Gabriel Ferry
Der Waldläufer – Für die reifere Jugend bearbeitet
Gabriel Ferry

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Zwölftes Kapitel. Den Spuren nach.

Ein recht sonniger Morgen folgte der entsetzlichen Gewitternacht, welche das Goldthal heimgesucht hatte.

Auf einem Steine, in der Nähe der Felspyramide, saß regungslos der seines Fabians beraubte arme Waldgänger; er vernahm das Brausen des durch die nächtlichen Regenströme angewachsenen Flusses nicht, er war empfindungslos gegen die Sonnenstrahlen, die auf seinen greisen Scheitel brannten, er hörte und fühlte nichts, sondern sah nur das einzige Wort, das mit Riesenlettern vor seinen Augen flammte: Fabian. Endlich, nach langem, langem Hinbrüten hob sich sein gesenktes Haupt und die Hand tastete umher, den treuen Verbündeten in Noth und Gefahr, die Kentuckyer Büchse, zu suchen, allein seine Finger griffen nur in die leere Luft. Ein heftiges Zittern durchbebte seinen Körper und überlieferte ihn wieder der traurigen Wirklichkeit. In diesem Augenblicke kehrte der treue Josef zurück, welcher rastlos jede einzelne Felsenspalte durchspäht hatte.

»Nichts?« fragte Rosenholz kurz.

»Nichts,« lautete Josefs Antwort, »allein wir werden schon noch finden.«

»Das sag' ich auch, – darum laß uns suchen.«

Den Namen Fabian wagte keiner der beiden Jäger auszusprechen, denn die Wunde im Herzen blutete noch zu heftig.

»Sieh', Josef,« fuhr der Canadier nach kurzer Pause fort, »ich habe da einen Stein gefunden, den Du sicherlich als einen von jenen wiedererkennen wirst, die uns dort oben auf der Pyramide zur Brustwehr dienten; es ist somit zweifellos, daß er in einem Kampfe, um Mann gegen Mann geführt, herabgestürzt sein muß, und es fragt sich noch, ob die beiden Kämpfenden mit ihm aufrecht oder liegend herabgerollt sind.«

»Ich verstehe Dich, alter Freund,« entgegnete Josef, »in dem erstern Fall bricht all' unsere Hoffnung zusammen, in dem letztern Fall dagegen liegt die Möglichkeit nahe, daß man mit einigen Quetschungen davon gekommen ist.«

»Steigen wir also Beide auf den Felsen hinauf und sehen wir nach, daß mir über die Stellung der beiden Kämpfer in's Klare kommen.«

Dies geschah und das scharfe Auge der beiden Jäger betrachtete forschend jedes Gesträuch und jeden losen Stein. Sie hatten kaum einige Fuß erklommen, als der Canadier den Gefährten am Arme packte und auf zwei Gebüsche deutete, welche aus einer Felsspalte emporwucherten.

»Diese geknickten Zweige,« begann Rosenholz in langsamem Tone, »beweisen zur Genüge, daß ein Körper hier herabgerollt ist. Und da ist auch eine kleine Höhlung, in welcher vor vierundzwanzig Stunden ein Stein gesessen hat. Die Wucht der beiden Körper wird ihn aus seiner Lage herausgerissen haben, ich bin gewiß, daß wir den Stein finden werden.«

»Halten wir uns damit nicht auf,« meinte Josef, »alle diese Spuren deuten darauf hin, daß die beiden Kämpfer nicht kopfüber gestürzt, sondern hinabgerollt sind, und folglich lebt unser ... na, Du weißt schon, wen ich meine.«

»Er lebt, befindet sich aber in den Händen grausamer Feinde. Ach,« seufzte der alte Jäger, »wo wird man ihm den Marterpfahl errichten?«

»Je nun, alter Bursche, Du warst auch einmal nahe daran –«

»Und Du hast mich befreit,« fiel Rosenholz ein. »Ich weiß, was Du sagen willst, – wir werden ihn auch befreien.«

»Recht so, alter, lieber Freund,« rief Josef, dem es eine freudige Beruhigung war, daß sich Rosenholz nicht mehr in jener Lethargie befand, in welcher wir ihn zu Anfang des Kapitels gefunden. »Laß uns daher jetzt unverweilt aufbrechen.«

»Halt!« entgegnete der Canadier düster. »Wo sind die Leichen der Indianer, die wir getödtet haben? Ohne Zweifel in diesem Abgrunde ... Wer sagt Dir nun, daß er ... daß er ... nicht ... auch dabei ist?«

»Oh, Rosenholz, kennst Du den habgierigen Mischblut so wenig? Hast Du vergessen, daß er nur hierher kam, um die Schätze des Goldthals zu heben, und daß er weiß, daß ... daß ... na, den Namen müssen wir ja doch endlich einmal wieder aussprechen, daß unser Fabian die Stelle des verborgenen Schatzes kennt? Glaubst Du denn, daß das Leben des Jünglings dem Banditen nicht geradezu heilig ist, bis dieser ihm den Ort entdeckt hat?«

Die Anschauung Josefs hatte viel für sich und schon wollte der Canadier ihm beistimmen, als plötzlich ein Gegenstand seinen Blick fesselte. Er bückte sich und hob ein Messer auf, an dessen Klinge die Spuren geronnenen Blutes sichtbar waren.

»Wie kam das Messer meines Kindes so nahe an den Abgrund?« fragte er Josef mit einem forschenden Blick.

Der gutherzige Freund, dem Alles daran gelegen war, Rosenholz über das Schicksal Fabians zu beruhigen, suchte ein paar Augenblicke vergebens nach einer Antwort, dann aber entgegnete er in festem Tone:

»Je nun, das Kind wird eben bei seinem Sturze das Messer verloren haben, und dasselbe bis an die Stelle hingerollt sein, wo Du es eben gefunden hast.«

Der Canadier seufzte tief auf, dann begann er von Neuem die Spitze der Felsenplatte zu erklimmen.

