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Der letzte Mediana

Es war gegen Abend. Ein goldenes Licht spielte auf den zitternden Wellen, zu denen der Abendwind die grünen, biegsamen Stengel der Maisfelder formte. Von diesem erfrischenden, wohltuenden Wind sanft geschüttelt, fielen die weißen Blüten der Olivenbäume wie Schneeflocken auf den Rasenteppich herab. Die Taglöhner kehrten nach verrichteter Arbeit in ihre Hütten zurück, die einen mit Ackergerätschaften beladen und die anderen mit dem langen Treibstachel versehen, mit dem sie die trägen Ochsen lenkten.

An den Ufern des Baches, der durch die Felder der Hacienda del Venado strömte, versammelten sich Tausende von Tieren, um ihren Durst zu löschen. Bald waren es lange Reihen von Stieren und Kühen, die beim Anblick ihrer Tränke vor Freude brüllten; bald sprangen große Herden freier Pferde nach dem Wasser hin oder verfolgten einander spielend auf der weiten Ebene. Der Boden erzitterte unter dem Galopp dieser edlen Tiere, die, obwohl an den Anblick des Menschen ziemlich gewöhnt, noch den schüchternen Stolz der wilden Mustangs hatten und dem bewundernden Blick zahllose Köpfe mit glänzenden Augen, offenen, dampfenden Nüstern und fliegenden Mähnen darboten. Sobald der Durst gelöscht war, flogen sie in wogenden Haufen mit der Schnelligkeit des Blitzes wieder dahin, wobei sie mutwillig mit den Hinterhufen ausschlugen, bis sie inmitten der aufgewirbelten Staubwolke verschwanden.

Zwei Männer kamen aus dem Walde und ritten auf die Hacienda zu. Der eine saß auf einem Pferd, der andere auf einem Maulesel. Beide Tiere gehörten mit ihren feinen Beinen, den schönen, runden Flanken und dem edel geschwungenen Rücken gewiß zu den schönsten ihrer Art. Der Reiter des Pferdes war Don Agustín Pena. Er trug einen Strohhut von Guayaquil, ein Hemd von feinem, weißem Batist, ohne Wams, und eine an den Lenden dicht anliegende Samthose mit goldenen Knöpfen. Der andere Reiter war der Kaplan der Hacienda, ein ehrwürdiger Franziskanermönch in blauer Kutte. Als Gürtel trug er eine seidene Schnur; sein Gewand aber war über seinen mit langen, hellklingenden Sporen bewaffneten Reitstiefeln hoch aufgeschürzt. Ein großer grauer Filz, der ihm ziemlich keck auf der Seite saß, gab ihm ein mehr soldatisches als mönchisches Aussehen. Sie hatten sich unweit der Hacienda getroffen und kehrten nun zusammen zurück.

»Aber sagt, ehrwürdiger Vater, warum Ihr so lange abwesend wart? Ich erwarte Euch schon seit drei Tagen von der Reise zurück, und da Ihr nicht kamt, glaubte ich beinahe, der heilige Julian, der nach Eurer eigenen Versicherung der Schutzpatron aller Reisenden ist, habe Euch verlassen und es sei Euch daher irgendein Unglück zugestoßen.«

»Der Mensch steht überall in Gottes Hand, Señor Pena, und ich kehre so spät zurück, weil ich während meiner Reise jede Gelegenheit ergriffen habe, dem Herrn zu dienen in Worten und Werken. Ich habe Hungernde gespeist, Durstige getränkt, Betrübte getröstet, Kranke besucht, Sterbenden das heilige Sakrament gereicht –«

»Sterbenden? Ist jemand in der Nähe gestorben?«

»In der Nähe nicht. Zwei Tagereisen von hier wurde ich zu der Mutter des Rastreadors Tiburcio Arellano gerufen. Sie sah dem Tode wie die Frau eines echten, wackeren Gambusino entgegen: mit frommem Herzen und mutiger Seele.«

»Des Tiburcio? Ja ich weiß, daß sie tot ist; er hat es mir erzählt.«

»Wo und wann?«

»Das berichte ich Euch später; es gehört eine volle Mußestunde dazu. Habt Ihr sie sterben sehen?«

»Nein; meine Zeit war mir so knapp zugemessen, daß ich bald wieder fort mußte. Aber ihre Beichte habe ich gehört und ihr das letzte Sakrament gegeben.«

»Man weiß nicht genau, ob ihr Mann, Marco Arellano, tot oder nur verschollen ist?«

»Er ist tot.«

»Wißt Ihr das genau?«

»Genau.«

»Wo ist er gestorben?«

»Am Rio Gila, aber nicht gestorben, sondern ermordet worden von der ruchlosen Hand eines Mannes, dem er sein ganzes Vertrauen geschenkt hatte.«

»Ah! Ist der Mörder entdeckt? Hat er die Tat gestanden?«

»Nein.«

»Aber wie kann man denn so genau wissen, daß und wo er eines gewaltsamen Todes gestorben ist?«

»Weder Ihr noch ich haben ein Begriff von dem staunenswerten Scharfsinn, mit dem diese Jäger und Goldsucher aus den unbedeutendsten Anzeichen, die ein anderes Auge gar nicht finden und bemerken würde, sich eine ganze, verwickelte Geschichte mit Sicherheit zusammensetzen.«

»Ich liebe diesen Tiburcio Arellano, bin ihm zu großem Dank verpflichtet, wie Ihr bald erfahren werdet, und möchte wohl die Geschichte vernehmen.«

»Ich darf sie Euch erzählen; sie gehört nicht mit zur Beichte, obgleich sie mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut wurde. Marco Arellano hatte jenseits des Presidio Tubac ein außerordentlich reiches Goldlager entdeckt, mußte aber vor den Apatschen weichen und kehrte zu seiner Frau zurück, um sich zu einem zweiten Besuch dieser Bonanza vorzubereiten. Ihr vertraute er alles an und ließ ihr sogar eine Zeichnung zurück, auf der Weg und Lage des Goldtales genau angegeben sind.«

»Warum tat er das? Frauen vertraut man so wichtige Dinge nicht an.«

»Die Frau Marcos war ein Weib, bei dem dieses Geheimnis gut aufgehoben war; er teilte es ihr mit, damit es nicht verlorengehe, wenn ihm etwas Menschliches zustoßen sollte.«

»Habt Ihr die Zeichnung gesehen?«

»Nein.«

»Wer hat sie?«

»Tiburcio. Wäre er dagewesen, so hätte Arellano ihm und sicher nicht der Frau die Sache mitgeteilt. Also Marco ging wieder fort und kam nach Tubac. Hier sah man ihn täglich mit einem Gambusino verkehren, mit dem er die Stadt verließ. Es ist sicher, daß dieser Mann ihn nach der Bonanza begleitet hat.«

»Und sein Mörder ist?«

»Jedenfalls. Sie müssen abermals von den Indianern vertrieben worden sein, denn ein Vaquero traf sie zwei Tagereisen jenseits des Gila. Er folgte dann später ihren Spuren, die zum Fluß führten, kam an zwei Stellen, wo sie des Nachts gelagert hatten, und erreichte auch den Ort, von dem aus die Spur nur eines Mannes weiterführte. Die fehlende war die Arellanos. Der niedergetretene, blutige Boden bewies, daß ein Kampf stattgefunden hatte und ein Mord geschehen war.«

»Der Mörder wollte jedenfalls das Geheimnis nur für sich allein haben.«

»So ist es. Der Vaquero kam glücklich zurück. Er hatte die Spur des Mörders wieder verloren, es aber dennoch für seine Pflicht gehalten, der Frau des Toten Nachricht zu bringen.«

»Das ist der Fluch des Goldes. Meine lachenden Fluren dünken mir tausendmal wertvoller, als all die goldenen Barren, die in meinen Truhen liegen.«

»Und dennoch billigt Ihr die Expedition, die Don Esteban de Arechiza vorzunehmen gedenkt?«

»Ich billige sie, weil ich muß. Don Esteban verfolgt bei diesem Unternehmen ein Ziel, das mir erhaben scheint und mit der gewöhnlichen Sucht nach dem blinkenden Metall nichts gemein hat. Und überdies wißt Ihr ja, was niemand weiß: die Hacienda del Venado ist nicht mein Eigentum, sondern das seinige, und ich bin nur lebenslänglicher Pächter darauf.«

Die beiden Männer hatten jetzt die Umzäunung erreicht, ritten in den Hof und stiegen am Fuße einer Freitreppe ab, die zu einer großen Vorhalle und von da in den Empfangsraum der Hacienda führte.

Dieser Salon war ein großes Gemach, in dem, nach der Sitte jener heißen Länder, ein unaufhörlicher Luftdurchzug eine beständige Kühle hervorbrachte. Feine und schön gearbeitete chinesische Matten bedeckten den aus großen Werksteinen bestehenden Fußboden, und andere, reichere Matten dienten an den Fenstern als Vorhänge. An den geweißten Wänden hingen wertvolle Kupferstiche, und die Einrichtung bestand aus ledernen Schaukelstühlen, Butacas genannt, silbernen Braseros, wie die Kohlenbecken heißen, an deren glühendem Inhalt der Raucher seinen Cigarrillo anbrennt, einem Sofa von Rotang Palmenholz und Polsterstühlen aus dem gleichen Stoff.

Auf einem Tisch von poliertem Balsamoholz ließen poröse Krüge das in ihnen enthaltene Wasser ausdünsten.

Große Schnitten von Wassermelonen, in der Sprache des Landes Pasteques, zeigten auf einer silbernen Platte ihr rosafarbenes Heisch, das ein wohlschmeckender Saft mit hellen Tropfen beperlte. Neben halbgeöffneten Granaten entfalteten Pitallas – Früchte von einer Abart des Kerzenkaktus – den dunklen Purpur ihrer Körner, und Orangen, Grenadillen, süße Limonen, mit einem Wort: alle Arten südlicher Früchte, die zum Durst reizen und ihn stillen, zeugten von den gastfreundlichen Absichten Don Agustíns.

