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Das Lager

Die Expedition des Don Esteban de Arechiza hatte unweit des Rio Gila ihr Lager bezogen, nachdem sie während einer Wanderung von zehn Tagesmärschen durch die Indianer zwanzig ihrer Männer verloren hatte. Aber trotz dieser Schwächung waren doch zwischen diesen weißen Abenteurern und den zur Verteidigung ihres Territoriums stets bereiten Indianern die Kräfte ziemlich gleich. Auf beiden Seiten entwickelte man dieselbe Schlauheit, und die Habsucht der einen hielt dem Todesmut der anderen das Gleichgewicht.

Indessen war die Begeisterung der sechzig Männer lange nicht mehr so groß wie an dem Tag, an dem sie unter Kanonendonner und dem freudigen Zuruf der Besatzung und Einwohnerschaft von Tubac voll Siegeshoffnungen abgezogen waren.

Gleichwohl war von Don Esteban, der mit merkwürdigem Instinkt alles vorauszusehen schien, keine notwendige Vorsichtsmaßregel außer acht gelassen worden. Bisher hatte bei ähnlichen Expeditionen ein jeder auf eigene Faust gehandelt und sich hinsichtlich der Verteidigung nur auf sich selbst, seine Waffen und sein Pferd verlassen. Der Spanier dagegen hatte diese sonst so eigenmächtigen Männer geschult und zum Gehorsam gezwungen.

Die Wagen, die er gekauft hatte, dienten sowohl als Transport-, wie auch als Verteidigungsmittel. So wanderten wohl einst die Völker des Nordens, wenn sie beschlossen hatten, den Süden Europas zu überfluten.

Don Esteban hatte diese Taktik aus den Vereinigten Staaten eingeführt, deren Bewohner dazu bestimmt zu sein scheinen, die Wüsten des amerikanischen Kontinents zu bevölkern und der Zivilisation untertan zu machen. Und so war es unter seiner geschickten und kraftvollen Leitung der Expedition gelungen, weiter in das Gebiet der Apatschen vorzudringen, als irgendeine andere zuvor.

Als heute Don Esteban mit Cuchillo den Lagerort bestimmt hatte, sprach er die Hoffnung aus, daß das Goldtal und damit die Bonanza, nun nicht mehr weit entfernt sein könne.

»Wenn mich nicht alles täuscht, befindet sie sich allerdings in der Nähe. Wollen Sie mir wohl erlauben, mir die Gegend zu besehen, während Sie das Aufschlagen des Lagers überwachen?«

»Geht! Aber verliert Euch nicht und hütet Euch, den Indianern in die Hände zu fallen.«

Über das Gesicht Cuchillos ging ein eigentümliches Lächeln.

»Haben Sie keine Angst um meine Person, Don Esteban. Ich bin zwar einem Weißen gegenüber zuweilen ungeschickt, doch wenn ich es mit den roten Teufeln zu tun habe, so geht weder Stoß noch Schuß daneben.«

»Wie dort auf der Hacienda, nicht wahr?«

»Dieser Tiburcio ist ja selbst so verständig gewesen, meine Fehler so zu verbessern, daß Sie zufrieden sein können. Bei der Beschaffenheit dieser Gegend ist es sehr leicht möglich, daß ich die Richtung des Lagers verliere. Wollen Sie für einen Wegweiser sorgen?«

»Welchen?«

»Lassen Sie die Feuer so brennen, daß ihr Rauch deutlich zu sehen ist.«

»Das kann die Wilden herbeiführen.«

»Heute sicher nicht. Pedro Diaz ist wirklich ein ganzer Kerl. Er hat die Roten durch einige wohlberechnete Schwenkungen so getäuscht, daß es ihnen gar nicht einfallen wird, uns hier zu suchen.«

»Nur unter dieser Voraussetzung werde ich Euren Wunsch erfüllen, der eigentlich eine große Unvorsichtigkeit von mir fordert.«

Cuchillo schwang sich auf seinen Apfelschimmel und ritt davon.

»Ja, mein lieber Don Esteban oder Don Antonio de Mediana, eine große Unvorsichtigkeit ist es, ein solches Feuer zu brennen«, lächelte er schadenfroh vor sich hin. »Aber gerade was Sie befürchten, das wünsche ich! Die Wilden sollen das Lager sehen und es angreifen!«

Er lenkte sein Pferd nach Osten.

»Sechzig Mann! Das sind viel zu viele; die Bonanza zerfällt dabei in zu geringe Anteile. Ich werde dafür sorgen, daß der größte Teil dieser habsüchtigen Leute aus dem Wege ist. Je mehr von ihnen die indianischen Kugeln fressen, desto größer wird der Anteil, den ich zu fordern habe, und wenn die Wilden nicht aufmerksam sind, so werde ich sie veranlassen, es zu sein!«

Er war wohl noch keine halbe Stunde lang über die Ebene dahingeritten, als er zahlreiche Pferdespuren bemerkte.

»Das sind Apatschen; man erkennt sie an den Hufspuren der Pferde, die unbeschlagen sind.«

Er untersuchte aufmerksam die Fährten.

»Sie sind von drüben heraufgekommen und weit über hundert Mann stark. Das würde zum Verderben der Karawane führen und zu dem meinigen mit. Ich werde warten, bis das Lager befestigt ist, dann wird die Expedition wenigstens nicht vollständig aufgerieben.«

Er stieg vom Pferd und warf sich auf den Boden. Er konnte von der Erhöhung aus, auf der er lag, das Gelände nach allen Seiten hin übersehen und hatte also keine Überrumpelung zu befürchten.

»Es wird eine Belagerung geben und Kämpfe, an denen ich sicher nicht teilzunehmen brauche, denn der einzige Kenner der Bonanza muß geschont werden. Während dieser Belagerung finde ich sicher Gelegenheit, einmal allein nach dem Goldtal zu kommen und ein weniges zu meinem Vorteil zu unternehmen. Das Placer ist eigentlich heute noch mein; ich habe es bezahlt mit einem guten Messerstich.«

Er zog eine Zigarette hervor und steckte sie in Brand.

»Es war ein fürchterlicher Kampf – Leben um Leben, Tod um Tod«, murmelte er weiter vor sich hin. »Dieser Marco Arellano war ein starker Mann und mir weit überlegen, und wenn ich ihm die Hauptwunde nicht schon im Schlaf beigebracht hätte, so weiß ich nicht, wer schließlich im Wasser des Gila verschwunden wäre.«

Er schien sich am Erfolg des damaligen Kampfes innerlich zu weiden; seine Miene drückte größte Befriedigung und Selbstgefälligkeit aus.

»Den sichersten Stich freilich, den ich getan habe, tat ich damals auf Elanchove, als ich noch Juan genannt wurde; er brachte mir einige hundert Unzen ein, obgleich ich den kostbaren Pack aufgeben mußte, weil dieser Miquelete dazwischenkam. Wunderbar! Jetzt ist er Bärenjäger und muß hier in Mexiko mit uns zusammentreffen. Begegnet er mir noch einmal, so werde ich mit ihm zusammenrechnen. Das verlorene Paket muß er mir bezahlen, so wahr ich Cuchillo heiße, wenigstens einstweilen, denn wer will es mir verwehren, einen hohen Namen zu tragen, wenn ich die Bonanza ausgebeutet habe?«

Er wartete wohl eine Stunde lang, dann stieg er wieder auf und ritt langsam und vorsichtig den vorgefundenen Spuren nach.

In der Richtung des Lagers stieg hoher, weißer Rauch empor.

»Ah, sie sind bei der Schmiede und beim Kochen! Die Verschanzung ist fertig, und ich kann nun die Roten holen.«

Er gab dem Pferde größere Schnelligkeit und gelangte bald an einen Hügel, von dem aus sich ihm der Anblick bot, den er suchte. Er sah die Indianer vor sich; zugleich aber bemerkten sie auch ihn und erhoben ein fürchterliches Geheul.

In Richtung des Flusses sah er etwa zwanzig von ihnen über die Ebene reiten. Es war die Abteilung, die gegen die drei Jäger auf der Insel gesandt worden war. Die übrigen setzten sich, die Lanzen schwingend, gegen ihn in Bewegung.

Er warf sein Pferd herum und eilte zurück, doch trieb er sein Tier nicht mehr an, als unbedingt nötig war, einen sicheren Vorsprung vor den Wilden zu halten. Es lag ihm nicht das mindeste daran, Don Esteban vor der Zeit von dem ihm drohenden Angriff zu unterrichten. Auch er wußte, daß die Indianer ihre Angriffe am liebsten im Dunkel der Nacht unternehmen, und daher wunderte er sich gar nicht, daß sie ihn nicht auf der Stelle eilig verfolgten, sondern ihm in langsamem Schritt nachritten.

Er hatte noch nicht die Hälfte des Weges bis zum Lager zurückgelegt, da vernahm er in Richtung des Flusses einen Schuß, dem nach kurzer Zeit mehrere folgten. Der Kampf zwischen den Apatschen und der Besatzung der Insel hatte begonnen.

Erschrocken blieb er halten; er konnte dies ohne Gefahr tun, denn auch die Indianer hinter ihm hatten haltgemacht. Wer konnte es sein, der dort schoß? Es gelang ihm nicht, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Für sich sah er keinerlei Gefahr, und so beschloß er, seinen Weg nicht eher fortzusetzen, als bis er durch eine weitere Bewegung der Apatschen dazu gezwungen war. –

Auch im Lager hatte man die Schüsse vernommen und sich in allerlei Vermutungen ergangen.

Don Esteban hatte lange Zeit vergebens auf die Rückkehr Cuchillos gewartet, und als dieser nicht kam, ihm einen Boten nachgesandt, der leider den Wilden in die Hände fiel und vor den Augen Bois-rosés, Pepes und Fabians erwürgt und skalpiert wurde.

Der Führer der Expedition hatte nicht die geringste Veranlassung, seinem früheren Matrosen weiter zu trauen, als er ihn zu beaufsichtigen vermochte. Bei reiflicher Überlegung fand er, daß dieser eigentlich gar keinen rechten Grund hatte, sich allein vom Lagerplatz zu entfernen. Cuchillo kannte den Ort, wo die Bonanza zu finden war, doch sicherlich so gut, daß er ihn, in seiner Nähe angekommen, gar nicht erst zu suchen brauchte. Dazu mußte Don Esteban an das sonderbare Verlangen, ein hochrauchendes Feuer zu brennen, denken, und konnte sich einer geheimen Befürchtung nicht erwehren.

Es war Abend geworden.

Rote Wolken bezeichneten im Westen noch die feurige Spur der Sonne. Die Erde begann, sich durch die Frische der Nacht abzukühlen, und je mehr im Westen die letzten Schimmer erloschen, desto lichter wurde die emporsteigende Sichel des Mondes, bei dessen Schein das Lager einen gespenstischen Anblick bot.

Auf dem Hügel, der den Platz beherrschte, erhob sich das Zelt des Grafen mit seinem himmelblauen Banner. Ein schwaches Licht, das durch die Leinwand schimmerte, zeigte an, daß der Anführer für alle wachte. Ein Feuer, dessen Herd ein in die Erde gegrabenes Loch war, verbreitete über den Boden hin einen rötlichen Schein.

Im Falle eines nächtlichen Angriffs konnten Haufen von Reisigbündeln, die in gewissen Entfernungen aufgestapelt lagen, zu gleicher Zeit angezündet werden und eine Helle verbreiten, die wohl geeignet war, das Tageslicht zu ersetzen.

