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Im Goldtal

Die Dunkelheit der Nacht, die bereits in die Dämmerung des Morgens überging, umhüllte die Landschaft und zeigte sie nur in großen, weit gezogenen Umrissen. Am Himmel, den ein Stern nach dem anderen verließ, malten sich die Spitzberge der Sierra ab wie Türme und phantastische Zinnen, deren Zacken ein dichter, grauer Nebel bekränzte.

Auf den Abdachungen der Sierra deuteten dichte Schatten tiefe Spalten an. Am Fuß des Gebirges erhob sich ein alleinstehender Felsen wie eine vorgeschobene Bastion; er war von der Masse der Berge vollständig getrennt. Hinter der Oberfläche seiner Spitze stürzte sich mit großartigem Brausen ein Wasserfall in einen bodenlos scheinenden Abgrund. Diesseits dieses isolierten Felsenstocks, der sich in Form eines abgestumpften Kegels erhob, zeigte eine bewegliche Linie von kleinen Weiden und Baumwollbäumen die Nähe eines laufenden Wassers an.

Das von dem Rio Gila gebildete Delta war von der Spitze bis zur Basis nur wenig über eine Stunde lang; diese Basis aber hatte eine beinahe dreimal so große Ausdehnung.

Die Dunkelheit wich dem Tage. Die Finsternis stieg von den Bergzacken zur Tiefe herab und machte dem bläulichen Licht des Morgens Platz. Wie aus der ersten noch unklaren Anlage eines Gemäldes tauchten die Spitzen des Gebirges nacheinander aus der düsteren Tinte der Morgendämmerung hervor.

In die Schluchten der stufenförmig übereinander getürmten Bergkolosse drang nach und nach eine unbestimmte Helle. Auf der Oberfläche des isolierten Felsens dehnten zwei Fichten wie zwei ungeheure Gespenster ihre gewaltigen Zweige aus und neigten sich über den Abgrund hin.

Am Fuß dieser Bäume lag das Skelett eines Pferdes und zeigte auf seinen gebleichten Knochen noch die Zierate, die es früher getragen hatte. Die morschen Reste eines Sattels umgaben seine ihres Fleisches beraubten, durchsichtigen Flanken.

Die aus der Dämmerung sich entwickelnde Morgenhelle beleuchtete unheimliche Zeichen. Auf Pfosten, die in gewissen Entfernungen angebracht waren, flatterten Menschenhaare im leichten Wind, Menschenschädel lagen in Haufen oder zerstreut am Boden, und die Bruchstücke von zerschlagenen Waffen aller Art waren in Menge zu finden. Diese Trophäen bildeten das Wahrzeichen, daß ein durch seine Heldentaten berühmter Indianerhäuptling auf der Spitze der natürlichen Pyramide seine letzte Ruhestätte gefunden hatte.

Noch im Tode beherrschte der Häuptling die Ebenen, auf denen sein Kriegsschrei so oft erschollen war und über die ihn das Schlachtpferd getragen hatte, dessen Gebeine nun auf seinem Grabmal vom Tau der Nächte und der glühenden Hitze des Tages gebleicht wurden. Raubvögel flogen krächzend über der einsamen Begräbnisstätte hin und her, gleich als ob ihre häßlichen Stimmen den erwecken sollten, der für immer schlief und dessen Hand nie mehr die Keule schwingen, das Messer führen und ihnen die blutigen Festmahle bereiten konnte.

Der den Nebelbergen gegenüberliegende Horizont erschien in blasser Beleuchtung; rosenfarbene Wölkchen stiegen gegen den Zenit empor. Ähnlich dem ersten Funken einer im Entstehen begriffenen Feuersbrunst, traf wie ein goldener Pfeil der erste Sonnenstrahl die Dünste der Sierra, und nun übergossen Lichtströme die Tiefen der Täler wie mit einem schillernden und glänzenden Flammenteppich.

Der Tag war da, doch wurde die Hügelmasse noch von einem undurchdringlich scheinenden Nebelmantel verhüllt. Aber auch diese Nebel zerteilten sich nach und nach und wurden vom Morgenwind wie ein wallender Vorhang emporgehoben. Dunstflocken blieben kapriziös an den Blättern der Gesträuche hängen oder hüpften von Gipfel zu Gipfel, ließen tiefe Engpässe sehen, an deren Eingang die Opfergaben, mit denen der indianische Aberglaube die Geister der Berge bedacht hatte, sich in großer Menge zeigten, und enthüllten dem Auge wilde Abgründe, in die sich schäumende Wasserfälle stürzten.

Über dem Grab des indianischen Häuptlings sandte der Wassersturz einen feuchten Staub empor und bildete hinter den Gebeinen des Schlachtpferdes flüchtige, schillernde Regenbögen.

Am Fuß des Felskegels, auf dem sich das Grabmal befand, lag ein kleiner See, der jedoch unter den üppig wuchernden Wasserpflanzen kaum zu erkennen war. Zwischen diesem See und den gegenüberliegenden, steil abfallenden Felsen, die mit einem langfaserigen, grünen Pflanzenmantel bekleidet waren, dehnte sich eine enge, tiefe Schlucht, die man aber nicht bemerken konnte, da sie dicht mit blaßblättrigen Weiden und silbrig glänzenden Zitterpappeln eingefaßt wurde. Diese Bäume waren mit allerlei Schlinggewächsen durchwoben und durchzogen, als wolle die verschwiegene Natur das Menschenauge hindern, durch die eng geschlossene Pflanzenwand einen Blick in die Schlucht zu werfen. Aber das Korn des Sandes, der eigentümliche Glanz der umherliegenden Steine, sowie überhaupt die ganze Bodenbeschaffenheit waren geeignet, einen erfahrenen Gambusino zur Aufmerksamkeit zu veranlassen.

Diese Schlucht war das Goldtal, wie Marco Arellano den Ort getauft hatte, der ihn das Leben kostete. –

Cuchillo war noch während der Nacht in der Nähe der Bonanza angekommen; da er aber fürchtete, sich in der Dunkelheit zu verirren, so hatte er haltgemacht, um erst das Morgengrauen abzuwarten. Er hatte zwar die genaue Gestalt der Gegend nicht vergessen, doch sein von Habgier fieberhaft gehendes Herz trieb ihm das Blut sausend nach Ohren und Augen und raubte dem Gesicht die sonst so untrügliche Schärfe.

Trotzdem war es noch ziemlich dunkel, als er in der Nähe des sich über dem Goldtal erhebenden Felskegels ankam, und die feuchten Ausdünstungen verhüllten sowohl die Schlucht als auch den steilen Hügel, auf dem sich das indianische Grabmal befand, mit einem dichten Schleier.

Das dumpfe Rauschen der Kaskade, dessen er sich noch recht gut erinnerte, war für ihn das Zeichen, daß er die Bonanza erreicht hatte, denn er hatte nicht vergessen, daß sich der Wasserfall ganz in der Nähe des Placer in den Abgrund stürzte.

Er war ziemlich sicher, daß niemand seine Flucht aus dem Lager bemerkt hatte, und glaubte auch nicht, daß ihm bei der bedrohlichen Stellung der Wilden jemand folgen werde. Dennoch aber beschloß er, die Pyramide zu ersteigen, um zu sehen, ob sich vielleicht ein lebendes Wesen bemerken lasse.

Vorher aber mußte er sich überzeugen, ob das Placer sich noch in demselben Zustand befand wie vor zwei Jahren, als er es unberührt hatte liegen lassen müssen. Er zog mit den Händen den grünen Vorhang auseinander und warf einen Blick in die Schlucht. Zahlreich wie am Rand des Meeres lagen hier Kiesel von verschiedener Größe aufgehäuft, und es wären Tage erforderlich gewesen, sie zu zählen. Jeder andere Mensch, nur ein Goldsucher nicht, hätte sich durch das Aussehen dieser in die Schlucht geschwemmten Steine täuschen lassen, die in ihrem Äußeren ganz den Verglasungen glichen, die man am Fuß von Vulkanen zu finden pflegt. Ein Gambusino jedoch mußte unter der unscheinbaren Tonhülle das gediegene Metall, das reine Gold erkennen, wie es die Bäche von den Bergen in die Ebenen herabschwemmen.

Der Morgenstrahl drang durch den von Cuchillo geöffneten Pflanzenvorhang in die Schlucht und ließ unzählige geheimnisvolle Blitze aus den Steinen sprühen. Vor den Augen des vor Begierde zitternden Banditen lag der reichste Schatz ausgebreitet, den je ein Menschenauge in der Wildnis erblickt hatte, und er war vollständig überzeugt, daß keine Hand nach ihm diesen Reichtum berührt hatte.

Er ließ die Schlinggewächse wieder fallen und schritt auf den Felskegel zu.

Wenn der verschmachtende Araber sich langsam durch die glühenden Öden der Sahara schleppt, ohne im ausgetrockneten Schlauch einen kühlenden Tropfen für seine brennenden Lippen zu finden; wenn ihn der Samum niederwirft, um ihm den letzten Rest von Lebensfeuchtigkeit aus dem Körper zu ziehen; wenn er dann, schon mit dem Tode ringend, grüne Palmenwedel und den Dunst der Oase am Horizont bemerkt, – dann sind die Freude und der Jubel, die ihn erfassen, dem Wahnsinn gleichzustellen.

Ähnlich erging es Cuchillo bei dem Anblick des goldenen Schatzes. Er erklomm die Pyramide wie im Fieber; seine Glieder zitterten, und vor seinen Augen lag es wie ein Nebel, der ihn hinderte, scharfen Rundblick zu halten. Er mußte sich setzen, nahm aber eine Stellung ein, die es ihm ermöglichte, das Goldtal unablässig im Auge zu behalten.

»Und diesen Reichtum soll ich an andere abtreten!« murmelte er vor sich hin. »Nein und tausendmal nein! Marco Arellano hat sterben müssen, warum sollen die anderen leben? Ihre Begleitung hat mich sicher an Ort und Stelle gebracht; ich bedarf ihrer nicht mehr und werde den Indianern Gelegenheit geben, sie alle zu vernichten.«

Er hielt die Hände über die Augen, nach deren Gefäßen das aufgeregte Blut sich drängte, daß er die Empfindung hatte, als bewegten sich purpurne und feurige Räder vor seinem Gesicht. Es dauerte lange, bis sein Blick die frühere Klarheit wieder erlangt hatte.

Jetzt erhob er sich und hielt von der Höhe seines gegenwärtigen Standpunktes Umschau über die vor ihm liegende Gegend.

»Ich bin allein, vollständig allein und kann –«

Er hielt mitten im Satz inne, denn sein Auge war auf einen Gegenstand gefallen, der ihm nach einer genaueren Betrachtung einen lauten, langgezogenen Schrei der Überraschung entlockte. Dieser Schrei klang gar nicht, als sei er aus einer menschlichen Kehle gekommen, und wurde von den steilen Felsenwänden in gellendem Echo zurückgeworfen.

