Joseph Smith Fletcher
Das Teehaus in Mentone
Joseph Smith Fletcher

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18

Halstead erwartete mich in der Haupthalle; er nahm mich gleich mit hinunter zum Schwimmbassin und suchte für uns Platz in einer Ecke, wo wir die Schwimmer auf ihrem Weg zum und vom Ankleideraum sehen konnten. Wir nahmen an einem Tisch hinter einer Säule Platz.

»Ist alles vorbereitet?« fragte er mich.

»Ja«, antwortete ich kurz.

»Wenn ich nun recht habe«, sagte er, »was geschieht dann?«

»Dann stellen wir ihn«, erwiderte ich. »Sie können ihn doch identifizieren?«

»Wenn wir wirklich das, was ich vermute, zu sehen bekommen«, antwortete Halstead, »dann sage ich ihm auf den Kopf zu, daß er Crowther ist, denn ich glaube kaum, daß es auf dieser Welt noch jemanden gibt, der so gezeichnet ist. Ach, – bei Gott, da ist er! Sehen Sie sich nicht um, gleich wird er direkt an uns vorbeikommen – blicken Sie nach links, wenn er vorbeigeht. Jetzt . . .«

Ich sah nach links, mein Herz schlug heftig. Ein, zwei rasche Schritte – ein Mann kam vorbei. Beinahe hätte ich seinen Namen laut gerufen, aber zum Glück konnte ich mich mit aller Mühe noch beherrschen. Im selben Augenblick beugte sich Halstead zu mir und packte mich mit eisernem Griff am Handgelenk.

»Ssst!« flüsterte er. »Ruhig! Kennen Sie ihn?«

Ich riß mich zusammen. »Ja«, sagte ich, meinen Mund dicht an seinem Ohr. »Craye! Mr. Francis Craye! Lord Cheverdales Geschäftsführer!«

Halstead schmunzelte.

»Aha!« sagte er. »Ich wußte das, mein Freund. Aber – ich wollte es nicht sagen. Sie sollten ihn selbst sehen. Craye! Ja, aber wenn Craye nicht Frank Crowther ist, will ich ein Schotte sein! Jedenfalls werden wir schon in einer Minute klar sehen, er wird gleich aus dem Ankleideraum kommen. Halten Sie die Augen offen.«

Diese Ermahnung war wirklich nicht nötig. Ich saß gespannt da und wartete. Fünf, zehn Minuten gingen vorbei – plötzlich flüsterte Halstead mir zu:

»Aufgepaßt – er kommt!«

Jetzt erschien Craye am Rande des Beckens. Arme und Beine waren nackt, sein linker Arm, den er zum Sprung in das große Bassin erhoben hatte, war uns ganz nahe, der Schein einer elektrischen Lampe fiel voll auf das weiße Fleisch. Eine Sekunde – wir hatten gesehen, was wir wollten –, und er war ins Wasser gesprungen!

Halstead erhob sich und gab mir ein Zeichen, seinem Beispiel zu folgen. Wir traten vom Rand des Beckens zurück.

»Das ist Crowther!« sagte er. »So wahr ich lebe, das ist Frank Crowther! Es gibt keinen anderen Menschen auf dieser Welt, der eine solche Zeichnung trägt. Wenn ich ihn schon gestern abend schwimmen gesehen hätte, würde ich ihn sofort erkannt haben. Obwohl er sich Bart und Schnurrbart hat wachsen lassen, war ich meiner Sache sicher. Und was werden Sie jetzt tun, Camberwell?«

»Das hängt davon ab, wie lange er voraussichtlich hier im Klub bleibt«, sagte ich. »Wenn ich das wüßte . . .«

»Gestern abend aß er hier«, sagte Halstead. »Möglich, daß er es heute wieder macht. Brauchen Sie Hilfe? Wenn ja, will ich ihn im Auge behalten.«

Ich ließ ihn dort zurück, ging aus dem Haus und sah mich nach Chippendale um, der plötzlich – wie aus dem Erdboden gestampft – neben mir auftauchte.

»Ja, Sir?« fragte Chippendale.

