Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil II
Henry Fielding

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Erstes Kapitel.

Von der Liebe.

In unserm letzten Buche haben wir uns ziemlich viel mit der Liebe beschäftigen müssen und in unserm folgenden werden wir gezwungen sein, diesen Gegenstand noch umfassender abzuhandeln. Es dürfte daher hier nicht unpassend sein, jene moderne Lehre etwas näher zu untersuchen, nach welcher gewisse Philosophen, außer andern wunderbaren Entdeckungen, herausgefunden zu haben behaupten, daß eine solche Leidenschaft in der menschlichen Brust gar nicht existire.

Ob nun diese Philosophen mit den Anhängern jener merkwürdigen Sekte, von denen Swift zu ihrem Ruhme berichtet, daß sie durch das bloße Genie, ohne die mindeste Unterstützung irgend einer Art von Kenntniß oder auch nur Lectüre, jenes tiefe und unschätzbare Geheimniß gefunden hätten, daß kein Gott sei, dieselben sind, oder nicht vielmehr mit denen, die vor einigen Jahren die Welt in Verwirrung brachten, indem sie lehrten, daß Tugend oder Güte gar nicht wirklich existiren und daß unsere besten Handlungen aus Stolz entsprängen, will ich hier nicht zu 77 entscheiden wagen. Ich bin in der That zu der Vermuthung geneigt, daß alle diese verschiedenen Wahrheitsjäger ganz identisch sind mit denen, die von andern Goldmacher genannt werden. Die von beiden bei ihrem Suchen nach Wahrheit und nach Gold angewandte Methode ist wirklich eine und dieselbe, nämlich schmutzige Winkel zu durchsuchen und zu durchwühlen, und zwar im ersteren Falle böse Anlagen und Neigungen.

Aber obgleich in dieser Beziehung und vielleicht in Hinsicht auf den Erfolg die Wahrheitsjäger und die Goldmacher sehr passend mit einander verglichen werden können, so hört doch sicher in Hinsicht auf Bescheidenheit jede Vergleichung zwischen ihnen auf: denn wer hörte wohl jemals, daß ein Goldmacher so unverschämt oder albern gewesen wäre, sich durch die Erfolglosigkeit seines Forschens zu der Behauptung bestimmen zu lassen, daß es so etwas wie Gold in der Welt gar nicht gäbe? Wogegen der Wahrheitsjäger, nachdem er die Schundgrube, seine eigene Seele, durchwühlt und keinen Funken der Gottheit, noch etwas Tugendhaftes oder Gutes, Liebenswürdiges oder Liebe darin zu erspähen vermocht hat, sehr wahr, ehrlich und logisch schließt, daß so etwas in der ganzen Schöpfung nicht existire.

Um indessen womöglich allen Streit mit diesen sogenannten Philosophen zu vermeiden und zu zeigen, wie geneigt wir sind, die Sache friedlich beizulegen, werden wir ihnen hier einige Zugeständnisse machen, wodurch der Streit vielleicht zu einer Ausgleichung gelangt.

Fürs Erste wollen wir zugeben, daß in manchen Seelen, vielleicht in denen der Philosophen, auch nicht die mindesten Spuren einer solchen Leidenschaft zu finden sind.

Zweitens, daß dasjenige, was gewöhnlich Liebe genannt wird, nämlich das Verlangen, eine unbändige Begierde mit einer gewissen Quantität zarten weißen Menschenfleisches 78 zu stillen, keineswegs die Leidenschaft ist, für die ich streite. Dies ist eigentlich mehr Hunger zu nennen; und da kein Schwelger sich scheut, seinem Appetit die Benennung Liebe beizulegen und zu sagen, er liebe die und die Gerichte, so kann auch der Liebhaber dieser Art gleich passend sagen, er hungere nach so und so beschaffenen Weibern.

Drittens will ich zugeben, und das ist meiner Meinung nach ein höchst annehmbares Zugeständniß, daß diese Liebe, die ich in Schutz nehme, obgleich sie auf eine weit zartere Weise befriedigt wird, dennoch, eben so sehr als die roheste aller Begierden, ihre Befriedigung sucht.

