Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil II
Henry Fielding

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54 Neuntes Kapitel.

Kann unter anderm als ein Commentar zu dem Ausspruche des Aeschines dienen, daß »sich die Seele eines Menschen in der Trunkenheit abspiegele, wie sein Körper in einem Spiegel.«

Vielleicht wundert sich der Leser, in dem vorhergehenden Kapitel nichts über Herrn Jones vernommen zu haben. In der That war sein Betragen von dem der darin erwähnten Personen so verschieden, daß wir seinen Namen mit den ihrigen nicht zusammenstellen wollten.

Nachdem der brave Mann zu sprechen aufgehört hatte, war Jones der letzte, der ihn verließ. Er begab sich auf sein Zimmer, um ungestört seinem Kummer nachzuhängen; allein seine Gemüthsbewegung ließ ihn dort nicht lange verweilen: er schlich sich daher in aller Stille nach Allworthy's Thür, wo er eine geraume Zeit horchte, ohne irgend etwas anderes zu hören, als ein heftiges Schnarchen, das ihm seine von Befürchtungen bewegte Einbildungskraft als ein Stöhnen darstellte. Dies beunruhigte ihn so, daß er sich nicht enthalten konnte, in das Zimmer einzutreten, wo er den Kranken sanft und ruhig schlafend im Bett fand und seine Wärterin ihm zu Füßen lag und in der eben beschriebenen herzhaften Weise schnarchte. Er bediente sich sogleich der einzigen Methode, diesen Brummbaß zum Schweigen zu bringen, dessen Musik, wie er fürchtete, Herrn Allworthy stören könnte; dann blieb er bei der Wärterin still und regungslos sitzen, bis Blifil und der Doctor zusammen hereinkamen und den Kranken weckten, damit der Doctor den Puls fühlen und der andere ihm jene Neuigkeit mittheilen könnte, die, hätte Jones darum gewußt, unter solchen Umständen schwerlich zu Herrn Allworthy's Ohren gekommen sein würde.

55 Im ersten Augenblicke, als er Blifil seinem Oheim die Sache vortragen hörte, konnte Jones kaum seinen aufwallenden Zorn über diese Unbesonnenheit zurückhalten, besonders als der Doctor den Kopf schüttelte und seine Mißbilligung darüber zu erkennen gab. Da ihn indessen seine Leidenschaftlichkeit nicht so weit aller Fassung beraubte, daß er nicht die möglichen Folgen eines heftigen Auftretens gegen Blifil für den Kranken erwog, so beschwichtigte diese Befürchtung seine Entrüstung für den Augenblick; und späterhin gab er sich damit, daß jene Nachricht wirklich nicht geschadet hatte, so zufrieden, daß er seinen Unwillen besiegte, ohne jemals etwas gegen Blifil davon laut werden zu lassen.

Der Arzt blieb über Mittag in Allworthy's Hause; und als er nach Tische von dem Besuche seines Patienten zur Gesellschaft zurückkehrte, berichtete er, er könne jetzt die Versicherung geben, daß jener außer aller Gefahr sei, daß das Fieber vollkommene Intermissionen mache und daß er nicht daran zweifle, durch Interponiren der Chinarinde die Rückkehr zu verhüten.

Ueber diese Nachricht war Jones so erfreut, daß er alle Haltung verlor und wahrhaft freudetrunken genannt werden konnte. Nun ist der Zustand der Freudetrunkenheit den Wirkungen des Weins sehr günstig, und da er bei dieser Gelegenheit auch der Flasche sehr zugesprochen hatte (denn er trank mehrere Humpen auf des Doctors Gesundheit und brachte auch noch andere Toaste aus), so ward er sehr bald im wahren Sinne des Worts betrunken.

