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Die Bonanza

Sonora, einer der reichsten Staaten der Konföderation von Mexiko, bildete früher eine der am wenigsten bekannten Gegenden Mittelamerikas. Die Natur hat dieses Land mit reichen Gaben bedacht. Der durch den Pflug kaum aufgeritzte Boden bedeckt sich dort jährlich mit zwei höchst ergiebigen Ernten; die Wälder liefern einen unermeßlichen Vorrat von wertvollen Nutz- und Farbhölzern; das Tierreich bietet dem Menschen in großen Pferde- und Rinderherden und einem beinahe unerschöpflichen Wildbestand die Befriedigung seiner ersten und letzten Bedürfnisse. Und was die Erzvorkommen betrifft, so konnte man vor noch nicht sehr langer Zeit an vielen Orten Gold in Menge finden, denn dieses stellenweise so verschwenderisch ausgestattete Land stand kaum hinter dem später so vielgerühmten Kalifornien zurück.

Viele gab es, die infolge der Fruchtbarkeit ihrer Herden und des Bodens sich ein mehr als fürstliches Vermögen sammelten; andere wieder gelangten durch die Auffindung eines einzigen Stücks gediegenen Goldes zu großem Reichtum, der allerdings meist ebenso schnell verlorenging, wie er gefunden wurde.

Wo viel Licht ist, da findet sich gewiß auch immer viel Schatten. Die Vorzüge des Staates Sonora sind mit Übelständen gepaart, von denen sie außerordentlich beeinträchtigt werden. Ungeheure Einöden, nur dem beherzten Manne zugänglich, durchziehen das Land; in den Wäldern hausen die Riesen des Raubtiergeschlechts, und über die weiten Ebenen tummelt der unversöhnliche Apatsche sein Roß, der keinen größeren Reichtum kennt als denjenigen der Skalpe, die er seinen weißen Feinden abgenommen hat.

Von Zeit zu Zeit wagen sich Leute, deren alleiniges Geschäft in der Ausbeutung ihrer Kenntnisse der Erzvorkommen besteht, in diese Einöden. Sich tausend Entbehrungen und Gefahren aussetzend, schlagen sie in aller Eile eine zutage liegende Silberader aus oder beschäftigen sich mit dem Auswaschen des goldhaltigen Sandes. Dann kommen sie, von den Indianern vertrieben und verfolgt, in die bewohnten Gebiete zurück und geben die fabelhaftesten Berichte über Schätze zum besten, die von ihnen flüchtig gesehen wurden, aber unzugänglich seien, über ungeheuer reiche Minen oder unerschöpfliche und zutage tretende Goldmassen. Diese Goldsucher oder Gambusinos, wie man sie nennt, sind für die Bergwerksindustrie ganz dasselbe, was die nordamerikanischen Squatter und Trapper für den Ackerbau und den Handel sind. Sie unterhalten durch ihre Erzählungen, in denen die Übertreibung stets eine größere Rolle spielt als die Wahrheitsliebe, einen steten Durst nach Gold und ein immer reges Gelüst nach Eroberung aller jener Länderstrecken, in denen man hofft, diesen Durst befriedigen zu können.

Zuweilen tritt ein kühner Abenteurer auf, der auf das allgemeine Verlangen nach Gold und Silber einen schlauen Plan aufbaut. Er gefällt sich in den verlockendsten Schilderungen, ist vielleicht in der glücklichen Lage, ein schweres Nugget oder einen sonst nicht ganz gewöhnlichen Fund vorzeigen zu können. Andere Abenteurer gesellen sich ihm zu, junge Leute von guter Familie, die im Spiel vielleicht all das ihrige verloren haben, Männer, die sich auf irgendeine Art und Weise mit der Justiz überworfen haben, Jäger und Fallensteller, die jede Gelegenheit benutzen wollen –: es kommt eine Expedition zustande. Allein, sei sie nun leichtsinnig unternommen oder tollkühn geleitet worden –, sie verunglückt, und von den vielen, die ausgezogen sind, kommen nur einige wenige zurück, um von den Gefahren und Entbehrungen zu berichten, denen die anderen zum Opfer gefallen sind. Dann wird plötzlich irgendwo wieder ein großer Fund gemacht, das Fieber beginnt abermals, eine neue Expedition kommt zustande und – geht unter ganz denselben Verhältnissen zugrunde.

Der größte Feind all dieser Unternehmungen ist nicht der Hunger oder der Durst, nicht der riesige Bär der amerikanischen Wälder, nicht der starke, blitzschnelle Jaguar oder der in den Sümpfen lauernde Kaiman, sondern der Indianer, der in dem Weißen nur den Räuber kennt, der ihn widerrechtlich aus dem Lande treibt, wo die Grabhügel seiner Vorfahren, die Wigwams seiner Stammesgenossen liegen und ungezählte Bisonherden ihm seit Jahrhunderten den Unterhalt gewährten. Die Stärke des Bären mit der List des Panthers vereinend, jeder Anstrengung und Entbehrung gewachsen, ausgezeichnete Reiter, wohlgeübt in jeder Art von Waffe, und im Kampf mit dem Feind ebensowohl zum größten Opfer wie auch zur kühnsten Kraftentfaltung bereit, sind sie Gegner, die man sich furchtbarer gar nicht zu denken vermag, und die verschwiegenen Urwälder, die unermeßlichen Savannen sind Zeugen von Heldentaten, wie sie unsere neuere europäische Geschichte nicht aufzuweisen vermag, die vielmehr an jene reckenhaften Kämpen erinnern, von denen uns die Sage berichtet. –

Es war im Jahre 1830, als sich die Einwohnerschaft von Arispe, der Hauptstadt der mexikanischen Provinz Sonora, in einer nicht geringen Aufregung befand. Man sprach von einer Expedition, die so zahlreiche Beteiligung finden und solche Hoffnung auf Erfolg bieten sollte, wie noch keine der vorangegangenen. Der Unternehmer war ein Fremder, ein Spanier, der erst vor kaum zwei Monaten angekommen war und den Namen Don Esteban de Arechiza führte. Dieser Mann schien schon im Lande gelebt zu haben, doch hatte ihn früher noch niemand gesehen. Topographische Kenntnisse, deren Genauigkeit nichts zu wünschen übrig ließ, und die offenbar aus bester Quelle geschöpften Anschauungen über Menschen und Verhältnisse bewiesen, daß Sonora ihm kein unbekanntes Land mehr war. Er mußte mit einem wohlüberlegten Plan aus Europa herübergekommen sein, denn alles, was er tat, verriet tiefes Nachdenken und einen sehr sichtbaren inneren Zusammenhang. Er verfügte über ebenso bedeutende wie geheimnisvolle Hilfsquellen, denn er lebte auf überaus glänzendem Fuße, hielt offenes Haus, spielte sehr hoch, lieh seinen Bekannten Geld, ohne es jemals zurückzuverlangen, und kein Mensch konnte sagen, woher er das Geld nahm, um einen solch ungewöhnlichen Aufwand zu bestreiten.

Von Zeit zu Zeit unternahm er eine kleine Reise, die höchstens eine Woche währte; dann zeigte er sich wieder, ohne daß man wußte, wo er gewesen war, denn seine Dienerschaft, die er jedenfalls gut besoldete, ließ über die Angelegenheiten ihres Herrn nicht das geringste verlauten. Sein vornehmes Wesen, seine Großmut und Freigebigkeit verhalfen ihm in Arispe bald zu einem ungewöhnlichen Einfluß, so daß es ihm nicht schwerfallen konnte eine Expedition auszurüsten, über deren eigentliches Ziel er sich allerdings noch nicht ausgesprochen hatte. Nur so viel ließ er hören, daß sie nach einem Ort gehen sollte, zu dem bisher noch kein Weißer vorgedrungen war.

Aus allen Gegenden des Landes strömten ihm daraufhin Leute zu, die sich beteiligen wollten, und man erzählte sich, daß bereits achtzig entschlossene Männer nach dem Presidio Tubac an der indianischen Grenze, das Arechiza ihnen als Sammelplatz bezeichnet hatte, unterwegs seien. Wollte man dem allgemeinen Gerücht Glauben schenken, so war auch der Tag bereits nahe, an dem Don Esteban in eigener Person von Arispe abreisen werde, um sich an ihre Spitze zu stellen.

Um diese Zeit war es, daß ein Reiter langsam durch die Straßen der Stadt geritten kam, sich angelegentlich nach der Wohnung Don Esteban de Arechizas erkundigte und, davor angekommen, vom Pferde stieg.

Seine Kleidung bestand in einem Wams ohne Knöpfe – einem Kleidungsstück, das man wie ein Hemd überwirft – und in einer weiten Hose, beides aus gegerbtem, backsteinfarbigem Leder. Diese Hose, die vom Knie bis herab zur Ferse offen war, ließ das von figurenbedecktem Ziegenleder umgebene Bein sehen. Diese unförmigen Stiefel waren durch scharlachrote Kniebänder gehalten, in deren einem ein langes Messer mit Scheide steckte. Eine aus rotem chinesischem Krepp bestehende Schärpe, ein großer Filzhut, der von einer Schnur venezianischer Perlen umgeben war, bildeten ein malerisches Gewand, dessen Farben denen der Sarape, die ihm um die Schulter hing, geschmackvoll angepaßt waren.

Ein Diener fragte nach seinem Begehr.

»Ist Don Esteban de Arechiza zu sprechen?«

»Ich werde sehen! Wen soll ich melden?«

»Pedro Cuchillo.«

Der Diener schritt voran und öffnete ihm bald den Eintritt in ein Gemach, wo sich der Mann befand, den er suchte.

Don Esteban, ein Mann von etwas mehr als mittlerer Größe, schien im Begriff gewesen zu sein, auszureiten. Er trug einen Dolman von dunkelblauer Farbe, der reich mit seidenen Borden verziert war und durch ein weißes, mit himmelblauer Seide besticktes Taschentuch fast ganz verdeckt wurde. Unter einem glühenden Himmel dient die Weiße dieser Art von Schärpe, Paño del sol genannt, wie der Burnus der Araber dazu, die Sonnenstrahlen zurückzuwerfen.

An seinen Füßen, die mit glänzendem Saffianleder bekleidet waren, hielt ein großer, mit goldenen und silbernen Zieraten geschmückter Riemen eiserne Sporen fest, deren Räder mit ihren fünf langen Spitzen und hellklingenden Kettchen sich mit jenem silbernen Geklirr bewegten, nach dem die mexikanischen Reiter den Gang ihrer Pferde zu regeln pflegen. Seine Manga (sprich: Mángga) Umhangähnliches Kleidungsstück, die mit goldenen Borten reich verziert war, bedeckte die weiten Beinkleider, die in der ganzen Länge der Beine mit Knöpfen von Silberdraht besetzt waren.

Sein ursprünglich schwarzes Haar zeigte bereits zahlreiche weiße Fäden; seine schwarzbraunen Gesichtszüge glichen denen eines Menschen, der lange unter tropischem Himmel gelebt hat, und schienen mit jener Beweglichkeit begabt, die ungestüme und ungezügelte Leidenschaften verrät. Seine schwarzen, lebhaften und etwas unsteten Augen glänzten unter einer breiten und knochigen Stirn, die von frühzeitigen Runzeln durchfurcht war.

»Was wollt Ihr von mir?« fragte er den Ankömmling, der ganz das Aussehen eines jener Banditen hatte, die die zwischen den mexikanischen Ortschaften liegenden Strecken unsicher machten. Er warf auf ihn einen forschenden, durchdringenden Blick, der ganz auf den Grund der Seele zu tauchen schien, und konnte sich einer Gebärde der Überraschung nicht enthalten.

»Ich habe die Ehre, Eurer Exzellenz die Hände zu küssen, und bin –«

Cuchillo hielt mitten in seiner Rede inne; er sah einen Mann vor sich, den er trotz der Jahre, die sie sich nicht gesehen hatten, sofort wiedererkannte.

»Was wollt Ihr von mir, habe ich gefragt!« klang es barsch.

