Heinrich Federer
Unter südlichen Sonnen und Menschen
Heinrich Federer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der rote Zauber des Mastro Giorgio von Gubbio

Hundert und hundert Histörchen kleben an allen Mauern Umbriens. Keine noch so geringe Stadt, wo nicht eine besondere Sage aus alten Toren singt. Da mischt sich die gewissenlose Phantasie hübsch mit der redlichen Geschichte, ein Erdbeben kracht hinein, ein Künstler zaubert, der schwarze oder schwefelgelbe Satan bockfüßelt herum, und ein Heiliger, gerne der sonnige Franz von Assisi, hilft der schiefen Geschichte zuletzt noch ins Blei.

Gubbio ist so ein Plätzchen. Es kriecht am Monte Ingino hinauf mit uralten Häusern, Bögen, Türmchen und Berggäßlein. Es ist mir mit Spello und Narni und Norcia eines der unvergeßlichen Städtchen Italiens geworden. Einen Nachmittag hoch über dem Städtchen im Schatten des Klosters Ubaldo zu verbringen und dort unter einer wilden Kastanie sitzend die hinreißend schöne, eigenartige, weite Aussicht über Täler und Berge zu genießen, das gehört zu den köstlichsten Stunden des – ach, alles in allem gar nicht so köstlichen Lebens.

Aber nicht hier oben, sondern weit hinten in der Schlucht des Camignano oder Metaurus, die sich links hinter den Stadthäusern öffnet, habe ich von einem Polizisten das Abenteuer des Meisters Jürg klar und bündig vernommen.

Wir setzten uns auf einen Bock neben dem trägen, damals geringen Schluchtwasser. Der Polizist schwitzte und kühlte sich die Stirne mit ein paar Güssen. Er schöpfte das Wasser mit einem zierlich gebauchten Majolikakrüglein. Der Dieb, den er so weit in den Berg verfolgt hatte, war ihm schließlich doch entwischt, aber hatte diesen kleinen, zerbrechlichen Raub mitten auf die Straße oben gestellt, als ob er sich damit aller Schuld entledige. Er trug sicher noch anderes bei sich, verschwor sich mein Nachbar, aber lachte doch erleichtert auf, weil er mit dem eroberten Gefäß seiner Amtspflicht genug getan hatte. Dieses Beutestück mußte jeder Obrigkeit beweisen, wie ihr Diener kam, sah, siegte.

Ich wußte, daß Gubbio in den Majoliken eine berühmte Hand besaß, einst die beste im ganzen Land. Denn damals verstand es eine karminrote Farbe so wunderbar in den glasigen Ton zu brennen, daß von dem Geschirr ein geheimnisvoll tiefer, brünstig leuchtender Metallglanz ausging. Niemand kannte das Rätsel dieses Farbenfeuers außer Don Giorgio Andreoli, dem Erfinder.

»Ist es wahr,« fragte ich, »daß der Mastro mit dem Blute lebendiger Menschen dieses Rot zubereitete?«

»Man sagt so. Wenn gefoltert oder enthauptet wurde, habe er dabeistehen und den Saft noch ganz menschenwarm aufschöpfen dürfen, gerade wie ich hier jetzt Wasser aufnehme.« – Damit schüttete sich der erhitzte Ordnungsmann ein weiteres Krüglein klassisches Metaurusnaß über den Kopf.

Aber dieser Saft sei zu dick und zu heiß gewesen. Er habe nicht rot genug gefärbt. Denn Mastro Giorgio habe eine tiefe, dunkelglühende Röte im Sinne gehabt, Tag und Nacht davon geträumt und sei schier im Wahnsinn herumgegangen, weil die Majoliken von Urbino und Pesaro immer noch ein besseres Rot vermocht hätten.

Endlich, als er umsonst alle möglichen Erden und Säfte versucht, vor vielen Altären mehr getobt als gebetet und freilich zuletzt ein Rot wie die Urbiner, aber doch nicht ein besseres erreicht habe, da sei ihm in den Sinn gekommen, daß man von den Glasfärbern Urbinos erzählte, sie hätten sich mit dem Teufel verbündet.

›Was die machen, kann ich auch‹, dachte Giorgio und rief in einer schweren, gewitterhaften Mitternacht den Satan zu sich.

Der stand schnell und gefügig da wie ein dressierter Hund und erklärte sehr höflich, er bewahre freilich noch ein glühenderes Rot für sich, den sogenannten Höllenpurpur. Aber dieses Rot sei eigentlich nur für die Teufel reserviert, nur für unterirdische Vergnügen. Billig könnte er dieses beste Rot, das je erfunden worden, nicht für irdische Egoisten hergeben.

Was er denn vom Meister der Urbiner Gilde, von Don Pier Monti, damals bekommen habe?

»O diese Urbiner,« versetzte der Schwarze verdrießlich, »viel zu wenig haben sie bezahlt. Hinterhältige Krämerseelen sind sie.«

»Haben sie denn weniger geleistet als die von Pesaro?«

»Wie eine Wildkatze peitschte der Teufel beim Wort Pesaro den Schwanz hin und her. Die mußten ihm doch innert dreißig Tagen hunderttausend Goldstücke entrichten oder, wenn die Summe nicht voll würde, ihm die Seele ihres jüngsten talentvollsten Glasfärbers verschreiben. Und die Summe ist ungeheuerlich, wird nicht voll. So viel Gold in so wenig Zeit brächte nicht einmal Florenz oder Mailand auf.

»Aber schau, schau, am gesetzten Tag wurden ihm die hunderttausend Goldbatzen in allen möglichen Größen und Prägungen Stück für Stück vorgezählt. Durch ganz Italien und Frankreich schienen sie Gold entlehnt zu haben. Fünferlei Päpste, die Herren von Montefeltro, Ferrara, Gonzaga, Este, die Signorien von Florenz und Genua, die Münze von Perugia, Cremona und Mailand und noch viel anderes erkannte man da im Schnitt der Gelder und zählte sie dem Leibhaftigen vor die Schnauze.

»So nahmen nun die von Pesaro das Rezept, er, der Teufel, das Geld und fluchte sich von dannen. Zwar schien ihm, wie er seewärts hinkte, man rufe etwas von der Zitadelle hinunter wie Rame (Kupfer)! Aber er achtete es in seiner Wut nicht, bis er, je tiefer der Flug in die Hitzen ging, immer deutlicher fühlte, daß in den Goldsäcken etwas Ungehöriges vorging. Er sieht nach. O je, alles ist minderwertiges Gemisch von Kupfer, Silber, Nickel und schmilzt zur lügnerischen Vergoldung hinaus. Gold hätte bis zur Schatzkammer standgehalten.