Während sie rastlos emporstiegen, holte der Canadier tief Athem und sagte in einem Tone, dem man Wuth und Verzweiflung anmerkte: »Wenn ich nur wenigstens meine Büchse hätte und nicht die Schande mit mir herumtrüge, daß ein so alter, ausgelernter Fuchs, wie ich, von zwei erbärmlichen Schuften hat entwaffnet werden können.«

»Ei, laß das jetzt, besitzen wir ja doch noch Waffen, die uns Niemand entreißen wird, nämlich ein gutes Messer, ein kühnes Herz und das Vertrauen auf Gott, der Dich Fabian sicherlich nicht auf so wunderbare Weise hat finden lassen, um Dir ihn jetzt auf immer zu nehmen. Nein, Rosenholz, ich sehe mit fröhlicher Hoffnung in die Zukunft, und würde ganz glücklich sein, wenn nur der verwünschte Hunger nicht wäre.«

»Nehmen wir die Lebensweise jener armen Teufel, der Indianer, an, die uns im vergangenen Jahre in den Felsenbergen beherbergt hatten und sich nur von wilden Früchten und Wurzeln ernähren.«

»Diese Art von Lebensweise behagt mir zwar nicht, trotz alledem bin ich aber erfreut, daß Du, alter Bursche, wieder aufzuthauen anfängst, denn das war ein Jammer, Dich in Deinem Seelenschmerze zu sehen.«

Die beiden Jäger hatten jetzt das Felsplateau erreicht, welches Tags zuvor die Indianer innegehabt. Rosenholz warf einen düstern Blick auf die Pyramide hinüber, gleich nachher aber entrang sich seinen Lippen ein jäher Schrei.

»Was giebt es?« rief Josef verwundert.

Der Canadier deutete auf einen Fetzen, der zu Fabians Wamms gehört hatte und von dem Sturme ohne Zweifel in eines der Gebüsche entführt worden war. »Das Kind ist also bis hierher gekommen,« begann der Jäger mit einer Art von trauriger Freude, »und dieser Fetzen wird ihm, während er sich vertheidigte, vom Leibe gerissen worden sein.«

»So hab' ich also doch recht gehabt,« antwortete Josef, »und Don Fabian ist ein Gefangener, den Mischblut durch Furcht und durch Versprechungen zu gewinnen suchen wird, ihm die Schätze des Goldthals zu entdecken. Mithin haben wir noch immerhin soviel Zeit, um ihn noch am Leben zu treffen und ihn seinen Feinden zu entreißen.«

Die beiden Jäger gingen nun direct auf die Nebelberge zu und theilten unterwegs die wenigen Lebensmittel, welche ihnen übrig geblieben waren. Als das kärgliche Mahl verzehrt war, forschten sie mit erneuter Aufmerksamkeit den Spuren der Wüstenräuber nach, allein der immer dichter werdende Nebel legte alle ihre Bemühungen lahm. Da tauchte plötzlich aus dem grauen Schleier eine Gestalt auf und Josef rief mit donnernder Stimme:

»Wer da!«

»Señor Rosenholz, Señor Josef, seid Ihr es wirklich?« rief die Stimme zurück. »Gott sei gedankt, daß ich Euch endlich wieder finde und nicht in diesen verwünschten Bergen Hungers sterben muß.« Und aus dem Dunstschleier trat jetzt der scalpirte Gayferos zu den Jägern heran.

»So ist's recht,« brummte Josef, »da haben wir nun einen weitern Kostgänger mit Wurzeln zu ernähren. Mit Euerm Glücksstern ist es dies Mal nicht weit her, denn was können Euch zwei arme Jäger ohne Flinten nützen?«

»Und Don Fabian?« rief Gayferos lebhaft, da er nicht vergessen hatte, daß er sein Leben eigentlich der Fürsprache des Jünglings dankte. »Ist denn das Unglück, das ich ahnte, wirklich geschehen?«

»Er ist von den Indianern gefangen,« versetzte Josef und theilte in kurzen Worten dem Gambusino das Unglück mit, von welchem sie betroffen worden waren.

»Was sagtet Ihr denn aber soeben von einem Unglück, das Ihr befürchtet hättet?« fügte Josef seinem Berichte hinzu.

»Ihr sollt Alles missen,« antwortete Gayferos und begann zu erzählen: »Als gestern Abend die wenigen Lebensmittel, welche Ihr mir gelassen, verzehrt waren, und Ihr, trotz Eures Versprechens, noch immer nicht zurück waret, so beschloß ich, mir selbst zu helfen. Ich will Euch mit einer Beschreibung der Qualen und Angst, die ich ausgestanden, nicht langweilen und beginne daher mit jenem Augenblick, wo ich bei einbrechender Nacht auf gut Glück umherirrte. Der Zufall führte mich an einen Ort, von wo ich den Fluß eine Strecke weit übersehen konnte. Denkt Euch aber mein Erstaunen, als ich unter mir einen Strohhut schwimmen sah, den ich sofort als das Eigenthum Fabians erkennte!«

Rosenholz stieß einen Freudenschrei aus, umarmte den Gambusino und rief Josef zu: »Hurrah, alter Junge, wir sind den Räubern auf der Spur! Es ist jetzt klar, warum mir hier auf diesem Felsen keinerlei Fährte entdeckt haben, denn sie benutzten den Strom und hatten wahrscheinlich ein Canoe in Bereitschaft. Lieber, guter Gayferos, führt uns schnell zu der Stelle hin, wo Ihr den Hut erblicktet.«

Unaussprechliche Freude erfüllte jetzt das Herz des alten Jägers und während sie hinter Gayferos hergingen, erforschte Rosenholz angelegentlich was dem Gambusino während ihrer Trennung passirt sei.

»Es ist mir nichts passirt,« antwortete Gayferos lächelnd, »vielmehr fand ich unweit meines Verstecks jene Pflanze, welche man in meiner Heimath »Apachenkraut« nennt und deren Saft alsbald jede Wunde vernarben läßt.

Wer sind denn aber die Männer, die tapferer, geschickter und muthiger waren, als Ihr?«

»Spitzbuben,« rief Rosenholz, »die weder Gott noch den Teufel fürchten, die es aber mit ihrem Blute büßen sollen, was sie uns angethan.« Und nach diesen Worten nannte er die Namen der beiden Wüstenräuber.

Nach einer beschwerlichen Wanderung langten die drei Fußgänger an der von Gayferos bezeichneten Stelle an und nur mit großer Mühe gelang es ihnen, die steilen Felsen herabzusteigen, welche diesen in den Bergen sich verlierenden Flußarm beherrschten. Allein für den Canadier, sowie für Josef gab es keinerlei Hindernisse, vor denen sie zurückbebten.

Sie entdeckten bald, in ziemlich geringer Entfernung von dem Flußufer, einen weit bequemeren Weg, der sich vom Gipfel des Felsens bis zum Fluß herabschlängelte, und Josef sagte: »Ohne Zweifel ist dies der Pfad, den die Schurken mit ihrem Gefangenen eingeschlagen haben. Und dort werden wir auch ihre Spuren finden.«

»Ich wundere mich nur darüber,« hub Rosenholz an, »daß unser Kind, trotz seiner ungestümen Natur, so ganz willig diesen Felsenweg hinabgegangen zu sein scheint, da keiner der Sträuche hier auch nur die mindeste Spur eines Widerstandes verräth.«

»Es wäre Dir wohl lieber gewesen, wenn er Widerstand geleistet und sich mit zwei oder drei Feinden von diesem Felsen herabgestürzt hätte?«

»Laß Deinen Spott, alter Sünder,« antwortete Rosenholz ärgerlich. »Sprich lieber, wie Du es Dir erklärst, daß unser Kind sich widerstandslos von den beiden Wüstenräubern hat wegführen lassen.«

Josef merkte recht gut, daß sein alter Freund von Neuem des Trostes bedurfte, und er sagte daher: »Vielleicht war Fabian leicht verwundet, und wurde deshalb von den beiden Schurken bis zu dem Canoe getragen, das irgendwo hierherum versteckt gelegen haben muß. Und diese Sorgfalt der beiden Räuber beweist am Besten, daß sie sich von Fabian Nachrichten über den Schatz versprechen.«

Rosenholz antwortete auf diese trostreiche Vermuthung mit einem stummen Dankesblick.

