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Siebzehntes Kapitel.

Ein Gespräch zwischen Herrn Abraham Adams und seinem Wirthe, das in Folge der Verschiedenheit ihrer Ansichten einen unglücklichen Ausgang genommen haben könnte, wenn dieser nicht durch die Rückkehr der Liebenden noch bei Zeiten verhindert worden wäre.


»Sir,« sagte der Wirth, »Sie sind nicht der Erste, dem unser Squire mehr versprochen als gehalten hat. Er ist so allgemein bekannt dafür, daß sein Wort wenig bei denen gilt, die ihn etwas näher kamen. Ich erinnere mich eines jungen Burschen, dessen Eltern er versprach, ihm eine Anstellung als Zollbeamter zu verschaffen. Die armen Leute, die aber nicht viel übrig hatten, ließen ihn schreiben und rechnen lernen, und was sonst zu einer solchen Stelle erforderlich ist, um ihn dazu vorzubereiten, und der Junge trug in dieser Hoffnung die Nase ein Bischen höher, als seine Stellung es rechtfertigen konnte. Er wollte weder hinter dem Pfluge hergehen, noch irgend eine andere Handarbeit verrichten, sondern war immer so hübsch gekleidet, als seine Umstände es nur gestatteten; er wechselte zweimal wöchentlich seine fremden von holländischer Leinwand, und das mehrere Jahre hindurch, bis er endlich den Squire in London aufsuchte, um ihn an sein Versprechen zu erinnern; aber er konnte ihn nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen, und nun, da er weder Geld noch Beschäftigung hatte, gerieth er in schlechte Gesellschaft, und machte so nichtswürdige Streiche, daß er zur Transportation über See verurtheilt wurde, was seiner Mutter, als sie es erfuhr, das Herz brach. – Ich will Ihnen noch eine andere wahre Geschichte von ihm erzählen: Einer meiner Nachbarn, ein Pächter, hatte zwei Söhne, die er für die Landwirthschaft bestimmte. Es waren allerliebste Bursche, aber der Squire bestand darauf, der jüngste müsse ein Pfarrer werden, hierauf beredete er den Vater, den Jungen in die Schule zu schicken, und versprach, ihn sodann nicht allein auf seine Kosten studiren zu lassen, sondern auch, wenn er das Alter erreicht habe, mit einer Pfründe zu versorgen. Als der Knabe sieben Jahr in die Schule gegangen war, und ihn der Vater mit einem Zeugnis des Lehrers, daß er zum Besuch der Universität gehörig vorbereitet sei, zu dem Squire brachte, begnügte sich dieser, statt seines Versprechens zu gedenken und ihn auf seine Kosten studiren zu lassen, damit, daß er dem Vater versicherte, der junge Mann habe schöne Kenntnisse, und es sei Jammerschade, wenn er nicht vier oder fünf Jahre die Universität zu Oxford besuchen könne, um alsdann, falls unterdeß eine Stelle offen werde, sich ordiniren zu lassen. Der Pächter sagte, sein Vermögen gestatte ihm leider nicht, dieses auszuführen. – Nun, antwortete der Squire, da hättet Ihr ihn nicht sollen so viel lernen lassen; denn hilft's ihm nicht zu einer Pfarre, so kann's ihn zu allem übrigen kaum anders als untüchtig machen, und Euer anderer Sohn, der kaum seinen Namen schreiben kann, wird sich beim Säen und Pflügen besser stehen, und ist in einer glücklicheren Lage als er. So ergab sich's auch, denn da der arme Junge keine Freunde fand, ihn im Studiren zu unterstützen, wie er erwartet hatte, und die Handarbeit ihm nicht zusagte, so überließ er sich dem Trunk, was früher nicht sein Fehler gewesen war, und starb bald an einer Abzehrung, die ihm theils der Gram, theils die starken Getränke zugezogen hatten. – Ja in einem Fall benahm er sich noch schändlicher: da war ein junges Mädchen, das schönste in der ganzen Gegend, die lockte er nach London, indem er versprach, sie bei einer vornehmen Dame als Kammermädchen unterzubringen; doch statt sein Wort zu halten, hat er sie, wie wir später erfuhren, verführt, und nachdem sie ein Kind von ihm gehabt, wurde sie eine öffentliche Dirne; hielt dann ein Kaffeehaus in Coventgarden und starb bald darauf an der Wollustseuche in einem Kerker. – Ich könnte Ihnen noch viel derartige Geschichten von ihm erzählen; wie glauben Sie wohl, daß er mir selbst mitgespielt hat? Sie müssen wissen, Sir, ich hatte mich dem Seewesen gewidmet, und