Das hinter dem Felskegel herabstürzende Wasser, das eine Brücke von flüchtigem Silber über den Abgrund zu dehnen schien, fiel in unregelmäßigen Schwaden, und da funkelte durch die taumelnden Dünste hindurch ein heller, goldener Schein, der von einem Goldblock stammte, den die hundertjährige Wirkung des Wassers freigewaschen hatte.

Durch den feuchten Staub der Kaskade ohne Unterlaß gerieben, erschien dieser Block in seinem ganzen, sinnberückenden Glanz. Er hatte die doppelte Größe einer Kokosnuß und schien infolge seiner bedeutenden Schwere jeden Augenblick seine Kieselhülle verlassen zu wollen, um in dem Abgrund zu verschwinden.

Cuchillo schien den Block durch das bloße Ausstrecken seines Armes erreichen zu können. Mit gierigen Blicken über den Abgrund hingeneigt, warf er die Hände diesem Reichtum, der das Lösegeld eines Königs bilden konnte, entgegen, ohne ihn erfassen zu können. Seine Brust schwoll zum Zerbersten und er drohte, der gewaltigen Gemütsbewegung zu erliegen, wenn nicht ein zweiter, noch unartikulierterer Schrei dem eingepreßten Atem Luft gemacht hätte.

Wie die Augen des Tigers die ahnungslose Beute zu verschlingen drohen, so funkelten die Blicke Cuchillos hinüber nach dem unschätzbaren Goldblock, über dem auf der Höhe des Felsens der Stamm einer jungen, grünen Eiche in einer Spalte wurzelte.

»Er muß mein werden! Von hier aus ist dies unmöglich, ich muß sehen, ob die Eiche zu erreichen ist. An sie befestige ich den Lasso und lasse mich dann hinab, um da Gold herauszubrechen. Vorwärts; kein Sterblicher hat je solch einen Block besessen!«

Er eilte von der Pyramide hinab.

In seiner Aufregung hatte er den Schall eiliger Pferdehufe überhört und die vier Reiter übersehen, die um die nächste Felsenecke gebogen waren.

Don Esteban mit Diaz, Baraja und Oroche hatten die Spuren Cuchillos nicht aus den Augen verloren. Besonders war es Diaz, der furchtbare Indianertöter, der hierbei einen Scharfsinn entwickelte, der die drei anderen in berechtigtes Erstaunen versetzte.

Er ritt mit Arechiza voran, während Baraja und Oroche in einiger Entfernung folgten.

»Was meint Ihr, Señor Diaz«, fragte Don Esteban, »werden wir ihn erreichen, bevor er zur Bonanza kommt?«

»Das kann ich nicht sagen, da mir die Lage der Bonanza unbekannt ist. Soviel aber weiß ich, daß sein Vorsprung vor uns nicht mehr bedeutend ist. Seht hier! Der Huf seines Pferdes hat ein Stückchen Tonschiefer zermalmt, und das Mehl davon ist liegengeblieben. Vor einer halben Stunde hat sich der Morgenwind gedreht. Hätte das Mehl vorher hier an der zugigen Stelle gelegen, so wäre es vom Wind fortgeblasen worden. Es sind also höchstens dreißig Minuten vergangen, seit er hier vorüber ist.«

»Ihr seid ein tüchtiger Pfadfinder, Señor Diaz, und habt der Expedition auch sonst sehr bedeutende Dienste geleistet. Bekommen wir das Placer, so werde ich mit Euch anders rechnen als mit den übrigen.«

Diaz schüttelte den Kopf.

»Ich habe mich Euch nicht der Bonanza wegen angeschlossen, sondern um der Gelegenheit willen, mit der Roten ein vertrauliches Wörtchen sprechen zu können. Euer Gold reizt mich nicht; es ist nur dazu da, den Menschen zu verweichlichen, zu verderben und ihn in die Gewalt des Lasters und die Hände des Teufels zu bringen. Ich verzichte auf meinen Anteil. Nehmt es für Euch oder gebt es den anderen!«

Dasselbe Gold bildete auch den Gegenstand des Gesprächs zwischen den beiden Halunken Baraja und Oroche.

»Was meint Ihr wohl, Señor Baraja«, meinte der Mandolinenspieler, »warum Don Esteban dem Cuchillo nachreitet, obwohl unsere Gegenwart im Lager so notwendig wäre?«

»Hm, ich habe allerdings so meine Meinung darüber. Ehe wir aufbrachen, habe ich den alten Benito gefragt, und Ihr wißt ja, Don Diego, daß dieser Vaquero immer eine gute Ansicht zu haben pflegt.«

»Welche Ansicht hatte er?«

»Er hält Cuchillo für einen Spitzbuben, der nicht wert sei, daß sich ihm so brave und ehrliche Männer anvertrauen, wie wir sind.«

»Dem stimme ich allerdings vollständig bei!«

»Cuchillo hat die Verwirrung des Kampfes, den er ja selbst erst herbeiführte, benutzt, um sich aus dem Staub zu machen. Und wohin wird er gegangen sein?«

»Nach der Bonanza, denke ich.«

»Natürlich! Entweder will er sich ganz von uns trennen, um das Gold für sich allein zu behalten, oder er beabsichtigt, einen Teil erst auf die Seite zu schaffen, ehe er uns das Placer übergibt.«

»Der Teufel soll ihn holen!«

»Der Teufel nicht, sondern wir, Señor Oroche, denn dies und nichts anderes ist die Absicht Don Estebans. Dieser Diaz ist ein ganz famoser Kerl, der sogar auf diesem felsigen Boden die Spur zu finden weiß, als sei sie mit den deutlichsten Buchstaben in die Steine eingegraben.«

»Das ist sein Handwerk«, warf Oroche ein, während er seine Mantelfetzen so malerisch wie möglich über die Schulter warf. »Ein jeder muß sein Gewerbe verstehen, und ich denke, daß ich in dem meinigen auch kein Stümper bin, wie ich Euch gerade jetzt beweisen könnte!«

Baraja horchte auf. Oroche gab vor, ein ausgezeichneter Gambusino zu sein. Befand er sich vielleicht gerade jetzt in der Lage, dies durch die Tat bekräftigen zu können?«

»Ihr seid, wie jedermann weiß, einer der trefflichsten Goldfinder, die es geben kann, Señor Oroche, und es sollte mich allerdings freuen, wenn Ihr dieser guten Meinung jetzt, da wir uns der Bonanza nähern, entsprechen könntet.«

»Das vermag ich allerdings, Don Baraja«, antwortete der Aufgeforderte, stolz die langen Locken schüttelnd. »Seht Euch doch einmal die Art und das Gefüge der Gesteine hier an, so werdet Ihr sehr bald etwas sehr Wichtiges bemerken.«

Baraja ließ das Auge aufmerksam umherschweifen.

»Ich bemerke leider nichts.«

»Das ist nicht zu verwundern, denn Ihr seid kein Gambusino, dessen Auge für solche Erscheinungen geübt ist. Wenn mich nicht alles täuscht, so befinden wir uns in einer Gegend, die außerordentlich goldreich ist, und wer die rechte Zeit hätte, hier zu suchen, könnte vielleicht viel, sehr viel finden.«

»Vielleicht ist die Bonanza in der Nähe!«

»Sehr wahrscheinlich. Seht Ihr, wie aufmerksam Diaz wird? Er hat nur Augen für die Spur und reitet langsamer und vorsichtiger als vorher.«

In diesem Augenblick erscholl der erste Schrei Cuchillos,

Die vier Reiter hielten an.

»Was war das?« fragte Don Esteban.

»Sollte dies eine menschliche Stimme sein?« antwortete Diaz.

»Ich kenne kein Tier, das solche Töne hervorbringt.«

Der Schrei wiederholte sich.

»Das ist ein Mensch«, erklärte Arechiza, »aber ein Mensch in fürchterlicher Aufregung, in einer ganz ungewöhnlichen Ekstase. Das Echo verhindert zu hören, wo er sich befindet.«

»Jedenfalls in der Nähe. Bleibt zurück, Don Esteban, und laßt mich erst die Gegend erkunden. Man muß immer vorsichtig sein.«

Er lenkte sein Pferd behutsam um die nächste Felsenecke, wo er den Felskegel und seine Umgebung von der Seite, woher er gekommen war, vollständig überblicken konnte. Sofort fiel ihm ein Gegenstand in die Augen, der von größter Wichtigkeit war: der Schimmel Cuchillos. Das Tier stand zwischen der Pyramide und dem Goldtal; es war nicht angepflockt; sein Herr mußte sich also in der Nähe befinden.

Mit einigen raschen Sätzen hatte Diaz es erreicht, nahm es beim Zügel und brachte es hinter die Felsenecke zurück.

»Hier, Don Esteban, habt Ihr einen Anhalt darüber, wer den Schrei ausgestoßen hat!«

»Cuchillo!«

»Ja. Es war ein Schrei des Entzückens. Er hat die Bonanza gefunden und im Jubel darüber die Vorsicht vergessen.«

»Wo ist er?«

»Ich sah ihn nicht.«

»So müssen wir ihn suchen. Wir steigen ab und umgehen diesen Felsen. Auf diese Weise werden wir ganz sicher auf ihn stoßen.«

»Es ist nicht nötig, dieses Grabmal zu umgehen. Wir haben seine Spur und werden ihr folgen. Das ist genug.«

Sie stiegen ab, koppelten die Pferde an und folgten Diaz, der Schritt um Schritt den für ein anderes Auge völlig unsichtbaren Fußspuren Cuchillos nachging. Als sie an dem Placer vorüberschritten, blieb Oroche unwillkürlich stehen und heftete sein Auge auf den Boden.

»Was gibt es, Señor Oroche?« fragte Baraja.

»Etwas unendlich Wichtiges. Seht Euch einmal diese Felsenritze an!«

»Warum?«

»Bemerkt Ihr nichts Auffallendes an ihr?«

»Nein. Ich sehe nur den Sand, den das Wasser in ihr abgespült hat.«

»Nun wohl, Señor Baraja, ich bin ein Gambusino und wette meinen Kopf gegen eine Kaktuskugel, daß dieser Sand wenigstens fünfzehn Prozent Gold enthält.«

»Ah! Wir müssen Don Esteban darauf aufmerksam machen!«

»Was fällt Euch ein! Die Ritze ist tief. Wer weiß, wie viele Pfunde Goldstaub sie enthält. Wollt Ihr einen solchen Fund verschenken?«

»Ihr habt recht, Señor Oroche; es wäre Torheit!«

»Ihr mögt es als einen Beweis meiner ganz besonderen Freundschaft für Euch anerkennen, daß ich Euch diese Entdeckung mitgeteilt habe. Ein anderer aber soll nichts davon erfahren. Wenn zwei teilen, erhält man mehr als wenn vier oder gar noch mehr ihren Anteil fordern.«

Sie folgten den beiden anderen. Baraja hatte mit seiner Absicht, die Entdeckung Arechiza mitzuteilen, nur seinen Kameraden erproben wollen, und dieser wieder ärgerte sich jetzt, den Fund nicht vollständig verschwiegen zu haben. Es waren zwei Männer, von denen der eine geradeso wenig wert war wie der andere.

