Gabriel Ferry
Der Waldläufer – Für die reifere Jugend bearbeitet
Gabriel Ferry

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Ein verhängnißvolles Vorspiel

Stürmisch war die Decembernacht. In wilder Eile jagten am dunkeln Firmament drohende Wetterwolken dahin, nur zuweilen der hinter ihm versteckten Mondscheibe gestattend, das felsige Gestade des biscayischen Meerbusens mit ihrem Lichte zu versilbern. In solchen Momenten kam eine Reihe ärmlicher Fischerhütten zum Vorschein, sowie ein imposantes Schloß, welches das Felsplateau krönte. Das stolze Gebäude gehörte dem spanischen Grafengeschlechte von Mediana zu und war seit einigen Jahren in dem Besitz des ältesten Sohnes, Don Juan. Von seinem jüngeren Bruder, Don Antonio, hatte man seit dem Tage, an welchem Juan sich verheirathet, nichts wieder gehört; man raunte sich in's Ohr, daß er dem Bruder wegen des reichen Erbes, sowie seines Familienglückes neidisch gewesen sei, und inmitten seiner abenteuerlichen Lebensweise einen jähen Tod gefunden habe. Allerdings führte Don Juan ein glückliches Familienleben und mit väterlichem Stolze blickte er auf seinen dreijährigen Sohn Fabian, dessen kindliche Seele die Sanftmuth der Mutter und den ritterlichen Sinn des Vaters harmonisch vereinigte. Das Glück des Menschen soll indessen nur von kurzer Dauer sein, so ist es beschlossen in dem allweisen Rathe des Höchsten. Das Jahr 1808 war gekommen und mit ihm der Zeitpunkt, wo die ruhmreiche Armee Napoleons die spanischen Provinzen bedrohte. Die feurigen Söhne des Landes strömten herbei, um den Boden ihrer Heimath gegen den fremden Eroberer zu schützen. Auch Don Juan riß sich aus den Armen von Weib und Kind, und sollte Beide nicht wieder sehen. Eine feindliche Kugel machte in der Schlacht bei Burgos seinem Leben ein Ende.

Stürmisch war die Decembernacht und über den grollenden Meereswellen schwebte, gleich einem langen Gespensterzuge, ein düsterer Nebel. Kein Stern glitzerte am Himmel, nur aus einem Zimmer des Schlosses glimmte es trübe herab.

»Es wird die arme Wittwe sein, die weinend am Bette ihres kleinen Sohnes wacht,« brummte ein Küstenwächter vor sich hin, der für diese Nacht beordert war, den gefährlichen Posten in der Bucht zu beziehen. Seine Kameraden wunderten sich, daß der Kapitän gerade ihn dazu ausersehen hatte, den in stürmischen Nächten von Schmugglern heimgesuchten Landungsplatz zu bewachen, da Pepe – wie der Name des Miquelet (spanischer Küstenwächter) lautete – wegen seiner Schlafsucht berüchtigt war und im Munde Aller nur der »Schläfer« hieß. Er mochte fünfundzwanzig Jahre zählen, war von hoher Figur, sehr mager, aber außerordentlich muskulös. Wenn er gefragt wurde, warum er so gern und so viel schlafe, gab er regelmäßig zur Antwort: »Die spanische Regierung sorgt dafür, uns beständig bei gutem Appetit zu erhalten, indem sie uns den Sold schuldig bleibt, somit kann ich nichts besseres thun, als meinen Hunger zu verschlafen, und zu träumen, daß mich die Regierung bezahlt.« In den schwarzen, von buschigen Brauen beschatteten Augen Pepe's konnte man indessen lesen, daß seine scheinbare Theilnahmlosigkeit eine erkünstelte und er von der Mutter Natur mit einer gehörigen Portion Schlauheit ausgerüstet war. Als er vom Kapitän den Befehl erhielt, die Wache an der Bucht zu beziehen, witterte er sofort eine unlautere Absicht seines Vorgesetzten; trotz alledem gab er sich den Anschein der Schläfrigkeit, indem er sich, in seinen Mantel gehüllt, auf den kalten Erdboden warf. Als aber eine halbe Stunde später der Kapitän gekommen war und mit einem zufriedenen Lächeln den Schläfer betrachtet hatte, um hierauf sich wieder zu entfernen, richtete sich Pepe in seiner ganzen Länge auf und murmelte vor sich hin: »Will schon hinter Eure Schliche kommen, Herr Kapitän, und wachsam sein, daß auch keine Maus meinen Blicken entgehen soll!« Indessen schien es, als wollte nichts die Ruhe der Nacht stören. Erst nach einer Stunde etwa glitt ein schwaches Geräusch über die Wellen und gelangte an Pepe's Ohr. Er hob den Kopf und spähte gleich einem Luchse. Inmitten der Nebelmasse bemerkte er bald einen schwarzen Punkt, der stetig zunahm und schließlich zu einem Boote anschwoll. Es landete an der Bucht und zwei Männer stiegen geräuschlos aus, während der am Steuer Sitzende zurückblieb.

