Theodor Fontane
Jenseit des Tweed
Theodor Fontane

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Iona oder Icomkill

Kaum zwei deutsche Meilen von Staffa entfernt liegt die Insel Iona. Man sieht die Nordspitze derselben samt ihren Kloster- und Kirchenruinen bereits von der Fingalshöhle aus, ein Bild, das mit Hilfe des dunkeln Rahmens der Höhle, hinter dem man es erblickt, einen nicht leicht zu verwischenden Eindruck macht. Unser Steamer umfuhr zunächst noch Staffa, um uns einen flüchtigen Einblick in die verschiedenen andern Aushöhlungen der Insel zu gönnen; dann steuerten wir südwärts und hatten in einer halben Stunde Iona erreicht.

Iona ist größer als Staffa, aber doch auch nur klein. Seine Länge beträgt etwas mehr als eine halbe, seine Breite kaum eine Viertelmeile. Die Ufer sind flach, sandig, unfruchtbar und nur in der Mitte der Insel erheben sich ein paar kahle Felsen, die gegen vierhundert Fuß hoch sein mögen. Es fehlt diesem Eilande jeder landschaftliche Reiz, und nichts ist da, was an die Schönheitswunder Staffas auch nur erinnern könnte. Nichtsdestoweniger steht diese Insel als eine gleichberechtigte Sehenswürdigkeit neben dem nahe gelegenen Schwestereiland. Was ihr Leben und Bedeutung gibt, das sind ihre geschichtlichen Traditionen, die hier in einem Maße auftreten, das überall Bewunderung erregen würde, doppelt aber an einem Orte, der, weitab von den letzten Stätten der Kultur, nur ein geeigneter Platz für Seeadler- und Möwennester zu sein scheint. Und doch war diese Stätte ein halbes Jahrtausend lang unter den heiligen Plätzen des Landes der heiligste.

Iona ist der Punkt, von wo aus, in der Mitte des sechsten Jahrhunderts, die Christianisierung des bis dahin heidnischen Schottlands erfolgte.

Ums Jahr 560 verließ der Mönch Columba (gälisch: Callum oder Malcolm) mit zwölf Gefährten die irische Küste und segelte in einem offenen Boot nach Schottland hinüber. Er und seine Genossen waren Schüler St. Patricks, mit dem sie in Dearmach, d. h. »nahe den Eichen« gelebt hatten. Die Schlichtheit und der heilige Eifer des irischen Apostels war auch auf seine Jünger übergegangen, zumal auf Columba. Sie wählten die Insel Iona als Aufenthaltsort, weil sie nah genug der Küste lag, um von ihr aus ihr Missionswerk beginnen zu können, und zu gleicher Zeit die Möglichkeit jener völligen Zurückgezogenheit bot, die den Grund- und Lehrsätzen ihres Meisters entsprach. Auf der Insel angelangt, zogen sie sich, wie der Geschichtsschreiber Adamnan berichtet, in einen Kreis auf recht stehender Steine, also mutmaßlich in einen ehemaligen Druidentempel zurück und sammelten dann Zweige, um mit Hilfe von Reisigbündeln ein allererstes Hospiz zu errichten. Ihre Wohnplätze waren bloße Wigwams, und selbst ihre Kirchen, etwa unsern Blockhäusern entsprechend, waren aus Eichenstämmen zusammengefügt. Sie nannten sich »Culdees«, was nach der Meinung der Gälen »zurückgezogene Leute« bedeutet. In derselben Weise wie ihr Meister St. Patrick zählten sie sich zur griechischen und nicht zur römischen Kirche, zu der sie mehr denn einmal eine feindliche Stellung einnahmen. St. Columba starb 595.