Jones war von Natur sehr sinnlich, und wenn diese seine sinnlichen Triebe aufgeregt und durch den Geist des Weines noch erhöht waren, da rissen sie ihn zu mancherlei ausschweifenden Handlungen fort. Er küßte den Doctor und umarmte ihn mit der größten Zärtlichkeit, indem er betheuerte, daß er ihn, nächst Herrn Allworthy, unter allen 56 lebenden Menschen am meisten liebe. »Doctor,« setzte er hinzu, »Sie verdienen, daß Ihnen auf öffentliche Kosten ein Denkmal errichtet wird, dafür, daß Sie dem Leben einen Mann erhalten haben, der nicht allein der Liebling aller guten Menschen ist, die ihn kennen, sondern auch ein Segen für die Gesellschaft, der Ruhm seines Landes und eine Zierde der Menschheit. Nicht selig will ich werden, wenn ich ihn nicht mehr als meine Seele liebe.«

»Schämen Sie sich,« rief Thwackum. »Wenn ich gleich glaube, daß Sie Ursache haben, ihn zu lieben, denn er hat sehr gut für Sie gesorgt. Und gleichwohl möchte es für manche Leute besser gewesen sein, daß er es nicht erlebt hätte, gerechte Ursache zur Widerrufung seiner Schenkung zu finden.«

Jones erwiederte, Thwackum mit dem Ausdrucke der tiefsten Verachtung anblickend: »Und bildete sich Ihre gemeine Seele ein, daß ich mich durch solche Rücksichten bestimmen ließe? Nein, lieber mag sich die Erde öffnen und ihre Schätze verschlingen (wenn ich Millionen hätte, ich würde das sagen), als meinen theuren herrlichen Freund!«

Quis desiderio sit pudor aut modus
Tam chari capitis!»Was könnte unserer Sehnsucht nach einem so theuern Freunde Grenzen setzen!«

Der Doctor schritt jetzt vermittelnd ein und verhütete, daß der in Jones und Thwackum glühende Zorn in offene Flammen ausbrach, worauf der erstere sich ganz seiner fröhlichen Laune überließ, einige Liebeslieder sang und alle mögliche Tollheiten verübte, zu denen eine ungezügelte Freude nur verleiten kann; doch hielt er sich so fern von aller Zanksucht, daß er wo möglich noch gutmüthiger als im nüchternen Zustande war.

57 Es ist in Wahrheit nichts irriger, als die gewöhnliche Meinung, daß Leute, die im Rausche böswillig und zanksüchtig sind, im nüchternen Zustande von gutem Charakter wären, denn das Trinken ändert wahrhaftig die Natur nicht um oder schafft im Menschen Leidenschaften, die zuvor nicht in ihm existirten. Es schläfert die Vernunft, den Wächter unsers Denkens und Handelns, ein und zwingt uns, uns von derjenigen Seite zu zeigen, die Viele im nüchternen Zustande geschickt genug sind zu verbergen. Es erhöht und entstammt unsere Leidenschaften (und zwar im Allgemeinen die am meisten in uns vorherrschenden), so daß der Zorn, die Verliebtheit, die Großmuth, die Gutmüthigkeit, der Geiz und alle sonstigen Eigenschaften schärfer und deutlicher hervortreten.

Bei keiner Nation kommen wohl so viele Händel in Folge des Rausches, namentlich unter den niedern Klassen, vor als bei den Engländern (denn bei ihnen sind trinken und sich schlagen fast synonyme Ausdrücke); dennoch, dünkt mich, wäre es unrecht, daraus schließen zu wollen, daß die Engländer das bösartigste Volk wären. Vielleicht liegt dem einzig und allein die Ruhmbegierde zu Grunde, so daß man folgern zu müssen scheint, der gemeine Engländer besitze von dieser Eigenschaft und von Prahlerei mehr, als die Plebejer anderer Nationen. Und dies ist das Wahrscheinlichste, indem bei solchen Gelegenheiten selten etwas Unedles oder Boshaftes geschieht, ja die Kämpfenden selbst während des Kampfes Wohlwollen für einander äußern, und so wie ihre vom Rausche erzeugte Lustigkeit gemeiniglich mit einem Kampfe schließt, die meisten ihrer Kämpfe in Freundschaft ausgehen.