Gruppen von Abenteurern, die entweder auf dem Boden lagen oder mit der Bereitung des Abendessens beschäftigt waren, befanden sich zwischen den Pferden und Saumtieren, die aus Trögen von Leinwand ihren Mais fraßen. Die Sorglosigkeit, die bei diesen Leuten herrschte, bewies, daß die Männer sich hinsichtlich ihrer Verteidigung ganz auf die Wachsamkeit ihres Anführers verließen.

Jenseits der Verschanzung versilberten die Strahlen des Mondes die Ebene, über die Kaktus- und Nopalpflanzen gewaltige Schatten warfen. Das Nachtgestirn durchglitzerte den Nebel, der westlich vom Lager, am Horizont die Spitzen einer Bergkette bedeckte, und beleuchtete auch die Wachen, die mit dem Karabiner im Arm spähenden Auges auf und ab gingen.

Unter den in der Nähe der Wagen liegenden Männern befanden sich Benito, der alte Diener Arechizas, Baraja und Pedro Diaz.

»Señor Benito«, sagte Baraja. »Ihr seid geschickt im Erklären aller Geräusche der Wüste und der Wälder. Könnt Ihr uns sagen, was die Flintenschüsse bedeuten, die wir den ganzen Nachmittag gehört haben?«

»Ich kenne die Sitten dieser Indianer nur wenig; indessen –«

»Indessen –? Sagt doch, was Ihr sagen wollt, nur erschreckt uns nicht so wie in jener fürchterlichen Jaguarnacht!«

»Ich bin in meiner Jugend Gefangener der Roten gewesen und habe die Ansicht, daß ich mir ihr Flintenfeuer nicht erklären kann, wenn sie nicht etwa –«

»Nun? Nicht etwa –?«

»– nicht etwa einen Gefangenen, der in ihre Hände gefallen ist, zu Tode martern.«

»Ihr wollt sagen, daß diese Wilden ihre Gefangenen schlecht behandeln?«

»Das nicht, aber sie zu Tode zu martern verstehen sie ganz gehörig.«

»Und was sind das für Martern?«

»Vielerlei, und oft so fürchterlich, daß das Abziehen der Kopfhaut, das Instückereißen des Körpers und eine langsame Verbrennung eigentlich nur ein Spaß genannt werden muß.«

»Teufel! Hoffentlich martern einen die Wilden nur dann, wenn sie Ursache haben, erbittert zu sein.«

»Denkt Ihr? Sie tun es im Gegenteil gerade dann am liebsten, wenn sie bei guter Laune sind. Und das sind sie stets, wenn sie Gefangene haben. Sollte das Unglück es wollen, daß Ihr einmal in ihre Hände kommt, Señor Baraja, so bittet Gott, daß die Apatschen dann gerade bei schlechter Laune sind, denn dann kommt Ihr mit einer zwar abscheulichen, aber doch wenigstens ganz kurzen Marter weg.«

»Wie lange dauert denn diese kurze Marter?«

»Ratet einmal!«

»Nun, vielleicht fünf bis sechs Minuten! Oder ist das vielleicht schon um ein weniges zu lang, wie ich beinah denken möchte?«

»Sagt lieber fünf bis sechs Stunden! Ich sage Euch sogar, daß sie zuweilen ein bißchen länger dauert, aber –«

»– länger dauert, aber –?«

»– aber nie kürzer! Im übrigen werdet Ihr wohl ganz gut beurteilen können, ob eine sechsstündige Marter einer vierundzwanzigstündigen bisweilen nicht vorzuziehen ist. Denn unter allen Todesarten ist diejenige am grausamsten, die darin besteht, daß man den Menschen vor Furcht sterben läßt.«

»Geht zum Teufel mit Euren Geschichten!« rief Baraja zornig. »Ich weiß nicht, warum ich ein solcher Narr bin, Euch nach diesen Dingen zu fragen!«

»Was ich sage, ist zwar wenig ergötzlich, aber lehrreich. Und da Ihr jeden Augenblick den Wilden in die Hände fallen könnt, so ist es doch gut, wenn Ihr wißt, was Euch in diesem Fall erwartet. Das ist immerhin ein guter Trost, wenn man keinen besseren hat.«

»Wenn Ihr keinen besseren Trost wißt, so ist das Handwerk eines Goldsuchers das abscheulichste, das es gibt! Also Ihr wart in indianischer Gefangenschaft?«

»In meiner Jugend, wie ich Euch bereits sagte.«

»Und sie haben Euch auch gemartert?«

»Gemartert gerade nicht. Es kommt darauf an, wie man es nimmt!«

»Nun, was taten sie? In welcher Laune befanden sie sich?«

»In sehr schlechter Laune. Wir hatten viele ihrer Leute getötet; ich war ganz allein in ihre Hände geraten und mußte darum ihre Rache auch ganz allein auf mich nehmen.«

»Wurdet Ihr skalpiert?«

»Nein; denn Ihr seht ja, daß ich meine Haare noch habe. Sie berieten zunächst, ob ich skalpiert, lebendig geschunden, in Stücke geschnitten oder langsam von unten herauf gebraten werden sollte, und kamen zu dem Entschluß, daß dies alles später geschehen solle, nachdem –«

»Nachdem –? So macht doch keine solchen Pausen. Es ist ja, als solle man selbst auch geschunden werden!«

»– nachdem ich ihnen als Ziel für ihre Schießübungen gedient hätte.«

»Wie wurde das angestellt?«

»Sehr einfach! Ich wurde an einen Baum gebunden und diente von Sonnenaufgang bis zum Niedergang ihren Karabinern als Scheibe. Jeder Krieger kam herbei, zielte nach meinem Kopf und schoß.«

»In den Kopf?«

»Nein, denn sonst lebte ich ja nicht mehr«, versicherte Benito mit unerschütterlichem Ernst. »Sie schössen mit Absicht daneben, um meine Todesangst möglichst zu verlängern. Ich habe auf diese Weise zweihundertundvierundachtzig Flintenschüsse ausgehalten. Ich zählte sie, denn ich langweilte mich fürchterlich.«

»Zweihundertundvierundachtzig! Aber Señor Benito, ist das auch wahr? Sind es nicht vielleicht einige Schüsse zuviel?«

»Ich kann keinen einzigen nachlassen!«

»Und Ihr denkt, daß sie heute jemand gemartert haben?«

»Es ist schon möglich.«

»Wer mag es gewesen sein?«

»Vielleicht der Bote, den Don Esteban hinter Cuchillo hergesandt hat. Beide sind noch nicht zurück. Es ist möglich, daß sie gefangen worden sind. Wenn sie nur den Ort nicht verraten haben, an dem wir uns befinden!«

»Befürchtet Ihr das?«

»Warum nicht?«

»Und was wird dann geschehen?«

»Sie werden kommen und unser Lager überfallen. Doch das würde ihnen übel bekommen, denn wir sind ihnen überlegen. – Aber was ist das? Die Maultiere hören auf, ihren Mais zu fressen, und horchen!«

Baraja fuhr zusammen.

»Hat das etwas zu bedeuten?«

»Sicher. Sie wittern eine Gefahr. Doch hat das noch nichts zu sagen. Aber wenn diese Tiere nicht nur das Futter stehen lassen, sondern die Nüstern öffnen und dumpf schnauben und schauern, dann –«

»Dann –? So redet doch nur!«

»Dann ist der Indianer nahe. Sie wittern ihn so genau, wie sie damals an der Poza die Jaguare und den Puma witterten.«

»Teufel! Es gefällt mir hier im Apatschenland nicht mehr sonderlich gut. Ich wollte, ich wäre heute an der Poza.«

»Dieser Wunsch kommt zu spät. Aber ich will doch einmal nachsehen, ob vielleicht etwas um das Lager vorgeht!«

Er erhob sich. Baraja, den die Erzählungen des alten Vaquero zugleich erschreckten und bezauberten, folgte ihm. Sie krochen unter dem Wagen hindurch und traten hinaus vor die Umschanzung.

Nichts ließ die Nähe einer Gefahr ahnen. Einer der als Schildwache ausgestellten Reiter kam vorüber.

»Nichts Verdächtiges bemerkt?« fragte Benito.

»Nein. Vorhin glaubte ich einmal, ein Pferdewiehern zu hören, das aus einem der Täler da drüben zu kommen schien, doch ist alles ruhig geblieben, und ich habe mich ohne Zweifel getäuscht.«

Die beiden Männer kehrten zu ihrem Platz zurück, um ihre Unterhaltung fortzusetzen. Benito schien nicht beruhigt zu sein; er beobachtete die Tiere genau und sah sich bald wieder veranlaßt, zu rufen:

»Seht doch die Tiere an! Sie hören abermals auf zu fressen, und horchen.«

»Wenn sie nur nicht anfangen, zu schauern und dumpf zu schnauben«, meinte Baraja.

»Vielleicht tun sie dies auch noch. Jetzt aber erlaubt, daß ich mich in meinen Sarape hülle und ein wenig schlafe. In der Wüste, wo man keinen Augenblick sicher ist wieder aufgeweckt zu werden, soll man den Schlaf nicht versäumen!«

Er wickelte sich ein und legte sich nieder.

Baraja tat ebenso und versuchte zu schlafen. Es gelang ihm nicht. Seine Phantasie, die ihm tausend schreckliche Bilder vorzauberte, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.

Da erklangen durch die stille Nacht Flintenschüsse aus der Gegend des Flusses her. Baraja stieß Benito an.

»Man schießt noch. Hört Ihr es?«

»Ja. Uns gilt es nicht; darum wollen wir uns nicht darum kümmern, wen sie dort abschlachten wollen!«

Er stand im Begriff, seinen Mantel wieder über die Augen zu ziehen, als eins der Saumtiere unruhig wurde. Er richtete den Kopf empor und lauschte.

»Habt Ihr's gehört, Señor Baraja?«

»Ganz genau. Es schnaubte dumpf, und wenn ich mich nicht irre, so schauerte es auch.«

»Die roten Teufel streifen in der Nähe herum.«

Da erklang draußen ein Alarmruf. Ein Reiter kam mit verhängtem Zügel herbeigaloppiert, und in der Ferne ließ sich Wiehern und Pferdegetrappel hören.

»Es ist Cuchillo!« rief der Vaquero.

»Zu den Waffen! Zu den Waffen!« schrie Cuchillo zu gleicher Zeit und jagte auf seinem Pferd durch die Öffnung herein, die die Wachen in der Verschanzung gelassen hatten.

In einem Augenblick war das ganze Lager auf den Beinen. Die Verwirrung, die der Ruf Cuchillos hervorgebracht hatte, dauerte einige Minuten; die Karabinerpyramiden, die man aufgestellt hatte, verschwanden. Die Pferde und Maultiere bebten und zitterten; sie zerrten, ganz wie in der Nähe des Jaguars, an den Riemen und Seilen, mit denen sie angebunden waren. So gewaltig ist der schreckenerregende Einfluß, den die Söhne der Wüste selbst auf die Tiere ausüben.

Allein, die Verwirrung ließ bald nach, und jeder nahm den Posten ein, den der Anführer ihm für den Fall eines Angriffs angewiesen hatte.

Benito und Baraja waren die ersten, die an Cuchillo Fragen stellten.

