Joseph Smith Fletcher
Das Teehaus in Mentone
Joseph Smith Fletcher

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11

Der Beamte hörte höflich und aufmerksam den Erklärungen zu, die ihm Chaney über unser Kommen gab, und besah sich mit Interesse die Abschrift, die wir von der Heiratsurkunde gemacht hatten.

»O ja, o ja«, sagte er ohne Zögern. »Ich erinnere mich an die Leute. Eine hübsche, junge Frau und ein eleganter, junger Mann! Sie werden's schon bemerkt haben, daß als Adresse der Frau das Hotel ›Engel‹ in unserer Stadt angegeben ist. Sie war dort Barmädchen und hatte, wie ich glaube, eine Menge Verehrer. Wenn Sie eine Auskunft wollen, bekommen Sie sie dort sicher von Mr. Milford, dem Besitzer; er ist jetzt ein alter Mann, aber sein Gedächtnis ist noch ganz gut. Es sind auch noch andere Leute hier, an die Sie sich wenden können. Zum Beispiel die beiden Zeugen bei der Trauung . . . hier stehen sie schon: Mr. John Halstead, heute ein wohlbekannter Fabrikant in unserer Stadt, und Miß Milford, die noch unverheiratete Tochter Mr. Milfords. Sie sehen, ich bin mit den örtlichen Verhältnissen vollkommen vertraut.«

»Sehr verbunden«, sagte Chaney. »Und wie steht es mit Ihrer eigenen Erinnerung? Können Sie uns irgendeinen Anhaltspunkt geben, wie dieser Frank Crowther aussah?«

Der Beamte lächelte und hob abwehrend die Hand.

»Nein, nein!« sagte er. »Das kann ich nicht! Ich erinnere mich nicht einmal, ob er klein oder groß, dunkel oder blond war. Ich weiß nur noch, daß mir der elegante, junge Bursche auffiel, und daß die beiden ein sehr gutes Paar abgaben.«

»Wissen Sie, was aus den beiden nach ihrer Heirat geworden ist?« fragte Chaney.

»Ich hörte, daß sie unmittelbar nach der Hochzeit die Stadt verließen«, erwiderte der Beamte. »Aber weiter weiß ich nichts. Die Leute im ›Engel‹ wissen wahrscheinlich mehr. Sind Sie noch nicht dort gewesen?«

»Nein«, sagte Chaney. »Wir kamen zuerst zu Ihnen!«

»Der ›Engel‹ ist in Whitemarket Street«, sagte der Standesbeamte. »Ein altmodisches Haus, aber sehr gut geführt. Milford, der Besitzer, ist so ein bißchen – was man eine ›Type‹ nennt. Am besten wenden Sie sich an ihn, aber noch mehr Auskünfte werden Sie von seiner Tochter bekommen, die heute die eigentliche Leiterin des Hauses ist. Sie weiß wahrscheinlich eine ganze Menge über die Angelegenheit.«

Wir gingen zum »Engel«, einem geräumigen, weitläufigen, altmodischen Hotel, dessen Äußeres noch an die Tage der Tudors erinnerte; innen war es reich mit alten Eichenmöbeln ausgestattet.

Wir trafen bald seinen Besitzer, einen schon recht alten Herrn, der mit seiner Zigarre zwischen den Lippen, ein Glas Wein vor sich, behaglich am hellbrennenden Kamin in seinem Empfangszimmer saß. Er war ziemlich schwerhörig, und wir hatten Mühe, ihm unsere Gegenwart und den Grund unseres Aufenthalts zu erklären.

»Über wen wollen Sie etwas wissen?« fragte er schließlich. »Wie war der Name?«

»Alice Holroyd, Sir. Früher Barmädchen in Ihrem Haus«, erwiderte Chaney.

»Alice? – Ging vor zehn oder zwölf Jahren von hier weg. Heiratete. – Was möchten Sie von mir wissen?«

»Wir suchen ihre und ihres Mannes Spur.«

»Ich weiß nichts über die beiden. Sie ging von mir weg, als sie heiratete. Wozu wollen Sie das wissen?«

»Es ist eine sehr wichtige Angelegenheit, Sir!«

»Hm!« Mr. Milford musterte uns beide von Kopf bis zu Fuß. »Anwälte, wie?«

»Etwas Ähnliches. Es liegt uns viel daran, die Spur von Alice Holroyd und dem Mann, den sie heiratete, aufzufinden. Zu diesem Zweck sind wir den weiten Weg von London hergekommen.«

Mr. Milford machte noch einmal ›Hm‹, dann hob er seinen dicken Stock, stieß damit heftig gegen die Eichentäfelung und rief laut: »Sofia!«

Eine Tür öffnete sich, und aus dem Zimmer nebenan trat eine klug aussehende Frau mittleren Alters herein, die forschend vom Wirt auf uns sah. Mr. Milford zeigte mit dem Stock auf uns.