Dieser nahm mit dem Franziskaner Platz, um die Delikatessen zu kosten. Sie hatten damit kaum begonnen, so trat ein Diener ein und meldete:

»Señor, es sind zwei Reisende draußen, die um gastfreundliche Aufnahme bitten. Der eine von ihnen gibt vor, Sie zu kennen.«

»Sie sind mir willkommen«, lautete der freundliche Bescheid.

Bald darauf traten die beiden Männer ein. Der jüngere von ihnen hatte ein offenes, vertrauenerweckendes Gesicht, und seine Stirn deutete auf Intelligenz und Kühnheit hin. Er war schlank gebaut; seine Kleidung zeigte trotz ihrer Einfachheit eine gewisse Eleganz, die für ihn einnehmen mußte.

»Ah, Ihr seid es, Pedro Diaz!« rief Don Agustín. »Gibt es in unserer Nähe einige Indianer zu vertilgen, daß Ihr Euch hier in der Einöde einfindet?«

Pedro Diaz war allerdings berühmt wegen seines unauslöschlichen Indianerhasses, wegen der Kühnheit, mit der er die Rothäute bekämpfte, und wegen der Geschicklichkeit, mit der er sich aus den schwierigsten Lagen zu befreien gewußt hatte.

»Erlaubt mir, bevor ich Euch antworte«, sprach er lächelnd, »Euch den König der Gambusinos und den Fürsten der Musiker, Señor Diego Oroche vorzustellen! Er riecht das Gold, wie ein Hund das Wild wittert, und spielt die Mandoline, wie kein anderer es versteht.«

Oroche grüßte mit ungeheurem Ernst. Indessen mußte er wohl schon seit sehr langer Zeit keine Gelegenheit gefunden haben, den feinen Geruchssinn zu betätigen, den Pedro Diaz erwähnt hatte, denn sein Äußeres deutete auf keinen großen Reichtum hin. Um die Hand nach seinem uralten Filzhut hin zu bewegen, brauchte er die kunstreich gelegten Falten seines Mantels nicht in Unordnung zu bringen; er hatte nur nötig, unter den vielen Löchern darin eins zu wählen, um seine Hand bequem hindurchzustecken. Seine großen, harten Hände waren mit geradezu krallenartigen Nägeln bewaffnet, allerdings ein Beweis, daß er die Kunst verstand, der Mandoline besondere Töne abzugewinnen. Und in der Tat hing ihm an einem Band ein solches Instrument um den Hals. Während er sich vor Don Agustín tief verneigte, fielen ihm die langen, dichten Locken seines ungekämmten Haares ins Gesicht, und diese Locken waren so steif und starr wie das Schilf, mit dem die Mythologie die Götter und Göttinnen ihrer Flüsse bekränzt.

Als beide Platz genommen hatten, ergriff Diaz das Wort.

»Wir haben gehört, daß zu Arispe eine Expedition nach dem Innern der Apacheria vorbereitet wird. Ist Euch deren Führer bekannt, Señor Pena?«

»Er heißt Don Esteban de Arechiza.«

»Ist er ein Mann, dem man Vertrauen schenken kann?«

»Ich denke, ja.«

»Ich vernahm, daß er oft bei Euch gewesen sei, und wollte fragen, in welcher Weise ich mich bei ihm zur Teilnahme melden könnte.«

»Bleibt hier, bis er kommt! Ich erwarte ihn in diesen Tagen, dann könnt Ihr mit ihm selbst sprechen.«

»So ist Euch das Nähere unbekannt?«

»Er hält die Einzelheiten sehr geheim. – Also hat sich, mein lieber Diaz, der Golddurst endlich auch Eurer bemächtigt?«

»Beileibe nicht! Gold zu suchen, überlasse ich einem so erfahrenen Gambusino, wie Señor Oroche ist. Was mich betrifft, so sehe ich in der Expedition nichts als eine treffliche Gelegenheit, mit den Wilden wegen des vielen Unrechts, das sie an mir begangen haben, einmal ganz gründlich Abrechnung zu halten.«

Nach längerem Gespräch wurde den beiden Gästen eine passende Räumlichkeit angewiesen, und die Dienerschaft war eben dabei, unter der Leitung Rosaritas die Abendtafel zu rüsten, als sich draußen Pferdegetrappel vernehmen ließ und das Licht mehrerer Fackeln durch die Fenster hereinleuchtete.

»Don Esteban de Arechiza ist angekommen!« rief einer der Diener. Sofort eilte Pena hinaus, den jetzt noch nicht erwarteten Gast zu empfangen. Keiner seiner Begleitung wagte es, den Empfangsraum zu betreten, und nur Tiburcio trat ein, als verstehe es sich von selbst, daß er nicht mit zur Dienerschaft gerechnet werde.

Rosarita trat ihm sofort entgegen und bot ihm die Hand.

»Señor Tiburcio, willkommen! Recht, daß Ihr kommt; ich habe schon längst auf Euch gewartet!«

Dann begrüßte sie mit vieler Ehrerbietung Don Esteban, der einen gehässigen Blick auf den Jüngling warf, den sie ihm vorgezogen hatte.

»Welch ein Glück für mich«, meinte er, »daß Ihr noch ein Wörtchen für mich übrig habt! Ich dachte schon, der Pferdebändiger habe Euch vollständig in Beschlag genommen!«

Sie errötete über diesen unzarten Verweis, und auch der Haciendero runzelte leicht die Stirn.

»Nehmt es dem Kinde nicht übel, Don Esteban! Wir stehen in einer großen Schuld bei Tiburcio Arellano, und Ihr werdet gestatten, daß wir ihm dies ohne Zurückhaltung beweisen. Übrigens trefft Ihr uns unvorbereitet, da ich Eure Ankunft erst in einigen Tagen erwartete.«

»Ihr seid entschuldigt, Señor! Mein Aufenthalt wird nicht von langer Dauer sein, da ich Grund habe, Tubac baldigst zu erreichen; wir werden darüber noch näher zu sprechen haben.«

Man setzte sich zur Tafel; doch kaum war der Hunger gestillt, so zog sich Don Esteban bereits mit dem Haciendero in dessen Arbeitszimmer zurück.

»Ihr wißt, daß mein ursprünglicher Plan bis in die Nähe des Rio Grande del Norte gerichtet war?«

»So habe ich gedacht.«

»Ich habe ihn geändert. Es meldete sich bei mir ein Mann, der am Rio Gila eine ungeheure Bonanza entdeckt hat und mir sein Geheimnis verkaufte. Ich werde die Expedition also zunächst dorthin führen und dann sehen, ob ich noch Zeit finde, mein erstes Vorhaben auszuführen.«

»Ist dieser Mann mit bei Euch?«

»Ja.«

»Wie heißt er?«

»Cuchillo.«

»Hinkt er?«

»Ja. Wie kommt Ihr auf diese Frage?«

»Und sein Pferd stolpert zuweilen?«

»Auch das stimmt. Kennt Ihr ihn?«

»Sehr gut, obgleich ich ihn noch nicht gesehen habe«, antwortete Pena, der seine unwillkürliche Vermutung so schnell bestätigt fand. »Nehmt Euch vor ihm in acht; er ist ein Mörder!«

»Ein Mörder? Was ficht Euch an!«

»Die Bonanza gehört dem Tiburcio Arellano. Sein Vater hat sie entdeckt und wurde von diesem Cuchillo ermordet.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Ich habe es aus einem sicheren Munde.«

»Und dennoch seid Ihr falsch berichtet. Cuchillo hat diesen Marco Arellano niemals gesehen.«

»Er ist mit ihm in der Apacheria gewesen, hat ihn erdolcht und dann ins Wasser geworfen. Er mag sich vor der Kugel Tiburcios hüten!«

»Weiß dieser etwas von der Sache?« fragte Arechiza gespannt.

»Er weiß alles!«

»Auch die Lage der Bonanza?«

»Auch diese. Er trägt einen genauen Plan in seiner Tasche.«

»Teufel! Ah – und doch ist es anders. Ich werde Eure Angaben genau untersuchen, hege aber schon im voraus die feste Überzeugung, daß Cuchillo mit dem Mörder nicht identisch ist. Habt Ihr die besprochenen Summen flüssig?«

»Ja, doch erlaube ich mir zu bemerken, daß die jetzt immer von mir bezogenen Beträge den Pachtzins auf eine ganze Reihe von Jahren hinaus verzehren.«

»Das tut nichts. Ich stehe also in Eurer Schuld, werde aber bald in der Lage sein, sie tausendfältig abtragen zu können. Oder gebt Ihr Eurem Herrn nicht länger mehr Kredit?«

»Solange Ihr wollt! Eure Besitzungen drüben im Mutterlande sind ja unermeßlich, wenigstens den Einkünften nach, die Ihr aus ihnen zieht; Ihr braucht keine mexikanische Bonanza.«

»Für mich nicht, aber für die Zwecke, die zu erreichen mir eine Aufgabe geworden ist. Mexiko darf nicht länger eine Republik sein; es kann geordnete Verhältnisse nur von einer monarchistischen Verfassung erwarten. Ich werde mir die dazu nötigen Millionen aus der Bonanza holen und dann dem Lande einen König geben, der am Throne geboren ist und leider von einer beklagenswerten Politik von ihm vertrieben wurde.«

»Wird Don Carlos die Krone Mexikos annehmen?«

»Ich handle in seinem Auftrag; mehr braucht Ihr nicht zu wissen. Es ist alles, alles bis aufs kleinste berechnet und vorbereitet; sobald wir das Gold haben, geht das Schwert über das Land und baut die Pforte, durch die ich den Monarchen zu führen habe.«

»Und wenn die Bonanza schon einem anderen gehört?«

»Das werde ich untersuchen, wie ich ja bereits vorhin sagte. Übrigens könnte sie einem einzelnen nur Verderben bringen. Sie ist von einem Gürtel wilder Horden umgeben, den nur die vereinte Macht starker und kühner Männer zu durchbrechen vermag. Sind meine Zimmer gerichtet?«

»Sie werden stets bereit gehalten. Erlaubt, daß ich Euch führe!«

Er geleitete seinen Gast in die prachtvoll ausgestatteten Räume, die ausschließlich für den Besitzer der Hacienda bestimmt waren, und verabschiedete sich dann von ihm.