»Señor Capitán, ich bin ebenso erstaunt wie erfreut, Sie –«

»Mein Name ist Arechiza, merkt es Euch!«

Da blitzte es in den Augen Cuchillos auf.

»Señor, der Name gleicht dem Schlachtpferde; ist das eine unter mir erschossen, so besteige ich ein anderes. Ist es bei Ihnen nicht ebenso?«

Es war Don Esteban anzumerken, daß er nur mit Mühe seinen aufsteigenden Zorn niederzuhalten vermochte, doch klang seine Stimme milder als vorher, als er zum dritten Male fragte:

»Was wollt Ihr von mir, Don Pedro Cuchillo?«

»Nichts. Ich bringe Ihnen etwas!«

»Was?«

»Ein großes, wertvolles Geheimnis.«

»Wenn es Wert hätte, würdet Ihr es wohl für Euch behalten!«

»Ich kann seinen Wert nicht ausbeuten und möchte Sie um Ihre Hilfe bitten.«

»So! Worin besteht dieser Wert?«

»In einer Bonanza von geradezu undenkbarem Reichtum.«

»Wo liegt diese Bonanza? Jedenfalls in Eurer Einbildung.«

»Läge sie nur da, so würde ich es verstehen, sie auszubeuten, darauf können Sie sich verlassen, Señor Capit – Don Esteban, wollte ich sagen; da es aber eine wirkliche Bonanza ist, die mitten im Gebiet der Apatschen liegt, so kann sie nur durch eine Expedition gehoben werden, die stark genug sein muß, es mit diesen Indianern aufzunehmen.«

»Ah! Und Ihr denkt wirklich, ich sei der Mann, der einer solchen Fabel Glauben schenkt?«

Cuchillo machte Miene, nach dem Messer zu greifen.

»Glauben Sie es oder glauben Sie es nicht, Señor, das ist mir vielleicht gleich; aber hüten Sie sich, mir eine Beleidigung zu sagen! Es ist ein Unterschied zwischen dem Deck eines Seeschiffes, wo der Capitán alles gilt, und dem freien Sonora, wo jedes unvorsichtige Wort einen Messerstich oder eine Kugel kostet.«

»Pah! Deck oder Sonora, ich sage meine Meinung. Übrigens, um die Sache ein für allemal beizulegen, wird es Euch lieb sein, wenn ich Euch bloß als Cuchillo, wie Ihr Euch jetzt nennt, kenne. Ein Ähnliches nehme ich natürlich auch für mich in Anspruch, wenn unser unerwartetes Zusammentreffen Euch von irgendwelchem Nutzen sein soll. Und nun sagt aufrichtig und ohne Hinterhalt, was Ihr bei mir wollt! Ihr kennt mich genugsam, um zu wissen, daß Überschwenglichkeiten bei mir nicht verfangen.«

»Ich bringe Ihnen keine Überschwenglichkeit, sondern die reine Wahrheit. Ich kenne eine Bonanza, die dem Mann, der sie auszubeuten vermag, ein unerschöpfliches Vermögen bietet.«

»Wo liegt sie?«

»Das zu sagen, halte ich mich nicht für verpflichtet. Nur eine zahlreiche Gesellschaft darf hoffen, das Gold heben zu können; ich habe mir alle Mühe gegeben, eine solche zusammenzubringen, aber vergebens. Da hörte ich, daß ein Don Esteban de Arechiza in Arispe eine großartige Expedition zusammenbringe, und habe meine letzten Mittel darangegeben, hierher zu kommen, um Ihnen das Geheimnis anzubieten.«

»Und die Geschichte dieser Bonanza?«

»Sie müssen wissen, daß ich seit meiner Rückkehr aus Europa das Gewerbe eines Gambusino treibe; ich habe schon viele Länder unter dem Himmel durchforscht und Goldlager gesehen, die wohl noch keines Menschen Auge erblickt hat.«

»Ihr habt das Gold gesehen und es dennoch liegen lassen?«

»Spotten Sie nicht, Don Esteban! Ich habe ein Goldlager gesehen, das so reich ist, daß der, der es besitzt, nichts weiter zum Glück braucht; ein Goldlager, so reich, daß der unersättlichste Ehrgeiz damit zufrieden sein kann, denn es reicht vollständig, um sich ein Königreich zu kaufen; ein Goldlager, so reich mit einem Wort, daß ich keinen Augenblick Abstand nehmen würde, dem Teufel meine Seele dafür zu verschreiben!«

»Señor Cuchillo, der Teufel ist nicht so dumm, eine Seele so hoch zu bezahlen, die er jeden Augenblick umsonst haben kann. Doch sagt, wie habt Ihr dieses Placer (sprich: Plaßér) Goldfeld entdeckt?«

»Haben Sie einmal den Namen Marco Arellano gehört?«

»Ja, er soll der berühmteste Gambusino von Mexiko gewesen sein.«

»Nun wohl. Er ist es gewesen, der mit noch einem Gambusino diese Bonanza entdeckt hat. Allein, als sie sich eines Teils des Goldes bemächtigen wollten, wurden sie von den Indianern aufgespürt und angegriffen. Der Gefährte mußte den goldenen Blick mit dem Tode bezahlen, und Marco selbst entkam nur mit vieler Mühe. In Tubac führte mich der Zufall mit ihm zusammen; er schlug mir vor, mit ihm einen zweiten Versuch zu machen; ich nahm sein Anerbieten an, und wir begaben uns auf den Weg. Wir langten glücklich im Goldtal an, wie er den Ort nannte. O ihr Mächte des Himmels! Sie hätten diese Goldblöcke in der Sonne glänzen sehen sollen! Unglücklicherweise konnten auch wir bloß unsere Augen sättigen. Der Ort ist den Apatschen heilig, sie haben einem der berühmtesten ihrer Häuptlinge den Leichenhügel dort errichtet, wir mußten fliehen; ich kam allein zurück ... der arme Arellano; ich habe ihn sehr bemitleidet! Wohlan, das Geheimnis dieses Goldtales will ich an Sie verkaufen.«

»Wer garantiert mir für die Wahrheit des Gesagten und für Eure Treue?«

»Mein eigenes Interesse!«

»Wieso?«

»Ich verkaufe mein Geheimnis an Sie, aber ich gebe meine Rechte auf dieses Placer nicht auf. Ihnen kommt als Haupt der Expedition ein Fünftel des Ertrages zu; das macht zwar einen bedeutenden Teil des Schatzes aus, rechnen Sie aber, daß nur ein Bruchteil Ihrer achtzig zurückkommen wird, so bleibt für jeden der Überlebenden so viel übrig, daß er den Rest seiner Tage üppig leben kann. Ich verlange, außer einer angemessenen Summe als Preis des Geheimnisses, in meiner Eigenschaft als Führer der Expedition den zehnten Teil der Beute, denn ich werde Ihnen zu gleicher Zeit ein Führer und eine Geisel sein.«

»Ich fasse natürlich die Sache ebenso auf. Wie hoch schlagt Ihr Euer Geheimnis an?«

»Ich verlange nur eine Kleinigkeit dafür. Das Zehntel, das Sie mir zusagen werden, ist mir hoch genug, da ich mich dieser unzugänglichen Schätze nicht allein bemächtigen kann. Sie werden mir sodann die Kosten meiner Ausrüstung vergüten, die ich zu fünfhundert Piaster anschlage.«

»Fünfhundert Piaster? Ihr seid wirklich vernünftiger, als ich dachte, Cuchillo, und das gibt mir Vertrauen zu Euren Worten. Ihr sollt die fünfhundert Piaster sowie den zehnten Teil der Beute haben!«

»Wie groß diese auch sein mag?«

»Wie groß sie sein mag; Ihr habt mein Wort! Wo liegt das Goldtal?«

»Jenseits des Presidio Tubac. Ihre Expedition soll von Tubac ausgehen, Sie brauchen also ihre Route nicht zu ändern.«

»Gut! Und Ihr habt das Gold mit eigenen Augen gesehen?«

»Ich habe es gesehen, ohne es berühren zu können; ich habe es gesehen mit Zähneknirschen, wie der Verdammte durch die Flammen der Hölle hindurch ein Stück des Paradieses sehen würde; ich habe zentnerschwere Blöcke des gediegenen Metalls gesehen und sehe sie noch heute in jedem Traum!«

Diese Worte wurden mit der ganzen Wut getäuschter Habsucht gesprochen; Arechiza konnte nicht länger an der Wahrheit des Gesagten zweifeln. Er nahm aus einer kleinen, schweren Kassette einen hirschledernen Beutel und zählte Cuchillo zweiunddreißig Quadrupel hin. Das waren etwas mehr als fünfhundert Piaster. Cuchillo steckte das Gold ein und erhob die Hand zum Schwur.

»Ich schwöre beim Kreuz des Erlösers, daß ich nichts als nur die reine Wahrheit sagen werde! Zehn Tagereisen in nordwestlicher Richtung hinter Tubac kommt man am Fuße einer Bergkette an, die nicht schwer zu erkennen ist, denn ein dicker Nebel umschleiert ihre Kuppen Tag und Nacht. An dieser Hügelreihe läuft ein kleines Flüßchen hin, in das sich ein anderes ergießt. Da, wo sich an diesem Zusammenfluß eine Erdkruste bildet, erhebt sich ein steiler Hügel, auf dessen Spitze sich das Häuptlingsgrab befindet. Am Fuße des Hügels liegt ein See und daneben ein enges Tal. Dieses ist das Goldtal, in das die Wasser ungeheure Schätze gespült haben.«

»Diese Reiseroute ist leicht zu verstehen.«

»Desto schwerer aber ist es, ihr zu folgen. Dürre Wüsten, durch die man kommt, sind nur das kleinste Hindernis. Indianerhorden durchstreifen diese Steppen in jedem Augenblick; das Grab des Häuptlings bildet für sie den Gegenstand eines abergläubischen Kultes und das beständige Ziel ihrer Wanderungen. Bei einer dieser Pilgerfahrten haben sie mich und Arellano überrascht.«

»Und dieser Arellano hat nur Euch das Geheimnis entdeckt?«

»Ja.«

»Hatte er keine Verwandten? Vielleicht ein Weib?«

»Ich erfuhr gestern während der Reise, daß seine Frau verstorben sei.«

»Ein Kind?«

»Einen Sohn hatte er.«

»Einen Sohn? Dieser kennt doch sicher das Geheimnis!«

»Ich glaube nicht, er war nicht daheim, als Arellano von der Reise kam. Übrigens ist er nur der Adoptivsohn, der weder seinen Vater noch seine Mutter kennt.«

»Jedenfalls der Abkömmling eines armen Teufels aus dieser Provinz!«

»Ganz und gar nicht; er stammt aus Europa und ist höchstwahrscheinlich in Spanien geboren.«

»Ah!«

Don Esteban horchte unwillkürlich auf.

»So hat wenigstens der Kommandant einer englischen Kriegsbrigg, die im Jahre 1811 nach Guaymas kam, gesagt. Dieses Kind, das zugleich spanisch und französisch sprach, war nach einem blutigen Treffen mit einem französischen Kutter mit gefangengenommen worden. Ein Matrose, der ohne Zweifel sein Vater war, und den das Kind stets beweinte, war entweder getötet worden oder entkommen. Der Kommandant wußte nicht, was er mit dem Knaben anfangen sollte; da nahm ihn Arellano zu sich und machte einen Mann aus ihm; denn so jung er noch ist, besitzt er doch den Ruf eines Rastreadors (sprich: Rastreadór) Fährtensucher, der nie fehlgeht, und eines Pferdebändigers, dem selbst die wildeste Bestie gehorchen muß.«

»Wie ist sein Name?«

»Tiburcio Arellano.«

»Habt Ihr ihn gesehen?«

»Nein, aber desto mehr von ihm gehört.«

»Und meint Ihr nicht, daß dieser Rastreador, der nie fehlgeht, dieser kühne Pferdebändiger, uns gefährlich sein kann, wenn er um das Geheimnis seines Adoptivvaters weiß?«

»Was vermag ein einzelner gegen achtzig?«

»Richtig! Im übrigen sind wir mit unserem Geschäft im reinen und dürfen alles Weitere der Zukunft überlassen. Ich hatte beschlossen, in drei Tagen nach Tubac zu gehen, werde mich aber unter den veränderten Verhältnissen für den morgigen Tag entscheiden. Ihr werdet Euch meinem Gefolge beigesellen und bis dahin Platz hier im Hause finden. Besorgt also Eure Ausrüstung bis morgen früh, sonst ist es zu spät!«

Am anderen Morgen hatte sich die ganze Einwohnerschaft von Arispe versammelt, um der Abreise des Don Esteban de Arechiza beizuwohnen. Die Gesellschaft bestand außer ihm nur aus sechs Personen, und dennoch hatte man eine Kavalkade von über dreißig Pferden für notwendig gehalten, die weite Entfernung zwischen Arispe und Tubac mit möglichster Schnelligkeit zurückzulegen.