Josef hatte wirklich den wahren Sachverhalt so ziemlich errathen, denn Fabian war in der That während einer langen Ohnmacht, die auf seinen Sturz folgte und durch das Anschlagen des Kopfes gegen die scharfe Kante des Steins bewirkt war, bis zum Kahne fortgetragen worden. Dabei hatte einer der Indianer, der sich seines Hutes bemächtigt, denselben wegen seines defecten Zustandes verächtlich in's Wasser geworfen.

Ohne zu wissen, daß sie fast die ganze Wahrheit errathen, setzten die beiden Jäger ihre Nachforschungen fort und jeder von ihnen untersuchte eine Strecke des Ufers. Plötzlich wurden Josef und Gayferos durch ein donnerndes Hurrah des Canadiers an den Ort gerufen, wo er sich befand. Tiefe, wohl erhaltene Fußspuren auf einem schlammigen Boden ließen die drei Gefährten den Ort erkennen, wo Rothhand und Mischblut ihr Canoe angebunden haben mußten.

»Hurrah!« rief Rosenholz abermals. »Jetzt brauchen wir nicht mehr blind umher zu irren. – Allein was steckt denn dort unter dem Schilfe, – ist es nicht ein Stück Leder? Sieh' doch einmal nach, Josef, denn die Freude umflort meinen Blick.«

»Hol's der Henker!« rief der Freund, nachdem er einige Schritte in das Wasser gewatet war und den fraglichen Gegenstand aufhob, »es ist ein Stück von dem ledernen Riemen, der den Kahn an diesem Steine festhielt, welchen die Spitzbuben abgeschnitten haben, statt den Knoten zu lösen. Jetzt aber wollen mir keinen Augenblick mehr säumen, sondern flußabwärts eilen, um den beiden Hallunken auf die Spur zu kommen.«

»Vorwärts also,« stimmte Rosenholz bei und begann mit Riesenschritten am Ufer des Flusses dahinzueilen.

Es war ein äußerst mühsamer Weg, denn sie mußten nicht nur alle Unebenheiten des Bodens überwinden, sondern zu wiederholten Malen auch schroffe Felsen ersteigen, an die sich die Ufer anlehnten. Welche Gefühle durchströmten die Brust des alten Canadiers, als er zwei Stunden später den Strohhut seines Kindes fand, der vom Winde an's Ufer getrieben und in einem dornigen Gebüsch hängen geblieben war. Thränenfeuchten Auges musterte Rosenholz die ihm so theuere Reliquie und athmete erleichtert auf, als er keinerlei Blutspur daran fand.

Obgleich die Sonne noch nicht zu tief im Westen stand, so herrschte dennoch schon Dämmerung, da neue Nebelmassen sich heranwälzten und das Licht des Tages beeinträchtigten, als Rosenholz und seine beiden Gefährten an einer Stelle anlangten, wo der Fluß sich in zwei Arme theilt.

»Jetzt stehen die Ochsen am Berge,« meinte Josef lakonisch, »denn wer vermag uns zu sagen, ob die beiden Wüstenräuber dem östlichen oder dem westlichen Arme gefolgt sind?«

Wohl suchten sie überall eifrig nach einer Spur, die sie leiten konnte, allein ohne den geringsten Erfolg, und auf die graue und finstere Oberfläche des Wassers senkte sich jetzt die Nacht, schwarz und traurig,– selbst der Nordstern glänzte nicht am Himmel, dessen Gewölbe von Blei zu sein schien. So sahen sich denn die drei Wanderer genöthigt, Halt zu machen und ihre Nachforschungen bis zur nächsten Morgenröthe zu verschieben, um keinen falschen Weg einzuschlagen. Auch stellten sich noch zwei weitere Hindernisse ihrem Weitergehen in den Weg, nämlich die Erschöpfung und der Hunger. Schweigend setzten sich alle Drei auf das Gras nieder und es währte lange, che sie den ihnen so nöthigen Schlaf fanden.

Nach herrschte tiefe Finsterniß, als Rosenholz sich von seinem Lager wieder erhob; er fühlte, daß jede Stunde jetzt kostbar sei und zur Rettung Fabians benützt werden müsse, und deßhalb machte er sich auf den Weg, um zu untersuchen, wohin der eine Arm des Fußes führe.

»Bis zur Morgenröthe kann ich wieder zurück sein,« murmelte er vor sich, »und habe ich keinerlei verdächtige Spuren entdeckt, so schlagen wir die andere Richtung ein.«

Bald nachher war er in Nacht und Nebel verschwunden.

Der junge Tag graute und der hungrige Josef träumte so eben einen süßen Traum: auf einer weiß gedeckten Tafel standen saftige Braten in malerischem Durcheinander, und zwischen den riesigen Schüsseln grünten und sproßten Gemüse der verschiedensten Art, während in schlanken Gläsern ein feuerrother Wein perlte. Der edle Gastgeber war Niemand anders, als Pedro Diaz, welcher soeben zum Könige von Mejiko erhoben worden war. Eine stattliche Zahl von Gästen umringte ihn, während Josef sich in der Nähe der gedeckten Tafel hielt und gierig die aufsteigenden Bratendünste einsog. Er ärgerte sich, daß man so lange säumte, sich am Tische niederzulassen und begann schon ungeduldig zu werden, als Pedro Diaz das lang erwartete Zeichen gab, freundlich auf Josef zutrat, ihm eigenhändig ein großes Stück Rehbraten vorlegte und sagte:

»Ich bin auf der Spur, – Gott sei gelobt und gedankt! Jetzt nur schnell vorwärts!«

»Ach, Du bist es, Rosenholz,« sagte Josef, unter einem kräftigen Rütteln erwachend, »kannst Du mir für den Traum, um den Du mich gebracht hast, etwas zu essen geben? Ich träumte nämlich –«

»Für Menschen, die eine solche Aufgabe haben, wie wir, sind die Stunden zu kostbar, um sie zu verträumen,« antwortete Rosenholz. »Mach' Dich schnell auf die Beine, Gayferos ist schon wach ... So ... und nun folgt mir nach, denn ich bin auf der richtigen Spur.«

»Gott sei gelobt!« riefen die beiden Andern und folgten dem voranschreitenden Canadier so rasch, als es ihnen bei der Schwäche, die sie zu spüren begannen, möglich war.

