Theodor Fontane
Jenseit des Tweed
Theodor Fontane

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Der Letzte Hochlandshäuptling

(Unserem Culloden-Führer nacherzählt)

»Ich sehe, die Herren kennen 'Waverley', unseres Sir Walters bestes Buch; ei, da kennen Sie auch den Fergus Mac-Ivor, den Bruder der schönen Flora und den Freund Prince Charlies selber. Nun, die Sache ist die: ein Fergus Mac-Ivor hat nie gelebt, aber einen Fergus Macdonell, den haben unsere Väter gut gekannt; auch Sir Walter hat ihn gekannt. Er nahm den Fergus Macdonell, der sein Freund war, und machte ihn zum Mac-Ivor, wie er im Buche steht. Jeder Zug nach dem Leben. Ich will erzählen, was jedes Kind hier von ihm weiß.

Glengarry – so nennen wir die Häuptlinge der Macdonells, weil sie im Tal GlengarryMan hat an den Hochlands-Häuptlingen (chieftains) gemeinhin drei Namen zu unterscheiden: den Clan- oder Familiennamen, den Adelsnamen und die spezielle Hochlandsbezeichnung für den letzteren. Der Häuptling der Campbells ist zunächst auch ein Campbell, sein Adelsname ist Herzog von Argyle und sein Hochlandsname Mac-Callum-Moore. Der Chieftain der Gordons ist Lord Aberdeen und der der Frasers Lord Lovat. Beide haben außerdem noch spezielle Hochlandsnamen. Außerdem sei mit Rücksicht auf die Wendung »die Lords und die Lairds« gleich hier bemerkt, daß man durch diese Bezeichnung den Niederlandsadel (die Lords) von dem Hochlandsadel (die Lairds) unterscheidet. wohnen – Glengarry, sag' ich, war Gardekapitän in London, aber es behagte ihm nicht im Rauch und Nebel da unten, und er kam wieder heim in die Berge. Jagen am Loch Oich und Loch Neß entlang, die Täler hinauf und hinunter, Glen Moriston heut und Glen Urquhart morgen, und dann mit Freunden niedersitzen in Glengarry-Castle und von Jagd und Krieg und alten Zeiten sprechen, das war es, was ihm gefiel. Er war schon dreißig und darüber und noch unverheiratet. Er sagte, er tauge für keine Frau und keine Frau tauge für ihn; dabei sah er lachend zu seiner Schwester hinüber und die Spitzen seines rotblondes Bartes kräuselnd, verschwor er sich hoch und teuer, daß sie das schönste Mädchen in den drei Königreichen sei. Dann füllten alle die Gläser, und die alten Jagdkumpane aus Roßshire und Sutherland und die jungen Offiziere aus London, die auf Besuch im Schlosse waren, alle stießen sie an und riefen mit ihm: 'Es lebe Barbara Macdonell!' -

Es war um 1811, und der Prinzregent kam nach Edinburg. Die Lords und die Lairds versammelten sich in der Hauptstadt, und im alten Holyrood-Palace, wo kein Freudenklang gehört worden war, seit Prince Charlie daselbst getanzt hatte, war wieder Empfang und Ball. Glengarry, der von London her dem Prinzen wohlbekannt war, war unter den Geladenen, und mit ihm geladen war Barbara, seine Schwester. Das war ein Drängen auf Flur und Treppe! Aber es bildete sich Spalier wie von selber, als die Geschwister in den Saal traten. Er trug in Huldigung gegen den Prinzen, der ihm immer ein gnädiger Herr gewesen war, die Uniform der Coldstream-Garden; Barbara aber trat ein für Schottland und trug die Farben ihres Clans. Sie war eine große prächtige Frau, keine blonde Puppe, schmal und schlank, sondern breit, voll, alabastern, mit kleinen Händen und großen Augen, und die Augen klar und dunkel wie das Wasser im Loch Neß. Und schön wie die Frau, so schön war ihr Kleid. Sie trug eine schwarze Sammetrobe, aus der ihr Nacken stolz hervorwuchs. Eine Tartanschärpe, an der linken Schulter durch eine Agraffe zusammengehalten, lief in voller Breite quer über die Brust hin, schürzte sich über der Hüfte zu einem bauschigen Knoten und fiel dann in zwei langen Streifen zur rechten Seite des Kleides herab. Kein Schmuck, weder an Hals noch Arm; nur ein Erika-Strauß, die blaue Blume Schottlands, wuchs aus der silbernen Agraffenschleife hervor, und ein Heideblumenkranz saß voll und rot auf dem glänzenden schwarzen Haar.

