Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil II
Henry Fielding

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Zwölftes Kapitel.

Enthält Liebesbriefe.

Jones erhielt den Befehl, das Haus augenblicklich zu verlassen; dabei sagte man ihm, daß seine Kleider und alles Uebrige ihm dahin nachgeschickt werden sollten, wohin er es bestimmen würde.

Er brach also auf und ging ziemlich eine halbe Stunde weit, ohne zu beachten und wirklich ohne kaum zu wissen wohin. Endlich warf er sich an einem kleinen Bache, an den ihn sein Weg führte, nieder, indem er mit einiger Entrüstung vor sich hinmurmelte: »Diesen Platz wird mir mein Vater doch zum Ausruhen vergönnen!«

Hier brachen seine Gefühle sogleich in den heftigsten 133 Aufruhr aus, er raufte sich das Haar aus und benahm sich überhaupt so, wie sich Wahnsinnige, Rasende und Verzweifelte zu benehmen pflegen.

Als sich auf diese Weise seine Leidenschaftlichkeit ausgetobt hatte, kam er wieder etwas zu sich selbst. Sein Kummer nahm nun eine andere Wendung und äußerte sich etwas milder, bis er sich endlich in so weit gelegt hatte, daß er über seine Leidenschaft nachdenken und überlegen konnte, was er in seiner traurigen Lage am Besten thue.

Und jetzt war die große Frage, wie er sich in Betreff Sophiens zu verhalten habe. Der Gedanke, sie zu verlassen, war seinem Herzen besonders schmerzlich, aber die Befürchtung, sie ins Verderben zu stürzen und zur Bettlerin zu machen, folterte ihn noch mehr, und wenn das heftige Verlangen nach dem Besitz ihrer Person ihn hätte zweifelhaft machen können, so war er doch noch immer keineswegs gewiß, ob sie sich entschließen würde, seinen Wünschen um einen so hohen Preis zu entsprechen. Der Verdruß und die Unruhe, welche er Herrn Allworthy dadurch bereiten mußte, stritten heftig dagegen; und endlich kam dazu noch die augenscheinliche Unmöglichkeit seines Erfolgs, selbst wenn er alle diese Rücksichten dahingestellt sein lassen wollte; und so gewann endlich die Ehre, unterstützt durch Verzweiflung, Dankbarkeit gegen seinen Wohlthäter und wahre Liebe gegen Sophien, die Oberhand über sein brennendes Verlangen und er beschloß, lieber Sophien aufzugeben, als sie durch seine Bewerbung unglücklich zu machen.

Es ist schwer für einen, der es nicht empfunden hat, sich eine Vorstellung von der Wärme der Gefühle zu machen, die bei der ersten Betrachtung seines Siegs über die Leidenschaft ihm die Brust erfüllte. Sein Stolz schmeichelte ihm so angenehm, daß sich sein Gemüth in der glücklichsten Stimmung zu befinden schien; allein dies war blos 134 momentan: Sophiens Bild kehrte bald wieder vor seine Seele zurück und mischte die Freude seines Triumphs mit nicht weniger bitterem Weh, als ein gutmüthiger General es empfinden muß, wenn er die blutenden Gefallenen überschaut, mit deren Blut er seine Lorbeeren erkauft hat; denn Tausende von zarten Gefühlen lagen gemordet vor unserm Sieger da.

Gleichwohl entschlossen, auf dem einmal eingeschlagenen Pfade der Ehre fortzugehen, nahm er sich vor, Sophien einen Abschiedsbrief zu schreiben und machte sich daher nach einem nicht mehr fernen Hause auf, wo er sich Schreibmaterialien geben ließ und wie folgt schrieb:

»Mein Fräulein,

»Wenn Sie sich die Lage vergegenwärtigen, in der ich an Sie schreibe, so wird Ihre Güte mir gewiß verzeihen, was mein Brief etwa Widersprechendes oder Ungereimtes enthält; denn mein Herz ist mir so voll, daß keine Sprache seine Gefühle auszudrücken vermag.