In dem Augenblicke, wo die kleine Truppe den Fluß sich erweitern und in eine ungeheuere Ebene eintreten sah, ging die Sonne auf und ihre Strahlen glitzerten in den leicht bewegten Wellen. Rastlos schritt der Canadier vorwärts, unempfindlich gegen den nagenden Hunger, der ihn ebensowenig verschonte, als seine Gefährten. Josef hielt sich noch am nächsten bei ihm und versuchte durch das Pfeifen eines kriegerischen Marsches seinen knurrenden Magen zu übertönen; hinter ihm folgte, in einer Entfernung von zwanzig Schritten, Gayferos nach, nur mühsam ein schmerzliches Aechzen unterdrückend.

Nachdem sie auf diese Weise eine Stunde zurückgelegt, machte der Canadier unter einigen großen Bäumen Halt und rief den nachfolgenden Josef zu sich heran.

»Ei, so eile Dich doch ein wenig und nimm Deine Beine unter den Arm.«

»Wird mir wohl nichts anders übrigbleiben,« entgegnete der Spaßvogel, »werde dann versuchen, auf dem Kopfe spazieren zu laufen.«

Als dieser zur Stelle kam, fand er Rosenholz auf dem Boden knieend und mit der Untersuchung zahlreicher Fußspuren beschäftigt, welche um die zum Theil noch rauchenden Holzstücke eines Lagerfeuers zerstreut waren.

»Der Gewitterregen,« sagte der Canadier, »der in den Bergen die Spuren verwischt, hat diese hier erhalten, da sie dem schon durchnäßten Boden aufgedrückt wurden. Aber sieh nur diese Tritte näher an, – erkennst Du sie nicht sofort als jene Rothhands, Mischbluts und der Apachen?«

»So wahr ich lebe,« erwiderte Josef, »dieser Räuber aus Illinois verfügt über ein paar Büffelfüße, die man aus ein paar Hundert herauskennt. Die Fußspuren unseres ... unseres Kindes sind aber nicht darunter.«

»Allerdings nicht,« nickte der Canadier, »da wir aber weder einen Marterpfahl, noch die blutigen Spuren eines Mordes gefunden haben, so können wir dem Himmel nur danken, daß er uns hierher geführt hat. Ich bin fest überzeugt, daß die Banditen während der Nacht, welche sie hier zugebracht, Fabian im Kahn gefesselt zurückließen, und dies ist der Grund, warum wir keine Spur von ihm erblicken.«

»Wahr, wahr, Rosenholz, – 's ist nur der Hunger, der mir den Kopf verwirrt. Oh, diese Schurken, diese Räuber!« rief Josef jetzt ergrimmt, »da haben sie hier geschmaust nach Herzenslust und ihren Bauch mit saftigem Reh- oder Hirschfleisch gefüllt, während ehrliche Christenmenschen wie wir, hungern müssen, wie die Hunde. Der Teufel hole diese Teufel!«

»Zähme Deine Wuth,« sagte der Canadier besänftigend, »ich sehe da einige Kräuter, deren Wurzeln unsern Hunger für eine kleine Weile beschwichtigen werden.«

Josef biß mit einer Verzweiflung in die nicht sehr angenehm schmeckenden Wurzeln und der Canadier und Gayferos folgten seinem Beispiele. Hierauf begab sich die kleine Schaar, nunmehr über die einzuschlagende Richtung vollständig im Klaren, wieder längs des Flusses auf den Weg. In weiter Ferne trabten Büffel über die Ebene; Schwärme von wilden Gänsen, die nach den kälteren Seen des Nordens zogen, durchschnitten die Luft; Fische schnellten aus dem Wasser und ließen auf ein paar Augenblicke ihre silberfarbigen Schuppen in der Sonne glänzen; zuweilen sprang auch ein Elenthier oder ein Dammhirsch über die Savane hin, – kurzum, Himmel, Erde und Wasser entfalteten vor den Augen der hungrigen Wanderer ihren Reichthum und mahnten sie in grausamer Weise an den Verlust ihrer Feuerwaffen.

»So mach' doch nicht so viehmäßige Schritte!« rief Josef dem vorwärtsstrebenden Canadier zu, »halte doch lieber ein paar Augenblicke an und laß mich überlegen, wie wir auf die prachtvollen Büffel, die wir dort sehen, Jagd machen können.«

»Nichts da,« rief Rosenholz kopfschüttelnd, »erst wollen wir den Banditen, die Fabian gefangen mit sich führen, die Waffen entreißen. Der Hunger wird binnen jetzt und wenigen Stunden wüthende Tiger aus uns machen und uns zum Siege verhelfen. Darum laßt uns schnell vorwärts schreiten.«

Die Unruhe, welche sein Herz zu brechen drohte, sowie das Schicksal Fabians, ließen den greisen Canadier alle Qualen des Hungers vergessen und trieben ihn rastlos vorwärts, und schon stand die Sonne hoch im Mittag, als Rosenholz endlich, mehr aus Mitleid für Josef und den Gambusino, als um seiner selbst willen, am Ufer des Flusses Halt machte. Ihnen gegenüber erhob sich inmitten des Flusses eine der Inseln, wie sie in den großen amerikanischen Strömen sich so häufig vorfinden.

Mit großer Besorgniß blickte während der einstündigen Rast der Canadier auf Josef, welcher womöglich noch mehr erschöpft war, als Gayferos. Schon begann der Hunger seine Augen zu blenden, deren Schärfe noch Tags zuvor mit dem Blicke des Falken gewetteifert hatte.

»Es geht nicht mehr, – meine Beine sind kraftlos,« antwortete Josef auf das ermunternde Zureden des Canadiers. »Alles beginnt sich vor meinen Augen zu drehen; überall glaube ich fette Büffel zu sehen, die mich verhöhnen; Fische, die aus dem Wasser herausspringen um mich auszulachen, und Dammhirsche, die sich dicht vor meine Nase hinsetzen und mich mitleidig anblicken. Ach ja! ein Jäger ohne Gewehr ist ein erbärmliches Geschöpf.« Damit streckte er sich auf den Sand aus und begann zu röcheln.

