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Zweites Kapitel.

Ein nächtlicher Auftritt, worin Adams und seine Reisegefährten mehrere wunderbare Abenteuer bestehen.


Es war schon so spät, als unsern Reisenden das Wirthshaus oder die Schenke (denn es konnte auf beide Namen Anspruch machen) verließen, daß sie eben noch nicht weit gekommen waren, als die Nacht sie einholte, oder ihnen begegnete, wie man nun eben will. Der Leser muß mich entschuldigen, wenn ich die Straße, die sie zogen, nicht genau angebe; denn da wir uns jetzt dem Landsitze der Borby's nähern, und dies ein kitzlicher Name ist, den gewisse boshafte Spötter, ihrem üblen Hange gemäß, auf mehrere würdige Gutsbesitzer, eine Menschenrace, die wir für durchaus harmlos halten, und für welche wir eine entsprechende Achtung hegen, zu deuten geneigt sein könnten, so wollen wir solchen boshaften Absichten weiter keinen Vorschub leisten.

Finsterniß hatte sich jetzt über die Halbkugel gelagert, da flüsterte Fanny ihrem Joseph zu, sie möchte gern ein wenig ausruhen, denn sie sei so müde, daß sie unmöglich weiter gehen könne. Joseph vermochte sogleich den Pfarrer Adams, der noch äußerst rüstig daher zog, etwas zu verweilen. Kaum hatte er sich gesetzt, so erhob er bittere Klagen über den Verlust seines geliebten Aeschylus, doch gewährte ihm der Gedanke einigen Trost, daß, wenn er ihn auch jetzt in Besitz hätte, er doch in der Dunkelheit nicht darin lesen könne. Der Himmel war so bewölkt, daß kein Stern sich blicken ließ, und es herrschte, – um mit Milton zu reden – eine »sichtbare Finsterniß;« ein Umstand, der jedoch Joseph sehr günstig war; denn Fanny, die sich von Adams weniger beobachtet wußte, hielt ihre Leidenschaft nicht mehr so strenge als bisher in Schranken, lehnte ihren Kopf an des Geliebten Brust, und duldete, indem sie ihn mit ihrem Arm sanft umschlang, seine Wangen dicht an den ihrigen. Alles dies erfüllte Joseph mit einer solchen Seeligkeit, daß er seinen Rasensitz nicht gegen den weichsten Pfühl im schönsten Palast auf Erden vertauscht haben würde. Herr Adams saß in einiger Entfernung von den Liebenden, und überließ sich, da er sie nicht stören wollte, seinem Nachdenken; welchem er noch nicht viel Zeit gewidmet hatte, als er in der Entfernung ein Licht erblickte, das sich ihnen zu nähern schien. Er rief der Erscheinung sogleich entgegen; aber zu seinem nicht geringen Erstaunen und Verdruß stand sie einen Augenblick still und verschwand dann plötzlich wieder. Er schrie hierauf Joseph zu: ob er nicht das Licht gesehen habe? – »Allerdings,« antwortete Joseph. – »Und bemerkten Sie nicht, wie schnell es verschwand?« fuhr Jener fort. »Ich fürchte mich, zwar nicht vor Gespenstern, aber ich kann sie auch nicht gänzlich leugnen.«

Hierauf versank er in eine Betrachtung über diese körperlosen Wesen, die bald durch mehrere Stimmen unterbrochen ward, welche er dicht hinter sich zu hören glaubte, ob sie gleich wirklich nicht so sehr nahe waren. So viel konnte er jedoch deutlich vernehmen, daß sie den Mord eines Jeden, der ihnen begegnen würde, beabsichtigten und kurz darauf hörte er einen von ihnen sagen: »seit vierzehn Tagen habe er nun schon ein Dutzend getödtet.«

Adams sank jetzt auf die Kniee und empfahl sich dem Schutz der Vorsehung; die arme Fanny aber, die ebenfalls jene schrecklichen Worte vernommen, schmiegte sich so dicht an Joseph, daß dieser, der ebenfalls Alles gehört hatte, wäre er nicht um ihretwegen besorgt gewesen, keine Gefahr, die ihm allein drohen konnte, als einen zu theuern Preis für solche Umarmungen betrachtet haben würde.