schon manche Fahrt mitgemacht, bis ich endlich selbst Besitzer eines Schiffes und auf dem besten Wege war, mein Glück zu machen, als ich von einem jener verwünschten Küstenbewahrer angegriffen wurde, die unsere Schiffe vor dem Ausbruch des Krieges wegnahmen. Nach einem Gefecht, worin ich den größten Theil meiner Mannschaft verlor, mußte ich, da mein Tauwerk ganz zerstört war, und das Schiff zwei Schüsse zwischen Wind und Wasser erhalten hatte, die Segel streichen. Die Schurken schleppten mein Fahrzeug fort, eine Brigantine von hundertfunfzig Tonnen – ein so schönes Schiff, als man nur sehen konnte – und warfen mich nebst einem Matrosen und einem Schiffsjungen in einen elenden Nachen, worin wir mit vieler Mühe endlich Falmouth erreichten, obgleich die Spanier geglaubt haben mögen, wir könnten uns nicht einen Tag auf der See halten. Bei meiner Rückkehr hier in den Ort, wo meine Frau, die aus der Gegend ist, sich damals aufhielt, sagte mir der Squire, meine tapfere Vertheidigung gegen den Feind gefalle ihm so sehr, daß er nicht zweifle, mir, falls ich damit einverstanden sei, eine Lieutenantsstelle auf einem Kriegsschiffe zu verschaffen, welches Anerbieten ich denn mit Dank annahm. Gut, Sir, es vergingen zwei, drei Jahre und ich erhielt mehr als ein Versprechen, nicht allein von dem Squire, sondern auch (wie er mir sagte) von den Lords der Admiralität. Niemals kam er von London, ohne zu versichern, ich würde jetzt bald eine Anstellung erhalten, denn die erste Stelle, welche vacant werde, sei schon für mich bestimmt; und was ich immer noch nicht begreife, wenn ich daran denke, diese Versicherungen gab er mir nach so vielem Hinhalten stets mit derselben Zuversicht, wie im Anfang. Endlich, Sir, da ich's müde, und nach so langem Zögern etwas mißtrauisch wurde, schrieb ich an einen Freund in London, welcher, wie ich wußte, mit einigen angesehenen Mitgliedern der Admiralität bekannt war, und bat ihn, des Squire Bemühungen seinerseits zu unterstützen; denn ich besorgte wirklich, dieser habe sich die Sache weniger angelegen sein lassen, als er stets betheuerte. Was glauben Sie wohl, daß mein Freund mir antwortete? Er schrieb mir, Sir, der Squire habe bei der Admiralität nie in seinem Leben meinen Namen genannt, und wenn ich keinen zuverlässigeren Fürsprecher hätte, möge ich nur immer meine Ansprüche aufgeben, was ich denn auch sofort that, und beschloß, mit Hülfe meiner Frau die Wirthschaft hier anzufangen, wo Sie herzlich willkommen sind, doch der Henker hole den Squire und alle schleichenden Gleißner seiner Art.« – »Pfui der Schande!« rief Adams, »pfui, das ist ein schlechter Mensch; doch ich hoffe, der Himmel wird sein Herz noch zur Reue wenden. O könnte er nur einmal die Verworfenheit dieses abscheulichen Lasters selbst sehen; bedächte er nur ein einziges Mal, daß er einer der schändlichsten wie der gefährlichsten Lügner ist, gewiß, er müßte sich selbst in so unleidlichem Grade verachten, daß er auch nicht eine Minute länger diesen sündlichen Wandel fortsetzen könnte. Und die Wahrheit zu gestehen, trotz des schlechten Rufes, den er so wohl verdient hat, finde ich in seinen Gesichtszügen hinlängliche Andeutungen jener bona indoles, jener milden Gesinnung, die einem guten Christen geziemt.« – »Ach mein bester Herr,« sagte der Wirth, »wären Sie so weit gereist wie ich, und hätten mit so vielerlei Nationen zu thun gehabt, wie ich beim Handel, Sie würden sich durch die Gesichtszüge eines Menschen nicht mehr zu Schlüssen auf seinen Charakter verleiten lassen. Andeutungen in den Zügen! je nun, ob einer die Blattern gehabt hat, will ich ihm allenfalls ansehen, aber weiter auch nichts.« – Er sprach dies mit so wenig Rücksicht auf des Pfarrers Bemerkung, daß dieser sich etwas gereizt fühlte, und, indem er die Pfeife schnell aus dem Munde nahm, erwiederte: »Guter Freund, ich bin vielleicht und zwar ohne Schiff etwas weiter gereist, als Sie. Glauben Sie, an verschiedenen Städten oder Ländern vorüber segeln, und bald in diesem bald in jenem Hafen einlaufen, heiße reisen? Nein:

Coelum, non animum mutant, qui trans maria currunt.