»Oh, mein Gott,« sagte Rosenholz seufzend und im leisen Tone, »welchen Schwächling macht doch der elende Hunger aus dem energischsten Mann!«

»Zugegeben,« lallte Josef, der des Freundes Worte vernommen hatte, »aber weißt Du, Unkraut verdirbt nicht und die Willenskraft kehrt wieder, wenn man einen so feisten Büffel sieht, wie ich. Siehst Du ihn nicht?«

Rosenholz glaubte, daß sein armer Freund bereits fantasire, deßhalb wandte er sich gar nicht erst um.

»Aber ich sehe ihn,« fuhr Josef fort, während sein Auge in unheimlichem Glänze leuchtete, »ich sehe diesen verwundeten Büffel im gestreckten Laufe auf uns zukommen, als ob der Himmel ihn sendete, um meinen Tod zu verhindern. Ha!« schrie er plötzlich auf, sprang mit dem letzten Reste seiner Kräfte empor und stürzte wie rasend fort.

Rosenholz vermochte es nicht zu verhindern und in der schrecklichen Befürchtung, Josef sei vom Wahnsinn befallen, wandte er sich um. Allein der Anblick, der sich ihm jetzt darbot, entrang seiner Brust einen ähnlichen Schrei, wie ihn kurz zuvor der treue Gefährte ausgestoßen hatte, denn ein mächtiger Büffel, größer als der schönste zahme Stier, setzte über die Ebene. Wild flatterte die lange, schwarze Mähne und gleich zwei Feuerkugeln rollten die flammenden Augen. So hatte sich Josef also doch nicht getäuscht, und es war ein verwundeter Büffel, auf den er jetzt, wie ein hungriges reißendes Thier losstürzte. Rosenholz sprang hinter ihm her und Gayferos that ein Gleiches, da er recht wohl einsah, daß ihr Leben von dem Erfolge dieser verzweifelten Jagd abhing.

Der Büffel hatte jetzt die herankommenden Feinde bemerkt; er blieb stehen, scharrte mit den Füßen den Boden auf, peitschte wüthend und unter dumpfem Gebrüll mit dem Schweife die Flanken und erwartete seine Angreifer.

»Wir müssen ihn umzingeln,« rief der Canadier, »umgehe das Thier von rückwärts, während Gayferos auf die rechte Seite eilt.«

Josef hatte von den drei Jägern den größten Vorsprung und führte den Befehl seines alten Freundes mit einer solchen Schnelligkeit aus, wie man sie seinen ermatteten Beinen kaum zugetraut hätte. Gayferos eilte schnell zur rechten Seite, während Rosenholz der linken zustürzte.

»Vorwärts jetzt, und zwar Alle auf einmal, – Hurrah!« schrie Josef und warf sich, mit dem Messer in der Hand, auf den Büffel.

»Himmeldonnerwetter!« fluchte Rosenholz, von dem wüthenden Eifer seines hungrigen Gefährten erschreckt.

Allein Josef, dessen Augen flammten und dessen Zähne knirschten, hörte nicht auf ihn, schon zückte er sein Messer zu dem tödtlichen Stoße, als der Büffel, durch die Feinde eingeschüchtert, zurückwich und das Weite suchte. Josef traf jetzt nur die leere Luft, verlor das Gleichgewicht und stürzte der Länge nach auf den Boden. Wohl raffte er sich mit einem Wuthgeschrei gleich wieder empor, der Büffel war jedoch schon weit von ihm entfernt. Rosenholz und Gayferos jagten indessen dem verwundeten Thiere nach.

»Schneid' ihm den Weg nach dem Flusse ab, Rosenholz,« schrie Josef in Verzweiflung, als er sah, daß der Büffel die größte Anstrengung machte, durch den Fluß zu entkommen. Es hätte dieses Zurufs wahrlich nicht erst bedurft, denn als der Canadier sah, daß die letzte Lebenshoffnung mit dem fliehenden Büffel schwand, sprang er mit der Schnelligkeit eines Jagdhundes nach dem Flußufer hin, und als er sich in gleicher Linie mit dem Büffel befand, warf er sich ihm mit lautem Geschrei entgegen.

Das gehetzte Thier prallte entsetzt zurück, der Richtung zu, in welcher Gayferos Posto gefaßt hatte, und als es sah, daß ihm auch dort der Weg abgeschnitten war, rannte es wieder auf Josef zu. Regungslos und festen Fußes erwartete der geschickte Jäger das Thier, welches sich infolge des bedeutenden Blutverlustes nur noch mühsam auf den Beinen erhielt. Jetzt stieß der Büffel mit Josef zusammen, – blitzschnell erfaßte der Jäger mit der Linken eines der Hörner des Thieres, während er ihm mit der rechten Hand zweimal das Messer mit voller Kraft in die Brust stieß. Der Büffel stürzte mit den Vorderfüßen auf den Boden und in diesem Augenblicke schwang sich der jede Gefahr vergessende Josef auf den Rücken und ließ sich, fest geklammert an die wallende Mähne, von dem rasch sich wieder erhebenden Thiere forttragen.

»Tod und Teufel!« schrie der Canadier keuchend, da der lange zurückgehaltene Hunger bei ihm gleichfalls in seiner ganzen Furchtbarkeit durchbrach. »Stoß ihm doch das Messer noch ein paarmal in die Brust und bringe ihn um, denn sonst springt er in den Fluß und entkommt uns!«

Allein Josef sah und hörte nicht und stieß blind mit dem Messer auf den Büffel los. Noch einmal raffte das verwundete Thier all' seine Kräfte zusammen und stürzte mit einem verzweifelten Sprunge in's Wasser, um seinen an ihm hängenden Feind los zu werden.

Mann und Büffel verschwanden in einer Ungeheuern Schaummasse, allein das Leben verließ den Riesen der Prairie, er sank zusammen und blieb, gleich einem schweren Felsblock, unbeweglich liegen.

»Ungeschickter Metzger,« rief der inzwischen anlangende Canadier dem an's Ufer zürückwatenden Josef zu, »hat man wohl je ein so edles Thier so niedermetzeln sehen.« »Hu – hu – hu,« gab Josef zur Antwort, »ohne mich wäre das edle Thier für uns verloren gewesen und nun habt Ihr es; bedankt Euch also bei meiner Ungeschicklichkeit.« Während er diese Worte mit seiner ganzen guten Laune, die wieder über ihn gekommen war, sprach, bemühten sich die drei Gefährten, den Ungeheuern Körper des Büffels an das Ufer zu ziehen. Und als ihnen endlich dies schwere Werk gelungen war, begannen sie sofort das riesige Wildpret zu zerlegen. Die Trübsal war nunmehr verschwunden und eine wilde Freude brach aus.