»Diese Heeren möchten wissen, ob du ihnen etwas über Alice, das Mädchen, das wir vor zwölf Jahren hatten, sagen kannst, Sofia«, meinte er. »Weißt du, die damals den Burschen heiratete und dann wegging. Ich kann ihnen nichts sagen.«

Miß Milford sah uns wieder an, sie schätzte uns offenbar ein.

»Ja, natürlich, ich kann Ihnen eine ganze Menge über Alice Holroyd erzählen«, sagte sie zögernd. »Ist es . . . aber vielleicht würden Sie mir sagen, um was es sich handelt?«

Chaney erwähnte den Standesbeamten und ließ durchblicken, was wir erfahren wollten. Miß Milford wurde sofort mitteilsam und setzte sich. Ihr Vater erhob sich und verließ, auf seinen Stock gestützt, das Zimmer. Seine Tochter schloß die Tür hinter ihm.

»Ja«, sagte sie und setzte sich nieder. »Alice Holroyd war drei Jahre bei uns Barmädchen, bevor sie heiratete; ich kenne sie also gut. Sie war ein sehr nettes, kluges, tüchtiges Mädchen, ihr Vater und ihre Mutter waren tot, Geschwister hatte sie nicht. Sie besaß auch etwas eigenes Geld; etwa zweitausend Pfund, die in einer Baugesellschaft hier in der Stadt angelegt waren. Bei uns hatte sie ein sehr hübsches Gehalt, war also ein ganz wohlhabendes Mädchen. Sie führte sich sehr gut und genoß allgemeine Achtung. Sie bekam auch eine ganze Menge Heiratsanträge; ich kann Ihnen sagen, es gab hier in der Stadt genug ernste, junge Leute, die nur zu gern bereit gewesen wären, sie zu heiraten. Aber sie hatte nie irgendeine Liebschaft, bis dieser Frank Crowther herkam. Dann ging es allerdings ganz schnell.«

»Was war das für ein Mann, Miß?« fragte Chaney. »Haben Sie ihn gekannt?«

»Vorher nicht«, erwiderte Miß Milford. »Er war nicht aus Milthwaite, er kam in Geschäften in die Stadt, ich habe aber nie herausbekommen, was für Geschäfte das waren. Er schien ganz wohlhabend, war immer elegant angezogen und hatte eine Menge Geld zum Ausgeben. Jedenfalls fand Alice Gefallen an ihm – wenn er in der Stadt war, kam er immer viel hierher –, und sehr bald hörte ich, daß sie heiraten wollten. Ich war darin der eine Zeuge von Alice, und ich erinnere mich, wie sonderbar es mir erschien, daß Crowther keine Verwandten hier hatte, nicht einmal einen Freund. Sein Zeuge war ein Herr aus Milthwaite, Mr. John Halstead. Ich glaube, Crowther hatte manchmal geschäftlich mit ihm zu tun, und so bat er ihn um diesen Dienst. Alice, die Waise war, hatte keine Verwandten.«

»Was geschah nach der Trauung?« fragte Chaney.

»Da hatten wir hier ein kleines Hochzeitsfrühstück«, erwiderte Miß Milford. »Und am Nachmittag fuhren die beiden nach London. Ich habe sie nie wiedergesehen.«

»Auch nichts von ihnen gehört?« fragte Chaney.

»Das ist etwas anderes«, sagte Miß Milford. »Gehört habe ich zweierlei: erstens erfuhr ich kurz nach ihrer Abreise durch ihren Anwalt, an den sie sich ohne mein Wissen gewendet hatte, daß Alice wenige Tage vor der Hochzeit ihr ganzes Geld von der Baugesellschaft abgehoben hatte; es waren – wie schon erwähnt – etwa zweitausend Pfund. Zweitens bekam ich ungefähr ein Jahr später von ihr den ersten Brief, er kam aus Mentone, im Süden Frankreichs. Sie schrieb mir, daß sie und ihr Mann in Geschäften dort wären, ohne aber zu erwähnen, was für Geschäfte das waren. Daß sie mir überhaupt schrieb, hatte seinen Grund wohl darin, daß ich ihr einen Koffer mit Kleidern, den sie hier zurückgelassen hatte, nachschicken sollte. Ich schickte ihn ab, antwortete aber nie auf ihren Brief. Das ist alles, was ich von ihr weiß.«