Die Hacienda del Venado war es, aus der sich Don Esteban von Arispe aus die nötigen Quadrupel geholt hatte. Seinen früher unternommenen Kaperfahrten war ein geldlich außerordentlich günstiger Erfolg beschieden, und er hatte den aus der Beute gezogenen Erlös zum Ankauf dieser Besitzung verwandt, die er unter der Leitung Penas in sicheren und treuen Händen wußte. Das war die Einleitung zu dem Werk, zu dessen Vollendung er jetzt aus Spanien herübergekommen war.

Kaum sah er sich allein, so ließ er Cuchillo zu sich kommen.

»Was tut Tiburcio?«

»Ich weiß es nicht.«

»Erinnert Ihr Euch noch, was ich gestern von ihm sagte?«

»Er muß sterben.«

»Nun wohl! Wie hoch schätzt Ihr ihn?«

»Hm, zehn Quadrupel sind nicht zuviel, fünf jetzt und die andere Hälfte, wenn ich fertig bin.«

»Hier sind fünf.«

»Ich danke, Señor. Wann soll es geschehen?«

»Noch heute.«

»Ah, so bald?«

»Es muß sein. Er weiß nicht nur von unserer Bonanza, sondern er hat sogar den vollständigen Plan in seiner Tasche.«

»Seid Ihr dessen sicher, Don Esteban?«

»So sicher, daß Ihr noch weitere zehn bekommt, sobald Ihr diesen Plan in meine Hände legt.«

»Dann gehe ich sofort. Aber ich werde vielleicht Hilfe brauchen.«

»Nehmt Euch einen von unseren Leuten dazu; wen, das mögt Ihr selbst entscheiden.«

»Das ist schon entschieden. Baraja und Oroche werden sofort helfen, wenn ich ihnen begreiflich mache, daß es zu ihrem Vorteil geschieht.«

»Seid Ihr dieser beiden wirklich sicher?«

»Baraja ist ein Bandit, dessen Dolch schon manchen roten Tropfen geschmeckt hat, und Oroche nennt sich zwar einen Gambusino, hat aber stets nur vom Spiel gelebt und sticht für einen Quadrupel seinen eigenen Vater tot.«

»So geht! Ich warte hier auf den Erfolg.«

Cuchillo begab sich in den Raum, der der Begleitung seines Herrn zugewiesen war. Baraja und Oroche saßen beim Spiel; Diaz hatte sich mit den anderen in einer Nebenstube bereits zur Ruhe gelegt. Auf dem Tisch stand ein großer, halb geleerter Krug mit Mescal Branntwein aus Agavenblüten, und die Blicke der beiden Männer ließen erraten, daß sie nicht mehr weit von dem Punkt standen, an dem der Mensch aufhört, ein vernünftig denkendes Wesen zu sein.

»Kommt her, Cuchillo; trinkt und erzählt uns von der Bonanza!« lallte Baraja.

»Von der Bonanza? Mit der ist's aus.«

»Aus?« riefen beide, wobei es schien, als seien sie durch diese Schreckensbotschaft mit einem Schlage vollständig ernüchtert.

»Ja; aus!«

»Warum? Inwiefern?«

»Weil es jemand gibt, der sie uns streitig macht.«

»Wer ist das? Ich schlage ihn auf der Stelle nieder!« versicherte Oroche, während er seine Mandoline ergriff und damit eine Bewegung machte, als wolle er sie jemandem an den Kopf schmettern.

»Und ich stecke ihm ganz leise und still mein Messer zwischen die Rippen«, beteuerte Baraja, dessen furchtsame Natur mehr zu einer solchen Meucheltat geeignet schien.

»Tiburcio!«

»Tiburcio? Was hat der mit unserer Bonanza zu schaffen?«

»Sehr viel. Er ist bereits schon einmal dort gewesen, will sein Eigentumsrecht auf sie geltend machen und hat sich Don Esteban nur angeschlossen, um uns auszuforschen.«

»Er muß sterben!«

»Ja, sterben muß er!«

»Das sagt ihr wohl, aber zwischen Wort und Tat ist ein weiter Raum!«

»Ein Raum? Gar keiner, nicht so breit wie mein Finger, nicht soviel, daß mein Haar darauf Platz hat! Was gebt Ihr, Cuchillo, wenn ich ihm eins versetze?«

»Um was habt ihr gespielt?«

»Um nichts. Unsere Taschen sind so leer, daß man darüber weinen könnte.«

»So soll euch geholfen werden! Seht Ihr diesen Quadrupel, Baraja?«

»Natürlich! Her damit!«

»Und Ihr diesen, Oroche?«

»Her, sage ich!«

»Sobald Tiburcio einige Zoll kaltes Eisen im Fleische hat, bekommt ihr beide!«

»Dann sind sie so gut wie schon verdient. Wir wollen dem Schurken abgewöhnen, uns unsere Bonanza streitig zu machen. Wo ist er, Cuchillo? Ich will hin zu ihm!«

»Wartet einige Minuten! Ich will sehen, ob er zu finden ist.«

Er trat hinaus auf den Hof und umschlich das Gebäude. Ein Zimmer des Erdgeschosses war hell erleuchtet; an dem geöffneten Fenster lehnte Rosarita und atmete die Düfte der Blumen, die auf dem Platz standen. Er ging weiter. An der anderen Seite des Hauses warf nur ein Fenster Licht, und er bemerkte den Schatten eines Mannes, der im Zimmer auf und ab ging.

»Da ist Arellano!«

Er überlegte, wie man am besten hinaufkommen könne; da erlosch das Licht.

»Er geht schlafen. Die Tür an der Freitreppe ist offen; er wird die seinige auch nicht verschlossen haben. Es wird möglich sein.«

Cuchillo trat ins Nebengebäude zurück, wo die Genossen saßen. Er hatte zu seinem Rundgang doch etwas mehr Zeit gebraucht, als erst zu vermuten war, und als er eintrat, sah er auf den ersten Blick, daß er auf die beiden Banditen nun nicht mehr rechnen könne. Sie hatten den Krug vollends geleert, Baraja lag unter dem Tisch und Oroche mit seinem halben Leibe auf ihm, keiner seiner Sinne mehr mächtig. Es blieb ihm nichts mehr übrig, als Arechiza wieder aufzusuchen und ihm den Stand der Dinge mitzuteilen.

Während er über den Hof huschte, kam eine Gestalt leise die Freitreppe herab und ging der Gegend zu, in der das Licht aus den Fenstern Rosaritas glänzte.

»Das war er wieder! Auch er will den Blumenduft genießen; es soll der letzte Genuß sein, den er findet!«

In der nächsten Minute stand er wieder vor Don Esteban.

»Nun?«

»Ich habe nichts tun können.«

»Weshalb nicht?«

»Baraja und Oroche haben sich um den Verstand getrunken und sind keines Schrittes fähig.«

»Und Arellano?«

»Geht unten spazieren. Hätte ich nur einen Helfer, so wäre es bald geschehen!«

»Ist dieser eine so nötig?«

»Für unvorhergesehene Fälle.«

Don Esteban hatte bereits abgelegt; er steckte den Dolch wieder zu sich und entschied, kurz entschlossen:

»Ich gehe mit!« –

Tiburcio befand sich unter einem Dach mit Rosarita. Dieser Gedanke ließ ihn an keine Ruhe denken; er trieb ihn im Zimmer auf und nieder und dann hinunter in die laue Nacht. Da sah er den Schein des Lichtes und erkannte Rosarita.

Würde sie zürnen, wenn sie ihn bemerkte? Durfte er sie anreden? Sein zaghafter Fuß zauderte, dennoch aber setzte er ihn vorwärts und gelangte so in die Nähe des Fensters. Die Helle überflutete seine Gestalt, und Rosarita erkannte ihn.

»Tiburcio!«

»Señorita!«

»Dünkt Euch der Duft der Violen süßer als die Ruhe?«

»Ich habe auch ohne diesen Duft keine Ruhe!«

»Warum?«

»Fast weiß ich es nicht, Doña Rosarita.«

»Es drückt Euch irgendein Leid. Kommt, vertraut mir es an!«

Er trat an das niedere Fenster, und befand sich so in ihrer unmittelbaren Nähe.

»Ist es der Tod der Mutter, der Euch so bekümmert, Tiburcio?«

»Er hat mir schweren Kummer gebracht, doch werde ich ihn nicht lange zu tragen haben. Doch das größte Leid, das den Menschen drücken kann, muß er tief im Herzen verschließen, denn wo gibt es eine Seele, die es ihm abnehmen will, der er es anvertrauen darf?«

Sie beugte sich weiter zu ihm heraus.

»Ihr habt für mich gekämpft, Ihr habt für mich gewacht, Ihr seid so gut und tapfer. Laßt uns miteinander plaudern!«

Sie sprach so lieb und freundlich; die Bangigkeit wich von ihm, und bald plauderten sie wie zwei ahnungslose Kinder über alles, was in den Bereich ihrer Rede kam, so daß sie nicht bemerkten, daß sich zwei Gestalten herbeigeschlichen hatten, die nun unter einigen in der Nähe stehenden Zitronenbäumen verharrten. Tiburcio hatte ihre Hand gefaßt und kehrte den Bäumen den Rücken zu.