»Das Leben ist doch schön, wenn man nur immer hübsch zu essen hat,« meinte Josef. »Das wird ein prächtiger Schmaus werden, – und dann eine behagliche Mittagsruhe im Schatten dieser Bäume da drüben.«

»Ein eiliges Mahl,« widersprach der Canadier, »und nur eine halbe Stunde Schlaf und dann den Wüstenräubern und Apachen nach.« »Hast recht, alter Bursche,« pflichtete Josef bei, »auch ich vergaß das nicht, nur haben wir soviel vom Hunger gelitten.«

Die drei Jäger setzten ihre Arbeit fort, bis dieselbe durch ein klägliches Geheul unterbrochen wurde.

»Ah, ganz gehorsamer Diener,« rief Josef zum entgegengesetzten Ufer hinüber, wo sich zwei hungrige Wölfe zeigten. »Haben gewiß auch Appetit auf Büffelbraten? Nun, meiner Treu, ich gebe gern armen Teufeln, und so sollt Ihr denn auch etwas haben.« Bei diesen Worten ergriff Josef einen der Vorderfüße des erlegten Thieres und schleuderte ihn mit kräftiger Hand über den Fluß. Das Bein erreichte das Ufer nicht ganz, allein die hungrigen Wölfe stürzten sich in's Wasser, um ihre Beute herauszuholen.

»So,« sagte Rosenholz, nachdem er die edlern Theile des Büffels, d. h. den Buckel, der das, saftigste Stück des vortrefflich schmeckenden Fleisches ist, und das Lendenstück, bei Seite gelegt hatte, »jetzt wollen wir uns mit der Bereitung das Mahles beschäftigen.«

»Von wem mag wohl ursprünglich der Büffel vermundet worden sein?« fragte Ganferos.

»Sicherlich von einem der jagenden Indianer,« meinte Josef, »und ich befürchte, daß einzelne dieser Landstreicher uns binnen Kurzem einen Besuch abstatten werden. Ich wünsche dann nicht, daß sie uns wie diesen Büffel behandeln. Ah, seht,« unterbrach er sich, »wie seltsam diese beiden Wölfe sich gebahren; sie wühlen die Erde auf, als ob sie dort eine Beute witterten, und doch hab' ich ihnen vorhin ein saftiges Stück Fleisch zugeworfen.«

»Begeben wir uns auf die Insel,« äußerte der Canadier, »und zünden wir dort in dem dichten Schatten der Bäume unser Feuer an; sechzig Schritte von hier bemerke ich eine Furth, durch welche wir ganz bequem waten können. Folgt mir daher nach.« Dies geschah, und während der kleine Trupp die Furth passirte, hörten die Wölfe auf, in der Erde zu wühlen, und machten sich mit dem Büffelfuße eilig aus dem Staube. Als die drei Jäger die Insel betraten, fanden sie eine von den Krallen der Wölfe ausgescharrte Höhlung von einigen Zoll Tiefe.

»Ohne Zweifel liegt da irgend ein Leichnam,« meinte Josef, »obschon keinerlei Spur darauf hindeutet, daß der die Erde bedeckende Rasen in der letzten Zeit umgewühlt wurde.«

Josef wurde in seinen Betrachtungen von der Stimme des Canadiers unterbrochen, welcher ihn aufforderte, bei der Zubereitung des Mahls thätige Hand anzulegen. Es hielt nicht schwer, um Feuer anzuzünden, denn erstens war der durch den Gewitterregen naß gewordene Pulvervorrath der beiden Freunde wieder getrocknet, sodann fehlte es ihnen nicht auf der Insel an dürrem Holze, und so sahen denn die halbverhungerten Jäger sehnsüchtig dem Augenblicke entgegen, wo sie über den lieblich duftenden Büffelbuckel, der über dem Feuer röstete, herfallen konnten.

Mit großem Behagen verzehrten sie endlich das kostbare Mahl und ließen nur einen Theil davon übrig, den Rosenholz sorgfältig aufbewahrte.

Der Canadier streckte sich in's Gras, um eine halbe Stunde zu schlafen und Gayferos ahmte ihm nach; Josef dagegen setzte seine Nachforschungen an der von den Wölfen ausgehöhlten Rasenstelle weiter fort. Er unterschied alsbald auf dem Boden Messerschnitte und eine geheime Ahnung ging ihm auf, daß er es mit einem jener unterirdischen Magazine zu thun habe, welche die Trapper und Reisenden in den Einöden des Westens anlegen, um vor einer nahenden Gefahr ihr Hab und Gut in Sicherheit zu bringen. Mit krampfhaftem Eifer durchwühlte Josef jetzt den Boden, und bei dem Gedanken, daß außer Waaren vielleicht auch noch Waffen an diesem geheimen Orte vergraben sein könnten, fühlte er sein Herz höher schlagen. Bald kam ein Leder zum Vorschein, welches die versteckten Gegenstände verhüllte; er warf das Leder weit fort, mit gierigen Augen den ausgehölten Raum durchspähend. Wie besessen sprang Josef nach dieser Recognoscirung in die Höhe, um gleich darauf wieder sich auf beiden Knieen niederzulassen, die Hände zu falten und ein inbrünstiges Gebet zu sprechen. . Noch aber war er mit dem Amen nicht fertig, als er schon auf den Canadier zueilte und ausrief:

»Komm, Rosenholz, – kommt, Gayferos, – Hurrah!« Und nach diesen Worten rannte er wieder nach dem aufgefundenen Versteck zurück, während die beiden aus dem Schlafe aufgerüttelten Gefährten ihn verwundert anblickten. Waffen – Waffen, in Hülle und Fülle!« krähte Josef. »Da ... seht's Euch nur an!« Und bei jedem Worte tauchte er seinen Arm in die Oeffnung und warf dem erstaunten Rosenholz eine Büchse nach der andern zu.

»Oh, mein Gott!« rief der Canadier tief gerührt aus. »So ist es also doch wahr, und Du verläßt gute Menschen nicht! Du giebst uns die Kraft wieder, die Du unsern Armen entzogen hattest, mein Herrgott, Preis und Dank sei Dir in alle Ewigkeit!« Und dabei preßte der greise Jäger die Feuerwaffe, welche er für sich ausgesucht, an seine Brust.

Nachdem auch Josef und Gayferos sich bewaffnet hatten, eignete sich Rosenholz noch eine vierte Flinte an und sagte mit einem zärtlichen Ausdrucke in und Blick Wort: »Für Fabian! ... Die übrigen Gegenstände legen wir wieder auf ihren ursprünglichen Platz,« fuhr er gegen Josef fort, »denn es hieße undankbar gegen den Himmel sein, wollten wir dem Eigenthümer dieser Waaren und Waffen mehr entziehen, als wir zur höchsten Noth gebrauchen.«

Josef nickte stumm mit dem Kopfe und alsbald hatten die drei Jäger die Grube wieder ausgefüllt und mit Rasen bedeckt, ohne zu ahnen, daß es ihre Todfeinde waren, deren Raub sie in so edelmüthiger Weise schonten.