Joseph zog jetzt sein Federmesser hervor, und nachdem Adams sein Stoßgebet beendigt, ergriff er den Knittel, seine einzige Waffe, und indem er sich Joseph näherte, forderte er ihn auf, Fanny zu verlassen, und diese in das Hintertreffen zu stellen; doch seine Rathschläge wurden nicht beachtet; das Mädchen schmiegte sich noch fester an ihren Geliebten, ohne sich durch die Gegenwart des Herrn Adams abhalten zu lassen, und erklärte, sie wolle in Josephs Armen sterben. Dieser, der sie mit unaussprechlichem Eifer an sich drückte, flüsterte ihr zu: »Er gehe lieber mit ihr in den Tod, als ohne sie durchs Leben.« Adams aber, seinen Knittel schwingend, sagte, er verachte den Tod so gut als Einer, und recitirte dann mit lauter Stimme:

Est hic, est animus lucis contemptor et illum
Qui vita bene credat emi quo tendis, honorem

Der Stimmen machten jetzt eine kleine Pause, und dann rief eine derselben: »Zum Henker, wer ist da?« worauf Adams klug genug war, nicht zu antworten; aber plötzlich sah er ein halbes Dutzend Lichter, die alle auf einmal sich vom Boden zu erheben, und schnell auf ihn vorzudringen schienen. Dies konnte nun seinen Folgerungen nach durchaus nichts als eine gespenstische Erscheinung sein, und da sich ihm jetzt auch die Ansicht aufdrang, die Stimmen seien derselben übernatürlichen Art, so rief er: »Im Namen des Herrn, was ist Dein Begehren?« – Er hatte diesen Spruch kaum vernehmen lassen, als er eine der Stimmen schreien hörte: »Alle Wetter, da kommen sie!« und bald darauf vernahm er das Zusammenschlagen mehrer Knittel, wie wenn eine Anzahl Menschen im Kampf begriffen ist. Er stand eben im Begriff, auf das Schlachtfeld zu eilen, als Joseph ihn am Rockzipfel faßte, und ihn bat, lieber die Dunkelheit zu benutzen, um mit ihm Fanny vor der drohenden Gefahr in Sicherheit zu bringen. Er ging sofort darauf ein, und indem Joseph seiner Fanny von der Erde aufhalf, entfernten sie sich alle drei so schnell sie konnten; und sie hatten schon, ohne sich umzublicken, oder eingeholt zu werden, fast eine halbe Stunde zurückgelegt, während welcher die arme Fanny sich nicht ein einziges Mal über Müdigkeit beklagte, als sie in einiger Entfernung mehrere einander ziemlich nahe Lichter, und zugleich sich selbst an dem Abhange eines sehr steilen Hügels sahen. Adams, dessen Fuß ausglitt, verschwand sogleich zu Josephs und Fanny's großem Schrecken, doch würden sie wohl schwerlich, wenn das Tageslicht ihnen gestattet hätte, den Pfarrer den Hügel von oben bis unten hinabrollen zu sehen, sich des Lachens haben erwehren können. Er hatte sich jedoch nicht den mindesten Schaden gethan, und unten hallote er, so laut er konnte, um sie über sein Schicksal zu beruhigen. Nachdem seine Begleiter überlegt hatten, was jetzt zu thun sei, traten sie wenige Schritte vor, wo der Abhang weniger steil zu sein schien, darauf nahm Joseph seine Fanny in die Arme, schritt fest mit ihr den Hügel hinab, ohne einen einzigen Fehltritt zu thun, und brachte sie wohlbehalten hinunter, wo Adams bald zu ihnen trat.

Lernt hieraus, meine schönen Landsmänninen, Eure Schwäche und die vielen Gelegenheiten benutzen, bei denen Mannskraft Euch nützlich sein kann; und hütet Euch, dieses reiflich erwägend, daß Ihr Euch nicht mit den spindelbeinigten Stutzern und Hasenfüßen unserer Zeit einlaßt, welche, statt wie Joseph Andrews Euch mit kräftigen Arm über die rauhen Wege und die steilen Pfade des Lebens hinabtragen zu können, vielmehr Eurer eigenen Unterstützung für ihre schwächlichen Glieder bedürfen möchten.

