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8. Die Rettung

Nach heißen Sonnentagen trieb der Nordwind dunkle Regenwolken über das Land. Regine blickte durch das Fenster auf ein glühendes Abendrot, welches am Horizont unter dem schwarzen Wolkendach wie eine ungeheure Feuersbrunst aufleuchtete. Auch das heitere Licht ihrer Lebenstage war geschwunden; die Angst war seit der letzten Nachricht, die der Lizentiat zutrug, so groß geworden, daß ihr verstörtes Wesen im Schlosse auffiel und die Herzogin ihr heut gütig geraten hatte, der Unpäßlichkeit nicht zu trotzen, sondern sich ruhig in der Kammer zu halten. Sie fuhr zusammen, als der alte Diener des Frauengemaches eintrat und ein Brieflein überreichte, welches ein Mann für sie am Tore abgegeben hatte. Sie las die Zeilen, ergriff ein Regentuch und stürzte hinaus. Auf dem Korridor vernahm sie hinter sich schnelle Tritte und die ängstliche Frage des Lizentiaten: »Was ist Euch zugestoßen?«

»Ich habe einen Gang vor«, antwortete Regine zitternd.

»Will mir die Jungfer nicht gestatten, sie zu begleiten?« bat Hermann. »Ihr seid ganz außer Euch.«

»Dürft Ihr versprechen, gegen jedermann zu schweigen,« sagte Regine in Hast, »so tut Ihr mir einen Gefallen, wenn Ihr mich zu der Schenke führt, welche draußen beim Gehölz am Fuße des Friedenssteines steht.«

»Der Ort ist übel beleumdet und eine Niederlage von schlechtem Gesindel. Wie dürft Ihr Euch dorthin wagen?«

»Ich muß«, rief Regine, das Tuch um sich ziehend, und ging an ihm vorüber.

»Doch nicht ohne Schutz; ich leide nicht, daß Ihr Euch allein der Gefahr aussetzt«, entschied Monsieur Hermann, ihr nachfolgend.

Schweigend eilten sie nebeneinander den Schloßberg hinab zu der wüsten Stelle im Freien, wo ein waghalsiger Schenkwirt einen hölzernen Bau aufgeschlagen hatte, bequem für die Landleute, welche zur Bauarbeit am Schlosse gefordert wurden, aber auch für fremdes streifendes Volk, dem die Torwache feindselig war.

Aus der Bretterhütte schallte das Stampfen der Gläser und das Geschrei Berauschter. Der Lizentiat führte das Mädchen einige Schritte vom Wege ab, wo eine Linde und umherstehendes Gesträuch vor neugierigen Augen deckte, und sagte ernsthaft: »Ihr dürft nicht dort hinein.«

Ein Mann in dunklem Mantel trat herzu und faßte Reginas Hand. »Hinweg!« rief Hermann und fuhr auf den Fremden los. Aber Regine bat mit gefalteten Händen: »Ich flehe Euch an, daß Ihr mich jetzt allein laßt.«

Der Lizentiat blickte erschrocken von dem verhüllten Mann auf das Mädchen. »Ich gehorche dem Wunsche der Jungfer und will die Zusammenkunft nicht stören,« sagte er, und bitterer Schmerz klang aus seinen Worten, »aber ich bleibe so nahe, daß Euer Ruf mich erreicht.«

Regine vermochte nur tonlos zu sagen: »Ich bin Euch auch dafür dankbar.«

Der Verhüllte zog sie tiefer in das Gehölz. Sie sah im Zwielicht das bleiche Antlitz und die zusammengezogenen Brauen des Bruders; sie hielt seine Hand fest und weinte darüber. »Wo ist sie?« fragte Bernhard hastig.

»Sie wird im Walddorfe bewacht.«

»Und wie steht ihre Sache?«

»Morgen soll sie in der Stadt peinlich verhört werden«, antwortete die Schwester, umschlang den Leib des Bruders und fühlte den Schrecken, der ihm durch die Glieder zuckte. Er strich ihr mit der Hand über das Haupt, ohne es zu wissen.