»An das dachte jetzt der Gehörnte und fauchte und sagte zu Don Giorgio: ›Noch ärger haben mich diese Urbiner betrogen. Sie gingen mit mir zur Kirche San Giuseppe und hoben die Finger und schworen, dieses Haus zu schließen, so daß nie mehr darin mein großer Feind gelobt und bedient werden könne. Das behagte mir. Eine Tür zu Gott zu, eine Tür zum Teufel auf. Und ich glaubte ihnen. Denn sie standen weit und breit im Rufe kalter Christen. So gab ich ihnen mein zweitbestes Rot. Und bald hör' ich auch, daß die Kirche geschlossen wird, aber . . . wegen Baufälligkeit. Ein Jahr darauf wird sie abgerissen und am gleichen Platze eine neue, viel größere Kirche gebaut! Denn mit diesem Rot verdienen sie ein Heidengeld.«

»›Nun‹, fuhr der Schwefelpeter fort, ›hüt' ich mein letztes teuerstes Rot gut. Um das soll mich niemand narren.«

»›Ich denke nicht daran‹, versetzte Giorgio in seiner düstern Leidenschaft. ›Ohne Umschweife, da hast du meine Seele.‹ Und er langte mit beiden Händen an die Brust, als wollte er die Seele aus dem Leibe reißen und dem Teufel in die Krallen schmeißen.

»Es wurde ein Pergament aufgesetzt. Aber im Augenblick, wo Mastro Giorgio mit seinem wilden, verhetzten Blute unterschreiben wollte, stutzte er und bemerkte, das gelte nur unter der Bedingung, daß es nicht noch ein röteres Rot gebe. Er opfere seine arme Seele nur, wenn er zeitlebens das schönste Rot besitze. Sobald etwas Besseres irgendwo erfunden werde, halte er sich nicht mehr an den Kontrakt gebunden, da dieser ja dann sein Ziel nicht erreicht hätte.

»Der Teufel schmunzelte und nickte. Selbstverständlich gelte der Vertrag dann nicht mehr. Aber es sei ganz ausgeschlossen, daß Menschengenie noch ein besseres Rot finde. Teufelswitz gehe doch über jeden andern Witz. Kurz und gut, er sei zufrieden, wenn er Mastro Giorgios Seele so sicher habe, wie dieser sein bestes Rot.

»Die Klausel ward immerhin eingefügt und dann das Dokument beiderseitig unterzeichnet. Und bald tauchten in Gubbio jene wunderbaren Geschirre und Vasen auf, die mit ihrer nie gesehenen, heißen, gefährlich leuchtenden Karminröte allen bisherigen Majolikaglanz in Schatten stellten. Es war beinahe nicht mehr ein irdischer Glutzauber. Die Künstler von Pesaro und Urbino wurden fahl vor Neid. Diese Gubbierfarbe schlug alle Konkurrenz nieder. Mastro Giorgios Schüsseln, Krüglein, Blumentöpfe und Zierteller eroberten Italien, und Ruhm und Zuspruch strömte massenhaft die steilen Gäßchen des Städtchens herauf.

»Aber nachdem das so eine Weile gedauert und der Meister sich daran gehörig überessen hatte, fing der Mann an, sich zu langweilen und zu ekeln und mehr und mehr in Schwermut zu verfallen. Er besaß überdies einen einzigen Knaben, dessen Geburt der Mutter das Leben gekostet hatte und der nicht die geringste Neigung für das väterliche Gewerbe empfand. Eher mochte Odoardo ein Pfaff werden. Auf des Vaters Ausruf bei einer ausnehmend glänzenden Vase: ›Leuchtet das nicht überirdisch?‹ schrie dieser Jüngling einmal mit bebender, aber überzeugter Stimme: ›Nein, Vater, unterirdisch!‹ So eine feine Witterung besaß dieser Bursche. Aber wie sollte es anders sein, da Odoardo so oft zum heiligen Bruder Franz nach Assisi lief und dann viele Tage jeweilen fortblieb.

»Sooft er seit jenem Unterirdisch dem Vater begegnete, ward dieser einsilbig und ließ den Kopf immer tiefer hängen. Das unheimliche Wort begann in Mastro Giorgios Seele immer stärker zu rumoren. Er hatte jetzt den Ruhm und den Reichtum erlebt und nichts Besonderes dabei gefühlt. Früher hatte ihn jede kleinste Erfindung oder Verbesserung in seiner Kunst auf Jahre hinaus froh gemacht. Wie ging es nun zu, daß er dieses Erstaunlichste schon so bald satt bekam? Etwa weil es nicht sein Werk war, sondern etwas Erkauftes, Erlistetes, Fremdes? War der Reiz so rasch verflogen? Was kam jetzt? Nichts als immer diese entlehnte, erschmuggelte Farbe und immer nur diese rote Langeweile, und dann der Tod und die Hölle.

»Er begann, dieses Rot zu hassen und die alte selige Zeit mit dem geringeren Ruhm, aber köstlicheren Leben zurückzuwünschen.

»Tag und Nacht grübelte er nach einem noch tiefer und wilder glühenden Rot, um sich vom höllischen Kontrakt loszumachen. Er überwand sich sogar und schrieb einen Preis für denjenigen aus, der sein Rot übertreffe, wobei er besonders innig die Pesarer und Urbiner zum Wettbewerb aufreizte. Aber nichts verfing. Er hatte das beste Rot, und der Teufel hatte die beste Hypothek auf seine Seele. Oft wenn dem Meister beim Abenddämmern sonderbar graute, wenn er sein plötzlich ergrauendes Haar betrachtete, wenn ein Gleichalteriger mit dem Ablaßkreuz in den Fingern starb und er entsetzt an den eigenen unseligen Tod denken mußte, oft schien es ihm dann, es kichere und höhne ganz nahe und spotte seiner Ohnmacht.

»Wie oft wollte er seinem Sohne das Geheimnis mitteilen, bevor es ihm das Herz abdrückte. Aber Giorgio war mit seinem Sohne nie vertraut gewesen. Jahrelang hatte er ›den Balg‹ kaum anrühren mögen, der ihm das Beste im Leben, seine milde, verständige, tröstliche Frau genommen und dafür nichts als seine so unschöne, scheue, zurückgezogene Winzigkeit gegeben hatte. Dann, als Odoardo sich ein bißchen umzuschauen begann und sich nun gern vom Vater dies und das hätte mögen erklären lassen, da hatte den Mastro schon jene wüste Hast nach den leuchtendsten Farben, und wie man sie in Glas und Metall brenne und erglühen lasse, völlig übernommen, ja geradezu besessen gemacht. Jetzt war die Frau tot und der erwachsene Sohn entfremdet, jetzt, wo Giorgio vom toten Metall zum lebendigen Menschen fliehen wollte.