»Wie haben die Indianer uns entdecken können, wenn Ihr ihnen nicht auf die Spur geholfen habt?« sagte der alte Vaquero und warf dem Banditen einen argwöhnischen Blick zu.

»Ich habe sie allerdings hierher gelockt«, gestand Cuchillo frech, während er abstieg. »Wenn Euch hundert solcher Teufel verfolgen, so reitet Ihr geradeso wie ich im Galopp nach dem Lager, um da Schutz zu suchen!«

»In einem solchen Falle«, antwortete Benito ernst, »muß man vor allen Dingen daran denken, seine Gefährten zu retten. Man flieht also nicht, sondern läßt sich eher die Kopfhaut über den Schädel ziehen, als daß man sie verrät. Ich wenigstens hätte das getan!« setzte er einfach hinzu.

»Das hält ein jeder, wie er mag. Ich habe wohl meinem Anführer, nicht aber seinem Diener Rechenschaft über meine Handlungen abzulegen.«

»Sind die Apatschen zahlreich?« erkundigte sich Baraja. Er hatte noch niemals einem Kampf beigewohnt und fühlte ein fürchterliches Grauen vor dem Zusammentreffen mit Leuten, die ihre Gefangenen länger als fünf bis sechs Minuten martern.

»Ich hatte keine Zeit, sie zu zählen«, wies ihn Cuchillo ab. »Ich weiß nur zu sagen, daß sie nicht mehr weit von hier sein können.«

Ohne noch ein Wort zu verlieren, durchschritt er das Lager und trat zu Don Esteban, der im Eingang seines Zeltes stand.

Cuchillo hatte hier eine verstörte Miene angenommen. Er warf seine langen Haare nach hinten, wie wenn der Wind einer wilden Jagd sie ihm um den Kopf getrieben hätte. Dann trat er in das Zelt wie ein Mensch, der eben erst wieder zu Atem kommt, und trocknete einen nicht vorhandenen Schweiß von der Stirn.

Sein Bericht war kurz: er war auf seinem Erkundungsritt einer Indianerhorde begegnet, von dieser verfolgt worden und ihr nur durch die Schnelligkeit seines Pferdes entgangen.

»Warum führtet Ihr sie nicht irre?« fragte Arechiza kalt.

»Ich konnte nicht daran denken, sondern mußte nur auf meine Sicherheit bedacht sein, da Sie ohne mich die Bonanza nicht finden.«

Der Graf lächelte eigentümlich.

»Heißt das vielleicht, daß ich Euch von dem Kampf, der uns bevorsteht, dispensieren soll?«

»Das steht in Ihrem Belieben!«

»Cuchillo, Ihr werdet kämpfen, versteht Ihr mich? Wir werden das Placer auch ohne Euch finden; das will ich Euch versichern, und Ihr dürft also Eurer wohlbekannten Tapferkeit alle Zügel schießen lassen. Übrigens durchschaue ich Euch. Das will ich Euch beweisen durch mein Wort, daß Ihr Euren Anteil an der Bonanza erhaltet, wie ich es versprochen habe, aber – achtzig Gambusinos gerechnet! Wenn ich Euch nicht eine solche Schranke setze, bleibt von der Expedition niemand übrig als nur Ihr. Jetzt hinaus!«

Sie verließen das Zelt. Cuchillo ging zähneknirschend an seinen Posten, und Arechiza blieb auf dem Hügel stehen, um einen Blick auf die vom Mond erleuchtete Ebene zu werfen.

Einer der Jäger nahm einen Brand aus dem Feuer, um die Reisigbündel anzuzünden.

»Noch nicht!« rief der Graf. »Vielleicht ist es nur blinder Lärm. Solange wir noch keine Gewißheit haben, daß wir wirklich angegriffen werden sollen, dürfen wir das Feld nicht erleuchten. Auf jeden Fall sattle ein jeder sein Pferd und mache sich bereit!«

»Freund Baraja, das bedeutet«, sagte Benito, »daß wir mit Gewißheit einen Angriff erwarten können, sobald der Befehl gegeben wird, die Feuer anzuzünden. Gerade bei Nacht ist das etwas Schreckliches.«

»Das weiß wohl niemand besser als ich!« jammerte Baraja.

»Habt Ihr denn schon so ein nächtliches Abenteuer mitgemacht?«

»Noch nie, und darum weiß ich am besten, wie es einem dabei zumute ist!«

»Dann will ich Euch einen guten Rat geben: schießt, stecht und schlagt nur immer dahin, wo ein Indianer steht, und ja nicht etwa daneben, denn je mehr Ihr tötet, desto weniger werden Euch martern, wenn sie Euch fangen sollten!«

»Warum soll denn immer nur ich gefangen werden?«

»Weil das in Zukunft eine gute Lehre für Euch sein wird, Señor.«

»Ich danke für die Zukunft, wenn ich bei lebendigem Leibe zu Tode gebraten werden soll!«

Er befand sich in einer Stimmung, in der er lieber Benito erschossen hätte, als einen Indianer. Er blickte düsteren Auges auf die weiße Oberfläche der Wüste hinaus, wo man jetzt Reitergestalten bemerken konnte, die sich dem Lager näherten.

»Zündet alle Feuer an. Sie kommen!« rief Don Esteban.

Einige Augenblicke später überflutete eine rote Helle das ganze Lager und zeigte die Abenteurer auf ihrem Posten, mit dem Karabiner in der Hand und ihren gesattelten und aufgezäumten Pferden neben sich. Ringsum herrschte eine Stille, die etwas Furchtbares an sich hatte.

»Da haben wir es«, sagte Benito zu Baraja. »In einigen Minuten werdet Ihr das Gebrüll dieser roten Teufel wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts an Eure Ohren gellen hören. Das sage ich Euch, obgleich ich die Sitten der Indianer nur wenig kenne.«

»Geht doch!« meinte Baraja. »Ihr seid der beste Tiger- und Indianerkenner, den ich in meinem Leben gesehen habe, obgleich Ihr mit Euren Kenntnissen anderen Leuten das Leben nicht verbittern solltet.«

»Habt Ihr irgendeine Absicht oder einen letzten Wunsch, Señor Baraja?«

»Warum?«

»Weil sich jeder von uns darauf gefaßt machen muß, skalpiert und erwürgt zu werden. Und dann, das dürft Ihr mir auf mein Wort glauben, ist es mit den letzten Wünschen zu spät.«

»Nun gut; mein letzter Wunsch ist der, daß der Teufel diese ganze Indianerbrut zur Hölle reiten möge!«

»Dann muß Satan ein guter Reiter sein, denn ich sage Euch, daß niemand mit einem Pferd so umzugehen versteht wie diese Rothäute, höchstens Tiburcio Arellano ausgenommen, von dem sie vielleicht noch manches lernen könnten. Sie reiten wie die Geister, die um Mitternacht durch – so, da habt Ihr es; sie kommen, und Ihr könnt es ja nun selbst sehen, wie sie reiten!«

Ein hundertstimmiges Brüllen erscholl draußen vor der Verschanzung.

Wer nur mit ›Mansas‹ zusammengetroffen ist, der kann sich von deren wilden Verwandten unmöglich einen Begriff machen. Nichts gleicht dem entarteten Geschlecht der städtebewohnenden Roten weniger als der wilde und ungezähmte Sohn der Steppe, vor dem Menschen und Tiere erzittern.

Die Apatschen hatten auf ihre gewöhnliche Taktik, den plötzlichen, pfeilschnellen nächtlichen Überfall, verzichtet; sie tummelten unter unbeschreiblichem Geheul ihre Pferde vor dem Lager herum. Die Feuer warfen auf ihre mit grellen Farben beschmierten Gesichter ein flackerndes Licht. Die langen Haare, die im Wind flatterten, die Riemen ihrer Kleider, die während des Hin- und Herjagens wie Schlangen um sie her pfiffen, die Art und Weise ihrer Bewegungen ließen sie Dämonen gleichen, deren bloßer Anblick schon fast entmutigend wirkte.

Unter den Mitgliedern der Expedition befanden sich nur wenige Männer, die nicht wegen irgendeiner Unbill an den Indianern Rache zu nehmen hatten; niemand von ihnen aber war von einem so glühenden Haß gegen die Wilden beseelt wie Pedro Diaz. Der Anblick seiner Todfeinde wirkte auf ihn wie der Anblick der scharlachroten Farbe auf einen Stier, und nur mit Mühe konnte er der Versuchung widerstehen, hinauszusprengen und eine jener Heldentaten zu verrichten, die seinen Namen den Roten so furchtbar gemacht hatten. Aber es war gerade jetzt dringend notwendig, strenge Ordnung zu halten, und so bezähmte er seine brennende Ungeduld.

Don Esteban hatte die besten Schützen auf den Hügel neben sein Zelt gestellt. Die Feuer leuchteten so gut, daß sie ihre Feinde sicher aufs Korn nehmen konnten, und so stand zu erwarten, daß die vorteilhafte Stellung der Karawane die wahrscheinliche Überzahl der Indianer ausgleichen werde.

Unterdessen hatten sich die Apatschen durch ihr scharfes Auge und die Berichte derjenigen von ihnen, die sich am weitesten vorgewagt hatten, von der Festigkeit der Stellung überzeugt, denn nach dem ersten Brüllen ließ sich eine gewisse Unschlüssigkeit unter ihnen bemerken. Doch sie dauerte nicht allzu lange.

Das Geheul mit seinen furchtbaren Urlauten wiederholte sich; der Boden zitterte unter einer Lawine von Pferdehufen, die gedankenschnell herbeischoß, und inmitten eines Kugel-, Pfeil- und Steinhagels fand sich das Lager durch eine ungeordnete Menge von Kriegern mit flatternden Haaren von drei Seiten angegriffen.

Sofort begann vom Hügel herab ein heftiges Feuer; ohne Unterlaß zuckten lange, tödliche Blitze in die Feindesschar herab.

Unter diesem mörderischen Feuer galoppierten herrenlose Pferde auf der Ebene umher; Reiter befreiten sich von der Last gestürzter Tiere; die Apatschen versuchten, die Wagen zu ersteigen oder unter ihnen hinwegzukriechen; so begann ein heißer Kampf Mann gegen Mann.

Pedro Diaz, Benito, Baraja und Oroche standen hart nebeneinander. Bald wichen sie zurück, um den langen Lanzen ihrer Feinde auszuweichen, bald rückten sie wieder vor, um ihrerseits Stoß und Hieb zu verteilen. Dabei munterten sie einander auf und warfen zuweilen einen Blick auf ihren Führer.

Benito kämpfte wie ein Recke des Altertums; lautlos wütete er unter den Angreifern.

Bei Oroche und Baraja wirkte die Goldsucht beinahe ebenso stark wie bei den anderen Männern die Kampfbegeisterung.

»Caramba«, rief Baraja, »ich wehre mich meiner Haut! Ich sehe nicht ein, warum ich mich erschlagen lassen soll, noch bevor ich meinen Anteil an der Bonanza verspielt oder vertrunken habe!«

»Ganz recht«, begleitete ihn Oroche, »wer eine Bonanza hat, ist unverwundbar, ist sogar unsterblich, denn –«

Der Schlag von einer Keule, die seinen Schädel traf, ließ ihn verstummen. Er sank zu Boden.

Der Indianer, der diesen Hieb geführt hatte, war, von der Heftigkeit des Schlages fortgerissen, vom Pferd gestürzt. Er hatte jedoch den Boden noch nicht berührt, so war sein Kopf durch den scharfschneidenden Dolch des Mexikaners beinahe vom Rumpf getrennt.