»Halt!« erscholl da die Stimme Diaz'.

Er hatte Cuchillo erblickt, der von der Pyramide gestiegen war und eben im Begriff stand, sich zu seinem Pferd zu begeben.

Der Angerufene blieb beim Anblick seiner Verfolger einen Augenblick lang erschrocken stehen; dann aber wandte er sich, um die Flucht zu ergreifen. Nur die Überraschung war schuld, daß er sich zu diesem unklugen Schritt entschloß, mit dem er die ganze Absicht seiner Entfernung vom Lager verriet.

Zwei Hähne knackten hinter ihm. Don Esteban und Diaz hatten ihre Büchsen zum Schuß erhoben.

»Steht, Cuchillo, sonst seid Ihr verloren!« befahl der Graf.

Der verräterische Wegführer der Expedition wandte sich um. Sein Auge glühte, man konnte nicht unterscheiden, ob vor Haß und Rache oder vor Wut über die unerwartete Überrumpelung.

»Was sucht Ihr?«

»Euch. Tretet näher!«

»Ich habe mit Euch nichts mehr zu schaffen!«

»Aber wir desto mehr mit Euch! Tretet näher, sage ich zum letztenmal! Wenn Ihr glaubt, ich scherze, so könnt Ihr sofort erfahren, daß ich im Ernst handle.«

Cuchillo trat langsam und zögernd herbei.

»Warum habt Ihr Euch gestern vom Lager fortgeschlichen?«

»Fortgeschlichen? Das ist mir nicht eingefallen, Don Esteban. Ich bin frank und frei davongeritten, und wenn Ihr es nicht sofort bemerkt habt, so fällt die Schuld nicht auf mich, sondern nur auf Euch.«

»Ich streite natürlich nicht mit Euch, Cuchillo, aber das ist sicher: wer ohne meine Erlaubnis öffentlich oder im geheimen das Lager verläßt, ist ein Verräter und wird als solcher behandelt!«

»Gerade weil man mich für einen Verräter hielt, bin ich fortgegangen. Ich bin der Mann, durch den die Expedition in den Besitz von Millionen kommen soll, und habe nicht Lust, dafür von mir sagen zu lassen, daß ich die Indianer auf Eure Fährte bringe.«

»Gut! Ihr seid der Mann, der uns Millionen versprochen hat. Wo ist die Bonanza?«

»Ich habe sie noch nicht wiedergefunden.«

»Ihr habt sie!«

»Nein!«

»Erinnert Euch, Cuchillo! Als ich Euch anstellte, gab ich Euch zu verstehen, daß ich jede und auch die kleinste Untreue streng bestrafen würde. Ich rufe Euch dies in: Gedächtnis zurück, weil in diesem Augenblick Euer Leben an einem einzigen, dünnen Haar hängt! Wo ist die Bonanza?«

»Ich muß sie erst suchen!«

»Nun wohl! Ich gebe Euch genau fünf Minuten Zeit sie zu finden. Ist diese Frist verstrichen, ohne daß Ihr uns das Placer zeigt, so erhaltet Ihr vier Kugeln.«

»Das würde Euch nichts nützen, denn ohne mich entdeckt Ihr das Goldtal nie.«

»Meint Ihr?« lächelte Don Esteban spöttisch. »Ihr seid so unvorsichtig gewesen, mir die Gegend ganz genau zu beschreiben, und ich sehe sie jetzt in all ihren Einzelheiten vor mir liegen. Die Bonanza ist hier, ich wette, nicht weiter als in einem Umkreis von höchstens hundert Schritten. Sobald Ihr die Kugeln habt, werden wir suchen und das Gold entdecken.«

Cuchillo knirschte mit den Zähnen.

»Ihr werdet nichts finden!«

»Spart Eure unnützen Behauptungen! Ihr habt nur noch drei Minuten Zeit. Seht, wie gut diese Leute zielen!«

Diaz, Baraja und Oroche hielten ihre Gewehre auf den Verräter gerichtet, bereit, auf ein Wort Don Estebans loszudrücken.

Cuchillo versuchte den letzten Trumpf.

»Wollt Ihr heute zum Mörder werden, gerade wie damals in der Nacht auf Elanchove, wo Ihr Eure eigene Schwägerin, die Gräfin Luisa von Me –«

»Ja«, fiel ihm Arechiza donnernd in die Rede, »ich will an Euch zum Mörder werden, wie Ihr es an dem armen Marco Arellano geworden seid, dem Ihr wegen der Bonanza das Leben genommen habt!«

Cuchillos Fäuste ballten sich; seine Lippen bebten; er hatte ganz das Aussehen eines wilden Tieres, das sich auf einen Todfeind stürzen will, und die Wut hatte ihn in der Weise übermannt, daß er seine gewöhnliche Vorsicht vollständig vergaß.

»Euch gegenüber brauche ich nicht zu leugnen. Arellano war so dumm, mir die Bonanza zu verraten, und mußte dafür zugrunde gehen. Das verstand sich ganz von selbst, und jeder andere hätte es ebenso wie ich gemacht. Er war mir fremd, Doña Luisa de Mediana aber war Eure Schwägerin und –«

»Schweigt!«

»Nein, ich schweige nicht. Wir befinden uns hier in der freien Steppe und nicht auf dem Piratenschiff, wo hinter Eurem Befehl der Tod stand. Ich heiße jetzt Cuchillo und nicht mehr Juan und habe gegen Euch nicht mehr die Verpflichtung wie damals, als Ihr mir gebotet, die Gräfin zu erdolchen. Ich sage euch, Diaz, Baraja und Oroche, daß dieser –«

»Schweigt!« gebot Arechiza, bebend vor Aufregung, »sonst –«

»Daß dieser Mann«, fuhr Cuchillo unbeirrt mit erhöhter Stimme fort, »der Graf Antonio de Mediana ist, der seine eigene Schwägerin ermorden ließ und ihren Sohn, den kleinen Fabian de Mediana, erbarmungslos auf der See aussetzte, um –«

Der Schuß Don Estebans krachte. Cuchillo hatte während des Sprechens das Auge scharf auf den Zeigefinger des Grafen gehalten und sich, sobald er den Drücker berührte, zur Seite geworfen. Die Kugel flog hart an seinem Kopf vorüber.

»Schießt, schießt doch!« gebot Arechiza den drei anderen.

Baraja und Oroche wollten diesem Gebot Gehorsam leisten, sahen sich aber durch Diaz verhindert. Dieser schlug die Läufe ihrer Gewehre nieder und sprang zwischen Don Esteban und Cuchillo, um einem Zusammenstoß zuvorzukommen.

»Halt, keinen Schuß!« rief er.

»So schlage ich ihn nieder!« schäumte Arechiza.

»Das mögt Ihr tun, wenn es Euch nicht anders beliebt; zuvor aber wird mir Señor Cuchillo einige Fragen beantworten!«

»Wie, Ihr wollt mir Widerstand leisten, Diaz?«

»Nein. Vergangene Dinge und alles, was Ihr mit Cuchillo habt, gehen mich nichts an; aber hinsichtlich der Bonanza werde ich mir einige Auskunft holen müssen.«

»So fragt ihn!« meinte Arechiza beruhigt, da er die Absicht des Indianertöters nicht ahnte.

Diaz stemmte den Kolben seines Gewehrs auf die Erde, legte die Arme über die Mündung des Laufes und stellte sich fest und breitspurig Cuchillo gegenüber. In seiner malerischen Kleidung und dieser Stellung hatte er ganz das Aussehen eines Mannes, der sehr genau weiß, was er will.

»Señor Cuchillo, ich denke, Ihr kennt mich ein wenig!«

Der Angeredete zog vor, zu schweigen, und Diaz' Vorhaben erst kennenzulernen.

»Ich bin ein Mann«, fuhr dieser fort, »der für jede Rothaut eine Kugel hat, aber niemals eines Weißen Richter ist, wenn dieser mich tun läßt, was mir gefällt. Dies will ich Euch zu Eurer Beruhigung sagen. Auch will ich nicht nach der Bonanza forschen, denn ich glaube, ich habe kein Recht, auch nur den geringsten Teil von ihr zu besitzen. Aber das könnt Ihr mir wohl sagen: Hat Marco Arellano sie vor Euch gekannt?«

»Ja.«

»Warum hat er sie nicht gehoben?«

»Die Indianer hinderten ihn.«

»Dann hat er Euch sein Geheimnis mitgeteilt?«

»Ja.«

»Und Euch mitgenommen, um sie mit ihm auszubeuten?«

»So ist es. Wir mußten wieder fliehen und – er starb unterwegs.«

»Er starb! Das ist wenig und auch viel. Wißt Ihr vielleicht, daß er einen Sohn hat?«

»Ihr meint Tiburcio Arellano? Ihr wißt doch, daß ich ihn kenne!«

»Allerdings, Señor Cuchillo. Ich mag meine Fragen vielleicht nicht genauso aussprechen wie andere Leute, aber das tut nichts zur Sache. Ich glaube, Ihr seid viel in der Welt herumgekommen. Kennt Ihr vielleicht die Gesetze der Berge, der Savanne und das stillschweigende Übereinkommen aller braven und ehrlichen Gambusinos?«

»Ich denke!«

»Gut! So wißt Ihr auch, daß jede Bonanza ohne Widerrede dem gehört, der sie entdeckt hat, außer es kommt, wenn er an der Ausbeutung verhindert wurde und sich entfernte, ein anderer, der sie ebenso entdeckte – versteht Ihr wohl, entdeckte!«

»Was wollt Ihr damit sagen, Señor Diaz?«

»Daß wir nicht ausgezogen sind, die Bonanza hier zu entdecken, sondern sie aufzusuchen, und darin liegt ein großer Unterschied. Ihr hattet kein Recht, Don Esteban Euer Geheimnis mitzuteilen, denn es gehörte nicht Euch, sondern dem Erben von Marco Arellano.«

»Tiburcio?« fragte Cuchillo verwundert.

»Tiburcio!« bekräftigte Diaz.