»Dann aber schämte er sich auch ganz heillos, zu bekennen, sein Ruhm sei gar nicht eigenes Verdienst, sondern erkauft, erschwindelt. Vom Teufel! Und das war das Schlimmste an der Sache. Er wäre der Gottlosigkeit und Zauberei angeklagt, in den Turm geworfen, unsäglich gefoltert und zuletzt wohl erdrosselt oder verbrannt worden. ›Meine Seele, meine arme Seele!‹ schrie er nun oft, wenn er sich allein glaubte. Als Odoardo ihn einst so jammern hörte, drang er zum Vater ein und bat ihn dringlich, ihm doch das Herz auszuschütten. Da entschlüpfte dem gequälten Giorgio wenigstens das Wort: ›Gibt es kein stärkeres Rot als das meinige, Knabe, dann hab' ich Ehr' und Seligkeit verloren.‹

»Das gibt es nicht, das gibt es nicht!« rief eine gar wüste, übermütige, stinkende Stimme aus dem Stubenwinkel.

»Da wußte der Jüngling genug. ›Und das gibt es und muß es geben‹, schleuderte Odoardo verwegen in die Finsternis und rannte dann zum allhelfenden Franz nach Assisi hinüber um Beistand.

»Aber der Heilige wollte nicht selbst ins Zeug greifen. Er behauptete, das könne auch Odoardo vollbringen, und es sei sogar gut, wenn das Kind den Vater erlöse. Da käme dann Wärme ins Haus, und der Teufel hätte so das Spiel gründlicher verloren als je einmal. Überdies, fügte Franz bescheiden hinzu, hinderten ihn die Wunden. Er meinte jene wunderbaren Male, die er bei der Versenkung ins Leiden Christi vor bald einem Jahre bekommen hatte, genau, als wäre er mitgekreuzigt worden, und die oft noch durch die Lumpen des Verbandes leuchteten. – Ein Maultier! – Ach, er ritt nicht gerne wie ein Herr.

»So wies Franz den Jüngling genau an, was und wie er mit dem Vater vornehmen solle, und schärfte ihm daneben noch besonders ein, den Teufel jeweilen, wenn er sich bemerklich mache, recht höflich zu behandeln. Sogar Beelzebub könne man mit Höflichkeiten kirren.

Fröhlich kehrte Odoardo heim, obwohl er vom Regen unterwegs bis auf die Haut durchnäßt war. Doch wie er so mit leeren Händen in die Werkstatt trat, kehrte der Vater sich enttäuscht von ihm ab. Er hatte gehofft, Franz oder sonst ein Wunder käme mit dem Buben. Nun wurde sein trübes Gesicht noch verhärmter. ›Ich werde dir helfen‹, versprach Odoardo.

»›Du?‹ antwortete der Meister höhnisch. ›Du? wo es scheint's Franz nicht einmal kann!‹

»›Ja, ich.‹

»›Wann denn?‹

»›Nur Geduld, 's ist noch alle Zeit.‹

»›So reden die falschen Propheten.‹

»Odoardo widersprach nicht mehr. Aber morgens und abends sah er sehnsüchtig gegen den Monte Urbino, den Böswetterberg, ob denn dieses heillose Sudelwetter nicht bald aufhöre. Es schien, er brauche heitern Himmel zu seinem Unternehmen. In den Hauswinkeln kicherte und spöttelte es indessen immer garstiger. Doch Odoardo hatte genug vom Meister in Assisi gelernt und lächelte und tat, als höre er nichts.

»In jener düstern Zeit hielt der Mönch Egidio Salvari in Gubbio Volksmission. Seine Bußpredigten donnerten furchtbar in die Kirchenstühle hinunter. Er trug einen Totenkopf in der Hand und malte so viel Hölle, daß man keinen Himmel mehr sah. Mastro Giorgio ging sozusagen selbstmörderisch in jede Predigt und saß hernach jedesmal noch mutloser an seiner Tischecke beim Stubenfenster. Ach, welch ein Leben ohne Freude! Der Säufer hat wenigstens seinen Wein bis zum letzten Schluck und der Liebhaber seinen Schatz bis zum letzten Kuß. Aber er, Giorgio, hat nichts als dieses vergiftete und verfluchte Höllenrot und hernach die Hölle selbst. Eine ungeheure Furcht vor der Ewigkeit machte ihn schlottern. Er wagte in keinen Winkel zu schauen, in keine Nische zu sitzen, sondern hockte sich zuvorderst ans offene Fenster, als müßte er immer zur Flucht bereit sein.

»Da, eines Abends hellte sich der Regenhimmel auf, eine weite, goldene Bläue überspannte die Stadt, und die Höhen vor Costaciarro und Sigillo begannen sich langsam im Widerschein der verblutenden Sonne in ein tiefes Purpurrot zu kleiden.

»›Schau‹, sagte Odoardo und atmete schwer, denn nun galt es, ›schau wie rot!‹

»Mastro Giorgio stierte blöde hinüber und verstand den Sinn nicht.

»›Komm hierher, an dieses Fenster‹, bat der Sohn. ›Da sehen wir noch Besseres.‹ – Irgendwo in der Stubendämmerung begann es unruhig zu knistern.

»Westlich, gegen Sant' Angelo war die Sonne untergegangen. Nun sind die Sonnenuntergänge von Gubbio aus ein prachtvolles Schauen, besonders nach Regenschauern, wenn die Luft noch feucht ist und leichte Dunstschleier über den abendlichen Ausgängen der Talung wehen. Alle Luft ringsum, nicht bloß der Himmel, scheint dann glührot zu flammen und in einen immer tiefern Purpur hinunterzubrennen. Die ganze Welt gleicht dann einer einzigen dunkelroten Feuerrose. Wer hineinblickt, wird selber Rose.

»Dieses Wunder des Abendrots geschah jetzt, und wie Giorgio hineinstaunte und Odoarda ihn stupste und reizte: ›Vater, nun urteile selber, ist das nicht noch ein viel kräftigeres und innigeres Rot als das deinige? . . .‹ da begann etwas im Trübsinnigen zu zerreißen, ein schwarzes Tuch oder eine finstere Hoffnungslosigkeit oder etwas Ähnliches. Dieses Abendrot dort, so eine gewohnte selbstverständliche Erscheinung, bekam plötzlich ein außerordentliches, ungeheuer wichtiges Gesicht. ›Rot, rot‹, stotterte er, ›sehr, sehr rot!‹ Aber er wagte noch nichts zu folgern.