»Die Zeit ist kurz«, murmelte er. »Du bist geübt, für deinen Bruder zu beten; flehe heut zum letzten Male für ihn, und bitte, daß die Nacht finster sei.« Er ließ die Entsetzte los und trat an das Gehölz. Regine sah, daß sich die Zweige bewegten und glaubte das gefurchte Antlitz eines alten Bekannten zu erkennen. Leise verhandelten die Männer. Der andere entwich, und der Bruder trat wieder zu ihr. Jetzt küßte er sie auf die Stirn und sagte traurig: »Arme Schwester.«

»Bin ich Eure Schwester,« sagte Regine, das Haupt erhebend, »so laßt mich teilhaben an Euren Gedanken.«

»Fordere nicht zu wissen, was dich verderben könnte, du unschuldiges Kind. Eine, die wir kennen, ist zur Zauberin gemacht, und wer teil an ihr nimmt, den binden sie auf den Holzstoß. Wir aber sind gottselige Christen und wissen die Gemeinschaft mit allem Teufelswerk zu meiden. Vielleicht habe ich noch etwas Wertvolles in dem Hause der Zauberin versteckt, was ich herausholen möchte, bevor das Gericht mit gierigen Händen danach greift.«

»Sprecht nicht so zu mir, Bernhard«, flehte die Schwester. »Meint Ihr, daß meine Angst geringer wird, wenn Ihr Euch vor mir verstellt? Ich sehe durch die Maske und fühle das Grausen.«

»Graust dir vor der Zauberin?« fragte der Bruder mit rauher Stimme. »Sie war doch einst gütig gegen dich, und wir verdanken ihr die Rettung vor elendem Verderben.«

»Sie ist schwer angeklagt,« stammelte Regine, »und man sagt, es sei bewiesen, daß sie nächtliches Werk geübt habe, das nicht gottselig ist und das dem Teufel Macht über sie gibt.«

»Ich denke, sie hat bei Nacht Wurzeln gegraben, von denen die Leute glauben, daß sie kräftig sind, feindliche Kugeln abzulenken; und ich denke, sie hat die unheimliche Arbeit gewagt, um einen vor Gefahr zu schützen, der ihr lieb ist. War sie im Irrtum oder nicht, war sie in Sünde oder nicht, was, meinst du, soll der Mann tun, dem sie solche Gabe zugeteilt hat?«

»Von sich werfen soll er, was dem Bösen Macht über ihn geben kann«, rief Regine entsetzt.

»Ich aber sage dir, Mädchen, er bewahrt es an seinem Herzen, solange er lebt; nicht, weil er einen ehrlichen Soldatentod fürchtet, sondern weil das Weib, das er liebt, Leben und Seligkeit für ihn gewagt hat.«

Regine hielt sich an dem Stamme des Baumes fest, und das Haupt sank ihr auf die Brust, der Bruder rührte mit dem Finger darauf.

»Glaubst du, daß der Gott der Liebe, zu dem du so eifrig bittest, eine Menschenseele deshalb dem Teufel und der ewigen Verdammnis übergibt, weil sie sich, nicht aus Haß, sondern aus herzlicher guter Meinung unterwunden hat, aus dem Walde zu holen, was die Nachtgewalten nur ungern dem Menschen hergeben?«

»Ich bin gelehrt,« antwortete Regine leise, »daß es Sünde ist, an solche Geheimnisse zu rühren.«

»Und glaubst du, daß die Jungfrau im Walde schädliche Zauberei treibt und mit dem Bösen im Bunde steht?«

Regine erhob sich und sagte: »Nein!«

»Sei bedankt für dieses Wort«, rief Bernhard, und ein Strahl von Freude erhellte sein Angesicht. »So ziemt es der Schwester zu reden.« Er zog sie an sich und wiederholte: »Armes Kind! Für dich wird am härtesten zu tragen, was das Schicksal uns gefügt hat. Warst du auch zuweilen unzufrieden mit dem wilden Bruder, du hattest seither an seinem Herzen eine Stätte, wo du sicher ruhen konntest; wir beide kannten einander genau, und zwischen uns war festes Vertrauen. Jetzt stehst du in Gefahr, den Bruder zu verlieren; freundlos sollst du, zarte Blume, unter Fremden gedeihen; ja, wer mag dafür bürgen, ob meine Tat nicht auch dich beschädigt und ins Elend wirft? Das ist Gram und Bitterkeit, die ich zu anderer Not in diesen Angststunden fühle, und ich bitte dich, und ich bitte die lieben Eltern im Himmel, daß ihr mir verzeiht, wenn ich dich verlasse um einer anderen willen.«

Reginas Tränen fielen auf die Hand des Bruders, als sie die Hand küßte. »Sorgt nicht um mich«, bat sie. »Das Blümlein, welches Ihr genannt habt, steht unter Gottes Auge, geduldig in Regen und Sonnenschein, damit der Herr mit ihm tue nach seinem Gefallen. Könnt Ihr aber jetzt, wo Euch irdische Leidenschaft treibt, unserer Eltern im Himmel gedenken und Eurer Schwester auf Erden, die Euch liebt, so sorget auch, daß Ihr Euch nicht für immer von ihnen scheidet. Es ist fürchterlich, zu denken, daß die Jungfrau vom Walde ohne schweres Verschulden verurteilt werden kann durch falschen Glauben und durch die Blindheit ihrer Richter. Mein Bruder aber, wenn er dieses Urteil durch heimlichen Anschlag verhindern will, verfällt dem irdischen Richter ebenso wie jene. Der Teufel ist geschäftig, Bernhard, gegen solche, welche in stolzem Vermessen gegen Recht und Gesetz ankämpfen; ist auch die Jungfrau unschuldig, wer bürgt dafür, daß nicht Ihr zu einem schweren Verbrechen an Gott und den Menschen verlockt werdet, während Ihr sie mit Gewalt aus den Banden des Gesetzes lösen wollt?«