Erst zwei Jahre später (597) betrat der heilige Augustin, als Apostel Roms die südenglische Küste, um die heidnischen Angelsachsen seiner Lehre zu unterwerfen, und begann nun von Süden her das römische Christentum nordwärts zu tragen, während die Nachfolger Columbas ihr griechisches Christentum von Norden nach Süden trugen. Im Laufe der Jahrhunderte erfolgte endlich der Zusammenstoß, in dem die Culdees völlig unterlagen. Diese Niederlage erfolgte aber nicht vor Anfang oder Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. Etwa um dieselbe Zeit wurde auch Iona ein römischer Bischofssitz. Die Glanztage der Insel waren nun vorüber. Wohl wurden Klöster und Kathedralen errichtet, stattliche Bauten, die sich bis diesen Tag erhalten haben, aber die alte Bedeutung Ionas als erste Pflanzstätte des Christentums im hohen Norden war dahin. Die besondere Heiligkeit seines Bodens, an die Schottland und Skandinavien fünf Jahrhunderte lang geglaubt hatten, war ihm genommen; es war jetzt ein Bischofssitz wie viele andere noch. Seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts gibt es keine Culdees mehr, aber die Erinnerung an diese einst so mächtige Sekte lebt bis heute noch im schottischen Volke fort, vielleicht deshalb, weil ihre gegnerische Stellung zur römischen Kirche ihr als Empfehlung dient.

In Abercrombys und Jamiesons Geschichtswerken heißt es von den Culdees wie folgt: »Nur das Seelenheil ihrer Mitmenschen lag ihnen am Herzen. Sie wirkten mehr durch Beispiel als durch Wort. Die Schlichtheit ihrer Kleidung, ihrer Haltung und ihres ganzen Auftretens war ihre Beredsamkeit. Sie halfen überall und beanspruchten nie Lohn; Bevorzugung, Streit, Spaltung, Kabale und Intrige kannten sie nicht. Demütig, einsiedlerisch, arm, keusch, nüchtern und voll heiligen Eifers, so lebten sie ihre Tage.«

Diese Vorbemerkungen werden uns beim Besuch Ionas zustatten kommen. - Der Steamer wirft Anker und wir rudern der Insel zu. Am flachen Ufer derselben ziehen sich etwa vierzig ärmliche Hütten hin, die den gälischen Namen »Baile Mor«, d. h. die große Stadt, führen. Im selben Augenblick, wo wir aus dem Boot springen, sehen wir uns von einer Herde Kinder umringt, die Ionamuscheln und Ionasteinchen zum Verkauf anbieten und die nunmehr, solange wir den heiligen Boden Insel unter unsern Füßen haben, unsere treuzudringlichen Begleiter bleiben. Vergeblich suchen wir uns durch wiederholte Einkäufe sicher zu stellen, vergeblich strecken wir beide Hände aus, um den jungen Hochländern ad oculos zu demonstrieren, daß wir selbst einen Handel beginnen und durch Konkurrenz sie gefährden könnten; alles scheitert, und schließlich gewöhnen wir uns an den Lärm dieser nacktbeinigen Meute, als wären es junge Jagdhunde, die blaffend, heulend und winselnd an uns emporspringen.

Das Dorf oder »die große Stadt« bietet nichts, aber unmittelbar im Norden derselben nehmen die Sehenswürdigkeiten Ionas ihren Anfang und ziehen sich in ununterbrochener Reihenfolge eine Viertelmeile lang am Ufer hin. Man kann drei Gruppen von Kapell- und Klosterruinen deutlich unterscheiden, zwei Gruppen, die den linken und rechten Flügel der ganzen Linie bilden, und zwischen beiden ein Zentrum. Dieses Zentrum, das, wenn auch nicht mit einer Kapellruine (St. Oran's Chapel), so doch jedenfalls mit seinem Kirchhof in das vorige Jahrtausend zurückreicht, ist bei weitem das Wichtigste unter allen Sehenswürdigkeiten der Insel; was die beiden Flügel bieten, ist verhältnismäßig unbedeutend. Ich spreche von ihnen zuerst.