»Odoardo drückte ihm ermunternd die Hand, wandte sich mit der andern einladend gegen die hinterste Stubenecke und rief mit ausgesuchter Höflichkeit: ›Darf ich Sie bitten, geehrter Herr Dunkel, vormals Exzellenz Luzifer, dieses mächtigste Rot auf Erden in gnädigen Augenschein zu nehmen? Ihr fachmännisches Auge wird mir beistimmen, daß nie ein stärkeres Rot erfunden ward. Ich gebe viel auf Ihre Zustimmung.‹

»Unwillig, hinderlich, knurrend kam etwas gegen das Fenster. Man hörte es nur und roch etwas, aber sah nichts. Eine kleine Pause entstand. Dann rief Giorgio, immer mutiger und berauschter vom Anblick dieser zwingenden Himmelsröte: ›Der Teufel ist übertrumpft, alleluja, es gibt noch ein röteres Rot als das seinige.‹

»Da keuchte es häßlich und heiser in der Nähe: ›Mag sein, dummer Tropf, ja, förmlich zugegeben! Aber was hat das mit deinen Majoliken zu tun? Mein Rot bringst du ins Glas. He, so versuch' denn, fang auf, so viel du kannst von diesem roten Nichts da draußen und misch' es im Tiegel. Wir wollen sehen, was da herauskommt.‹

»Ach wie kindisch und doch wie rührend ward nun Mastro Giorgio! Verstörten Geistes lief er in die Werkstatt, trug den Arm voll ungefärbten Geschirres herein und stellte es aufs Gesimse. Sogleich flammten die Gläser auf, das ganze Abendrot fing sich in ihnen, sie schienen mit überirdischem Blut, dem Blut der Himmlischen, wenn man so sagen darf, überfüllt.

»›Da sieh, da sieh‹, jauchzte der Meister.

Ein dürres, krähendes Lachen antwortete zur Seite. ›Armer Narr, schau' jetzt!‹ Und der Unhold rückte mit unsichtbaren Fingern das Geschirr in den Schatten, daß es sogleich farblos und tot aussah.

»›Da sieh, da sieh‹, äffte er den Mastro Giorgio.

»Es genügt, geehrter Herr Dunkel, daß Sie, daß wir alle hier noch ein röteres Rot als das Ihrige – gewiß ganz ausgezeichnete – soeben erlebt haben. Nach dem Wortlaut des Vertrages würde das meinen Vater bereits von jeder Verbindlichkeit befreien. Denn es steht da ausdrücklich: ›Sofern nicht ein noch besseres Rot erfunden ist‹.

»›Wollt ihr Toren sagen, ihr hättet das Abendrot erfunden?‹

»›Es sollte heißen: gefunden; so ist es natürlich gemeint.‹

»›Es steht aber: erfunden. Zur Zeit unseres Vertrages war das Abendrot schon erfunden oder auch gefunden, ganz wie ihr wollt. Aber wir meinten außerdem ein Rot, das in eurem Gewerbe praktisch verwendbar ist. Also steht der Vertrag in Kraft.‹

»›Aber der Herr Doktor hatte doch schon ein bißchen Angst,‹ scherzte Odoardo, ›so viel ich merk.‹

»›Ach, woher!‹

»›Und doch war das erst ein kleiner Versuch, so ein Spaß vor dem Ernst. Aber jetzt kommt der Ernst. Paßt gut auf‹, bat der Jüngling.

»Indessen Odoardo so redete, lächelnd, voll heiliger Überlegenheit, das bleiche, franziskanische Gesicht noch ganz überflutet vom glühenden Himmel und besonders in den tapfern Augen das Abendrot zweimal widerspiegelnd, aber so tief, so warm, als komme das Leuchten nicht von außen, sondern aus dem Herzen und als wäre darinnen noch ein viel größeres und süßeres Glühen: da konnte Vater Giorgio kein Auge mehr von ihm abwenden. So einen schönen, beinahe feuerspeienden Menschen hatte er noch nie gesehen, und nie hatte er gewußt, daß sein eigener Sohn ein solcher Mensch sein, so reden, so glänzen, so lächeln und siegen und vor allem ihn aus dem seelengrauen Elend so heiter retten könne. Denn daß er nun gerettet würde, daran zweifelte er keinen Augenblick mehr, obwohl er keine Ahnung hatte, wie es dabei zugehen müsse. Ihn dünkte, er sollte sich vor Odoardo niederwerfen und ihm die Füße küssen. Denn was hatte er ihm je Väterliches erwiesen? Vater war er an seinen Majolika, aber nie an seinem Odoardo gewesen.

»So innig wie ein Sehendgewordener zum Himmel aufblickt, so umflatterten und küßten Giorgios Blicke gleichsam das Antlitz seines lautern Kindes. Alles, was früher war, dünkte ihn wie Staub und Tod. Jetzt kam das Leben, denn jetzt kam das wahre, warme Lieben.

»Und nun hob Odoardo an, gerade von der Liebe zu Gott dem Vater und zum Menschen, dem Vaterskind, unserm lieben Bruder, zu reden. Zu reden? Nein, das war Musik. Das kam vom seligen Franz her, das waren Strahlen aus seinem Sonnengesang.

»Es gebe noch etwas, viel röter und blühender als das Morgen- und Abendrot, greifbar und fühlbar nicht bloß alle Seelen, sondern auch das elendeste irdene Geschirr durchleuchtend, nie veraltend, nie Farbe verlierend, im Gegenteil immer tiefer leuchtend: die Liebe. In solcher Liebe sei der Himmel zum heiligen Franz niedergestiegen und habe ihm die fünf Wundmale des Herrn eingeprägt. Die blühten wie keine irdische Rose. Dagegen sei das Rot des Herrn Dunkel eher katzengrau. Exzellenz solle verzeihen, Odoardo verneigte sich gegen die Stelle, wo das Fauchen und Schwanzpeitschen wieder anfing, – aber es sei einmal so. Er, Odoardo, mache den gefälligen Vorschlag, daß sie drei zusammen nach Assisi zögen und sich davon überzeugten.

»Es möge sein, es möge ganz wohl sein, keifte der Hinkebein. Er widerrede gar nicht. Aber er mache auch keine nutzlosen Wallfahrten. Denn er müsse wiederholen, hier handle es sich einzig um ein Rot für Mastro Giorgios Gewerbe. Wenn der Meister jene Fünfwundenglut ins Glas zaubere, gut, dann wolle er abdanken. Aber das sei so unmöglich wie mit dem Blitz schreiben.