»Vorwärts, Cuchillo; jetzt ist's Zeit!« flüsterte Arechiza.

Der Bandit zog das Messer und warf sich mit zwei Sprüngen auf ihn. Ein Aufschrei Rosaritas rettete Tiburcio vom sicheren Tod. Er machte eine schnelle Wendung, und der nach dem Herzen geführte Stoß traf nur den Arm. Im nächsten Augenblick schon lag Cuchillo unter ihm und stöhnte unter dem Druck der Hand, die sich um seine Kehle gelegt hatte.

»Señor Cuchillo, betet ein Paternoster; es ist aus mit Euch!«

»Tiburcio!« rief Rosarita mit entsetzlicher Angst.

Er blickte auf. Eine zweite, verhüllte Gestalt hob die Faust, in der eine Klinge blinkte. Er bog sich zurück, schnellte empor, faßte den neuen Angreifer und schleuderte ihn unter die Bäume zurück. Dann stand er mit einem gedankenschnellen Sprung im Zimmer des Mädchens.

»Verzeiht, Señorita, aber nur hier bin ich sicher!«

»Ja, kommt zu mir! Bleibt, bleibt, und geht nicht wieder fort, sonst morden sie Euch!« bat sie todesbleich und vor Entsetzen zitternd, während sie in den Sessel sank und ihm die Hände flehend entgegenstreckte.

Er schloß das Fenster und trat dann tief in das Zimmer zurück.

»Kanntet Ihr sie, Señorita?«

»Nein; ich habe nur die Gestalten gesehen.«

»Es waren Cuchillo und Don Esteban.«

»Don Esteban, der Herzog?«

»Der Herzog?« fragte er verwundert.

»Ach ja, das wißt Ihr nicht! Es ist ein tiefes Geheimnis, aber Euch darf ich es sagen: Don Esteban heißt eigentlich Graf Antonio von Mediana oder Herzog de Medina. Er ist der Besitzer dieser Hacienda und kann es nicht gewesen sein, der Euch überfiel.«

»Er war es, und ich kenne nun auch den Grund, daß er mir nach dem Leben trachtet.«

»Welcher ist es?«

»Laßt mich ihn verschweigen! Die Hacienda ist sein Eigentum? Dann bin ich hier keinen Augenblick mehr sicher. Erlaubt, daß ich gehe!«

Ehe sie es zu verhindern vermochte, hatte er die Tür geöffnet und war im Dunkel des Ganges verschwunden. Erst jetzt bemerkte sie das Blut, das aus seiner Wunde auf die Diele geflossen war.

»Er ist verwundet! Er wird sterben!«

Sie nahm die Kerze und eilte ihm nach. Droben hörte sie Schritte; er kam schon wieder die Treppe herab, die Sarape übergeworfen und die Büchse in der Hand.

»Ihr könnt nicht fort, Tiburcio; Ihr seid verwundet!«

»Eine leichte Schramme, Señorita, die nichts zu sagen hat.«

»O kommt herein; ich werde Euch verbinden!«

Sein Blick leuchtete auf und senkte sich dann beruhigend auf ihr angstvolles Gesicht.

»Ich danke Euch, Señorita! Aber draußen finde ich ein Kraut, das besser ist als jeder Verband. Lebt wohl!«

Sie faßte ihn bei der Hand und hielt ihn fest.

»Ich darf es nicht leiden! Ihr habt uns gerettet und beschützt und seid dafür bei uns überfallen worden; Vater muß Euch Genugtuung verschaffen!«

»Das ist ihm unmöglich. Die Genugtuung, die ich haben muß, kann nur ich selbst mir nehmen, und Euer Haus darf nicht der Schauplatz eines Kampfes sein, wie er nur hinaus in die Savanne paßt.«

»Tiburcio!«

»Rosarita!«

Er führte ihre Hände an seine Lippen.

»Lebt wohl – für heute!«

Dann eilte er die Freitreppe hinab, über den Hof hinüber zum Tor hinaus.

Draußen weideten die Pferde; das seinige befand sich unter ihnen; er suchte seinen Sattel unter den übrigen hervor, zäumte es auf, schwang sich empor und ritt davon. Drüben vom Walde leuchtete, halb von Büschen verdeckt, ein Lagerfeuer herüber. Dort konnten sich nur Jäger oder Vaqueros befinden, die ein Quartier im Walde dem weichlichen Bett vorzogen, und bei ihnen fand er sicher freundliche Aufnahme. Er lenkte sein Pferd zu ihnen hinüber.

Der Teil der Ebene, der hinter der Hacienda lag, befand sich ganz in demselben Zustand, in dem ihn die ersten Ansiedler vorgefunden hatten; das heißt, er lag noch unbebaut und wild da. In der Entfernung eines Büchsenschusses erhoben sich die ersten Bäume, die den Saum eines ungeheuren Waldes bildeten. Dieser erstreckte sich weit nach Norden bis an die Grenzen der Wüsten, hinter denen das Presidio Tubac liegt.

Der schlecht gebahnte Weg, der den Wald in dieser Richtung durchzog, war der einzige, auf dem man das Presidio erreichen konnte, und wurde von einem Strom durchschnitten, der zwischen hohen und steilen Ufern dahinrauschte. Der Fluß, der in seinen Lauf noch mehrere Gewässer aufnimmt, bevor er so reißend wird, wurde durch den an der Hacienda vorüberfließenden Bach gespeist. Eine Art roher Brücke, durch zwei nebeneinander gelegte Baumstämme gebildet, verband die beiden Ufer miteinander und ersparte so dem Reisenden einen langen Umweg, der notwendig war, wenn man den Strom an einer seichteren Stelle überqueren wollte.

In der Nähe dieses Weges und etwa in der gleichen Entfernung zwischen der Hacienda und der genannten Brücke brannte das Feuer, das Tiburcio gesehen hatte. Seine flackernde Helle erleuchtete die dunkelgrüne Baumdecke und traf die graue Rinde der Sumache, die runzeligen Stämme der Korkeichen und das bleiche Laub der Eisenbäume. Die grünen und gelben Moose flimmerten unter den samtenen Netzen der großen Aronblätter, die mit Blüten, silbernen Bechern ähnlich, geschmückt waren. Die herabhängenden Lianen glühten unter dem Licht der Flammen wie aus einem Feuerofen hervorgehende Eisendrähte, und die fernen Tiefen des Waldes, über dem ein Schweigen lag, das kaum durch die dumpfe Stimme des zwischen seinen steinernen Ufern dahinbrausenden Flusses gestört wurde, lagen hinter der von dem Feuer erhellten Stelle wie ein düsteres, unheimliches Geheimnis, dessen Schleier die menschliche Hand nur unter tausend Gefahren zu lüften vermag.

Am Feuer lagerten Bois-rosé und Dormilón.

In einer Gegend, wo es keine menschlichen Wohnungen gab, wäre eine so gewöhnliche Tatsache wie ein Lagerfeuer inmitten eines Waldes von keinerlei Bedeutung gewesen, hier aber in der Nähe der Hacienda, in der jedem müden Reisenden gern und willig Gastfreundschaft geboten wurde, mußten besondere Gründe vorliegen, daß die beiden Jäger den Wald einer größeren Bequemlichkeit vorgezogen hatten.

Ein ziemlich großer Haufen dürrer Äste und Zweige, der neben dem Feuer lag, zeigte an, daß sie gesonnen waren, die ganze Nacht an diesem Ort zuzubringen. Zwei gabelförmige Äste steckten zu beiden Seiten der Flamme, und auf ihnen drehte Dormilón eine Hammelkeule, von der das Fett in großen Tropfen in die Glut fiel und ein vielversprechendes Prasseln und Zischen verursachte.

Bois-rosé trug eine Kleidung, die ungefähr die Mitte zwischen derjenigen eines Indianers und eines Weißen hielt. Auf seinem Kopf saß in Form eines Kegels eine aus Fuchspelz gefertigte Mütze. Ein baumwollenes Hemd mit blauen Streifen bedeckte seine breiten Schultern, und neben ihm auf dem Boden lag ein aus einer wollenen Decke gefertigter Mantel. Seine muskulösen Beine steckten in indianischen Leggins, und an den Füßen trug er dicht mit eisernen Nägeln beschlagene Schuhe.

Ein mit großer Sorgfalt poliertes Büffelhorn, das sein Pulver enthielt, hing über seiner Schulter, während sich in einem ledernen Beutel, der zu dem Horn ein Gegenstück bildete, ein großer Vorrat von Bleikugeln befand. Neben ihm lag eine schwere, langläufige Büchse, dieselbe, der nur die Sang-mêlé abgenommene Flinte Tiburcios ebenbürtig war, und in einem wollenen, bunten Gürtel steckte ein Jagdmesser mit starker, zweischneidiger Klinge.

Sein riesiger Wuchs ließ in ihm einen jener kühnen Jäger erkennen, die man jetzt so selten mehr findet. Sein Haupthaar fing bereits an, ins Graue zu fallen, und eine große, von einer Schläfe zur anderen über die Stirn gehende Narbe deutete an, daß er sich einst in großer Gefahr befunden haben mußte. Bois-rosé hatte jedenfalls einmal nahe daran gestanden, skalpiert zu werden.

Seine von Sonne, Sturm und Wetter gebräunten, gehärteten Züge schienen aus Bronze gegossen zu sein, aber es lag in ihnen ein Ausdruck von Güte, der in freundlichem Gegensatz zu der herkulischen Stärke seiner Glieder stand. Die Natur ist oft so vorsichtig, solchen Kolossen ebensoviel Milde wie Körperkraft zu verleihen.