Am linken Flügel, also dem Dorf zunächst, befinden sich die Ruinen eines Nonnenklosters, das frühestens gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts errichtet sein kann, da die Lehre Columbas keine Nonnenklöster gestattete. Die Gebäude selbst sind Feldsteinbauten, ohne Schönheit und Interesse, nur bemerkenswert durch große Basaltblöcke, die sich im Mauerwerk vorfinden und keinen Zweifel darüber lassen, daß den kirchlichen Baumeistern jener Epoche das benachbarte Staffa wohlbekannt gewesen ist. Neben den Klostergebäuden befindet sich eine Kapelle, die als Begräbnisplatz für die vornehmen Frauen der benachbarten Küsten und Inseln diente.

Die kirchlichen Gebäude am rechten Flügel sind nicht zahlreicher, aber größer, zum Teil aus späterer Zeit und jedenfalls besser erhalten. Wie sich am linken Flügel ein Nonnenkloster befand, so hier ein Mönchskloster. Von den eigentlichen Klostergebäuden ist wenig mehr vorhandenEin puritanischer Volkshaufen zerstörte das Kloster im Jahre 1561; die Mönche flohen und begaben sich, wie es heißt, mit den Resten einer sehr kostbaren Bibliothek nach Douay und Regensburg. Wertvolle altchristliche Pergamente, auch lateinische Schriftsteller in Handschriften sollen sich im Kloster zu Iona befunden haben, und Gibbon unterhielt die Hoffnung, daß mit Hilfe dieser ehemaligen, wenn auch nun zerstreuten Klosterbibliothek vielleicht noch ein vollständiger Livius ediert werden könne. Diese und ähnliche Hoffnungen sind wohl, soweit sie an Iona knüpfen, seitdem geschwunden. Möglich, daß das Kloster der alten Culdees vor Anbruch dieses Jahrtausends derartige Schätze besessen hat, sie sind aber zur Zeit der dänisch-normannischen Kriegszüge sicher zerstört, d. h. verbrannt worden, da die Klostergebäude der ersten christlichen Zeit in Schottland (siehe oben) nur Blockhäuser waren. , die dazugehörige Kirche aber zählt mit zu den besten Ruinen in Schottland und ist stattlich genug, um den Namen einer Kathedrale, den sie wirklich führte, zu rechtfertigen. Diese Kirche war nämlich nicht nur das vorzüglichste kirchliche Gebäude der Abtei, die hier stand, sondern überhaupt der ganzen bischöflichen Diözese »Iona«, die ohngefähr um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts von der Diözese Sodor (Insel Man) abgezweigt wurde. Diese Kathedrale, wie alle Gebäude, die sich hier vorfinden, ist aus gehauenem Feldstein aufgeführt und gehört zu jenen kirchlichen Bauten, an denen sich junge Archäologen und Architekten die Sporen verdienen können. Wessen Kritik und Konstruktionstalent hier nicht fehlgreift, der ist ein Meister. Eine wahre Musterkarte von Baustilen! Rund- und Spitzbogen, dünne und dicke Säulen, schwere und leichte Kapitale, gotisch, normannisch, byzantinisch, alles durcheinander und hier und dort ein Giebelfeld, das einem als altsächsisch aufgeschwatzt werden soll. Ich verweile dabei nicht länger. - Die Seitenschiffe dieser Kathedrale dienten als Begräbnisplatz für die mächtigsten Clanhäuptlinge der schottischen Westküste, in derselben Weise wie vornehme Frauen in der Kapelle des Nonnenklosters beigesetzt wurden. Hier befinden sich unter andern die Grabsteine der Macleods und Macleans, zum Teil mit Porträtfiguren, die trotz aller Roheit des Machwerks doch eine gewisse künstlerische Befähigung, was das Charakteristische angeht, verraten. Der besterhaltene unter diesen Grabsteinen ist der des Maclean von Roß, eines Häuptlings auf der Insel Mull, dessen Tapferkeit im Lande sprichwörtlich wurde und seinen Nachkommen den Namen »Eisenschwertskinder« eingetragen hat. Auf dem Schilde des Häuptlings befindet sich die