»Seid Ihr wahnsinnig, Señor?«

»Ich bin so vollständig bei Sinnen, daß mir selbst Eure Millionen nicht die Überlegung rauben können.«

»Marco Arellano hat mich zum Eigentümer des Geheimnisses gemacht, und ich konnte also damit tun, was mir beliebte.«

»Ihr irrt Euch«, antwortete Diaz mit einer Ruhe, als handle es sich um einen vollständig wertlosen Gegenstand. »Marco Arellano hat Euch das Geheimnis nicht geschenkt, sondern nur anvertraut – versteht Ihr wohl, anvertraut! Wäret Ihr dieses Vertrauens würdig gewesen, so hättet Ihr im Falle der Ausbeutung Gold erhalten, das nicht etwa Euer rechtmäßiger Anteil, sondern nichts anderes als ein allerdings sehr hoher Arbeitslohn gewesen wäre. Durch die Ermordung von Marco Arellano seid Ihr unrechtmäßiger Besitzer des Geheimnisses geworden. Von der Bonanza gehört Euch höchstens soviel, als Tiburcio Euch für die Mitteilung des Geheimnisses bieten würde. Ich erkläre hiermit, daß nur ihm allein das Placer gehört. Wäret Ihr ein redlicher Mann, Señor Cuchillo, so hättet Ihr nicht eher an eine Expedition gedacht, als bis Ihr mit ihm gesprochen hattet!«

»Ihr seid wirklich so sehr bei Sinnen, daß Ihr einen mehr habt als andere Leute!« spottete Cuchillo trotz der mißlichen Lage, in der er sich befand.

»Wenn Ihr die Ehrlichkeit oder das Gewissen meint, so habt Ihr allerdings recht«, entgegnete Diaz kalt. »Ich an Eurer Stelle hätte geradeso gehandelt, wie ich sage. Ihr könnt zwar tun und lassen, was Euch gefällt, nun ich aber weiß, daß Marco Arellano der erste Entdecker der Bonanza war und durch Eure Hand gefallen ist, halte ich sie für das Eigentum seines Sohnes Tiburcio und werde mich nicht an dem kleinsten Körnchen des Goldes vergreifen!«

»So sagt Ihr Euch von uns los oder wollt vielleicht gar diese vermeintlichen Rechte des Tiburcio Arellano verteidigen?« fragte jetzt Arechiza, der der eigentümlichen Verhandlung mit Spannung gefolgt war.

»Die Arellanos sind mit mir nicht verwandt. Ich habe weder Marcos Tod zu rächen, noch für die Rechte seines Sohnes zu kämpfen und bleibe also bei Euch, solange Ihr mir nicht zumutet, etwas zu tun, was zur Erlangung des Goldes führen soll. Mein Gewehr also wird Cuchillo nicht zwingen, die Bonanza zu verraten!«

Cuchillo atmete erleichtert auf; Baraja und Oroche blickten mit stillem Erstaunen auf den Mann, der so unbegreifliche Ansichten an den Tag legte, Don Esteban aber entgegnete, schwankend zwischen Spott und Zorn:

»Laßt mich Euch bewundern, Señor Diaz! Ihr aber, Cuchillo, seid jetzt nicht besser dran als vorher. Wo ist die Bonanza? Eure fünf Minuten sind abgelaufen!«

Auf einen Wink von ihm erhoben Baraja und Oroche ihre Gewehre wieder. Diaz trat zurück und musterte scheinbar teilnahmslos die Umgebung; es war ihm jetzt völlig gleich, ob der Mörder eine Kugel erhielt oder nicht.

Eins der hinter der Felsenecke stehenden Pferde wieherte; Cuchillo vernahm den Ton und wußte nun, wo sein Tier sich befand. Er maß mit dem Auge die Entfernung, die es zu durchlaufen galt. Aber Arechiza war ein scharfsichtiger Gegner. Auch er hatte das Wiehern vernommen, und als er den Blick Cuchillos bemerkte, ahnte er sofort dessen Absicht und verlegte ihm, die Büchse zum Schuß bereit haltend, den Weg.

»Glaubt ja nicht, uns zu entkommen! Wo ist die Bonanza?«

»Ich weiß es nicht!« behauptete knirschend Cuchillo.

Er hatte seinen Karabiner am Sattelknopf seines Pferdes gelassen und sah sich mit dem Dolch den auf ihn gerichteten Büchsen wehrlos gegenüber.

»Und dennoch«, behauptete Arechiza, »werden wir in wenigen Augenblicken das Placer wissen oder Ihr seid tot. Ich zähle bis drei; bei drei drücken wir los.«

Cuchillo strengte sein Gehirn vergebens nach einem Ausweg an.

»Eins!«

Der Schweiß trat ihm auf die Stirn, aber er schwieg.

»Zwei!«

Es flimmerte dem Bedrängten vor den Augen. Eins mußte er lassen, das Leben oder das Gold, und beides hatte fast den gleichen Wert für ihn.

»Dr –!«

»Halt!« keuchte er. »Ihr sollt es erfahren!«

»Keine Sekunde zu früh, Cuchillo«, lächelte Don Esteban. »Es muß ein außerordentliches Placer sein, da Ihr Euch um seinetwillen den Tod so nahe treten laßt!«

Cuchillo antwortete nicht. Wie im Traum trat er zu dem grünen Vorhang, der das Goldtal verhüllte, und schob die Schlinggewächse auseinander.

»Hier – so nahe?« fragte Arechiza überrascht und schlüpfte durch die Öffnung.

Im nächsten Augenblick standen Baraja und Oroche neben ihm. Alle drei stießen beim Anblick des beispiellosen Reichtums laute Rufe des Entzückens aus. Don Esteban stand todesbleich neben den beiden anderen, die sich zu Boden geworfen hatten und gierig in den Nuggets wühlten. Durch die Beschreibungen Cuchillos waren große Hoffnungen in ihm erweckt worden; eine so überschwengliche Menge des reinsten, gediegenen Metalls aber hatte er nicht erwartet. Der Atem versagte ihm; seine Pulse fieberten; die Beine zitterten und er mußte sich an den Zweigen festhalten, um sicher stehen zu können.

Da gewahrte er, daß Baraja und Oroche sich die Taschen zu füllen begannen.

»Halt! Der Schatz gehört nicht euch allein. Legt die Stücke wieder hin!«

Oroche erhob sich. Mantel und Hut waren ihm entfallen. Seine lange, hagere Gestalt stand mit den vor Aufregung verzerrten Zügen wie ein Gespenst vor Arechiza.

»Don Esteban, ich gebe Euch für jeden dieser Steine einen Schluck meines Blutes. Trinkt mich tot, aber laßt mir einmal die Wonne, meine Taschen voll zu haben!«

Auch Baraja richtete sich empor.

»Señor, rechnet aus, wieviel mir gehört! Ich weiche keinen Schritt von dieser Stelle, bis ich meinen Anteil habe.«

In den Augen der beiden Menschen lag jene düstere Glut, die ein Vorbote des Wahnsinns ist. Sie waren unrettbar gepackt worden von dem finsteren Geist, der sich nach der nordamerikanischen Sage hinter dem ›deadly dust‹, dem ›tödlichen Staub‹ versteckt, um dem menschlichen Körper die lebendige Seele zu rauben. Obgleich selbst in größter Aufregung, erkannte Don Esteban die Gefahr, in der er sich mit ihnen befand. Er raffte sich zusammen und zog seine Pistole.

»Wer nicht augenblicklich das Gold von sich legt, den schieße ich nieder!«

Sie kannten seine Strenge, doch die Angst vor ihm war nicht größer als ihre Gier nach dem verführerischen Metall.

»Schießt los. Auch wir haben Kugeln!«

Sie erhoben beide ihre Gewehre.

Arechiza befand sich in einer keineswegs beneidenswerten Lage, aber jetzt, wo es seiner ganzen Geistesgegenwart bedurfte, war seine Kaltblütigkeit wieder zurückgekehrt.

»Wer hier kämpfen will, verzichtet auf das Glück, einen Reichtum zu besitzen, um den ihn ein König beneiden würde. Legt die Waffen ab und gebt die Nuggets zurück. Wir werden unsere Pferde mit soviel Gold beladen, wie sie außer uns zu tragen vermögen; morgen wird das übrige geholt, und dann erhält ein jeder soviel, wie er zu fordern hat.«

Dies beruhigte die beiden Männer, die, sonst nur zu feigen, hinterlistigen Taten fähig, aus der Goldgier den Mut zu einer offenen Drohung geschöpft hatten. Dennoch gaben sie nur zögernd die Nuggets zurück, ehe sie wieder durch den grünen Vorhang schlüpften.

Als Arechiza sich umsah, bemerkte er nur Diaz, der auf einem Felsstück saß und ruhig am Lauf seines Gewehrs herumputzte, als befände er sich in einer sicheren Venta und nicht in der gefährlichen Nähe eines solchen Schatzes.

»Wo ist Cuchillo?«

»Quien sabe – wer weiß es!« antwortete er gleichmütig.

Don Estebans Auge blitzte zornig auf.

»Ihr wißt es nicht? Wie konntet Ihr zugeben, daß er sich entfernte?«

Diaz erhob sich und blickte dem Sprecher gerade ins Gesicht.

»War er mein Gefangener, Don Esteban?«

»Der unsrige und also auch der Eurige!«

»Ihr irrt, Señor. Seit ich weiß, daß die Bonanza nicht uns gehört, kenne ich keine Verpflichtung mehr, die sich auf das Gold bezieht. Das habe ich Euch bereits gesagt, und Ihr werdet zugeben, daß es unnötig ist, weiter darüber zu sprechen. Es ist mir gleichgültig, was Ihr tut, nur ersuche ich Euch, mich nicht beim Heben dieses Schatzes in irgendeiner Weise für Euch verwenden zu wollen!«

»Hat er mit Euch gesprochen?«

»Nein. Er ging, stieg auf sein Pferd und ritt davon. Das ist alles, was ich weiß.«

Der Grimm über die erneute Flucht Cuchillos war Arechiza deutlich anzusehen, doch bezwang er sich. Die ruhige, selbstbewußte Haltung des ehrlichen, unbestechlichen Diaz flößte ihm wider Willen Achtung ein.

»So wißt Ihr auch nicht, welche Richtung er eingeschlagen hat?«

»Die nach dem Lager.«

»Dann hat er neue, verräterische Absichten. Hätte er sich nach den Bergen gewandt, so wäre die Absicht zu vermuten, sich nach unserem Weggehen von hier an der Bonanza zu bereichern. Da er aber hinaus nach der Ebene ist, so vermute ich, daß er uns die Indianer schicken will. Wir müssen ihm also schleunigst folgen. Holt schnell die Pferde!«

Baraja und Oroche folgten dieser Aufforderung; die Decken wurden ausgebreitet, die soviel von dem Gold aufnahmen, wie man den Kräften der Pferde eben zutrauen konnte.

»Señor Diaz, wollt Ihr uns Eure Sarape leihen?« fragte Arechiza.