Der Ball begann. Der Prinz tanzte dreimal: er tanzte zweimal mit Barbara Macdonell. Als das Fest vorüber war, stand er in der Mitte des Saales, und sich verbeugend, schritten die Gäste an ihm vorbei. Als Barbara vorüberkam, nahm sie den Strauß aus der Agraffe, überreichte ihn mit einem lächelnden ›from the Highlands‹, und kein Auge von ihm lassend, schritt sie ohne dem Prinzen einen Augenblick den Rücken zugekehrt zu haben, unter wiederholten Verbeugungen aus dem Saal. Der Prinzregent war eitel und Kenner genug, um solchen Moment nicht leicht zu vergessen. Als er am andern Tage den Bruder sah, rief er ihn beiseit' und sagte rasch: ›Eure Schwester ist die schönste Dame, die ich all mein Lebtag gesehn: diese blaue Blume sollte woanders blühen als in Glengarry-Castle.‹ Glengarry lächelte und schwieg.

Es war ein Jahr später, Ende September. Der Prinzregent hielt Hof in St. James; keine Lichter brannten in Holyrood, aber in Inverneß war Ball. Alljährlich, wenn die erste Jagdzeit vorüber ist und das beginnende Winterleben Londons die Kavaliere wieder nach dem Süden ruft, beschließt noch ein gemeinschaftliches Mahl, natürlich in Inverneß, die heiteren Weidmannswochen. Dem Mahle folgt ein Ball. Keine strenge Etikette, kein banges Anstandsbedenken steht als Türhüter vor dem Saal; man will heiter sein, man will nicht sehen, man will nicht wissen; jede Dame hat Zutritt, sie sei – Dame oder nicht. Das ist just ein Platz für Glengarry. Der letzte beim Wein, ist er jetzt der erste beim Tanz. Er hat ein Inverneß-Mädchen im Arm und fliegt durch den Saal. ›Die Dirne ist mein‹, ruft Kapitän Lovat und legt seine Hand auf Glengarrys Schulter. ›Euer ist nichts als Eure Torheit‹, antwortet Glengarry und tanzt weiter. Andere legen sich ins Mittel, die Sache scheint vergessen. Den Lovat aber wurmt es (die Feindschaft ist alt zwischen den Frasers und den Macdonells), und er schreibt eine Herausforderung, während sein Gegner noch tanzt. Die Nacht ist da, und Glengarry reitet heim. Ermüdet wirft er sich nieder und schläft im Nu. Nach einer Stunde weckt ihn sein Diener und überreicht ihm einen Brief. Der Brief lautet: ›Kapitän Macdonell hat die Wahl zwischen Pistolen oder – Reitpeitsche. Antwort erbeten. Lovat.‹ Glengarry springt aus dem Bett. Der Brief ist von Inverneß datiert; also dorthin. Er sattelt selbst seinen Pony, dessen Kraft und Schnelle er kennt; in den Halfter steckt er seine Pistolen und ruft dem Boten zu: ›Ich bringe die Antwort.‹ Von Glengarry-Castle bis Inverneß sind 10 Meilen. Der Tag dämmert, als Glengarry vor dem Gasthaus hält; kein Lovat da – also nach Lovat-Castle. Mit der Sonne tritt Glengarry in das Schlafzimmer Kapitän Lovats und bietet ihm die Pistolen. Dieser kennt seinen Mann, zeigt auf einen Stuhl, steht auf und kleidet sich an. Lovat-Castle hat einen weiten Park, an seinem Westend fließ der Beauly-Fluß, dort ist eine Wiese und ein Eschenbaum; neben der Esche liegt ein Kahn. ›Hier?‹ fragt Kapitän Lovat. ›Hier!‹ antwort Glengarry. Die Schüsse fallen, und Lavot ist nicht mehr.

Glengarry sieht, daß er den Gegner auf den Tod getroffen, löst den Kahn, fährt über den Fluß und eilt zu Fuß nach Inverneß zurück. Am Abend desselben Tages ist er in Glengarry-Castle. Er weiß, was kommen wird, und tut seine Schritte.

Der erste Tag vergeht, ein zweiter, endlich am Mittag des dritten Tages sieht er vom Schloß aus, daß Truppen über den Garry-Fluß kommen; etwa hundert Mann stark umstellen sie sein Haus. Es sind Rotröcke vom Fort Augustus her; ein Besuch, den er seit drei Tagen erwartet hat. Leutnant Collingwood läßt sich melden, bedauert seinen Auftrag und überreicht den Verhaftsbefehl. Glengarry dankt, überfliegt die Ordre und sagt dann: ›Es sei; – darf ich noch ans Fenster treten, um Abschied zu nehmen von meinem Tal?‹ Der junge Offizier verbeugt sich zustimmend. Glengarry tritt in die Nische, öffnet das Fenster, blickt scharf hinaus, als such' er noch einen bestimmten Punkt, zieht dann ein rot und weißes Seidentuch aus der Tasche und weht damit dreimal, wie zum Abschied. »Wie schön dies Bild«, ruft er dem jungen Offizier zu und zeigt auf das Tal. Leutnant Collingwood tritt ans Fenster, blickt hinaus und – sieht, daß er gefangen ist. Hinter dem kleinen Trupp seiner Soldaten wachsen die Gestalten der Macdonells zu Hunderten rasch aus dem Boden; wenige Minuten noch, und der Kreis hat sich geschlossen. ›Sie sehen‹, sagt Glengarry ruhig. ›Sie sind in meiner Gewalt, nicht ich in der Ihrigen. Fern sei es von mir, das Recht des Stärkeren gegen Sie auszubeuten. Sie haben freien Abzug. Gehen Sie nach Fort Augustus zurück, und erzählen Sie, wie Sie den Glengarry gefunden.‹