Ich erzählte Chippendale, was er wissen mußte, um Chaney berichten zu können, der dann sofort die Polizei zu Hilfe holen und selbst draußen vor dem Klub auf mich warten sollte. In der Zwischenzeit würden Halstead und ich auf Craye aufpassen. Als Chippendale in ein Taxi sprang und wegfuhr, ging ich zum Schwimmbad zurück.

Craye stieg gerade aus dem Wasser; noch einmal konnte ich klar die Tätowierung sehen – einen schwarzen Drachen, sehr lebendig gemalt, der sich rund um das Fleisch des linken Armes wand. Craye verschwand in einem Ankleideraum, Halstead aber und ich setzten uns draußen in eine Ecke der Halle, um sein Herauskommen zu erwarten und seine weiteren Schritte zu beobachten.

»Was, wenn er Sie wiedererkennt?« fragte ich.

»Nach so langer Zeit glaube ich das nicht; es sind mindestens zwölf Jahre her, seit wir uns nicht gesehen haben, und damals war ich – wie er selbst – glatt rasiert. Heute bin ich das ja nicht mehr. – O nein, er wird mich nicht erkennen. Außerdem war ich damals ein schlanker, sportlicher Bursche; heute aber würde man mich mindestens behäbig nennen. Aber wie ist es denn mit Ihnen? Er kennt Sie doch?«

»Ich glaube nicht, daß er dem die geringste Bedeutung beimessen wird, wenn er mich hier sieht«, erwiderte ich. »Ich kann ja hier Mitglied sein. Die Mitgliederzahl ist doch sehr groß, nicht wahr?«

»Mehrere Tausend«, bejahte er. »Aber wir dürfen ihn nicht aus dem Auge verlieren.«

Gerade jetzt kam Craye aus den Ankleideräumen heraus. Er ging auf die Treppe zu und sah weder nach rechts noch links; wir erhoben uns und folgten in kurzer Entfernung. Oben ging er in die Bar. Dort traf er Paley, der offenbar auf ihn gewartet hatte. Sie traten zusammen an den Bartisch und bestellten Getränke. Da sie mit dem Rücken zu uns standen, sahen sie weder Halstead noch mich an unserem Tisch in der Nähe der Tür. Wenige Minuten später drehten sie sich um. Jetzt erblickten sie mich. Craye ging vorbei und nickte mir zu. Paley aber blieb stehen, und zum erstenmal hatte er ein fast freundliches Lächeln für mich . . .

»Ich wußte gar nicht, daß Sie hier Mitglied sind«, bemerkte er und sah dabei auf Halstead. »Ich erinnere mich gar nicht, Sie je hier gesehen zu haben.«

»Ich bin nur Gast«, antwortete ich. »Ich esse hier mit meinem Freund, der Mitglied ist.«

Er sah wieder Halstead an, dann warf er mir einen prüfenden Blick zu.

»Irgend welche neuen Dinge auf Ihrer Reise im Ausland erfahren?« fragte er. »Irgend was von Bedeutung?«

»O ja!« antwortete ich.

»Aber alles soll geheimgehalten werden, wie ich annehme«, nickte er und fiel wieder in seine gewöhnliche, zynische Art. »Na, ich glaube, wir werden das ja in Cheverdale-Haus hören – ich bin die letzten zwei, drei Tage weggewesen, doch morgen früh habe ich dort wieder Dienst.«

Er nickte uns zu und ging weiter, um Craye einzuholen, der draußen auf ihn wartete; sie gingen dann zusammen in den Speisesaal. Nach einiger Zeit folgten wir ihnen, und beim Essen sagte ich Halstead, wer Paley war, und erzählte ihm von dem Verdacht, den Chaney und ich gegen ihn hatten.

»Und was weiter?« fragte Halstead.

»Wir können nichts tun als warten und beobachten, bis Craye geht«, sagte ich. »Chaney wird mit seinen Leuten draußen sein; dann . . .«

»Ja«, sagte er. »Was dann?«

»Dann wird er ihn festnehmen. Sie sind doch bereit, auszusagen, daß er Frank Crowther ist?«

»Ich bin bereit, es zu beschwören«, antwortete er. »Er ist Frank Crowther!«

 


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