»Deiner Warnung gedenke ich,« antwortete der Bruder, »vielleicht bewahrt sie einen Schurken vor der Kugel, die ich ihm zugedacht. Rufst du aber das Gedächtnis unserer toten Eltern gegen mich an, so wisse, seit der Stunde, in der mein Bube mir die Trauerbotschaft zutrug, während ich hierher ritt in Angst und Wut, wie du sie niemals empfunden, habe auch ich Gesichte gehabt von seltsamer Art, und ich habe Stimmen gehört, weiß nicht, kamen sie vom Himmel oder anderswoher. In das eine Ohr schrie es mir: Sei treu bis über den Tod, und wenn die ganze Welt Untreue fordert; und in das andere Ohr schrie es: Deines Rosses letzter Sprung sei für den Genossen, der um deinetwillen in Not kam. Ist ihr der Pfahl beschieden, so sei er mir's auch, und würde ihr der Himmel verweigert, so soll meine Seele den Türsteher Petrus niemals um Einlaß bitten. Ich tue, was ich muß; und ich sage dir, Mädchen, wenn unsere Eltern noch lebten, die Mutter würde weinen wie du, der Vater aber würde sein Haupt heben, wie er zuweilen tat, und mich mit seinem Sprichwort begrüßen: Treue bewahren, ist jedem Pflicht, den Königen aber ist es Ehre.«

»Ich mahne nicht mehr, wo menschliche Warnung vergeblich ist«, sprach die Schwester, entsetzt über den Aufruhr seines Gemütes; »Ihr aber sollt nimmer vergessen, daß auch für mich das Sprichwort des Vaters gilt. Braucht Ihr in der Not ein treues Herz, so denkt meiner.«

»Liebe Schwester«, rief Bernhard und umschlang das Mädchen, welches er allein und schutzlos in der Wildnis dieser Welt zurücklassen sollte. An seiner Hand trat sie aus dem Baumschatten auf den Weg. Dort wies sie nach ihrem Begleiter vom Schlosse, der in einiger Entfernung stand, auch er mit finstern Gedanken beschäftigt. Noch einmal fühlte sie die Hand dessen, der ihr bis dahin Bruder und Vater gewesen war, auf ihrem Haupte, dann wich er in den Schatten zurück, und sie schritt eilig vorwärts, aber ihre Glieder bebten in unterdrücktem Schluchzen. Der Lizentiat ging schweigend neben ihr durch die Schloßpforte. Er sah beim Laternenlicht zwischen Mitgefühl und Groll die Qualen, mit denen sie rang, und verneigte sich auf dem Gange tief und förmlich zum Abschiede. Ach, er wäre trotz seiner Würde reuig vor ihr auf die Knie gefallen, hätte er den Jammer des armen Mädchens verstanden, welches jetzt alles verloren hatte, was ihr auf Erden lieb war, auch den teilnehmenden Freund im Fürstenschlosse.

Unter dem dunklen Wolkenhimmel sprühte der Regen und tobte der Sturm. Er dröhnte wie Wogenschwall an den Mauern des Fürstenschlosses, warf die Schornsteine von den Dächern der Stadt und schleuderte große Baumäste auf den Grund. Aus der Herberge nahe am Schlosse jagten zwei verhüllte Reiter auf der Landstraße dahin. Hinter dem ersten Dorfe gesellten sich zwei andere zu ihnen, nach der ersten Wegstunde war die Zahl bis zu einem ganzen Trupp herangewachsen, und zwischen sich führten sie ein Wagenhaus, aus starken Brettern gezimmert. Wenn eine Dorfwache in dem Brausen des Windes den Hufschlag und das Rasseln des reisigen Zuges hörte, der außerhalb des Zaunes dahinfuhr, so drückte sie den Hut über die Augen und sprach einen hilfreichen Spruch, um vom Heere des wilden Jägers verschont zu werden.

Am Eingange des Waldtals, wo ein steiler Fels bis zum Wege vorsprang, hielt der Haufe an und der Führer, ein hagerer Gesell, dessen Gesicht durch die herabgezogene Krempe des Hutes verborgen war, sah scharf in die Runde und gab die Befehle. »Ist der Funke dort hinten ein Licht des Dorfes, und brennt das Licht im Hause der Jungfrau?« fragte er eine kleine verhüllte Gestalt, die neben ihm ritt.