»Nach ihrem Anzug zu schließen, scheinen es Seeräuber zu sein,« sagte der scharf beobachtende Pepe vor sich hin, dem sich entfernenden Paare nachschauend, bis es hinter einem Felsvorsprung verschwunden war. Nunmehr wandte der Miquelet seine Aufmerksamkeit dem Zurückgebliebenen zu, dessen Blick auf das Meer gerichtet war. Gleich einem Tiger sprang Pepe auf ihn los, setzte die Mündung seines Karabiners auf die Brust des erschrockenen Fremden und rief mit unterdrückter Stimme: »Rührt Euch nicht, oder ich sende Eure Seele zur Hölle!«

»Wer bist Du?« entgegnete der Fremde mit vor Wuth funkelnden Augen.

»Pepe, der immer schläft,« spottete der Miquelet.

»Wehe dem Kapitän, wenn er mich verrathen hat,« murmelte der Fremde.

»Oh nein, er ist daran unschuldig, Herr Schmuggler!«

»Schmuggler?« wiederholte verächtlich der Fremde.

»Nun oder etwas Schlimmeres,« höhnte Pepe. »Ich sehe freilich keine Waarenballen im Boote und die Strickleiter dort kann auch nicht als eine Probe dienen.« Der Miquelet betrachtete jetzt den Unbekannten genauer, welcher mit ihm in gleichem Alter stehen mochte. Sein von der Sonne verbranntes Seemannsgesicht zeigte eine breite Stirn, große schwarze, unheimlich leuchtende Augen und einen verächtlich lächelnden Mund. Das schwarze, gelockte Haar vermochte kaum die Strenge seiner Züge zu mildern, denen der Stempel des Ehrgeizes und der Rachsucht aufgedrückt war.

»Nein,« sagte jetzt Pepe, »Ihr seid kein Schmuggler, wohl aber, nach Eurer Uniform zu schließen, ein Marine-Officier. Allen Respekt vor Euch!«

»Spare Deine witzigen Worte,« entgegnete der Fremde, »und sage mir kurz und bündig, was Du von mir willst.«

»Gut, Herr Officier, kurz und bündig denn. Ihr habt meinen Kapitän bestochen, einen schläfrigen Wachtposten hier aufzustellen, damit Ihr Euer Heldenstückchen, denn ein solches habt Ihr jedenfalls vor, ungehindert ausführen könnt. Gebt mir 80 Unzen, an Gold und ich will taub, stumm und blind sein.«

Diese unverschämte Forderung erregte für einige Augenblicke den Zorn des Fremden, dann aber zog er einen kostbaren Ring von seinem Finger und überreichte ihn dem Miquelet mit den Worten: »Da, nimm und packe Dich, und halte Dein Wort, möge sich auch ereignen, was da wolle!«

Der Unbekannte sprang aus dem Boote und verschwand alsbald innerhalb des zum Strande herabführenden Hohlwegs, während der zurückgebliebene Pepe beim Mondscheine aufmerksam den Diamant betrachtete, der in den Ring gefaßt war.