Diese Pferde gehören einer Rasse an, die gewohnt ist, auf ungeheuren Weideplätzen frei umherzujagen; sie sind, wenn sie zwanzig Wegstunden ohne Reiter zurückgelegt haben, noch ebenso munter, als kämen sie gerade aus dem Stall. Wenn große Strecken zurückgelegt werden sollen, so sattelt man sie abwechselnd und reist dabei ebenso schnell wie in Europa mit der Post, wo auf jeder Station frische Pferde genommen werden.

Die Reise ging zunächst nach dem drei Tagereisen entfernten Dorfe Huerfano. Dort hatte sich ein trübes Ereignis abgespielt zwischen zwei Personen, die in dem Gespräch zwischen Don Esteban und Cuchillo erwähnt worden waren.

Unter dem Dach einer kleinen aber sauber gehaltenen Hütte lag eine alte Frau, deren Gesichtszüge den Ausdruck des nahenden Todes spiegelten. Vor ihr kniete ein bildschöner Jüngling in der Ledertracht der Gambusinos, über dessen rechte Wange ein feiner Strich lief, der von einer Schnittwunde herzurühren schien, die kaum eine Spur zurückgelassen hatte. Die Frau hatte die Hände auf seine reichen Locken gelegt und sprach mit leiser, angestrengter Stimme:

»Das ist das Geheimnis, das mir der Vater anvertraut hat, bevor er seine letzte Reise antrat. Ich habe es dir mitgeteilt, weil er nicht wieder zurückgekehrt ist und das Gold dir bei deiner Armut viel nützen kann.«

»Und du kennst den Namen des Mannes nicht, mit dem er sich in Tubac verbunden hat?«

»Nein.«

»Ich habe nach ihm geforscht, doch nichts erfahren können, als daß er ein wenig hinkt und ein Pferd geritten hat, das oft stolpert.«

»Aber du wirst ihn finden, Tiburcio! Du bist der beste Fährtensucher weit und breit, und wenn du ihn haben willst, so kann er dir nicht entgehen. Weißt du, was in der Schrift gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut! Tiburcio, ich gehe in ein anderes Leben, aber ich kann nicht eher scheiden, als bis ich weiß, daß den Mörder die Strafe ereilen wird. Lege deine Hand in die meine und schwöre mir, daß du nicht ruhen und nicht rasten wirst, als bist du ihn gefunden und getroffen hast!«

»Ich schwöre es!«

»Ich danke dir, denn ich weiß, daß du diesen Schwur halten wirst!«

Sie legte sich, vom Sprechen ermüdet, zurück und schloß die Augen. Er betrachtete sie mit liebevollem Blick; in seinem Auge standen große Tränentropfen, als er sich auf ihre hagere Hand niederbeugte, um sie zu küssen.

»Mutter!«

»Was willst du noch, mein Tiburcio?«

»Ich will dir danken für all die große und viele Liebe, die ich bei euch gefunden habe.«

Ein glückliches Lächeln glitt über ihr Gesicht.

»Du hast sie uns reichlich gelohnt. Wollte Gott, ich könnte dir deine rechte Mutter nennen!«

»Habt ihr mir alles gesagt, was ihr von mir wißt?«

»Alles.«

Er schwieg.

Trotz der Nähe des Todes, der seinen Stempel auf die erstarrenden Züge der Sterbenden drückte, gingen Erinnerungen durch die Seele des Jünglings, die ihn weit in die Ferne wiesen. Sie waren sein einziges Besitztum, das er mit in die Hütte des Gambusino gebracht hatte, und von ihm mit aller Sorgfalt gepflegt und festgehalten worden. Ein wunderschönes Frauenangesicht, hold und freundlich wie das eines Engels, hatte sich über ihn geneigt; dann sah er sich auf dem Arm eines wilden Mannes und hörte einen Schuß krachen; auch die Spitze eines Messers meinte er zu fühlen, das ihm über die Wange ging. Dann hatte er viel, viel Wasser gesehen und war lange Zeit auf einem Schiff gewesen. Ein fürchterlich großer Mann hatte ihn dorthin gebracht, aber dieser Mann war so lieb und gut gewesen, und sie hatten sich Vater und Sohn genannt. Noch heute sah er die Augen dieses Mannes aus einem treuen Gesicht in Liebe und Milde herniederblicken, dann war er einmal mit bluttriefenden Händen und wildem Blick zu ihm gekommen und hatte gerufen: »Bete, mein Sohn, der Tod ist da!« Ein fürchterliches Geschrei schnitt ihm noch heute in die Ohren, und nun verließ ihn die Erinnerung, bis er sich in der Hütte seines Pflegevaters Marco Arellano wiederfand.

»Tiburcio!«

Er erhob den niedergesenkten Kopf in die Höhe und sah, daß der letzte Kampf begonnen hatte.

»Meine Mutter!«

Er drückte seine Lippen auf ihre von Schweiß bedeckte Stirn und ergriff ihre kalten Hände, als müsse er sie zurückhalten von dem großen Schritt, den sie jetzt tun sollte.

»Gott segne dich jetzt und immerdar. Vergiß nicht deinen Schwur!«

Die Worte entflohen nur leise und in sich immer vergrößernden Absätzen ihren Lippen; ihr Körper erbebte, zuckte gequält – eine letzte, gewaltsame Bewegung, sie war tot.

Lange kniete er im Gebet an ihrem Lager, dann erhob er sich, um die Nachbarn herbeizurufen. In jenen Landstrichen ist der Lebende gezwungen, sich so schnell wie möglich von seinen Toten zu trennen; die Natur zeigt sich gewaltiger und ungestümer als in der gemäßigten Zone und gewährt dem Menschen keine Frist zur Zahlung des ihr gehörigen Tributes. Das Grab wurde noch während des Abends ausgehoben, und schon am nächsten Morgen deckte die Erde das einzige Wesen, das Tiburcio, der Rastreador, noch besessen hatte.

Er sah sich in der elenden Bambushütte um, die er mit den nun toten Eltern bewohnt hatte. Ein Lager von Häuten, eine armselige Hängematte, das Skelett eines Pferdekopfes, das als Sessel gedient hatte, – das war alles, was sie barg. Sie war zu klein, zu eng für seinen tatendurstigen Geist gewesen; es hatte ihn immer wieder hinausgetrieben in die an Abenteuern so reiche Wüste; jetzt bot ihm die Hütte gar nichts mehr, was ihn halten konnte. Er trat hinaus, wo sich der größte Reichtum befand, den er besaß: ein Pferd, das weit und breit seinesgleichen suchte. Es wieherte ihm freudig zu; er klopfte es auf den vollen und doch so zarten, kühn gebogenen Hals und legte ihm dann den Sattel auf. Mutig, erwartungsvoll schnaubend, rieb es den kleinen Kopf an seiner Schulter.

»Geduld, Geduld, du Braver, du einziges Wesen, das mir jetzt noch geblieben ist! Es geht fort in den Wald, in die Savanne. Ich muß das Leid hinaustragen in die wilde Einsamkeit und es dort begraben, wo es niemand findet. Ich muß die Gefahr suchen, die meine Seele stärkt, die Gefahr und – und den hinkenden Mann, dessen Pferd stolpert. Und wenn ich ihn finde, so werde ich meinen Schwur halten, den ich der Mutter gegeben habe!«

Er schritt zur Zisterne, um seinen Wasserschlauch zu füllen, nahm die Waffen zu sich und saß dann auf. In kurzer Zeit schon lag das Dorf weit hinter ihm. Er war mit sich und seinen Gedanken allein und konnte ungestört an seine Lage und an seine Zukunft denken.

Die Mutter hatte ihm die Kunde von den unermeßlichen goldenen Schätzen vererbt; aber diese Reichtümer lagen mitten im Gebiet der Apatschen, und er allein vermochte nicht, sie zu heben. Sollte er sich jemandem anvertrauen? War dies der einzige Weg, zum Ziel zu kommen, so mußte er bald betreten werden, denn der Mörder von Marco Arellano tat sicher sein möglichstes das Goldtal baldigst auszubeuten. Ein Plan nach dem anderen tauchte im Kopf des Rastreadors auf, aber bei näherer Prüfung konnte er keinen einzigen für praktisch und ausführbar erklären. Er mußte das Gold um jeden Preis haben, nicht um des Goldes willen, sondern um mit Hilfe des wertvollen Metalls Licht in seine Vergangenheit und Abstammung bringen zu können.

So verging unter ergebnislosem Grübeln und Sinnen der Tag. Sein schnelles Pferd hatte ihn weit fortgetragen, tief in die Wildnis hinein, wo er, jeder menschlichen Wohnung fern, sein Nachtlager unter den Sternen des Himmels aufschlagen mußte.

Schon hatte sich die Sonne hinter den westlichen Horizont hinabgesenkt; schon hatten die Lichter des Tages begonnen, dem Düster der Dämmerung zu weichen. Er hielt das Pferd an und sah sich nach einem Platz um, der sich zum Nachtlager eignete. Da war es ihm, als sehe er vor sich in der Ferne einige dunkle Punkte, die sich quer über seine Richtung bewegten. Er verschärfte seinen Blick und erkannte vier Reiter, die in langsamer Bewegung durch das kniehohe Gras ritten. Er war mit der wilden Steppe nur zu wohl vertraut und wußte, daß er, um selbst sicher zu sein, ihnen folgen müsse, um sich über ihre Personen und den Zweck ihres Rittes Klarheit zu verschaffen. So wartete er, bis sie hinter den wellenförmigen Erhöhungen der Prärie verschwunden waren, und setzte dann sein Pferd in Galopp.

Nach einer Viertelstunde hatte er die Fährte erreicht und stieg ab, um sie zu untersuchen.

»Drei Männer und eine Dame!« meinte er verwundert. »Es ist kein Zweifel möglich, denn drei von den Pferden haben die gewöhnlichen Kreuzspuren hinterlassen, während das vierte nach der Weise der Damenpferde geschritten ist: im Bärentritt, die zwei Beine ein und derselben Seite zugleich erhebend. Wer mögen diese Leute sein? Sollte –«

Er vollendete den Satz nicht, aber ein freudiger Schimmer flog über sein bisher ernstes Gesicht, und nach einem kurzen Nachdenken entschloß er sich:

»Ich muß ihnen nach auf jeden Fall!«

Noch war es hell genug, daß er die Hufeindrücke von dem Rücken des Pferdes aus zu erkennen vermochte. Er folgte ihnen ungesäumt, wenn auch, da er sie beim Lagerfeuer beobachten wollte, in langsamem Schritt, und machte wohl eine kleine englische Meile vorwärts gekommen sein, als er plötzlich überrascht sein Pferd anhielt, zur Erde sprang und die Spuren nochmals genau betrachtete. Er ging einige Schritte zurück und wandte sich dann, den scharfen Blick immer zu Boden gerichtet, eine kurze Strecke seitwärts.