Da die auf der Anhöhe postierten Schützen unnütz geworden waren, weil ihre Kugeln in dem dichten Gedränge ebensogut die eigenen Gefährten wie die Indianer treffen konnten, so kamen sie herab, um sich in die Reihen der Kämpfenden zu mischen.

»Holla, da kommt neue Kraft«, rief Benito. »Halt, Señor Baraja, da will Euch einer an den Hals!«

Ein Indianer hatte Baraja erfaßt und wollte ihm sein Messer durch die Kehle ziehen, bekam aber von dem alten Vaquero einen Kolbenschlag, daß er niederstürzte.

»Tut ihn vollends ab, Baraja, ich will einstweilen – – ach, Señor Oroche, seid Ihr wieder munter? Ja, wer solche Locken und einen so dicken Hut hat, in dem der Staub von dreihundert Jahren eingetrocknet ist, der kann schon einen Hieb mit der Macana überwinden.«

In diesem Augenblick schleuderte ihm Diaz einen bereits verwundeten Indianer zu, während er einen anderen, der unter dem Wagen hindurchgekrochen war und sich neben ihm emporrichtete, den Dolch bis an den Griff in die Brust stieß.

»Hier, Benito!«

»Danke, Señor Diaz! Habt Ihr noch mehr übrig? Ich helfe gern!«

Er rannte dem Wilden den Lauf seiner Büchse in die Magengrube, daß der Getroffene, dessen Mund ein erstickender Blutstrom entquoll, tot hintenüber geschleudert wurde.

Don Esteban und Cuchillo standen in einer Ecke der Verschanzung und hatten einen nicht minder wütenden Angriff auszuhalten.

Der Graf warf, während er an seine persönliche Verteidigung dachte, denn in einem solchen Kampf muß ein Anführer sich wie ein gewöhnlicher Soldat schlagen, einen Blick auf die ganze Verschanzungslinie. Allein nur mit vieler Mühe konnten inmitten des Gebrülls, das die Kämpfenden umbrandete, Befehle gehört werden. Mehr als einmal entfernte seine leichte englische Doppelflinte, die er geschickt handhabte, das drohende Messer, die schon erhobene Axt oder die hoch geschwungene Keule von einem seiner Leute.

Hinter ihm stand Cuchillo, und zwar, mit mehr Klugheit als Tapferkeit, so weit wie möglich abseits vom Handgemenge. Er schien mit sorgenvollem Auge den Wechselfällen des Kampfes zu folgen, als er plötzlich taumelte, wie schwer getroffen zurückwich und in einiger Entfernung von den Wagen wie tödlich verwundet hinstürzte.

Dieser Zwischenfall wurde im Getümmel des blutigen Kampfes kaum bemerkt. Nur Don Esteban hatte die klugen Kunstgriffe des Banditen, sich vom Kampfe verschont zu erhalten, beobachtet und sagte kalt:

»Wir haben einen Feigling weniger!«

Einige Augenblicke lang blieb Cuchillo unbeweglich; dann richtete er den Kopf langsam empor und sah sich vorsichtig um. Eine Sekunde später lag er eine ziemliche Strecke von dem Ort entfernt, an dem er zuerst niedergefallen war. Sein Pferd, das immer in seiner Nähe geblieben war, folgte ihm und beroch ihn vorsichtig. Wären jetzt nicht alle Männer der Expedition so sehr von ihren Feinden bedrängt gewesen, so hätten sie sehen können, wie Cuchillo sich nach einem Punkt der Verschanzung hinwälzte, den die Indianer freigelassen hatten. Kaum war dies geschehen, so wartete er noch einen Augenblick und schlüpfte dann unter den Rädern des Wagens aus dem Lager hinaus. Dort richtete er sich auf und stand fest auf dem Boden. Ein Lächeln des Hohns und der Schadenfreude flog über seine Lippen. Der Tumult und die Dunkelheit begünstigten sein Unternehmen.

Ganz behutsam löste er die eisernen Ketten zweier Wagen und öffnete auf diese Weise einen Durchgang für sein Pferd. Ohne die Steigbügel zu berühren, schwang er sich in den Sattel, gab dem Tier die Sporen und verschwand in der Ferne.

In einiger Entfernung von dem Kampfplatz hielt ein Trupp von dreißig Indianern. Die Roten hatten die Taktik befolgt, eine Ersatztruppe zurückzulassen, die von einem alten Indianer befehligt wurde.

Sie lauschten den Stimmen des Kampfes mit jener äußeren Ruhe, die den Indianer selbst in den aufgeregtesten Augenblicken nicht verlassen darf; doch in ihrem Innern brannten sie vor Begierde, sich an dem Streit beteiligen zu können.

Auch ihre Rosse befanden sich in Aufregung. Die mutigsten Tiere spitzten bei jedem Schlachtruf, der vom Lagerplatz herüberdrang, die Ohren, wirbelten die reich behaarten Schwänze in der Luft, stiegen wiehernd in die Höhe und konnten nur mit Mühe im Zaum gehalten werden.

Da sprengte ein Reiter aus der Richtung des Flusses herbei. Er hatte die Beine hoch emporgezogen, – ein sicheres Zeichen, daß er größte Eile hatte. Bei dem Hinterhalt angekommen, ließ er die Beine sinken, stieß einen kurzen Ruf aus, und das Roß blieb mitten im stärksten Galopp halten, als sei es aus dem Boden gewachsen.

»Wer befehligt meine Brüder?« fragte er.

»Der ›schleichende Wolf‹«, antwortete der alte Indianer.

»Warum stehen sie hier und nehmen nicht am Kampf teil, den ich im Lager der Bleichgesichter toben höre?«

»Die Häuptlinge haben dem ›schleichenden Wolf‹ geboten, zurückzubleiben.«

»Der Gedanke des Hinterhalts ist weise, aber nicht tapfer. Meine Brüder sollen Gelegenheit finden, ihre Büchsen und Pfeile sprechen zu lassen. Sie mögen zum Fluß kommen; so befiehlt der Häuptling Schwarzvogel.«

»Der ›schleichende Wolf‹ darf die Stelle nicht verlassen, auf der ihn die Häuptlinge zurückgelassen haben. Bedarf Schwarzvogel ihrer so notwendig?«

»Die Insel im Wasser trägt die drei berühmtesten Bleichgesichter, die es gibt. Sie haben die roten Männer mit ihren Kugeln getötet und werden uns entgehen, wenn der ›schleichende Wolf‹ nicht mit mir kommt.«

»Wer sind die Weißen?«

»Der ›große Adler‹, der ›zündende Blitz‹ und der ›Panther des Südens‹. In ihren Augen blitzt das Verderben und aus ihren Büchsen der sichere Tod.«

Bei der Nennung der drei Namen schlossen die Wilden, auf das höchste überrascht, einen Kreis um den Boten.

»Der ›schleichende Wolf‹ möchte mit seinen Kriegern gern die großen Jäger der Schneegebirge sehen, allein er darf nicht fort. Mein Bruder reite zum Lager der Bleichgesichter und frage den Häuptling Katzenparder.«

»Katzenparder ist ein großer Krieger; er wird mitten unter sterbenden Bleichgesichtern zu finden sein.«

Der Bote sprengte dem Kampfplatz zu, während die Zurückbleibenden sich ihr Verlangen mitteilten, mit den drei großen Jägern kämpfen zu dürfen. Der Bote hatte richtig vermutet. Katzenparder befand sich mitten im Lager. Die Wilden hatten die von Cuchillo hergestellte Lücke bemerkt und waren durch sie eingedrungen, – mit einem Siegesgeheul, das weit und entsetzlich über die Steppe schallte. Ein fürchterlicher Kampf, Mann gegen Mann, hatte begonnen, und die Weißen schienen zu unterliegen. Der Bote drang durch die Bresche ein. Ein lauter Ruf brachte Katzenparder an seine Seite.

»Mein Sohn kommt, mir zu sagen, daß Schwarzvogel seine Feinde auf der Insel getötet hat?«

»Der große Geist hat den Apatschen sein Angesicht verhüllt. Vierzehn von ihnen sind hinübergegangen in das Reich der Schatten, und Schwarzvogel sitzt trauernd an der Erde, die er mit seinem Blut tränkte.«

Das Auge des Häuptlings blitzte zornig auf.

»Die Söhne der Apatschen zählten zwanzig, und die Bleichgesichter waren nur drei. Sind die roten Männer Weiber geworden?«

»Die Namen der Bleichgesichter sind größer als alle Namen der Erde«, antwortete der Bote einfach.

»Wie lauten sie?«

Er nannte sie, und sofort zeigte die Miene des Häuptlings, daß Schwarzvogel bei ihm entschuldigt war.

»Was soll mein Sohn mir sagen?«

»Katzenparder möge mir Krieger mitgeben, den Tod ihrer Brüder zu rächen!«

Der Häuptling warf einen schnellen Blick umher und sah, daß die Weißen sich überall im Nachteil befanden.

»Der ›schleichende Wolf‹ möge mit ihm gehen. Die Söhne der Apatschen werden die Bleichgesichter vernichten und bedürfen des Hinterhalts nicht länger!«

Augenblicklich drehte der Bote sein Pferd herum und ritt durch die Bresche davon. Der Häuptling befand sich im nächsten Augenblick wieder inmitten des Kampfgewühls.

Die halb verbrannten Reisigbündel warfen ihr rötliches Licht auf die blutige Szene. Das Brüllen wütender Feinde, das Sausen der Pfeile, das Krachen der Schüsse folgten ohne Unterlaß aufeinander, und dazwischen arbeiteten in verderblicher Stille die schweren Keulen und spitzen Messer gegeneinander. Die bemalten Gesichter der wilden Reiter sahen beim Licht der Flammen noch scheußlicher aus; es war, als kämpften die Weißen mit wütenden Tieren anstatt mit Menschen.

Draußen vor der Verschanzung stand der Kampf in einzelnen Gruppen, im Innern aber herrschte eine heillose Verwirrung, ein Durcheinander von Körpern, die mächtig gegeneinander prallten oder sich mit Aufbietung aller Kraft und Geschicklichkeit umschlungen hielten. Nur da, wo Diaz mit Benito, Baraja und Oroche kämpften, befanden sich die Goldsucher im Vorteil.

Diesen vier Männern war es gelungen, ihre Umgebung von den Roten zu säubern, so daß sie ihre Aufmerksamkeit nun den übrigen Kampfplätzen des Lagers zuwenden konnten.

»Caramba, es steht schlecht!« rief Diaz erschrocken. »In zehn Minuten gehört das Lager den roten Schurken, wenn wir nicht doppelt arbeiten. Dort – Teufel, das ist dieser Katzenparder! Den kenne ich seit langer Zeit und er mich auch. Ich werde ein Wort mit ihm sprechen!«

Der furchtbare Indianertöter schien bisher nur gespielt zu haben, denn seine Stirn zeigte nicht einen einzigen Tropfen des staubigen Schweißes, der die Gesichter aller Kämpfenden überrann. Er hob die Keule eines gefallenen Wilden vom Boden empor.

»Drauf, Benito, drauf; sonst sind wir alle verloren!«

Er schwang die Macana in raschem Wirbel über dem Kopf und stürzte sich ins Gewühl. Unaufhaltsam drang er vor, schmetterte die Feinde nieder und bahnte sich einen bluttriefenden Weg bis zum Häuptling. Dieser sah und erkannte ihn.