Neidische Wolkenschleier traten alsbald wieder vor die Mondscheibe, das einsame Licht aber, welches von der Höhe des Schlosses herabschimmerte, blieb. Noch immer saß dort in dem hohen Balkonzimmer die schöne, junge Grafenwittwe und blickte thränenden Auges auf die Wiege, in welcher ihr schlafendes Söhnchen ruhte. Plötzlich nahm die bleiche Frau die Lampe vom Tische und beleuchtete ein großes Gemälde, das über der Wiege hing und einen fünfzehnjährigen Knaben darstellte, welcher freundlich auf seinen noch im Kindesalter befindlichen Bruder herab schaute, der auf einem großen Sessel schlief. Unter dem Bilde standen die wenigen und doch so bedeutungsvollen Worte: Ich werde wachen. Das Kind in der Wiege glich dem Knaben auf dem Gemälde auf ein Haar, und man konnte es der zärtlichen Mutter nicht verdenken, wenn sie, die Stirn des kleinen Fabian's im Kusse berührend, mit einem tiefen Seufzer fügte: »Möge Dir ein längeres Leben und dauernderes Glück beschieden sein, als Deinem armen Vater!« Nach diesen Worten setzte sie sich wieder nieder und verfiel in ein tiefes Nachsinnen. Plötzlich traf ein dumpfes Geräusch ihr Ohr, – es näherte sich rasch, – und jetzt wurde das Fenster des Balkon's aufgerissen und mit dem eisigen Windstoße, der in's Zimmer drang, wurde ein Mann sichtbar, vor welchem die Gräfin mit einem gellenden Schreckensrufe zurücktaumelte. War es ja doch Don Antonio, der todtgeglaubte Bruder ihres Gatten, den sie in drohender Haltung jetzt vor sich sah.

»Nur ein einziger Hilferuf und dieses Kind hat ausgeathmet,« ertönte es von Don Antonio's Lippen, während sein Finger auf die Wiege des kleinen Fabian deutete.

»Um der heiligen Jungfrau Willen, was wollt Ihr hier, inmitten der Nacht?« preßte die Gräfin mühsam hervor.

»Nur eine Kleinigkeit,« erwiederte der Eindringling, »ich will mir die Rechte und das Vermögen meines verstorbenen Bruder's sichern, welche mir der kleine Bursche da abwendig zu machen droht!« Damit schritt Don Antonio auf die Wiege zu, ohne daß die bestürzte Mutter es zu hindern vermochte.

»Jesus Maria,« ächzte die Gräfin, »Ihr wollt das unschuldige Kind doch nicht morden?«

»Ei, wer sagt das?« gab der gefühllose Schwager spöttisch zurück, »ich werde ihn nur Eurer mütterlichen Zärtlichkeit entziehen und auf diese Weise dürfte er für immer vergessen, jemals zu dem Geschlechte der Grafen von Mediana gehört zu haben.«

»Ihr wollt mich von meinem Kinde trennen?« jammerte die unglückliche Mutter und fügte händeringend mit einem Blicke nach Oben hinzu: »O mein Gott, kannst Du ein solches Verbrechen zulassen, wirst Du mir keinen Retter in der Noth senden?«

Don Antonio warf seiner Schwägerin einen verächtlichen Blick zu und sagte: »Gottes Gerechtigkeit schläft zuweilen, Madame, und macht somit keine Ausnahme von jener der Menschen.«

»Oh!« rief die Gräfin mit edlem Unwillen, »ich prophezeihe Euch, daß die Gerechtigkeit Gottes, die Ihr jetzt zu verspotten wagt, am äußersten Ende der Welt, ja selbst in den entlegensten Einöden, die noch nie eines Menschen Fuß betreten hat, Euch erreichen und einen Ankläger, Richter und Henker erwecken wird!«

Don Antonio zeigte nur ein spöttisches Lächeln und versetzte, auf die Wiege deutend: »Dieses Kind hat heute zum letztenmal unter dem Dache seiner Väter geschlafen. Wollt Ihr, daß es leben bleibt, so fügt Euch meinem Willen. Zudem sag' ich Euch, daß jeder Lärm Eurerseits nutzlos ist, und meine Leute die Weisung haben, Jedermann zu erdolchen, der sich ihnen in den Weg zu werfen wagt.«

Ein Blick in die unheimlich leuchtenden Augen Don Antonio's belehrte die unglückliche Gräfin, daß weder Bitten noch Flehen das steinerne Herz des ehrgeizigen und harten Mannes rühren könne. Sie wankte der Wiege zu und unter einem Thränenstrome weckte sie den kleinen Fabian, welcher die Mutter mit seinen treuherzigen Augen anlächelte und es sich ruhig gefallen ließ, zu dieser ungewohnten Stunde von ihr angekleidet zu werden. Erst als das Kind den fremden Mann bemerkte, fing es an zu zittern und schmiegte sich ängstlich und weinend an seine Mutter. Diese stieß jetzt einen schwachen Schrei aus und sank in eine tiefe Ohnmacht. Ohne sich um den leiseschluchzenden Knaben zu bekümmern, riß Don Antonio Kasten und Schränke auf und schleuderte einige Kleider und andere Gegenstände im Zimmer umher, so daß es den Anschein gewann, als habe die Gräfin in aller Eile heimlich eine Reise angetreten, sodann öffnete er den Schreibtisch und nahm die für ihn werthvollen Papiere an sich. Wenige Sekunden später trat er an's Fenster und ließ einen kurzen Pfiff ertönen. Sofort erschien einer der Gefährten, welchen Pepe, der Schläfer, kurze Zeit vorher im Boote gesehen hatte.

