Theodor Fontane
Quitt
Theodor Fontane

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Sechsunddreissigstes Kapitel

Der Rückweg war sehr beschwerlich, und die zehnte Stunde war schon heran, als man am Vorwerk anlangte. Toby war dagegen, den Zug gleich unmittelbar bis nach Nogat-Ehre hin fortzusetzen, und der sonst immer widersprechende Kaulbars war diesmal derselben Meinung, hinzusetzend: es ginge nicht, ihn so bloß auf einer Leiter heranzutragen; alles müsse seine Ordnung haben; und auf einer Leiter sei keine Art und keine Ordnung nich.

So wurde denn beschlossen, Shortarm und Yellow Cat nach Nogat-Ehre hin vorauszuschicken, einfach mit der Meldung, daß man Lehnert gefunden habe.

Nach diesem Beschlusse machten sich die beiden Indianer sofort auch auf den Weg und waren um Mittag wieder zurück, mit einer Bahre, darauf Lehnert nunmehr gelegt wurde, bedeckt mit einem ebenfalls mitgebrachten Bahrtuch, in das ein großes silbernes Kreuz eingestickt war. So stand er noch bis gegen Abend auf einer Scheunentenne. Dann aber brach man auf nach Nogat-Ehre. Wie Totto sie kommen sah, begann er zu läuten, aber nur Obadja ging dem Zuge bis auf die Rampe entgegen, mit ihm L'Hermite. Ruth und Maruschka mochten nicht Zeuge sein.

Von der Rampe trug man die Bahre bis vor den Altar. Und nun schlug Totto die Decke zurück und kniete nieder und sagte, während er des Toten Hand streichelte: »Poor man ... dead ... quite dead.« Und dann sang er vor sich hin, was keiner verstand.

»Wo bestatten wir ihn?« Das war die Frage, die denselben Abend noch das Haus beschäftigte. L'Hermite drang mit sonderbarem Ernste darauf, den Toten zu den Arapahos zu schaffen und ihn neben Gunpowder-Face zu begraben, das würde einen Eindruck machen, mehr als Krähbiels Schul- und Katechismusstunden, und er, L'Hermite, genösse dabei des Vorzugs, seine beiden besten Freunde zusammenzuhaben: eine Rothaut und einen Prussien. Es war barock, wie alles, was er tat und sagte, aber es klang so herzbeweglich, daß niemand Anstoß daran nahm. Endlich sagte Obadja: »Er soll der erste drüben in unserer Gruft sein. Ich wollte den Zug eröffnen. Aber er kommt mir nun zuvor.«

Und dabei glitt sein Auge zu Ruth und Toby hinüber, die beide zustimmend nickten.

Am zweiten Tage danach erfolgte Lehnerts Beisetzung; Krähbiel und Nickel waren mit ihren Schulen gekommen und sangen. Dann sprach Obadja, diesmal nicht der Bibel, sondern dem Leben des Valerius Herberger seinen Text entnehmend. Alle würden sich noch erinnern, was er am Christfest über den Valerius Herberger, diesen treuen Diener seines Gottes, gesagt habe, der dem Tode Tag um Tag ins Auge gesehen, durch nichts gehalten und getragen als durch den Spruch: »Wer Gott im Herzen hat, dem kann der Teufel nichts anhaben.« Und eben das seien auch die Worte gewesen, die damals auf Lehnert einen so tiefen Eindruck gemacht hätten, so tief, daß er anderen Tages zu ihm gekommen sei und ihm gesagt habe: »Ja, es sei so, und er fühle deutlich, daß nur das ein rechtes Leben sei, sich, mit Gott im Herzen, vor dem Tode nicht zu fürchten, und solches Leben zu führen sei seine Sehnsucht; und wenn ihn der Teufel der Eitelkeit und Selbstgerechtigkeit nicht ganz verblende, so möcht er wohl sagen dürfen, er glaube, daß er nicht bloß die Sehnsucht, sondern auch die Kraft zu solchem Leben habe ...» –»Und diese Kraft, meine Lieben, er hat sie gehabt und hat sie bestätigt und ist gestorben, wie seine Sehnsucht war. Denn einen andern zu retten, den er liebte, das hat ihm den Tod gebracht. Dieser Tod war schwer, aber er war auch ein Ausgleich und eine Sühne. Das hat er selbst empfunden, und in diesem Glauben und in der Hoffnung, daß seine Schuld getilgt sei, wie sein letztes Wort uns bezeugt, ist er gestorben.« Und nun sangen die Kinder wieder:

»Valet will ich dir geben,
Du arge falsche Welt,
Dein sündlich böses Leben
Durchaus mir nicht gefällt;
Im Himmel ist gut wohnen,
Hinauf steht mein Begier,
Da wird Gott ewig lohnen
Dem, der ihm dient allhier.«

