Anatole France
Thais
Anatole France

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Drittes Buch

Die Wolfsmilch

 

Erstes Kapitel.

Paphnucius war in die heilige Wüste zurückgekehrt. Er hatte bei Athribis das Schiff bestiegen, das den Nil hinauffuhr, um das Kloster des Abtes Serapion mit Lebensmitteln zu versehen. Als er landete, kamen ihm seine Jünger mit lebhaften Freudebezeigungen entgegen. Die einen hoben die Arme gen Himmel, die andern warfen sich auf den Boden und küßten die Sandalen des Abtes. Sie wußten bereits, was der Heilige in Alexandrien vollführt hatte, denn die Mönche erhielten sehr oft auf unbekannten, schnellen Wegen die Nachrichten, welche die Sicherheit oder den Ruhm der Kirche betrafen. Die Neuigkeiten durchliefen die Wüste mit der Schnelligkeit des Simuns.

Während Paphnucius im Sande weiterschritt, folgten ihm die Jünger, indem sie den Herrn priesen. Flavianus, der älteste der Brüder, fing, von frommer Begeisterung ergriffen, plötzlich an, ein ihm eingegebenes neues Lied zu singen:

»Glücklicher Tag! Siehe, unser Vater ist uns wiedergegeben! Er kehrt zu uns zurück, mit neuen Verdiensten geschmückt, deren Wert uns wird angerechnet werden! Denn die Tugenden des Vaters sind der 172 Reichtum der Kinder und die Heiligkeit des Abtes erfüllt alle Zellen mit Balsam.

Paphnucius, unser Vater, hat Jesu Christo eine neue Braut zugeführt. Er hat durch seine Wunderkraft ein schwarzes Lamm in ein weißes verwandelt. Darum kehrt er, mit neuen Verdiensten geschmückt, zu uns zurück.

Er gleicht der Biene der Arsinoïtis, die mit der Blumen Nektar beladen ist; er gleicht dem nubischen Widder, der die Last seiner reichen Wolle kaum tragen kann.

Laßt uns diesen Tag feiern, indem wir unsere Speisen mit Öl würzen!«

Als sie an die Schwelle der Abtszelle gekommen waren, warfen sie sich alle auf die Kniee und sagten:

»Möge unser Vater uns segnen und jedem von uns ein Maß Öl geben, um seine Rückkehr zu feiern!«

Nur Paul der Einfältige blieb aufrecht stehen und fragte: »Wer ist dieser Mann?« denn er erkannte Paphnucius nicht wieder. Aber niemand beachtete, was er sagte, weil man wußte, daß er des Verstandes entbehre, obwohl er sehr fromm war.

Der Abt von Antinoë sprach zu sich selbst, nachdem er sich in seine Zelle eingeschlossen hatte:

›So habe ich denn endlich die Stätte meiner Ruhe und meiner Glückseligkeit zurückgewonnen. Ich bin in die feste Burg meiner Zufriedenheit zurückgekehrt. Woher kommt es nun, daß dieses teure Schilfdach mich nicht als Freund empfängt und daß diese Mauern mir nicht zurufen: Sei willkommen! Nichts hat sich seit meinem Weggang in diesem auserwählten Heim 173 verändert. Hier stehen mein Tisch und mein Bett. Hier liegt der Mumienkopf, der mir so manches Mal heilsame Gedanken eingegeben, und hier das Buch, worin ich so oft die Bilder Gottes gesucht habe. Und doch finde ich nichts von dem wieder, das ich verlassen habe. Die Dinge erscheinen mir in betrübender Weise ihrer gewohnten Reize beraubt zu sein. Es kommt mir vor, als ob ich sie heute zum ersten Male sehe. Wenn ich diesen Tisch und dieses Lager, die ich einst mit eigenen Händen gezimmert, diesen schwarzen, ausgetrockneten Kopf, diese von Gottes Wort erfüllten Papyrusrollen betrachte, so glaube ich das Hausgeräte eines Toten zu sehen. Sie, die ich so gut kannte, erkenne ich nicht wieder. Ach! Da sich aber in Wirklichkeit nichts um mich her verändert hat, muß ich nicht mehr der sein, welcher ich war. Ich bin ein anderer geworden. Jener Tote war ich! Was ist aus ihm geworden, mein Gott? Was hat er mit sich fortgenommen? Was hat er mir zurückgelassen? Und wer bin ich?‹

Es beunruhigte ihn namentlich, daß er seine Zelle unwillkürlich klein fand, während sie, mit den Augen des Glaubens betrachtet, unendlich scheinen mußte, da die Unendlichkeit Gottes darin begann.