»Sie haben auch nie wieder von ihr gehört?« fragte Chaney. »Auch nichts über sie?«

»Weder von ihr, noch über sie«, erwiderte Miß Milford. »Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich von ihr weiß. Wenn Sie etwas über Crowther erfahren wollen, kann Ihnen vielleicht Mr. Halstead Auskunft geben – ich weiß nichts.«

Mr. Halstead, den wir bald darauf aufsuchten, war – wie sich herausstellte – einer der ersten Fabrikanten der Stadt. Wir hatten Glück und fanden ihn in seinem Büro; er war ein großer, dicker, verschmitzt aussehender echter Yorkshire-Mann, der uns gründlich musterte, während Chaney ihm den Zweck unseres Besuches erklärte. Er hörte stillschweigend zu, bis Chaney geendet hatte, dann bot er uns Stühle an, setzte sich selbst an seinen Schreibtisch, steckte die Daumen in die Armlöcher seiner Weste und sah listig von einem zum andern.

»Hinter was seid ihr Burschen nun eigentlich her?« fragte er mit einem Zwinkern seiner scharfen Augen. »Da steckt mehr dahinter, als ihr mir gesagt habt. Was ist das?«

Chaney sah mich an. »Ich denke, wir können Mr. Halstead in unser vollstes Vertrauen ziehen, nicht, Camberwell?« sagte er. »In unser vollstes Vertrauen!«

Halstead lachte: »Ihr werdet nichts aus mir herauskriegen, wenn ihr das nicht tut«, sagte, er. »Nichts Halbes mit einem Yorkshire-Mann, meine Freunde! Alles oder nichts!«

»Also gut«, erwiderte Chaney. »Dann alles. Sie haben doch die Zeitungsberichte über den Mord an Mr. Thomas Hannington auf Lord Cheverdales Besitz in Regents Park gelesen?«

»Das habe ich! Eine merkwürdige Sache!«

»Auch über den Mord in derselben Nacht an einer Frau in Little Custom Street – die dort als Mrs. Clayton bekannt war?«

»Auch das habe ich gelesen. Noch merkwürdigere Geschichte!«

»Also gut. Wir glauben, daß Mrs. Clayton identisch ist mit einer gewissen Alice Holroyd, die vor etwa zwölf Jahren in dieser Stadt einen Mann namens Frank Crowther heiratete, wobei Sie Zeuge waren.«

Halstead sprang auf. »Teufel auch!« rief er aus. »Alice Holroyd! Wie denn? Ermordet? Aus welchem Grund?«

»Ich wollte es Ihnen gerade erzählen«, sagte Chaney. Und er teilte Halstead alles weitere mit. »Also«, schloß er, »was können Sie uns über Alice Holroyd und Frank Crowther, besonders über Crowther, sagen? Sie waren bei der standesamtlichen Trauung Brautführer oder Zeuge. Was haben Sie damals von ihm gewußt? Was haben Sie seitdem von ihm gehört?«

»Seitdem – nichts!« erwiderte Halstead. »Vorher – sehr wenig. Ich habe nie viel von Crowther gewußt. Allerdings ist das schon zwölf Jähre her, wir waren damals junge Leute. Ich habe Crowther auf folgende Weise kennengelernt: Gelegentlich kam er in Geschäften nach Milthwaite und blieb dann gewöhnlich einige Wochen in der Stadt. Er war so eine Art Handlungs- oder Provisionsreisender. Genaues habe ich nie darüber erfahren, er war ja auch nicht in meiner Branche tätig. Aber er hatte großes Interesse für Sport und Athletik und besuchte einen Athletikklub, dessen Mitglied auch ich war, und so wurden wir gut bekannt. So kam es auch, daß er mich bat, bei seiner Trauung auf dem Standesamt Zeuge zu sein; er kannte ja nicht viele Leute, und ich glaube, er mochte mich gern.«

»Können Sie beschreiben, wie er damals aussah?« fragte Chaney.

