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Zwölftes Kapitel.

Ein Abenteuer erschrecklicher Art, sowohl für die dabei betheiligten Personen selbst, als für den gutmüthigen Leser.


Es mochte ein Uhr Morgens sein, und eben war der Mond aufgegangen, als Adams und Fanny mit dem Bauernburschen, der ihnen als Wegweiser diente, ihre Reise antraten. Sie waren noch kein halbes Stündchen gegangen, als ein heftiger Regenguß sie nöthigte, in einem Wirthshause oder vielmehr einer Schenke Obdach zu suchen, wo Adams sogleich ein gutes Feuer anmachen, sich eine Pfeife, Bier und geröstetes Brot geben ließ, und mit großer Seelenruhe Alles, was ihm vor Kurzem widerfahren war, gänzlich vergessend, zu schmauchen begann.

Fanny setzte sich gleichfalls ans Kamin, bezeigte sich aber bei weitem ungeduldiger über das ungestüme Wetter. Sie zog Aller Augen auf sich; der Wirth, die Wirthin, die Magd und der junge Bursche, ihr Wegweiser, Alle gestanden sich heimlich, in ihrem Leben nichts halb so schönes gesehen zu haben, und in der That, Leser, bist Du verliebten Temperaments, so rathe ich Dir, den nächsten Abschnitt zu überschlagen, den wir jedoch, um unsere Geschichte vollständig vorzutragen, nicht auslassen dürfen, wobei wir aber in geziemender Demuth hoffen, dem Schicksal des Pygmaleon zu entgehen, denn sollte dieses Gemälde auf uns oder auf dich einen zu tiefen Eindruck machen, so würden wir vielleicht in einen eben so hülflosen Zustand gerathen, wie einst Narcissus, und uns sagen müssen: quod petis est nusquam; oder brächten die schönsten Züge desselben uns das Bild der Lady – vor Augen, so wären wir dadurch um nichts gebessert und müßten unsere Wünsche mit dem Spruch abfinden, coelum ipsum petimus stultitia.

Fanny, jetzt im neunzehnten Jahre, war von schlankem und leichtem Wuchs, aber darum keins jener hagern, jungen Frauenzimmer, die zu keinem andern Zweck geschaffen zu sein scheinen, als um in einem anatomischen Museo aufgestellt zu werden. Sie war im Gegentheil so derb und voll, daß sie ihre dichte Schnürbrust, besonders an dem Theil, welcher ihre schwellenden Brüste einschloß, zu sprengen drohte, eben so wenig bedurften ihre Hüften eines Reifens, um sie auszudehnen. Die schöne regelmäßige Bildung ihrer Arme ließ auf die Formen der verhüllten Glieder schließen, und wenn auch jene von der Arbeit etwas geröthet waren, so durften doch nie ihre Aermel über den Elbogen hinaufschlüpfen, oder ihr Halstuch sich ein wenig verschieben, um ein Weiß zu zeigen, das die feinste Farbe eines italienischen Malers nicht zu erreichen vermöchte. Ihr Haar war kastanienbraun, und die Natur hatte sie damit äußerst verschwenderisch versehen; an Sonntagen pflegte sie es zierlich gekräuselt nach der damaligen neuesten Mode den Nacken hinabwallen zu lassen. Sie hatte eine hohe Stirn, und volle gewölbte Augenbrauen; die Augen selbst waren dunkel und feurig; ihre Nase neigte sich ein wenig zum römischen Profil; ihre Lippen waren hochroth und feucht, und die andern Frauenzimmer erklärten, ihre Unterlippe sei zu vorspringend; ihre Zähne waren weiß, aber nicht völlig gleich. Die Blattern hatten nur eine einzige Narbe auf ihrem Kinn gelassen, die so groß war, daß man sie für ein Grübchen hätte halten können, wäre nicht ein solches auf der linken Backe so nahe damit benachbart gewesen, daß ersteres dem letzteren nur zur Folie diente. Ihre Gesichtsfarbe war rein, etwas von der Sonne verbrannt, aber mit einer solchen Gluth der Gesundheit überzogen, daß die vornehmsten Damen gern alle ihre Schminke dafür hingegeben hätten. Hierzu denke man sich Gesichtszüge, die zugleich von jungfräulicher Verschämtheit, aber auch von einem seltenen Grade von Gefühl zeugten, und eine gewisse Holdseligkeit, die zumal beim Lächeln aller Nachahmung oder Schilderung unerreichbar blieb. Sie hatte, damit wir das Gemälde vollenden, ein von Natur einnehmendes Wesen, wie keine Kunst oder Erziehung es hervorzuzaubern vermag, und das Jeden, der sie sah, mit Bewunderung erfüllen mußte.

