Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil II
Henry Fielding

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Drittes Kapitel.

Enthält zwei Herausforderungen an die Kritiker.

Der Squire konnte, nachdem die Streitigkeiten mit seiner Schwester, wie wir im vorhergehenden Kapitel gesehen haben, geschlichtet waren, die Zeit nicht erwarten, Allworthy seinen Vorschlag mitzutheilen, und Fräulein 89 Western hatte die größte Mühe, ihn abzuhalten, daß er den alten Herrn nicht während seiner Krankheit in dieser Angelegenheit besuchte.

Allworthy war damals, als er krank geworden, von Western zu Tische eingeladen worden. Es war daher, sobald ihn der Arzt seiner Pflege entlassen, seine erste Sorge, seiner Verbindlichkeit nachzukommen, wie er denn das überhaupt, bei den wichtigsten und unwichtigsten Dingen, in der Gewohnheit hatte.

In dem Zeitraume, der auf das im vorigen Kapitel mitgetheilte Zwiegespräch folgte, war Sophie durch gewisse dunkle Andeutungen ihrer Tante auf die Befürchtung gekommen, diese scharfsinnige Dame ahne ihre Liebe zu Jones. Sie beschloß daher, die heutige Gelegenheit zu benutzen, um jeden derartigen Verdacht zu verwischen und in dieser Absicht ihrem Betragen allen möglichen Zwang anzulegen.

Fürs Erste bemühte sie sich, ihre Traurigkeit hinter der Maske des heitersten Gesichts und der frohsten Laune in ihrem Betragen zu verbergen. Zweitens richtete sie ihr Gespräch einzig und allein an Blifil und nahm den ganzen Tag über keine Notiz von dem armen Jones.

Der Squire war über dieses Benehmen seiner Tochter so entzückt, daß er bei Tische kaum etwas aß und fast die ganze Zeit auf eine Gelegenheit aufpaßte, seiner Schwester durch Zuwinken und Kopfnicken Zeichen seines Beifalls zu geben. Diese war jedoch anfangs mit dem, was sie sah, nicht so ganz zufrieden, wie ihr Bruder.

Kurz, Sophie trug die Farben ihrer Rolle so stark auf, daß ihre Tante für den Anfang zweifelhaft wurde und schon an eine Affectation bei ihrer Nichte dachte; allein da sie selbst voller List war, so kam sie bald auf die Vermuthung, daß es eine zu weit getriebene List von Sophien wäre. Sie erinnerte sich der vielen Anspielungen, die sie auf die Liebe 90 ihrer Nichte gemacht hatte und meinte, die letztere hätte diesen Weg eingeschlagen, um sie durch eine übertriebene Höflichkeit in ihrer Meinung irre zu führen; in welcher Ansicht sie noch durch die ungemeine Lustigkeit, mit der jene alles behandelte, bestärkt wurde. Wir können hier die Bemerkung nicht unterdrücken, daß dieser Schluß besser begründet gewesen sein würde, wenn Sophie zehn Jahre in London gelebt hätte, wo junge Damen eine bewundernswürdige Kunstfertigkeit erlangen, mit jener Leidenschaft zu tändeln und zu spielen, die auf dem einsamen Lande, hundert Meilen von London entfernt, etwas gewaltig Ernsthaftes ist.

In Wahrheit, es kommt bei Entdeckung einer Hintergehung von Seiten anderer viel darauf an, daß unsere List mit der ihrigen auf gleichem Standpuncte steht; denn bisweilen gehen sehr listige Menschen um deswillen fehl, weil sie andere für klüger, oder mit andern Worten für größere Schelme halten, als sie wirklich sind. Da diese Bemerkung einigermaßen dunkel ist, so will ich sie durch folgende Anekdote erläutern. Drei Bauern verfolgten einen Dieb aus Wiltshire durch Brentford. Der simpelste unter ihnen rieth, als er ein Schild mit der Aufschrift »Gasthaus zur Grafschaft Wiltshire« erblickte, seinen Begleitern, da hinein zu gehen, weil sie wahrscheinlich hier ihren Landsmann finden würden. Der zweite, welcher klüger war, lachte über diese Einfalt; aber der dritte, noch klüger als der zweite, meinte: »Wir wollen doch hineingehen, denn er wird denken, daß wir ihn unter seinen Landsleuten nicht suchen.« Sie traten demnach ein, forschten im Hause nach und verfehlten dadurch den Dieb, der damals nur einen kleinen Vorsprung vor ihnen voraus hatte und der, wie sie alle wußten, woran sie aber gar nicht gedacht hatten, nicht lesen konnte.

