Theodor Fontane
Jenseit des Tweed
Theodor Fontane

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Oban

Das Caledonian Hotel war besetzt bis unters Dach. Da standen wir mit unsern Reisesäcken ziemlich ratlos und wischten uns den Schweiß von der Stirn. Andern, die nach uns kamen, ging es nicht besser; endlich rief eine heisere Stimme: »Let us try it at Mrs. Mackay's, some yards farther down; I know her well, kind people.« Einige schüttelten den Kopf, wir aber, die wir nicht in der Lage waren, zwischen den Tugenden und Untugenden Mistreß Mackays abwägen zu können, folgten der Aufforderung des Heiseren und standen nach zwei Minuten vor der Haustür besagter Dame. Über dem Eingang hing ein Hochländer als Wirtshausschild, alle Fenster waren offen, und aus der halb offenen Küchentür kam uns der Fettbrodem einladend, aber etwas zudringlich entgegen. Dem Brodem folgte endlich Mrs. Mackay selber, eine Frau von fünfzig, halb Brunhild, halb Marketenderin. Groß, breit und stark stand sie vor uns, mit allen Abzeichen des Herdes, von dem sie kam; ihr einziger Schmuck ein Schnurrbart, an dem kleine Schweißtröpfchen hingen. Wir fragten nach einem Zimmer, erhielten eine halb bejahende Antwort und wurden endlich, nachdem wir verschiedene Höfe passiert hatten, in einem Hinterhause bei einer zimmervermietenden alten Waschfrau untergebracht. Unter uns war ein Pferdestall, der sich bald unangenehm bemerklich machte, während die Aussicht, das Panorama, auf das wir gerechnet hatten, sich auf die Brandmauer eines Nachbarhauses beschränkte. Das ist nun einmal so Herkommen in überfüllten Badeörtern, und wir waren nicht Neulinge genug, uns das Alltägliche verdrießen zu lassen. Hatten wir doch auch den »Salon« des Mrs. Mackay zu unserer Verfügung, wo wir bereits zum Tee und Abendimbiß erwartet wurden. Wir machten also unsern Weg zurück, drangen von hintenher ins Haus ein, belauschten wider Willen die Küchengeheimnisse (ein anderer Durchgang war nicht zu finden) und nahmen oben im Gastzimmer Platz, wo bereits das Tischtuch ausgebreitet lag, ein Tischtuch ganz wie Mrs. Mackay selber, groß, breit und dauerhaft und mit schwarzen Schnurrbärten an jedem Zipfel. Wir nahmen keinen Anstoß daran und auch an manchem andern nicht, das über den Tabagiecharakter unseres Hotels keinen weiteren Zweifel ließ; hatten wir doch das offene Fenster und vor dem Fenster die schöne Meeresbucht, die jetzt im vollen Glanze des Mondes uns wie zu Füßen lag.

Oban selbst zieht sich im Halbkreis an der Bucht entlang; unmittelbar im Rücken seiner weißen Häuser steigen bewaldete Felspartien in die Luft, hier und dort mit Villen geschmückt oder von Schlössern überragt. Was aber dieser Bucht eine besondere Schönheit gibt, das ist nicht der Reiz und die Weitgespanntheit ihrer Ufer, sondern umgekehrt, der Blick von diesen Ufern aus aufs Meer. Zu der ewigen Schönheit des Ozeans gesellt sich hier ein so besonderer Reichtum von flachen Inseln und hohen Vorgebirgen, daß man zweifelhaft wird, wem denn eigentlich das Terrain gehört, dem Land oder dem Meer, und in den Bühnenraum eines Riesentheaters zu blicken glaubt, dessen ohnehin weit gedehnte Perspektive durch allerhand Seitenkulissen bis ins Unendliche zu wachsen scheint.

Wir genossen noch in stiller Andacht des herrlichen Schauspiels, als das oft gehörte: »If you please, Gentlemen, tea is ready«, unsern Blick von der mondbeschienenen Bucht zurück in unser Zimmer lenkte, dessen Tisch inzwischen zu einer leidlich wohlbesetzten Tafel geworden war. Andere Gäste gesellten sich alsbald hinzu, gälisch sprechende Handwerker aus Oban selbst und verschiedene Fremde aus England und Südschottland, die gleich uns in diese Tabagie verschlagen waren. Unter den letzteren interessierte uns zumeist ein wohlbeleibter Handelsmann aus Newcastle, der durch die offenherzigsten Bekenntnisse bald der Mittelpunkt aller Unterhaltung wurde. Er sei ein wohlhabender Mann (a man of some means), so begann er, der in dreißig Jahren etwas vor sich gebracht und diesen Sommer den unglücklichen Entschluß gefaßt habe, seine Heimat wiederzusehen. Er sei nämlich mitten im Hochland zu Haus, in Glen Moriston, einem jener Täler, die von Norden her auf den Loch Neß ausmünden. Er habe so viel von Heimweh und Vaterlandsliebe hören müssen, immer im Tone des Vorwurfs, daß er es schließlich für Gewissenssache gehalten habe, dem Drängen seiner Freunde nachzugeben. Diese Nachgiebigkeit beklage er jetzt bitter. Er sei nun fünf Tage von Frau und Kindern fort und sehne sich weit mehr nach Newcastle zurück, als er sich all sein Lebtag nach Glen Moriston gesehnt habe. Diese kahlen Basaltküsten seien ihm über die Maßen langweilig; was er liebe, sei ein Kornfeld mit langen Ähren; von Malcolm Canmore und Robert Bruce wisse er nichts und wolle er auch nichts mehr lernen. Er werde morgen früh aufbrechen, aber nicht nach dem Loch Neß hin, sondern nach »dear old Newcastle« zurück, wo jedes Kind ihn kenne und wo er nicht fürchten müsse, alle Tage sechsmal geprellt zu werden.