»Diaz, der Puma!« rief er, unwillkürlich zurückweichend.

»Ja, Diaz, der Puma, der den Panther zerreißen wird!«, brüllte dieser mit fürchterlicher Stimme zurück.

Der Indianer drängte sein Pferd zu ihm heran und holte zum tödlichen Hieb aus. Doch dieser ging fehl, denn Diaz hatte sich gebückt und tauchte hinter dem Pferd des Wilden im nächsten Augenblick wieder empor. Mit einem kühnen Sprung kniete er hinter dem Häuptling auf dem Tier, faßte den durch die Kraft des erfolglosen Schlages beinahe sattellos gewordenen Feind mit der Linken bei den Haaren, riß ihn hinten hinüber und bohrte ihm das Messer bis ans Heft in die Brust

Den Toten vom Pferde schleudernd, erfaßte er die Zügel des Tieres, riß es vorn empor und trieb es, einen lauten, gellenden Schrei ausstoßend mitten unter die Wilden hinein. Ein entsetzliches Wutgeheul war die Antwort auf diesen Siegesruf und den Tod ihres berühmten Häuptlings.

»Señor Baraja, wißt Ihr jetzt, wie sie schreien?« fragte Benito, der auch eine Keule ergriffen hatte und während des Sprechens einen Indianer niederschmetterte. »Sucht Euch auch eine solche Macana. Sie ist beim Nahkampf das trefflichste Instrument, das man nur finden kann!«

»Gebt mir die Eure, Don Benito; ich habe keine Zeit zum Suchen!«

»Hier ist sie! Dort liegt eine andere, die ich mir nehmen werde!«

Über den vorher so furchtsamen Baraja, dessen dunkler Lebenslauf bisher jedenfalls nur Taten aufzuweisen hatte, die hinterrücks mit dem heimtückischen Messer ausgeführt worden waren, war das Schlachtenfieber gekommen. Er warf sich mit der Keule den Feinden entgegen.

Auch Oroche, der Mandolinenspieler, tat seine Schuldigkeit. Die Mantelüberreste waren ihm von der Schulter gefallen, der alte Hut lag schon längst am Boden; seine langen Haare flatterten im Winde, während er mit dem Kolben seiner Büchse um sich schlug, als wolle er allein sämtliche Feinde vernichten.

Don Esteban hatte trotz des schlechten Standes der Sache seine ganze Kaltblütigkeit behalten. Seine Flinte krachte von Minute zu Minute, und jeder Schuß kostete einen Indianer das Leben.

Wem es vergönnt gewesen wäre, bei diesen Szenen den ruhigen Beobachter zu spielen, der würde sein Auge nicht von Diaz haben wenden können. Er hatte gleich im ersten Augenblick bemerkt, welch ein ausgezeichnetes Pferd er unter sich bekommen hatte, und war darum erst gar nicht wieder abgestiegen. Die Wilden vor sich niederreitend, trieb er es durch sie hindurch, ritt zum Wagen, an dem er seinen Stand hatte und riß von einem Pflock seinen Degen, den er bisher außer acht gelassen hatte. Es war eine vortreffliche Klinge von Toledo, die das Blut schon manchen Indianers gekostet hatte. Diaz nahm einen Anlauf und riß, mitten unter sie stürmend, die Wilden auseinander. Die zwei noch übrigen Häuptlinge, an ihrem Kriegsschmuck kenntlich, fielen unter seinen raschen Streichen, und ein panischer Schrecken bemächtigte sich der Indianer. Sie wandten sich zur Flucht und stürmten durch die Bresche hinaus, Diaz hinter ihnen her.

»Auf die Pferde ihnen nach!« rief Don Esteban.

Wer nicht verwundet oder sonst unfähig zum Reiten war, sprang auf das nächstbeste Pferd und jagte den fliehenden Wilden nach. Der Umstand, daß Katzenparder die Reserve fortgeschickt hatte, wurde den Indianern im höchsten Grade verderblich, und die Goldsucher errangen den glänzenden Erfolg, den Antilope, der Läufer, dem Häuptling Schwarzvogel dann am Rio Gila berichtete.

Als die Verfolger zurückgekehrt waren, zeigte es sich, daß die Weißen gegen dreißig Mann verloren hatten. Die übrigen waren meist verwundet. Man verband sich, stellte vor allen Dingen die beschädigte Verschanzung wieder her und legte sich dann, von der furchtbaren Anstrengung erschöpft, nach Ausstellung der notwendigen Wachen mitten zwischen den Leichen auf dem blutdurchtränkten Boden zur Ruhe nieder. –

Es graute der Tag.

Der stärkere Wind, der dem Aufgang der Sonne voranzugehen pflegt, zerriß die auf dem Fluß liegende Nebeldecke an einigen Stellen, aber die am Ufer wachenden Indianer vermochten noch immer nicht die Insel zu erkennen.

Bald wurde das erste Dämmerlicht etwas bestimmter. Die Nebelmassen wälzten sich übereinander, wie die Staubwolke, die von den Hufen einer Büffelherde aufgewirbelt wird. Die Sonne erhob sich, und die Dunstschleier schillerten schwankend wie ein ungeheurer Vorhang, von dem jeder Hauch des Morgenwindes ein Stück mit sich fortriß.

Da stieß Schwarzvogel einen Schrei der Wut und Enttäuschung aus, der gar nicht aus einer menschlichen Kehle zu kommen schien. Das Inselchen war gänzlich verschwunden; der Ort, den es noch am vergangenen Abend eingenommen hatte, war so glatt wie ein Spiegel. Auch nicht ein einziges der Schilfrohre, die das Floß begrenzt, auch nicht eine einzige der grünenden Wurzeln, die es umgeben hatten, zeigte sich über dem Wasser.

Die Gefühle, die in diesem Augenblick das Herz des Häuptlings durchfluteten, waren so gewaltig, daß er sich trotz seiner Verwundung allein und ohne alle Hilfe aufrichtete. Seine Augen waren weit aufgerissen und sein Gesicht bleich unter den aufgetragenen Ockermassen.

Er wankte auf die zunächststehende Schildwache zu und hob die Streitaxt. Aber der bedrohte Krieger rührte sich nicht. Er blieb mit vorgestrecktem Kopf und ganz in der Haltung eines angestrengt horchenden Menschen ruhig stehen, als wolle er damit anzeigen, daß er bis zu diesem unglücklichen Augenblick nicht aufgehört habe, treu zu wachen.

Der Indianer fürchtet den Tod nicht; er empfängt ihn aus der Hand seines Häuptlings, ohne mit der Wimper zu zucken.

Im nächsten Augenblick mußte die Streitaxt den Kopf des Indianers treffen, – da erfaßte Antilope den Arm Schwarzvogels.

»Der große Anführer der Apatschen wolle nicht hören auf die Stimme seines Zorns. Der böse Geist, dessen Kinder die Weißen sind, hat die Insel hinweggenommen, aber die Apatschen sind nicht schuld daran!«

Ein lange anhaltendes Geheul, das sich auf beiden Ufern erhob, zeigte an, daß nun sämtliche Indianer das Verschwinden der Insel bemerkt hatten.

Schwarzvogel vermochte vor Grimm und Wut nicht zu antworten. Seine Wunde öffnete sich wieder, und unter dem durch Riemen festgehaltenen Verband strömte das Blut hervor. Er bebte; seine Kniekehlen bogen sich, und der Läufer mußte ihn ins Gras niedersetzen, wo er das Bewußtsein verlor.

Als er wieder zu sich kam, war der Verband bereits erneuert, und die eine Hälfte seiner Krieger hatte sich um Schwarzvogel versammelt, während die andere am jenseitigen Ufer stand, um seine Befehle zu erwarten.

»Wohin sind die Bleichgesichter verschwunden?« fragte er.

»Der große Geist hat meine Gedanken erleuchtet«, antwortete Antilope. »Die Insel stand nicht fest auf dem Boden des Wassers; die Weißen haben sie gelöst und sind mit ihr den Strom hinabgeschwommen.«

Schwarzvogel neigte zustimmend das Haupt. Es mußte so sein, wie der Läufer sagte; es gab keine andere Möglichkeit.

»Sie haben weder Ruder noch Steuer; die Insel ist mit ihnen an das Ufer gestoßen. Man suche auf beiden Seiten nach ihren Spuren!«

Während diesem Gebot Folge geleistet wurde, blieb der Verwundete unter dem Schutz einiger Wächter zurück, die ihre Toten aufsuchten, um ihnen ein indianisches Begräbnis zu geben.

Während dieser Zeit kam ein zweiter Bote von den durch die Goldsucher geschlagenen Apatschen, die dringend bitten ließen, daß der Häuptling zu ihnen komme. Er gab keine Antwort, sondern erwartete schweigend die Rückkehr der ausgesandten Männer.

Sie kamen erst, als die Sonne bereits im Mittag stand. Trotz der Behutsamkeit der drei Männer hatten sie den Ort gefunden, an dem sie an Land gegangen waren; da sie aber keine Spur des Floßes entdeckt hatten, so vermuteten sie, daß die Jäger auf ihm weiter stromabwärts geschwommen seien.

Jetzt erst faßte Schwarzvogel seinen Entschluß. Er ließ sich auf ein Pferd binden und ritt, von sämtlichen Kriegern begleitet, dem Ort zu, wo nach dem Bericht des Boten die Apatschen auf ihn warteten.

Die Sonne goß ihre Lichtströme über die Wüste aus, als Schwarzvogel mit seiner Truppe bei den Gummibäumen ankam, wo er zusammen mit den anderen Häuptlingen am vorigen Tag beim Beratungsfeuer gesessen hatte. Nach der erlittenen Niederlage und der nächtlichen Verfolgung hatten die Indianer sich wieder an demselben Ort versammelt.

Beim Anblick des Häuptlings, dessen Rückkehr alle mit Ungeduld erwartet hatten, brachen die Wilden in ein gewaltiges Freudengeschrei aus. Er nahm diese Zurufe mit viel Würde als eine verdiente Huldigung auf und ließ sich vom Pferd heben. Ein Klagegeheul erfolgte nun beim Anblick seiner verwundeten Schulter. Er wurde zum Feuer geschafft, wo man ihn an die Erde setzte. –

Unterdessen war das Lager der Goldsucher ohne Führer.

Als gestern der Kampf zu Ende war und alles sich zur Ruhe legte, hatte Don Esteban Diaz zu sich gerufen und sich mit ihm ins Zelt zurückgezogen.

»Señor Diaz, seid Ihr ein Mann, dem ich vertrauen kann?«

Der Gefragte verneigte sich zustimmend.

»Ich denke es, Don Esteban.«

»Was haltet Ihr von Cuchillo?«

»Er scheint Euer Vertrauter zu sein«, antwortete Diaz ausweichend.

