ich saß als Schultheiß auf dem Hofe meines Vaters, und hinter mir blökte die Herde. Im Traumbuch finde ich nichts darüber. Das Schaf ist ein seltsames Vieh geworden zwischen Rheinstrom und Oder, wer jetzt Herden scheren will, der muß die Wolle von den Wölfen schneiden. Darum möchte ich wissen, hat dieser Traum eine Bedeutung, und welche Bedeutung hat er?«

»Vielleicht wird er einst zur Wahrheit, Ihr erlebt den Frieden und die Herde.«

Der Pyritzer schüttelte zweifelnd den Kopf: »Der Schulzenhof ist abgebrannt, und die Hammel sind aufgegessen. Meint Ihr, daß mir bestimmt ist, den Hof wieder aufzubauen?«

»Wenn Friede wird, will ich Euch darauf Antwort geben«, antwortete Bernhard lachend.

»Mir für mein Teil liegt wenig am Frieden,« sagte Reinbold, »mir hat eine Zigeunerin prophezeit, daß ich um keine Kugel zu sorgen habe, bevor die Kirchenglocken den Frieden einläuten.«

»Setze dich unter das Pferd,« gebot Bernhard dem Knaben, »bis ich dich stripsen lasse.« Pieps tauchte ergeben in die unrühmliche Sperre zwischen den Pferdebeinen; das Pferd, an diese Mitwirkung zur Disziplin gewöhnt, neigte den Kopf zu dem Übeltäter herab, und Pieps streichelte den Pferdehals aus der Tiefe, worauf er sofort einigen Troßjungen, welche lachend auf ihn wiesen, durch wortlosen Gebrauch seiner Zunge Mißachtung ausdrückte und dieselbe Gebärde dem Abgesandten zuwendete, als dieser ihm den Rücken kehrte.

Der General kam mit seinem Gefolge aus dem Zelte heran. »Empfangt hier die Antwort gegen das Schreiben Eures Marschalls. Der Rat hat abgelehnt, auf das Angebot einzugehen. Euch aber mahnen wir daran, daß Ihr als deutscher Offizier zu Euren Fahnen gehört.«

»Umgekehrt! hochmächtiger Herr Kriegsoberst«, antwortete Reinbold, sich verneigend. »Wir in unserem Quartier sind des Glaubens, daß die Reiter zu ihren Offizieren gehören, und ich hoffe, mancher von denen, die hier im Kreise drängen, wird sich noch daran erinnern.«

»Darüber sollt Ihr sogleich Sicherheit erhalten«, antwortete der General und rief mit heller Stimme in den Haufen, welcher den Fremden umstand: »Der Marschall Turenne bietet euch Pardon und zwei Monate Sold, wenn ihr zur Stelle zurückkehrt und euch dem Könige von Frankreich aufs neue verpflichtet. Antwortet, deutsche Soldaten, wollt ihr das oder nicht?«

Es wogte und murmelte in dem Haufen, dann erhob sich ein lautes Geschrei: »Wir wollen nicht!« Wilde Stimmen riefen: »Eher reißen wir das Fahnentuch von den Stangen und laufen nach allen Winden.« Und ein alter Reiter trat vor den Abgesandten und rief: »Sagt Eurem Marschall auf seinen Gruß die letzte Antwort: Wenn einer unter uns auch nur ein französisches Haar auf dem Kopfe trüge, wir würden es ihm ausreißen.«

»Wahre du selbst deinen Schopf,« rief der Abgesandte dagegen, »daß deine Haare nicht am dürren Baume hängenbleiben, wenn wir dich behandeln, wie einem Verräter gebührt.« – Im Haufen erhob sich Tumult, die Waffen blitzten und viele Rufe erschollen: »Nieder mit ihm!«

Der General trat rasch vor den Gefährdeten und gebot: »Hinweg! Führt ihn mit sicherer Bedeckung bis zum nächsten Kreuzweg.«

»Ich danke dem Herrn Kriegsobersten für die gnädige Entlassung,« entgegnete der Gesandte zornig, »und bitte zum Abschiede nur noch um die Erlaubnis, meiner eigenen Kompanie einen Gruß zu bestellen.« – Er warf seinen Handschuh vor Bernhards Füße. »Ihr, Fähnrich König, reitet in meinen Stiefeln, die Ihr mir gestohlen. Von zwei Rittmeistern bei demselben Kornett ist einer zu viel. Laßt uns zur Stelle entscheiden, wem das Fähnlein gehören soll.«

Bernhard hob den Handschuh auf.