»Jetzt aber auf den Weg,« rief der Canadier, »und nicht eher wieder geruht, als bis wir das verworfene Gesindel eingeholt und unser Kind er ...«

Ein unerwarteter Anblick ließ seine Rede auf den Lippen ersterben. Auf dem linken Flußufer war nämlich ein indianischer Krieger erschienen und betrachtete aufmerksam das dort am Boden liegende Gerippe des getödteten Büffels. Er mußte zweifellos die drei Jäger bemerkt haben, dennoch gab er sich den Anschein des Gegentheils.

»Hol's der Henker!« flüsterte Josef ärgerlich, »die Hunde kommen uns früher auf den Hals, als ich vermuthete. Soll ich meine Büchse an ihm probiren?«

»Nein,« wehrte Rosenholz ab, »ich sehe an dem Kopfschmucke und den Verzierungen des Mantels, daß er zu den Comanchen gehört, welche, wie Du weißt, die unversöhnlichen Feinde der Apachen sind. Sein sorgfältig bemaltes Gesicht deutet an, daß er sich auf dem Kriegspfade befindet, ich werde ihn anrufen, denn die Augenblicke sind zu kostbar, um List zu gebrauchen und nicht gerade auf das Ziel loszusteuern.«

Festen Schrittes näherte sich der Canadier und hob den Kolben seiner Büchse in die Höhe, während der Indianer noch nach wie vor das Büffelgerippe betrachtete, welches ihn außerordentlich zu interessiren schien. »Hier stehen drei Krieger,« rief der Waldläufer, »welche vor Hunger gestorben wären, wenn der große Geist ihnen nicht einen verwundeten Büffel geschickt hätte. Will mein junger Sohn da drüben untersuchen, ob es wirklich der ist, den seine Lanze verwundete? Will er den Theil nehmen, den wir für ihn zurückgelegt haben? Er wird auf diese Art uns beweisen, daß er freundliche Gesinnungen hegt.«

Der Indianer erhob jetzt den Kopf und antwortete: »Ein Comanche ist der Freund eines jeden Weißen, dem er begegnet; ehe er daher an dem Feuer der drei Krieger Platz nimmt, muß er wissen, woher sie kommen, wohin sie gehen und wie sie sich nennen.«

»Alle Donner!« rief Josef, »stolz ist der Bursche, das muß ich sagen; ich hätte Lust, ihn nach Gebühr abzutrumpfen.«

»Schweig Du lieber still,« entgegnete Rosenholz und rief dann dem Indianer zu: »Mein Sohn spricht mit dem Stolze eines Häuptlings, obgleich er noch zu jung ist, um Krieger dem Kampfe entgegen zu führen. Gleichwohl will ich seine Fragen beantworten. Wir haben das Land der Apachen durchstreift und verfolgen bis zur Gabel des Red-River die Spur zweier Banditen. Ich bin der Waldläufer aus Unter-Canada, dieser Mann da nennt sich Josef der Schläfer, obschon er besser gethan hätte, sich den Beinamen des Nimmersatts zu geben, und jener da ist ein Gambusino, dem die Apachen die Haut über den Kopf gezogen haben.«

Der Indianer, welcher die Worte des Canadiers mit großem Ernste anhörte, sagte jetzt: »Mein Vater besitzt die Klugheit eines Häuptlings, vermag aber nicht, die Augen eines Kriegers vom Stamme eines Comanchen blind und seine Ohren taub zu machen. Unter den drei weißen Kriegern auf der Insel befinden sich zwei, deren Namen ganz anders lauten.«

»Das soll also heißen,« rief Rosenholz heftig, »ich sei ein Lügner? Meine Zunge hat niemals, weder aus Furcht noch aus Freundschaft, gegen die Wahrheit gesündigt. Wer daher mich der Lüge beschuldigt, wird mein Feind und somit geh' Deines Wegs, Comanche, und laß Dich nie wieder vor meinen Augen sehen.« Bei diesen Worten machte Rosenholz eine drohende Bewegung mit der Büchse. Der Comanche aber blieb ruhig stehen und entgegnete, mit seiner rechten Hand stolz auf die Brust schlagend:

»Brennstrahl ging aus, um sich am rothen Flusse mit dem Adler der Schneeberge und dem Spottvogel zu vereinigen, um mit ihnen den Sohn zu suchen, welchen die apachischen Hunde ihnen geraubt haben.«

»Den Adler, – den Spottvogel!« wiederholte Rosenholz, auf's höchste überrascht, »oh, wie könnt' ich auch vergessen ... ja, ja, das sind die Namen, welche uns die Apachen gegeben haben. Sagt, mein Junge, habt Ihr meinen Fabian, habt Ihr mein geliebtes Kind gesehen?« Und während der Canadier, seine Büchse weit von sich schleudernd, in den Fluß sprang und die Furth desselben mit Riesenschritten durchwatete, rief er aus: »Wartet, Brennstrahl, wartet, ich bin im Augenblick bei Euch ... ich bin euer Freund ... auf Leben und Tod!«

Lächelnd blickte der Comanche auf den sich rasch nahenden Waldläufer, und als dieser ihm seine riesige Hand entgegenstreckte, legte Brennstrahl die seinige hinein, und sie glich jetzt einem Keil, den man in den Spalt eines Baumes hineintreibt.

»So seid Ihr also den beiden Wüstenräubern gleichfalls feindlich gesinnt?« rief Rosenholz, der in seiner Herzensfreude den jungen Krieger gar zu gern an die Brust gedrückt hätte, seinem Wunsche aber Fesseln anlegte. »Woher weiß aber der Comanche Brennstrahl unsere Namen?«

»Von Tubac bis zum Büffelsee, von dort bis zu den Nebelbergen und von diesen bis hierher hat Brennstrahl die Spuren Mischbluts und Rothhands verfolgt,« antwortete der junge Krieger, »und er fand auch die Spuren des Adlers und des Spottvogels, deren Namen er gehört und von deren Heldenkühnheit er vernommen aus dem Munde der Feinde, welche er zu wiederholten Malen in ihren Verstecken belauschte. Sind die zwei Weißen wirklich so tapfer, wie man sagt?«

»Wozu diese Frage?« entgegnete Rosenholz mit einem ruhigen Lächeln, das deutlicher sprach, als alle Betheuerungen.

»Weil das Auge Brennstrahls,« fuhr der Indianer fort, den Blick fortwährend auf den fernen Horizont heftend, »gegen Sonnenaufgang den Rauch der Feuer des Schwarzvogels und seiner dreißig Krieger, gegen Sonnenniedergang den Rauch der Feuer Rothhands und Mischbluts und gegen Mitternacht den Rauch des Lagerfeuers von zehn Apachen sieht, und somit der Comanche und die drei Weißgesichter zwischen drei feindlichen Partheien sich befinden.«

»Beim Himmel, Ihr habt recht!« rief der Canadier erstaunt, als er in der Ferne eine leichte Rauchwolke bemerkte, die ein indianisches Lager ansagte.