»Es kommt aus der Kammer eines kranken Dorfweibes«, antwortete der Kleine.

»Dann lenken wir hier über den Bach und meiden die Dorfgasse. Hinab, und suche die Furt! – Ruhig, Bruder«, mahnte er einen Gefährten, dessen Roß durch die Ungeduld des Reiters gestachelt wurde. »Willst du die Bauern vor scharfem Eisen bewahren, so müssen wir lautlos flattern wie Fledermäuse.« Unterdes glitt der Kleine vom Pferde und verschwand in der Finsternis. Als er nach einer Weile an seinem Tier heraufkletterte, gebot der Alte: »Voran und achte auf die Steine.« Die Reiter verließen den Weg, setzten vorsichtig über den geschwollenen Bach und zogen talauf längs der Berglehne, an welcher das einsame Haus stand.

»Ich denke, bei diesem Wetter schlafen die Wachen«, begann der Führer wieder. »Ich bringe das Eisen mit, welches die Türen geräuschlos öffnet. Schwinge dich über den Zaun, Bube, und sieh zu, auf welcher Streu du die Wächter findest. Sie müssen unter die Nebelkappe, bevor sie sich rühren; ein lauter Ruf könnte uns zwingen, dem ganzen Dorf ein heißes Ende zu machen.« Wieder hielt der Trupp in einiger Entfernung vom Hause, und wieder tauchte der Knabe vom Pferde hinab in die Schwärze der Nacht.

 

In der Stube lag auf dem Lehnstuhl ein bleiches Weib und starrte nach dem flackernden Schein der Lampe. »Zum letzten Male sehe ich dies Licht brennen. Klein ist der Funke, doch bald wird er ein großer Brand. Nur um Euretwillen tue ich es, geliebter Herr; den Leib, der Euch gehört, soll keine fremde Faust entblößen; ich selbst will mir den Richter suchen, der mehr Erbarmen hat, als die Menschen hier auf Erden. Die Nacht ist finster und lang; erkenne ich im Morgengrau die Fichte auf der Höhe, wo ich an seiner Seite stand, so will ich ihm Lebewohl sagen für immer. Wenn die Lohe aufsteigt, so hoffe ich, jagt der Wind sie abwärts vom Dorfe, damit die Wöchnerin mit ihrem Kinde nicht Schaden leide.

»In den ersten Tagen, nachdem sie mich in Haft gesetzt, flogen meine Gedanken unablässig zu ihm hin, und ich meinte, er müßte kommen, mich in die Arme schließen und über mir trauern, daß ich ausgestoßen und verflucht bin ohne Schuld. Jetzt träumt mir nicht mehr so. Es wird ihm gehen, wie den andern auch, sie werden ihm Übles von mir sagen, und er wird ihnen glauben. Ich möchte doch, daß ich ihm leid täte.

»Die Wächter riefen mir zu, daß die alte Ursel tot im Walde gefunden ist. Das war ein Glück für sie. Die Amseln sind von den Bauern erschossen, auch die Katze ist erschlagen, weil sie mir zugehörte. Einsam war mein Leben und einsam soll mein Ende sein.

»Von der Leinwand, die ich gesponnen und über die er sich gefreut, habe ich als letzte Arbeit zwei Hemden genäht. Eines trage ich auf dem Leibe für meine letzte Stunde, und das andere sollte er sich aufheben bis zu der Zeit, wo es ihm angezogen wird. Aber der Wunsch war eitel, niemand wird ihm mein Vermächtnis zutragen, denn es gibt keinen Boten mehr von mir zu ihm. Und wer weiß, ob nicht auch ihm davor graut, in meinem Gespinst bestattet zu werden.«

Sie sprang heftig auf, sah durch das Fenster zu der Tanne und faßte nach der Lampe. Ein Windstoß schlug an das Fenster, daß die Scheiben klirrten, und durch Sturm und Regen klang ein Geräusch wie von schnaubenden Pferden, Geflüster von Stimmen und das Knarren des Tores. Die Stubentür sprang auf, ein Mann stand auf der Schwelle. Sie hörte die Worte: »Gelobt sei Gott, daß ich Euch finde!« und fühlte sich von starken Armen umschlungen. Da klammerte sie sich fest an den Geliebten und schrie: »Noch nicht sterben!«

»Komm, Judith«, mahnte der Mann und zog sie nach der Tür.

»Wohin?« fragte sie wild. »Die Leute draußen weisen auf mich mit den Fingern, und Euch werden sie töten, wenn Ihr nicht von mir weicht. Hinweg von mir, Ihr seid bei einer Hexe!« Sie suchte sich ihm zu entwinden, aber sie sank wieder an seine Brust.