»Es ist keine Täuschung. Hier sind zwei Männer zu Fuß auf die Fährte getroffen und ihr sofort gefolgt. Sie tragen indianische Mokassins, gehen aber wie die Weißen, mit den Fußspitzen nach auswärts, und führen gute Bärentöter aus Kentucky bei sich; das sieht man an den Kolbeneindrücken hier, wo sie die Büchsen auf die Erde gestemmt haben. Wenn die ersten vier Señor Agustín Pena von der Hacienda del Venado mit seiner Tochter Rosarita und zwei Vaqueros sind, wie ich vermute, so droht ihnen vielleicht Gefahr. Ich kann nicht von den Spuren lassen!«

Er stieg wieder auf und folgte der Fährte, bis ihm die immer größer werdende Dunkelheit nicht mehr erlaubte, die Eindrücke vom Pferd herab zu erkennen. Jetzt setzte er die Verfolgung zu Fuß fort, wobei er sein Tier am Zügel führte.

Der Boden hatte schon längst einige derbere Grasarten und Stauden gezeigt, wie sie nur in der Nähe von Busch oder Wald und Wasser vorkommen. Einzelne verstreute Mezquites (sprich: Meskites) Mexikanische Gummipflanzen zeigten sich; die Sträucher traten nach und nach enger zusammen, und es gehörte das scharfe, geübte Auge eines Rastreadors von den ausgezeichneten Fähigkeiten Tiburcios dazu, die zwischen ihnen hinlaufende Fährte nicht zu verlieren. Er war gezwungen, sein Auge dicht am Boden zu halten, und bemerkte, daß die Eindrücke immer deutlicher wurden. Das saftige Gras, das auf die Nähe eines Wasserlaufes schließen ließ, hatte sich noch nicht um eine Linie wieder erhoben, ein Zeichen, daß die Verfolgten kaum einige hundert Schritte vor ihm sein konnten. Er beschloß, sein Pferd zurückzulassen, band es an und schlich sich nun mit unhörbaren Schritten vorwärts.

Da schimmerte ihm eine Helle entgegen. Sie wurde verursacht von dem Lagerfeuer der vier Personen, die er zuerst bemerkt hatte. Es brannte auf einer kleinen Lichtung, deren Rand ein schmaler Bach umspülte.

Ein Blick genügte, um ihn zu überzeugen, daß er sich nicht geirrt hatte. Ein hoher, schöner Mann in der Tracht eines reichen Haciendero (sprich: Aßjendèro Gutsbesitzer stand am Feuer, neben dem auf dem ausgebreiteten Poncho ein junges Mädchen ruhte, dessen wunderbar schönes Angesicht unter dem Einfluß der Flammen in rosiger Glut leuchtete. Zwei Vaqueros (sprich: Wakéros) Rinderhirten waren beschäftigt, die Pferde abzusatteln.

»Es ist Don Agustín mit Señorita Rosarita«, flüsterte er, während sein Herz höher schlug. »Aber wer sind die beiden Männer?«

Es war so dunkel geworden, daß er die Spuren unmöglich mehr erkennen konnte; er mußte also die Umgebung durchschleichen, wenn er Antwort auf seine Frage finden wollte. Tief am Boden liegend, schob er sich langsam und unter Vermeidung auch des geringsten Geräusches seitwärts zwischen die Büsche hinein und war auch noch nicht weit gekommen, als er die zwei Gesuchten bemerkte. Sie lagen so wie er am Boden und hielten die glühenden Augen nach dem Feuer gerichtet. Ein einziger Strauch trennte ihn von den beiden, so daß er den größten Teil des im Flüsterton zwischen ihnen geführten Gesprächs vernehmen konnte. Sie waren wie Mansas (sprich: Mánsas) Bezeichnung für zivilisierte Indianer, vom spanischen ›manso‹ - zahm, sanft gekleidet, doch deutete ihre hellere Hautfarbe auf kaukasische Abstammung hin. Wenigstens der ältere konnte kein indianisches Blut in den Adern tragen, während der jüngere, der unzweifelhaft sein Sohn war, die scharfen Züge und den dunklen, hier von den Sonnenstrahlen noch vertieften Teint zeigte, der Personen charakterisiert, die von einem kaukasischen Vater und einer kupferhäutigen Mutter abstammen.

Tiburcio mußte sich bei ihrem Anblick alle Mühe geben, einen Laut des Schreckens zu unterdrücken. Er kannte diese zwei Männer nur zu gut; sie waren von Kanada bis nach Mexiko und Yukatan berüchtigt und gefürchtet, sprachen alle Zungen und hatten auch in jeder Sprache ihren besonderen Namen. Der Alte hieß französisch Main-rouge, bei den Amerikanern Red-Hand und bei den spanisch sprechenden Mittelamerikanern Mano- Sangriento; der jüngere, der eine Indianerin zur Mutter hatte, wurde in den Vereinigten Staaten Half-Breed, von den französischen Kanadiern Sang-mêlé und in Mexiko und bei den Apatschen El Mestizo genannt.

Es gab Weiße, die das wilde Leben der Indianer annahmen. Sie schlossen mit indianischen Frauen eine wilde Ehe und riefen dadurch Mischlinge ins Leben, die man Mestizen nennt und die meist die Laster der weißen und roten Menschen, nicht aber ihre Tugenden erben. Unermüdlich im Rauben wie die Wilden, furchtbar in der Handhabung der Feuerwaffe wie ihre Väter, zivilisiert und wild zugleich, die Sprachen ihrer Väter und Mütter sprechend und stets bereit, diese Kenntnisse und Fertigkeiten zu gebrauchen, um sowohl die Indianer als auch die Weißen zu betrügen, waren solche Mestizen der Schrecken der Wüste und die fürchterlichsten Feinde, denen man begegnen konnte. Main-rouge und Sang-mêlé waren die berüchtigsten unter ihnen. Zu jeder schlimmen Tat fähig und unübertroffen an Körperstärke und Geschicklichkeit, traten sie, wo sie nur erschienen, als rücksichtslose Gebieter auf, und wehe dem, der ihnen Widerstand zu leisten wagte; er ging verloren, gleichviel ob er ein Weißer oder ein Indianer war. Und wie sie gegen andere kein Mitleid kannten, so lebten dieser Vater und Sohn auch unter sich in einem grauenhaften Verhältnis, und man erzählte sich von Szenen zwischen ihnen, die das Haar sträuben machten.

»Kennst du sie, Alter?« fragte leise Sang-mêlé.

»Don Agustín, der Reiche!« antwortete Main-rouge kurz.

»Willst du Geld, viel Geld?«

Der Prärieräuber nickte mit einem Lächeln, in dem sich die ganze Grausamkeit seiner verworfenen Seele aussprach.

»Gut. Wir putzen die Vaqueros weg; der Haciendero muß ein Lösegeld versprechen, und das Mädchen bleibt als Geisel bei uns.«

»Auch wenn er das Geld bezahlt?«

»Auch dann«, lachte El Mestizo. »Oder denkst du, daß ich keine Frau wert bin?«

»Aber nötig hast du keine. Was soll werden, wenn du vor einem hübschen Gesicht im Grase kriechst? Ich putze sie dir mit der ersten besten Kugel weg, darauf kannst du dich verlassen!«

»Dann putze ich dich mit der zweiten weg, darauf kannst du dich ebenso verlassen, alter Schurke, du!«

»Eine Frau nehmen ist der dümmste Streich, den ein Jäger machen kann.«

»Hast du nicht auch eine ›Squaw‹ (sprich: Skwa, mit geschlossenem, nach ›o‹ klingendem Vokal) Indianische Frau gehabt? Und zwar eine, deren du dich heut noch schämen mußt!«

»Schweig, Bube, sonst stoße ich dir das Messer in den Leib! Ich nahm sie, weil ich gefangen war und mich nur auf diese Weise retten konnte. Sie ist deine Mutter!«

»Sie mag nur froh sein, daß sie nicht mehr lebt, denn sonst würde ich ihr das Fell über die Ohren ziehen für die Albernheit, mir einen solchen Vater zu geben! Aber nimm die Büchse her und mach, daß wir hier fertig werden. Ich nehme den rechten und du den linken!«

»Well! Die Abrechnung für ›einen solchen Vater‹ können wir auch später halten!«

Sie schoben die Läufe ihrer Gewehre langsam durch die Zweige. Tiburcio erhob sich und trat leise hinter sie. Es widerstrebte seinem Gefühl, sie zu töten, obgleich sie die Kugel gewiß nicht unverdient bekommen hätten. Ein Schlag mit dem Kolben streckte Sang-mêlé nieder, ein zweiter auch Main-rouge. Der Alte hatte den Finger bereits am Drücker gehabt; der Schuß ging los, traf jedoch niemanden. Im Nu hatten der Haciendero und die beiden Vaqueros ihre Büchsen ergriffen und hielten die Augen auf die Stelle gerichtet, an der sie den leichten Pulverrauch in die Höhe steigen sahen. Tiburcio trat aus dem Busch hervor.

»Schnell, Don Agustín, kommt herbei; ich bedarf Eurer Hilfe!«

»Tiburcio Arellano!« rief der Haciendero, ihn erkennend. »Wo der ist, gibt es keine Gefahr für uns. Welche Hilfe braucht Ihr von mir?«

»Helft mir zwei Räuber zu binden, die Euch überfallen wollten!«

»Ah, ist's möglich? Rasch, Leute, vorwärts!«

Sie kamen herbei und schlangen ihre Lassos um Hände und Füße der beiden besinnungslos daliegenden Männer.

»Wer sind sie?« fragte Don Agustin.

»Habt Ihr noch nichts von El Mestizo und Mano-Sangriento gehört?«

»Von den ›Teufeln der Savanne‹? Gehört genug, aber Gott sei Dank, gesehen habe ich sie noch nie!«

»So blickt auf diese hier; sie sind es!«

»Santa Madre! Sprecht Ihr die Wahrheit, Tiburcio?«

Der Gefragte nickte.

»Ich bin ihnen nur einmal begegnet; das war oben am Rio Grande. Ich bekam zwar nichts mit ihnen zu tun, aber ich habe mir ihre Gesichter genau gemerkt. Ein Rastreador kann leicht einmal auf ihre Fährte stoßen, wie es ja auch heute geschehen ist. Ich folgte Eurer Spur, die ich draußen in der Savanne fand, und sah, daß sich die ihrige mit der Euren vereinte. Hier lagen sie im Hinterhalt und beschlossen, Eure Begleiter wegzuknallen und Doña Rosarita gefangenzunehmen, um ein Lösegeld zu erpressen. Auch wenn Ihr dies auszahltet, sollte sie für Euch verloren sein, denn Sang-mêlé wollte sie als seine Frau bei sich behalten. Im Augenblick, wo sie schießen wollten, schlug ich sie nieder.«

»Tiburcio!« rief das Mädchen, das herbeigetreten war und seine Worte mitgehört hatte. »Welch ein Glück, daß Ihr uns folgtet!«

Er sah sie erbleichen und zittern bei dem Gedanken, in die Hände der ›Teufel der Savanne‹ zu fallen.

»Rosarita hat recht«, stimmte Don Agustín bei, während er dem Jüngling die Hand reichte. »Ihr habt uns zum größten Dank verpflichtet. Die Hacienda del Venado steht Euch zu jeder Zeit und zu jeder Hilfe offen. Merkt Euch das, Tiburcio Arellano!«

»Ich tat meine Pflicht, Señor Pena, nichts weiter. Wollt Ihr mir aber eine Gefälligkeit erweisen, so erlaubt, daß ich für diese Nacht an Eurem Lagerfeuer bleiben darf!«

»Wir erlauben es nicht, sondern wir bitten Euch, es zu tun«, fiel Rosarita ein. »Ich werde unter Eurem Schutze sicher ruhen!«

»Was tun wir mit den Räubern?« fragte Pena.