»Ja, das kann ich. Er war eher klein, höchstens mittelgroß, mager, aber sehnig, ein Mann von ungewöhnlicher Körperkraft und Gesundheit, jeder Zoll durchtrainiert. Er führte am Barren und Trapez Übungen aus, die nur ein Mann machen kann, der immer im Training ist. Ich habe ihn mit indischen Keulen schwingen sehen . . .«

»Ich meine, seine persönliche Erscheinung«, unterbrach Chaney.

»Ich sagte Ihnen ja, er war von mittlerer Größe, hatte dunkles Haar, war glattrasiert, sah gut aus, lächelte immer verbindlich und hatte, was wir in Yorkshire ein ›einschmeichelndes Wesen‹ nennen, namentlich wenn es sich um Frauen handelte. Dieses Mädchen, die Alice Holroyd, war ganz verrückt nach ihm.«

»Und Sie sagen, Sie haben seit der Hochzeit niemals mehr von ihnen gehört, Mr. Halstead? Überhaupt nichts mehr?«

»Überhaupt nichts mehr! Sie verließen Milthwaite am Nachmittag ihres Hochzeitstages, und ich habe seitdem nichts mehr von ihnen gehört. Natürlich hatte ich mal eine Nachricht erwartet, denn Crowther hatte sich mit mir angefreundet; aber ich habe tatsächlich nicht ein einziges Wort mehr von ihnen bekommen. Dagegen erfuhr ich etwas in der Stadt. Das Mädchen hatte Geld in einer hiesigen Baugesellschaft angelegt. Man sagte mir, daß sie ein paar Tage vor der Hochzeit alles bis auf den letzten Heller herausgezogen hatte – es waren wohl ein paar tausend Pfund. Ich nehme an, daß er das Geld bekommen hat. Kann sein, daß er sie deswegen heiratete. Sie sehen also, daß ich nicht behaupten kann, Crowther wirklich zu kennen. Außer dem wenigen, was ich Ihnen erzählt habe, weiß ich nichts von ihm.«

»Miß Milford vom ›Engel‹ sagte mir, daß sie von Mrs. Crowther ein Jahr nach der Heirat Nachricht erhielt«, bemerkte Chaney. »Crowthers lebten damals in Mentone.«

Halstead lachte.

»Hübsch nahe bei Monte Carlo, nicht wahr?« fragte er. »Wie ich Crowther in Erinnerung habe, möchte ich wetten, daß er totsicher, wenn er auf zwanzig Meilen in die Nähe von Monte Carlo kam, das Kasino besuchte! Mehr weiß ich aber nicht – bis auf eins: Sie möchten Crowther auffinden?«

»Wenn er noch am Leben ist – ja!« erwiderte Chaney.

»Schön! Dann kann ich Ihnen etwas sehr Wichtiges mitteilen«, fuhr Halstead fort. »Crowther war bei seiner Liebe zur Gymnastik und Athletik auch ein leidenschaftlicher Schwimmer. Wir hatten ein schönes Bassin im Athletikklub, von dem ich sprach, und er pflegte dort fleißig zu schwimmen. Daher kann ich Ihnen sagen, wie Sie Crowther sicher erkennen können, wenn Sie ihm jemals begegnen sollten, sicher und unfehlbar!«

»Großartig«, sagte Chaney. »Wie denn?«

»Crowther hat eine Tätowierung von auffallendem Muster auf seinem linken Arm, gerade über dem Ellbogen. Es ist wie ein Armband – eine schwarze Schlange oder ein Drache, der vollständig um den Arm herumgeht. Er erzählte mir einmal, er habe sich das irgendwo im Fernen Osten machen lassen. Jedenfalls ist es ein besonders schönes Stück Arbeit. Zeitlebens wird er es nicht wieder loswerden, das kann er sich nicht abscheuern! Wenn Sie ihm jemals begegnen, werden Sie ihn daran erkennen. Es ist etwas ganz Außergewöhnliches. Aber sagen Sie mir: glauben Sie wirklich und ernsthaft, daß diese arme Frau, die in Little Custom Street ermordet wurde, Mrs. Crowther ist?«

Wir blieben noch eine Weile bei Mr. Halstead und sprachen über die beiden Morde. Dann gingen wir auf seinen Rat hinüber in die Büros des ›Milthwaite Observer‹ und gaben für den nächsten Morgen eine Annonce auf, in der wir jeden, der über Alice Crowther, geborene Holroyd, Auskunft geben konnte, aufforderten, sich mit uns im Midland-Hotel unverzüglich in Verbindung zu setzen. Schon am nächsten Vormittag wurden wir benachrichtigt, daß der Anwalt Charles Perkins uns aufgesucht hatte; da wir leider gerade ausgewesen waren, hatte er eine Nachricht hinterlassen, daß wir ihn in seinem Büro im Börsengebäude aufsuchen möchten.