»Was die Hexerei angeht,« begütigte die Stimme Gottliebs hinter ihr, »so gibt es hier nur eine Hexe, die sogenannte Frau Venussin, sowie ihren Jungen, welcher den Hundenamen Amor führt. Und wenn Euch die Nachbarn hierzulande gehässig sind, so reitet davon. Wer vier starke Pferdebeine unter sich hat, dem steht die weite Welt offen, geht's nicht bei den Christen, so zieht er zu den Türken oder zu den Engländern, welche ich gleichfalls loben höre. Schaffe sie auf das Pferd, Bruder, denn dieser Ort ist ihr verleidet.«

»Er rät gut«, rief sie außer sich. »Hinweg ihr alle, damit ich das Haus anzünde.«

»Eile mit Weile!« tröstete Gottlieb. »Alt-Rosen ist niemals so leichtfertig, ein volles Haus abzusengen. Soll die Ausstattung der Frau Rittmeisterin verkohlen oder den Schreibern in die Hände fallen? Erst geräumt, dann gebrannt, ist Soldatenbrauch.« Und zu Bernhard tretend gebot er: »Erwarte uns im Walde, es ist nicht nötig, daß sie unserer Arbeit zusieht. – Vorwärts, Bube! Wo ist der Zugang zum Versteck? Sperre die Truhe auf und wirf in den Wagen, wie's kommt! Heran, Kameraden, schnelle Hände und scharfen Ausguck, denn der Morgen ist nahe.«

Im nächsten Augenblick jagten Bewaffnete, das Weib in der Mitte, dem Bergwald zu, um den Hof aber bewegten sich schweigsam geschäftige Plünderer, während zwei aus dem Haufen die geknebelten Wächter vorwärts stießen bis in das nahe Gehölz und dort an Bäumen festbanden. Auch der Wagen rollte von dannen, umritten von der reisigen Schar. Als letzter blieb Gottlieb mit dem Knaben im Hause zurück; beim Heraustreten schloß er die Tür und die Pforte des Zaunes. »Es ist der letzte Hof,« sagte er zurückblickend, »dem unser Regiment ein feuriges Ende bereitet. Nur eins tut mir leid, daß wir von dannen ziehen, ohne daß ich den Amtsschreiber in das Feuer geworfen habe. Doch hoffe ich, Satan holt sich seinen Braten.« Mit diesem Wunsche ritten sie davon. Hinter ihnen stiegen aus dem verlassenen Hause die Flammen auf, der Wind blies hilfreich in die Glut. Als die erwachten Dorfleute herzurannten, stand der ganze Bau in Flammen, und sie riefen vergebens nach den Wächtern.

Die fremden Reiter aber fuhren dahin über die Berge, durch Regen und Sturm, und zu dem Geheul der Luft und dem Brausen des Waldes schallte ihr wildes Holla ho! Der wilde Jäger entführte sich das Zauberweib. Die er mit trotzigem Sinne auf das Roß gehoben, hielt er fest, um sie gegen eine Welt von Feinden zu behaupten. Was tut's, ob der Ritt kurz oder lange währt? Wer sein Leben wagt, um geliebtem Leben die Treue zu erweisen, der hat zu aller Zeit das Recht, über die Rotte der Einfältigen und Schlechten hinwegzusetzen.

 

In dem Zimmer der Herzogin harrte der kleine Prinz mit dem Lizentiaten auf die Ankunft seines Herrn Vaters, denn es war die Stunde, wo der Herzog sich gern von dem Kleinen aufsagen ließ, was dieser gelernt hatte. Zu den Füßen der Herrin saß Regine über vielen Knäueln von bunter Wolle, wählte und reichte sie zur Stickerei. Aber ihre Seele war nicht bei der Arbeit, die Hände flogen in fieberhafter Hast; und da sie nicht aufzusehen wagte, bemerkte sie auch nicht, wie bekümmert der Lizentiat zu ihr hinsah.