»Schleppt sie an das Feuer«, gebot Tiburcio den Vaqueros. »Wir dürfen sie nicht aus den Augen verlieren!«

Erst als die Körper der Gefangenen von der Flamme beleuchtet wurden, sah Don Agustín, mit welchen fürchterlichen Feinden er es zu tun gehabt hatte. Der alte Red-Hand, der aus dem Norden der Vereinigten Staaten stammte, war schon in seiner Jugend einer der berühmtesten Wildsteller und Schützen gewesen. Das wilde Leben hatte seine Knochen zu Eisen, seine Sehnen zu Stahl gehärtet und ihn zu einem bisher noch unüberwundenen Gegner gemacht. Sein ihm an Körperkraft und Gewandtheit ebenbürtiger Sohn mußte ihn an Verschlagenheit und Hinterlist noch übertreffen, und die vier geretteten Personen standen da und betrachteten die Gefesselten mit jenen Gefühlen, mit denen man auf den überwundenen Löwen blickt, von dem ein einziges Zucken der Pranken genügt, den Feind in Stücke zu zerreißen.

»Tiburcio, Ihr seid der beste Rastreador und Reiter von Sonora, hier aber habt Ihr ein Meisterstück vollbracht«, meinte Don Agustín mit einem Atemzug der Erleichterung. »Diese Teufel sind noch von niemandem besiegt worden!«

»Hätten sie mich bemerkt, so wäre ich verloren gewesen wie jeder andere, Señor. Einen Menschen von hinten niederzuschlagen ist ein schlechtes Meisterstück.«

»Aber Ihr habt ausgezeichnet getroffen! Sie sind noch immer wie tot.«

»Meint Ihr?« lächelte Tiburcio. »Ich wette mein Leben, daß sie schon seit fünf Minuten bei voller Besinnung sind und jedes Wort vernahmen, das wir sprachen. Diese Art Ungeziefer hat ein zähes Leben. Wären unsere Riemen nicht so scharf und fest, so wären die Teufel längst wieder frei; da sie aber keine Möglichkeit sehen, uns zu entkommen, so ziehen sie es vor, sich totzustellen.«

Er bückte sich nieder und nahm die lange, ungewöhnlich schwere Büchse El Mestizos auf.

»Dieses Gewehr ist, außer einem einzigen, das beste zwischen Kanada und dem Honduraslande. Es hat einen Wert, den nur der Jäger zu schätzen versteht, und wird von jetzt an mir gehören.«

»Hund!« knirschte es da zwischen den Lippen des Mestizen hervor.

Tiburcio lächelte befriedigt.

»Seht Ihr, Señor Pena, daß sie lebendig sind! Er würde die Büchse nicht für zehntausend Unzen verkaufen, und muß sie jetzt umsonst hergeben; das hilft ihm zur Sprache. Nur ein einziges Gewehr gibt es, das diesem gleicht, und das ist droben in den Rocky Mountains zu finden. Es gehört einem kanadischen Bärenjäger, welcher den Namen Bois-rosé führt und in Gesellschaft eines Spaniers allem Wild und wohl auch manchem Indianer den Tod geschworen hat. Er soll ein Riese sein, der eine Büffelkuh mit den Fäusten niederwirft, und dem kein Mensch gewachsen ist, so weit die Savanne reicht. Er hat noch niemals einen Fehlschuß getan; die roten Leute nennen ihn den ›großen Adler‹ und seinen Begleiter den ›zündenden Blitz‹; an jedem Lagerfeuer drüben über dem Rio Grande del Norte erzählt man sich von seinen Heldentaten, und wenn sein Schuß im Walde fällt, so kennt jedes Ohr den untrüglichen Klang seiner Büchse; der Indianer zittert, der ehrliche Weiße aber, der ein gutes Gewissen hat, freut sich, unter seinen gewaltigen Schutz zu kommen.«

»Kennt Ihr einige von seinen Taten?« fragte das Mädchen.

»Viele. Ich habe ihn noch nicht gesehen, desto mehr aber von ihm gehört.«

»So erzählt uns von ihm, Tiburcio, wenn wir unser Mahl gehalten haben!«

»Gern, Doña Rosarita!«

Er überzeugte sich noch einmal von der Festigkeit der Lassos, mit denen die Gefangenen gefesselt waren, und sah dann zu, wie die Tochter des Haciendero aus den verschiedenen Eßwaren, die sie der Satteltasche entnahm, ein leckeres und in der Wildnis ungewöhnliches Mahl bereitete. Wie er so dastand, auf die Büchse gelehnt, in voller Jugendkraft und männlicher Schönheit, bekleidet mit der malerischen Tracht des Pferdebändigers, war es gar nicht zu verwundern, daß der Blick des Mädchens öfter und länger auf ihm ruhte, als es selbst beabsichtigte.

Auch er konnte das Auge kaum von dem lieblichen Wesen lassen, das hier in der Nähe von zwei so furchtbaren Männern, aber unter seinem und dem Schutz ihres Vaters, mit einer Anmut waltete, als befinde es sich in der Umgebung der gewohnten, sicheren Häuslichkeit. Er war auf der Hacienda del Venado nicht unbekannt, sondern öfter schon dort gewesen, da Don Agustín eine selbst in diesen Gegenden seltene Gastfreundschaft übte. Er wußte, daß sie in ganz Sonora bewundert wurde, fühlte sich glücklich, ihr einen nicht ganz gewöhnlichen Dienst geleistet zu haben, und sah mit einem bisher noch nicht gekannten Entzücken, daß ihre schönen, strahlenden Augen so oft zu ihm herüberblickten.

»Kommt, Tiburcio, und nehmt an unserem Mahle teil!« forderte ihn der Haciendero auf. »Ohne Euch hätten wir es sicher nicht halten können.«

»Wie kommt es, Señor Pena, daß Ihr um der Doña willen eine solche Gefahr nicht vermieden habt?«

»Ich mußte hinüber nach der Hacienda del Emenda, und da Rosarita dort eine Freundin hat, ließ sie nicht nach, bis ich ihr erlaubte mitzugehen. Ich konnte den Überfall nicht vermuten, denn wir haben diesen Weg schon sehr oft gemacht und sind dabei in keinerlei Fährlichkeit gekommen.«

»Dann erlaubt mir, Euch für ähnliche Fälle einen guten Rat zu geben!«

»Welchen?«

»Als der Schuß vorhin fiel bliebt ihr mitten auf der Lichtung und am Feuer halten und botet mit euren hell erleuchteten Gestalten jeder feindlichen Büchse ein sicheres und bequemes Ziel. Ihr hättet euch sofort mit einem raschen Sprung hinter die Sträucher werfen sollen.«

»Ihr habt recht, Tiburcio. Ein Haciendero ist zu wenig Pfadfinder, um in solchen Augenblicken gleich das Richtige zu treffen.«

Als das Essen beendet war, steckten sich die Männer die unvermeidlichen Cigarrillos an, und der junge Rastreador begann, von den Taten des ›großen Adlers‹ und des ›zündenden Blitzes‹ zu erzählen. Rosarita lauschte mit Aufmerksamkeit seiner wohltönenden Stimme und konnte, als er geendet hatte, nicht umhin auszurufen:

»Wäre ich kein Mädchen, ich möchte nichts anderes werden, als so ein Jäger, dessen Name an jedem Lagerfeuer erklingt. Von Euch wird man wohl auch erzählen, Tiburcio!«

Er sah ihr mit aufleuchtendem Blick in die Augen.

»Ich hoffe es. Die Büchse des Mestizen wird mir einen Namen machen!«

»Ist sie wirklich so ausgezeichnet?«

»Paßt auf!«

Er nahm das Gewehr, das geladen war, zog einen dünnen Schierlingstannenzweig aus der Flamme und wandte sich an einen der Vaqueros.

»Geht hundert Schritte fort und steckt den Zweig in die Erde; ich werde ihn mit meiner Kugel gerade unter der brennenden Stelle entzweischießen!«

»Das ist unmöglich!« rief der Haciendero.

Tiburcio antwortete nicht, aber wenige Augenblicke später krachte der Schuß, und der Zweig wurde an der bezeichneten Stelle auseinandergerissen.

»So! Das bringt man nicht mit jeder Büchse fertig. Jetzt aber legt euch schlafen; ich werde die erste Wache übernehmen.«

»Und ich die zweite, jeder eine Stunde lang«, fiel Don Agustín ein.

Tiburcio bereitete dem Mädchen ein weiches und bequemes Lager von frischen Sassafraszweigen und durchforschte, als die Ruhenden sich in ihre Decken gewickelt hatten, die Umgebung, ob diese ihnen wirklich Sicherheit biete. Dann kehrte er zum Feuer zurück, wo er sich neben den Gefangenen niederließ.

Diese lagen noch immer vollständig bewegungslos am Boden, aber ihre zuweilen sich öffnenden Augen bewiesen, daß auch sie munter waren. Es waren eigentümliche Empfindungen, die durch seine junge Seele fluteten; er hätte für die Ruhe und Sicherheit Rosaritas mit tausend Feinden kämpfen können und unterließ es, nach der abgelaufenen Stunde ihren Vater zu wecken. Keiner der Schläfer erwachte während der Nacht, und erst als der Morgen angebrochen war, schlug der Haciendero die Augen auf. Als er die Helle des Tages bemerkte, sprang er auf.

»Warum habt Ihr mich nicht geweckt?«

»Ich glaubte Euch nicht gefährdet.«

Auch Rosarita und die Vaqueros, die erwachten, machten ihm freundliche Vorwürfe. Dann wurde das Morgenmahl eingenommen und man rüstete sich zum Aufbruch.

»Was tun wir mit den Teufeln?« fragte Don Agustín.

»Das mag Eurer Bestimmung überlassen bleiben.«

»Sie hätten den Tod verdient.«

»Sicher, nicht bloß Euretwegen, sondern schon hundertmal wegen früherer Sünden.«

Auch die Vaqueros sprachen diese Ansicht aus, doch wandte sich Rosarita bittend dagegen, so daß die Männer, die wohl auch nicht im Ernst daran dachten, ein so strenges Urteil zu vollziehen, sich entschlossen, die Gefangenen freizulassen.

»Um uns dabei nicht in neue Gefahr zu begeben, lassen wir ihnen nichts von ihren Waffen«, schlug der Haciendero vor.

»Verzeiht, Señor«, wandte Tiburcio ein, »das hieße hier in der Savanne sie dennoch zum Tode verurteilen.«

»Wieso?«

»Sie bedürfen ihrer Waffen zu ihrem Unterhalt. Laßt mich dafür sorgen, daß wir jede Gefahr vermeiden. Ihr könnt die Hacienda del Venado bis zum Abend erreichen und befindet euch sodann in vollständiger Sicherheit. Ich werde hier zurückbleiben und ihnen die Freiheit zu einer solchen Zeit geben, daß sie euch nicht erreichen können.«

»Nein, das gebe ich nicht zu«, warf Rosarita ein, »denn auf diese Weise nehmt Ihr die Gefahr ja nur auf Euch.«

Diese Ängstlichkeit für ihn tat Tiburcio unendlich wohl; seine Wangen röteten sich freudig, als er antwortete:

»Habt keine Sorge um mich, Doña Rosarita! Ich werde die Sache so einrichten, daß mir nichts geschehen kann.«

»Wollt Ihr uns das ganz sicher versprechen?«

»Ganz sicher!«

»So sollt Ihr Euren Willen haben, doch nur unter der Bedingung, daß Ihr uns so bald wie möglich auf der Hacienda del Venado aufsucht, damit wir Gelegenheit haben, Euch unseren Dank noch besser abzustatten, als es hier möglich ist!«

Auch der Haciendero sprach diesen Wunsch aus.

»Ich werde kommen«, versicherte der Rastreador, während er seiner schönen Freundin in den Sattel half.

»Und zwar bald?« fragte Don Agustín.

»Bald!«

Die kleine Reitergruppe setzte sich in Bewegung und war bald den Augen des nachblickenden Tiburcio entschwunden.