»Doch wieder entgegnete Odoardo, im Vertrage stehe einfach, falls ein besseres Rot erfunden, d. h. gefunden werde. Dies sei nun der Fall. Der Bettelkönig Franz habe es mit des Himmels Gnade vor just einem Jahre am 14. September erfunden und damit basta.

»›Nein, nicht basta‹, fauchte es.

»Entzückt schaute Giorgio seinen kühnen Sohn an. Er fühlte, wie ein Strom von heißer, noch nie empfundener Zärtlichkeit ihn durchwogte, wie sein Welt- und Lebensbild, nachdem es sich so schmählich lange Zeit in ein paar Majoliken und in ein sattes rotes Färblein verkrüppelt hatte, sich ihm in dieser Gnadenstunde unendlich erweiterte und erhöhte, wie er am liebsten Odoardo am Arm genommen, sein glühes Geschirr zu Scherben getreten und sich mit dem Sohne als liebedürstender, liebeschmeckender Jünger dem heiligen Franz angeschlossen hätte. So furchtbar lange war er kalt wie ein nie geheizter Ofen gewesen. Jetzt kam das Feuer so stürmisch, daß es ihn fast zersprengte. Seine Seele war unter Glas und Ton erwacht. Es hatte mit der Angst vor dem Teufel begonnen und ging jetzt in die Freude und in den Mut zu Gott über.

»›Komm, du mein Trost‹, rief er Odoardo zu. ›Wir gehen zum Santo und küssen seine heiligen Male. Und das übrige ist bei Gott, dem Wunderwirker. Und wenn du anständig tust, nicht knurrst, noch bellst, darfst du mitkommen. du da!‹ lachte Giorgio gemütlich zur Seite, wo er den Gottseibeiuns vermutete.

»Und wie der Zottige sich auch sperrte, tobte und zähnefletschte, vor Mitternacht, bei schwachem Mond und lauer Luft ritten Vater und Sohn gegen Assisi hinunter. Sie nahmen den Weg über Urbino und erreichten bei Bosco den muntern Tiber, fast vor den Toren Perugias. Da übernachteten sie. Hinter ihnen trottete sterbensunfroh der Höllenhund und dachte, das sollte ihm jetzt noch widerfahren, nach den Urbinern und Pesarern auch noch den Kuckucksdank von diesem Gubbier Kerl!

»Als sie frühmorgens das Tal durchqueren wollten, hielt sie ein vermummter Pestbruder an und sagte, die Seuche verheere das linke Tibergelände, und Assisi und die hinteren Ortschaften seien gesperrt. – ›Aber vor einer Woche war noch kein krankes Bein da herum‹, widersprach Odoardo. – ›O, die Pest reitet schnell‹, kam es zurück. ›Hört ihr denn nicht die Totenglocken läuten? – In der Tat, talauf, talab brummte es von den Kirchtürmen. Da schlug der hartgesottene Jüngling ein Kreuz. ›Au‹, schrie es hinter ihm, als hätte der Hund sich in den Schwanz gebissen. Das ganze Truggebilde war verschwunden.

»Indessen stolperten die Pferde jeden Augenblick über ein Hindernis, die Hufeisen lotterten, man verlor viel Zeit in den Wiesen von Pentimento, so nannte man die Flur vor dem Chiggiafluß. Sie war durch die Regengüsse überschwemmt. Bei der damaligen San-Vittore-Brücke arbeiteten die Maurer, um die geborstenen Bögen vorläufig mit Pfählen und Latten zu ersetzen. Der Vorarbeiter lüpfte die Mütze und rief: ›Durchgang unmöglich!‹ – Wütend schossen die grauen Bergwasser zwischen dem Getrümmer talab. Aber zum zweitenmal schlug Odoardo ein Kreuz, und siehe, da stand nur noch der Brückenwart, erhob den Zoll und führte mit sorglicher Hand Reiter um Reiter über den geflickten Steg. Der Teufel aber, dem all sein Genie nichts frommte, stürzte sich, statt über die Bretter zu laufen, vor heller Wut ins schmutzige Wasser. Denn es zischte und rauchte, als fiele eine ganze Feuersbrunst in den Fluß. ›Wohl bekomm's!‹ lachten die zwei Andreoli.

»Sie gelangten nun an den Abhang des Städtchens Assisi, der unten gegen den Talboden bewaldet war und die einfachen Hütten des heiligen Franz auf jener Lichtung barg, die man bald die Portiunkulawiese nannte. Aber wie sie zum Kirchlein strebten, kam ein Bettelmönch, der Bruder Wachholder, den Pilgern eilig entgegen, verwehrte mit freundlicher Geste den Weg und erzählte, Vater Franz liege schwerkrank danieder und wolle und dürfe mit niemand sprechen. Sie sollten in einer Woche wiederkommen.

»›Aber Bruder Juniperus,‹ fragte Odoardo mißtrauisch, ›wo hast du das Kreuzlein, das doch immer in deinem Gürtel steckt?‹

»Der Frate verzog unschön das Gesicht.

»›Und warum sagst du nicht wie üblich: Gelobt sei Jesus Christus!‹

»Jetzt verzerrte sich das Mönchsbild zu einer Grimasse.

»›So nimm denn mein Kreuzlein‹, forderte der Jüngling immer sicherer.

»Da barst der Spuk auseinander, und sie konnten ruhig zur begrasten Kirchenschwelle treten, wo der heilige Franz in der Sonne ruhte und der echte Bruder Wacholder ihm gerade die Verbände an den Händen und Füßen löste. Denn es war der vierzehnte des Herbstmonats, der Jahrestag des schmerzlichsüßen Wunders, das Gott und Gottesliebe ihm angetan hatten.

»Als die zwei Gubbier ganz hinzutreten wollten, bedünkte sie nicht nur, es zerre sie etwas von hinten an den Mänteln mit sieben Mäulern und Krallen verzweifelt rückwärts, sondern auch Bruder Wachholder gab ihnen mit einer deutlichen Miene zu verstehen, sie sollten den verzückten Franz jetzt nicht stören, sondern in seinem stillen Himmelsgespräch mit Gott allein lassen. Und wirklich, der selige Mann sah nicht wie ein Mensch aus, so blaß, schwach und mit schwitzend schwarzem Haar er auch dalag, vielmehr wie etwas Erd-Enteiltes, Wolkendurchflogenes, Himmeldurchschauertes. So mochte Stephanus, der berühmte Diakon, im Sterbstündlein ausgesehen haben, als sich vor seinem begeisterten Blick die ganze Pracht des Himmels öffnete.

