Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil II
Henry Fielding

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Siebentes Kapitel.

Worin Herr Allworthy auf dem Krankenbette erscheint.

Herr Western war so sehr für Jones eingenommen, daß er ihn nicht fortlassen wollte, obgleich sein Arm lange geheilt war; und Jones ließ sich, entweder aus Liebe zum Vergnügen, oder aus irgend einem andern Grunde, leicht überreden in dem Hause ferner einzusprechen, wo er bisweilen vierzehn Tage lang verweilte, ohne Herrn Allworthy ein einziges Mal zu besuchen; ja, ohne nur einmal etwas von ihm zu hören.

Herr Allworthy war seit einigen Tagen mit einem Schnupfen behaftet, dem sich etwas Fieber beigesellt hatte. Dies war jedoch von ihm vernachlässigt worden, wie es gewöhnlich mit allen Krankheiten geschah, die ihn nicht zwangen sich niederzulegen, oder Functionsstörungen im Körper erzeugten; – ein Verfahren, das wir keinesweges zu billigen oder zu empfehlen gesonnen sind; denn gewiß haben die Bekenner der äskulapischen Kunst mit dem Ausspruche Recht, daß, so wie die Krankheit zu einer Thür herein ist, der Arzt auch schon zur andern eintreten sollte. Was sonst ist mit jenem alten Sprichworte gemeint: Venienti occurrite morbo? »Einer Krankheit begegne bei Zeiten.« Auf diese Art ist der Kampf zwischen dem Arzte und der Krankheit ein ehrlicher und gleicher; während die letztere, wenn wir ihr Zeit lassen, oftmals sich verstärkt und verschanzt, wie eine französische Armee, so daß es der gelehrte Mann sehr schwer, 41 bisweilen unmöglich findet, an den Feind hinanzukommen. Ja bisweilen bedient sich die Krankheit, wenn sie Zeit gewinnt, der französischen Kriegslist und macht durch Bestechung, daß sich die Natur auf ihre Seite schlägt, und dann muß alle Macht der Medicin zu spät kommen. Mit diesen Betrachtungen übereinstimmend war, so viel ich mich erinnere, die Klage des großen Dr. Misaubin, der sich darüber, daß man seine Geschicklichkeit erst spät in Anspruch nahm, sehr pathetisch so auszusprechen pflegte: »Wahrhaftig ich glaube, meine Patienten halten mich für den Todtengräber; denn sie schicken nicht eher nach mir, als bis die Aerzte sie gemordet haben.«

Herrn Allworthy's Krankheit nahm durch diese Vernachlässigung so überhand, daß, als ihn die Zunahme des Fiebers Hülfe zu suchen nöthigte, der Doctor bei seinem ersten Besuche den Kopf schüttelte und wünschte, daß man eher möchte nach ihm geschickt haben, weil das Uebel einen sehr gefährlichen Grad erreicht hätte. Herr Allworthy, der alle seine Angelegenheiten in dieser Welt geordnet hatte und für die andere so wohl vorbereitet war, als es ein Mensch nur sein kann, nahm diese Erklärung mit der größten Ruhe und dem größten Gleichmuthe auf. Er konnte wirklich, so oft er sich zur Ruhe niederlegte, mit Cato sagen:

—   —   Laß Schuld oder Furcht
der Menschen Ruhe stören, Cato kennt sie nicht;
ihm gilt es gleiche Wahl, Schlaf oder Tod.

Ja, er konnte dies mit zehnmal größerem Rechte und mit mehr Zuversicht sagen, als Cato oder als irgend ein anderer Prahler unter den alten oder modernen Heroen; denn er war nicht allein frei von Furcht, sondern dürfte auch unter die treuen Arbeiter gezählt werden, wenn er nach der Ernte gerufen wird, aus den Händen eines gütigen Herrn den Lohn zu empfangen.

42 Der gute Mann gab sogleich Befehl, alle Glieder seiner Familie zu ihm zu bescheiden. Keines derselben war damals abwesend, als Madame Blifil, die sich einige Zeit in London aufgehalten hatte und Jones, den der Leser so eben in dem Hause des Herrn Western verlassen hat, und der diese Aufforderung unmittelbar nach Sophiens Weggange erhielt.

Die Nachricht von Herrn Allworthy's Gefahr (der Diener sagte ihm nämlich, er läge im Sterben) verscheuchte alle Liebesgedanken aus seinem Kopfe. Er sprang ohne Verzug in den Wagen, dem man ihm mitgeschickt hatte und empfahl dem Kutscher die größtmögliche Eile an; auch glaube ich, daß er unterweges nicht mit einem einzigen Gedanken an Sophien dachte.