Unsere Reisenden schritten nun auf das nächste Licht zu, und kamen über ein Gemeindefeld auf eine Wiese, wo ihnen das Licht schon sehr nahe zu sein schien, als sie zu ihrem großem Mißbehagen an dem Ufer eines Flusses anlangten. Adams erklärte unerschrocken, er könne schwimmen; doch fügte er hinzu, er sehe nicht ein, wie Fanny hinüberzubringen sei, worauf Joseph erwiederte: wenn sie dem Ufer folgten, so müßten sie doch eine Brücke finden, besonders da die Menge von Lichtern auf die Nähe eines Dorfes schließen lassen. – »Der Tausend! das ist ja auch wahr,« sagte Adams; – »ich dachte nicht gleich daran.« –

Sie folgten Josephs Rath und kamen über zwei Wiesen an einen kleinen Obstgarten, der sie zu einem Hause führte. Fanny bat Joseph, an die Thüre zu klopfen, indem sie versicherte, sie sei so müde, daß sie kaum noch auf den Beinen stehen könne. Adams, der voran war, hatte dies Geschäft schon übernommen, und sogleich wurde die Thüre von einem Mann von ehrbarem Ansehn geöffnet. Adams sagte ihm, sie hätten ein junges von der Reise ermüdetes Frauenzimmer bei sich, und sie würden ihm sehr verpflichtet sein, wenn er sie etwas eintreten und sich ausruhen lassen wolle. Der Mann, der bei dem Schein des Lichts, das er in der Hand hielt, Fanny's unschuldige und sittsame Miene gewahrte, und in welchem des Pfarrers anständiges Benehmen keinen schlimmen Verdacht aufkommen ließ, antwortete ohne Bedenken: das junge Frauenzimmer, so wie ihre Begleiter, würden ihm in seinem Hause sehr willkommen sein. Er nöthigte sie dann in eine sehr reinliche Stube, wo seine Frau an einem Tische saß; diese sprang gleich auf, schob Stühle herbei, und bat die Fremden, sich zu setzen, welches kaum geschehen war, als der Mann sie fragte, ob sie etwa einige Erfrischungen wünschten. Adams antwortete, er seinerseits würde ihm für ein Glas Bier sehr dankbar sein, und eben dies wählten auch Joseph und Fanny. Während Jener hinausgegangen war, um einen großen Krug mit diesem Getränk zu füllen, sagte die Frau zu Fanny, sie scheine ihr sehr ermüdet zu sein, und möchte doch etwas Stärkenderes als Bier zur Wiederherstellung ihrer Kräfte zu sich nehmen; diese aber dankte vielmals, indem sie erwiederte, sie sei allerdings sehr müde, hoffe aber durch ein wenig Ruhe sich bald wieder zu erholen. Als die ganze Gesellschaft wieder versammelt war, wandte sich Adams, nachdem er dem Bier zugesprochen, und mit allgemeiner Erlaubniß seine Pfeife angezündet hatte, sich an den Hausherrn mit der Frage; ob böse Geister in jener Gegend umzugehen pflegten? Als er hierauf keine Antwort erhielt, erzählte er ihm das Abenteuer, das ihnen draußen auf der Heide begegnet war; doch hatte er seinen Bericht noch nicht beendet, als sehr stark an der Hausthüre gepocht wurde. Die Männer bezeigten einige Verwunderung, und Fanny und die Hausfrau erbleichten; der Hausherr ging hinaus und während seiner etwas langen Abwesenheit blickten die andern einander schweigend an, zumal als sie mehrere sehr laute Stimmen hörten. Adams, nunmehr vollkommen überzeugt, daß Geister hier im Spiele seien, begann auf eine Beschwörungsformel zu sinnen; Joseph war ebenfalls zum Gespensterglauben etwas geneigt; Fanny fürchtete sich mehr vor Räubern, und die gute Hausfrau faßte gegen ihre Gäste einigen Argwohn und bildete sich schon ein, diese ständen mit der draußen lärmenden Schaar in Verbindung. Endlich kehrte der Hausherr zurück, und sagte dem Pfarrer lachend, er habe seine Gespenster entdeckt; die vermeintlichen Mörder seien Schaafdiebe, und die zwölf Ermordeten nichts anders als zwölf Schaafe. Er fügte hinzu, die Schäfer seien der Diebe Meister geworden, hätten zwei von ihnen festgenommen, und brächten sie nun vor den Friedensrichter. Dieser Bericht beseitigte größtentheils die Besorgnisse aller Anwesenden; Adams aber murmelte, er sei dennoch überzeugt, daß es Gespenster gebe.