»Verlegen guckte Mastro Giorgio hin und her und bemerkte sogleich, daß sie nicht allein seien. Hinter Weiden und Buchenbüschen sahen Gruppen von Pilgern, Verehrer Franzens und auch ein sehr großer, schmutziger Rest von Neugier hervor. Da waren Zweifler und Spötter neben den innigst Knienden, rohe Bauern und schmale, steinharte Aristokratenherren, Geistliche, die Tränen vergossen, andere, die von Zauberei und Sensationsmacherei munkelten, und im unansehnlichen Reisemantel stand an einer Steineiche der Kardinal Ugolino und hätte am liebsten Franzens derbe Kutte angezogen und dafür den Bettler da mit seinem Purpur umwickelt. –

»Aus den offenen Fenstern des Klosters blickten verstohlen die Brüder heraus, um wenigstens von ferne beim geliebten Vater zu sein. Da sah man den feinen, aber sonngebräunten Bernhard von Quintavalle, den massigen Bruder Masseo, das Lämmchengesicht des Bruders Leone und andere in tiefster Beschauung, als müßte nochmals ein Wunder geschehen. Ja, die Erwartung eines Wunders zitterte über den ganzen Platz, machte das Gras leise beben, die Tannen, Pappeln, Oliven erschauern und selbst das kecke Gevögel still auf den äußersten Zweigen verharren.

»Der Meister wußte nicht, wollte er hier gleich ins Gras knien oder sich zu den Leuten im Busch verstecken. Da zerrte der Teufel wieder erbärmlich von hinten, ganz wie ein Hund, der seinen Herrn in die größte Gefahr rennen sieht. Zornig schlug Don Giorgio mit seinen Reitstiefeln hintenaus, zweimal, dreimal, zehnmal, und hieb mit dem Peitschenstiel rückwärts. Besonders die Schwünge des gespornten Stiefels schienen ein Weilchen zu fruchten. Aber dann begann das Winseln und Reißen und Dreinhauen wieder, so daß auch die Pilger schließlich aufmerkten.

»Indessen zog Odoardo eine durchsichtig helle Kristallschale unter dem Gewand hervor. Da merkte Bruder Juniperus, daß es sich um etwas Ungewöhnliches handle, und halb mit, halb gegen seinen Willen entfuhr ihm: ›Frate Odoardo ist mit seinem Vater da.‹ Frate nannten die Brüder den jungen Gubbier schon lange, da ihm dazu ja nur noch das Habit fehlte.

»Bei diesen Worten senkte Franz das himmelerhobene Auge, erblickte das Gubbierpaar und lächelte es einladend an. Da traten sie tapfer herzu.

»Der Bruder hatte bereits die Verbände von den Händen gelöst, die Franz nun sehnsüchtig ausstreckte, als wolle er alles an die Brust drücken und dann gleich damit in die Höhen schweben. Auch den linken Fuß hatte Juniperus entblößt und wickelte jetzt den rechten los. Über die Seitenwunde hatte er eine weiße Binde gezogen. Denn Franzens keusche Demut duldete nicht einmal so viel Entblößung. Aber die Wunde glühte in unbegreiflichem Purpur durch das Linnen.

»Bei jeder Entblößung rieselte ein Blutbächlein ins Gras, und jedesmal dachten die Jünger und Ottavio mit ihnen: ›Wie schade um diesen kostbaren Saft! Mögen die schönsten Blumen entspringen, viel besser wäre es doch, diesen Tau zur Heilung der armen Menschheit aufzufangen.‹ Jeder Tropfen, der sich da in die Erde verlor, tat ihnen mehr weh, als dem schlimmsten Geizhals ein entschlüpftes Goldstück.

»Aber auch Mastro Giorgio riß die übernächtigen Augen immer weiter auf. Das rieselte ja wie geschmolzenes Gold, was sage ich, wie flüssiges Morgenrot, nein, noch köstlicher, tiefer, feuriger aus den blassen Gliedern. So ein Rot hatte noch niemand erblickt. Das schlug alle erdenkbare Farbenglut tot.

»Es sott in ihm das Blut. Künstlerbegeisterung, Farbenrausch erfaßte ihn. Er dachte nicht mehr an den Teufel, noch an den Heiligen, sondern nur an dieses unbegreifliche Rot, riß dem Sohn die Schale aus der Hand, kniete vor Franz nieder und ließ das Blutbächlein in sein Geschirr träufeln. Das geschah schnell wie der Blitz, niemand konnte es hindern. Und hastig schwang er die Schale in die Höhe und zeigte sie allum. Sie zuckte in Millionen Strahlen und brannte wie die heißeste Abendsonne.

»›Das roteste Rot,‹ schrie er wild, ›über Pesaro und Urbino, über mich und allen Teufel hinaus rot!‹

»Sowie er den Namen seines schwarzen Tyrannen ausgerufen hatte, kam ihm sogleich wieder seine Lage und die Absicht der Wallfahrt in den Sinn. Aber die Verzauberung wäre wohl zu mächtig gewesen, wenn den Verirrten nicht eben jetzt der durchdringend klare, gütige Blick Franzens getroffen hätte, ein Blick, der so liebreich sagte: ›Armer Schwärmer! Und deine Seele? Deine Seele über alle roten Sonnen köstlich! Gib doch acht auf sie!‹

»Die Mönche in den Fenstern, das Volk im Wäldchen, die Vögel im Geäst, alles reckte die Hälse, würgte an einem Schrei und fand den Atem vor Schauensnot nicht mehr. Jetzt hörte man durch die Totenstille jene ruhige, tröstliche, zarte Stimme, wie sie nur Franz gleich einer Orgel spielte. Deutlich hörte man sie sagen: ›Gemeines, sündiges Blut! Schütt es aus, schütt es sogleich aus, mein Sohn.‹

»Das traf den Meister wie ein Herzschlag. Wie, dieses Gold, dieses Himmelsrot, diese über Welt und Unterwelt siegende Farbe? Wie, diese Rettung seiner Seele vor dem Satan? Um deswillen war er ja daher gereist. Wenn er diesen Saft nicht behielt, war er verloren. Verstört, an allen Gliedern bebend, mit todraurigem Auge stand er da und krampfte die Schale fest.