Und wie nun die ganze Familie, nämlich Blifil, Jones, Thwackum, Square und einige von den Dienstleuten (denn so war es Herrn Allworthy's Wille), um sein Bett versammelt war, setzte sich der gute Mann in demselben auf und war im Begriff zu sprechen, als Blifil in heftiges Schluchzen und laute und bittere Klagen ausbrach. Da schüttelte ihm Herr Allworthy die Hand und sagte: »Betrübe Dich nicht so sehr, theurer Neffe, über ein Ereigniß, das alle Menschen ohne Unterschied erwartet. Wenn Unglücksfälle über unsere Freunde hereinbrechen, da haben wir gerechte Ursache zur Betrübniß; denn das sind Ereignisse, die sich vielleicht oftmals hätten vermeiden lassen, und die in unsern Augen das Schicksal eines Menschen unglücklicher gestalten, als anderer; aber der Tod ist jedenfalls unvermeidlich und das gemeinschaftliche Loos, worin allein sich aller Menschen Schicksal gleich gestaltet; auch ist die Zeit, wann es uns trifft, nichts sehr Wesentliches dabei. Wenn die weisesten Männer das Leben seiner Dauer nach einer Spanne verglichen, so können wir es uns wohl auch wie einen Tag vorstellen. Mir ist beschieden, dasselbe am Abende 43 zu verlassen; aber diejenigen, welche früher abgerufen werden, haben nur wenige Stunden eingebüßt, die, wenn es hoch kommt, kaum des Beklagens werth und weit öfter Stunden der Mühe und Arbeit, des Schmerzes und der Sorge sind. Ein römischer Dichter vergleicht unsern Austritt aus dem Leben mit dem Weggange von einem Festmahle; – ein Gedanke, der mir oft eingefallen ist, wenn ich gesehen habe, wie manche sich bemühten, eine Unterhaltung fortzuspinnen und die Gesellschaft ihrer Freunde einige Momente länger zu genießen. Ach! wie kurz sind die längsten solcher Genüsse! Wie unwesentlich ist der Unterschied für den, der sich zuerst entfernt, und den, der bis zuletzt verweilt! Dies ist die beste Ansicht vom Leben, und dieses Sträuben, unsere Freunde zu verlassen, ist der edelste Beweggrund, den wir der Furcht vor dem Tode unterlegen können; und doch ist die längste Dauer dieses Genusses so kurz nur, daß ein weiser Mann keinen Werth auf dieselbe legt. Freilich denken nur wenig Menschen so; denn in der That denken nur wenige eher an den Tod, als bis er sie in seinen Klauen hat. Wie ungeheuer und schrecklich er nun erscheinen mag, wann er ihnen nahet, so sind sie nichtsdestoweniger unfähig, ihn aus einiger Ferne zu betrachten; ja, sollten sie auch noch so sehr geängstiget und in Schrecken gesetzt worden sein, wenn sie sich in Gefahr zu sterben wähnten, so sehen sie sich doch nicht sobald von dieser Gefahr befreiet, als auch die Todesfurcht aus ihrem Gemüth verschwunden ist. Aber, ach! wen der Tod verschonte, den hat er nicht losgegeben; nur eine Frist, und zwar eine kurze Frist hat er ihm zugestanden.

»Betrübe Dich daher, liebes Kind, nicht weiter über diesen Umstand; ein Ereigniß, das jede Stunde eintreten kann, das jedes Element, ja fast jedes Atom der uns umgebenden Materie hervorzubringen vermag, und das uns 44 alle zuletzt unvermeidlich treffen muß und wird, sollte uns weder überraschen, noch uns eine Wehklage ablocken.

»Mein Arzt hat mich davon in Kenntniß gesetzt (und ich weiß es ihm vielen Dank), daß ich in Gefahr schwebe zu sterben und Euch sehr bald verlassen zu müssen, daher habe ich beschlossen, einige Abschiedsworte an Euch zu richten, ehe meine Krankheit, die ich rasch zunehmen fühle, es mir unmöglich macht.

»Doch ich werde meine Kräfte zu sehr anstrengen. Ich beabsichtigte, über meinen letzten Willen zu sprechen, von dem ich, ob ich ihn gleich bereits lange niedergelegt habe, Euch die Euch betreffenden Punkte mitzutheilen für zweckmäßig erachtete, damit ich den Trost hätte, wahrzunehmen, daß Ihr mit dem, was ich Euch vermacht habe, alle zufrieden seid.