Doch kehren wir zu unserer Erzählung zurück. Obgleich Jones keine Absicht zu beleidigen hatte sehen lassen, so fühlte sich Herr Blifil doch durch ein Betragen, das mit 58 seiner nüchternen und klugen Zurückhaltung so unverträglich war, höchlich verletzt. Seine Geduld, mit der er es ertrug, war um so größer, als es ihm zu dieser Zeit sehr unschicklich erschien, »wo,« wie er sagte, »das Haus, des Todes seiner theuern Mutter wegen, ein Trauerhaus wäre; und hätte es dem Himmel gefallen, ihnen einige Hoffnung auf Herrn Allworthy's Genesung zu geben, so würde es ihnen besser geziemt haben, die Freude ihres Herzens durch Dankgebete als durch Betrunkenheit und Lärmen auszudrücken, wodurch Gottes Zorn eher erhöht als abgewendet würde.« Thwackum, der mehr als Jones getrunken hatte, dem es aber weniger zu Kopfe gestiegen war, stimmte in Blifil's fromme Rede mit ein; Square aber schwieg, aus Gründen, die der Leser wahrscheinlich errathen kann, völlig still.

Der Wein hatte Jones nicht so gänzlich von Besinnung gebracht, daß er sich nicht sogleich des Verlustes, den Blifil erlitten, erinnert hätte, so wie er nur erwähnt wurde. Da nun Niemand bereitwilliger sein konnte, als er, seine Fehler zu bekennen und zu tadeln, so reichte er Herrn Blifil die Hand dar und bat ihn um Verzeihung, indem er sagte, seine übergroße Freude über Herrn Allworthy's Genesung hätte keinen andern Gedanken in ihm aufkommen lassen.

Blifil stieß die Hand zornig zurück und entgegnete mit großer Entrüstung, es wäre wenig zu verwundern, wenn traurige Scenen auf einen Blinden keinen Eindruck machten; er für seinen Theil hätte leider das Unglück, zu wissen, wer seine Eltern wären und müßte folglich durch deren Verlust betrübt werden.

Jones, der trotz seiner Gutmüthigkeit leicht zum Zorn zu reizen war, sprang hastig von seinem Sitze auf und schrie, indem er Blifil beim Kragen packte: »Verdammter Schurke! willst Du mich mit dem Mißgeschick meiner 59 Geburt kränken?« Er begleitete diese Worte mit so rohen Thätlichkeiten, daß Blifil's ruhiges Temperament bald nicht mehr Stand dagegen hielt und sich eine Rauferei entspann, die zu Unheil hätte führen können, wäre dies nicht durch die Vermittelung Thwackum's und des Arztes abgewendet worden; denn Square's Philosophie machte diesen über alle Regung erhaben und er rauchte ruhig seine Pfeife, wie das jedesmal bei Streitigkeiten seine Gewohnheit war, wenn er nicht zu fürchten brauchte, daß sie ihm im Munde zerbrochen werden könnte.

Da sich die Streitenden nun verhindert sahen, ihre Rache jetzt an einander auszulassen, so machten sie ihrer Wuth durch Drohungen und Herausforderungen Luft. In dieser Art Kampf war das Glück, das sich während ihres persönlichen Angriffs auf Jones Seite zu neigen schien, durchaus auf Seiten seines Feindes.

Dennoch ward endlich durch die Vermittelung der neutralen Parteien ein Waffenstillstand geschlossen und die ganze Gesellschaft setzte sich wieder um den Tisch. Dadurch, daß man Jones vermochte, um Verzeihung zu bitten, und Blifil, sie zu gewähren, ward der Frieden hergestellt und alles schien in statu quo zu sein.

Allein obgleich der Streit allem Anscheine nach vollkommen beigelegt war, so war doch die gute Laune, die durch denselben eine Unterbrechung erlitten hatte, keineswegs wieder hergestellt. Alle Heiterkeit war von jetzt an zu Ende und das Gespräch beschränkte sich auf ernsthafte Erzählungen von Thatsachen und auf eben so ernsthafte Betrachtungen darüber; – eine Art von Conversation, mit der zwar viel Würde und Belehrung, aber wenig Unterhaltung verbunden ist. Da wir nun dem Leser blos diese letztere zugedacht haben, so werden wir alles, was gesprochen wurde, übergehen bis dahin, wo die Uebrigen sich 60 allmälig entfernt hatten und Square und der Arzt allein noch da waren. Da nämlich erhielt das Gespräch wieder etwas mehr Leben durch einige Bemerkungen über das, was sich zwischen den beiden jungen Männern zugetragen hatte, die der Doctor für nicht besser als ein Paar Schufte erklärte, worin ihm der Philosoph durch ein sehr kluges Kopfnicken beistimmte.


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