Wir gingen sogleich zu Mr. Perkins.

Er war, wie sich herausstellte, ein älterer Herr, der uns auszufragen suchte und alles wissen wollte, bevor er uns auch nur ein Wort mitteilte. Wie damals Mr. Halstead, mußten wir also auch ihn ins Vertrauen ziehen, um weiter zu kommen. »Sie können einem Arzt, Priester oder Anwalt getrost alles sagen«, meinte er und zeigte sich gar nicht besonders überrascht über unsere Mitteilungen.

»Ich weiß nichts über Crowther«, gestand er dann. »Ich kannte Alice Holroyd, sie nahm mich beruflich in Anspruch, als sie ihr Geld hier in der Third Equitable Baugesellschaft anlegte. Es waren etwas über zweitausend Pfund, die ihr ihr Vater hinterlassen hatte. Sie zog die ganze Summe heraus, kurz bevor sie heiratete. Sie tat es gegen meinen Rat, weil sie und ihr Mann zusammen ein Geschäft aufmachen wollten und Kapital brauchten.«

»Hat sie Ihnen mitgeteilt, wo das sein sollte?« fragte Chaney.

»Nein«, erwiderte Mr. Perkins. »Aber zwei Jahre später mußte ich Mrs. Crowther ausfindig machen. Ein entfernter Verwandter von ihr hatte ihr ein Legat von fünfzehnhundert Pfund hinterlassen. Es war in meinen Händen. Ich forschte im Hotel ›Engel‹ nach, wo sie vor ihrer Verheiratung angestellt gewesen war, und erfuhr von Miß Milford, daß Mrs. Crowther jetzt in Mentone sei. Ich setzte also eine Annonce in eine dortige Zeitung, die in englischer Sprache erscheint und so eine Art Fremdenliste ist; daraufhin hörte ich von ihr. Sie war wirklich in Mentone.«

»Hat sie Ihnen geschrieben, was sie dort machte?«

»Nein; sie teilte mir nur mit, daß sie die Annonce gelesen habe und mir daher ihre Adresse sende. Ich wollte natürlich eine Bestätigung haben, daß sie dieselbe Alice Holroyd, jetzt Crowther sei, die ich in Milthwaite gekannt hatte. Ich erhielt auch diese Bestätigung bald, und die fünfzehnhundert Pfund wurden ihr ausgezahlt. Hier –« fuhr Mr. Perkins fort, öffnete ein Schubfach seines Schreibtisches und holte einige Papiere heraus. – »Hier ist mein geschäftlicher Briefwechsel mit ihr und ihre letzte Bestätigung über den Empfang des Geldes.«

»Wir würden gerne die Adresse haben«, sagte Chaney. »Vielleicht können wir mit ihrer Hilfe die späteren Wege von Mrs. Crowther ausfindig machen.«

»Die Adresse«, sagte Mr. Perkins mit einem Blick auf die Papiere in seiner Hand, »ist einfach: Promenade St. Louis. Keine Nummer.«

Er hielt Chaney die Papiere hin, der aber den Kopf schüttelte.

»Ich glaube nicht, daß sie etwas für uns Interessantes enthalten«, sagte er. »Aber die Adresse wird uns von Nutzen sein. Ist vielleicht in dem Briefwechsel ihr Mann, Crowther, erwähnt?«

»Nein«, erwiderte Mr. Perkins. »Nicht ein einziges Mal.«

»Haben Sie selbst Crowther jemals gesehen? Vielleicht zur Zeit seiner Heirat?« fragte Chaney.

»Nein; sie brachte ihn nie her. Sie sagte, er sei ein sehr kluger junger Mann. Ich möchte beinahe sagen, sie war in ihn vernarrt. Glauben Sie denn wirklich«, schloß Mr. Perkins, »daß die ermordete Frau Mrs. Crowther war?«

»Ich glaube schon«, antwortete Chaney. »Alles deutet darauf hin.«

»Dann«, sagte Mr. Perkins, »dann möchte ich wetten, daß ihr Mann seine Hand im Spiel hat. Guten Morgen!«

Als wir auf der Straße standen, sagte Chaney: »Camberwell, wir müssen nach Südfrankreich fahren!«

 


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