Der Herzog ließ diesmal auf sich warten; als er endlich eintrat, begrüßte er seine Gemahlin und ging mit umwölkter Stirne auf und ab, ohne nach der Lektion des Prinzen zu fragen. »Das Haus der Zauberin ist niedergebrannt, und sie selbst ist wahrscheinlich in dem verschlossenen Bau von der Flamme verzehrt«, begann er endlich zur Herzogin. »Die Bauern aber sagen aus, der Teufel oder wilde Jäger habe sie entführt.« Die bunten Knäuel entrollten dem Schoße Reginas und kugelten auf den Fußboden. »Die Dorfleute wollen die schwarze Höllenschar leibhaftig gesehen haben, den wilden Jäger mit seiner Jagd, wie er das Weib auf dem Rosse hielt und mit ihr durch Flammen und Rauch in der Luft über die Berge fuhr. Es ist seltsam, daß so viele dasselbe gesehen, der eine mehr, der andere weniger; die Wächter behaupten, von dem höllischen Heer übel zerstoßen zu sein, doch fand man sie mit gewöhnlichen Stricken gebunden.«

»Die Dienerin der Angeklagten, welche entflohen war, hat man in den Bergen leblos gefunden; sie saß in einem Versteck, zu dem die Dorfleute bei Kriegsgefahr flüchten. Die Nahrungsmittel in ihrem Korbe waren unberührt, und die Leute behaupten, der Böse habe ihr den Hals umgedreht. Doch ist wunderlich, daß in ihrem Schoße das Gesangbuch lag und darin aufgeschlagen das Lied: Ein feste Burg. – Dergleichen ist in der Christenheit unerhört. Für mich aber wird es besonders schrecklich, denn ich konnte mich, was auch die Richter vorbrachten, noch nicht an den Gedanken gewöhnen, daß das Mädchen einen Bund mit dem Bösen gemacht habe.«

»Des Himmels Segen über Eure herzogliche Gnaden für diese gütigen Worte«, klang es leise neben dem Stuhl der Herzogin, wo Regine mit gefalteten Händen auf den Knien lag. Der Herzog sah von der Seite auf die Kniende und fuhr fort: »Nur der Jägermeister will nicht glauben, daß es höllische Geister waren, welche das Weib entführten; er wies mir weiter oben am Wege die Spuren vieler Pferdehufe; die Hufe hatten Eisen, und an dem einen fehlte ein Nagel.«

Er ging wieder nachdenklich auf und ab. »Auch aus der Stadt wird Wunderliches berichtet. Bei der Schmiedin Stange, deren Mann seit vielen Jahren verschwunden ist und unter das Kriegsvolk gelaufen sein soll, stand vor zwei Tagen plötzlich zur Zeit der Abenddämmerung in der Stube eine finstere Gestalt, welche sich als heimgekehrter Schmiedemeister gebärdete, und als das erschreckte Weib auf ihn zugehen wollte, dasselbe streng ermahnte, bis Mitternacht nicht mit ihm zu sprechen, sondern ihn ruhig schalten zu lassen, und gegen jedermann zu schweigen; dies werde ihr Glück sein; wenn sie aber spreche, ihr Verderben. Zur Bekräftigung scheint er Geld auf den Tisch gelegt zu haben, die Frau gibt nur einen Dukaten zu, doch mag es mehr sein. Während sie noch betäubt dasaß, ist er in die Schmiede gegangen, hat dort mit dem Werkzeug hantiert und auch das Feuer angeblasen. Plötzlich war er verschwunden und ist bis jetzt nicht wieder sichtbar geworden. Durch das späte Arbeiten in der Schmiede, die seither kalt war, entstand in der Nachbarschaft ein Argwohn, und da die Frau widerwillig blieb, Auskunft zu geben, wurde sie heut verhört und behauptete, es sei der Geist ihres Mannes gewesen. Wir haben wahrlich genug gegen die Bösen in dieser Welt zu kämpfen, solches Eindringen des Satans schafft neuen Schrecken und entsetzt die Gemüter.«

Er hielt vor Regine an. »Ihr, Jungfer Königin, habt selbst Bekanntschaft mit der Angeklagten Möring gehabt. Ich frage Euch auf Euer Gewissen: Haltet Ihr sie für eine schädliche Zauberin?«

»Nein!« rief Regine, »an ihren Werken sollt ihr sie erkennen, sie war gutherzig gegen jedermann und nicht auf eigenen Vorteil bedacht. Der Pfarrer dort ist alt, und in der Gemeinde leben Arglistige, welche ihr neidisch sind.«

»Sie ist beschuldigt, um Mitternacht im Walde teuflische Künste geübt zu haben und ein Zeuge sagt aus, daß der Teufel in Gestalt des wilden Jägers bei ihr gesehen worden.«

Regine rang die Hände. »Es war ein Mensch und ein redlicher Christ, denn, herzogliche Gnaden, es war mein Bruder.«

Der Herzog trat zurück. »Woher ist Euch das bewußt, Jungfer?« fragte er streng.