Er legte sich mit der Stirne auf den Boden und betete. Dadurch gewann er einige Freudigkeit zurück. Er hatte kaum eine Stunde also zugebracht, als ihm das Bild der Thaïs vor das geistige Auge trat, und er dankte Gott dafür:

›Jesus! Du sendest sie mir. Ich erkenne daran deine unendliche Güte: du willst, daß ich mich am 174 Anblick derjenigen weide und erheitere, die ich dir gegeben habe. Du führst mir ihr nunmehr entwaffnetes Lächeln, ihre fortan unschuldige Anmut, ihre Schönheit, der ich den Stachel entriß, vor Augen. Um mir wohlzutun, mein Gott, zeigst du sie mir so, wie ich sie zu deinem Wohlgefallen geschmückt und gereinigt habe, wie ein Freund seinem Freunde lächelnd das angenehme Geschenk in Erinnerung ruft, das er von ihm empfing. Darum schaue ich diese Frau mit Lust an, da ich weiß, daß du sie mir erscheinen läßt. Du hast die Güte, nicht zu vergessen, daß ich sie dir gegeben, mein Jesus! Behalte sie, da sie dir gefällt, und lasse keinenfalls zu, daß ihre Reize für andere glänzen, als für dich.‹

Er konnte die ganze Nacht nicht schlafen und sah Thaïs deutlicher, als er sie in der Nymphengrotte gesehen hatte. Er gab sich darüber Rechenschaft mit den Worten:

›Was ich getan, habe ich für Gottes Ruhm getan.‹

Aber zu seiner großen Verwunderung konnte er den Frieden des Herzens nicht finden. Er seufzte:

›Warum bist du traurig, meine Seele, und warum beunruhigst du mich?‹

Aber seine Seele blieb friedlos. Er verharrte dreißig Tage lang in diesem Zustand der Traurigkeit, welcher dem Einsiedler furchtbare Versuchungen anzukündigen pflegt. Das Bild der Thaïs verließ ihn weder tags noch nachts. Er verjagte es jedoch nicht, weil er noch immer glaubte, es komme von Gott und sei das Bild einer Heiligen. Eines Morgens aber erschien sie ihm im Traum, mit Veilchen bekränzt und so gefährlich in ihrer 175 sanften Anmut, daß er vor Entsetzen aufschrie und, mit kaltem Schweiß bedeckt, erwachte. Die Augen noch vom Schlafe beschwert, fühlte er einen feuchtwarmen Atem über sein Gesicht streichen: Ein kleiner Schakal hatte die Vorderfüße auf das Kopfende des Bettes gesetzt, blies ihm seinen übelriechenden Atem ins Gesicht und schien aus vollem Halse höhnisch zu lachen.

Paphnucius fühlte sich unendlich überrascht. Ein Turm schien ihm unter seinen Füßen zu versinken, und in der Tat stürzte er von der Höhe seines zusammengebrochenen Vertrauens herab. Eine Zeitlang war er unfähig zu denken. Als er seinen Geist wieder zu sammeln vermochte, vermehrte sein Nachdenken lediglich seine Unruhe.

›Eines ist nur möglich,‹ sagte er sich; ›entweder kommt dieses Gesicht, wie die früheren, von Gott: dann war es gut und nur meine natürliche Verderbtheit hat es verwandelt, wie der Wein in einem unreinen Becher sauer wird. Ich habe durch meine Unwürdigkeit die Erbauung in ein Ärgernis verkehrt, und der teuflische Schakal hat daraus sofort einen großen Vorteil gezogen. Oder aber dieses Gesicht kommt nicht von Gott, sondern im Gegenteil vom Teufel und war schon an sich verpestet. In diesem Falle müßte ich jetzt auch bezweifeln, daß die früheren Gesichte einen himmlischen Ursprung hätten, wie ich geglaubt habe. Ich kann also jenes Unterscheidungsvermögen nicht besitzen, welches dem Büßer unentbehrlich ist. Wie dem auch sei, Gott zieht sich von mir zurück, das fühle ich, kann mir den Grund aber nicht erklären.‹