Dieser wandte sich jetzt den Gefangenen zu. Sie hatten seit gestern kaum eine leise Bewegung gemacht, nicht das geringste genossen und außer dem Ausruf ›Hund‹ kein einziges Wort hören lassen. Aber in ihren Mienen sprach sich ein Grimm aus, dessen Folgen sicher fürchterlich werden mußten, wenn sie Gelegenheit bekamen, ihre Rache zu befriedigen.

»Wollt ihr trinken?« fragte er.

Keiner antwortete.

»Oder einige Bissen Fleisch nehmen?«

Die Frage hatte ganz denselben Mißerfolg.

»Gut, wie ihr wollt! Ich beabsichtigte, eure Banden zu lockern und euch etwas mehr Freiheit zu gestatten; das wird jetzt unterbleiben.«

Er hatte schon am vorigen Abend sein Pferd herbeigeholt und in der Nähe angepflockt; jetzt ließ er es frei, damit es sich hinreichend Futter suchen konnte. Er selbst streckte sich nieder, um in Bequemlichkeit das soeben erlebte Abenteuer in allen seinen Einzelheiten noch einmal an sich vorübergehen zu lassen. Der Vormittag verging in anhaltendem Schweigen, und erst als die Sonne den Zenit erreicht hatte, erhob er sich und pfiff seinem Pferd. Als er es aufgesattelt hatte, wandte er sich an die Gefangenen.

»Ich weiß, was mir von euch droht, darum werde ich ein wenig vorsichtig mit euch verfahren. Die Büchse ist von jetzt an mein Eigentum; das ist die einzige Strafe, die euch treffen soll, allein ich lasse euch an ihrer Stelle die meinige zurück. Was euch gehörte, lege ich dort unter jenen Sumachstrauch; es wird euch nicht schwer werden, hinzugelangen und mit Hilfe der Messer die Riemen zu lösen.«

Nachdem er das Gesagte ausgeführt hatte, stieg er auf und verließ den Ort, der ohne sein Dazwischenkommen für die vier Leute aus der Hacienda del Venado so verhängnisvoll hätte werden können. Kein einziger Laut, kein Blick war ihm von den beiden Räubern geworden, aber er wußte, daß er sich in ihnen zwei ebenso furchtbare wie unversöhnliche Feinde erworben hatte.

Von hier bis zur Hacienda del Venado war es nicht ganz eine kleine Tagereise. Der Weg führte durch Wälder, deren Baumriesen so weit auseinander standen, daß man unter ihrem Blätterdach wie unter Kuppel und Säulen eines riesigen Doms dahinreiten konnte. Der Wald trat bis in die Nähe der Hacienda heran, hinter der die zu ihr gehörigen bebauten Landstrecken lagen. Unabsehbare Maisfelder und ungeheure Olivenpflanzungen dehnten sich weithin, und es war bekannt, daß Don Agustín Pena einer der reichsten Grundbesitzer des Landes war.

Die Hacienda selbst war wie alle derartigen Gebäude, die nahe am Gebiet der Indianer liegen und folglich den Einfällen der umherschweifenden Horden ausgesetzt sind, halb Landhaus und halb Festung. Aus Backsteinen und behauenen Quadern erbaut, von einer mit Schießscharten ausgerüsteten Terrasse umgeben und mit festen, massiven Toren versehen, konnte sie recht gut die Belagerung von Feinden aushalten, die in der Strategie nicht mehr bewandert sind, als die benachbarten Stämme der Apatschen es waren. An einer ihrer Ecken erhob sich ein Turm, ebenfalls aus behauenen Steinen erbaut und drei Stockwerke hoch. Er konnte für den Fall, daß das Hauptgebäude vom Feinde genommen wurde, noch einen fast uneinnehmbaren Zufluchtsort bieten. Endlich umgaben starke Palisaden, aus Pfählen und Stämmen von Palmbäumen bestehend, das ganze Gebäude und die Wohnungen der zur Hacienda gehörigen Diener und Vaqueros und der untergeordneten Gäste, die hier eine vorübergehende Gastfreundschaft in Anspruch nehmen wollten. Außerhalb dieses Umkreises bildeten ungefähr dreißig Hütten ein kleines Dorf, das von Taglöhnern und ihren von der Hacienda abhängigen Familien bewohnt wurde. Diese Leute konnten in Tagen der Gefahr in der Hacienda-Festung Schutz finden und die Besatzung verstärken.

Zu der Hacienda gehörten ein in geringer Entfernung liegendes und sehr reichhaltiges Goldbergwerk sowie zahllose Herden von großem und kleinem Rindvieh, von Stieren, Pferden und Mauleseln, die auf großen Savannen oder in den tiefen Wäldern frei umherliefen. Eine so bedeutende Gebietsausdehnung ist in jenen Ländern nichts Seltenes, wo es Privatbesitzungen gibt, die einem deutschen Fürstentum gleichen.

Die Hacienda del Venado war ein oft besuchter Ort, da sie an der Straße lag, die Arispe und Tubac verband. Allerdings darf man sich bei dem Wort Straße hier nicht eine deutsche Landstraße vorstellen, sondern lediglich einen gedachten Weg, da es jedem Reisenden freisteht, die ihm beliebige Richtung einzuschlagen.

Eine Tagereise vor Venado lag La Poza, ein Ort, der seinen Namen von einer dort befindlichen Zisterne hatte, die, eine Seltenheit in jenen heißen Gegenden, jahraus jahrein mit Wasser versehen war. Hier schlugen die Reisenden, obgleich keine bewohnbare Hütte in der Nähe lag, gewöhnlich ihr Nachtlager auf, da sie und ihre Tiere dort das erquickende Naß fanden, ohne das sie verschmachtet wären.

Einige Abende nach den zuletzt erzählten Ereignissen brannte bei La Poza ein helles Feuer und beleuchtete sechs Personen, die daran lagerten. Ein siebenter, in dem wir Don Esteban de Arechiza erkennen, saß etwas abseits auf dem heruntergenommenen Sattel eines Pferdes und blies kunstvolle Ringe in die Luft, die er aus dem Rauch seines Cigarrillo zu bilden verstand.

Die Männer sprachen natürlich von dem Reichtum, dem sie entgegengingen, und die Unterhaltung war so lebhaft, daß sie die Bewegung nicht bemerkten, die sich des in unmittelbarer Nähe des Feuers haltenden Trupps von ungefähr dreißig Pferden bemächtigt hatte.

»Benito«, befahl da Don Esteban. »Sieh doch einmal nach, was die Tiere haben.«

Der Gerufene, ein Diener Arechizas, erhob sich halb und warf einen forschenden Blick auf die Pferde.

»Santa Virgen! Seht ihr die gesträubten Mähnen und die ängstlich leuchtenden Augen? Es muß irgendein gefährliches Viehzeug in der Nähe sein!«

Und als sollten sich seine Worte sofort bestätigen, erscholl jetzt seitwärts von den Lagernden ein tiefes, grunzendes Brummen, das schnell in eine höhere Tonlage überging und zu einem entsetzlichen Brüllen wurde.

»Der Jaguar!«

Dieses Wort brachte eine plötzliche Aufregung unter die Leute. Arechiza zwar blieb ruhig auf dem Sattel sitzen und rauchte gleichmütig weiter, als habe er den Schrei einer Hauskatze vernommen, die anderen aber rückten unwillkürlich zusammen und horchten lautlos nach der Seite hinüber, von der her das Brüllen erschollen war.

»Pah«, unterbrach endlich einer die Stille, »wer braucht sich da zu fürchten! Der Jaguar greift keinen Menschen an, außer wenn er verwundet wird. Nicht einmal an ein Pferd wagt er sich, sondern packt nur höchstens ein Füllen an, das sich mit den Hufen nicht zu wehren versteht.«

Der Sprecher wollte mehr sich selbst als den anderen Mut einflößen.

»Kennst du den Jaguar, Baraja?« fragte der Diener, den Arechiza vorhin Benito genannt hatte.

»Ich habe allerdings noch keinen gesehen.«

»So mußt du schweigen! Ich sage dir, der Jaguar springt auf das kräftigste Pferd, reitet es müde und reißt ihm dann die Gurgel aus. Ich habe ihn öfter gesehen und, solange ich Vaquero war, die besten meiner Pferde durch ihn eingebüßt.«

Das Brüllen ließ sich wieder vernehmen, und zwar lauter und näher.

»Nehmt eure Waffen zur Hand!« gebot Don Esteban.

»Das ist unnütz, Señor«, entgegnete Benito. »Laßt uns lieber das Feuer vergrößern; das ist das beste Mittel, den Jaguar fernzuhalten. Und seht nach den Pferden, ob sie fest angebunden sind, sonst reißen sie sich los und gehen durch.«

Er warf einige Äste in die Flamme, während Baraja die Pferde sorgfältiger befestigte. Die Tiere kannten die Größe der Gefahr und zitterten am ganzen Körper.

»So, jetzt ist es beinahe so hell wie am Tage, und die Bestie wird es nicht wagen, diesen Lichtkreis zu überschreiten. Indessen, wenn sie vom Durst geplagt wird, so muß ich sagen –«

»Was denn?« fiel Baraja ängstlich ein.

»Dann scheut sie weder Feuer noch Flamme. Das gescheiteste ist, ihr dann aus dem Wege zu gehen. Diese Tiere sind immer mehr vom Durst als vom Hunger geplagt.«

»Und wenn sie getrunken haben?«

»Hm, dann bekommen sie gewöhnlich auch Appetit. Das ist ja auch ganz natürlich, wie mir scheint.«

»Allerdings. Aber was fressen sie dann?«

»Hm, was sie bekommen, Pferde, anderes Fleisch, vielleicht auch Menschen, wenn –«

»Wenn –?« fragte der furchtsame Baraja.

»Wenn sie schon einmal Menschenfleisch gekostet haben. Ich muß euch sagen, daß diese Tiere eine sehr feine Zunge haben und den Menschen jeder anderen Mahlzeit vorziehen, wenn sie einmal gemerkt haben, wie er schmeckt.«

»Das ist nicht sehr beruhigend!« versicherte Cuchillo.

»Warum nicht?« fragte Benito, der sich vorgenommen zu haben schien, seine Kameraden so viel wie möglich zu ängstigen.

»Nun, wen wird er sich da wohl unter uns herausholen?«

»Weiß nicht! Wir sind sieben Personen; an einer hat er wohl genug, und die anderen sechs sind dann gerettet, es sei denn, daß –«

»Daß –« drängte Baraja; »so sagt doch in Dreiteufelsnamen alles!«

»Ich wollte sagen, es sei denn, daß er sein Weibchen bei sich habe, in welchem Falle – – doch, warum soll ich euch quälen!«

»Heraus damit!« gebot Cuchillo. »Man muß doch wenigstens wissen, woran man ist.«

»In welchem Falle er sich verpflichtet fühlen würde, gegen seine Ehefrau so galant zu sein, daß er sich einen zweiten von uns für sie holen müßte.«

»Santa Maria, so wollte ich, daß dieser Tiger noch Junggeselle wäre!«

Ein dumpfes Gebrumm ließ sich vernehmen, und da – ja wirklich, da antwortete auf der anderen Seite ein zweites Brüllen.

»Er ist verheiratet!« rief Cuchillo. »Es werden nur fünf von uns übrigbleiben!«

»Unter denen ich mich ganz sicher befinden werde«, meinte Benito. »Ich bin alt, und der Jaguar ist kein Freund von magerem und sehnigem Fleisch. Aber, horcht!«

Weit vor ihnen erscholl ein kurzer, vollkräftiger Laut, den Benito ebenso gut kannte wie die Stimme des Jaguars.

»Was war das?«

»Ein Silberlöwe, ein Puma!«

»Alle Wetter, da ist ja die ganze Hölle gegen uns losgelassen!« fluchte Baraja. »Ich wollte, ich wäre überall, nur nicht in der Nähe des verteufelten La Poza! Was ist zu tun, mein guter Benito?«

»Macht Euch so dünn wie möglich, damit Euch das Viehzeug für ganz entsetzlich mager hält!«

Auch Don Esteban schien jetzt Besorgnis zu hegen; er rückte näher an die Flamme und nahm das Gewehr zur Hand.