Ich kann in einem Nachmittag weiter reisen, wie Sie in einem ganzen Jahre. Wie, haben Sie etwa die Säulen des Herkules oder die Mauern von Karthago gesehen, haben Sie das Brausen der Scylla und das Getöse der Charybdis gehört; sind Sie in der Kammer gewesen, wo Archimedes bei der Einnahme von Syracus gefunden wurde? Sind Sie unter den Cykladen umhergesegelt, und durch die berühmte Meerenge gekommen, die ihren Namen von der unglücklichen Helle erhielt, deren Schicksal uns Apollonius Rhodius so schön beschrieben hat? Kamen Sie etwa auch an der Stelle vorüber, wo Dädalos in jenes Meer fiel, nachdem seine Flügel von Wachs an der Sonne geschmolzen waren? Sind Sie in dem Pontus Euxinus umher gestreift, ja, wohl gar an den Ufern des kaspischen Meeres gewesen, und haben zu Colchis eingesprochen, um zu sehen, ob noch ein zweites goldenes Vließ dort ist?« – »Das nicht, Sir,« antwortete der Wirth, »nein, an diesen Orten bin ich nicht gewesen.« – »Aber ich kenne sie alle,« erwiederte Adams. – »Nun,« entgegnete der Wirth, da müssen Sie in Ostindien gewesen sein, denn daß es Orte dieses Namens weder in Westindien noch in der Levante giebt, darauf will ich schwören.« – »Was meinen Sie mit der Levante?« sprach Adams, »das müßte ja eben eigentlich Ostindien sein.« – »Oho! Sie sind mir ein schöner Reisender,« rief der Wirth, »kennen nicht einmal die Levante. Gehorsamer Diener, von so was dürfen Sie mir nicht sprechen; mit Ihren Reisen dürfen Sie uns hier nicht kommen; damit ist's nichts!« – »Da Sie mich denn immer noch nicht verstehen können,« sprach Adams, »so will ich Sie belehren, das Reisen, das ich meine, geschieht in Büchern, und ist die einzige Art, zu reisen, wobei man sich Kenntnisse sammeln kann. Aus Büchern lernte ich auch, was ich vorhin behauptete, daß die Natur im Allgemeinen das menschliche Antlitz mit einem Abdruck der Seele stempelt, oder einen geschickten Physiognomen nur selten täuschen wird. Vermuthlich haben Sie nie die Anekdote von Sokrates gelesen, woraus dies hervorgeht, und ich will sie Ihnen daher erzählen. Ein gewisser Physiognom versicherte, er lese deutlich in des Sokrates Zügen, daß dieser von Natur ein schlechter Mensch sei. Eine dem ganzen Lebenswandel des großen Mannes und der allgemeinen Achtung, worin er stand, so widersprechende Behauptung regte die athenische Jugend dermaßen auf, daß sie den Physiognomen mit Steinen warf, und ihn seiner Aeußerung wegen umgebracht haben würde, hätte Sokrates selbst es nicht verhindert, indem er die Wahrheit jener Bemerkung zugab, und bekannte, er habe zwar seine natürlichen Anlagen, durch die Weltweisheit gebessert, sei aber in der That ursprünglich so zum Laster geneigt, wie Jener behauptet hatte. Nun antworten Sie mir einmal, wie sollte wohl ein Mensch diese Geschichte wissen, wenn er sie nicht gelesen hätte?« – »Gut Herr,« sagte der Wirth, »und was bedeutet's, ob ein Mensch sie weiß oder nicht? Wer sich, wie ich es gethan, in der Welt umsieht, wird immer Gelegenheit finden, genug von ihr kennen zu lernen, ohne daß er seinen Kopf mit des Sokrates oder solcher Leute Schriften beschwert.