»›Schütt' es aus!‹ gebot Franz noch milder und bezwingender. ›Vertrau' und wirf alle Eitelkeit weg! Nur Gott, nur Liebe, nichts anderes!‹

»Das wirkte überwältigend. Noch einen Moment zauderte Giorgio. Dann blickte er auf diesen Heiligen, der nur Freude und Liebe war und der im Himmel viel mehr als auf Erden daheim schien. Er ertrank sozusagen in den himmlischen Blicken Franzens und fühlte dabei, wie seine Seele sich losmachte vom schönsten Rot und von Hölle und Höllenangst, wie er nur noch eines empfand, lieben zu können, lieben zu dürfen wie dieser Santo, und dann stürze alles zusammen und komme, was wolle, einerlei. Und jetzt, in diesem unendlichen Schwung seines ganzen Menschen schleuderte er das Blut übers Gras und wollte auch das Geschirr zu Boden schmettern und kindlich stottern: ›So, Heiliger, und was soll ich jetzt?‹

»Aber er kam nicht zu Worte. Die Schale in seiner Rechten leuchtete weiter wie eine Sonne, obwohl kein Tropfen Blutes mehr darin klebte. Ja, immer noch ein tieferes Gefunkel sammelte sich im Kristall, von einem unglaublichen Purpur in einen noch unglaublicheren hinab, so wie man beim Untergang der Sonne meint, jetzt, jetzt ist sie am rötesten und sie doch noch röter wird. Doch hier war kein Sonnenuntergang. Diese Schale verkündete Sonnenaufgang ringsum in allen Zuschauern und vornehmlich in Mastro Giorgio. So wie er das Glas in die Höhe hob, ward es auf einmal allen klar, das sei keine gewöhnliche Trinkschale, das sei das Menschenherz voll Opferliebe und Ewigkeitsdurst, es sei das Bild der von Gottesliebe und Gottesheimweh durchsonnten Menschheit.

»Das spürten alle wie in einer Pfingstoffenbarung. Alle fühlten eine kleine Feuerzunge in ihre Seele schweben, alle merkten, daß sie bisher wenig an dieses Rot geleistet hatten. Jene argwöhnischen Priester fielen aufs Knie, jene Grafen lehnten sich brüderlich an die Bauern, und diese dachten nicht mehr an falsche Unterwürfigkeit, sondern Du und Ihr mit der gleichen Herzlichkeit. Die Vögel pfiffen wie trunken aus den Dolden herab, und vom bretternen Klostergang erscholl ein Choral der Mönche. Sie sangen das Sonnenlied ihres Meisters. Und das Volk summte mit und klopfte an die Brust, und in diesem frommen Lärm merkte niemand als der Mastro Giorgio, wie es noch einmal verzweifelt am Mantelsaum riß, den Schuh ins Gefräß bekam und verröchelnd endete. Und in diesem Augenblick war Don Giorgio buchstäblich drei Zoll größer geworden, so lebensfroh reckte er sich aus seiner langen, elenden Gepreßtheit in die Höhe. Seine Seele aber war nicht nur um drei Zoll, sondern um ein Unendliches, um die franziskanische Liebe größer geworden.

»Odoardo nahm die Kutte. Der Meister hingegen verkaufte seine Werkstatt, siedelte sich im Assisistädtchen an und half gar oft den hungernden und frierenden Armutssöhnen mit seinen Almosen aus. Er gab sich nicht mehr mit Glasfärberei ab, sondern goß Kelche für das Blut Christi und Schalen für die Hostien, und eine wackere Goldschmiedgilde stammt von ihm ab und füllte eine ganze Gasse mit ihrer Kunst, bis die ewigen Kriege und Zerstörungen und die daherige Verarmung auch dieses Gewerbe nach und nach im Moder begrub.

»Aber dieses Kneten und Klauben und Pochen in Gold oder Silber füllte lediglich Giorgios Vormittag aus. Nach dem Minestrone und dem Krüglein Chianti legte der Meister sich aufs rechte Ohr, bis die zwei heißen, schläfrigen Stunden des Nachmittags vorbei waren.

»Um die vier griff er dann zu einem geringern Stoff. Aus billigem Lehm drillte und brannte er dann weite Tassen und tiefe Teller, Schüsseln und Henkeltöpfe und glasierte sie weiß und blau und rot und schnörkelte ein großes Wort darauf wie Amore oder Carità oder Fratellanza. Und abends, wenn die Gassen im ersten Dunkel lagen, ließ er sich vom Bauern Giuseppe Corni die Gefäße mit Milch, Wein, Eiern und süßer Butter füllen und trug sie mit seinem bekutteten Sohn oder sonst einem gutherzigen Kameraden leisen Fußes und milden Blickes in die Kammern der Armut, Gebrechen und Sünde.

»Und wenn jene Menschen das Geschirr geleert und sauber geputzt und bewundert hatten und es errötend zurückgaben, dann sagte er: ›Behaltet es nur und leset das Wort darauf und laßt mich wiederkommen und mit euch davon plaudern.‹

»Und so hausierte er unentgeltlich mit seiner Liebe und machte viele Traurige froh. Und dieses irdene Geschirr freute ihn mehr als die einstigen roten Herrlichkeiten, ja mehr als der feinste Altarkelch. Aber auch diese irdene Ware ist verscherbelt und vom Staub und Dunkel der Jahrhunderte verschüttet worden.

»Aber kein Staub ist so dicht und kein Dunkel so schwarz, daß nicht jene franziskanische Purpurschale La Rivincita – die Vergeltung genannt – mächtig durch alle Zeit leuchtete. Dieses Leuchten sagte: ›Die Sonne ist stärker als die Nacht, die Liebe ist stärker als die Sünde, der Himmel ist stärker als die Hölle, das Gute ist näher als das Böse. Immer heißt es wieder: Es werde Licht, und es ward Licht!‹ Das ist der Trost der Weltgeschichte.«

*

So klang die Erzählung von Mastro Giorgio zwischen Busch und Stein im mageren Bett des Metaurus.

Der Polizist hat die Geschichte kürzer erzählt, schöner, markiger. Ich habe sie beim Niederschreiben verwässert, indem ich bewußt und unbewußt meine Gedanken in die Legende schmuggelte. Das ist ja das Heil wie Unheil des Geschichtenschreibers. Aber ein leises Funkeln, hoff' ich doch, blinzle von jenem purpurnen Kristall noch in diesen armen Abklatsch eines unvergeßlichen umbrischen Stündleins.