»Trage die Frau da hinab«, rief ihm Don Antonio befehlend zu, »ich werde mit dem Knaben folgen.«

Und wiederum vergingen nur wenige Sekunden und man sah die beiden Männer mit ihrer Last die Strickleiter herabklimmen, welche an dem einen Pfosten des Balkons angebracht war.

Nächtliche Stille herrschte wie zuvor; in dem Zimmer des Schlosses war es unheimlich leer. Nichts regte sich dort jetzt und nicht einmal der bange Seufzer eines ängstlich klopfenden Mutterherzens brach sich Bahn. Nur ein einziges Mal flammte das Licht der Lampe auf und kam über die im Zimmer umhergestreuten Gegenstände eine geisterhafte Bewegung, das war, als ein pfeifender Windstoß in das offenstehende Fenster einen Ton des Schreckens und der Verzweiflung trug, – den letzten der unglücklichen Mutter, welche, in dem Boote aus ihrer Ohnmacht erwachend, von einem der Untergebenen Don Antonio's erdolcht worden war.

Der Sturm tobte und auf den erzürnten Wellen des Oceans trieb das gebrechliche Fahrzeug mit der todten Mutter, an deren Halse der kleine Fabian fest angeklammert lag, tausend süße Namen rufend, um seine Herzensmama wieder lebendig zu machen. Der schurkische Oheim hatte nicht gewagt, das Blut seines Bruders zu vergießen, aber er hoffte, daß das Boot zu Grunde gehen, oder die Kälte der Winternacht das Kind tödten werde. Der gütige Gott aber hatte es anders beschlossen.

Es war um die Zeit, wo die Nacht mit dem Frühlicht um die Herrschaft ringt, als ein raschsegelndes Fahrzeug, dessen Takelwerk und Segelstellung ein französisches Kriegsschiff verkündeten, in die Bucht einbog und zwei Boote aussetzte, um frischen Mundvorrath einzunehmen. Eben tanzte der erste Lichtstreif über die Wellen hin, da begann längs der Küste ein lebhaftes Gewehrfeuer, welches der jetzt doppelt wachsame Pepe mit den übrigen Miquelets gegen die Insassen der beiden Boote eröffnete, in denen er sofort französische Matrosen erkannt hatte. Der Alarm kam indessen zu spät und die Boote kehrten reichbeladen zu ihrem Schiffe zurück. Der letzte Mann, welcher auf das Verdeck stieg, war ein Matrose von riesenhafter Gestalt; er hielt in seinen Armen ein kleines Kind, das man wol für todt halten konnte, hätte nicht ein leises Beben des Körpers noch einen Rest von Leben verrathen.

»Was Teufel bringst Du da, Rosenholz?« rief der wachthabende Officier dem Riesen zu.

»Ein kleines Kind, das ich in einem den Wellen preisgegebenen Boote gefunden habe. Eine todte in ihrem Blute gebadete Frau hielt es noch in ihrem Arm, und nur mit großer Mühe vermochte ich das arme, kleine Geschöpf aus dem Fahrzeug zu langen, welches die verwünschten Küstenwächter besonders auf's Korn nahmen. Namentlich war es ein langer Schlingel, der mit ebenso großer Hartnäckigkeit als Ungeschicklichkeit auf mich schoß. Donner und Wetter, ich wünsche nicht, daß er jemals wieder mit mir zusammentrifft denn er könnte es sonst hart büßen müssen!«

Freuen wir uns, daß diese Drohung nicht zu Pepe, des Schläfer's Ohren drang, welcher mit dem langen Schlingel gemeint war.

»Was gedenkst Du mit dem Kinde anzufangen?« entgegnete der von Mitleid bewegte Officier, indem er das zitternde Bübchen sanft streichelte.