176 Solches waren seine Gedanken, und er fragte mit Angst im Herzen:

›Gerechter Gott, welche Prüfungen legst du deinen Dienern auf, wenn die Erscheinungen dieser Heiligen eine Gefahr für sie sind? Laß mich an einem deutlichen Zeichen erkennen, was von dir kommt und was von dem andern!‹

Da jedoch Gott, dessen Ratschlüsse undurchdringlich sind, es nicht für gut befand, seinen Diener aufzuklären, so beschloß der von Zweifeln geplagte Paphnucius, nicht mehr an Thaïs zu denken. Aber er bemühte sich vergebens. Die Abwesende ließ ihm keine Ruhe. Sie blickte ihn an, mochte er lesen, nachdenken oder beten. Ihr geistiges Nahen pflegte von einem leichten Rauschen begleitet zu sein, das dem eines durch den Gang hin und her bewegten Frauengewandes glich, und die Visionen selbst waren von einer Klarheit, wie sie die Wirklichkeit nicht bietet, denn diese ist von sich aus bewegt und verworren, während die Erscheinungen, die sich in der Einsamkeit einstellen, deren tiefen Charakter tragen und von mächtiger Beständigkeit sind. Die äußere Erscheinung der Thaïs war mannigfaltig, bald sah er sie nachdenklich, mit ihrem letzten vergänglichen Kranze auf der Stirne: wie beim Gastmahl des Cotta in ein malvenfarbenes, mit silbernen Blumen besätes Kleid gehüllt, bald wollüstig unter einer Wolke leichter Schleier und vom lauen Halbschatten der Nymphengrotte umgeben, bald fromm und unter dem härenen Gewande von himmlischer Freude strahlend, bald tragisch die Augen in Todesangst weit aufgerissen und 177 die mit ihrem Herzblute rotgefärbte Brust entblößend.

Was Paphnucius an diesen Gesichtern besonders erschreckte, war der Umstand, daß die Kränze, Gewänder und Schleier, die er mit eigenen Händen verbrannt hatte, so unversehrt zurückkehren konnten. Es wurde ihm klar, daß diese Dinge eine unverwüstliche Seele besaßen, und er rief aus:

›Siehe, die unzähligen Seelen der Sünden der Thaïs kommen zu mir!‹

Wenn er den Kopf abwandte, fühlte er Thaïs hinter sich und empfand um so größere Unruhe. Seine Leiden waren furchtbar. Da jedoch sein Geist und sein Körper rein blieben inmitten der Versuchungen, hoffte er auf Gott und machte ihm sanfte Vorwürfe:

›Mein Gott, wenn ich unter die fernen Heiden gegangen bin, um sie zu suchen, so tat ich es um deinetwillen, nicht für mich selbst. Es wäre nicht gerecht, wenn ich für das leiden müßte, was ich um deinetwillen getan. Beschütze mich, lieber Jesus! Mein Heiland, heile mich. Lasse nicht zu, daß eine Erscheinung vollführe, was der Körper nicht vollführen konnte. Da ich über das Fleisch gesiegt habe, leide nicht, daß mich sein Schatten zu Boden werfe. Ich erkenne, daß ich gegenwärtig größeren Gefahren ausgesetzt bin als jemals. Ich empfinde und erfahre, daß der Traum mächtiger ist als die Wirklichkeit. Und wie könnte dem anders sein, da er selbst eine Wirklichkeit von höherer Art ist? Er ist die Seele der Dinge. Selbst Plato, der 178 nur ein Götzendiener war, hat das Sonderdasein der Ideen anerkannt. An jenem Gastmahl der bösen Geister, zu dem du mich begleitet hast, o Herr, habe ich gehört, wie Menschen, die zwar von Verbrechen besudelt waren, aber sicher nicht des Verstandes entbehrten, einstimmig bekannten, daß wir in der Einsamkeit, in der Betrachtung und in der Verzückung wirkliche Dinge wahrnehmen, und deine Heilige Schrift, mein Gott, bezeugt mehrfach die Bedeutsamkeit der Träume und die Kraft der Visionen, sei es, daß du, herrlicher Gott, sie schickest, sei es, daß sie von deinem Feinde herrühren.‹

Ein neuer Mensch war in ihn eingezogen, und nun rechtete er mit Gott, aber Gott beeilte sich nicht, ihn aufzuklären. Seine Nächte waren nur noch ein langer Traum, und seine Tage unterschieden sich kaum von seinen Nächten. Eines Tages stieß er beim Erwachen Seufzer aus, wie sie beim Mondschein aus Gräbern aufsteigen, welche die Opfer von Verbrechen umschließen. Thaïs war gekommen, hatte ihm ihre blutenden Füße gezeigt und, während er weinte, sich auf sein Lager hingestreckt. Nun konnte er nicht mehr zweifeln: das Bild der Thaïs war ein unreines Bild.