»Zu diesem Zweck nicht«, antwortete Diaz. »Gebietet über mich in jeder Beziehung, nur in dieser nicht!«

Trotz alledem konnte der Führer der Expedition keinen rechten Zorn auf den Indianertöter empfinden. Diaz war die hervorragendste Persönlichkeit des ganzen Trupps, zumal nachdem dieser im gestrigen Kampf so sehr gelichtet worden war, und Strenge wäre hier sicherlich ganz am falschen Platz gewesen.

Das Gold wurde den drei Pferden aufgeladen, und schon machte sich Don Esteban bereit, aufzusteigen, als ein Ruf erscholl, der ihn zaudern Heß.

»Halt!« ertönte es mit einer Stimme, die dem Donner glich, der durch schwelende Wolken fährt.

Die vier Männer blickten auf.

Droben auf der Pyramide, hart am Rand ihrer oberen Fläche stand eine hohe, breite, hünenhafte Gestalt, die schwere Büchse im Anschlag.

»Der Tigertöter!« rief erschrocken Baraja. »Was tut er hier? Er hat uns beobachtet und wird uns das Gold rauben!«

Rechts und links zu Füßen des riesigen Jägers blickten zwei andere Büchsenläufe zwischen den Steinen hervor.

»Wer sich von der Stelle rührt, ist verloren!« erscholl seine Stimme wieder.

»Was wollt Ihr von uns?« fragte Diaz, der zwar überrascht gewesen, aber nicht aus der Fassung gekommen war.

»Zweierlei: den Mann, den ihr Esteban de Arechiza nennt und sodann das Placer, von dem kein Körnchen euch gehört!«

»Mit welchem Recht fordert Ihr das?«

»Wir haben mit Esteban Arechiza ein Savannengericht zu halten, und das Goldtal gehört Tiburcio Arellano, dem Sohn seines Entdeckers.«

»Ist Tiburcio selbst bei Euch?«

»Ja.«

»Er mag sich zeigen!«

Fabian de Mediana erhob sich.

Ein Laut des Entsetzens entfuhr Arechiza, Baraja und Oroche. Sie hatten Tiburcio für tot gehalten, ertrunken in den Fluten der Stromschnellen, und jetzt sahen sie ihn, hoch aufgerichtet und in voller Frische und Gesundheit, oben auf dem Felskegel stehen.

»Die Bonanza gehört mir! Wer will sie mir streitig machen?« rief er hinab.

»Ihr habt recht: sie gehört nur Euch allein!« antwortete Diaz. »Darum habe ich, noch bevor ich wußte, daß Ihr zugegen seid, auch nicht ein Stäubchen von ihr angerührt. Das übrige aber mögt Ihr mit diesen Señores selbst abmachen.«

»Gut, so sind drei gegen drei!« ließ sich die Stimme des Kanadiers wieder vernehmen. »Herunter von den Pferden mit dem Gold!«

Arechiza hatte bisher geschwiegen. Er war beim Anblick des Totgeglaubten aufs heftigste erschrocken und sann auf einen Ausweg aus der schwierigen Lage, in die er sich so unerwartet versetzt sah. Es war ihm klar, daß die drei Männer ihm von der Hacienda aus gefolgt waren, um Rache an ihm zu nehmen; er kannte den Ruf, in dem Tiburcio stand; er hatte an der Zisterne ein überzeugendes Beispiel von dem Mut, der Festigkeit und Geschicklichkeit der beiden anderen gesehen; und dazu kam schließlich, daß er sich nicht mehr auf Diaz verlassen konnte. So hatte er aus reiner Ratlosigkeit den Indianertöter bisher die Unterredung führen lassen. Jetzt aber hielt er es für notwendig, selbst das Wort zu ergreifen.

»Ihr habt kein Recht zu dieser Forderung. In der Savanne gilt das Recht des ersten, und wir sind vor euch hier gewesen.«

»Und Marco Arellano vor euch.«

»Der lebt nicht mehr; seine Ansprüche sind mit seinem Tod erloschen.«

»Habt ihr die Bonanza entdeckt oder seid ihr zu ihr geführt worden?«

»Geführt.«

»Durch wen?«

»Durch Cuchillo.«

»Wo ist er?«

»Entflohen.«

»Hättet ihr das Placer entdeckt, so wollten wir eure Ansprüche in Beratung ziehen; da dies aber nicht der Fall ist, so bleibt es bei meinem Befehl: Herunter von den Pferden mit dem Gold!«

Keiner von den dreien machte Miene, diesem Gebot Folge zu leisten.

»Zum letzten Male: herunter!«

Don Esteban schickte sich zu einer weiteren Entgegnung an, kam aber zu spät. Zwei Schüsse krachten von dem Felskegel herab, wenige Augenblicke später ein dritter, und während der Kanadier die Untenstehenden mit seiner Büchse im Schach hielt, stürzten die mit dem edlen Metall beladenen Pferde durch das Auge getroffen zur Erde.

Unwillkürlich erhob Arechiza seine Büchse, die er bisher gesenkt gehalten hatte, weil er wohl wußte, daß ihn jede mit der Waffe ausgeführte drohende Bewegung das Leben kosten konnte.

»Nieder mit der Flinte!« donnerte Bois-rosé.

Sofort ließ Don Esteban das Gewehr wieder sinken. Er stand Männern gegenüber, denen er nicht gewachsen war. Jetzt erhob sich auch Pepe aus seiner geschützten Stellung auf der Platte der Pyramide. Dem früheren Miquelete dauerte die Verhandlung zu lange.

»Santa Lauretta, ist das ein langsames Treiben hierzulande. Laß mich weitermachen, Bois-rosé!«

Und sich nach unten wendend, fuhr er fort:

»So, das ist abgemacht! Jetzt aber haben wir ein Wort mit Euch zu sprechen, Herr Graf Antonio de Mediana. Wir klagen Euch an des Kindesraubes und des Mordes an Eurer Schwägerin, der Gräfin Luisa. Wir werden über Euch zu Gericht sitzen; die anderen aber können gehen, wie sie gekommen sind!«

Sofort waren Baraja und Oroche um die Pyramide verschwunden. Der Anblick der beiden Jäger und besonders Fabians, gegen den sie sich des Mordversuchs schuldig gemacht hatten, war von so ernüchternder Wirkung auf sie gewesen, daß sie sofort den Wert des Lebens wieder erkannten und von der ihnen so unerwartet erteilten Erlaubnis den schleunigsten Gebrauch machten. Noch war ja nicht alles verloren, und wenn sie sich so wenig wie möglich von der Bonanza entfernten, konnten sie das Vorgehende beobachten und vielleicht Gelegenheit erhalten, eine, wenn auch nur kleine, goldene Ernte vorzunehmen.

Diaz hatte mit widerstreitenden Gefühlen zu kämpfen.

Die vorhergegangenen Eröffnungen Cuchillos hatten ihn eine dunkle Tat aus dem Leben Don Estebans kennenlernen lassen. Er mußte mit Gewißheit annehmen, daß die Anklage, die Pepe diesem von der Felshöhe herab entgegengeschleudert hatte, auf Wahrheit beruhte, und doch sprach eine innere Stimme zugunsten seines bisherigen Führers und Gebieters. Dieser war kein gewöhnlicher Mann, hatte ihn stets den anderen vorgezogen und rechnete jedenfalls auf seine Unterstützung. Durfte er dieses Vertrauen täuschen?

Noch war nichts bewiesen –; er beschloß, ihm die Flucht zu ermöglichen.

»Auch ich darf gehen?« fragte er zur Höhe empor.

»Auch Ihr.«

»Mit meinem Pferd?«

»Ja, es trägt kein Gold. Steigt auf!«

Diaz trat zu seinem Tier, und während er tat, als habe er an Sattelgurt und Riemenzeug zu schnallen, flüsterte er Arechiza seinen Plan zu.

Noch immer waren die drei Büchsen von oben herabgerichtet; Diaz aber wußte jetzt, daß man ihn schonen wollte. Er schwang sich auf und gab seinem Pferd die Sporen so kräftig, daß es mit einem einzigen Satz bis gerade vor Don Esteban schnellte. Im nächsten Augenblick saß dieser vor Diaz und von dessen breiter Figur gedeckt im Sattel und im schnellsten Lauf jagte das Tier mit seiner doppelten Last davon.

*

Als Bois-rosé, Pepe Dormilón und Fabian auf ihrer schwimmenden Insel den Indianern so glücklich entronnen waren, bestand ihre erste Aufgabe nun darin, die Bonanza so schnell wie möglich zu finden. Sie war ja der Ort, nach dem die Mörder der Gräfin de Mediana und des Marco Arellano unterwegs waren.

»Sag, mein Sohn, wirst du das Placer finden?« fragte Bois-rosé.

»Sicher, mein Vater! Ich habe die Zeichnung bei mir, die meine Mutter mir übergab. Sie ist sehr genau und vollständig, so daß ein Irrtum gar nicht vorkommen kann.«

»Willst du sie uns einmal zeigen?«

Fabian suchte das unter seinem Jagdanzug sorgfältig verborgene Blatt hervor. Die drei Jäger setzten sich zur Erde, und der junge Mann erklärte:

»Hier dieser Strich bedeutet den Rio Gila, der von Osten nach Westen fließt. Er bildet hier an dieser Stelle zwei Arme, von denen der linke seine ursprüngliche Richtung beibehält, der rechte aber nach Nordwest abbiegt, die dort liegenden Berge durchschneidet und dann nach Südwest zu dem anderen Arm zurückkehrt. So entsteht ein Dreieck, in dessen oberster Spitze die Nebelberge liegen. Wir sind heute nacht an der Stelle, wo der Gila sich teilt, vorübergeschwommen und befinden uns am linken Arm, in der Nähe des Punktes, wo er den rechten wieder aufnimmt. Gehen wir also an diesem aufwärts, so erreichen wir die Berge von der dem Lager der Goldsucher entgegengesetzten Seite. Innerhalb der Ecke, die der rechte Arm nach Südwest umfließt, liegen nebeneinander fünf Berge, die hier eingezeichnet sind. Der mittlere von ihnen fällt nach Süden steil ab und bildet da eine Felswand, an der ein Wasserfall zur Tiefe stürzt. Diesem Fall gegenüber erhebt sich das Grabmal eines Indianerhäuptlings, und höchstens dreißig Schritte davon nach Osten liegt das Goldtal, das von einer dichten Wand von Weidenbäumen und Silberpappeln verborgen ist. Unweit davon liegt ein kleiner See, dessen Oberfläche so mit grünen Wasserpflanzen überzogen ist, daß man das Wasser kaum zu sehen vermag. So hat mein Pflegevater, bevor er nach Tubac ging, um das Apatschenland zum zweitenmal aufzusuchen, meiner Pflegemutter das Placer beschrieben, und diese Zeichnung hier stimmt so genau damit überein, daß wir die Bonanza so sicher finden werden wie unser Messer, wenn wir in den Gürtel greifen.«

Bois-rosé blickte nachdenklich vor sich hin.