Man sieht, der Philister gedeiht überall. Das war also ein geborener Hochschotte, einer aus jenen Clans, die wir uns gewöhnt haben mit jeder Mannestugend auszuschmücken, mindestens aber im Glorienschein unausrottbarer Vaterlandsliebe zu sehen. Freilich seine Jugend schien keine bevorzugte gewesen zu sein; er habe von Haferbrot und Whisky gelebt, so versicherte er mehr denn einmal. Als wir das Zuträgliche dieser Diät bezweifelten, nahm das Gespräch plötzlich eine andere Wendung, und er fing nun an für die Hochlandserziehung eine Lanze zu brechen. »Ich sehne mich nicht zurück nach Glen Moriston und noch weniger nach Oatcake und Whisky; ich bin's jetzt besser gewöhnt; aber Oatcake und Whisky geben Kraft und Zähigkeit und schaffen bessere Männer als Milchkaffee und saurer Wein.« Wir schlossen aus dieser letzteren Wendung, daß er uns (was einem ja in England immer passiert) für Franzosen halte, und nahmen Veranlassung, ihn über unsere Abstammung aufzuklären. »Deutsche also?« fuhr er jetzt fort. »Ja die Deutschen! Ich war in Hamburg; kind people those Germans und I like them, but I beg your pardon, Sir, all effeminate.« Also »alle verweichlicht!« und die Hamburger an der Spitze, die doch halb englisch sind. Wir lachten herzlich, beklagten den versäumten Whisky unserer Jugend und gingen zu andern Dingen über.

Es war spät, als wir bei der mangelhaften Beleuchtung, die der untergehende Mond gab, vorsichtig über den Hof hintappten und im Putzzimmer der Waschfrau unsere Betten hergerichtet fanden. An den Wänden hingen zwei eingerahmte Bilder (»Bombardement von Sebastopol« und »Schiffbruch«), die an bekannter Stelle die Worte zeigten: »Verlag von Zawitz, Druck von Hesse in Berlin.« Aber weder Sebastopol, noch Zawitz, noch Hesse hielten uns länger wach, selbst das Gestampfe und Gepruste der Pferde unter uns verhallte bald ungehört, und ein fester Reiseschlaf, ohne Traum und Sorge, kam über uns.

Der andere Morgen sah uns bei guter Zeit wieder an Bord des »Stork«, eines Hutchesonschen Steamers, der für diesen Tag einen seiner regelmäßigen Ausflüge nach Staffa und Iona vorhatte. Mr. Hutcheson selbst war an Bord, um, wie er oft tut, dem Komfort und Wohlbefinden der Reisenden nach Möglichkeit Vorschub zu leisten.

Die ersten Punkte von Interesse, die wir passieren, sind Dunolly-Castle und Dunstaffnage-Castle, zwei Schloßruinen in fast unmittelbarer Nähe von Oban selbst. Die Geschichte, die sich an diese Schlösser knüpft, zeigt deutlich, daß diese unwirtbaren Küsten nicht immer politisch bedeutungslos waren und trotz einer dünngesäten Bevölkerung (damals wie heut) mehr denn einmal mit eingriffen in die Geschicke des Landes. Robert Bruce, zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, drang bis in diese Gegenden vor, um einen Widerstand zu brechen, der zu ernst war, um ihn unberücksichtigt zu lassen, und noch drei Jahrhunderte später hausten hier die Soldaten Cromwells und stürmten Schlösser und feste Plätze. In Dunolly-Castle befindet sich eine Kuriosität aus der Zeit der erstgenannten Kämpfe, und zwar eine Brosche König Robert I. (Robert Bruce) selbst. Diese Brosche kam auf folgende Weise in die Hände der MacDougalls, der damaligen und heutigen Besitzer von Dunolly-Castle. Robert Bruce, auf seinem Kriegszuge gegen die Westinseln, wurde von den MacDougalls angegriffen und zurückgedrängt. Er selbst deckte den Rückzug der Seinen. Drei von den Clansleuten der MacDougalls, ein Vater und seine zwei Söhne, erkannten den König und gelobten sich, ihn tot oder lebendig in ihre Hände zu bringen. Sie drangen an einer schmalen Stelle, die kein Entkommen zuließ, gemeinschaftlich auf ihn ein. Der älteste Sohn faßte den Zügel, ein Hieb des Königs aber trennte ihm den Arm vom Rumpf. Der jüngere Bruder hatte gleichzeitig den Fuß des Königs gepackt, um ihn mit aller Kraft aus dem Sattel zu wuchten, der rasch eingedrückte Sporn des Königs aber ließ das Roß wild anspringen, und der niederstürzende Angreifer fiel unter die Hufe des Pferdes. In diesem Augenblick griff der Alte nach dem Mantel König Roberts und war eben im Begriff, ihn selbst herabzuzerren, als dieser mit schneller Geistesgegenwart die Brosche öffnete, die den Mantel zusammenhielt, und sich mit Zurücklassung beider befreite. So kamen Mantel und Brosche in die Hände der MacDougalls; nur die letztere existiert noch.