»Ich verbiete den Kampf,« befahl der General, »der Franzose soll nicht sagen, daß wir seinen Gesandten auf die Erde gelegt haben, bevor er unsere Antwort zurücktrug.«

»Ich preise die Vorsicht des Herrn«, antwortete der Gesandte.

»Geduldet Euch, Herr,« sagte Bernhard, »treffen wir uns wieder, so will ich Euch Eures Ranges entledigen. Aufgesessen und fort!«

Die Reiter warfen sich auf die Pferde, den Gesandten umschloß die Zeltwache; so stoben sie ins Freie, die beiden, welche Todfeinde geworden waren, schweigend nebeneinander. Am Kreuzwege hielt der Trupp, die Gegner wechselten höflichen Gruß und rührten an ihre Degen, der Fremde trabte von dannen.

Als Bernhard zu seinem Befehlshaber zurückkehrte und die Meldung machte, setzte er hinzu: »Er wird nicht weit reiten, bis er Genossen findet; denn während er hier seinen Groll verbiß, flogen ihm die Augen lauernd über den Weg, zumal nach jenem Hügel, als ob er dort etwas erwarte. Auch verriet er sich, daß Turenne bis über die Tauber unseren Völkern nachgegangen sei. Ich denke, der Marschall selbst ist in der Nähe.«

Aus der Ferne jagten die Feldwachen heran.

»Dort kommt Botschaft,« rief der Befehlshaber, auf die Flüchtigen weisend, »blase, Trompeter! Zu Pferde, ihr Herren!«

Von einer Anhöhe zur rechten Seite dröhnte ein Schuß. Eine Stückkugel schlug gegen den Stein, auf welchem kurz vorher der General gesessen; ein zweiter, ein dritter Schuß krachte, die Rosse bäumten, die Männer rannten zu ihren Standarten.

»Marschall Turenne spricht,« rief der Feldoberst, »er gedachte uns durch den Gesandten sicher zu machen und ließ unterdes seine Stücke hinaufzerren.« Die Ordres flogen zu den Regimentern: »Die gelben Musketiere und Rosen-Dragoner gegen die Geschütze, Alt-Rosen dahinter als Sukkurs. Rittmeister König hat den Befehl des rechten Flügels. Regiment Taupadel gedeckt in Reserve. Unser Feldgeschrei soll sein: Hie Teutschland!« – Das Geschrei summte von Beritt zu Beritt. Noch einen langen Blick warf Bernhard auf die geschwungenen Linien der Hügellandschaft, dann grüßte er den Freund, der die Hand nach ihm ausstreckte, und trabte an der Spitze seiner Schar vom Wege ab.

Den Musketieren und abgesessenen Dragonern gelang es, sich gedeckt den Geschützen zu nähern und diese zur Abfahrt zu zwingen, doch als sie aus der Deckung, welche ihnen das Buschholz gab, heraustraten, ritten die französischen Kompanien gegen sie.

Sie aber ballten sich zu einem Igel, aus den heiseren Kehlen drang der Schlachtruf, der bis dahin nur selten gehört war, und aus den Rohren fuhren feurige Strahlen gegen die Feinde. Im nächsten Augenblick waren die französischen Reiter über ihnen und der wütende Kampf Mann gegen Mann begann. Da flogen die Kompanien von Alt-Rosen zur Hilfe, allen voran, Schwert und Pistole in beiden Fäusten, der junge Rittmeister, und in dem Gedränge der Pferde taten Pistolen und Schwerter ihr blutiges Werk.