»Wir befinden uns also«, überlegte er endlich, »südwestlich von dem Placer, und das Lager der Mexikaner südöstlich von ihm. Wenn ich mich nicht irre, so haben die Goldsucher geradeso weit zum Goldtal wie wir. Wie mir scheint, haben sie gestern abend die Roten geschlagen, und es ist nicht ganz unwahrscheinlich, daß sie oder doch einige von ihnen bereits am Morgen aufgebrochen sind, um die Bonanza aufzusuchen. Demnach haben wir keine Zeit zu verlieren, wenn wir ihnen zuvorkommen wollen.«

»Das ist auch meine Meinung«, stimmte Pepe bei. »Wir wollen uns also beeilen!«

Für jetzt hatten sie weder von den Mexikanern noch von den Wilden, deren Lager sich ja noch hinter dem der Expedition im Osten befand, etwas zu befürchten; sie schritten also nur unter den gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln vorwärts und erreichten schon bald den ersten der fünf Berge, von denen Fabian gesprochen hatte.

Diese fünf Höhen hingen eng zusammen und waren nur in ihren Kuppen voneinander getrennt. Die Sonne hatte sich schon längst erhoben und beleuchtete mit ihrem hellen, klaren Licht die Gegend, so daß man weithin zu blicken vermochte.

Wortlos und in raschen Schritten eilten die drei Jäger vorwärts. Der erste Berg lag nun hinter ihnen, der zweite bald ebenfalls und – da blieb Fabian, der vorausging, stehen und deutete mit der Hand seitwärts empor.

»Seht den Wasserfall!«

Die ihnen entgegenstehende Sonne warf ihr funkelndes Licht in die niederstürzende Wassermasse und erzeugte zwischen dem Wasserbogen und der Felsenwand ein köstliches Spiel von gebrochenen Lichtern, die alle Farben des Regenbogens zeigten, im prächtigen Durcheinander auf und nieder zuckten, sich haschten, sich durchkreuzten, sich flohen und einen Anblick boten, der den Blick immer wieder auf sich lenkte.

Einige Augenblicke lang standen die Jäger still, um das wunderbare Schauspiel zu betrachten. Dann hob Fabian wieder seine Hand.

»Und dort ist das Grab des Häuptlings. Seht ihr das Pferdeskelett und die Trophäen, mit denen es geschmückt ist? Hinter ihm liegt die Bonanza.«

In diesem Augenblick drang ein Laut von der Pyramide zu ihnen herüber, der sie aufhorchen ließ. Die Entfernung war zu groß, als daß sie den Schrei Cuchillos in seiner ganzen Stärke hätten hören und in seiner eigentümlichen Klangfarbe hätten erkennen können.

Sie waren zu erfahren, als daß einer von ihnen jetzt die Stille hätte unterbrechen mögen; vielmehr warteten sie mit angestrengtem Gehör auf eine Wiederholung.

Der zweite Schrei Cuchillos erscholl, dann blieb es ruhig.

»Das war ein Mensch«, meinte Pepe.

»Ein Tier allerdings nicht«, antwortete der Kanadier. »Was meinst du, Fabian? Deine Ohren sind jünger als die unsrigen und also auch empfindlicher für den Schall.«

»Ein Mensch war es, aber der Ton war kein Ruf, der jemandem galt, sondern ein Schrei entweder großen Schmerzes oder außerordentlicher Freude. Welches von diesen beiden richtig ist, kann ich nicht unterscheiden, da wir uns nicht nahe genug befinden.«

»Der Mann wird bei der Bonanza sein und vor Entzücken so laut geschrien haben«, vermutete Pepe Dormilón.

Bois-rosé schüttelte den Kopf.

»Mein Sohn, wo wird sich wohl derjenige befinden, der die beiden Schreie ausgestoßen hat?«

Der alte, biedere Kanadier versäumte keine Gelegenheit, sich zu überzeugen, daß sein Pflegesohn den Ruf als Rastreador, in dem er stand, auch wirklich verdiente.

Fabian erkannte die Absicht und lächelte.

»Er steht nicht an der Bonanza«, antwortete er, »sondern auf dem Indianergrab, sonst hätten wir die Laute kaum vernommen.«

Er hatte recht. Zwischen ihnen und dem Felskegel lag eine kleine, langgestreckte Erhöhung, über die nur der obere Teil des Grabmals herüberblickte. Pyramide und Anhöhe hätten die Schallwellen abgeleitet, wenn sich Cuchillo unten an der Bonanza befunden hätte.

»Gut! Und was folgt für uns daraus, mein Sohn?«

»Daß er uns sehen kann, wenn er ein gutes Auge hat, während wir ihn infolge seiner gedeckten Stellung nicht zu erkennen vermögen.«

»Richtig. Wenn er nach uns herüberblickt, wird er uns als drei Punkte bemerken, die sich ihm nähern. Da wir aber hier keine Deckung finden können, so bleibt uns nur übrig, daß wir so schnell wie möglich und ganz dicht hintereinander die Anhöhe zu erreichen suchen. Er wird dann einige Sekunden lang nur einen Punkt sehen –, dann sind wir hinter dem Hügel verschwunden.«

Hätten sie gewußt, wie vollständig Cuchillo jetzt von anderen Dingen in Anspruch genommen wurde, so wäre diese Vorsichtsmaßregel von ihnen als überflüssig erkannt worden. Als erfahrene Jäger aber durften sie nicht anders handeln.

Bei der Anhöhe angekommen, erklommen sie den Hügel und konnten nun, hinter einem Felsen versteckt, die Felsenkuppe genau beobachten.

Eben eilte Cuchillo herab; seine Gestalt war deutlich zu sehen, und Fabian, dessen Auge infolge seiner Jugend schärfer war als das der beiden anderen, erkannte ihn sofort.

»Cuchillo!«

»Der Mörder?« rief Pepe. »Santa Lauretta, da haben wir ja den Halunken sofort, wenn wir hinüberspringen. Vorwärts, Freunde!«

»Langsam, Pepe! Oder weißt du vielleicht, wer sich noch hinter dem Grabmal befindet?«

»Das werden wir sofort sehen, wenn wir hinkommen«, meinte der frühere Küstenwächter, der als Spanier ein feurigeres Temperament hatte als der bedächtige Kanadier.

»Dazu ist später immer noch Zeit. Laßt uns warten, ob sich vielleicht noch jemand zeigt!«

Sie verharrten in ihrer gegenwärtigen Stellung. Lange konnten sie nichts Auffälliges bemerken, und schon wollte Pepe ungeduldig werden, als auf einmal Cuchillo hinter der unteren Seite des Felskegels zu Pferde herkam und im Galopp zwischen ihnen und dem Grabmal dahinritt.

»Soll ich ihn niederschießen, Bois-rosé?« fragte Pepe, die Büchse hebend.

»Nein. Wir müssen mit ihm sprechen, bevor er stirbt. Laß ihn also; seine Spur bleibt uns sicher und gewiß!«

Dormilón senkte das Gewehr. Cuchillo verschwand in einer Schlucht, die sich zwischen den Bergen zur Höhe zu ziehen schien.

Sie warteten noch eine kurze Zeit; dann aber ließ sich Pepe nicht länger halten.

»Geht ihr mit, oder soll ich allein hinüber?«

Bois-rosé ließ den Blick noch einmal forschend umherschweifen, dann antwortete er:

»Wir bestreichen mit unseren Büchsen den ganzen Raum zwischen hier und dem Grabmal. Spring hinüber, Pepe, und steige hinauf. Du wirst sehen, ob sich jemand hinter dem indianischen Monument befindet, und uns ein Zeichen geben, was wir tun sollen. Wir bleiben einstweilen zurück, um dir Hilfe zu leisten, wenn du ihrer bedarfst.«

Kaum waren die Worte gesprochen, so befand sich Pepe schon unterwegs. Er kletterte an der jenseitigen Senkung des Abhangs hinab, eilte im Laufschritt auf die Pyramide zu und kletterte an ihr empor. Als er mit dem Kopf ihren Rand erreichte, blickte er erst vorsichtig hinüber, um sich zu überzeugen, daß sich auch wirklich niemand mehr auf der Platte befand. Als er bemerkte, daß das Gelände vollständig verlassen war, schwang er sich vollends hinauf.

Dort bückte er sich nieder und kroch nach der entgegengesetzten Seite hinüber, von wo aus man hinab nach dem Goldtal blicken konnte. Sein Blick fiel auf Diaz, der jetzt ganz allein unten auf dem Stein saß und sich mit seiner Büchse beschäftigte. Außer dem Indianertöter war niemand zu bemerken; darum winkte Pepe nach der Anhöhe zurück, um den beiden Gefährten zu bedeuten, daß sie ihm folgen sollten.

Nach wenigen Augenblicken befanden sie sich an seiner Seite.

»Kennt Ihr diesen Mann, Señor Fabian?« fragte Dormilón.

»Diaz!« antwortete Tiburcio verwundert. »Diaz und Cuchillo! Wie kommt die Ehrlichkeit mit der Bosheit zusammen?«

»Ehrlichkeit? Ein Mexikaner und ehrlich?« warf Pepe hin.

»Ja. Die Sonne hat noch keinen kühneren und ehrlicheren Mann beschienen, als dieser Diaz ist. Mag geschehen, was da wolle, ich werde nicht zugeben, daß ihm auch nur ein Haar gekrümmt wird. Aber er ist Reiter. Wo hat er sein Pferd?«

Bois-rosé trat an den anderen Rand der Felsplatte.

»Komm her, mein Sohn, wenn du es sehen willst!«

Fabian folgte ihm, und auch Pepe trat hinzu.

»Vier Pferde, und also auch vier Reiter!«

»Ja, mein Sohn. Und wenn ich mich nicht irre, so sehe ich hier die Rappstute, die am Salto de Agua den Mann trug, der sich Don Esteban de Arechiza nennen läßt.«

»Richtig! Er muß in der Nähe sein und noch zwei andere mit ihm. Aber wo befinden sie sich?«

»Jedenfalls da, wohin Diaz das Gesicht wendet; denn wer auf jemanden wartet, der kehrt der Richtung, aus welcher er kommen soll, nicht gerade den Rücken zu«, antwortete der scharfsinnige Kanadier.