Dunstaffnage-Castle ist noch von größerer Bedeutung. Hier befand sich ursprünglich der schottische Krönungsstein, der später nach Scone und von dort aus, nach der Vereinigung beider Königreiche, nach der Westminsterabtei geschafft wurde. Über den eigentlichen Ursprung dieses Steins existierten und existieren noch allerhand Sagen und Legenden. Jakob (wohlverstanden keiner der schottischen Könige, sondern der Sohn Isaaks) sollte darauf geschlafen und seinen Traum von der Himmelsleiter gehabt haben. Jetzt weiß man zur Genüge, daß das vorgebliche Kopfkissen des Patriarchen aus demselben Kalkstein besteht, den die nachbarlichen Felsen von Dunstaffnage-Castle aufweisen, und daß mithin guter Grund vorliegt, den schottischen Königsstein als echt schottisches Landesprodukt anzusehen.

Unser Steamer führt uns zunächst in westlicher Richtung über einen breiten Meerbusen hinüber, der das schottische Festland von der Insel Mull und der Halbinsel Morven trennt. Zwischen den beiden letzteren liegt eine schmale Wasserstraße, der Sund von Mull, in die wir eben auf dem Punkt stehen einzubiegen. Der Kapitän tritt freundlich an uns heran, um uns an der Südostspitze der Einfahrt eine nur hausgroße Insel zu zeigen, die den Namen Lady's Rock (Ladys-Felsen) führt. Auf diesem Felsen, der zur Flutzeit von den Wellen überschäumt wird, setzte ein Häuptling der Macleans seine Gemahlin aus, um mit Hilfe der nächsten Flut sich ihrer auf immer entledigt zu sehen. Ihre Brüder indes erhielten Nachricht von diesem Akt raffinierter Bosheit und erschienen zeitig genug, um die Unglückliche zu retten. Maclean selbst wurde später von einem der Brüder auf offener Straße in Edinburg ermordet.

Während der Kapitän uns diese Vorgänge mit der Ruhe eines Führers von Fach zum besten gibt, sind wir in den schmalen Sund hineingesteuert und haben nun Mull zur Linken, Morven zur Rechten. Wer seinen Ossian einigermaßen in Kopf und Herz mit sich umherträgt und der Könige und Helden gedenkt, die alle »Morven« ihre Heimat nannten, der wird sich einigermaßen enttäuscht fühlen, wenn er an diesem öden Küstensaum vorüberfährt, der sich weigert, einen Grashalm hervorzubringen, und doch so viele Helden gezeugt haben soll. Es gibt eine Armut des Bodens, die den Mut nicht mehr steigert, sondern ihn bricht. Und doch herrschte hier einst ein buntes, reiches Leben, nicht in Ossianischen Zeiten nur, deren wirkliches Bild sich unserer Kontrolle entzieht, sondern bis tief ins fünfzehnte Jahrhundert hinein, bis in die Zeit der Tudors und Stuarts. Häuptlinge hausten hier, die Bündnisse mit fremden Mächten schlössen und aufhoben, als sei dieses westliche Inselreich ein Reich wie Schottland selbst, und inmitten aller Roheit trieb das Leben hier Blüten, nach denen man jetzt vergeblich die kahlen Bergflächen Morvens oder die Basaltbauten der benachbarten Inselgruppen durchsuchen würde. Der Kreislauf des Bluts geht jetzt durch enger gezogene Kreise, alles drängt den großen Städten, den fruchtbaren Ebenen zu, und die Extremitäten werden blutlos und sterben ab.

Was von den Küsten Morvens gilt, gilt nicht minder von der Insel Mull, die sich baum- und strauchlos, nur selten durch eine Kastellruine unterbrochen, zu unserer Linken entlangzieht. Tobermory, ein Jahrmarktsflecken mit kaum 200 Einwohnern, bildet den Mittelpunkt aller Interessen. Wo jeder Weiler ein Dorf vertritt, wird ein Dorf zur Residenz. Auf der Höhe von Tobermory legt unser Steamer auf Augenblicke bei, um einige Roßkämme und alte Jahrmarktsfrauen ans Land zu setzen; dann aber brechen wir mit gesteigerter Schnelle auf, umfahren rasch die Nordspitze der Insel, und nunmehr den Ozean vor uns, nehmen wir unsern Kurs in südwestlicher Richtung, jenen gleich unscheinbaren und doch gleich berühmten Inseln zu, Staffa und Iona.


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