So geschah's. Aber auch Glengarry zögerte nicht. Mit Kurierpferden ging es nach London, und den Tag nach seiner Ankunft kniete er vor seinem fürstlichen Gönner. Der Prinzregent schwankte, aber der Brief Kapitän Lovats gab den Ausschlag. Leben und Freiheit waren wiedergewonnen. Mit der Gnade des Prinzen kehrte er wieder heim und – mit Grüßen an Barbara Macdonell. Der Prinz hatte den Ball in Holyrood-Palace nicht vergessen.

Glengarry war begnadigt; aber der tote Lovat schien doch von Zeit zu Zeit vor ihn hinzutreten, das abgeschossene Pistol in der niederhängenden Hand und zusammenbrechend unter dem Eschenbaum. Die Jagd reizte ihn nicht mehr, der Wein schmeckte nicht mehr, und in den rotblonden Bart mischte sich das Weiß der Sorge und durchwachter Nacht. Barbara saß ihm gegenüber, schön wie immer; aber sie war keine Labe mehr für sein Herz. War es ihm doch, als habe er den Lovat totgeschossen, nicht um der Dirne willen von Inverneß, sondern aus Übermut, aus Stolz auf die Schönheit seiner Schwester. Barbara wußte wohl, was in ihm vorging. ›Nimm eine Frau‹, sagte sie ihm einst beim Frühmahl; ›aber jung muß sie sein, und still und blond. ‹ Er schüttelte den Kopf; aber sie wäre keine Frau und am wenigsten Barbara Macdonell gewesen, wenn sie nicht recht behalten hätte. Eh' ein Jahr um war, war Glengarry ein Gatte, und seine Gattin war jung und still und blond. Zwei Kinder kamen: Töchter. Die eine war der Mutter Ebenbild und hieß Kathleen, wie die Mutter selbst; die zweite aber war eine Macdonell und hieß Barbara und saß und spielte auf dem Schoß der schönen Tante.

So vergingen die Jahre. Eine andere Zeit war gekommen: das alte Hochlandsleben starb hin; viele gingen über das große Wasser, und der erste Dampfer, die englischschottische Flagge hoch in der Luft, schaufelte still den Loch Neß entlang. Auch der alte Glengarry war an Bord, mit ihm seine Töchter, jungfräulich und halbe Kinder noch. Dem alten Herrn war es unheimlich; er sah hinab in die Glut der Öfen und in das Auf und Ab des Räderwerks, und sein altes Herz, dem der Tod in allen Gestalten nahe getreten war, ohne es zittern zu machen, sah jetzt mit wachsender Unruhe diesem Treiben zu. In demselben Augenblick geriet das Schiff auf eine Untiefe und saß fest. Der Kapitän ermahnte zur Ruhe, alles werde gut gehen; jeder glaubte ihm und harrte in Geduld. Nicht so Glengarry. Seine Töchter mit krampfhafter Gewalt erfassend, zog er beide auf den Radkasten hinauf. In diesem Augenblick löste sich das Schiff wieder und streifte dicht an einem Uferfelsen vorbei. Jede Gefahr war vorüber. Aber der alte Mann, nur von dem einen Gedanken nach Rettung erfüllt, umarmte jetzt beide Töchter, und sie fest an sich pressend, sprang er vom Radkasten aus ans Ufer. Der Sprung war gelungen, die Töchter unversehrt, aber der alte Herr selber war mit der Stirn auf ein Felsstück geschlagen. Man brachte ihn an Bord zurück; das Blut tropfte leise herab. ›Gebt mir einen Spiegel,‹ bat er. Man brachte ihm, was er gefordert hatte, und er sah lächelnd hinein. ›Eine Schmarre für einen Hochlanden,‹ das war sein letztes Wort. Der Steamer hißte eine schwarze Flagge auf; so brachte man ihn nach Glengarry-Castle.

Seit jenem Tage gibt es keinen Häuptling mehr in Schottland; sie sind alle hinüber. Dieser und jener nennt sich noch so, aber – kein Glengarry.«


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