»Er ist es nicht. Gebt mir unbesorgt eine offene Antwort!«

»Er ist ein Feigling und zugleich ein Schurke!«

»Wir stimmen überein, wie ich sehe! Was haltet Ihr von seinem Verhältnis zu dem Überfall?«

»Er hat eine Kugel verdient, Señor, wenn ich meine Meinung in aller Kürze sagen soll.«

»Er hat sie bekommen, denn er liegt draußen unter den Toten.«

»Cuchillo? Nein, Señor, er befindet sich nicht bei ihnen.«

»Nicht?« fragte Arechiza erschrocken. »Ich habe ihn doch fallen sehen! Allerdings – ah, jetzt besinne ich mich – er war dann fort von dem Ort, wo er stürzte.«

»Habt Ihr sein Pferd gesehen?«

»Nein.«

»Unter den Verfolgenden kann er sich nicht befunden haben.«

»Er war nicht dabei. Könnt Ihr mir vielleicht sagen, wie die Indianer in unsere Verschanzung gekommen sind?«

»Durch die Bresche. Alle Teufel, jetzt weiß ich, was Ihr sagen wollt! Er ist fort.«

»Die Ketten der Wagen waren gelöst. Das kann – ah, das kann nur er getan haben!«

»Laßt uns suchen, ob er wirklich nicht zu finden ist!«

Sie traten wieder aus dem Zelt und begannen, eifrig nach dem Vermißten zu forschen, doch umsonst.

»Es bleibt dabei: er ist verschwunden«, entschied Diaz.

»Und ich weiß wohin«, antwortete Arechiza.

»Ich auch.«

»Woher wißt denn Ihr es, Diaz?« fragte Don Esteban erstaunt.

»Ich denke es mir, und die Vermutung, die ich hege, liegt so nahe, daß sie jeder haben kann.«

»Teilt sie mir mit!«

»Gestern ist er fortgeritten, um die Wilden auf unsere Spur zu bringen, damit es weniger Teilhaber an der Bonanza werden. Das ist sehr leicht einzusehen. Und heute ist er nach dem Goldtal, das ja in der Nähe sein soll, und wird dafür sorgen wollen, daß er zu einem Voranteil kommt.«

»Eure Vermutung ist auch die meinige. Ist es so, dann wird ihm die Untreue schlecht bekommen.«

»Kennt Ihr das Placer, Señor?«

»Genau nicht. Zwar hat er mir die Gegend beschrieben, den Ort selbst zu finden dürfte jedoch mit Schwierigkeiten verbunden sein. Ich muß ihm nach, und zwar so schnell wie möglich.«

»Vor Tagesanbruch wird das nicht gehen, da Ihr seiner Spur folgen müßt, die Ihr in der Dunkelheit nicht finden könnt.«

»Ihr sollt mich begleiten, Señor Diaz, Ihr, Baraja und Oroche. Sagt es ihnen. Doch sollen sie unser Vorhaben vor den anderen verschweigen. Wenn wir bei Tagesgrauen aufbrechen, können wir noch vor Abend wieder im Lager sein.«

»Wo vor Nacht von den Indianern sicherlich nichts zu befürchten ist«, fügte Diaz hinzu und entfernte sich, um die beiden Gefährten zu benachrichtigen.

Kaum begann sich im Osten der Himmel zu lichten, so brachen die vier Männer auf, nachdem Arechiza befohlen hatte, daß die Leichen begraben werden sollten und niemand das Lager verlassen dürfe.

Nachdem sie den Platz einige Male in immer weiterem Bogen umkreist hatten, fanden sie die Hufspuren eines Pferdes, das Cuchillo gehören mußte. Sie folgten dieser Fährte und waren bald am Horizont verschwunden.

Die Zurückbleibenden warfen die Leichen der Indianer über die Verschanzung hinaus und bereiteten dann den Ihrigen ein gemeinsames Grab. Der Vormittag verging, und der Durst stellte sich ein. Auch der Proviant ging zu Ende, da man das Lager nicht verlassen durfte und also kein Wild jagen konnte.

Die Zeit rückte vor, und die Goldsucher begannen, sich infolge der Abwesenheit ihres Anführers immer unbehaglicher zu fühlen.

Da – es war bereits gegen Abend – erblickten die Schildwachen in der Ferne eine Staubwolke, die sich dem Lager näherte.

Sie gaben sofort Alarm, und alles begab sich nach dieser Seite bin, und zwar in der Hoffnung, Don Esteban zurückkehren zu sehen.

Sie hatten sich geirrt, denn inmitten der Staubwolke wurden indianische Federbüsche und Lanzenspitzen sichtbar, die mit Menschenhaaren geschmückt waren.

»Zu den Waffen! Die Indianer kommen!« klang der Schreckensruf.

Die Verwirrung, die gestern bei der Ankunft der Indianer geherrscht hatte, war gering gewesen gegen die, die sich jetzt der Weißen bemächtigte. Wer sollte das Kommando übernehmen, wer sollte gehorchen? So hielt es jeder erst einmal für das beste, sich ruhig an den Posten zu stellen, den er gestern eingenommen hatte; aber auf allen Gesichtern lag ein Ausdruck der Angst, den keiner zu verbergen vermochte.

»Es sind nur sechs!« rief da eine Schildwache über die Verschanzung herein, und sofort begann sich der bereits gesunkene Mut aufzurichten.

Die Indianer kamen, anstatt heranzugaloppieren und ihr Kriegsgeschrei zu erheben, ganz langsam und ruhig herbei. Einer von ihnen schwenkte eine Lanze, an der ein weißer Fetzen hing. Sie schienen also in friedlicher Absicht zu kommen.

Etwa zwei Büchsenschüsse vom Lager entfernt blieben die übrigen halten, während der Träger des Friedenszeichens näher kam.

Unter den Goldsuchern befand sich ein Mann, der aus dem Presidio Tubac stammte. Er hatte früher als Händler einige Zeit mit Stämmen der Apatschen verkehrt und kannte ihre Sprache zur Genüge, um den an der Grenze gebräuchlichen spanisch-indianischen Dialekt notdürftig zu verstehen und zu sprechen.

Benito trat zu ihm.

»Señor Gomez, seht Ihr den Indianer dort?«

»Natürlich.«

»Und wißt Ihr, was er will?«

»Jedenfalls kommt er als Parlamentär.«

»Nun wohl! Ihr seid unter uns der einzige, der mit ihm reden kann. Geht ihm entgegen!«

»Ich werde mich sehr hüten, Don Benito!«

»Warum?«

»Hm, der Kerl sieht mir nicht aus, als ob mit ihm gut Kirschen essen sei.«

»So habt Ihr Furcht?«

»Don Benito, ich bitte Euch, mich nicht zu beleidigen, sonst stoße ich Euch diesen Dolch hier ein wenig zwischen die Rippen!«

Der alte, wackere Vaquero warf einen spöttischen Blick auf die kleine Gestalt von Gomez, die ihm kaum bis an die Schultern reichte.

»Señor Gomez, das würde Euch nicht leicht werden, denn bevor Ihr dazu kommt, zum Stoß auszuholen, habe ich Euch zwischen meinen Fingern zerquetscht und zerbrochen wie einen dürren Baumwollzweig. Ihr habt Angst; das ist Euch deutlich anzusehen!«

»Angst? Fällt mir gar nicht ein! Aber seht Euch den Kerl doch genau an! Er sieht gerade wie ein Teufel oder Menschenfresser aus.«

»Ja, so ähnlich. Wie Ihr seht, ist er ein Häuptling und hat auf dem Kriegspfad die Pflicht, sich so abschreckend wie möglich herauszuputzen. Aber, blickt doch nur einmal schärfer hin. Seht Ihr nicht, daß er verwundet ist?«

»Wahrhaftig! Die ganze Schulter ist mit Riemen umwunden; er muß eine Kugel bekommen haben, und es ist zum Verwundern, daß er einen solchen Schmerz zu ertragen vermag.«

»Das bringt jeder Indianer fertig. Aber Ihr erkennt daraus, daß er uns nicht gefährlich sein kann. Geht hinaus zu ihm!«

Sämtliche Gambusinos hatten sich um die beiden versammelt. Auch sie waren der Ansicht, daß Gomez die Wagenburg verlassen sollte, um mit dem Wilden zu verhandeln. Der zaghafte Mann ging nur nach langer Weigerung darauf ein. Es wurde ein Lappen hervorgesucht, der früher einmal ein weißes Taschentuch gewesen war und jetzt die parlamentarische Flagge darstellen mußte. So ausgerüstet schritt Gomez dem Indianer entgegen.

Dieser war kein anderer als Schwarzvogel.

Alle Wilden sind große Bewunderer äußerer Schönheit. Als der Häuptling der Apatschen den kleinen, mageren Mexikaner auf sich zukommen sah, legte sich ein verächtlicher Zug um seine Lippen, doch nur für einen kurzen Augenblick. Er war ein ebenso geschickter und schlauer Diplomat wie tapferer Krieger, und verstand es, jede Empfindung im Interesse seines Zweckes zu bemeistern.

Die beiden so verschiedenen Männer begrüßten einander, und Schwarzvogel ergriff zuerst das Wort.

»Mein weißer Bruder mag mir sagen, ob er ein Häuptling ist. Der Vater der Apatschen spricht nicht mit einem gewöhnlichen Krieger der Bleichgesichter.«

Gomez befand sich in keiner geringen Verlegenheit, und es dauerte einige Augenblicke, ehe er seine Antwort gab.

»Ich bin der Häuptling der weißen Männer. Mein roter Bruder kann getrost mit mir reden.«

Das schwarze Auge des Apatschen leuchtete auf.

»Es wohnt bisweilen eine große Seele in einem ärmlichen Körper. Mein Bruder muß ein berühmter Häuptling sein. Aber weshalb ist er mit seinen Kriegern in das Jagdgebiet der Apatschen gekommen?«

Gomez war der Ansicht, daß er den eigentlichen Zweck ihrer Expedition nicht verraten dürfe. Er suchte nach einer Ausrede und fand vor Angst und Verlegenheit doch keine. Der Indianer weidete sich sichtlich an dem Anblick des nach Worten ringenden Weißen.

»Es gibt wohl im Lager der Bleichgesichter mehrere so weise und tapfere Häuptlinge, wie mein Bruder ist?«

»Ich bin der alleinige Häuptling.«

»Und alle Krieger müssen meinem Bruder gehorchen?«

»Alle.«

»Sie werden nicht mehr lange seine Befehle erfüllen, denn die Söhne der Apatschen sind zahlreich wie die Blätter des Waldes und unwiderstehlich wie das Feuer der Savanne. Mein Bruder wird morgen mit den Seinen nicht mehr leben.«

Schwarzvogels Augen glühten in unheimlichem Feuer, als er die Wirkung seiner Worte auf den furchtsamen Gomez bemerkte. Dieser war bleich geworden, und der Trieb der Selbsterhaltung gab ihm den fehlerhaftesten Gedanken ein, den es in der gegenwärtigen Lage für ihn geben konnte.

»Warum kommt denn mein roter Bruder mit den Zeichen des Friedens? Die weißen Männer dürsten nicht nach dem Blut seiner Krieger!«

»Der Häuptling der Apatschen kommt, um mit den Bleichgesichtern Worte des Friedens zu reden. Aber er weiß, daß sie ihn nicht hören werden, und daher sagt er, daß sie in das Land des Todes gehen müssen.«

»Welche Worte sollen wir vernehmen?«

Der Apatsche richtete sich hoch und stolz empor.