Sie saßen nun fröhlich um das Kamin, bis der Hausherr, der jetzt seine Gäste schärfer ins Auge gefaßt hatte und das Priesterkleid, welches der unter Adams Ueberrock vorragende Zipfel verrieth, und Josephs schäbigte Livree mit der zwischen Beiden obwaltenden Vertraulichkeit nicht in Einklang zu bringen wußte, einige für sie nicht allzu vortheilhafte Muthmaßungen zu hegen begann. Er wendete sich daher an Adams mit den Worten: seinem Anzug nach scheine er ein Geistlicher zu sein, und vermuthlich der ehrliche Mensch da sein Bedienter. – »Sir,« antwortete Adams, »ich bin ein Geistlicher, Ihnen zu dienen; was aber den jungen Mann betrifft, den Sie mit Recht ehrlich genannt haben, so ist er dermalen in keines Menschen Diensten, und hat auch nur in denen der Lady Borby gestanden, die ihn keines schlechten Streichs wegen, so viel kann ich Sie versichern, den Abschied gegeben hat.« – Joseph sagte, er begreife leicht, daß es den Herrn wundern müsse, einen Mann von Herrn Adams Stande gegen einen armen Menschen so herablassend und freundlich zu sehen. – »Mein Sohn,« sprach der Pfarrer, »ich würde mich des Gewandes, das ich trage, schämen müssen, wenn ich einen rechtschaffenen Menschen, weil er arm ist, meiner Achtung oder eines vertraulichen Umgangs unwerth hielte. Auch weiß ich nicht, wie Andersdenkende sich für Nachfolger und Diener dessen ausgeben können, der keinen Unterschied machte, außer etwa, daß er die Armen den Reichen vorzog. Sir,« fuhr er zu dem Hausherrn gewendet fort, »diese beiden jungen Leute sind aus meinem Kirchspiel, und ich betrachte und liebe sie wie meine Kinder. Ihre Geschichte ist merkwürdig, aber ich habe jetzt nicht Zeit, sie zu erzählen.« Trotz der Aufrichtigkeit, die in dem Benehmen des Pfarrers kaum zu verkennen war, hatte der Hausherr zu viel Welt- und Menschenkenntniß, um zu schnell bloßen Betheuerungen und Worten Glauben zu schenken. Er fühlte sich noch nicht ganz sicher, ob Adams vom Geistlichen auch mehr als das äußere Gewand habe. Um ihn daher ferner auf die Probe zu stellen, fragte er ihn, ob Herr Pope neuerdings wieder etwas habe drucken lassen? Adams erwiederte, er habe zwar diesen Dichter sehr preisen hören, aber nie etwas von ihm gelesen, noch eins seiner Werke zu Gesicht bekommen. – »Ho, ho!« dachte der Wirth, »habe ich dich erwischt? – Wie,« sagte er laut, »haben Sie seinen Homer nicht gesehen?« – Adams erwiederte, er habe nie die Klassiker in Uebersetzungen gelesen. – »Nun allerdings,« entgegnete Jener, »es liegt eine Würde in der griechischen Sprache, die wohl keine neuere erreichen kann.« – »Verstehen Sie griechisch, Sir,« fragte Adams hastig. – »Ein wenig, Sir,« versetzte der Hausherr. – »O wissen Sie nicht, Sir,« fuhr Adams fort, »wo ich einen Aeschylus haben kann? – Ein unglückliches Ereigniß hat mich vor kurzem um den meinigen gebracht.« – Von Aeschylus kannte Jener nur den Namen, er lenkte daher das Gespräch wieder auf den Homer, indem er seinen Gast fragte, welchen Theil der Ilias er für den vortrefflichsten halte. – Adams erwiederte: seine Frage dürfte schicklicher die sein, welche Gattung von Schönheit in der Dichtkunst die höchste sei, indem Homer sich in jeder in gleichem Grade auszeichne; und »fürwahr,« fuhr er fort, »was Cicero von dem vollendeten Redner sagt, kann eben so gut auf einen großen Dichter angewendet werden: Er muß alle Vollkommenheiten in sich vereinigen. Das war nun beim Homer im höchsten Grade der Fall, und mit Recht führt ihn daher Aristoteles im zweiundzwanzigsten Kapitel seiner Poetica nur unter dem Namen des Dichters auf. Er war der Vater des Drama sowohl als des Epos, und nicht des Trauerspiels allein, sondern auch des Lustspiels; denn sein verlorengegangener Mergites, ein höchst beklagenswerther Verlust, stand nach Aristoteles in demselben Verhältniß zum Lustspiel, wie seine Odyssee und Ilias zum Trauerspiel. Ihm also haben wir nicht weniger den Aristophanes zu verdanken, als den Euripides, den Sophokles und meinen armen Aeschylus; ist's Ihnen aber gefällig, so beschränken wir uns (für jetzt wenigstens) auf die Ilias, die ich sein edelstes Werk nenne, obgleich weder Aristoteles noch Horaz sie, so viel ich mich entsinne, der Odyssee vorziehen. Zuerst also, was den Gegenstand betrifft, kann etwas einfacher und zugleich edler und erhabener sein? Er wird mit Recht von dem erstern jener scharfsinnigen Kunstrichter schon deßhalb gepriesen, daß er nicht den ganzen Krieg in seine Darstellung gezogen hat, welcher, wie er sagt, obschon gleichfalls in sich selbst abgeschlossen, mit einem vollständigen Anfang und Ende, doch von zu großem Umfange für den Verstand gewesen wäre, um mit einem Ueberblick aufgefaßt werden zu können. Es hat mich daher oft befremdet, daß ein so korrekter Schriftsteller, wie Horaz, ihn in der Epistel an Lollius Trojani belli scriptorem nennen konnte. Zweitens untersuchen wir die Handlung in seinem Gedichte, die vom Aristoteles pragmaton systasis genannt wird, welcher Menschengeist kann wohl eine Idee, in der sich so vollständige Einheit mit solcher Größe vereinigt, auffassen? Und hier muß ich bemerken, was, so viel ich mich erinnere noch nirgends erwähnt ist, jenes harmozon, jene Uebereinstimmung der Handlung mit dem Gegenstand; denn wie erstere Zorn, so ist letzterer Krieg, und hieraus entwickelt sich jede Begebenheit, hierauf