»Neffe Blifil, ich setze Dich zum Erben meines ganzen Vermögens ein, mit Ausnahme von 500 Pf. jährlich, welche nach dem Tode Deiner Mutter auch auf Dich zurückfallen, von ferneren 500 Pf. jährlich, und der Summe von 6000 Pf., über die ich folgendermaßen verfügt habe:

»Die jährliche Rente von 500 Pf. habe ich Dir zugetheilt, Jones: und da ich das Unbequeme des Mangels an baarem Gelde kenne, so habe ich 1000 Pf. baar hinzugefügt. Ich weiß nicht, ob ich hierin Deine Erwartung übertroffen habe oder dahinter zurückgeblieben bin. Vielleicht meinst Du, ich habe Dir zu wenig gegeben, und die Welt wird mich ebenso schnell tadeln, daß ich Dir zu viel gegeben habe: aber das letztere Urtheil verachte ich; und das erstere traue ich Dir nicht zu.«

Jones warf sich seinem Wohlthäter zu Füßen, ergriff die Hand desselben und versicherte ihn, daß seine Güte, die er ihm gegenwärtig und zu allen Zeiten bewiesen, nicht allein über sein Verdienst, sondern auch über seine 45 Erwartungen so unendlich weit hinaus ginge, daß sich seine Gefühle durch Worte nicht ausdrücken ließen. »Und ich versichere Sie,« fügte er hinzu, »daß Ihre jetzige Freigebigkeit mir Ihrer traurigen Veranlassung wegen Kummer macht. Ach mein Freund! mein Vater!« – Hier erstickten ihn seine Worte und er wendete sich weg, um die Thränen zu verbergen, die seinen Augen entstürzten.

Allworthy drückte ihm hierauf liebreich die Hand und fuhr also fort: »Ich bin überzeugt, mein Kind, daß Du viel Herzensgüte, Großmuth und Ehrgefühl besitzest: wenn Du Dir zu diesen noch Klugheit und Religion aneignen wirst, so mußt Du glücklich sein; denn die drei ersten Eigenschaften, ich räume es ein, machen Dich des Glückes würdig, aber nur durch die letztern wirst Du es erlangen.

»Ein tausend Pfund habe ich Ihnen angesetzt, Herr Thwackum; eine Summe, die, wie ich überzeugt bin, Ihre Wünsche sowohl als Ihre Bedürfnisse bei weitem übersteigt. Indessen werden Sie dieselbe als ein Andenken an meine Freundschaft annehmen; und wie großer Ueberfluß Ihnen auch immer zufließen mag, Ihre strenge Frömmigkeit wird Sie lehren, welchen Gebrauch Sie davon zu machen haben.

»Eine gleiche Summe, Herr Square, habe ich Ihnen zugedacht. Diese, hoffe ich, wird Sie in Stand setzen, sich besser im Leben zu stellen als bisher. Ich habe oft mit Betrübniß beobachtet, daß Noth leichter Verachtung als Theilnahme erregt, namentlich unter Geschäftsleuten, bei denen Armuth mit Mangel an Fähigkeit für gleichbedeutend gilt. Nun aber wird die Kleinigkeit, die ich Ihnen geben kann, Sie jener Verlegenheiten überheben, mit denen Sie früherhin zu kämpfen hatten; und dann zweifle ich nicht, daß Ihre Umstände sich nicht so gedeihlich gestalten sollten, um das zu ergänzen, was ein Mann von Ihrem philosophischen Sinne sich wünschen mag.

46 »Ich fühle meine Kräfte schwinden, und so verweise ich Sie wegen des Uebrigen auf mein Testament. Dort sind für meine Dienstleute einige Geschenke aufgezeichnet, bei denen sie sich meiner erinnern mögen und einige Legate, deren gewissenhafte Vertheilung ich meinen Testamentsvollstreckern anvertraue. Gott segne Euch alle! Ich muß ein wenig aussetzen, ehe Ihr –.«

Hier trat ein Bedienter eilig in das Zimmer und meldete, daß ein Advokat aus Salisbury mit wichtigen Aufträgen da wäre, die er Herrn Allworthy selbst mittheilen müßte: daß er sehr eilig zu sein schiene und vorgäbe, von so vielen Geschäften gedrängt zu werden, daß, wenn er sich in vier Theile theilen könnte, dies doch noch nicht ausreichen würde.

»Geh, Kind,« sagte Allworthy zu Blifil, »sieh zu, was der Herr bringt. Ich bin jetzt zu keinem Geschäft fähig, auch kann er keines mit mir haben, bei dem Du jetzt nicht mehr betheiligt wärest, als ich selbst. Ueberdies bin ich wirklich – wirklich außer Stande, jetzt Jemand zu empfangen, oder meine Aufmerksamkeit länger auf etwas zu richten.« Er grüßte hierauf alle und sagte, vielleicht würde es ihm möglich sein, sie noch einmal zu sehen: aber jetzt wäre es ihm lieb, wenn er sich ein wenig sammeln könne, weil ihn das Sprechen zu sehr angegriffen habe.

Einige der Anwesenden vergossen Thränen beim Hinweggehen, und selbst der Philosoph Square wischte sich die Augen, »obgleich Rührung ihm fremd war.« Auch Jungfer Wilkins entträufelten ihre Perlen, »so reichlich wie den arabischen Bäumen ihr Gummi;« denn das war eine Ceremonie, welche diese Dame bei geeigneten Gelegenheiten nie unterließ.

Hierauf legte sich Herr Allworthy wieder auf sein Kissen zurück, um sich der Ruhe zu überlassen.


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