»Holt Euch die Kompanie, Reinbold«, schrie Bernhard, auf seinen Feind einstürmend, und schlug mit ihm zusammen.

Hinter den französischen Regimentern hielt Vicomte Turenne selbst, noch zweimal sandte er neue Haufen in den Kampf, die gefährdeten Geschütze zu retten, auch der Rückhalt der Deutschen warf sich in das Getümmel. Doch die gehoffte Überraschung war den Franzosen mißlungen, kämpften die Haufen auch fast in gleicher Stärke, die Wucht der deutschen Veteranen erwies sich als mächtiger. Langsam wichen die Angreifer, gedeckt durch gut postiertes Fußvolk. Als die Trompete den Deutschen das Sammeln gebot und der General die Reihen entlang ritt, da riefen ihm die alten Reiter zu: »Hätten wir die anderen Regimenter zur Stelle gehabt, es wäre uns keiner entronnen, auch nicht der Marschall.«

Die Sonne sank abwärts. Die Reiter trieben ihre Gefangenen zusammen, durchsuchten die Taschen und verhandelten kameradschaftlich mit ihnen wegen der Lösung; wer aber einen Offizier gefangen, der freute sich des Gewinnes, den er aus Fortunas Glückstopf gezogen. Auf der Stätte des Kampfes wurde es still, nur hier und da ein Schuß aus erbeuteter Pistole, Rufe der Führer, Hilfeschrei und Gestöhn der Verwundeten.

Unterdes war die Kunde vom Kampfe dahin gedrungen, wo die Stärke des Heeres und der Troß durch den langen Engpaß zogen, dort erhob sich jetzt wirres Geschrei; die Regimenter an der Spitze hielten an und im Troß begann Getöse und Gewühl, Weiber und Kinder flatterten wie ein Volk Stare, welches durch einen Schuß erschreckt wird, wild auseinander. Die eine Hälfte drängte nach vorn, die andere strömte zurück, um den Regimentern, welche im Kampfe gewesen, nahe zu sein. Wagen und Karren wurden umgeworfen und stopften die Wege. Unter den Zankenden und Schreienden mühten sich die Rumormeister vergebens, mit geschwungenen Stöcken die Ordnung herzustellen, die Rückflut der Waffenlosen zu hindern. Als die Abenddämmerung sich über die Erde legte, breitete sich zwischen den Regimentern der Nachhut, die jetzt neugeordnet zum Aufbruch bereit standen, jauchzend, brüllend, klagend der Haufe ihrer Angehörigen über den Kampfplatz, sie drängten in die Reihen, schrien die Namen ihrer Zeltherren, klammerten sich an Schweif und Mähne der Pferde, schwangen sich in die Steigbügel, um ihre Liebsten zu umarmen und kletterten wohl gar dem Gaul des Vaters oder Gatten auf den Rücken. Scheltend und lachend suchten die Offiziere ihrer Herr zu werden, aber immer wieder mußten die Kompanien ihre Stelle wechseln, um die Reihen zu erhalten.

Über die Berge stieg der volle Mond, aus der Niederung hob sich der Nebeldunst; er kroch an dem Gelände entlang und verdeckte mit grauem Flor die Toten und Sterbenden, nur hie und da ragte ein blutloses Antlitz hervor oder der Leib eines getöteten Pferdes. Aber in dem Dampf, der sich ballte und zerfloß, huschten jetzt gleich Gespenstern die Weiber und Buben des Trosses. Sie suchten nach ihren Herren und Befreundeten, um sie auf Karren zu laden oder in einem Soldatengrabe zu bergen, und sie spähten nicht weniger eifrig nach liegenden Feinden, um sie zu berauben. Hier in Mondlicht und Nebel lautes Geschrei und Schluchzen, daneben scheues Geflüster und behende Arbeit der diebischen Finger.


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