»Mein Bruder selbst hat es mir vertraut«, antwortete das Mädchen und fuhr, das Haupt erhebend, fort: »Was mir auch geschehen möge, ich kann es nicht ertragen, daß Eure herzogliche Gnaden durch die Aussagen der verwirrten und boshaften Leute getäuscht werden. Die Jungfrau vom Walde war meinem Bruder lieb geworden, und als er durch seinen Buben Kunde erhielt von der Todesgefahr, in welcher sie verstrickt saß, kam er heimlich mit bitterer Angst in Eurer Hoheit Land. Er ließ mich aus dem Schlosse zu sich fordern, und obwohl er mir seinen Entschluß bergen wollte, so erkannte ich doch, daß er auf eine Gewalttat in der nächsten Nacht sann. Auch war er nicht allein, er hatte einen treuen Kameraden, welcher denselben Namen führt, mit dem herzogliche Gnaden soeben die Schmiedefrau benannten. Dieser war im Heere bekannt als ein redlicher Mann, aber in allerlei Listen erfahren, und ich hoffe, diese beiden haben die Jungfrau weggeführt.«

»Ihr aber,« sprach der Herzog unwillig, »seid Mitwisserin geworden bei einer frechen Gewalttat, durch welche das Gericht gehindert und meine Autorität gekränkt wird, und Ihr selbst seid schuldig geworden vor dem Gesetz.«

Da begann der Lizentiat ehrerbietig: »Ist Jungfer Regine schuldig, so bin ich in derselben Schuld, denn ich habe sie vorgestern zu der geheimen Besprechung mit ihrem Bruder begleitet und wieder zurückgeführt, und ich habe mir in der Stille ähnliche Gedanken gemacht wie sie selbst, über eine natürliche Entführung ohne teuflische Künste. Und ich berge Eurer herzoglichen Gnaden nicht, daß ich trotz der entgegengesetzten Meinung hoher Geistlichkeit in meinem Herzen auch die Gesinnung der Jungfer Regine gegen die Angeklagte teile und der Überzeugung lebe, daß jene unschuldig ist. Ja, ich wage Eurer herzoglichen Gnaden frei herauszusagen, daß ich die ganze Prozedur wegen dieser sogenannten Hexerei für ungerecht, gewalttätig und nicht in frommer christlicher Lehre begründet halte.«

»Der Herr Lizentiat,« rief Regine zitternd, »ist unsträflich wie ein Engel in dieser Sache, denn er wußte nicht, zu wem er mich begleitete; er kannte den Bruder nicht, hatte ihn nie gesehen, und ich habe, um niemanden in Gefahr zu setzen, ihm nichts bekannt.«

»Ist es so, wie Ihr sagt,« begann der Herzog unzufrieden, »so wundert mich, daß Monsieur Hermann, den ich seither als vorsichtigen und mir ergebenen Diener betrachtet habe, sich dazu drängt, der Vertraute und Komplize in einer so widerwärtigen Angelegenheit zu werden.«

Die Herzogin, welche mit Teilnahme zugehört hatte, so daß sie auch die Stickerei in den Schoß legte, erhob jetzt die Augen zu ihrem Gemahl und sprach leise: »Mein geliebtes Herz wolle die beiden ansehen, sie sind sich einander gut.«

In dem ernsten Gesicht des Herrn malte sich ein unmäßiges Erstaunen, daß die, welche er für eine Verkündigerin gehalten, sich in solcher Weise als eine Liebhaberin enthüllte. Und zuerst wurde seine Miene noch finsterer. Aber als er die ehrlichen Gesichter der jungen Leute prüfend betrachtete, erhielt seine gütige Gesinnung allmählich die Oberhand, zumal er in seinem verwüsteten Lande gern behilflich war, gottselige Ehen zu stiften. Und obschon der hohe Ernst nicht von seinem Angesicht wich, so war sein Ton doch ohne Härte, als er gegen Regine begann: »Die Herzogin und ich haben Euch als einer Landfremden Unterkunft in unserem eigenen Hause bewilligt; und wiewohl wir an Euch, abgesehen von Euren Heimsuchungen, nichts Unebenes und Auffälliges bemerkten, so erweist sich doch auch Euch gegenüber die Regel eines fürstlichen Haushalts als richtig, daß ein Landesherr seine vertraute Umgebung am besten aus Angehörigen des eigenen Landes erwählt, deren Extraktion und Anhang ihm genau bekannt sind. Ihr aber seid durch Euren Bruder und dessen Verbindung mit einem Weibe, welches unter furchtbarer Anklage steht, in den Schatten eines Verdachtes gekommen, welcher in einem fürstlichen Haushalt ganz unleidlich ist, deshalb könnt Ihr nicht länger in dem Schlosse und in unserer Nähe Euren Aufenthalt finden.« Regine erhob sich schweigend und streifte die Wollfäden von ihrem Kleide; ihre Angst war geschwunden, sie stand mit gesenktem Haupt bereit zu gehen.