Sein Gefährte war, obgleich einen Kopf kürzer, nichts weniger als ein Zwerg zu nennen, vielmehr mußte er, anderen gegenübergestellt, unbedingt ein Enakssohn genannt werden. Seine schwarzen Augen und der Schnitt seines Gesichtes zeugten von ebensoviel geistiger Beweglichkeit wie Kühnheit. Seine Kleidung und Ausrüstung war ähnlich der Bois-rosés.

Die Verbindung dieser beiden Männer mußte jeden Feind zur Vorsicht mahnen, und es war leicht zu glauben, daß sie gewohnt waren, es auch mit einer beträchtlichen Übermacht ohne Furcht und Zagen aufzunehmen.

Der Kanadier betrachtete den schmorenden Braten mit sichtbarem Wohlbehagen.

»Dieser Don Agustín Pena scheint ein ganz prächtiger Kerl zu sein, nach den Hammeln zu schließen, die er in seinen Herden hat. Diese Keule ist wahrlich ein Leckerbissen, von dem ich mir sicherlich noch einige gute Stücke herabschlitzen werde.«

»Ich glaube dennoch«, antwortete Pepe, »daß sie in der Hacienda heute noch größere Leckerbissen gespeist haben. Dieser Don Esteban de Arechiza tritt auch hier in einer Weise auf, daß man ihm sicher in keiner Hacienda einen mageren Empfang bereiten wird.«

»Also du bist wirklich sicher, daß es der Graf Antonio de Mediana ist?«

»Geradeso sicher, wie ich nun weiß, daß du den kleinen Fabian, den er verderben wollte, gerettet hast.«

Das gutmütige Gesicht des Riesen verklärte sich.

»Pepe, ich war bis zu dem Augenblick, in dem ich das Kind in einem treibenden Kahn fand, ein einsamer Kerl. Ich hatte weder Vater noch Mutter gekannt, besaß keine Geschwister, hatte weder Freund noch Frau und habe mich des Knaben angenommen mit ganzer, voller Seele. Er wuchs mir an das Herz, als sei er ein Stück von mir, und seit mich diese Engländer von ihm trennten, habe ich weiter keinen Wunsch als zu erfahren, ob er noch lebt oder damals zugrunde gegangen ist. Freilich wird mir dieses Verlangen wohl niemals erfüllt werden, da mich das Schicksal von der See in die Wälder und Savannen führte, wo an eine Gelegenheit zur Erkundigung nimmermehr zu denken ist.«

»Das ist noch kein Grund, die Hoffnung aufzugeben! Denk an den Grafen Antonio. Ich mußte fliehen, weil ich, solange ich lebe, kein Freund vom Thunfischfang gewesen bin, und darf wohl nie nach Spanien zurückkehren. Santa Lauretta, ich hatte bereits meinen Schwur, mit ihm noch einmal Abrechnung zu halten, vergessen, als ich ihn bei der Zisterne erkannte! Warum sollte nicht auch dir ein solches Wiedersehen möglich sein?«

»Möglich, aber nicht beschieden! Wie sollte ich den Jungen erkennen, selbst wenn er mir einmal begegnete?«

»An der Narbe, die von meinem Messer stammt. Hat sie nicht auch uns als Beweis gedient, daß der Knabe, den du fandest, eben der war, den ich verwundete?«

»Der Schnitt ging nicht tief; die Zeit dürfte seine Spur wohl vollständig verwischt haben; und die Züge eines Kindes verändern sich in so langer Zeit so sehr, daß ein Erkennen gar nicht möglich ist. Bei Don Antonio war das etwas anderes. Als du ihn kennenlerntest, hatte er ein bereits vollständig ausgeprägtes Gesicht, das zwar altern aber seine Grundlinien nicht verändern konnte.«

»Dann ist dies auch bei mir der Fall, und es steht zu erwarten, daß auch er mich wiedererkannt hat, zumal er meinen Namen Pepe Dormilón hörte.«

»Er wird dich und mich noch besser kennenlernen!«

»Das will ich meinen! Ich war in Elanchove der ›Schläfer‹, weil ich mich gegen den Hunger zu wehren hatte, der der einzige Sold meiner prächtigen Stellung war. Seit jener Zeit habe ich die Augen offen gehabt und werde mir einen Fang wie diesen nicht entgehen lassen. Wenn die Gesetze des Staates Partei für den Verbrecher nehmen, so muß –«

Er vollendete den Satz nicht, sondern hatte mit einem raschen Griff seine Büchse erfaßt und stand im nächsten Augenblick hinter den Büschen. Er hatte eine Gestalt bemerkt, die sich der Lagerstätte vorsichtig zu nähern suchte. Bois-rosé hatte mit dem Rücken nach der Hacienda gesessen und also nichts sehen können, stand aber dennoch augenblicklich neben dem Freund.

»Halt! Wer seid Ihr?« rief Pepe, das Gewehr anschlagend.

»Einer, der bei euch lagern möchte!« antwortete es.

»So tretet näher an das Feuer, damit man Euch betrachten kann!«

Dem Gebot wurde mutig Folge geleistet, und sofort ließen die beiden Waldläufer ihre Büchsen sinken.

»Tiburcio Arellano! Ihr seid willkommen.«

Sie traten hervor und streckten ihm ihre Hände entgegen. Er erkannte die beiden verwegenen Jäger.

»Ah, ihr seid es? Ich vermutete euch nicht hier.«

»Hoffentlich bleibt Ihr dennoch bei uns!« meinte der Kanadier. »Irre ich mich nicht, so beabsichtigtet Ihr, mit Don Esteban de Arechiza nach der Hacienda del Venado zu gehen?«

»Allerdings.«

»Warum seid Ihr nicht dort geblieben?«

»Weil man mich zu morden versuchte.«

»Blitz und Donner! Wer wagte das?«

»Don Arechiza selbst«

»Er selbst?« klang der erstaunte Ausruf. »Welchen Grund hatte er dazu?«

»Das werde ich euch gern sagen; zuvor aber laßt mich mein Pferd holen, das ich zurücklassen mußte, um unbemerkt an euch zu kommen. Freilich ist mir das schlecht gelungen.«

Pepe lachte.

»Weil man da droben in den Felsenbergen ganz andere Augen hat als ihr hierzulande.«

Tiburcio ging und brachte bald sein Pferd herbei, das er anpflockte. Inzwischen war der Braten gar geworden, und Bois-rosé lud den Rastreador ein, am Feuer Platz zu nehmen. Erst jetzt fiel Licht auf die Züge des jungen Mannes. Pepe warf einen forschenden Blick auf ihn und konnte eine Bewegung der Überraschung nicht verbergen. Am vorigen Abend bei der Zisterne hatte er eine Stellung innegehabt, die es nicht erlaubte, ihn genau zu betrachten.

»Was ist das! Ihr seid verwundet?« rief der Kanadier.

»Ein wenig.«

»Zeigt einmal her!«

Tiburcio hielt ihm den Arm hin, und der Kanadier untersuchte die Wunde mit seltener Geschicklichkeit und einem fast zärtlichen Interesse.

»Der Teufel! Ihr hattet es mit einem Kerl zu schaffen, der keine schlechte Übung besitzt. Ich glaube, nur eine schnelle Wendung hat Euch davor bewahrt, daß die Klinge ins Herz ging und damit Euren Abenteuern ein plötzliches Ende gemacht hätte. Allein, seid ohne Furcht, mein Junge, es wird Euch nichts tun! Es kommt ein Verband von zerstoßenen Kräutern darauf, und dann hat die Sache nicht viel zu bedeuten. Pepe, such mir eine Handvoll Oregano zusammen, das hier überall zwischen den Büschen steht, und zerstoße es zwischen zwei Steinen, während ich die Wunde säubere!«

Bald war eine genügende Menge von diesem im ganzen Land wegen seiner vorzüglichen Eigenschaft so wohlbekannten Kraut zerstoßen; Bois-rosé legte es auf die Wunde und verband diese dann mit dem aus leichtem Flor bestehenden Gürtel Tiburcios.

»So! Ihr müßt Euch bereits erleichtert fühlen, denn nichts verhindert so sehr die Entzündung einer Wunde wie das Oreganokraut, und Ihr werdet sogar nicht das geringste Fieber verspüren. Und jetzt steht Euch nun eine saftige Schnitte Hammelfleisch zu Gebote, wenn Ihr Appetit habt.«

»Ich habe bereits gegessen.«

»Ganz wie Ihr wollt! So werden wir uns an die Keule machen, und Ihr mögt uns dabei erzählen, was den ehrenwerten Don Arechiza veranlaßt, mit Euch auf eine solche Weise zu verkehren.«

»Nicht er, sondern einer seiner Leute hat den Stoß getan; doch war er dabei.«

»Zwei gegen einen, und zwar hinterrücks! Das gibt keine gute Meinung von dem Mute dieses vornehmen Herrn. Und dennoch wagt er, eine Expedition nach der Apacheria zu leiten?«

»Diese Expedition ist schuld an dem Stich, den ich erhalten habe.«

»Wollt Ihr uns das erklären?«

»Das ist sehr bald getan. Mein Vater hat eine außerordentlich reichhaltige Bonanza entdeckt und diese Entdeckung einem gewissen Cuchillo mitgeteilt. Dieser mordete ihn, wie ich vermute, und verkaufte sein Geheimnis an Don Esteban. Auf welchem Wege, ist mir unbekannt, aber sie erfuhren, daß auch ich das Placer kenne, und wollten mich heute aus dem Wege räumen.«

»Das ist ja eine saubere Angelegenheit! Könnt Ihr sie uns nicht ausführlicher erzählen?«

Tiburcio kam dieser Aufforderung nach. Während er sprach, hafteten die Augen Dormilóns scharf und unverwandt auf ihm, und dann ging über das Gesicht des Jägers ein befriedigtes Lächeln, wie man es wohl an jemandem bemerkt, der mit sich über einen schwer zu ergründenden Gegenstand ins reine gekommen ist.