»Ich habe den Entschluß gefaßt, Fräulein, Ihrem Befehle zu gehorchen und Ihr theures, liebliches Angesicht auf immer zu fliehen. Es ist in der That ein grausamer Befehl; aber es ist eine Grausamkeit, die von dem Schicksale, nicht von meiner Sophie ausgeht. Das Schicksal fordert es zu Ihrer Erhaltung, daß Sie vergessen, daß jemals ein so Unglücklicher, wie ich bin, auf der Welt war.

»Glauben Sie mir, ich würde meiner Leiden gegen Sie gar nicht erwähnen, wenn ich mir denken könnte, daß sie Ihnen möglicher Weise verborgen bleiben könnten. Ich kenne Ihr gutes und zartfühlendes Herz und würde Ihnen den Schmerz, den Ihnen das Unglück stets verursacht, erspart haben. Lassen Sie jedoch durch nichts, was Ihnen über mein hartes Schicksal zu Ohren kommen wird, sich 135 auch nur einen Augenblick Kummer verursachen; denn nach Ihrem Verluste ist alles nur Kleinigkeit!

»O Sophie! es ist hart, Sie zu verlassen; härter noch ist es, zu verlangen, daß Sie mich vergessen sollen; und dennoch macht die aufrichtigste Liebe mir beides zur Pflicht. Verzeihen Sie mir, wenn ich mir einbilde, daß eine jede Erinnerung an mich Sie beunruhigen könne; aber wenn sich mit meinem Unglück so viel Ehre verbindet, o so opfern Sie mich ja Ihrem Wohle. Denken Sie, ich hätte Sie nie geliebt; oder denken Sie was wahr ist, wie wenig ich Sie verdiene, und lernen Sie mich verlachen wegen einer Anmaßung, die niemals streng genug bestraft werden kann. – Ich bin unfähig, mehr zu sagen. – Mögen schützende Engel stets mit Ihnen sein!«

Er suchte jetzt in seinen Taschen nach Siegellack, fand aber keines, so wie überhaupt nichts darin, denn er hatte in seiner Raserei alles von sich geworfen und unter anderm auch seine Brieftasche, die er von Herrn Allworthy bekommen und die er nicht geöffnet hatte, was ihm alles jetzt erst einfiel.

Man half ihm im Hause mit einer Oblate aus, und nachdem er den Brief gesiegelt hatte, kehrte er eilig nach dem Bache zurück, um das Verlorene zu suchen. Auf seinem Wege dahin begegnete ihm sein alter Freund, der schwarze Georg, der ihn seines Unglücks wegen herzlich bedauerte; denn er hatte es schon erfahren, so wie es auch in der ganzen Nachbarschaft bekannt war.

Jones theilte dem Jäger seinen Verlust mit und dieser ging mit ihm zurück an den Bach, wo sie jedes Grasplätzchen, wo Jones gelegen hatte und wo er nicht gelegen hatte, durchsuchten; aber es war alles vergebens, denn sie fanden nichts; freilich unterließen sie, obgleich die Sachen damals auf der Wiese waren, gerade an dem einzigen Platze 136 nachzusuchen, wo sie sich befanden, und das waren die Taschen des genannten George; denn er hatte sie unmittelbar vorher gefunden und da er auch glücklicherweise hinter ihren Werth kam, sie sorgfältig für seinen eigenen Gebrauch aufgehoben.

Nachdem der Jäger so viel Eifer bei der Aufsuchung der verlorenen Gegenstände bewiesen hatte, als löblich gewesen wäre, wenn er gehofft hätte, sie zu finden, hieß er Herrn Jones sich besinnen, ob er nicht noch anderswo gewesen wäre, »denn,« sagte er, »wenn Sie die Sachen erst hier verloren hätten, so müßten sie doch auch noch dagewesen sein; denn an diesem Platze kommt nicht so leicht Jemand vorbei.« Auch war es wirklich ein großer Zufall, daß er selbst diesen Weg kam, aber er wollte Schlingen legen für Hasen, um diese einem Hühnerhändler den andern Morgen nach Bath mitzugeben.

