Theodor Fontane
Quitt
Theodor Fontane

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Zweiunddreissigstes Kapitel

Lehnert wurde tags darauf von einem heftigen Fieber befallen, und alle fürchteten für sein Leben. Ruth und Maruschka waren in Tränen, und L'Hermite, der den regelrechten Ärzten mißtraute, sacrete durch das Haus hin und hielt Reden, selbst zu Totto, über den zu frühen Tod seines Freundes Gunpowder-Face, des einzigen, der noch, nach Indianerweise, den Mut gehabt habe, jedes Fieber durch Hineinschieben in einen Backofen zu heilen, und überhaupt der beste Doktor in den ganzen United States gewesen sei. Jeder klagte, selbst Martin Kaulbars, der freilich seiner glücklichen Beanlagung nach nicht umhin konnte, seiner Klage zugleich etwas von einer Anklage beizumischen. »Das Gift auslutschen sei der reine Unsinn und sollte bloß so was sein; ausbrennen, das sei das richtige, das wisse jedes Kind, und wenn man einen alten Nagel in das Kaffeefeuer oder auch bloß in die noch glimmenden Kohlen gelegt hätte, so wäre das für Miss Ruth das beste gewesen und für den guten Schlesier auch. Nu werd er wohl dran glauben müssen. Und ob Miss Ruth durchkäme, das wäre auch noch soso. Aber das käme davon, wenn man von nichts wisse und in allem zurück sei.«

Zum Glück kam es anders, und alle Herzensnot Ruths und alle Neunmalweisheit Martin Kaulbars' erwiesen sich als ungerechtfertigt. Das Fieber, das Lehnert heimgesucht hatte, hatte mit dem Gift nichts zu schaffen und war einfach eine Folge großer Aufregung und hinzugetretener Erkältung gewesen, so daß am dritten Tage schon der aus der Nachbarschaft von Fort MacCulloch herbeigerufene Doktor Morrison die Versicherung einer vollständigen Genesung geben und selbstverständlich an dem Fest- und Freudenmahl, das Obadja denselben Abend noch veranstaltete, teilnehmen konnte.

Lehnert war sehr glücklich und empfing als nun alle Sorgen abgetan waren, noch einmal die Danksagung der Familie. Sein Glück wuchs aber noch, als am andern Morgen Obadja das Gebet sprach, worin es mit besonderer Betonung hieß, daß die Liebe der einzige Lohn für treues Dienen sei. Und gleich danach nahm der Alte die Bibel und las: »Und Jakob gewann die Rahel lieb und sprach: Ich will dir sieben Jahre um Rahel dienen. Und Laban antwortete: Es ist besser, ich gebe sie dir denn einem andern. Also diente Jakob um Rahel sieben Jahr, und deuchten ihn, als wären es einzelne Tage, so lieb hatte er sie.«

Ruth errötete. Denn ohne daß ein Wort zwischen ihr und Obadja gesprochen worden war, wußte sie doch nur zu wohl, daß der Vater in ihrem Herzen gelesen hatte.

Oben umarmte sie Maruschka, und die gute Alte sagte: »Nun wird alles gut, du stirbst nicht, und er stirbt nicht. Doktor Morrison hat mir alles gesagt, und ich hab es ihn auch noch schwören lassen, was doch immer sicherer und besser ist als euer bloßes Ja und Nein. Schwören ist doch noch was Besonderes und macht alles erst Fest. Und nun werdet ihr glücklich sein. Ich habe mir unten im Garten schon eine Myrte gezogen, und wenn Toby das Getreide nach Galveston bringt, muß er mir auch ein Kleid mitbringen, ein rotseidnes. Ich habe darauf gespart, solange du lebst.«

Ja, Lehnert war glücklich, und nur eines war, was ihm fehlte: sich über sein Glück aussprechen können. Er fühlte, so widerstrebend er sich dies auch eingestand, noch kein rechtes Recht dazu, denn das Wort, das ihm Obadja verheißen hatte, war noch immer ungesprochen geblieben, und so hielt er es denn einfach für seine Pflicht, in Zurückhaltung und Schweigen zu verharren.

Vielleicht, daß er trotz dieses starken Gefühls von dem, was sich vorläufig einzig und allein für ihn zieme, sein Schweigen dennoch durchbrochen hätte, wenn ihm L'Hermite, sein treuer Gefährte, mit etwas mehr Neugier entgegengekommen wäre. Dieser vermied es aber offenbar, irgendeine Frage zu tun, ja zeigte sich, wenn nicht alles täuschte, geradezu sorglich beflissen, einem solchen Gespräch aus dem Wege zu gehen. Lehnert zerbrach sich den Kopf darüber, und zu der Pein des Schweigenmüssens gesellte sich alsbald auch noch die Frage, warum L'Hermite seinerseits jede Frage vermeide. Von Neid oder Eifersüchtelei konnte keine Rede sein, das lag nicht in L'Hermites Charakter oder war etwas längst Überwundenes, und wenn dieser, wie ganz augenscheinlich, der Liebe seines Freundes zu Ruth trotzdem nicht froh wurde, so mußte was anderes vorliegen, was ihn zu diesem Gefühl und einer daraus erwachsenden ablehnenden Haltung bestimmte. Das Unbehagen, das Lehnert über diese Wahrnehmung empfand, war so groß, daß er schließlich, allen entgegenstehenden Selbstgelöbnissen zum Trotz, doch den Entschluß faßte, sich bei nächster Gelegenheit Gewißheit darüber zu verschaffen.