Von Ekel erfüllt sprang er von seinem verunreinigten Lager auf und verbarg das Gesicht in den Händen, um das Tageslicht nicht mehr zu sehen. Aber die Stunden verstrichen, ohne seine Schande hinwegzunehmen. Alles schwieg in der Zelle. Zum erstenmal seit langen Tagen war Paphnucius allein. Die Erscheinung hatte ihn endlich verlassen, aber selbst ihre Abwesenheit war schrecklich. Er fand nichts, womit er sich von der 179 Erinnerung an seinen Traum hätte befreien können, und er dachte voll Entsetzen:

›Warum habe ich sie im Traume nicht zurückgestoßen? Warum habe ich mich nicht ihrer zugleich kalten und heißen Umarmung entrissen?‹

Er wagte nicht mehr, den Namen Gottes neben diesem sündhaften Lager auszusprechen und fürchtete, daß die Dämonen in seine nunmehr entweihte Zelle jeder Zeit unbehindert eindringen könnten. Seine Befürchtung war nicht unbegründet: Die sieben kleinen Schakale, die früher nur bis zur Schwelle kamen, schlichen einer nach dem andern ein und legten sich unter das Bett. Zur Vesperstunde kam ein achter dazu, der übel roch, wie die Pest. Am folgenden Tag kam ein neunter, und bald waren es ihrer dreißig, dann sechzig, dann achtzig. Sie wurden immer kleiner, je zahlreicher sie wurden, und bedeckten in der Größe von Ratten den Boden, das Bett und den Tisch. Einer sprang auf das Holzbrettchen am Kopfende des Bettes, stellte sich mit den vier Füßen auf den Schädel des Mumienkopfes und blickte den Mönch mit glühenden Augen an. Und jeden Tag kamen ihrer noch mehr.

Um für seinen sündigen Traum Buße zu tun und den unreinen Gedanken zu entfliehen, beschloß Paphnucius, seine verpestete Zelle zu verlassen und im Innern der Wüste unerhörte Kasteiungen zu üben und völlig neue Glaubenstaten zu verrichten. Bevor er jedoch sein Vorhaben ausführte, begab er sich zu dem greisen Palämon, um ihn um Rat zu fragen.

Er fand ihn in seinem Garten mit dem Begießen 180 des Lattichs beschäftigt. Es war gegen Abend. Der Nil war blau und floß an veilchenfarbenen Hügeln vorbei. Der gute Alte schritt sachte einher, um eine auf seiner Schulter sitzende Taube nicht zu erschrecken.

»Der Herr sei mit dir, Bruder Paphnucius!« sagte er. »Bewundere seine Güte! Er schickt mir seine Tiere, die er geschaffen, damit ich mich mit ihnen über seine Werke unterhalte und ihn in den Vögeln des Himmels verherrliche. Sieh diese Taube an, betrachte die wechselnden Schattierungen ihres Halses und sage, ob sie nicht ein schönes Werk Gottes ist! Aber hast du vielleicht über irgendeinen frommen Gegenstand mit mir zu sprechen? In diesem Falle setze ich meine Gießkanne nieder und höre dir zu.«

Paphnucius erzählte dem Greise von seiner Reise, seiner Rückkehr, den Visionen seiner Tage und den Träumen seiner Nächte, ohne den sündhaften Traum und die Menge der Schakale zu verschweigen.