Abbildung eines Schiffs. Diese Schiffsabbildungen, die sich auf anderen Grabsteinen wiederholen, sind, wie mit Recht bemerkt worden ist, wichtiger und interessanter als die Porträtfiguren selbst. Sie zeigen uns genau, wie etwa gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts die Schiffe gewesen sind, deren man sich in dortigen Gegenden bediente. Vorder- und Hinterteil sind beinahe gleich geformt und laufen in ziemlich aufrecht stehende Kurven aus, wie viele der römischen Galeonen. Das Hinterteil hat ein gut konstruiertes Steuerruder, das Bugspriet fehlt. Das Segel besteht aus einem einzigen Stück Segeltuch, das in überaus einfacher Weise an einem Mittelmast befestigt ist. Vorkehrungen zum Rudern sind nicht zu bemerken. Diese Schiffe waren mutmaßlich klein, nur große Boote. Wir wenden uns dem Zentrum zu. Die kirchlichen Gebäude am linken und rechten Flügel gehören sämtlich der römisch-katholischen Zeit an, also einer Epoche, wo Iona bereits aufgehört hatte, ein Glanzpunkt, ein berühmter Wallfahrtsort, eine Art »Heiliges Grab des Westens« zu sein. Im Zentrum stoßen wir auf Überreste jener vorrömisch-katholischen Zeit, auf Kreuze und Grabsteine, die an die Zeit der Culdees und jene besondere Heiligkeit erinnern, die vom siebenten bis zum elften Jahrhundert hin diesem Boden eigen war. Es sind drei Dinge, die unsere besondere Aufmerksamkeit hier in Anspruch nehmen: eine Kapellruine (St. Oran's Chapel), zwei mit Relieffiguren überdeckte Kreuze und ein großer Kirchhof. St. Oran's Chapel diente wahrscheinlich als Grabkapelle. Sie ist sehr klein (60 Fuß lang und 26 breit), aus rotem Granit aufgeführt, mit niedrigen Rundbögen, und aller Wahrscheinlichkeit nach zu Anfang des elften Jahrhunderts von den Norwegern errichtet. Die beiden Kreuze, die den Namen »Macleanskreuz« und »St. Martinskreuz« führen, sind die beiden einzigen Überbleibsel von den 360 Kreuzen, die bis in die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts hier standen und auf Befehl einer hyperpuritanischen Synode ins Meer geworfen wurden. Das Meer scheint aber mitleidiger als die Synode gewesen zu sein und hat einige dieser Kreuze wieder ans Ufer geworfen, die sich teils noch als Bruchstücke auf der Insel vorfinden, teils von einzelnen Stadtbehörden (Inveraray und Campbletown), die mehr antiquarisch als puritanisch waren, gerettet worden sind. Das Macleans- und St. Martinskreuz scheinen gleich von Anfang an der Zerstörungswut entgangen zu sein. Ich versuche eine Beschreibung beider. Sie sind beide aus Glimmerschiefer gefertigt, sehr gefällig und selbst graziös in ihren Verhältnissen, und gleichen beide, weil die Schieferplatten, aus denen man sie gefertigt, nur dünn waren (kaum 6 Zoll dick), unsern modernen gußeisernen Grabkreuzen. Das St. Martinkreuz ist 14, das Macleanskreuz nur 11 Fuß hoch; beide stehen auf einem Piedestal von rotem Granit. Sie sind mit jener grüngelben Flechte, die man bei uns an Dachziegeln und alten Holzzäunen trifft, ganz überdeckt, wodurch das Erkennen der Reliefarbeit sehr erschwert wird. Die eine Seite des St. Martinskreuzes indes hat man neuerdings von diesem Flechtenüberzug gesäubert, und was man jetzt erkennt, ist folgendes: auf dem Oberstück sechs Löwen mit paarweis verschlungenen Schwänzen; in dem Rundstück, das die Mitte des Kreuzes einnimmt, die Jungfrau Maria mit dem Christkind und vier Engel um sie her; unterhalb, an dem Stammstück des Kreuzes, vier Reihen von Figuren, die sehr Mannigfaltiges darstellen: ein Abendmahl, eine Exhortation, ein Harfenspiel und mehreres andere noch. Noch weiter nach unten Äpfel, um die sich Schlangen winden.