In diesem Augenblick ertönten rasche Schritte, und wie aus der Erde gewachsen standen zwei Männer am Feuer, die wie die Nachkömmlinge eines ausgestorbenen Hünengeschlechts erschienen. Der eine von ihnen war ein Riese, und dennoch überragte ihn der andere um volle Kopfeshöhe.

»Good evening, Mesch'schurs!« grüßte er. »Wollt ihr nicht so gut sein und euer Feuer ein wenig auslöschen?«

»Feuer –? Auslöschen –?« fragte Baraja ganz erschrocken. »Seid Ihr wahnsinnig, Señor?«

»Wahnsinnig? Warum?«

»Weil uns dann der Puma und die Jaguare fressen würden!«

»Gerade damit sie euch nicht fressen, sollt ihr das Feuer auslöschen.«

»Wer seid Ihr, und was tut Ihr hier bei La Poza?« erkundigte sich Don Esteban.

»Man nennt mich Bois-rosé.«

»Bois-rosé!« rief Benito aufspringend. »So seid Ihr der ›große Adler‹?«

»Ja, wenn es Euch recht ist.«

»Und dieser da ist der ›zündende Blitz‹?«

»Santa Lauretta, Ihr habt richtig geraten!« meinte der Begleiter Bois-rosés.

»So laßt das Feuer in Gottes Namen auslöschen, Don Esteban«, rief Benito. »Ich weiß, was diese beiden Männer wollen.«

»Was?«

»Wir sollen uns von der Zisterne zurückziehen, damit die Bestien trinken können, und dabei –«

»Dabei werden sie unsere Kugeln schmecken!« bestätigte Bois-rosé.

»Es ist zu gefährlich!«

»Fürchtet Ihr Euch?« fragte stolz der ›zündende Blitz‹, wobei er Don Esteban mit geringschätzendem Blick betrachtete.

»Löscht aus!« befahl dieser statt einer anderen Entgegnung.

»Gut! Zieht euch mit den Pferden zweihundert Schritte zurück, und ich gebe euch mein Wort, daß ihr in zehn Minuten das Feuer wieder anbrennen könnt.«

»Aber wie kommt ihr hierher? So spät, zu Fuß und so allein?«

»Wir haben bisher den Bären der Felsenberge gejagt und wollen nun auch den Jaguar kennenlernen. Doch macht, daß ihr fortkommt, sonst sind die Tiere da, ehe ihr euch verseht, und bei dem flackernden Licht hat man in das Dunkel hinein einen unsicheren Schuß!«

In kaum einer Minute befanden sich die zwei Fremden allein bei der Zisterne.

»Es sind zwei, hüben und drüben einer.«

»So ist's. Komm!«

Es war jetzt vollständig dunkel. Sie kauerten sich auf ein Knie nieder und lehnten sich mit den Rücken gegeneinander, um das Gelände vollständig beherrschen zu können und im Notfall eine Stütze zu haben. Das Bowiemesser zwischen den Zähnen und die schweren Büchsen in den Fäusten warteten sie ruhig, bis die Tiere kommen würden.

Es waren noch nicht zwei Minuten vergangen, so ließ sich ein leises Schleichen vernehmen.

»Der meine ist da, Pepe. Wie steht es mit dem deinen?«

»Santa Lauretta, das Vieh kauert vor mir und glotzt mich an, als ob ich ihm etwas erzählen solle. Ich glaube, die hiesigen Jaguare wissen gar nicht recht, was sie aus uns machen sollen.«

»So kannst du zum Schuß?«

»Gut.«

»Dann los!«

Zwei Schüsse krachten wie einer, und im Nu hatten die Schützen die Büchsen weggeworfen und die Messer ergriffen. Ein kurzes Schnauben erscholl, dann war alles ruhig.

»Gut getroffen! Auf der Stelle tot!«

In der Ferne erscholl das Brüllen des Pumas.

»Den holen wir auch noch, denn er geht erst mit dem Morgengrauen zur Tränke. Heda, ihr Leute, brennt euer Feuer wieder an; wir sind fertig!«

»Ist's wahr?« fragte Baraja zaghaft aus der Ferne.

»Kommt und seht euch die Katzen an!«

Einige Augenblicke später brannte das Feuer, und die Körper der beiden Bestien wurden herbeigeschafft. Mit Staunen betrachteten die Mexikaner die gewaltigen Tiere und dann die beiden Männer, die so kaltblütig gewagt hatten, den Kampf mit ihnen aufzunehmen.

»Wo habt ihr sie denn getroffen?« fragte Baraja. »Man sieht ja nicht die mindeste Spur einer Verwundung!«

»Ihr habt wohl noch niemals eine Flinte in der Hand gehabt, Mann? Santa Lauretta, fragt dieser Mensch, wo wir sie getroffen haben! Natürlich da, wo man einen Tiger treffen muß. Seht Ihr denn nicht, wie Euch die Bestien anschielen?«

»Wahrhaftig, jeder Schuß ins rechte Auge!« rief Don Esteban. »Euer Ruf sagt keine Unwahrheit; ihr seid die besten Schützen, die ich gesehen habe!«

»Hm«, meinte der Kanadier, »wenn man so einen braven Schießprügel hat wie ich, dann trifft man sicher dahin, wohin man ziele Es gibt nur noch eine einzige von dieser Art, und diese – – –«

Er hielt inne. In der Gegend, aus der das Brüllen des Pumas erschollen war, krachte ein Schuß.

»Teufel!« rief der kleinere von den Jägern. »Kennst du diese Büchse?«

»Die kenne ich wie meine eigene«, antwortete der andere. »Es ist dieselbe, von der ich soeben sprechen wollte. Nehmt euch in acht, Leute, die ›Teufel der Savanne‹ sind in der Nähe, denn dieser Schuß kommt aus keiner anderen Büchse, als aus der El Mestizos!«

Er zog das Messer und beugte sich auf den Jaguar nieder, um ihm das Fell abzuziehen; der Kamerad folgte seinem Beispiel.

Sie waren noch nicht damit fertig, so ertönte der Galopp eines Pferdes, und ein Reiter hielt vor dem Feuer. Er hatte das eine Ende seines Lassos am Sattelknopf befestigt, und an dem anderen hing der Puma, den er auf diese Weise herbeigeschleift hatte.

»Darf man hier an eurem Feuer Platz nehmen, Señores?« fragte er.

»Arellano, Tiburcio Arellano, der Rastreador!« rief Benito. »Willkommen, willkommen hier bei La Poza!«

Bei dem Klange dieses Namens blickten sowohl Don Esteban wie auch Cuchillo überrascht empor.

»Benito, wahrhaftig, der alte Benito ist hier. Dann steige ich ab, ohne weiter zu fragen!«

Er sprang vom Pferd, pflockte es an und zog dann den Puma heran, neben die Tiger.

»Santa Virgen, habt ihr eine gute Ernte gehalten, Señores! Wer hat denn diese Meisterschüsse getan?«

Bois-rosé richtet sich langsam empor und fragte, statt die erwünschte Antwort zu geben:

»Habt Ihr den Puma geschossen?«

»Ja.«

»Alle Wetter, so sehr habe ich mich in meinem Leben noch nie geirrt! Ich hätte darauf geschworen, daß es die Büchse von El Mestizo sei, die wir vorhin gehört haben!«

»Ihr habt Euch nicht geirrt; sie ist's.«

»Was? Wirklich? Das ist ganz unmöglich! Sang-mêlé gibt sein Gewehr nur mit dem Tode her!«

»Oder wenn er gefangen ist.«

»Gefangen? Wollt Ihr Euch etwa über mich lustig machen?«

»Fällt mir nicht ein, Señor! Er war gefangen und hat die Büchse lassen müssen.«

»Dann ist er einer fürchterlichen Übermacht in die Hände geraten!«

»Auch das nicht. Ein einziger hat ihn besiegt, ihn und seinen Vater.«

»Ihn und Main-rouge? Dann ist dieser eine entweder ein Engel oder ein Teufel.«

»Keins von beiden. Wollt Ihr ihn sehen?«

»Natürlich, wenn es möglich ist!«

»Seht mich an, Señores!«

Es lag kein Stolz in diesen Worten, wenn ihnen auch eine gewisse Genugtuung deutlich anzuhören war.

»Ihr seid es gewesen? Erzählt!«

»Nachher, wenn ich dem Puma seine Haut genommen habe; ich darf ihn nicht kalt werden lassen. Aber, Señores, meinen Namen habt ihr gehört; wie nenne ich euch?«

»Es ist der ›große Adler‹ und der ›zündende Blitz‹, Tiburcio«, antwortete Benito an Stelle der Gefragten.

»Oder Bois-rosé und Pepe Dormilón, wie uns die Weißen nennen«, ergänzte der größere Goliath.

»Ist's wahr?« fragte Tiburcio, überrascht zurücktretend.

»Wahr!« bekräftigte Bois-rosé.

»Dann nehmt meine Hand, Mesch'schurs! Ich gebe sie berühmten Leuten gern.«

Don Esteban de Arechiza war vorhin, als er den jungen Rastreador erblickte, um einen Schatten bleicher geworden; jetzt, als er den Namen Pepe Dormilón hörte, warf er einen raschen, forschenden Blick auf den Jäger und zog sich dann schnell in den Schatten zurück, in dem er auch blieb, als die drei Tiere abgezogen waren und sämtliche Anwesenden sich um das Feuer gelagert hatten, um zu hören, wie es Tiburcio gelungen war, die ›Teufel der Savanne‹ gefangenzunehmen.

Der Rastreador begann. Als er den Namen des Haziendero nannte, fragte Cuchillo:

»Don Agustín Pena ist es gewesen? Zu ihm wollen wir, um auf der Hacienda del Venado einige Tage Rast zu halten!«

»So reise ich mit euch. Auch ich will zu ihm!«

Als er geendet hatte, reichten ihm Bois-rosé und Dormilón die Hand.

»Wir haben Euren Namen in dieser Gegend nennen hören, junger Mann. Macht so fort, dann wird man noch mehr von Euch erzählen! Aber einen ganz außerordentlichen Fehler habt Ihr begangen.«

»Welchen?«

»Ihr hättet den ›Teufeln‹ unbedingt die Kugel oder die Klinge geben sollen und damit viel Böses bestraft und viel künftiges Unheil verhütet. Menschenblut ist ein köstlicher Saft, mit dem man so sparsam wie möglich umgehen soll, das ist wahr; aber das Blut dieser beiden Männer ist Drachenblut und darf nicht geschont werden. Um die Büchse möchte ich Euch beinahe beneiden, wenn mein Gewehr nicht ebenso gut wäre. Haltet sie nur fest, denn ich glaube sehr, daß El Mestizo sie sich wieder holen wird und noch etwas dazu, nämlich Euren Skalp.«

Jetzt rückte Cuchillo an die Seite des jungen Rastreadors.

»Sagt einmal, Tiburcio, lebt Euer Vater Marco Arellano noch?«

»Nein. Habt Ihr ihn gekannt?«

»Nur gehört von ihm. Er soll ein außerordentlicher Gambusino gewesen sein und hat Euch sicher ein ansehnliches Erbe hinterlassen.«

»Nichts als eine kleine Bambushütte.«

»Und Eure Mutter?«

»Ist auch tot. Ich habe sie vor einigen Tagen begraben.«

»Wo starb Euer Vater?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wirklich nicht? Ich meine doch, der Sohn müsse den Ort kennen, an dem er den Vater verloren hat.«

Tiburcio warf einen schnellen Blick in das wenig vertrauenerweckende Gesicht Cuchillos. Die Fragen kamen ihm verdächtig vor, und er beschloß, diesen Mann zu beobachten.