»Was werdet Ihr jetzt tun?« fragte er, als der Rastreador geendet hatte.

»Ich werde ihnen folgen und den Schwur erfüllen, den ich meiner Mutter gegeben habe.«

»Ist die Bonanza wirklich so außerordentlich reich?«

»Mein Vater hat, als er der Mutter diese Mitteilung machte, keine Worte finden können, die Schätze zu beschreiben, die er gesehen hatte.«

»Es war Euer wirklicher Vater?«

»Nein. Ich bin nur sein Pflegesohn gewesen.«

»Ah! Darf ich fragen, wer Eure wirklichen Eltern sind?«

»Ich habe sie nie gekannt.«

»Aber Ihr wißt, wo sie gelebt haben?«

»Nein. Ich bin als dreijähriger Knabe mit einer englischen Kriegsbrigg nach Guaymas gekommen, wo sich Marco Arellano meiner angenommen hat.«

»Mit einer englischen Kriegsbrigg, sagt Ihr?« fragte der Kanadier jetzt mit plötzlich erwachender Aufmerksamkeit. »Dreht Euch doch einmal herum!«

Er saß zur linken Hand Tiburcios und konnte also dessen rechte Wange, die Pepe scharf gemustert hatte, nicht genau sehen. Der Rastreador wandte ihm, verwundert über diese Aufforderung, die rechte Seite seines Gesichtes zu. Bois-rosé bemerkte den leichten Streifen, der sich quer über sie hinzog, und mit einer Stimme, die zwischen ängstlicher Erwartung und Jubel klang, fragte er:

»Woher habt Ihr diese Narbe?«

»Ich weiß es nicht.«

»Könnt Ihr Euch auf nichts besinnen, was sich auf Eure früheste Jugend bezieht?«

Tiburcio wurde von dem dringlichen Ton dieser Rede betroffen.

»Warum fragt Ihr?«

»Weil – alle Wetter, Pepe, was meinst du? Es stimmt mit der Narbe und dem englischen Schiff, und das Alter ist auch das richtige. Sollte der liebe Gott mir altem Kerl wirklich eine solche Freude machen wollen? Was ist – was machst du für ein Gesicht?«

»Hm, mein Gesicht ist wohl schon längst gemacht und fertig, aber wenn du den Grafen Antonio de Mediana damals gesehen hättest, so –«

»Graf Antonio de Mediana?« unterbrach ihn Tiburcio. »Kennt Ihr ihn? Kennt Ihr auch diesen Don Esteban?«

»Sagt erst, ob Ihr die beiden kennt!« gebot Bois-rosé schnell.

»Ich sah Esteban de Arechiza bei La Poza das erstemal und erfuhr vorhin auf der Hacienda, daß er Graf von Mediana sei.«

»Wer sagte Euch das?«

»Doña Rosarita, die Tochter Don Agustíns.«

»Woher weiß sie es? Ist Graf Mediana auf der Hacienda del Venado bekannt?«

»Er ist der Besitzer. Agustín Pena ist nur der Pächter.«

Pepe sprang auf.

»Jetzt ist mir alles klar! Die ›Esmeralda‹ war ein Kaper; Don Antonio hat ihn befehligt und seinen Raub hier angelegt. Darum ist er hier so gut bekannt und hat jedenfalls auf seinen früheren Streifereien ein Placer entdeckt, auf das seine Expedition ursprünglich gerichtet war, ehe dieser Cuchillo ihm sein Geheimnis verkaufte.«

»Das kann richtig sein, Pepe!« stimmte Bois-rosé bei. »Aber was wolltest du vorhin sagen? Wenn du den Grafen Antonio de Mediana damals gesehen hättest, so –?«

»So würde dir die Ähnlichkeit zwischen ihm und Tiburcio auffallen.«

»Ist's wahr?«

»Ich täusche mich nicht. Hast du dir diesen Don Esteban genau betrachtet?«

»Er saß immer so vorsichtig im Schatten; aber, bei Gott, du hast recht; ihre Gesichter sind wie die von Vater und Sohn oder Oheim und Neffe! Tiburcio Arellano, ich frage Euch noch einmal, ob ihr Euch nicht auf irgend etwas aus Eurer frühesten Jugend zu erinnern vermögt!«

Der junge Rastreador fühlte sich durch diese Verhandlung in größte Aufregung versetzt. Sollte ihm hier von diesen fremden Jägern, die aus dem fernen Norden kamen, die Aufklärung werden können, zu der selbst seine Pflegeeltern nicht befähigt gewesen waren?

»Ich werde nachsinnen. Laßt mir nur Zeit!«

Er stützte den Kopf in die Hand und versuchte, seine Erinnerung in die Zeit zurückzuführen, die in so dichten Nebeln hinter ihm lag.

»Ich sehe ein großes, helles Zimmer – und – und das schöne Angesicht einer Frau, die sich über mich neigt. Sie hat große, dunkle Augen und spricht Worte zu mir, aus denen Glück und Liebe klingen.«

War es die Aufregung oder irgendein anderer Grund, es traten Bilder vor seinen Geist, die ihm bisher fremd und verschlossen gewesen waren.

»Ich schlinge die Arme um ihren Hals; sie küßt mich wiederholt, und nennt mich bei einem Namen, den – – ich höre ihn wie aus der Ferne klingen und kann die einzelnen Laute nicht unterscheiden.«

»Fabian!« fiel Pepe ein.

»Fa – bi – an –?« sprach Tiburcio, bei jeder Silbe auf seine eigene Stimme lauschend. »Fa – bi – an – ja, er ist's er ist's; ich sehe ihre Lippen, wie sie sich öffnen, um ihn auszusprechen, und jetzt höre ich ihn so deutlich, als stünde sie vor mir, um mich zu rufen.«

Bois-rosé saß in vornübergebeugter Stellung da wie einer, der auf etwas wartet, was er im heranrauschenden Flug ergreifen und festhalten will. Sein Auge war unbeweglich auf das Gesicht Tiburcios gerichtet, und sein Ohr verschlang jedes Wort aus dessen Mund.

»Weiter, weiter!« rief er ungeduldig.

»Das Zimmer ist offen. Sie nimmt mich auf ihre Arme und trägt mich hinaus. Wir stehen hoch, so hoch, und tief unten liegt die See – – –«

»Das Balkonzimmer, das Balkonzimmer!« rief Pepe frohlockend.

»Dann nimmt mich ein Mann auf den Arm und trägt mich fort. Es ist finster, und der Mann droht mir, zu schweigen. Ein Schuß fällt und – – ja, jetzt weiß ich, wo die Narbe herkommt, ein Messer fährt mir über das Gesicht. Der Mann springt mit mir fort.«

»Wohin?« fragte Pepe atemlos.

»Ich sehe Wasser, viel Wasser – ich habe Hunger – ich dürste und weine, und niemand ist bei mir. Da neigt sich ein Mann über den Rand des Bootes und hebt mich zu sich hinüber.«

»Wie sieht er aus, Tiburcio, wie sieht er aus?« klang es gepreßt aus dem Mund des Kanadiers.

»Er ist erschreckend groß und hat ein finsteres Gesicht; aber er hat mich lieb, und ich muß Vater zu ihm sagen.«

»Mein Gott, weiter, weiter, sonst ersticke ich!« drängte Bois-rosé, während sich seine Augen weit öffneten und einen Blick unendlicher Liebe über den jungen Rastreador warfen.

»Ich bin lange Zeit auf einem großen Schiff und habe den Vater unendlich lieb.«

»Habt Ihr ihn wirklich lieb, Tiburcio, wirklich?«

»Ja; er ist so gut mit mir, so mild, ganz anders, als man es bei seinem riesenhaften Äußeren erwarten sollte. – Da gibt es einen entsetzlichen Lärm auf dem Schiff; ich höre Kanonen donnern und Büchsen knallen; viele Stimmen rufen, schreien und brüllen. Der Vater kommt herab zu mir, schwarz vom Pulverdampf im Gesicht und über den ganzen Körper mit Blut bespritzt.«

»Was tut er, was sagt er?« fragte Bois-rosé In allerhöchster Spannung.

»Er sagt, ich soll niederknien und beten.«

»Die Worte, die er redet, die Worte! Habt Ihr sie vergessen?«

»Nein. Er faltet nur die Hände und ruft: ›Bete, mein Sohn; der Tod ist da!‹ Dann eilt er wieder hinauf und springt –«

»Bete, mein Sohn; der Tod ist da! Hörst du es, Pepe? Hörst du die Worte, die ich dir tausendmal gesagt und erzählt habe? Er ist es, er ist es, Dormilón!«

Und den Rastreador in die Arme schließend und mit einer Macht an sich reißend, als wolle er ihn erdrücken, fuhr er fort:

»Der Mann, dieser Riese bin ich; und du bist Fabian, mein Sohn, den ich liebte und um den ich die einzigen Tränen meines Lebens vergossen habe!«

»Ist's wahr, ist's möglich? Ihr mein Vater?« fragte Tiburcio, vor Freude zitternd und die Umarmung von ganzem Herzen erwidernd.