»Ist mein Bruder wirklich ein Häuptling? Dann muß er doch wissen, daß die Rede eines Kriegers mit Adlerfedern nur am Lagerfeuer erklingen darf. Warum fordert er hier an dieser Stelle Antwort von mir wie von einem elenden Yambarico, der Wurzeln gräbt und das Gedärme der Eule verzehrt?«

Gomez trat beim Anblick des erzürnten Indianers unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Mein roter Bruder will unser Lager betreten?«

»Käme der weiße Häuptling mit einer Botschaft zu den Apatschen, so würden sie ihn am Beratungsfeuer empfangen, weil weder Furcht noch Angst in ihrer Seele wohnt. Schwarzvogel wird nur dann sprechen, wenn er behandelt wird wie ein Häuptling, der am Feuer sitzen darf.«

Die Verlegenheit des Mexikaners vergrößerte sich. Durfte er den Anführer der Indianer mit in das Innere des Lagers nehmen? Konnte er ihn abweisen, wo ein friedlicher Ausgleich wohl das beste war?

»Wie viele Krieger sollen meinen Bruder zu uns begleiten?«

»Ein einziger.«

»So mag er kommen!«

Ohne sich umzudrehen, stieß der Wilde einen durchdringenden Gutturalton aus, auf den hin einer der fünf zurückgebliebenen Indianer herbeigeritten kam. Es war Antilope, der Läufer.

Gomez schritt voran, und die beiden Apatschen folgten ihm, nachdem sie einen befriedigten Blick gewechselt hatten.

Die Indianer waren im Lauf des Tages auf die Spuren Don Estebans und seiner Begleiter gestoßen; Schwarzvogel wußte also, daß das Lager vier Verteidiger weniger besaß, und hatte den Entschluß gefaßt, als Parlamentär einzudringen und sich umzusehen. Der Umstand, daß der kleine Gomez sich für den Anführer ausgab, brachte ihn auf den Gedanken, daß der wirkliche Anführer sich unter den Männern befinde, die das Lager verlassen hatten, und da Antilope Don Esteban gestern während des Kampfes gesehen hatte, so rief er diesen herbei, um sich Gewißheit zu holen.

Die beiden Indianer stiegen vor der Verschanzung ab und schritten durch eine Lücke die man geöffnet hatte, in das Innere der Befestigung. Ihre Köpfe bewegten sich nicht um die Breite eines Haares zur Seite, und ihre Augen blieben halb geschlossen, als sei ihnen ihre Umgebung die allergleichgültigste Sache der Welt. Dennoch hatten sie in einem einzigen Augenblick alles erfaßt, was sie wissen wollten.

Schwarzvogel lenkte seine Schritte wie selbstverständlich dem Zelt Don Estebans zu. Gomez versuchte, ihn zurückzuhalten.

»Mein roter Bruder möge hier im Kreise meiner Krieger bleiben!«

Schwarzvogel hielt den stolzen Schritt inne und blitzte den kleinen Mann mit flammendem Auge an.

»Soll der Häuptling der Apatschen, der verwundet ist bis auf das Leben, hier versengen im Lande der Sonne? Verstehen die weißen Männer nicht, Gäste und Häuptlinge zu empfangen?«

Der starke Mann hatte sich trotz seiner schweren Verwundung auf dem Pferd gehalten, ohne angebunden zu sein, und stand jetzt da wie die bronzene Statue eines Kriegsgottes, die den Beschauer mit Bewunderung erfüllt. Er wartete die Antwort des Mexikaners gar nicht ab, sondern trat mit Antilope in das Zelt, wo sich beide niederließen.

Gomez war für einige Augenblicke zurückgeblieben, um sich mit den anderen über sein Verhalten zu besprechen. Daher fanden die Indianer Zeit, einige ungehörte Worte auszutauschen.

»Ist der Häuptling der Bleichgesichter hier?«

»Nein«, antwortete Antilope.

Sie konnten durch den offenen Eingang das ganze Lager überblicken.

»Welcher von diesen Männern ist der fürchterliche Indianertöter, den die Weißen Pedro Diaz nennen und der gestern Katzenparder überwunden hat?«

»Antilope hat ihn gesehen, als er Katzenparder das Leben raubte; er ist nicht hier.«

Schwarzvogel konnte einen leisen Ruf der Freude nicht unterdrücken.

»Die großen Krieger der Bleichgesichter sind fort und haben die feigen Mäuse ohne Schutz gelassen. Die Mäuse werden sterben. Dieser Zwerg will den Häuptling der Apatschen täuschen, aber das Auge Schwarzvogels ist ihm bis unter das Fell gedrungen. Die Bleichgesichter sind verloren, und dann werden die roten Krieger Zeit haben, den ›großen Adler‹, den ›zündenden Blitz‹ und den ›Panther des Südens‹ zu verfolgen.«

Jetzt trat Gomez ein. Er versuchte vergebens, sich die würdevolle Haltung eines Häuptlings zu geben. Die Worte, mit denen Schwarzvogel ihn empfing, bewirkten, daß seine Gestalt noch mehr zusammenschrumpfte.

»Der weiße Mann gibt vor, ein Häuptling zu sein und weiß doch nicht, daß man einen Gast nicht allein lassen darf. Will er diese Beleidigung vielleicht mit seinem Skalp bezahlen?«

»Ich mußte erst meinen Kriegern sagen, welche Gäste zugegen sind«, suchte Gomez sich zu entschuldigen.

»Haben die weißen Krieger keine Augen, um selbst zu sehen? Ist es bei den Bleichgesichtern Sitte, daß der Häuptling fragt, was er tun und sprechen darf? Der weiße Mann darf nichts tun ohne die Erlaubnis seiner Brüder; er ist kein Häuptling!«

»Ich bin der alleinige Häuptling dieses Lagers«, behauptete Gomez.

Schwarzvogel warf ihm einen vernichtenden Blick zu und donnerte:

»Das Ohr des Häuptlings der Apatschen hat eine große Lüge vernommen! Er wird seinen Mund schließen, denn seine Zunge spricht nicht mit der lügenden Kröte. Mein roter Bruder mag reden!«

Antilope hatte bis jetzt mit geschlossenen Augen dagesessen; jetzt öffnete er die Lider und die Lippen:

»Ich sah den Häuptling der Bleichgesichter beim Kampf. Seine Doppelflinte warf die roten Männer zu Boden wie der Sturm die Früchte des Nußbaums. Sein Haar war schwarz mit weißen Fäden, seine Schulter breit und sein Auge scharf wie das des Adlers. Er hat das Lager verlassen, als der Tag im Osten emporstieg. Der weiße Mann mag sagen, ob ich lüge wie er!«

Gomez antwortete nicht. Er war so vollständig eingeschüchtert, daß er weder ja noch nein zu sagen wagte.

»Und ich sah einen anderen Häuptling, der Katzenparder tötete. Seine Gestalt war fest und zäh wie Eichenholz, und seine Faust wie die Tatze des Bären. Die Bleichgesichter nennen ihn Pedro Diaz. Er ritt mit dem ersten Häuptling fort. Habe ich recht gesagt?«

»Mein roter Bruder hat recht gesagt«, entgegnete jetzt Gomez. »Die beiden Häuptlinge sind fort, und nun bin ich der alleinige Anführer.«

»Der weiße Mann nenne Antilope nicht Bruder. Der Apatsche ist nicht der Bruder eines Lügners! Der weiße Mann ist kein Häuptling.«

»Ich bin es.«

»Ist er es wirklich, so nenne er seinen Namen!«

»Gomez.«

»Gomez? Ist das der Name des Schakals oder des Hasen? Heißt so die Fliege oder der Wurm, den der Vogel frißt? Die Söhne der Apatschen haben ihn noch nie vernommen. Den Mann Gomez kennt kein altes Weib; seine Gestalt ist die eines Kindes, sein Mut der eines Frosches und seine Zunge die einer Schlange, die nur Lügen speit. Wohin sind die beiden Häuptlinge geritten?«

»Sie gingen, um den Bison zu jagen, damit wir Nahrung erhalten.«

»Antilope wird warten, bis sie zurückkehren, und ihnen dann die Worte sagen, die sie vernehmen sollen. Mein großer roter Bruder hier aber kehrt in das Lager der Apatschen zurück, um ihnen zu sagen, daß Antilope hier verbleibt!«

Nur ein kurzer blitzschneller Blick traf den Sprecher aus dem Auge Schwarzvogels, aber Antilope sah, daß er verstanden worden war. Er wollte als Geisel zurückbleiben, um die Mexikaner sicher zu machen, während Schwarzvogel den Angriff vorbereiten sollte. Sein scharfes Auge hatte wohl bemerkt, daß nicht der mindeste Holzvorrat im Lager vorhanden war, um wie gestern die Feuer zu entzünden, und mit geschickter Doppelzüngigkeit machte er Schwarzvogel auf diesen und noch einen anderen Umstand aufmerksam:

»Antilope wünscht, daß die beiden Häuptlinge der Bleichgesichter zurückkehren, ehe die Nacht hereinbricht, sonst kann er nicht mit ihnen sprechen, da sie kein Feuer anzubrennen vermögen. Schwarzvogel, der Häuptling der Apatschen, möge seinen Kriegern befehlen, die beiden Bleichgesichter friedlich zurückkehren zu lassen, denn Antilope will mit den Weißen Frieden schließen auf viele Sommer und Winter!«

Schwarzvogel erhob sich. Seine geballte Faust und ein zweiter, rascher Blick belehrten Antilope, daß der Häuptling Don Esteban einen Hinterhalt stellen werde, um ihm die Rückkehr unmöglich zu machen.

»Mein roter Bruder hat gut gesprochen«, versetzte er würdevoll. »Es geschehe, wie er gesagt hat!«

Er schritt, ohne Gomez eines weiteren Blicks zu würdigen, zum Zelt hinaus, die Erhöhung hinab und durch die Lücke zu den Pferden. Trotz seiner Schmerzen schwang er sich hinauf, nahm auch das Tier von Antilope beim Zügel und galoppierte davon.

Gomez betrachtete den zurückgebliebenen Indianer mit unsicheren Blicken. Antilope hatte die Augen geschlossen und den Kopf zurückgelegt zum Zeichen, daß er jetzt für niemand mehr vorhanden sei.

»Hat der rote Mann noch etwas zu sagen?«

Ohne die Augen zu öffnen, hob der Wilde die Hand.

»Fort!«

Gomez verließ das Zelt und kehrte zu den Gefährten zurück. Er war so vollständig eingeschüchtert worden, wie noch nie in seinem Leben.

Benito trat ihm entgegen.