»Wo ist denn jetzt diese Schale?« fragte ich im Hinausschreiten zum Hügelstädtchen. »Kann man sie sehen?«

»Das ist das Traurige, niemand will wissen, wo sie sich befindet«, erwiderte der Carabiniere. »Im Stadthaus zeigt man eine Schale. Viele glauben, es sei die echte. Aber die Farbe kommt mir verblüht vor, und dann ist es nicht Kristall.«

»Kristall oder Ton oder was, das wäre doch Nebensache«, meinte ich. »Das Licht ist die Hauptsache.«

»Man meint, in den Wirren habe ein Kloster oder ein Bischof oder gar ein schlauer Sammler das Geschirr versteckt. Weiß ich warum? Sei es, wer es wolle, mich dünkt das Diebstahl. Was denken Sie dazu?«

›Ach,‹ dachte ich, ›schließlich ist es doch auch nur ein irdisches Geschirr, eine Scherbe mit einem Schein von Ewigkeit daran, nicht mehr. Es hatte eine augenblickliche Aufgabe und hat sie damals tüchtig erfüllt. Wenn so was verlorengeht oder selbstsüchtig von einem geizigen Frömmling versteckt wird, nun, was macht das? Jenes ewige Rot soll doch eigentlich weniger im Geschirr, woraus wir trinken, als in uns Trinkenden brennen. Und auf solche Menschengeschirre hatte es Franz abgesehen.‹ – Und ich fing an, mein Geschirr der Seele zu prüfen. O wie viel farbloses Glas, o wie wenig Glut!

»Was denken Sie dazu?« wiederholte der Polizist und knöpfte zu und glättete die schöne Uniform, denn wir kamen in die Via Gabrielli, wo viele Frauen und Mädchen an den Gesimsen oder Söllern lehnten und er eifrig grüßte.

»Ich denke, dieses Rot, von dem Sie mir ein so hübsches Histörchen erzählt haben, dürfe auf allen Majoliken erlöschen, wenn es nur in uns brenne.«

»Sind Sie Priester?« fragte die Uniform erstaunt.

»Ich möchte, ich sollte, ich hoffe . . .«

»Ah,« lächelte er, »ich verstehe.«

Hatte er wirklich verstanden? Habe ich selber recht verstanden? O Gott, wie ist die wahre Liebe, von der es doch heißt, sie komme von selbst wie Wind und Sonnenschein, wie ist sie sogar nach einem solchen Wunder noch so schwer zu verstehen . . .

. . . Am folgenden Vormittag zwischen elf und zwölf saß ich mit Freund Arnaldo, dem spitzigen Advokaten, an einem Morgenschöpplein oben an der Piazza della Signoria. Der Carabiniere von gestern setzte sich bald herzu. Er habe hier, spaßte er, wo sich weitaus am meisten Volk ansammle, den richtigsten Platz gewählt, um das Verbrechen zu belauern und gleich am Schopf zu fassen.

Da erzählte ich Arnaldo die Legende von der roten Schale. Er kannte sie schon. Dennoch hörte er mit italienischer Höflichkeit zu, lächelte geduldig und sagte zuletzt mit einer jener geheimnisvollen Runzeln, die Anwälte so wichtig über der Nase rümpfen: »Aber ich muß dennoch bei allem Respekt vor dem Wunder feststellen, daß der Kontrakt mit dem Teufel rechtlich nicht gelöst und Euer guter Mastro Giorgio, juristisch genommen, eigentlich noch immer mit seiner Seele haftbar war.«

»Wieso das?« fuhren wir schier beleidigt auf. – »Das sind so Eure Juristenkniffe.«

»Gar nicht! Reine Wahrheit. Überlegt selber: Nach dem Vertrag handelt es sich nicht um das schönste Rot am Himmel oder an einem verzückten Heiligen, sondern lediglich um die beste rote Farbe für Giorgios Majoliken. Da nützte diese einzige Blutschale gar nichts. Er konnte wohl auch nicht dem heiligen Franz gewerbsmäßig Blut abzapfen. Außerdem, das Wunder ist etwas Rares. Es wiederholt sich nicht Tag für Tag wie ein Geschäft. Darum hat ja der Meister Andreoli auch später gar nicht mehr gewagt, rotes Geschirr zu modeln, der Fuchs, er wurde Goldschmied.«

»Wer weiß, die Liebe, die ihn nun durchflutete, hätte . . .«

»Die Liebe ist kein Färbemittel, Freund. Nein, nach dem Kontrakt wäre Giorgio noch immer haftbar gewesen. Juristisch behielt der Teufel recht. Er war ein Narr, das Spiel so früh aufzugeben . . .«

»Aber im Zivilrecht steht doch, wenn die eine Partei ihre Klage und Rechte aufgebe, so werde die andere von selbst frei.«

»Schon, schon! Ich behaupte nur, wenn Euer Herr Dunkel auf dem Buchstaben beharrt hätte, wäre Giorgio trotz dem heiligen Franz verdammt.«

»Und die Liebe?«

»Kommt im Zivilrecht nicht vor.«

»Oho!«

»Gewiß nicht.«

»Und ich sage, die Liebe schlägt Eure ganze Juristerei und Kasuistik tot. Sogar Euer feinstes Vorbild, der Teufel, sah das ein. Er gäbe doch die Partie nicht auf, solange er noch den kleinsten Stein auf dem Brett hat.«

»Dann verstehe ich nicht«, sagte Arnaldo liebenswürdig ausweichend, »nein, dann . . .«

»Ja, du verstehst nicht, und der Polizist hier versteht nicht, und ich verstehe ebensowenig. was die große, ewige Liebe vermag. Aber wir wollen uns wenigstens nicht mit diesem Nichtverstehen brüsten, sondern bescheiden warten, bis wir verstehen. So ein Geschichtlein hilft uns vielleicht ein bißchen vorwärts. Und nun stoßen wir an, Polizei, Jurisprudenz und ich Papierkleckser, auf den famosen Mastro und . . . auf seine prachtvollen Stiefelabsätze.«

Wir tranken den köstlichen gelben Chianti, von dem so wenige nordische Menschen etwas wissen und der so gut und fröhlich macht.

Vor uns lief das rüstige Gubbiervölklein, das schon einen Tropfen Berglerblut in den Adern hat, aus dem Häusergewirr zu uns herauf und strömte wieder bergab und sang, indem es sprach und lachte. Neben uns klafterte ein ungeheures Palazzo des Mittelalters, im Rücken schlug die Domuhr schnarrend, unter uns die Dächer der steilen Stadt, noch tiefer das milde Tal mit dem bronzegrünen Urbinergebirge jenseits.

Ich schaute, trank, philosophierte, schwärmte und weiß heute noch kein so seliges italienisches Wanderstündlein wie dieses da zwischen Teufel und Santo, Advokat und Carabiniere, Mastro Giorgios Geschirr und meinem goldgelben Wein, irdisch froh und doch durchflutet von einer Ahnung jener Liebe, die über allen Menschennöten und Menschenfreuden so unveränderlich und hoch steht wie der Himmel über der Erde.


 << zurück weiter >>