Der Leser wird eine Abschweifung, worin ein so unschätzbares Geheimniß mitgetheilt wird, entschuldigen, indem 91 jeder Spieler die Nothwendigkeit eingestehen wird, das Spiel eines andern genau zu kennen, um dessen Absichten vereiteln zu können. Daraus wird sich ferner ergeben, warum der Klügere, wie das oft vorkommt, von dem weniger Klugen an der Nase herumgeführt und warum mancher einfache und unschuldige Charakter so allgemein mißverstanden und falsch beurtheilt wird; aber was das wichtigste ist, wir erhalten daraus Aufschluß über den Betrug, den Sophie ihrer politischen Tante spielte.

Nach Tische begab sich die Gesellschaft in den Garten, wo Herr Western, durchaus überzeugt von der Zuverlässigkeit dessen, was ihm seine Schwester gesagt hatte, Herrn Allworthy bei Seite nahm und ohne Umschweife mit seinem Heirathsplane herausplatzte.

Herr Allworthy gehörte nicht zu denen, die bei jeder unerwarteten Nachricht von einem zeitlichen Vortheile sogleich außer sich gerathen. Sein Gemüth besaß wirklich jene philosophische Ruhe, die einem Manne und Christen ziemt. Er affectirte keineswegs, über Lust und Schmerz, über Freud und Leid völlig erhaben zu sein; aber er ward auch nicht durch jedes zufällige Ereigniß, durch jede Gunst oder Ungunst des Schicksals außer Fassung gebracht. Er empfing daher Herrn Western's Antrag ohne irgend eine sichtbare Bewegung, ohne irgend eine Veränderung in der Miene. Er sagte, die Verbindung wäre der Art, wie er sie aufrichtig wünschte, verbreitete sich dann in sehr gerechten Lobeserhebungen über die Tugenden der jungen Dame, erkannte an, wie vortheilhaft das Anerbieten in Hinsicht auf die Vermögensverhältnisse wäre, und schloß, nachdem er Herrn Western für die gute Meinung gedankt hatte, die er von seinem Neffen zu erkennen gegeben, mit dem Ausspruche, daß, wenn die jungen Leute einander gewogen wären, er das Zustandekommen dieser Angelegenheit sehr gern sehen würde.

92 Western fand sich ein wenig getäuscht in Herrn Allworthy's Antwort, die er etwas wärmer erwartet hatte. Er behandelte den Zweifel, ob die jungen Leute einander gewogen sein möchten, sehr geringschätzig, indem er sagte, »Aeltern könnten über die schickliche Verheirathung ihrer Kinder am besten urtheilen; er für seinen Theil würde auf den strengsten Gehorsam seiner Tochter dringen, und wenn irgend ein junger Kerl eine solche Bettgenossin ausschlagen könnte, so könnte er auch nichts dagegen haben, und er hoffte, daß es ihm nicht übel genommen werden möchte.«

Allworthy versuchte, diese Empfindlichkeit durch mancherlei Gutes, das er an Sophien rühmte, zu beschwichtigen und erklärte, er zweifle nicht, daß Blifil das Anerbieten mit Freuden aufnehmen werde; aber alles war vergeblich: er konnte keine andere Antwort vom Squire erlangen, als: – »Ich will weiter nichts sagen – ich hoffe, daß mir's nicht übel genommen wird – damit gut.« Und diese Worte wiederholte er wenigstens hundertmal, ehe sie von einander schieden.