Das Macleanskreuz gilt für älter und soll, bald nach dem Erscheinen Columbas auf der Insel, an der Stelle eines heidnischen Denkmals errichtet worden sein, das er vorfand. Wieviel hiervon wahr oder erfunden ist, muß dahingestellt bleiben. Daß diese Kreuze indes sehr alt sind und der früheren Glanzzeit Ionas, ich möchte sagen seiner exklusiven Epoche angehören, scheint mir unzweifelhaft. Alle diese Kreuze scheinen mehr den Charakter von Votivtafeln als von Grabkreuzen gehabt zu haben, und schon dieser Umstand allein, für den sich in der römisch-katholischen Zeit schwerlich ein Analogen findet, deutet auf eine frühe Vergangenheit.

Wir betreten nun die große Sehenswürdigkeit Ionas - seinen Kirchhof. Er führt den Namen ›Reilig Ourain‹ oder St. Orans Begräbnisplatz. Eine Mauer schließt ihn ein, und der Tradition wie auch den aufgezeichneten Mitteilungen des Dechanten Monro nach, der um 1590 hier lebte, war dieser Kirchhof viele Jahrhunderte lang der Begräbnisplatz für die schottischen und norwegischen Könige. Monro schrieb um 1594 wie folgt: »Auf dieser Insel Icolmkill befindet sich auch ein Kirchhof, der von den Bewohnern ›Reilig Ourain‹ genannt wird. Eine Steinmauer friedigt ihn ein. Innerhalb dieser Steinmauer stehen drei Grabhäuser, in Form einer Kapelle gebaut, und jedes an einem seiner Giebel mit einer Marmor- oder Steintafel versehen, woran sich Inschriften befinden. An der Steintafel des einen Grabhauses steht mit lateinischen Buchstaben: Tumulus Regum Scotiae (Gruft der schottischen Könige). Innerhalb dieser Gruft, wie unsere schottischen und irischen Chronikenschreiber erzählen, wurden 48 gekrönte Könige Schottlands begraben. Das am Südende gelegene Grabhaus hat die Inschrift: Tumulus Regum Hiberniae (auch sprechen unsere Chroniken von vier irischen Königen, die hier begraben liegen), und die Tafel am dritten und letzten Grabhaus, das nach Norden hin liegt, zeigt die Worte: Tumulus Regum Norwegiae. Wieviele norwegische Könige hier bestattet wurden, darüber erzählen unsere Chroniken nichts, aber wir erfahren aus ihnen, daß König Coelus von Norwegen seine Edlen bat, sie möchten ihn auf Icolmkill bestatten, wenn er im Kampf gegen die Südschotten fallen sollte. Das spricht dafür, daß auch den skandinavischen Königen daran lag, auf der heiligen Insel ihren letzten Ruheplatz zu finden. Außerhalb dieser drei Grabhäuser, aber innerhalb der Kirchhofsmauer, liegen auch viele der vornehmsten Lords der Westküste: die Macleans, die Mackinnons und die Macquarries, weil jedermann in Schottland und auf den Inseln (d. h. auf den Hebriden) danach strebte, hier begraben zu werden.«