»Brennstrahl,« begann der junge Krieger von Neuem, »wird seinen Freunden auf die Büffelinsel folgen und sie werden dort das Rathsfeuer anzünden, um zu entscheiden, was zu thun ist.«

Rosenholz watete mit dem Comanchen zurück durch die Furth des Flusses, und als sie das Inselufer betreten hatten, reichte Brennstrahl mit einer gewissen Förmlichkeit Josef und Gayferos die Hand. Sodann schritten Alle auf das noch lodernde Feuer zu und während Brennstrahl von dem Büffelfleische kostete, theilte der Canadier seinen Gefährten das Nöthigste mit.

»Also den beiden Schurken von Wüstenräubern gehören die Vorräthe, welche wir auf dieser Insel hier aufgefunden haben?« lachte der rachsüchtige Josef wild auf. »Kommt, Gayferos! Während Rosenholz sich mit diesem jungen Krieger hier berathen wird, wollen wir die ganze Beute der beiden Hallunken in's Wasser werfen, die Feuerwaffen natürlich ausgenommen.« Und der erzürnte Josef entfernte sich mit dem Gambusino, um sein Rachewerk auszuführen. Als Brennstrahl mit seiner Mahlzeit zu Ende war, richtete der Canadier die Frage an ihn, wie es komme, daß er sich ohne irgend eine Begleitung seiner Stammesgenossen auf die Jagdgründe der Apachen gewagt habe. Der Comanche erzählte zunächst die Ereignisse, welche der Leser bereits kennt, und eben war er damit zu Ende, als Josef und Gayferos von ihrem Zerstörungswerke zurückkehrten. Sämmtliche Waaren hatten sie in den Fluß geworfen, nur eine Anzahl Büchsen nicht, die sie zu dem Wachtfeuer heranschleppten.

»Diese Gewehre werden meinen Kriegern zu statten kommen,« sagte Brennstrahl und fuhr hierauf in seinen Mittheilungen weiter fort.

Wie wir wissen, hatte der Comanche, als er die beiden Wüstenräuber auf der Insel beobachtete, den Entschluß gefaßt, sie bei ihrer Rückkehr nach Gebühr zu empfangen. Um dies jedoch erfolgreich ausführen zu können, mußte er aus dem fernen Lager seines Stammes Verstärkung holen. Mit zehn Kriegern, die der Häuptling der Führung Brennstrahls anvertraut, kehrte er zurück. Indessen hatten Rothhand und Mischblut die Büffelinsel bereits passirt und sich zu Lande bis zur Gabel des rothen Flusses begeben. Es war dies vielleicht ein Glück für den jungen Anführer, da zu den beiden Wüstenräubern unterwegs eine Schaar Apachen stieß, welche sich in der Nähe herumgetrieben hatte. Durch einen Spion erfuhr Brennstrahl noch mehr. Dieser ausgesandte Späher hatte sich nämlich zu nahe an das Lager Rothhands und Mischbluts gewagt und war entdeckt und gefangen genommen worden. Fest überzeugt, daß seine letzte Stunde gekommen sei, wunderte er sich nicht wenig, als ihm Mischblut nach wenigen Stunden schon seine Freiheit verkündigte und mit Worten des Friedens und der Freundschaft an Brennstrahl zurücksendete, welchem er sagen ließ, daß er im Lager Rothhands und Mischbluts stets willkommen sei. Selbstverständlich hütete sich der junge Krieger, dieser Versicherung zu trauen. Durch denselben Spion hatte Brennstrahl aber auch von der Gefangenschaft Fabians Kunde erhalten und außerdem die Namen erfahren, welche die Apachen den beiden Waldläufern beigelegt hatten.

Es wurde nunmehr beschlossen, daß man sich sofort auf den Weg machen wolle, um das heißersehnte Ziel baldmöglichst zu erreichen.

»Sind Euere Krieger weit von hier?« fragte Rosenholz den Indianer.

»Einer der Unsern bewacht an der Spitze der Büffelinsel unser Canoe,« fuhr der Comanche weiter fort, »die Uebrigen sind auf dem linken Flußufer zerstreut. Rothhand und Mischblut hingegen befinden sich auf dem entgegengesetzten Ufer, und zwei Büchsenschüsse von dem Pfade weg, den sie verfolgten, würden der Adler und der Spottvogel ihre Spuren gefunden haben.«

»Das ist freilich nicht geschehen,« meinte der Canadier, »dafür hat uns Gott mit Waffen und Lebensmitteln ausgerüstet und einen tapfern, rechtschaffenen Verbündeten zugeführt. Taufend Dank dem großen, barmherzigen Geiste! – – – Und nun – vorwärts!«

Rosenholz warf seine und die für Fabian bestimmte Büchse auf die eine Schulter und die übrigen Gewehre auf die andere. Josef und Gayferos bepackten sich mit den Lebensmitteln und der Munition und alle drei folgten mit einem wahrhaft heiligen Feuer dem jungen Comanchen, der sie an die Spitze der Insel führte, wo der zur Bewachung des Bootes zurückgelassene Krieger versteckt war.

Das Canoe gehörte zu jenen Fahrzeugen, wie sie bei den Indianern in diesem Theile Amerikas gebräuchlich sind. Es bestand aus einem Gerippe von Eschenholz, über welches zwei rohgegerbte und durch eine Naht mit einander verbundene Büffelhäute gespannt waren. Das gebrechliche Fahrzeug hatte zehn Fuß in der Länge und drei und einhalb Fuß in der Breite; Vorder- und Hintertheil liefen spitzig zu und der runde Bau, sowie die Farbe verliehen dem Canoe eine gewisse Aehnlichkeit mit einem jener ledernen Becher, deren man sich heut zu Tage auf Reisen bedient.

So leicht nun auch die Barke gebaut war und so geringe Dauerhaftigkeit sie zu haben schien, diente sie doch zu langen Fahrten auf den mit Stromschnellen, Untiefen und Felsenriffen gesegneten Flüssen, denn gerade ihr leichter Bau bewahrte sie vor tausenderlei Unfällen, welche ein stärkeres Fahrzeug unbedingt zerschmettert haben würden, und außerdem machte es ihr unbedeutendes Gewicht den Schiffern möglich, ganze Tage hindurch das Canoe ohne viel Mühe auf den Achseln weiter zu tragen.

In einer solchen Nußschale also schiffte sich unsere kleine Truppe ein und rasch folgte das leichte Fahrzeug der Strömung des Flusses.


 << zurück weiter >>