Dies holde Geschöpf saß mit Herrn Adams am Feuer, als ihre Aufmerksamkeit plötzlich durch eine Stimme erregt wurde, die in einer Nebenstube folgendes Lied sang:

Sag' Chloe, wohin soll ich fliehn,
  Da Deine Reize mich ketten,
Wie mich der Erinn'rung entziehn
  In welche Lethe mich retten?
Des Gesetzes rächenden Arm,
  Mag der Verbrecher vermeiden,
Doch kann wohl des Liebenden Harm
  Die Liebe selbst ihn verleiden?

O! nimmer geahnete Lust
  So ganz für Chloe erglühen;
Ihr Bildniß vermag meiner Brust
  Sie selbst nicht mehr zu entziehen.
Und was Narcissus begehrt,
  Von eigenem Anschaun trunken,
Nie ward es dem Armen gewährt,
  Stets tiefer ist's ihm entsunken.

Wie vermag doch, Chloe, Dein Bild
  Mir Gram und Schmerz zu erregen?
Muß nicht, was mit Dir uns erfüllt,
  Nur Freude bringen und Seegen?
O, reißt aus der Brust mir den Pfeil,
  Sollt' ich auch wüthen vor Schmerzen,
Ja, wird selbst der Tod mir zu Theil,
  Giebt er doch Ruhe dem Herzen. –

Adams hatte die ganze Zeit über eine Stelle des Aeschylus erwogen, ohne im geringsten auf die Stimme zu achten, obgleich es eine der wohlklingendsten war, die man nur hören konnte, als er, seine Augen auf Fanny richtend, ausrief: »Himmel! wie blaß Sie werden!« – »Blaß, Herr Adams!« sagte sie, »O Jesus!« – und sank rücklings in ihren Sessel, Adams sprang auf, warf seinen Aeschylus ins Feuer, und schrie aus allen Kräften um Hülfe. Alle, die im Hause waren, stürzten in das Zimmer, und unter ihnen auch der Sänger; aber, o Leser, als dieser, der kein anderer war, wie Joseph Andrews, seine geliebte Fanny in der eben geschilderten Lage sah, kannst Du Dir da die Aufregung seiner Seele denken? – Kannst Du es nicht, so gieb Deine Bemühung auf, und schaue lieber seine Wonne, als er, sie in die Arme fassend, Leben und Blut in ihre Wangen zurückkehren, als er sie ihre lieben Augen sich wieder öffnen sah, und sie mit der sanftesten Stimme flüstern hörte: »Bist du es, Joseph?« – »Bist du es, meine Fanny?« flüsterte er ihr entgegen, und sie an sein Herz ziehend, drückte er ihr unzählige Küsse auf die Lippen, ohne auf die Anwesenden die mindeste Rücksicht zu nehmen.

Wenn spröde Damen an diesem Gemälde ein Aergerniß nehmen, so mögen sie ihre Blicke davon hinweg und auf Herrn Adams wenden, der in einem Freudenjubel im Zimmer umhertanzte. Manche Philosophen mögen vielleicht des Dafürhaltens sein, er sei der glücklichste von den Dreien gewesen, denn seine Herzensgüte ließ ihn die Wonne des seeligen Paars in seiner eigenen mitgenießen. Doch überlassen wir solche Untersuchungen, als für uns zu tiefsinnig, Denen, die irgend eine Lieblingshypothese aufzustellen gewohnt sind, zu deren Unterstützung und Behauptung sie allen metaphysischen Schutt zu sammeln pflegen, um unsrerseits hier Joseph als den Beglücktesten anzuerkennen, dessen Freude nicht allein größer, sondern auch von längerer Dauer war, als die des Pfarrers; denn sobald bei diesem der erste Freudenrausch verflog, warf er seine Augen auf die Flammen, in denen sein Aeschylus den Geist aufgab, und eilte sogleich, die armseligen Ueberreste, nämlich die schaaflederne Hülle seines theuren Freundes zu retten, der seiner eigenen Hände Werk, und seit mehr als dreißig Jahren sein unzertrennlicher Gefährte gewesen war.

Fanny hatte kaum sich wieder etwas erholt, als sie den Ungestüm ihres Entzückens zu mäßigen begann; und der Gedanke, was sie Alles vor so Vieler Augen gethan und sich gefallen lassen, rief eine glühende Schamröthe hervor. Sie stieß Joseph sanft von sich, und bat ihn, sich ruhig zu verhalten; auch suchte sie sich seinen Küssen und Umarmungen zu entziehen. Als sie Mistreß Slipslop erblickte, machte sie einen Knicks, und wollte, um sie zu begrüßen, auf sie zugehen; aber dieses stolze Frauenzimmer erwiederte ihren Gruß nicht, sondern wendete sogleich den Blick ab; und murmelte, indem sie in ein anderes Zimmer ging: »Sie begreife nicht, wer die Kreatur sein könne.«


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