Diese Gelegenheit bot sich denn auch bald. Es war ein Musikabend gewesen, und Ruth hatte Lehnerts und auch L'Hermites Wunsch nachgegeben und ganz zum Schlusse noch einmal das Friedenslied vorgetragen, das sie, während der Septemberfesttage, so schön und für Lehnert so entscheidungsvoll gesungen hatte. Dieser war denn auch, ähnlich wie damals, von den Liebesworten und mehr noch von Ruths Stimme ergriffen worden und hatte Tränen im Auge, als das Lied schwieg. Auch L'Hermite war bewegt, und beide, wie wenn sie gewillt gewesen wären, sich den eben gehabten Eindruck durch Maruschka nicht stören zu lassen, brachen früher als gewöhnlich auf und gingen in ihren Korridor hinüber. Einen Augenblick schwankten sie hier, wohin sich wenden, aber L'Hermites Zimmer, überhaupt das bevorzugtere, ward auch heute gewählt, und nach rechts hin eintretend, nahmen beide Platz, Lehnert auf einem Schaukelstuhl, L'Hermite, wie gewöhnlich mit untergeschlagenen Beinen, auf seinem Arbeitstisch, den Schraubstock neben sich.

»Eh bien«, sagte L'Hermite, während er eine kleine Eisenstange aus dem Schraubstock herauszog und damit zu spielen begann, »eh bien, Lehnert. was gibt's? Ich glaube, Ihr wollt mir etwas sagen.«

»Ja, seit lange schon.«

»Nun denn.«

»Ich liebe Ruth.«

L'Hermite lächelte. »Wer nicht?«

»Ah, ich versteh ... Ihr findet es anmaßlich« (L'Hermite schüttelte den Kopf) »oder vielleicht ein Unrecht.«

»Ni l'un ni l'autre.«

»Oder Ihr meint, sie liebe mich nicht?«

»Au contraire.«

»Nun, was dann?«

»Mon cher Lehnert«, und L'Hermite setzte sich in eine Art Positur, »Ihr kennt meinen Katechismus und wißt, daß der Pfaffengott nicht darin vorkommt.«

Lehnert nickte.

»Gut denn, es gibt also keinen Gott, wenigstens nicht für mich. Aber, mon cher ami, es gibt ein Fatum. Und weil es ein Fatum gibt, geht alles seinen Gang, dunkel und rätselvoll, und nur mitunter blitzt ein Licht auf und läßt uns gerade so viel sehen, um dem Ewigen und Rätselhaften, oder wie sonst Ihr's nennen wollt, seine Launen und Gesetze abzulauschen.«

»Nun?«

»Und ein solches Gesetz ist es auch: wenn man erst mal heraus ist, kommt man nicht wieder hinein. Und da hilft kein Hoherpriester und kein Prophet, und wenn es Obadja selber wäre, gleichviel ob der alte oder der neue. Das Fatum ist eben stärker, und es ist das beste, cher Lehnert, Ihr lebt Euch mit diesem Gedanken ein. Ich hab es getan. Und wenn Euch das auch glückt, so werdet Ihr wenigstens eines davon haben, dasselbe, was ich davon gehabt habe: das Glück der Einsamkeit. Ihr steht dann von Stund an über dieser armen Komödie, die Welt und Leben heißt.«

Lehnert starrte ihn an.

L'Hermite aber, dessen Bewegungen immer nervöser wurden, fuhr fort: »Gebt Ruth auf. Ihr kriegt sie nicht. Und wenn morgen die Hochzeit sein soll und die gute Frau Kaulbars so viel Kringel und Krausgebackenes bäckt, daß der Fettgeruch bis zu Krähbiel und den Arapahos hinüberzieht und unserem Freunde Gunpowder-Face, der dergleichen liebte, noch in seinem Grab umkitzelt – ich sag Euch, Lehnert, Ihr kriegt sie doch nicht, Ihr fallt tot vorm Altar nieder. Und wenn nicht Ihr, so Ruth. Glaubt mir, es soll nicht sein. Es ist da so was Merkwürdiges in der Weltordnung, und Leute wie wir – Pardon, ich sage mit Vorbedacht wie wir –, die nimmt das Schicksal, der große Jaggernaut, unter die Räder seines Wagens und zermalmt sie, wenn sie glücklicher sein wollen, als sie noch dürfen.«


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