»Dann befinden sich die drei hinter jener Wand von Weidensträuchern und Pappeln, die wir da – ah, Vater, Pepe, jetzt erkenne ich den Ort! Hinter diesem grünen Vorhang befindet sich das Goldtal; das ist so sicher, wie wir hier auf dem Indianergrab stehen!«

»Dann haben sie es entdeckt und sind dabei, es zu untersuchen.«

»Und auszubeuten.«

»Nein, mein Sohn. Sie haben nichts, worin man das Gold fassen könnte, – nur ihre Decken, und die liegen noch auf den Pferden. Überdies ist es doch fraglich, ob sie sich hinter der Pflanzenwand befinden und, wenn dies wirklich der Fall sein sollte, ob dort die Bonanza liegt.«

»Warum? Ich bin überzeugt, daß sich das Goldtal nirgendwo anders befindet als hier.«

»Sage selbst, mein Sohn, ob dieser Diaz dann hier unten säße und so ruhig an seinem Karabiner herumputzte.«

»Du kennst diesen Mann nicht, Vater. Für ihn hat nichts Wert, als der Skalp eines Indianers. Die Wilden haben ihm einst sein Weib und seine Kinder getötet, und seit dieser Zeit kennt er keine andere Aufgabe, als die Jagd auf Rothäute. Und seine Gleichgültigkeit kann ja auch einen anderen Grund haben.«

»Das ist allerdings möglich, und wenn – ah, nieder, nieder mit den Köpfen! Sie kommen!«

Bois-rosé flüsterte dies im selben Augenblick, in dem Don Esteban mit den beiden Banditen aus dem Goldtal zurückkehrte.

»Antonio de Mediana«, flüsterte Pepe. »Santa Lauretta, wir treffen ihn zur rechten Zeit und auch am passenden Ort. Er soll sich über Pepe, den Miquelete von Elanchove, nicht zu beklagen haben.«

»Baraja und Oroche!« fügte Fabian hinzu.

»Die beiden Schufte, die am Flußübergang die Gewehre auf dich anlegten«, vervollständigte Bois-rosé.

Sie vernahmen jedes Wort des Streites zwischen Arechiza und Diaz.

»Siehst du, mein Vater«, sprach Fabian leise, »daß er sich aus dem Gold nichts macht?«

»Er hat gerade gesagt: ›Seit ich weiß, daß die Bonanza nicht uns gehört.‹ Was mag er damit meinen?«

»Sollte er vielleicht ahnen, daß Marco Arellano sie entdeckt hat, wie Ihr uns erzähltet, Don Fabian?« flüsterte Dormilón.

»Möglich! Jedenfalls werden wir uns über diesen Punkt aufklären.«

»Sie denken, dieser Cuchillo sei nach dem Lager zurückgekehrt, um die Indianer zu holen. Jedenfalls ist der Mörder nur deshalb in die Berge, um bei passender Gelegenheit zur Bonanza zurückzukehren. Horcht! Sie holen die Pferde, um das Gold in die Decken zu wickeln!«

Platt am Boden liegend, sahen sie dem Vorgang zu.

»Was tun wir, Fabian?« fragte Bois-rosé.

»Der Graf darf uns nicht entkommen, Vater!«

»Das steht fest«, stimmte Pepe bei. »Heilige Jungfrau, ich danke dir, daß du ihn in meine Hände gegeben hast! Heute werde ich ihm zeigen, was es zu bedeuten hat, Pepe, den Schläfer, nach dem Presidio Ceuta auf Thunfischfang zu schicken!«

»Pepe, Ihr werdet ihm nur das tun, was wir anderen beiden für recht und billig halten«, warnte Fabian.

»Recht und billig ist hier nur eine Kugel, eine Messerklinge, oder ein Stückchen Lasso, das ihm um den Hals gewickelt wird, um seinen Atem ein wenig kürzer zu machen.«

»Er hat mich geraubt und ist der Mörder meiner Mutter; das ist wahr. Dennoch aber sehe ich in ihm den Bruder meines Vaters. Wir werden über ihn zu Gericht sitzen, und es darf keine schnelle, unüberlegte Tat geschehen!«

Pepe antwortete nicht; nur ein leises, mürrisches Brummen bewies, daß er mit der Absicht Fabians nicht einverstanden war.

Bois-rosé hatte hier keine eigene Meinung, und selbst wenn er einen selbständigen Plan gefaßt hätte, so war doch seine Liebe zu Fabian zu groß, als daß er sich nicht in dessen Willen hätte fügen wollen.

»Und dieser Diaz«, fragte er, »ihm soll nichts geschehen?«

»Ohne Not wird ihm kein Haar gekrümmt. Ich kenne keinen Mann der so würdig wäre, euer Freund zu sein, wie er. Er hat nichts gemein mit den Menschen, die wir verfolgen, und hat sich der Expedition nur deshalb angeschlossen, weil sie ihm Gelegenheit bietet, seinem Haß auf die Indianer die Tat folgen zu lassen. Ich bitte euch, ihn zu schonen, als ob er mein Freund wäre.«

»Und die beiden Menschen, die du Baraja und Oroche nennst?«

»Unsere Kugeln sind für sie zu gut, und wenn wir sie laufen lassen, so glaube ich nicht, daß sie uns jemals nur den geringsten Schaden zufügen können.«

»Aber sie wollten Euch erschießen, Don Fabian!«

»Es ist ihnen nicht gelungen. Man soll kein Menschenblut vergießen, wenn es nicht unumgänglich nötig ist.«

»Ich stimme dir bei, mein Sohn, obgleich ich eigentlich anders denken sollte. Aber diese beiden Männer kennen nun die Bonanza, und wenn wir sie entkommen lassen, so kann dein Gold in große Gefahr kommen.«

Fabian lächelte.

»Seit ich dich wieder habe, mein Vater, und meinen wirklichen Namen kenne, ist mir das Handwerk eines Gambusino völlig gleichgültig geworden. Ich bin noch unentschlossen, was ich mit dem Gold tue, und solche Männer wie Baraja und Oroche haben wir niemals zu fürchten.«

»Das Placer ist dein; tu damit, was dir beliebt!«

Nicht ausschließlich dieses Gespräch hatte ihre Aufmerksamkeit beschäftigt; viel mehr wurden ihre Blicke jetzt von dem Anblick gebannt, den ihnen die Haufen gediegenen Goldes boten, die vor ihren Augen in die Sarapen gehüllt wurden. Alle drei wußten sie, daß Reichtum nicht das höchste Gut des Lebens ist, und dennoch konnten sie die Augen nicht von dem Glanz wenden, der zu ihnen emporstrahlte.

»Santa Lauretta, ist das eine Menge Gold«, murmelte Pepe beklommen. »Ich glaube, mit dem Inhalt einer einzigen Decke könnte man die ganze Herrschaft Elanchove bar bezahlen. Und wenn ich bedenke, daß hinter der Wand jedenfalls noch mehr, noch viel mehr liegt, so wird es mir ganz schwindlig vor den Augen. Aber sollen diese Leute denn das Gold wirklich mit fortnehmen dürfen, Señor Fabian?«

»Nein. Sie mögen sich an seinem Anblick berauschen, um dann desto nüchterner zurückzukehren!«

»Dann ist es höchste Zeit zum Handeln, mein Sohn«, mahnte Bois-rosé. »Sieh, sie laden die Decken bereits auf die Pferde! Soll ich sie anrufen?«

»Ja.«

»So legt eure Büchsen an, damit das, was ich ihnen sagen werde, den gehörigen Nachdruck bekommt!«

Die Plattform des Indianergrabes war mit Steintrümmern übersät, die besonders am Rand aufgehäuft lagen und eine Art Brustwehr bildeten, hinter der man sich genügend zu verbergen vermochte. Pepe und Fabian steckten die Läufe ihrer Büchsen zwischen den Steinen hindurch, und der Kanadier erhob sich.

Schon setzte Don Esteban seinen Fuß in den Steigbügel, als Bois-rosé die Büchse anschlug.

»Halt!« erklang seine gewaltige Stimme.

In seinem einfachen Anzug und der hohen Fuchspelzmütze stand der riesige Mann da oben auf der Plattform, als sei der Felskegel nicht ein Indianergrab, sondern die Ruhestätte eines vorsintflutlichen, hünenhaften Menschen, der durch die Anwesenheit der Abenteurer in seiner Ruhe gestört worden war und sich nun erhoben hatte, um an ihnen Rache zu nehmen.

Er sah, daß drei von ihnen heftig erschraken, und nur der vierte, Diaz, sich so beherrschen konnte, daß man ihm seine Überraschung nicht anzumerken vermochte.

Der Indianertöter gab Antwort und führte das Gespräch. Auch Fabian mußte sich erheben, und wurde von den Untenstehenden beinahe wie ein Gespenst angestarrt.

Als Arechiza der Aufforderung des Kanadiers, das Gold wieder abzuladen, nicht gehorchte, bedurfte es nur eines Winks von Bois-rosé, und unter den Kugeln waren die Pferde tot zur Erde gestürzt.

Als Don Esteban nun sein Gewehr zu erheben wagte, konnte es Pepe nicht mehr in seiner wartenden Stellung aushalten; er sprang rasch empor, und auf seine etwas zu schnellen Mahnungen suchten Baraja und Oroche eiligst das Weite. Dann kam die Flucht Arechizas, die Diaz ermöglicht hatte. Das nun war dem guten Miquelete von Elanchove zuviel. Er erhob die Büchse und legte schon den Finger an den Drücker, um den Grafen de Mediana vom Pferd zu schießen, als Fabian ihm noch zur rechten Zeit in den Arm fiel.

»Halt nicht schießen! Schont sie beide!«

Der Kanadier lächelte.

»Hab keine Sorge, mein Sohn; das Pferd gehört meiner Kugel. Lauft schnell, ihnen nach!«

Fabian und Dormilón ließen sich sofort mit halsbrecherischer Kühnheit an den steilen Felswänden des Kegels hinabgleiten und sprangen den Fliehenden nach. Bois-rosé aber folgte mit dem Laufe seiner langen, schweren Büchse, die wie auf einer eisernen Gabel in seinen Händen ruhte, den Sprüngen des Pferdes auf der Ebene.

Die zwei Reiter, die in gerader Linie vor ihm flohen, schienen nur einen Körper zu bilden. Das Kreuz des Pferdes, die Schultern des Pedro Diaz – das waren die einzigen Punkte, die seiner Kugel erreichbar schienen, und kaum einmal kam, von einem Augenblick zum anderen, eine Ohrenspitze des Pferdes zum Vorschein. Diaz opfern, hieß gegen den Willen Fabians handeln und einen Mord begehen, denn Don Esteban entkam dann dennoch – nur noch einen einzigen Augenblick, und die Flüchtlinge waren aus dem Bereich des auf sie gerichteten Gewehrs.

Aber der Kanadier gehörte zu jener Art von Jägern, die einen Fischotter oder einen Biber in das Auge schießen, um das Fell nicht zu verderben; so war er nicht aus der Ruhe zu bringen. Hier galt es nun, den Kopf des Pferdes zu treffen, da dieses, wenn es nur verwundet wurde, seine Reiter doch noch aus dem Bereich der drei Jäger fortgetragen hätte.