Alle waren bewegt und befriedigt, sogar Kaulbars. Als er aber schließlich auf seinem Vorwerk ankam und von seiner Frau gefragt wurde, wie's denn eigentlich gewesen sei, kam doch etwas vom alten Adam wieder aus ihm heraus, und so mußt er denn wieder nörgeln, wie's nun mal seine Natur war. »Ja, Rose, wie soll es gewesen sein«, hob er an, »es war ja soweit alles ganz gut. Aber als der alte Herr von Bredow begraben wurde, war nicht halb soviel los. Sie haben immer zuviel von ihm gemacht, und eigentlich war es, wie wenn ein Prinz begraben würde. Und Obadja, denk ich, wird nu woll auch noch Landestrauer ausschreiben. Was zuviel is, is zuviel ... Und Miss Ruth, na, die weinte, daß es ein Jammer war, und die alte Pollacksche schrie, als ob sie der Bock stieße. Und der verrückte Franzose, den hättst du sehen sollen. Der stand da, geradeso, als ob er lebendig mit eingemauert werden sollte. Und wenn sie ihn mal kriegen, na, denn kann so was auch immer noch kommen.«

Um dieselbe Nachmittagsstunde aber, wo Kaulbars diese Betrachtungen seiner Frau gegenüber anstellte, saß Obadja an seinem Arbeitstisch und schloß einen längeren Brief mit der geschnörkelten Aufschrift: An den Kirchen- und Gemeindevorstand zu Wolfshau bei Krummhübel in Schlesien (Prussia).

Der Brief selbst aber lautete:

»Dem verehrlichen Kirchen- und Gemeindevorstande zu Wolfshau (Krummhübel) habe ich in nachstehendem die Pflicht, das Hinscheiden ihres Ortsangehörigen Lehnert Menz bekanntzugeben. Er starb hier am 1. Juni d. J. und wurde den 4. in unserer Familiengruft zu seiner letzten Ruhe bestattet. Über sein Vorleben und seine Schuld war ich durch ihn selbst unterrichtet, aber ebenso war ich, von dem Tage seines Eintritts in unser Haus an, auch ein Zeuge seiner Reue. Seine Tüchtigkeit bei der Arbeit, seine kleinen gesellschaftlichen Gaben, seine Demut und Bescheidenheit (wohl erst durch den Gang seines Lehens erworben), vor allem aber seine gute Sitte, machten ihn zum Liebling unseres Hauses, und es war beschlossen, ihn, noch im Laufe dieses Sommers, meiner Familie näher zu verbinden: die Hand meiner Tochter Ruth, die er durch seinen Mut und seine Geistesgegenwart gerettet hatte, war ihm zugesprochen. Alles ließ eine glückliche Zukunft erwarten. Als er mir aber auch den auf einem Jagdausfluge begriffenen und in eine gefährliche Lage geratenen Sohn erhalten wollte, war es ihm, nach Gottes unerforschlichem Ratschluß, vorherbestimmt, diese neue Liebestat mit seinem Leben zu bezahlen. Im eifrigen Suchen nach dem, den er in unserem Gebirge verirrt glaubte, glitt er einen steilen Bergkegel, den wir den Look-out nennen, herab und verletzte sich dabei derart (der Hüftknochen sprang aus dem Gelenk), daß er unfähig war, sich von der Unglücksstelle fortzubewegen, geschweige denn seinen Rückweg nach unserem Dorfe hin zu finden. Und in Einsamkeit ist er dort oben gestorben, nicht ohne daß sich zu seinem körperlichen Schmerz auch noch der Schmerz des Gewissens gesellt hätte, wie seine letzten Worte mit aller Bestimmtheit bezeugen. Wir fanden ihn den zweiten Tag, hoch auf dem Kamm des Gebirges, tot, mit einem in die Brusttasche gesteckten Zettel, auf den er, nachdem er sich eigens die Hand mit seinem Messer geritzt, all das mit Blut niedergeschrieben, was ihm in seiner letzten schweren Stunde das Herz bewegt hatte. Das Holzstäbchen, das ihm dabei gedient, hielt er noch in seiner Rechten. Die niedergeschriebenen Worte aber lauten: ›Vater unser, der du bist im Himmel ... Und vergib uns unsere Schuld ... Und du, Sohn und Heiland, der du für uns gestorben bist, tritt ein für mich und rette mich ... Und vergib uns unsere Schuld ... Ich hoffe: quitt.‹ Mir aber, der ich, neben der Meldung vom Tode des Lehnert Menz, auch diese seine letzten Worte zu Ihrer Kenntnis zu bringen; hatte, sei es gestattet, hinzuzufügen, daß ich der Überzeugung lebe, seine Buße habe seine Schuld gesühnt: ›Hoffnung läßt nicht zuschanden werden.‹

Eines verehrlichen Kirchen- und Gemeinde Vorstandes zu Wolfshau (Krummhübel) ganz ergebenster Obadja Hornbostel, Prediger und Vorstand der Mennonitengemeinde zu Nogat-Ehre, Indian-Territory. U. St.«


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