Allworthy kannte seinen Nachbar zu gut, als daß er sich durch dieses Betragen hätte beleidigt fühlen sollen; und ob er gleich gegen die Strenge, womit manche Aeltern ihre Kinder behandeln, wenn es eine Verheirathung gilt, so sehr eingenommen war, daß er sich vorgesetzt hatte, nie der Neigung seines Neffen Zwang anzuthun, so war er nichts desto weniger sehr erfreut über die Aussicht zu dieser Verbindung; denn überall vernahm man Sophiens Lob, und er selbst hatte die ungewöhnlichen Eigenschaften ihres Geistes und ihrer Person oft bewundert. Diesem dürfen wir wohl noch die Rücksicht auf ihr bedeutendes Vermögen hinzufügen, denn wenn er auch zu nüchtern war, um sich durch dasselbe bethören zu lassen, so war er doch auch zu verständig, um es zu verachten.

93 Und hier muß und will ich, allen kläffenden Kritikern der Welt zum Trotz, eine Abschweifung zu Gunsten wahrer Weisheit machen, von der Herr Allworthy in der That ein eben so großes Muster war als von Herzensgüte.

Wahre Weisheit also besteht, was auch Hogarth's armer Poet gegen den Reichthum alles geschrieben, und was auch irgend ein reicher wohlgemästeter Geistlicher alles gegen das Vergnügen gepredigt haben mag, weder in der Verachtung des einen, noch des andern. Es kann einer, der Ueberfluß an Vermögen hat, eben so viel Weisheit besitzen, als irgend ein Bettler auf den Landstraßen, oder einer, der ein schönes Weib oder einen Herzensfreund hat, eben so weise sein wie irgend ein mürrischer päpstischer Klausner, der alle seine gesellschaftlichen Talente vergräbt und seinen Leib abhungert, während er seinen Rücken gehörig durchgeißelt.

Die Wahrheit zu sagen, von dem weisen Manne ist es am wahrscheinlichsten, daß er allen weltlichen Segen in einem vorzüglichen Maße besitzt; denn da jene Mäßigkeit, welche uns die Weisheit vorschreibt, der sicherste Weg zu nutzbarem Wohlstande ist, so kann sie allein uns in Stand setzen, viele Vergnügen zu genießen. Der Weise befriedigt jedes Verlangen und jede Neigung, während der Thor alle übrigen opfert, um einer zu fröhnen.

Es ließe sich vielleicht einwenden, daß wahrhaft weise Männer notorisch habsüchtig gewesen wären. Ich erwiedere, hierin waren sie nicht weise. Es könnte gleichfalls gesagt werden, daß die weisesten Männer in ihrer Jugend vergnügungssüchtig gewesen wären. Ich antworte, damals waren sie nicht weise.

Kurz, die Weisheit, deren Lehren von denjenigen, die nie in ihrer Schule waren, als so schwer zu erlernen dargestellt worden sind, lehrt uns blos, einen einfachen, allgemein bekannten und gerade unter den niedersten Classen 94 befolgten Grundsatz etwas weiter auszudehnen, als es im Leben gewöhnlich geschieht. Und dieser ist, nichts um zu hohen Preis zu verkaufen.

Wer nun immer diesen Grundsatz mit sich hinaus auf den großen Markt der Welt nimmt und ihn auf Ehren, Reichthümer, Vergnügen und alles andere, was dieser Markt darbietet, in Anwendung bringt, der ist, ich wage es zu behaupten, ein weiser Mann und muß im weltlichen Sinne des Worts dafür anerkannt werden; denn er macht den besten Kauf, weil er in der That alles um den Preis von ein wenig Mühe erlangt und alle die erwähnten Güter erwirbt, während er seine Gesundheit, seine Unschuld und seinen Ruf, die gewöhnlichen Kaufpreise, welche von andern dafür gezahlt werden, unverletzt und für sich behält.

Aus dieser Sparsamkeit zieht er noch zwei andere Lehren, die seinen Charakter vollenden; nämlich erstens, nie sich übermäßiger Freude zu überlassen, wenn er den besten Kauf machte, und dann, den Muth nicht zu verlieren, wenn der Markt leer ist oder seine Waaren für ihn zu theuer sind.

Aber ich muß bedenken, was ich eigentlich schreiben will und darf die Geduld eines gutgesinnten Kritikers nicht zu sehr mißbrauchen. Ich schließe daher hiermit das Kapitel.


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