« – »Ich muß dagegen bemerken, Freund,« rief Adams, »segelte auch einer um die ganze Erde, und ankerte in jedem Hafen, hätte aber keine gelehrten Kenntnisse, er würde eben so unwissend zurückkehren, als er ausgefahren war.« – »Das sollen Sie mir nicht weiß machen,« versetzte der Wirth, »da war mein Bootsmann, der arme Bursche! der konnte weder schreiben, noch lesen, aber sein Schiff führte er mit jedem Steuermann auf einem Kriegsschiff um die Wette, und den Handel verstand er auch, wie nur irgend einer.« – »Der Handel,« entgegnete Adams, »ist, wie Aristoteles in dem ersten Kapitel seiner Politik beweist, unter der Würde eines Philosophen, und so wie er heutiges Tages betrieben wird, noch dazu widernatürlich.« – Hier sah der Wirth dem Pfarrer starr ins Gesicht, und fragte ihn nach einer kleinen Pause, ob er einer von den Zeitungsschreibern sei? Denn ich habe gehört, sagte er, daß die Zeitungen von Pfarrern geschrieben werden. – »Was für Zeitungen?« fragte Adams. – »Je nun, was ich meine, ist ein schmutziges Blatt, das seit vielen Jahren unter's Volk vertheilt wird, und worin der Handel und viele rechtschaffene Leute verleumdet werden. Ich litt es nicht auf meinem Tische, obgleich man mir's umsonst angeboten.« – »Damit habe ich nichts zu schaffen,« sagte Adams, »ich schreibe nur Predigten; und ich versichere Sie, daß ich dem Handel ganz und gar nicht feind bin, wenn er nur immer mit Rechtlichkeit betrieben wird; ja ich habe immer den Kaufmann für ein schätzenwerthes Mitglied der Gesellschaft gehalten, das vielleicht nur den Gelehrten nachsteht.« – »Ei was! und ich behaupte, auch dem nicht!« antwortete der Wirth; »was sollte ohne Handel die Gelehrsamkeit einem Lande nutzen? Wie wolltet ohne ihn Ihr Pfarrer Euch kleiden und ernähren? Wer holt Euch Eure Seide, und Euer Linnen und Eure Weine und alle die andern Lebensbedürfnisse? Ich beziehe mich hier besonders auf die Schiffer.« – »Statt ›Lebensbedürfnisse‹ sollten Sie Ueberfluß und Luxus sagen,« erwiederte der Pfarrer; »aber gesetzt auch, es seien wirklich Bedürfnisse, so giebt's doch andere, die nothwendiger als das Leben selbst und nur die Frucht der Gelehrsamkeit, ich meine der geistlichen Gelehrsamkeit, sind. Wer kleidet Euch mit Frömmigkeit, Milde, Demuth, Barmherzigkeit, Geduld und allen andern christlichen Tugenden? Wer nährt Eure Seelen mit der Milch der Bruderliebe, und erquickt sie mit der köstlichen Speise der Heiligkeit, welche sie nicht allein von allen unreinen fleischlichen Begierden reinigt, sondern auch mit dem reinen Geist und Mark der Gnade fett macht? – Wer, frage ich, thut dies?« – »Ja wer?« schrie der Wirth, »das frage ich auch; denn ich erinnere mich nicht, solche Sorten von Kleidung oder Speise in meinem Leben gesehen zu haben; und so Herr, Ihr gehorsamer Diener.« – Adams wollte eben mit einiger Schärfe hierauf erwiedern, als Joseph und Fanny eintraten und die Abreise so dringend betrieben, daß er ihrem Verlangen nicht wiederstreben konnte; und indem er seinen Wanderstab ergriff, schied er von dem Wirthe (keiner von Beiden war jetzt mit dem Andern so zufrieden, als da sie sich zuerst zusammensetzten) und trat mit Joseph und Fanny, die sich sehr ungeduldig bezeigten, von neuem die Reise an.


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