bezieht sich unmittelbar jede Episode. Drittens betrachten wir seine Sittenschilderung, welcher Aristoteles in seiner Beschreibung der verschiedenen Theile der Tragödie den zweiten Rang anweist, und die, wie er sagt, mit zur Handlung gehört. Hier weiß ich nicht, soll ich mehr Homers Genauigkeit seines Urtheils in der scharfen Unterscheidung der Charaktere, oder die Unermeßlichkeit seiner Erfindungskraft in deren Mannichfaltigkeit bewundern. Wie scharf ist in Beziehung auf jene die verbissene heftige Nachzucht des Achill von der stürmischen nichts schonenden Hitze des Agamemnon unterschieden Wie sehr entfernt sich des Ajax roher Muth von des Diomedes ritterlicher Tapferkeit, und Nestors Weisheit, die Frucht langer Erfahrung und des Nachdenkens, von der nur auf Ränke sinnenden und künstlich erworbenen List des Ulysses? Was die Mannichfaltigkeit der Charaktere betrifft, so mögen wir mit Aristoteles in seinem vierundzwanzigsten Kapitel ausrufen, kein Theil dieses göttlichen Gedichts sei ohne eigentümliche Charakterschilderungen; ja ich möchte behaupten, es lasse sich kaum ein menschlicher Charakter denken, den man nicht mit diesem oder jenem Zuge berührt fände. So wie es aber keine Leidenschaft giebt, die er nicht zu schildern vermöchte, so schlummert auch keine in dem Leser, die er nicht zu erwecken fähig ist. Könnte einer seiner poetischen Eigenschaften eine Ueberlegenheit zugeschrieben werden, so müßte es, denke ich, im Pathetischen sein. So viel kann ich sagen, nie las ich mit trockenen Augen die beiden Episoden, worin Andromache eingeführt wird, das erste Mal, als sie die Gefahr, und dann, wie sie den Tod Hektors bejammert. Hier sind die Bilder so außerordentlich zart gehalten, daß ich überzeugt bin, der Dichter selbst war mit dem besten, edelsten Herzen begabt. Auch kann ich nicht umhin, zu bemerken, wie wenig Sophokles in seiner der Tekmessa in den Mund gelegten Nachahmung der Rede der Andromache die Schönheiten seines Vorbildes erreicht; und doch war Sophokles das größte Genie, das je ein Trauerspiel schrieb, und er läßt alle seine Nachfolger in diesem Kunstgebiet, das heißt Euripides und Seneca, die Tragiker, weit hinter sich. Von seinen Sentenzen und seiner Diction sage ich nichts, als daß die erstern durch die höchste hier mögliche Vollkommenheit sich auszeichnen, da nehmlich jede schicklich und am rechten Orte steht, über die letztere hat sich schon Aristoteles, den Sie ohne Zweifel mehr als einmal durchgelesen haben, weitläufig genug ausgesprochen. Nur eins will ich noch erwähnen, was dieser große Kunstrichter in seiner Eintheilung des Trauerspiels Opsis oder den Schauplatz nennt, und was dem Epos sowohl zukommt als dem Drama, mit dem Unterschied jedoch, daß es in ersterem dem Bereich des Dichters, in letzterem dem des Malers zufällt. Schuf aber je die Phantasie eines Malers eine Scene, wie die in dem dreizehnten und vierzehnten Buch der Ilias, wo der Leser auf einen Blick den Prospekte von Troja mit dem davor in Schlachtordnung aufgestellten Heere, das Lager und die Flotte der Griechen, Jupiter auf dem Berge Ida, das Haupt in eine Wolke gehüllt, einen Donnerkeil in der Hand, nach Thrazien zu schauend; den Neptun auf der See daherfahrend, die Wellen seines Elements zertheilend, seinem Sitze auf dem Berge Samos zueilend, den Himmel offen, und alle Gottheiten auf ihren Thronen fleht! – Das nenne ich erhaben! das nenne ich Poesie!« – Adams ließ jetzt an hundert griechische Verse ertönen, und zwar mit einer solchen Stimme, einem solchen Nachdruck, und einer so lebhaften Deklamation, daß er die Hausfrau beinahe erschreckte, dem Hausherrn dagegen alles Mißtrauen so ganz benahm, daß dieser jetzt fest glaubte, er habe einen Bischof in seinem Hause. Er brach in die ausschweifendsten Lobeserhebungen über des Pfarrers Gelehrsamkeit aus, und legte jetzt seine natürliche Gutherzigkeit auch gegen die andern Gäste an den Tag. Er bedauerte sehr, wie er sagte, das arme junge Frauenzimmer, welches von der Reise so bleich und erschöpft aussehe, und er machte sich einen viel höhern Begriff von ihrem Stande, als der Wahrheit gemäß war. Er betheuerte, es thue ihm leid, sie nicht alle mit Betten versehen zu können; erbot sich aber, mit dem Pfarrer und Joseph die Nacht am Kamin zu durchplaudern, wenn es ihnen zusage, und dem jungen Frauenzimmer stehe ein Platz in dem Bett seiner Frau zu Diensten, wozu er um so mehr rathe, als das nächste Wirthshaus nicht allein über eine halbe Stunde entfernt, sondern auch nicht sehr zu empfehlen sei. Adams, dem sein Lehnstuhl, sein Bier, sein Tabak und seine Gesellschaft behagte, suchte Fanny zur Annahme dieses freundlichen Vorschlages zu bewegen, worin er durch Joseph unterstützt ward; auch ließ sie sich nicht lange nöthigen, denn sie hatte in der vorletzten nur wenig und in der letzten gar nicht geschlafen; so daß sie kaum im Stande war, ihre Augen länger offen zu erhalten. Nachdem der Vorschlag freundlich angenommen war, trug die wackere Hausfrau auf, was sie nur Eßbares im Hause hatte, und die Gäste machten der herzlichsten Einladung mit dem gesundesten Appetit Ehre, besonders Pfarrer Adams, denn an den andern Beiden bewährte sich die Zuverlässigkeit der physischen Bemerkung einigermaßen, daß die Liebe, wie andere Süßigkeiten, den Magen nicht sonderlich aufregt.