Und endlich, daß diese Liebe, wenn sie auf das andere Geschlecht gerichtet und ihrer völligen Befriedigung nahe ist, sich sehr geneigt zeigt, jenen oben von mir erwähnten Hunger zu Hilfe zu rufen, durch den sie nicht im Entferntesten unterdrückt wird, ja der vielmehr alle ihre Wonne zu einem Grade steigert, der für diejenigen, welche für andere, als aus jener Begierde hervorgehende Regungen nie empfänglich waren, kaum begreiflich ist.

Dagegen fordere ich von den Philosophen, mir zuzugestehen, daß in mancher (ich glaube in vieler) Menschen Brust ein zartes Wohlwollen liegt, das in dem Wirken für das Glück anderer seine Befriedigung findet; daß in dieser Befriedigung allein, als in der Freundschaft, in älterlicher und kindlicher Zuneigung, so wie in der That in der allgemeinen Menschenliebe ein großer und ausgezeichneter Genuß liegt; daß, wenn auch das aus so reiner Liebe entspringende Vergnügen durch das Hinzukommen zärtlicher Triebe erhöht und versüßt wird, die erstere dennoch allein bestehen könne und durch die Dazwischenkunft der letzteren nicht vernichtet werde; endlich, daß Achtung und Dankbarkeit die eigentlichen Motiven zur Liebe enthalten, so wie Tugend und Schönheit die des Verlangens, und daß 79 demnach, wenn auch dieses Verlangen naturgemäß aufhört, sobald Alter und Krankheit über den Gegenstand desselben hereinbrechen, diese doch keinen Einfluß auf die Liebe äußern, noch in einem guten Menschen jenes Gefühl und jene Leidenschaft, deren Basis Dankbarkeit und Achtung ist, jemals erschüttern oder aufheben können.

Die Existenz einer Leidenschaft leugnen, von der uns oft deutliche Beispiele vorkommen, scheint sehr sonderbar und absurd zu sein und kann fürwahr nur von jener Selbstbewunderung herrühren, deren wir oben erwähnt haben: aber wie unschön ist diese! Wird denn Jemand, der in seinem Herzen weder Spuren von Habsucht noch von Ehrgeiz findet, deshalb schließen, solche Leidenschaften seien der menschlichen Natur ganz fremd? Warum wollen wir nicht bei Beurtheilung des Guten eben sowohl wie des Schlechten bescheiden die nämliche Regel beobachten? Oder warum wollen wir in irgend einem Falle, wie sich Shakespeare ausdrückt, »die Welt in unsere Person stecken?«

Uebermäßige Eitelkeit ist, wie ich fürchte, hier nur zu sehr im Spiele. Dies ist ein Beispiel von jener Schmeichelei, die wir, und zwar fast durchgängig, uns selbst machen. Denn kaum giebt es einen Menschen, wie sehr er auch den Charakter eines Schmeichlers verachte, der nicht so weit gehen wird, sich auf die niedrigste Weise zu schmeicheln.

An diese wende ich mich daher hinsichtlich der Wahrheit der obigen Bemerkungen, ihr Inneres kann Zeugniß ablegen für meine Behauptungen.

Prüfen Sie Ihr Herz, lieber Leser, und entscheiden Sie sich, ob Sie eines Sinnes über diesen Gegenstand mit mir sind. Sind Sie es, so mögen Sie zur Erläuterung desselben auf den folgenden Seiten übergehen; sind Sie es nicht, so, ich versichere Sie, haben Sie schon mehr gelesen, als Sie verstanden; und es würde klüger sein, Ihrem Geschäft 80 oder Ihrem Vergnügen (welcher Art sie sein mögen) nachzugehen, als noch mehr Zeit mit dem Lesen von etwas, was Ihnen nicht zusagt und was Sie nicht begreifen, wegzuwerfen. Ihnen die Wirkungen der Liebe zu erklären, würde so absurd sein, als einem Blindgebornen eine Vorlesung über die Farben halten zu wollen, da Ihre Ansicht von der Liebe wahrscheinlich so absurd sein mag, wie die, von der uns erzählt wurde, daß sie ein solcher Blinder von der Scharlachfarbe gehegt hätte. Diese schien ihm nämlich sehr viel Aehnliches von dem Schalle einer Trompete zu haben; und so mag die Liebe wahrscheinlich nach Ihrer Meinung sehr viel mit einer Schüssel Suppe oder einem Rindslendenbraten gemein haben.


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