Nur eine Sekunde lang wandte das Tier, dem Zügel gehorchend, den Kopf ein wenig zur Seite – dieser Augenblick genügte dem Kanadier. Er drückte ab, der Schuß krachte, und die Kugel pfiff so nahe an den Gesichtern der beiden Reiter vorbei, daß es sie kalt überlief.

Gleich darauf stürzte das Pferd tot zu Boden.

Der Sturz der beiden war so heftig, daß er sie beinahe betäubte. Trotz der Dringlichkeit ihrer Lage vermochten sie sich nur langsam wieder aufzurichten, und da kamen auch schon Fabian und Pepe, die Büchsen in den Fäusten, und die Messer zwischen den Zähnen in weiten Sätzen auf sie zugesprungen.

Weit hinter seinen beiden Freunden rannte nun auch Bois-rosé mit Riesenschritten und lud während des Laufes seine Büchse wieder. Als er mit dem Laden fertig war, blieb er stehen, unbeweglich, wie ein aus der Erde gewachsener Eichenstamm. Er war sicher, so die Lage beherrschen zu können.

Der Karabiner von Pedro Diaz war weit fortgeschleudert worden und hatte sich entladen; er konnte jetzt seinem Besitzer nichts nützen. Dieser beugte sich nieder und zog aus dem Knieriemen seiner Reitgamaschen ein langes, scharf geschliffenes Messer hervor.

Don Esteban hob seine englische Flinte, die ihm ebenfalls entfallen war, und schlug an. Er war unentschlossen, ob er mit dem ersten Schuß Fabian oder Pepe niederstrecken sollte, – aber der Kanadier beobachtete jede seiner Bewegungen.

Noch ehe er zu einem Entschluß gekommen war, blitzte es aus der Büchse Bois-rosés auf, und die sichere Kugel des gewaltigen Jägers zerschmetterte die Flinte an dem Punkt, wo sich der Lauf mit dem Holze verbindet.

Arechiza erhielt dadurch einen Schlag, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Er stürzte zur Erde.

»Endlich! Nach zweiundzwanzig Jahren!« jubelte Pepe.

Er warf sich auf den Grafen und setzte ihm das Knie auf die Brust.

Don Esteban versuchte vergebens, sich zu wehren. Sein durch den Aufprall empfindungslos gewordener Arm versagte ihm jeden Dienst. Ein Augenblick genügte Dormilón, den wollenen Gürtel loszumachen, der ihm mehrmals um den Leib ging. Er band die Glieder des Grafen fest zusammen und blickte sich dann nach Diaz um.

Fabian kannte den Indianertöter fast gar nicht. Nur das eine Mal war er auf der Hacienda del Venado mit ihm zusammengetroffen; aber der Ruf des berühmten Mannes bestimmte ihn, sein Leben zu schonen.

»Pedro Diaz, ergebt Euch!« rief er, einem Dolchstich ausweichend, den der Mexikaner nach ihm führte.

Diaz warf ihm einen stolzen Blick ins Gesicht.

»Ergeben? Euer Freund könnte ich sein, Tiburcio, – aber mich Euch ergeben? Niemals!«

»So nehmt meine Freundschaft an!«

»Nur nach dem Kampf, wenn wir noch leben! Ich floh vor Euch, und muß Euch zeigen, daß dies nicht aus Furcht geschah.«

»Das weiß ich«, entgegnete Fabian, einem zweiten und dritten Stoß ausweichend. »Steckt das Messer ein!«

»Verteidigt Euch, Señor Arellano!«

Es entspann sich jetzt ein Kampf, in dem es der eine dem anderen an Gewandtheit und Kraft gleichtat. Zu ritterlich, um seine Feuerwaffe gegen einen Gegner zu gebrauchen, dessen einzige Wehr in einem Dolch bestand, suchte Fabian Diaz nur zu entwaffnen. Er hielt den Lauf seiner Büchse in der Rechten und bediente sich des Kolbens, wie einer Keule, mit der er den Arm, der das Messer führte, treffen wollte. Allein, er hatte es mit einem Gegner zu tun, der ihm bei dieser nachsichtigen Kampfesweise mehr als gewachsen war.

Diaz sprang bald auf die rechte, bald auf die linke Seite, um den Kolbenschlägen auszuweichen, und als er damit nicht weiterkam, fuhr er einen Schritt zurück, nahm den Griff des Messers zwischen die drei ersten Finger der Rechten, holte aus, und schleuderte den spitzen, scharfen Stahl mit aller Gewalt nach der Brust Fabians.

Dieser hatte die gefährliche Absicht erraten. Er umfaßte seine Büchse fester, und im gleichen Augenblick, in dem er vor dem daherblitzenden Messer auf die Seite sprang, wirbelte der Kolben des schweren Gewehres mit solcher Gewalt an die Stirn des Mexikaners, daß dieser zur Erde wankte.

Zu gleicher Zeit kam Pepe herbei, warf sich sofort auf den Gestürzten und umschlang ihn mit seinen kräftigen Armen, daß er sich nicht mehr zu rühren vermochte.

»Herrgott«, rief er, »muß man Euch denn umbringen, damit Ihr Euch ergebt? Seid Ihr verwundet, Don Fabian? Nein? Santa Lauretta, das ist ein Glück für Euch, Señor Diaz, denn hättet Ihr ihm auch nur die Haut geritzt, so wäre es mit Euch Matthäi am letzten gewesen!«

Selbst jetzt noch versuchte Diaz weiter Widerstand zu leisten.

Es war vergebens, da mittlerweile auch Bois-rosé herbeigekommen war; nun banden die drei Gefährten den überwundenen Diaz so, daß er keine gefährliche Bewegung mehr zu machen vermochte.

Er sah sich zum erstenmal in seinem Leben besiegt, und dies war es, was trotz seiner freundlichen Gesinnung für Tiburcio Arellano seinen Grimm anfachte.

»Schießt mich nieder, Señores; ich bin überwunden; ich mag keinen Pardon haben, ich bin noch nie gefesselt gewesen!«

»Diese Fesseln habt Ihr nur Euch selbst zuzuschreiben«, antwortete der Kanadier. »Wir wollten Euch nicht feindlich behandeln! Ihr habt uns dazu gezwungen!«

»Warum versuchtet Ihr, uns den Grafen Antonio de Mediana zu entführen?« fragte Pepe.

Diaz schwieg. Er sah ein, daß er, unüberlegt gehandelt hatte, und war doch zu stolz, dies einzugestehen.

»Ihr hörtet, daß ein Savannengericht stattfinden sollte. Ein ehrlicher Mann widersetzt sich dem niemals!«

»Ich antworte nicht in Banden!« murrte Diaz finster.

Fabian griff in edelmütiger Weise zu dem besten Mittel, den Zorn des ehrgeizigen Mannes zu entwaffnen. Er hob das Messer auf.

»Pepe, nehmt ihm die Fesseln ab!«

Pepe gehorchte dieser Weisung, und Fabian drückte Diaz sein Messer in die Hand.

»Señor Diaz, wenn Ihr keine gute Meinung von mir habt, so stoßt mir diese Klinge in das Herz; ich werde mich nicht wehren!«

Diaz ließ das Messer wieder fallen.

»Don Tiburcio, Ihr seid ein Rastreador, der meine ganze Achtung besitzt, und Ihr sollt es nicht bereuen, mich kennengelernt zu haben. Doch hatte ich heilige Verpflichtungen gegen diesen Don Esteban de Arechiza, und ich mußte diesen Verpflichtungen allerdings auf eine Weise nachkommen, die Euch nicht angenehm gewesen ist. Vielleicht wird mir einmal Gelegenheit, dies wieder gutzumachen.«

Er reichte Fabian die Hand und fragte dann:

»Wollt Ihr mir nicht die Namen dieser Señores sagen?«

»Vielleicht sind Euch die Namen bekannt, die meine Gefährten von den Indianern erhalten haben. Dieser Señor hier wird von ihnen der ›große Adler‹ und dieser der ›zündende Blitz‹ genannt.

Diaz trat erstaunt einen Schritt zurück.

»Ist es möglich? Die beiden berühmtesten Waldläufer, die es gibt? Señores, der heutige Tag erfüllt den größten meiner Wünsche, weil er mich mit euch zusammenführt. Hätte ich gewußt, wer ihr seid, so hätte ich mich eurem Savannengericht nicht widersetzt, denn ich weiß, daß die ›Häuptlinge der Wälder und Prärien‹ stets gerechte Ursache haben, wenn sie sich zu einem Gericht zusammenfinden wollen.«

Er drückte auch Bois-rosé und Dormilón die Hand, und es war ihm anzusehen, wie aufrichtig er sich über diese Begegnung freute.

Fabian trat zu Arechiza.

»Don Antonio de Mediana, wollt Ihr als ein Mann von Ehre oder als ein gewöhnlicher Abenteurer behandelt sein?«

Der Gefragte blickte Ihn mit finsterem Haß an.

»Tut, was Ihr wollt!«

Pepe trat näher.

»Don Antonio de Mediana, es würde besser für Euch sein, wenn Ihr diesem Herrn ein freundlicheres Gesicht zeigen wolltet. Santa Lauretta, wenn Ihr bei dieser Miene bleibt, so kann es leicht dahin kommen, daß man kürzer mit Euch verfahrt, als mit einem armen Teufel, der auf den Thunfischfang geschickt wird, weil er die Wahrheit redet. Das sagt Euch Pepe, der Schläfer!«

»Gebt Ihr uns Euer Ehrenwort, daß Ihr keinen Fluchtversuch unternehmt, wenn wir Euch von den Fesseln befreien?« fragte Fabian.

»Ich werde nicht fliehen«, klang es kurz.

Auch Diaz nahm sich seiner an.

»Ich bürge für ihn«, meinte er, »wenn Ihr auf mein Wort etwas geben wollt!«

»Das genügt«, nickte Fabian. »Pepe, nehmt ihm die Fesseln ab!«

Pepe gehorchte auch jetzt.

Arechiza erhob sich vom Boden.

Er war bleich; seine fahlen, plötzlich eingesunkenen Wangen gaben ihm das Aussehen, als sei er während der letzten zehn Minuten um ein ganzes Jahrzehnt gealtert.

»Was gibt euch das Recht, mich zum Angeklagten eines Savannengerichts machen zu wollen?«

»Die Verpflichtung eines jeden freien Mannes, der das Verbrechen straflos das Haupt erheben sieht«, gab Bois-rosé zur Antwort. »Folgt uns jetzt zurück und denkt daran, daß die Richter der Savanne andere Männer sind, als die feilen Knechte, die einen ehrlichen Miquelete vernichten wollen, um die Verbrechen eines Grafen zu verbergen!« –


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