Sie hatten ihr Abendessen kaum beendigt, als Fanny sich entfernte, und die wackere Hausfrau sie begleitete. Der Hausherr aber, Adams und Joseph, welcher Letztere sich bescheiden zurückgezogen, und in ehrerbietigerer Entfernung gehalten haben würde, wenn man ihn nicht so freundlich zur Gesellschaft gezogen, setzten sich zusammen an das Kamin, wo Adams ein Pfeifchen nach dem andern anzündete, und der Hausherr eine Flasche vortreffliches Bier, das beste das er im Keller hatte, zum Besten gab.

Josephs bescheidenes Benehmen, seine persönliche Anmuth, das Lob, das ihm Adams ertheilte, und die Freundschaft, womit dieser ihm zugethan schien, begannen des Wirthes Neigung zu erwecken, und ihn nach den merkwürdigen Umständen neugierig zu machen, deren Adams bei Erwähnung der Geschichte desselben gedacht hatte. Der Pfarrer bemerkte dies nicht so bald, als er mit Josephs Genehmigung des Hausherrn Verlangen befriedigte, und alles erzählte, was er wußte, wo denn des Verhältnisses mit der Lady Borby so schonend als möglich, desto umständlicher aber der treuen und gegenseitigen Liebe zwischen seinem jungen Freunde und Fanny gedacht, und aus der Niedrigkeit ihrer Geburt und Erziehung kein Hehl gemacht wurde. Diese letzteren Umstände beseitigten gänzlich einen Argwohn, der sich in dem Gemüth des Hausherrn erhoben hatte, als sei Fanny irgend eine Tochter aus einer vornehmen Familie, und mit des Pfarrers Vorschub von Joseph entführt worden. Er wurde jetzt seinen Gästen immer mehr zugethan, trank fröhlich auf ihre Gesundheit und sagte Adams tausend Dank für seine Mittheilungen, worauf sich denn auch dieser, der ein sehr ausführlicher Erzähler war, wirklich Anspruch gemacht hatte.