So schrieb Monro 1594. Seine Angaben bildeten das Fundament für alles, was die schottischen Geschichtsschreiber und Archäologen seitdem über Iona und seinen Reilig Ourain veröffentlicht haben. Es liegt kein Grund vor, seinen Angaben irgendwie zu mißtrauen; nur die Frage bleibt unerledigt, aus welcher Zeit die Giebelinschriften hergerührt haben, die er damals mit eigenen Augen an den drei Grabhäusern gelesen hat. Sie können alt gewesen sein, können aber auch ebensogut von der Hand eines Abts oder Mönchs hergerührt haben, der sozusagen Archäologie auf seine eigene Hand trieb und, sich an alte Traditionen und Chroniken anlehnend, vielleicht kaum fünfzig oder hundert Jahre vor Monro das Tumulus Regum Scotiae etc. an die Giebelfelder schrieb. Jetzt noch Licht über diese Streitfragen zu verbreiten ist mindestens schwer, wenn es nicht unmöglich ist. Die Tumuli selbst sind zerfallen, und die Grabsteine liegen verwittert da, nirgends eine Inschrift oder Jahreszahl, die Auskunft geben könnte. Ein Beweis also ist nicht mehr zu führen, daß 48 schottische Könige an dieser Stelle begraben liegen; die höchste Wahrscheinlichkeit indes spricht dafür. Man kann die Begräbnisplätze der schottischen Könige mit historischer Sicherheit bis zum Jahre 1073 zurückverfolgen, in welchem Jahre Malcolm Canmore, der Besieger und Nachfolger Macbeths, in der Kathedrale von Dunfermlin beigesetzt wurde. Von 1073 an bis herab zu uns zeigt sich kaum eine Lücke; entweder existieren die Grabsteine noch (wie z. B. von Robert Bruce), oder der Platz der Bestattung ist durch gleichzeitige Geschichtsschreiber beglaubigt. Die Frage entsteht also: Wo wurden die schottischen Könige (die damals alle noch Hochlandskönige waren) vor 1073 beigesetzt? Die Tradition antwortet: Auf Icolmkitt (Iona). Und sie wird recht haben. Iona war der heilige Boden, der Apostelsitz, von wo aus das Christentum unter die heidnischen Hochlandskönige getragen worden war (es hieß z. B., daß beim Untergang der Welt durch Wasserfluten Iona wie ein gesegnetes Blatt auf der Sündflut schwimmen werde), und es darf nicht überraschen, daß sie dort im Tode ruhen wollten, von wo ihnen das Licht und das Heil gekommen war. Daß es genau 48 Könige, und nicht mehr und nicht weniger gewesen sind, diesen Beweis anzutreten, wird sich niemand berufen fühlen; die größte Wahrscheinlichkeit aber hat es für sich, daß, wie die Tradition berichtet, König Duncan und König Macbeth die beiden letzten waren, die hier – der Ermordete und der Mörder – im schwarzen Boot über das Wasser kamen, um in heiliger Erde die letzte Ruhe zu finden. Schon zu Shakespeares Zeit muß übrigens diese Tradition lebendig gewesen sein, denn es heißt in Macbeth:

Rosse Wo ist der Leichnam Duncans!
Macduff Fort gen Westen, Nach Icolmkill, dem Beinhaus seiner Ahnen.

Ob über diese mannigfachen Fragen, die sich an die Frühgeschichte Ionas knüpfen, jemals noch das klare Licht historischer Erkenntnis verbreitet werden wird, steht dahin. Solange diese Untersuchungen in Händen wohlmeinender Dilettanten bleiben, ist wenig zu hoffen. Ich habe mich so ausführlich über diesen interessanten Königskirchhof verbreitet, um dadurch vielleicht in Deutschland, namentlich aber auch in Skandinavien, die Lust anzuregen, selbst zu sehen und eine Lösung zu versuchen. Der Nordwesten Schottlands hat damals unbedingt unter normannischem Einfluß gestanden, und teils Historiker, die die Geschichte der normannischen Eroberungen zu ihrem Spezialstudium gemacht haben, mehr aber noch skandinavische Archäologen und Altertumsforscher (denen die Möglichkeit des Vergleichs gegeben ist) scheinen mir die einzigen zu sein, die vielleicht noch ergründen können, bis wie weit diese Schieferkreuze und die verwitterten Grabsteine im Tumulus Regum Scotiae zurückreichen.


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