»Glaubst du nicht, mein Vater,« so schloß er, »daß ich mich in das Innere der Wüste begeben muß, um dort außerordentliche Taten zu vollbringen und den Teufel durch meine Kasteiungen in Staunen zu versetzen?«

»Ich bin nur ein armer Sünder«, antwortete ihm Palämon, »und kenne die Menschen wenig, da ich mein ganzes Leben in der Gesellschaft von Gazellen, Hasen und Tauben in diesem Garten zugebracht habe. Aber mir scheint, daß dein Leiden, mein Bruder, besonders daher kommt, daß du ohne schonenden Übergang von den Aufregungen der Welt in die Ruhe der Einsamkeit zurückgekehrt bist. Diese schroffen Veränderungen können 181 dem Seelenheil nur schaden. Du gleichst einem Menschen, mein Bruder, der sich fast gleichzeitig großer Hitze und großer Kälte aussetzt. Der Husten schüttelt ihn, und Fieber quält ihn. An deiner Stelle, Bruder Paphnucius, würde ich mich durchaus nicht sofort in die schrecklichste Wildnis zurückziehen, sondern mir die Zerstreuungen gönnen, die einem Mönch und einem strengen Abte erlaubt sind. Ich würde die Klöster der Nachbarschaft besuchen. Einige darunter sind, wie man sagt, wunderbar. Das des Abtes Serapion soll tausendvierhundertzweiunddreißig Zellen enthalten, und die Mönche sind dort in ebensoviel Legionen eingeteilt, als das griechische Alphabet Buchstaben enthält. Man versichert sogar, daß gewisse Beziehungen bestehen zwischen dem Charakter der Mönche und der Gestalt der Buchstaben, denen sie zugeteilt sind; daß zum Beispiel die zur Legion Ζ gehörigen gerne Winkelzüge machen, während die Legionäre des Buchstabens Ι völlig geraden Charakters sind. An deiner Stelle, mein Bruder, würde ich hingehen und mich hiervon durch den Augenschein überzeugen, und ich würde keine Ruhe haben, bis ich eine so wundersame Einrichtung kennen gelernt hätte. Ich würde auch nicht verfehlen, die Regeln der verschiedenen über die Ufer des Nils zerstreuten Gemeinschaften zu beobachten, um sie miteinander vergleichen zu können. Die Beschäftigung mit solchen Dingen ist eines Klostergeistlichen deiner Art würdig. Du wirst schon gehört haben, daß der Abt Ephrem geistliche Regeln von großer Schönheit verfaßt hat. Mit seiner Erlaubnis könntest du, da du ein geschickter 182 Schreiber bist, eine Abschrift davon nehmen. Ich wäre dessen unfähig, da meine an die Handhabung des Spatens gewöhnten Hände nicht geschmeidig genug wären, um das dünne Schreiberrohr über den Papyrus gleiten zu lassen. Du jedoch, mein Bruder, bist des Schreibens kundig und darfst dafür Gott danken, denn eine schöne Handschrift kann man nicht genug bewundern. Die Arbeit des Abschreibens und Lesens bietet guten Schutz gegen böse Gedanken. Bruder Paphnucius, warum legst du die Lehren unserer Väter Paulus und Antonius nicht schriftlich nieder? Nach und nach würdest du bei solch frommer Arbeit die Ruhe der Seele und der Sinne wiederfinden. Die Einsamkeit wird deinem Herzen dann wieder liebenswert erscheinen, und bald wirst du imstande sein, die Kasteiungen, die du früher übtest und welche deine Reise unterbrochen hat, wieder aufzunehmen. Du darfst keine große Wohltat von einer übermäßig strengen Buße erwarten. Zur Zeit, da unser Vater Antonius unter uns weilte, pflegte er zu uns zu sagen: ›Übermäßiges Fasten erzeugt Schwäche, und Schwäche erzeugt Schlaffheit. Es gibt Mönche, die ihren Körper durch unsinnig lange Enthaltung zerstören. Man kann von ihnen sagen, daß sie sich den Dolch ins eigene Herz stoßen und sich seelenlos der Macht des Dämons überlassen.‹ So sprach der heilige Mann Antonius. Ich bin unwissend, aber durch Gottes Gnade habe ich die Reden unseres Vaters im Gedächtnis bewahrt.«

Paphnucius dankte Palämon und versprach ihm, über seine Ratschläge nachzudenken. Nachdem er den 183 Rohrzaun verlassen, der den kleinen Garten umschloß, wendete er sich um und sah den guten Gärtner seinen Salat begießen, während die Taube sich auf seinem gekrümmten Rücken wiegte. Bei diesem Anblick kam ihm fast das Weinen an.



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