»Nun, Señor Gomez, warum ging der eine und läßt den anderen hier?«

»Der Teufel hole sie alle beide! Die Kerls tun ja, als ob sie die Herren unseres Lagers wären. Sie haben gemerkt, daß ich nicht der Anführer bin und mich behandelt wie einen Knaben, der noch nicht drei von vier unterscheiden kann.«

»Was Ihr auch vollständig verdient habt, wenn Ihr es Euch so ruhig gefallen laßt, Don Gomez. Welche Vorschläge machten sie Euch denn?«

»Keine«, zankte der wütende kleine Mann. »Sie wußten ganz genau, daß Don Esteban mit Pedro Diaz und den anderen das Lager verlassen hat, und wollen nur ihnen sagen, was sie hergeführt hat. Dieser Schlingel, der sich ›Antilope‹ nennt, hat mich aus dem Zelt gewiesen wie einen Hund.«

»Und Ihr seid auch gegangen? Das ist zwar sehr vorsichtig, aber nicht sehr tapfer von Euch. Und der andere? Warum hat nicht auch er gewartet, sondern den Rückweg eingeschlagen?«

»Weil er den Apatschen sagen will, daß sie Arechiza unbehelligt passieren lassen sollen.«

»Schön, Señor Gomez! Und das habt Ihr geglaubt?«

»Warum nicht?«

»Weil man einem Roten überhaupt nur dann erst glauben und trauen darf, wenn man fünfzig Zentner Tabak und zwanzig Wagenladungen Sumachblätter mit ihm geraucht hat. Das ist erstens –; und zweitens, weil –«

»Nun, weil –?«

»Weil es mir scheint, als hätten wir heute ganz besondere Veranlassung, vorsichtig zu sein.«

»Welche Veranlassung meint Ihr, Señor?«

»Don Esteban ist abwesend, und wir gleichen also beinahe einer Herde ohne Hirten, die diese Wölfe leicht überwältigen können. Sodann fehlt uns alles Holz, um im Falle eines Angriffs das Lager zu beleuchten.«

»So holen wir uns welches.«

»Oder auch nicht! Don Esteban hat uns verboten, das Lager während seiner Abwesenheit zu verlassen, und selbst wenn wir ihm ungehorsam sein wollten, wo gibt es Holz? Jeder, der es sammeln wollte, würde sofort in die Hände der Wilden fallen.«

Dieser Punkt nun leuchtete allen so trefflich ein, daß sich keiner erbot, Brennmaterial herbeizuschaffen. Benito fuhr fort:

»Habt Ihr vielleicht diesen ›Antilope‹ für einen Häuptling gehalten, Señor Gomez?«

»Allerdings. Und jedenfalls ist er auch einer.«

»Grad so wie Ihr! Er ist ein indianischer Läufer; das kann man sofort aus seinem Namen sehen. Habt Ihr an seinem Aufputz irgend etwas bemerkt, was auf eine solche Würde schließen läßt?«

»Nein.«

»Gut also! Warum geht gerade der Häuptling fort und läßt uns einen gewöhnlichen Krieger hier zurück?«

Die anderen blickten ihn erwartungsvoll an, ohne seine Frage beantworten zu können.

»Ich bin zwar kein Kenner von Indianern, aber –«

»Aber – nur weiter, Señor Benito! Spannt uns doch nicht so auf die Folter! Ihr seid der beste Tiger- und Indianerkenner von Mexiko; das habt Ihr bewiesen, und werdet also auch wissen, warum der Häuptling fort ist und der Kerl dort nicht.«

»Wenn die Apatschen wirklich erfahren sollen, daß Don Esteban und Señor Diaz nichts geschehen darf, so konnte der Läufer die Botschaft ausrichten. Daß aber der Häuptling diese Botschaft selbst überbringen will, gibt mir Veranlassung zu der Ansicht, daß –«

»Daß –? So redet doch endlich!«

»Daß sie etwas im Schilde führen.«

»Was denn zum Beispiel, Don Benito?«

»Sie wissen, daß wir ohne Anführer sind; daß nun der Häuptling zu den Seinen zurückgekehrt ist, dient mir als Zeichen, daß er ihnen einen Plan mitzuteilen hat. Sie werden Arechiza von uns abschneiden und uns überfallen, sobald es dunkel ist.«

»Ihr vermutet falsch, Don Benito«, entgegnete Gomez, dem sehr viel daran lag, sein Verhalten zu beschönigen. »Sie sind mit friedlichen Absichten gekommen, wozu sie auch alle Veranlassung haben, denn sie haben gestern große Verluste gehabt. Und diese Absichten haben sie auch jetzt noch, sonst würde Antilope nicht zurückgeblieben sein.«

»Hm, das klingt wahrscheinlich, aber –«

»Aber –? Sprecht doch weiter, um Himmels willen!«

»Ich bin kein Indianerkenner, aber ich war in meiner Jugend einmal Gefangener bei ihnen und vermute, daß sie nichts Gutes vorhaben.«

»Und die Geisel, die dort im Zelt sitzt?«

»Ist der Kerl bewaffnet?«

»Nein. Die beiden Roten ließen ihre Waffen bei den Pferden zurück.«

»So! Hm! Wenn doch Don Esteban bald käme! Aber wie leicht kann er einen – hm, Unfall haben, so daß er gar nicht wiederkehrt. Ich schlage vor, wir wählen uns auf alle Fälle einen Anführer, damit wir wenigstens wissen, auf wen wir zu hören haben, wenn ein Überfall stattfinden sollte.«

»Und ich schlage vor«, widersprach Gomez, »wir unternehmen gar nichts. Don Esteban könnte nicht zufrieden sein, und wir müssen uns vor allen Dingen sehr hüten, den Indianer mißtrauisch zu machen.«

Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall. Benitos wiederholtes Mahnen wurde überstimmt, so daß er sich schließlich ärgerlich zurückzog, jedoch nicht, ohne vorher den Entschluß auszusprechen:

»Gut, wie ihr wollt, Señores! Ich aber sage euch, daß ich mich neben das Zelt setzen und den roten Halunken sofort niederstechen werde, sobald ich nur das geringste bemerke, was nach einem Überfall aussieht!«

Er führte diesen Vorsatz auch augenblicklich aus, indem er die kleine Anhöhe erstieg und sich hart neben dem Zelt auf den Erdboden ausstreckte. Von hier aus konnte er die Gegend in weitem Umkreis überblicken, aber so scharf und wachsam sein Auge war, er vermochte nichts Verdächtiges zu bemerken.

Der Tag verging; die Sonne sank im Westen nieder, und jene Helle machte sich bemerkbar, die in den öden, von der Hitze ausgeglühten Sand- und Steinsteppen der schnell hereinbrechenden Nacht voranzugehen pflegt.

Da richtet sich Benito in die Höhe; er hatte, den Indianer verstohlen beobachtend, bemerkt, daß sich die geschlossenen Augen geöffnet hatten, um einen kurzen, aber durchdringenden Blick hinaus auf die Ebene zu werfen. Die Lider hatten sich sofort wieder geschlossen, aber über das dunkle Gesicht war es wie ein Blitz der Befriedigung gegangen. Der Vaquero musterte die Steppe. Er mußte sich geirrt haben, denn es war da draußen nichts zu bemerken, als eine Herde wilder Pferde, die, von drei oder vier Indianern gejagt, mit wehenden Schwänzen und Mähnen hin und her galoppierte.

Die Caballade verschwand öfter hinter einer Bodenanschwellung, kam dann wieder auf eine Minute zum Vorschein, sprengte zuweilen näher herbei, entfernte sich wieder und wurde von ihren Verfolgern hin und her gehetzt, bis die kurze Dämmerung hereinbrach, der nach wenigen Minuten tiefe Dunkelheit folgte.

Die Herde war jetzt nur noch als dunkler Punkt zu erkennen, der nach und nach deutlicher wurde. Die Pferde suchten einen Ausweg vor ihren Verfolgern und stürmten in gerader Richtung auf das Lager zu. Die vier Wilden folgten ihnen auch jetzt.

Das Schauspiel war zwar in diesen Gegenden nicht ungewöhnlich, doch bewährte es auch hier seine Anziehungskraft. Die wenigen Wilden, die mit hochgeschwungenem Lasso hinter den Tieren herjagten, konnten nicht gefürchtet werden; im Gegenteil bewies der Umstand, daß sie sich so getrost in die Nähe des Lagers wagten, zur Genüge ihre friedfertige Gesinnung. Dazu machte die Geisel die Goldsucher so völlig sicher, daß sie die Wagen erstiegen, um die Herde besser vorüberjagen zu sehen.

Auch Benito hatte sich erhoben und wandte dem Zelt den Rücken zu, so daß er nicht bemerkte, daß Antilope seinen aus gegerbtem Büffelleder gefertigten Kriegsmantel aufschnallte und seinen Tomahawk hervorzog, sonst aber in seiner früheren Stellung verharrte.

Die Herde kam näher und näher. Es waren wirklich wilde Pferde, denn kein Reiter, kein Sattel oder Steigbügel, kein Zügel, nicht die dünnste Schnur ließ sich bemerken. In vollem Lauf brauste sie heran, die Indianer laut rufend und schreiend dahinter. Kaum fünfzig Schritte von der Verschanzung entfernt ertönte der donnernde Hufschlag, und schon schien es, als solle die wilde Jagd in gerader Richtung vorübergehen, da – lenkte das vorderste Pferd gerade auf die Lücke ein, die man als Durchgang gelassen hatte, ein fürchterliches Kriegsgeheul erscholl, auf jedem Pferde saß, wie augenblicklich aus dem Rücken herausgewachsen, ein Reiter, und, einer hinter dem anderen, brausten die verwegenen Angreifer durch den aus Unvorsichtigkeit offengelassenen Eingang herein in das Lager.

Droben am Zelt erscholl ein Schrei. Antilope war aufgesprungen hatte seinen Mantel fallen lassen und das Beil erhoben. Gerade in dem Augenblick, als Benito, das Messer ziehend, sich umwandte, um dem Indianer die Klinge in die Brust zu stoßen, spaltete ihm das Beil den Kopf.

Die Apatschen hatten gegen die Mexikaner eine List gebraucht, deren sich nur so kühne Reiter, wie sie sind, mit Glück bedienen können. Ein Bein in den um den Leib des Pferdes gebundenen Lasso steckend und den Körper hinter den Flanken des Tieres verborgen, sind sie geübt, sogar größere Strecken zu durchreiten. Erst die Dämmerung und jetzt die hereingebrochene Dunkelheit hatten die Ausführung dieser Kriegslist erleichtert, so daß die Goldsucher und sogar der erfahrene Benito getäuscht worden waren.

Die Mexikaner waren für den Augenblick vollständig ohne Besinnung. Sie sprangen von den Wagen herab, konnten aber schon nicht mehr zu ihren in Pyramiden aufgestellten Gewehren gelangen. Die Wilden hatten leichte Arbeit; die Stunde des Todes war für die Leute im Lager gekommen.

In wenigen Minuten hatten das Schlachtbeil, die Keule, das Messer und die Lanze furchtbar gewütet. Die Leichen lagen in Haufen umher. Noch kämpften einige Mexikaner mit dem Mut der Verzweiflung; aber auch sie mußten erliegen. Nur wenigen war es gelungen, unter den Wagen hinaus ins Freie zu kriechen und die Flucht zu versuchen. Aber auch sie waren verloren, denn die schnellen Reiter erreichten sie bald, und wenn ein letzter vielleicht in der Dunkelheit der Nacht entkam, so hatte er doch kaum Aussicht, den Tag zu überleben.

Eine Stunde nach dem Ende dieses blutigen Kampfes beleuchtete das Feuer der zu einem Scheiterhaufen vereinigten Wagen weithin die mit Toten und Sterbenden bedeckte Ebene. Die Indianer teilten sich in den Raub und in die Skalpe derer, die der Golddurst in die Wüste und in den Tod geführt hatte.

Mitten auf diesem Schauplatz des Verderbens aber stand Schwarzvogel, neben ihm Antilope, der Läufer.

»Der große Geist gab seinen roten Söhnen den Sieg, aber der Häuptling der Apatschen muß sehen die Skalpe der drei Jäger von der verschwundenen Insel. Er kann ihnen nicht nachjagen, aber mein Sohn wird ihre Haare bringen.«

»Morgen wird Antilope dreißig Männer nehmen und ihre Spur verfolgen«, antwortete der Läufer. »Die Jäger aus dem Norden sollen ihren Todesgesang anstimmen. Howgh!« –


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