»Ja, es ist wahr, ich bin dein Vater, dein Pflegevater, denn dein rechter Vater ist längst tot, und deine Mutter wurde ermordet.«

»Ermordet?«

»Ja; erstochen von diesem Don Esteban de Arechiza, oder Graf Antonio de Mediana!«

»Und wer waren meine Eltern?«

»Sage es ihm, Pepe; du hast sie gekannt!«

»Euer Vater war der Graf Juan de Mediana und Eure Mutter Doña Luisa, die schönste Frau von Biskaya und Asturien.«

»Mein Vater ein Graf, ein spanischer Grande?«

»Ja, und zwar einer der reichsten und vornehmsten Granden des Königreichs.«

»Don Juan de Mediana! Und der Mörder meiner Mutter nennt sich auch de Mediana?«

»Sie waren Brüder und der Mörder ist Euer eigener Oheim!«

»Mein Gott, mir schwindelt vor diesen Eröffnungen!«

»Er hat Euch an der Zisterne erkannt, das ist sicher, und Euch aus diesem Grund, nicht allein der Bonanza wegen, ermorden wollen. Aber Gott hat Euch zur richtigen Stelle geführt. Pepe, der Schläfer, hat ein Kleines mit ihm abzurechnen, und wenn Ihr wollt, könnt Ihr ihm dabei behilflich sein!« –

Während dieser Unterhaltung am Lagerfeuer fand eine andere im Zimmer Don Estebans statt.

Cuchillo stand vor ihm.

»Ich kann nichts dafür, Señor! Hätte er die Wendung nicht gemacht, so wäre ihm meine Klinge ganz sicher ins Herz gefahren.«

»Ihr könnt nichts dafür? So! Ich sage Euch aber, daß Ihr ein Schwächling seid, der eigentlich die Rute verdient, denn – – –«

»Die Rute?« unterbrach ihn Cuchillo mit flammendem Auge. »Don Esteban de Arechiza, vergeßt nicht, daß der Kapermatrose Juan etwas anderes verdient hat, als eine solche Beleidigung! Was verdient Ihr dann wohl dafür, daß Ihr Euch von dem Jungen packen und fast zwanzig Schritte weit fortschleudern ließt?«

Don Estebans Stirn rötete sich stark; die Adern schwollen zur doppelten Stärke an, doch hatte er triftige Gründe, sich zu beherrschen.

»Cuchillo, vermeidet in Zukunft diesen Ton, wenn Ihr nicht Bekanntschaft mit der Art und Weise machen wollt, wie ich dergleichen zu behandeln pflege. Euer Fehlstoß hat uns in die übelste Lage gebracht, die es nur gehen kann. Don Agustín ist hinsichtlich des Besitzrechtes der Bonanza anderer Meinung als ich; er spricht sie dem Rastreador zu. Der Angriff auf diesen, der sein Gast ist, muß ihm als die größte Beleidigung gelten, und er wird erfahren, daß die Tat von uns ausgegangen ist. Unser Aufenthalt würde nicht mehr angenehm sein. Tiburcio ist fort, wie Ihr mir sagt. Er hat uns durchschaut und wird sich schleunigst nach Tubac begeben, um uns zu verdächtigen und seine Erstlingsrechte geltend zu machen. Rechne ich dazu die Anwesenheit dieses Pepe Dormilón, aus dem ein so berühmter Jäger geworden ist, so erkenne ich die Notwendigkeit, schleunigst von hier aufzubrechen. Wie leicht ist es möglich, daß sie sich treffen! Irgendein unvorhergesehener Umstand, eines jener unberechenbaren Ereignisse, wie sie so oft vorzukommen pflegen, kann dazu führen, daß er seine Abstammung erfährt und die Mörder seiner Mutter erkennt. Und wer sagt Euch, daß der Mörder seines Pflegevaters Marco Arellano vor seiner Rache sicher sei?«

»Dieser Umstand geht mich nichts an. Marco Arellano ist nicht unter der Hand eines Mörders gefallen!«

»Nein, sondern unter demselben Dolch, der Doña Luisa de Mediana traf«, meinte Arechiza bitter. »Doch, streiten wir uns nicht; wir haben jetzt Besseres und Nötigeres zu tun! Tiburcio muß sterben, und zwar auf jeden Fall. Wir reisen schon am frühen Morgen ab; sagt das den anderen und macht Euch fertig. Und sorgt dafür, daß Baraja und Oroche Euch behilflich sind, einen besseren Stoß zu führen, als der letzte war! Die Bonanza steht auf dem Spiel; merkt Euch das, Cuchillo!«

»Er wird mir nicht entgehen, Señor! Am Morgen werde ich seine Spur erkennen, und dann wird es sich zeigen, wie wir zu handeln haben.«

Er ging.

Am anderen Morgen brach der Trupp auf, ohne von Don Agustín Abschied zu nehmen. Arechiza ließ ihm einfach sagen, er habe eine wichtige Veranlassung erhalten, ohne Zögern nach Tubac zu reisen. Cuchillo leitete sein Pferd an die Spitze des Zuges, wo Don Esteban ritt.

»Ich habe dir Spur bereits untersucht.«

»Nun?«

»Sie führt hinüber in den Wald.«

»Ah! So ist er nicht sofort nach Tubac aufgebrochen! Wie weit habt Ihr sie verfolgt?«

»Bis ich ihn sah.«

»Wo war das?«

»Nicht sehr weit von hier an einem Lagerfeuer.«

»Wie unvorsichtig von ihm! Er weiß sich in Gefahr und geht nicht weiter fort.«

»Er steht unter dem besten Schutz den er finden konnte Der ›große Adler‹ und der ›zündende Blitz‹ sind bei ihm.«

»Pepe Dormilón? Teufel, da ist keine Zeit zu verlieren, sonst machen sie gemeinschaftliche Sache gegen uns!«

»Ich hätte mich hinzugeschlichen und meinen Stich verbessert, aber der Kanadier hielt Wache, während die beiden anderen schliefen, und mit diesem anzubinden, hieße geradezu in die Hölle laufen. Und die Sache mit einer Kugel abzumachen, fehlte mir die Büchse.«

»Seid Ihr Barajas und Oroches sicher?«

»Ja. Sie wollen die Bonanza nicht verlieren und sind daher bereit, ihm Gelegenheit zu geben, nicht nach Tubac zu kommen. Übrigens teile ich die Quadrupel mit ihnen; ein Umstand, den ich Euch ganz besonders ans Herz legen muß.«

»Macht eure Sache gut, so kommt es mir auf ein Goldstück mehr nicht an!«

»Was befehlt Ihr uns?«

»Ihr reitet mit Baraja und Oroche bis in ihre Nähe. Die beiden bleiben zur Deckung des Rückzugs halten, und Ihr schleicht Euch hinzu, um ihm die Kugel zu geben. Aber zielt gut! Ich reite mit den übrigen zur Brücke, wo ich euch erwarte. Sie bildet den einzigen Weg, uns schnell zu folgen, und wir müssen sie daher zerstören.«

Als sie an die Stelle kamen, wo Tiburcio in den Wald eingebogen war, lenkte Cuchillo mit den beiden Banditen ein, während Esteban mit Diaz und den anderen dem Wege nach der Brücke folgten.

Unterdessen hatten die drei Männer am Lagerfeuer erst nach langer und stürmischer Unterhaltung den Schlaf gesucht. Pepe war die letzte Wache zugefallen, und als die Morgenkühle einem milderen Hauch zu weichen begann, weckte er die beiden anderen. Das Feuer wurde höher geschürt und ein neues Hammelstück darübergelegt. Bei allen Verrichtungen, die sich jetzt als nötig erwiesen, legte der Kanadier eine außerordentliche Liebe und Sorgsamkeit für Tiburcio an den Tag.

»Mein Sohn«, meinte er, »ich werde dich nicht mehr Tiburcio, sondern Fabian nennen, denn das ist dein rechter Name.«

»Tu das, mein Vater!«

»Nun sag, was du zu tun beabsichtigst. Ich und Pepe, wir werden dir bis ans Ende der Welt folgen.«

»Santa Lauretta, das ist wahr!« bestätigte Dormilón. »Besonders wenn Ihr Euch entschließen wollt, diesem Esteban de Arechiza ein wenig auf das Fell zu steigen. Seht hier diesen Ring! Er hat ihn mir damals gegeben, daß ich schweigen sollte. Ich tat es auch, weil ich glaubte, es handle sich um eine Sache, die sich mit meinem Gewissen vereinbaren lasse. Als ich aber die Wahrheit erfuhr, nämlich daß ich die Ausführung eines Mordes und Kindesraubes unterstützt habe, ließ es mir weder Ruhe noch Rast; ich mußte an die Arbeit gehen, den Täter zu entdecken und der Strafe zu überliefern. Statt dessen aber sollte ich auf die Galeere gehen und nach Ceuta gebracht werden, um Thunfische zu fangen. Der brave Hauptmann Don Lucas Despierto jedoch half mir aus der Tinte, weil er seinen Brief zurückgewinnen wollte, den er auch bekam. Ich mußte fliehen, tat aber den Schwur, keine Gelegenheit zu versäumen, den Mörder doch dem Strafgericht zu übergeben und womöglich den geraubten Knaben zu entdecken. Ich kam in die Vereinigten Staaten und traf ganz droben in Montana einen Bärenjäger, der mir erlaubte, mich zu ihm zu gesellen, und –«

»Und dich lehrte eine gute Büchse richtig in die Hand zu nehmen«, setzte Bois-rosé hinzu. »Der gute Pepe glaubte nämlich, ein außerordentlicher Schütze zu sein, traf aber anfangs den Grizzly öfters in den Schwanz statt zwischen die Rippen. Doch war er ein guter Schüler. Nach einigen Monaten hatte ich ihn schon so weit, daß er höchstens das Auge eines Fischotters mit dessen Ohr verwechselte, was allerdings das Fell ein weniges beschädigt; aber schon nach Verlauf eines Jahres konnte ich vollständig mit ihm zufrieden sein. Wenn er auch keine solche Büchse hat, wie die meine und die deinige ist, mein Sohn, so weiß er doch stets das zu treffen, was er treffen will, und wenn unser Pulver blitzt, so ist alles unser, was man mit einem guten Schuß erreichen kann. Auch du verstehst deine Sache, wie ich an dem Puma gesehen habe, den du zur Zisterne brachtest, und wenn drei solche Männer mit sechs sicheren Augen und ebensoviel starken Armen zusammenhalten, so weiß ich ganz genau, daß es diesem Grafen Antonio nicht gelingen wird, meinen Pepe zum zweiten Male auf den Thunfischfang zu schicken.«