»Ich berge Euch nicht,« fuhr der Herzog fort, »daß durch den Schloßprediger auch Bedenken gegen das wenige, was mir von Euren Revelationen und Gesichten zugänglich wurde, erhoben sind, indem derselbe behauptet, daß darin eine ihm bereits anderweitig bekannte versifizierte Äußerung enthalten sei, welche von einem Jesuiten herrühre. Diesen Verdacht lasse ich billig auf sich beruhen, denn mir ist wohl bewußt, daß Ihr Euch sonst als eine treue Bekennerin evangelischer Lehre bewiesen habt. Und ich hoffe es vor meinem Gott zu verantworten, wenn ich in dem Wunsche, Euch vor Gefahr und Schaden zu bewahren, von dem, was Ihr mir heut im Vertrauen mitgeteilt, meinem Consistorio gegenüber keinerlei Gebrauch mache, zumal es mir eine herzliche Erleichterung ist, daß ich jetzt hoffen darf, die Angeklagte, welche sich durch die Flucht ihren Richtern entzogen hat, sei in Wahrheit nicht ewiger Verdammnis verfallen. Da Ihr selbst aber von hier scheiden müßt, so will ich Euch in guter Meinung fragen, wohin Ihr Eure Schritte zu wenden gedenkt?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete Regine ergeben, »ich bin jetzt allein, aber der Himmel wird mich nicht verlassen.« Sie neigte sich tief vor dem Herzog und kniete vor der Herzogin. »Ich danke in Ehrfurcht für alle Gnade, die ich hier gefunden.« Sie stand auf und wandte sich zum Gehen.

»Gestatten, herzogliche Gnaden,« sagte der Lizentiat schnell, »daß ich in hoher Gegenwart der Jungfer noch etwas weniges mitteile«; und zu Regine tretend, sprach er: »Der dritte Spruch, den ich damals getroffen, als ich die werte Jungfrau nach der Stadt holte, war aus dem Buch Ruth und er lautete: Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, und wo du bleibst, da bleibe ich auch, und dein Gott ist mein Gott.« Er stand neben ihr und hielt ihre Hand fest.

Durch den Schmerz Reginas fuhr ein heller Strahl der Freude, daß der Mann, dem sie von Herzen zugeneigt war, sich in dieser Stunde zu ihr bekannte, und sie sah ihn dankbar mit nassen Augen an. Aber gleich darauf zog sie die Hand zurück und sagte leise: »Ich darf niemanden unglücklich machen.« Doch der Lizentiat ließ sich nicht beirren und führte sie vor den Herzog.

»Herzogliche Gnaden sind zugleich ein Vater aller Waisen und der oberste Bischof in Ehesachen. Deshalb sei mir gestattet, daß ich an hoher Stelle meine Absicht erkläre, um die Zuneigung der lieben Jungfer Königin zu werben, und dieselbe, wenn sie mir ihre gute Gesinnung zuwenden kann, zu meinem ehelichen Gemahl zu machen. Unterdes bitte ich ehrfurchtsvoll um Erlaubnis, die Jungfer meiner Mutter zu bringen, welche nach allem, was sie durch mich vernommen hat, sich freuen wird, dieselbe aufzunehmen.«

»Ungern werden wir Euch aus unserer Mitte entlassen,« antwortete der Herzog, »da Ihr aber für diese fremde Waise in so feierlichen Worten mein hohes Amt angerufen und Euren Willen erklärt habt, mit der Jungfer Königin Freud und Leid zu teilen, so will ich mich Eurem Vorhaben nicht entgegensetzen, sondern wünschen und hoffen, daß Ihr im Verein mit dieser auf Erden mehr Freude als Leid genießen mögt.«

Er trat vor Regine und fuhr gütig fort: »Es war meine Absicht nicht und nicht die der Herzogin, Euch ohne Schutz den Zufällen des Lebens preiszugeben. Denn uns ist Eure Ergebenheit gegen uns besser bewußt, als Ihr selbst meint. Wollt Ihr diesen Mann als Euren Herrn anerkennen, so tretet Ihr unter gute evangelische Aufsicht, und Eure Seele wird wohl behütet sein. Und um Euch für guten Willen, den Ihr im Dienste der Herzogin, wenn auch nicht lange, doch mit Eifer, bewiesen habt, unsererseits den Rekompens zu gewähren, so werde ich Euch für den Lizentiaten Hermann eine Vokation in die nächste offene Pfarrstelle übergeben. Diese mögt Ihr ihm zubringen, falls Ihr ihn zu Eurem Herrn nehmt. Bis dahin bleibt er in meinem Dienst, Ihr aber im Hause seiner Mutter, und da Ihr keinen Familienanhang in meinem Lande habt, so wird die Herzogin seinerzeit Euch im Pfarrhause die Hochzeit ausrichten lassen.«


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