Adams erklärte, es hänge jetzt von dem Herrn ab, ihn auf gleiche Weise zu verpflichten, denn seine außerordentliche Gutherzigkeit, so wie sein Schatz von literarischen Kenntnissen Einige haben dem Verfasser hier den Vorwurf eines Widerspruchs gemacht; denn Adams hatte allerdings einige Gelehrsamkeit. vielleicht alle, die dem Autor selbst zu Gebot stand (so sagen sie), dargelegt; der Hausherr jedoch gar keine, oder man müßte das Lob, das er Herrn Adams in dieser Beziehung ertheilte, dafür nehmen, was jedoch nicht zugelassen werden dürfe. Ich habe jedoch trotz dieses Tadels, der, wie man mir sagte, aus dem Munde eines großen Redners in einem öffentlichen Kaffeehause kam, diesen vermeintlichen Widerspruch so stehen lassen, wie er sich in der ersten Ausgabe fand. Ich will nicht so eitel sein, auf irgend etwas in diesem Werk folgende Bemerkung der Madame Dazier in ihrer Vorrede zur Uebersetzung des Aristophanes zu beziehen: »Ich halte es für einen sich stets bewährenden Grundsatz, daß eine mittelmäßige Schönheit allgemeiner gefällt, als eine makel- und fehlerlose Schönheit.« Herr Congreve ließ sich übrigens einen ähnlichen Widerspruch in seinem Lustspiel: »Liebe um Liebe,« zu Schulden kommen, wo Tattle zur Miß Poue sagt: »Sie würde ihn eben so sehr der Schönheit wegen bewundern, die er an ihr lobe, als ob sie sich an ihm selbst fände.«, den er unter einem solchen Dache nicht zu finden erwartet, hätten seine eigene Neugierde im höchsten Grade erregt. – »Falle ich Ihnen mit meiner Bitte nicht beschwerlich, Sir,« sagte er, »so theilen Sie uns gefälligst Ihre Geschichte mit.«

Jener erwiederte, er könne ihm nicht abschlagen, worauf zu bestehen er allerdings ein Recht habe, und nach einigen von den Gemeinplätzen, womit man gewöhnlich eine Geschichte einzuleiten und zu beantworten pflegt, begann er wie folgt.


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