Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil II
Henry Fielding

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Viertes Kapitel.

Conterfei einer Landedeldame nach dem Leben.

Als Herr Western mit seinem Schreien aufgehört und wieder etwas Athem geschöpft hatte, fing er an in sehr nachdrücklicher Weise die Männer zu beklagen, »die,« so sagte er, »bei jedem Tritt und Schritt von den Launen irgend einer verdammten Hexe verfolgt würden. Ich denke, ich war von Deiner Mutter geplagt genug für einen Mann; kaum ist die weg, so ist wieder eine andere da; aber bei meinem Wams, keine soll mich länger an der Nase herumführen.«

Sophie war bis zu dieser unglücklichen Angelegenheit mit Blifil nie über irgend etwas mit ihrem Vater in Streit gerathen, außer wenn sie ihre Mutter in Schutz nahm, 163 die sie auf das Zärtlichste geliebt hatte, obgleich sie erst elf Jahr alt war, als sie dieselbe verlor. Der Squire, dem dieses arme Weib, so lange ihre Ehe währte, mehr eine getreue Haushälterin und Dienerin gewesen war, hatte ihr dieses Benehmen dadurch vergolten,. daß er ihr, was die Welt so nennt, ein guter Gatte war. Er fluchte sehr selten (vielleicht nicht über einmal wöchentlich) auf sie und schlug sie nie: sie hatte nicht die geringste Ursache, eifersüchtig zu sein und war unumschränkte Gebieterin ihrer Zeit; denn sie wurde nie von ihrem Gemahl gestört, da dieser den ganzen Morgen mit seinen Beschäftigungen im Freien und den ganzen Abend mit seinen Saufkumpanen zubrachte. Sie bekam ihn beinahe nie außer bei Tische zu sehen, wo sie das Vergnügen hatte, die Gerichte vorzulegen, mit deren Zubereitung sie vorher beschäftigt gewesen war. Von diesen Mahlzeiten entfernte sie sich fünf Minuten später als die andern Dienstleute; nachdem sie noch zuvor einmal »auf den König, den Beherrscher der Gewässer« getrunken hatte. So war, wie es schien, Herrn Western's Befehl: denn es war ein Grundsatz von ihm, Frauen sollten mit dem ersten Gericht erscheinen und nach dem ersten Glase wieder gehen. Diesen Befehlen zu gehorchen war vielleicht keine schwierige Aufgabe; denn die Unterhaltung (wenn man es so nennen darf) war selten so, daß sie eine Dame hätte fesseln können. Sie bestand hauptsächlich in Schreien, Singen, Erzählungen von Jagdabenteuern und in Schimpfen auf die Weiber und auf die Regierung.

Dies waren indessen die einzigen Zeiten, wo Herr Western seine Gattin sah; denn des Abends beim Zubettgehen war er gewöhnlich so betrunken, daß er sie nicht sehen konnte; und in der Jagdzeit stand er stets wieder auf, ehe es Tag wurde. Somit war sie unbeschränkte Gebieterin ihrer Zeit und hatte überdies eine Kutsche mit Vieren 164 fortwährend zu ihrer Verfügung, was ihr jedoch wegen der schlechten Nachbarschaft und der schlechten Wege nicht viel nützte; denn niemand, der sein Leben lieb hatte, wagte sich gern durch die erstere, und niemand, dem seine Zeit einigermaßen theuer war, auf die letzteren. Um nun aber ehrlich mit dem Leser zu sein, müssen wir gestehen, daß sie so viel Zärtlichkeit nicht ganz so erwiederte, wie man hätte erwarten sollen; denn ihr eitler Vater hatte sie gegen ihren Willen verheirathet, weil ihm die Verbindung sehr vortheilhaft schien, indem der Squire ein jährliches Einkommen von 3000 £ hatte und ihr ganzes Vermögen nicht über 8000 £ betrug. Dadurch war vielleicht ihr Gemüth etwas verstimmt worden; denn sie war mehr eine gute Dienerin als eine gute Gattin; auch war sie nicht immer so gefällig, die wilde und lärmende Lustigkeit, mit der ihr der Squire entgegenkam, auch nur mit einem freundlichen Lächeln zu vergelten. Sie sprach ferner bisweilen über Dinge, die sie nichts angingen, wie über das unmäßige Trinken ihres Gemahls, was sie in den mildesten Ausdrücken tadelte, wenn sich ja einmal die selten günstige Gelegenheit dazu darbot. Und ein einziges Mal in ihrem Leben bat sie ihn recht dringend, sie auf zwei Monate nach London zu bringen, was er ihr auf das Bestimmteste abschlug, ja worüber er ihr für alle Zukunft zürnte, weil er den festen Glauben hatte, daß jeder verheirathete Mann in London ein Hahnrei wäre.

Aus diesem letztern, so wie aus vielen andern Gründen, faßte Western endlich einen tiefen Haß gegen seine Gattin, und so wie er diesen bei ihren Lebzeiten nie verbarg, so vergaß er ihn auch nach ihrem Tode nicht; sondern machte, wenn ihn irgend etwas im Geringsten ärgerte, wie etwa eine ungünstige Witterung zur Jagd, oder eine Krankheit unter seinen Hunden, oder ein ähnliches Unglück, seinem 165 Verdrusse durch Schmähungen der Verstorbenen Luft, indem er sagte: »Wenn meine Frau noch lebte, die würde sich darüber freuen.«

Diese Schmähungen ließ er vorzüglich gern in Sophiens Gegenwart laut werden; denn da er sie über Alles liebte, so war er wirklich eifersüchtig, daß sie ihre Mutter mehr geliebt haben möchte als ihn. Und diese Eifersucht erhöhte Sophie bei solchen Gelegenheiten nur noch; denn er begnügte sich nicht, ihre Ohren mit Verunglimpfungen ihrer Mutter zu beleidigen, sondern suchte ihr auch die ausdrückliche Erklärung abzunöthigen, daß er Recht habe, wozu er sie jedoch niemals weder durch Versprechungen noch Drohungen zu bewegen vermochte.

Dieserhalb werden sich manche meiner Leser vielleicht wundern, daß der Squire Sophien nicht ebenso sehr gehaßt habe wie ihre Mutter; aber ihnen muß ich zu Herzen führen, daß der Haß nicht eine Folge der Liebe ist, selbst dann nicht, wenn Eifersucht ins Spiel kommt. Es ist in der That sehr möglich, daß eifersüchtige Personen den Gegenstand ihrer Eifersucht tödten, aber nicht, daß sie ihn hassen. Dieser Ausspruch ist allerdings eine etwas harte Nuß und scheint etwas paradox zu sein, wir schließen daher das Kapitel, damit sie der Leser mit Muße knacken könne.


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