Jones gab jetzt alle Hoffnung, das Verlorene wieder zu finden, auf und zugleich fast jeden Gedanken daran. Er kehrte sich darauf zu dem schwarzen George und fragte ihn ernst, ob er ihm den größten Gefallen in der Welt thun wolle.

George antwortete mit einigem Zögern: »Sie wissen, daß Sie von mir verlangen können, was nur irgend in meiner Macht steht, und ich wünsche von Herzen, daß es in meiner Macht stehen möge, Ihnen zu dienen.« Die Frage machte ihn wirklich verlegen; denn er hatte sich durch den Verkauf von Wild ein ansehnliches Sümmchen in Western's Diensten erworben und fürchtete, Jones möchte eine Kleinigkeit von ihm borgen wollen. Dieser befreite ihn jedoch alsbald von seiner Angst, indem er ihn bat, einen Brief an Sophien zu bestellen, was jener auch mit großem Vergnügen versprach. Ueberhaupt glaube ich, daß es wenig Gefälligkeiten würde gegeben haben, die er Jones nicht gern 137 erwiesen hätte; denn er fühlte sich ihm zu Danke verbunden und war so gefällig, wie Leute, denen das Geld über alles in der Welt geht, es nur immer sein können.

Nachdem beide darin übereingekommen waren, den Brief durch Mamsell Honour an Sophien gelangen zu lassen, trennten sie sich von einander; der Jäger kehrte nach Hause zurück und Jones nach einem eine Viertelstunde entfernten Bierhause, um jenes Rückkehr abzuwarten.

George langte nicht sobald zu Hause an, als er Mamsell Honour aufsuchte, sie durch einige Fragen erst auf die Probe stellte und ihr dann den Brief für ihre Herrin übergab. Dagegen erhielt er gleichzeitig einen andern von ihr, den sie, wie sie sagte, den ganzen Tag im Busen bei sich herumgetragen und kaum mehr anzubringen gehofft hatte, an Herrn Jones.

Der Jäger kehrte eilig und froh zu Jones zurück, der sich mit Sophiens Briefe sogleich entfernte, ihn begierig öffnete und Folgendes darin las.

»Mein Herr,

»Was ich seit Ihrer letzten Anwesenheit gefühlt habe, vermag ich unmöglich auszusprechen. Daß Sie meinetwegen so grausame Beleidigungen von Seiten meines Vaters ruhig über sich ergehen ließen, das werde ich Ihnen nie vergessen. Da Sie seine Heftigkeit kennen, so bitte ich Sie um meinetwillen, ihm auszuweichen. Ich wünschte ein tröstendes Wort für Sie zu haben; inzwischen glauben Sie, daß nichts als die äußerste Gewalt mich je vermögen soll, so über meine Hand oder mein Herz zu verfügen, daß es Ihnen Kummer verursachen könnte.«

Jones las diesen Brief wohl hundert Mal und küßte ihn eben so oft. Seine Leidenschaft rief alle zarten Wünsche in seine Seele zurück. Er bereuete es, Sophien so geschrieben zu haben, wie wir oben sahen; aber noch mehr 138 bereuete er, während der Abwesenheit des Boten an Herrn Allworthy einen Brief geschrieben und abgeschickt zu haben, worin er auf das Heiligste versprach, jeden Gedanken an Sophien aufgeben zu wollen. Wie er jedoch zu kälterer Ueberlegung kam, sah er deutlich ein, daß seine Lage durch Sophiens Brief um nichts gebessert oder verändert war, außer daß ihm in ihrer Beständigkeit ein geringer Strahl von Hoffnung auf einen spätern günstigen Zufall blieb. Er raffte daher seinen Muth zusammen, nahm von dem schwarzen George Abschied und brach nach einer einige Stunden weiter gelegenen Stadt auf, wohin er seine Sachen zu schicken gebeten hatte.


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