»Mein Vater war Gambusino; er ging dahin, wo er Gold zu finden hoffte, und kam nur wenig nach Hause. Auf einem solchen Gang ist er verschollen. Vielleicht ist er den Indianern oder einem wilden Tier zum Opfer gefallen.«

»Sind seine Reisen niemals von Erfolg gewesen?«

»Hätte er Erfolg gehabt, so bestände mein Erbe sicher aus mehr als einer Bambushütte.«

»Und Ihr habt sein Gewerbe erwählt?«

»Ja.«

»Ihr werdet vielleicht ebenso wenig finden wie er. Schließt Euch unserer Expedition an!«

»Welcher? Ich weiß von keiner.«

»Dieser Señor, Don Esteban de Arechiza, hat eine Unternehmung veranstaltet, die von Tubac aus in das Gebiet der Apatschen gerichtet ist. Er kennt ein unerschöpfliches Placer, eine Bonanza, wie noch niemand eine gefunden hat, und geht mit achtzig Mann, um sie auszubeuten. Ihr seid Goldsucher, Jäger, Rastreador, alles in einer Person und sehr gut zu gebrauchen. Es ist gar kein Zweifel, daß die Expedition gelingen wird, und dann seid Ihr mit einem Schlage ein reicher Mann.«

In den Adern Tiburcios wallte es heiß, aber er verriet mit keinem Zug seines Gesichts die Gedanken, die seine Seele durchzuckten.

»Ich wollte zu Don Agustín, um mich ihm als Vaquero anzubieten, doch sagt, glaubt Ihr wirklich, daß eure Expedition Erfolg haben wird?«

»So sicher, wie ich hier neben Euch sitze!«

»Dann will ich mir die Sache überlegen. Gebt Ihr mir Bedenkzeit bis zu eurer Abreise von der Hacienda?«

»Gern. Wir sind ja dort beisammen und werden uns bald kennenlernen.«

Cuchillo erhob sich mit der Bemerkung, daß er Astwerk für das Feuer holen wolle. Auch Don Esteban trat hinaus in die Dunkelheit. In einiger Entfernung vom Feuer trafen sie sich.

»Eine sonderbare und überraschende Begegnung, Señor, nicht wahr?«

»Sehr überraschend. Ihr habt ihn wirklich gut ausgefragt. Ich bin überzeugt, daß er kein Wort von der Bonanza weiß. Marco Arellano ist gestorben, ohne seiner Frau oder seinem Sohne irgendeine Mitteilung machen zu können. Euer Messer hat ihn gut und zur rechten Zeit getroffen!«

»Mein Messer? Euer Gnaden wollen doch nicht etwa sagen, daß ich –«

»Pah, erzählt Eure Fabeln wem Ihr wollt, nur nicht mir! Ich bin überzeugt, daß Ihr noch ganz die sichere Klinge führt, wie damals auf Schloß Elanchove.«

»Don Esteban! Ich denke, wir wollen uns erst seit Arispe kennen?«

»Eigentlich; doch ist ein Grund eingetreten, der uns veranlassen kann, einmal an die Vergangenheit zurückzudenken.«

»Welcher könnte dies sein?«

»Habt Ihr Euch diesen Tiburcio Arellano genau angesehen?«

»Ich denke.«

»Findet Ihr keine Ähnlichkeit?«

»Hm, alle Teufel, daran habe ich nicht gedacht! Er hat wahrhaftig fast ganz dieselben Züge, die ich bei Ihnen gesehen habe, als Sie in seinem Alter oder höchstens einige Jahre darüber waren.«

»Das habe ich sofort bemerkt. Vergleicht ferner sein Alter mit den Jahren, die seit jener Nacht vergangen sind.«

»Das stimmt. Doch sind Alter und Ähnlichkeit noch lange nicht ein untrüglicher Beweis; sie können Zufall sein.«

»Aber der Schnitt über die Wange?«

»Hat er ihn?«

»Er hat ihn, wenn auch kaum bemerkbar. Die Zeit hat die leichte Wunde beinahe vollständig vernarbt.«

»Ich habe nicht so gesessen, daß ich ihn genau betrachten konnte. Hat er die Narbe wirklich, so ist kein Zweifel möglich. Was werden Sie mit ihm tun?«

»Er muß sterben.«

Der stolze Mann sprach dies Wort so ruhig, als handle es sich um den Tod irgendeines schädlichen oder unbequemen Ungeziefers.

»Sterben? Wie?«

»Das ist ganz so Eure Sache, wie ich es damals Juan überlassen habe, sich die Klinge rot zu färben.«

»Ja, der arme José zauderte mir zu lange; er hat es leider büßen müssen, denn dieser vermaledeite Miquelete gab ihm die Kugel.«

»Würdet Ihr diesen Miquelete wiedererkennen?«

»Nein. Ich habe ihn ja nur in der Dunkelheit und während eines kurzen Augenblicks gesehen.«

»Er sitzt dort am Feuer.«

»Dort – am Feuer?« fragte Cuchillo, der frühere Juan, während er vor Erstaunen die Augen weit aufriß.

»Ja.«

»Welcher ist es?«

»Pepe Dormilón, der ›zündende Blitz‹. Bereits in Elanchove hieß er ›Pepe, der Schläfer‹, und auch sein Äußeres kann nicht trügen. Es ist genau der riesige Kerl, der nach Ceuta verurteilt wurde, dem es aber auf eine ganz unbegreifliche Weise gelungen ist, zu entkommen.«

»Und Sie irren sich nicht?«

»Ganz unmöglich.«

»Welch ein außerordentliches Zusammentreffen! Was ist zu tun?«

»Wir müssen uns seiner unbedingt entledigen.«

»Das wird schwer gehen. Die beiden Riesen sind fürchterliche Menschen. Wer in dunkler Nacht dem Jaguar nachläuft, um ihn durch das rechte Auge zu treffen, dem ist nicht leicht beizukommen.«

»List ist oft mehr wert, als die größte Körperstärke. Ich werde mir die Sache reiflich überlegen, muß aber nun zurück, weil unsere doppelte Abwesenheit leicht auffallen kann.«

Er trat zum Lagerfeuer zurück und nahm an einer Stelle Platz, wo das Licht der Flammen sein Gesicht nicht erreichen konnte.

Die beiden fremden Jäger lagen seitwärts eng nebeneinander. Sie waren abgehärteter als die Mexikaner, konnten die Wärme recht gut entbehren und hatten sich daher diesen Ort ausgesucht. Als die anderen schliefen, waren sie noch immer wach.

»Warum willst du, daß wir so bald aufbrechen, Pepe?«

»Santa Lauretta, das ist eine ganz außerordentliche Geschichte! Weißt du, wer dieser Don Esteban de Arechiza ist?«

»Ja.«

»Nun, wer?«

»Don Esteban de Arechiza.«

»Ja, allerdings; das weiß jeder, der an diesen Namen glaubt; ich aber glaube nicht an ihn und weiß noch etwas mehr.«

»Was?«

»Daß es jener Don Antonio de Mediana ist, der deinen kleinen Fabian raubte, seine Mutter ermordete und mich dafür auf den Thunfischfang schicken wollte.«

Hätte Pepe ihm nicht mit der Hand ein Zeichen gegeben sich zu beherrschen, so wäre Bois-rosé vor Erstaunen aufgesprungen. Er schwieg eine ganze Weile; das Gehörte war so außerordentlich, daß er es erst verarbeiten mußte, bevor er es unternahm, eine Äußerung zu tun.

»Kannst du das beschwören, Pepe?« fragte er endlich.

»Mit tausend Eiden.«

»Aber es gibt Ähnlichkeiten.«

»Die aber nicht so groß sind, wie diese sein müßte. Pepe der Schläfer hat ein ausgezeichnetes Auge, und ein Gesicht, das er unter solchen Umständen gesehen hat, vergißt er nimmermehr.«

»Gut, ich glaube dir. Doch sag, was der Graf de Mediana hier in Sonora will?«

»Ich weiß es nicht; wir werden es aber erfahren. Darf ich dich etwas fragen?«

»Gern.«

»Wir sind so viele Jahre beieinander gewesen.«

»Und haben uns nie verlassen.«

»Richtig! Nie, in keiner Gefahr, in keiner Not und Sorge, in keiner Angelegenheit. Aber jetzt habe ich eine Angelegenheit –«

»– in der ich dich auch nicht verlassen werde.«

»Ist's wahr?«

»Ich sage es, und da ist es wahr! Oder habe ich dir jemals die geringste Lüge gesagt?«

»Niemals. Aber die jetzige Angelegenheit ist schwierig. Ich muß wissen, was der Graf hier will.«

»Ganz recht.«

»Ich muß ihn bestrafen für den Mord, den Kindesraub und die falsche Anklage gegen mich.«

»Ganz recht.«

»Und, weißt du, hier dieser Ring an meinem Finger ist eigentlich schuld, daß dieses Verbrechen geschehen konnte. Ich habe ihn aufgehoben zum Zeichen, daß ich eine schwere Sünde wieder gutzumachen habe. Willst du mir helfen?«

»Versteht sich, mein alter, treuer Pepe!«

»Auch wenn ich die Goldexpedition jahrelang unter Kampf und Not verfolgen muß?«

»Auch dann, und nicht nur deinetwegen, sondern auch um meines kleinen Fabian willen, den ich aus dem Kahn gefischt, auf mein Schiff genommen und dann nach drei Jahren wieder verloren habe. Pepe, ich habe in der Welt kein Menschenkind so lieb gehabt wie den Jungen, und hier diese meine rechte Hand ließe ich mir abhauen, wenn ich um wiederfinden könnte. Der Graf hat ihm seine Mutter gemordet und ihn auf dem Meer dem Verderben preisgegeben; Ich werde ein weniges zusammenrechnen mit diesem Don Esteban de Arechiza!«

Das Gespräch war beendet; die beiden Männer hüllten sich fester in ihre Decken und versuchten, zu schlafen. Als die anderen am nächsten Morgen erwachten, waren Bois-rosé und Pepe Dormilón verschwunden. Niemand wunderte sich darüber; der schweigsame Jäger und Pfadfinder hält sich nicht für verpflichtet, jedem, mit dem er einmal am Lagerfeuer saß, Rechenschaft über sein Tun und Lassen abzulegen.

Die Pferde wurden getränkt, die nötige Anzahl von ihnen aufgesattelt, und dann ging es wie im Sturm der Hacienda del Venado entgegen. Don Esteban ritt voran; er liebte es nicht, mehr mit den Seinen zu verkehren, als unumgänglich nötig war. Cuchillo hielt sich meist zu Tiburcio, dem er eine auffällige Freundschaft und Zuneigung zu bezeigen suchte. Der Rastreador nahm dies äußerlich mit dankbarer Freundlichkeit hin, wandte aber im Umgang mit dem verdächtigen Menschen doppelte Vorsicht an.

Er hatte heute, ehe sie La Poza verließen, die Entdeckung gemacht, daß Cuchillo hinkte, und bemerkte nun während des scharfen Rittes, daß das Pferd des undurchsichtigen Mannes zuweilen stolperte, – zwei Beobachtungen, die ihm beinahe jeden Zweifel nahmen, daß dieser Mann der Mörder seines Pflegevaters war. Nun war er auch überzeugt, daß die Bonanza, der die Expedition galt, keine andere war als diejenige, zu der ihm die sterbende Mutter den Weg so genau beschrieben hatte, daß er das Goldtal gar nicht verfehlen konnte. Er beschloß im stillen, sich der Expedition anzuschließen, um den Mörder zu entlarven und sein Recht auf die von Marco Arellano entdeckte Bonanza geltend zu machen.

Zunächst aber freute er sich auf sein Zusammentreffen mit Rosarita, deren Zuneigung er so deutlich gespürt hatte und die seine Gedanken seitdem unablässig beschäftigte. Er versank in träumerische Grübeleien. Die Vorsehung hat dem Menschen nicht erlaubt, in die Zukunft zu blicken, ihm aber für diese Gabe etwas weit Besseres verliehen: die Hoffnung, die jedem, ganz besonders aber der Jugend zugetan ist, die das größte Recht besitzt, von der Zukunft nur Glück und Freude zu erwarten. –


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