»Er ist mein Oheim, Vater!«

»Ja, das ist er, mein Junge; aber das darf kein Grund zur Nachsicht sein, denn gerade weil er der Schwager deiner Mutter war, ist der Mord doppelt ruchlos und sollte zwiefach gerächt werden. Mein Trachten geht nicht nach Gold und Silber; ich habe über einen gut gelungenen Schuß mehr Freude, als über alle Bonanzen und Placers der Welt; aber dieses Goldtal ist dein Eigentum, das dir nur durch, die Ermordung des Pflegevaters streitig gemacht wurde. Willst du es haben, so bin ich mit Pepe dabei, und Don Antonio mitsamt seinen achtzig Mann soll es dir nicht nehmen. Nur laß dein Pferd zurück, denn –«

»Mein Pferd zurücklassen? Das hieße ja, von vornherein auf alles zu verzichten!«

»Laß dir sagen, daß ein mittelmäßiger Jäger allerdings ohne Pferd fast nichts vermag, Leute besseren Schlages aber kommen auf ihren Füßen leichter vorwärts, als auf dem Rücken eines Tieres, das viel Zeit, Pflege und Rücksicht erfordert und durch die Spuren seiner Hufe nur zu oft zum Verräter wird. Entschließen wir uns, der Expedition in die Apacheria zu folgen, so bekommen wir es mit einem zweifachen Feind zu tun, mit dem wir es zu Fuß viel eher aufzunehmen vermögen als zu Pferde. Allerdings gibt es Strecken, die man nur beritten zurücklegen kann, doch dann sind wir auch Manns genug, uns ein Tier zu holen, wie wir es brauchen. Jetzt aber meine ich, wir sollten –«

Er fuhr mitten in der Rede empor. Ein Schuß war gefallen, und die Kugel hatte Fabian das Haar gestreift.

In der nächsten Sekunde schon standen sie im nahen Dickicht und spähten und horchten nach der Richtung hin, wo der Knall erfolgt war. Sie vernahmen den davoneilenden Hufschlag eines Pferdes.

»Das galt Euch, Fabian«, meinte Pepe.

»Sicher ist es dieser Cuchillo gewesen, den Esteban gesandt hat, meiner Spur zu folgen!« rief der Rastreador in höchster Wut. »Ich werde –«

»Halt«, rief der Kanadier. »Erst denken und dann handeln! Der Mann war zu Pferde; das ist ein sicheres Zeichen, daß sie aufgebrochen sind. Nur die Brücke führt über den Fluß. Don Esteban wird dort auf den Mörder warten, um sie nachher vielleicht zu zerstören. Pepe, wir dringen gerade durch die Büsche auf sie los, und du, Fabian, verfolgst den Menschen zu Pferde; du hast einen Umweg, und wir werden zu gleicher Zeit dort eintreffen. Vorwärts!«

Fabian riß den Lasso los, saß auf und jagte davon, alles das Werk eines Augenblicks. Zerdrückte und zerknitterte Blätter, kleine, frisch abgerissene und zerbrochene Zweige und die Hufspuren im Boden zeigten seinem geübten Auge auf das Unzweideutigste, daß er den Verfolgten vor sich hatte. Auf dem sandigen Wege angekommen, der in zahlreichen Windungen nach der Brücke führte, bemerkte er deutlich, daß es mehr als ein Reiter sein mußte; er ließ die Zügel schießen, gab dem Pferd die Zacken seiner Sporen in die Weichen und flog über das schwierige Gelände mit einer Geschwindigkeit dahin, die beinahe der des Sturmes glich. Und dennoch vergingen Minuten, ehe er in die Nähe des Stromes gelangte.

Cuchillo hatte geglaubt, daß seine Kugel sicher ihr Ziel erreicht habe, und sich dann aus Angst vor den beiden furchtbaren Jägern schleunigst zurückgezogen. Sein Vorsprung war zu groß, als daß Fabian ihn trotz der Schnelligkeit seines Pferdes hätte einholen können. Aber schon fing das Brausen des Waldstromes an, den lauten Galopp seines Pferdes zu übertönen, und bald ließen sich inmitten dieses Brausens auch menschliche Stimmen vernehmen.

Die ungestümen Sprünge eines Pferdes haben die Wirkung, daß sie die menschlichen Leidenschaften steigern; das Tier aber erhebt sich bis zum Verständnis der Gefühle seines Reiters. Fabians Blut kochte. Der erneute Mordversuch hatte jede mildere Gesinnung aus seinem Herzen gedrängt, und er fühlte nur den einen Gedanken, seine Feinde zu erreichen und sie niederzuschmettern. An ihre überlegene Anzahl dachte er nicht.

Als er den letzten Busch hinter sich hatte und auf den Fluß zuflog, bot sich ihm ein Anblick dar, der seinen Grimm aufs höchste reizte.

Wie bereits gesagt wurde, verband eine aus zwei grob behauenen Baumstämmen bestehende Brücke die beiden Ufer, zwischen denen der reißende Strom dahinbrauste. Die beiden Enden dieser Balken, deren Vereinigung soviel Breite bot, daß ein Pferd darüber gehen konnte, ruhten, durch sonst nichts festgehalten, auf dem nackten Felsen; einige starke Männer konnten daher diese Brücke zerstören und dadurch wegen der Entfernung der beiden Ufer den Übergang an dieser Stelle unmöglich machen.

In dem Augenblick, da Fabian im Begriff war, die Balken zu erreichen, zogen vier von ihren Reitern angetriebene Pferde aus Leibeskräften an der Brücke, die durch straff angespannte Lassos mit den Sattelknöpfen verbunden war. Unter der Anstrengung der Pferde setzten sich die Balken in Bewegung, trennten sich und stürzten in den Strom hinab, daß das Wasser hoch aufspritzte, während die schnell freigemachten Riemen pfeifend dem Impuls der beiden Balken folgten.

Fabian stieß einen Wutschrei aus. Arechiza harte ihn erblickt. Auch er geriet in Grimm darüber, daß der Rastreador seinem Anschlag zum zweiten Male entkommen war.

»Cuchillo, Ihr seid ein Schulknabe!«

»Señor, der Teufel selbst muß diesen Menschen schützen, denn ich habe deutlich gesehen, daß meine Kugel –«

Er hielt inne. Die anderen brauchten nicht zu wissen, was er in den letztvergangenen Augenblicken mit Baraja und Oroche vorgehabt hatte.

»Kommt herüber, Señor Tiburcio«, höhnte Arechiza. »Wir stehen im Begriff, die Bonanza aufzusuchen!«

Fabian hatte sein Pferd bei dem Anblick der zerstörten Brücke herumgerissen. Mit schlagenden Flanken stand es unter ihm; auch er zitterte vor Grimm und Aufregung.

»Gut, ich komme«, gab er zur Antwort.

Er ließ die hindernde Büchse zu Boden gleiten, zog das Messer, warf sein Pferd herum und ritt bis an die Büsche zurück, um einen Anlauf zu nehmen. Dann griff er die Zügel hoch, richtete sich im Bügel auf, drückte die Sporen an und flog wie ein Pfeil auf den Fluß zu.

Das fürchterliche Wagnis sollte nicht gelingen; das Pferd scheute bei dem Anblick der schäumenden Tiefe, bäumte sich empor und warf sich zurück.

»Er hat Angst, der Junge. Drohen kann er, aber reiten nicht!« rief Don Esteban.

»Señor Arechiza, was habt Ihr mit Tiburcio?« fragte der ehrliche Diaz, der den ganzen Vorgang nicht begreifen konnte.

»Nur eine kleine Privatsache, die Euch nicht kümmert!«

»So laßt ihn ruhig gehen. Es ist unmöglich, herüberzukommen, und Ihr treibt ihn durch Euren Spott in den sicheren Tod.«

»Er mag ersaufen, wenn er es nicht lassen will.«

Fabian hatte sein Pferd zum zweiten Male zurückgelenkt, um den Anlauf von neuem zu nehmen. Arechiza sah die todesverachtende Entschlossenheit in seinen jugendlichen Zügen und bemerkte, daß er das Messer emporhob, um es dem Pferde in den Hals zu stoßen, damit es durch den Schmerz zur größten Anstrengung getrieben werde.

»Er macht Ernst. Beim Teufel, er kommt! Cuchillo, Baraja, Oroche, schießt ihn nieder!«

Sofort richteten sich die Büchsen der drei Männer auf Fabian.

»Halt! Wer schießt, der stirbt!« donnerte da eine mächtige Stimme, die das Brausen des Wassers weit überschallte.

Bois-rosé und Dormilón waren auf dem Platz angekommen und standen mit erhobenen Büchsen am diesseitigen Ufer. Sofort senkten sich die Gewehre der drei Banditen. Sie wußten, daß der ›große Adler‹ seine Drohung wahr machen würde.

»Zurück, Fabian!« rief der Kanadier. »Du bist sonst verloren!«

»Fabian!« hallte es im Innern Arechizas wider. »Sie haben sich erkannt, Fabian und Pepe!«

Die Warnung Bois-rosés kam zu spät. Mit Anspannung aller Muskeln flog das Pferd dem Flusse zu, ein fürchterlicher Satz –, es erreichte mit allen vier Hufen das jenseitige Ufer; aber da wich das vom Zahn der Zeit zermürbte Gestein unter ihm – ein Schrei des Entsetzens aus dem Munde der beiden Jäger, ein Jubelruf Don Estebans –, und Roß und Reiter verschwanden mit lautem, gräßlichem Aufschlag in den Fluten, aus deren tosendem und wirbelndem Chaos kein Entkommen möglich sein konnte. –


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