»Ich will für das arme Geschöpf sorgen,« antwortete Rosenholz in seiner rauhen, treuherzigen Weise, »bis der Frieden mir erlaubt, hierher zurückzukehren und Erkundigungen über meinen Findling einzuziehen.«

Leider konnte der Matrose von dem Kinde nichts weiter erfahren, als daß es Fabian heiße und die ermordete Frau seine Mutter gewesen sei; dazu gesellte sich noch der unglückselige Umstand, daß während der nächsten zwei Jahre das französische Schiff nicht in Spanien zu landen vermochte. Indeß nahm sich der Riese Rosenholz, ein Kanadier von Geburt, der kleinen Waise mit wahrhaft rührender Sorgfalt an und bald füllte die Liebe zu Fabian sein ganzes Herz aus.

Da geschah es eines Morgens, daß der französische Kreuzer von einer ihm an Stärke weit überlegenen Brigg angegriffen wurde. Ein erbitterter Kampf entspann sich, über dessen Ausgang Rosenholz nicht lange im Zweifel war. Von Pulver geschwärzt, eilte der Matrose in den untersten Schiffsraum, um den kleinen Fabian auf das Verdeck zu tragen, damit sich, für den Fall einer Trennung, seinem jugendlichen Gedächtnisse die Erinnerung an diese stürmische Scene dauernd einpräge. Und während die Geschütze donnerten, die Masten krachten und das Angstgeschrei Verwundeter und Sterbender ringsum ertönte, befahl Rosenholz seinem kleinen Schützlinge niederzuknieen, während er selbst sich mit seinem Riesenleibe über das Kind beugte und es so vor den feindlichen Kugeln schützte. »Du siehst, was vorgeht,« fuhr er mit feierlicher Stimme fort. Fabian nickte und verbarg sich zitternd in dem Arm des Riesen. »Gut!« begann Rosenholz abermals, »vergiß nie, daß Dich in diesem Augenblicke ein Matrose, der Dich wie sein Leben liebte, niederknieen ließ, um Dir zu sagen: »Bete für Deine Mutter – – –«

Der Satz blieb unvollendet, denn eine feindliche Kugel hatte den treuen Kanadier getroffen und sein Blut färbte die Kleider Fabians, welcher ein herzzerreißendes Geschrei ausstieß. Mit dem Aufgebot seiner letzten Kräfte preßte der Verwundete den Knaben an sein Herz, während seine Lippen flüsternd den begonnenen Satz vollendeten: »welche ich sterbend bei Dir gefunden habe!« Dann verlor er die Besinnung, und als er wieder zu sich kam, befand er sich in einem verpesteten Schiffsraume. Nur zu bald wurde es ihm klar, daß er ein armer Gefangener und Fabian von ihm getrennt worden sei. Und der Riese, dessen muthiges Herz vor keiner Gefahr erbebte, begann bitterlich zu weinen, denn er hatte Fabian geliebt, wie nur ein Vater sein Kind zu lieben vermag. –

Wir wollen diese traurige Vorgeschichte nicht schließen, ohne noch einen Blick auf das felsige Gestade am biscayischen Meerbusen und das stolze Schloß zu werfen, das sich dort erhob.

Einige Tage nach dem unerklärlichen Verschwinden von Mutter und Sohn fanden Fischer am Meeresstrande den Leichnam der unglücklichen Gräfin. Der Kastellan des Schlosses umwandt die auf der Zinne wehende Fahne mit einem Trauerflor und ließ an der Stelle, wo seine arme Gebieterin gefunden morden war, ein hölzernes Kreuz errichten. Allein wie Alles auf dieser Welt veraltet und nur das Neue Wurzeln schlägt, so hatte der Seewind noch nicht den schwarzen Flor geröthet und die leckende Fluth das hölzerne Kreuz noch nicht mit grünem Moose überzogen, als das tragische Ereigniß, welches die Herzen Aller so tief betrübt, der Vergessenheit anheimfiel und sich Alles der glänzenden Erscheinung Don Antonio's von Mediana zuwandte, welcher gekommen war, um in dem Schlosse seiner Väter als Herr und Erbe seinen Einzug zu halten.

Wir aber sagen dem stolzen Bollwerke und dem einfachen Kreuze für lange Zeit Lebewohl und wenden uns jetzt dem fernen Westen zu, um dort in den Wäldern und Steppen Mexiko's den Faden uns'rer Erzählung weiter zu spinnen.

Erstes Buch


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