Heinrich Federer
Unter südlichen Sonnen und Menschen
Heinrich Federer

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Und als käme ich von einer Wiege, so leicht schritt ich an jenem Abend durch die laternenhelle Straße und ihr gedrängtes Volk. Und nur der Gedanke, daß ich jetzt vom lieben deutschen Tännchen, aus dem ein Paradiesvogel gesungen, nun zu einem italienischen Christbaum gehen sollte, in dem zänkische Elstern keiften, verlangsamte nach und nach meine Schritte.

Die leichtgenähte Figur des jungen Redakteurs schwebte mir besonders lebhaft vor. Er kam, obwohl ursprünglich Slawe, wie Niccolo Maggiolinis Vater aus einem Sabinerstädtchen, wo die Menschen scheinbar so steinig sind und doch jedem Drucke nachgeben. Er war durch und durch ein Krämer, und es fehlte ihm nur das Kapital, um sich rasch in hohe Ziffern hinaufzuschaffen. Da er auch gerne räsonnierte, wie alle echten Sabiner Mundstücke, so griff er als stellenloser Abiturient des Lyzeums mit beiden Händen zu, als ihm der erkrankte Barnabi gegen eine geringe Abfindung die Redaktion des »Mondguck« überließ. Maggiolini war mit blauen Geldscheinen beigestanden. Stefano gab dem Blatte sofort einen andern geheimnisvolleren Namen, und er hatte die erste Zeit ziemlich Erfolg mit dem Blättchen. Als dann aber der Reiz der Neuheit abgestumpft und immer noch nichts aus dieser »Dämmerung«, weder Tag, noch Nacht sich herausgebildet hatte, nahm seine Schwungkraft ab, und die kleine Zeitung ruderte mit schwachen Federn wie eine kranke Wildente nur noch wenig über dem Boden hin. Sie mußte es wohl bald aufgeben.

Obwohl der künftige Schwiegervater den Redakteur immer wieder aufmunterte und ihm Zuschüsse hinschob, dachte der gewitzigte Stefano an nichts anderes, als gleich nach der Hochzeit die Mitgift der Frau in ein photographisches Atelier zu werfen, wie solche damals in Rom aufblühten und wofür Stefano ein vorzügliches Geschick besaß. Denn er knipste Erde, Mensch und Tier auf eine so verschmitzte Art ab, daß die Bilder zweimal schöner als das Original wurden.

Von diesem Plan durfte er freilich dem Bäckermeister nichts sagen. Niccolos ehrsüchtige Seele hing vor allem an diesem Blättchen, in dem wie in einem offiziellen Leiborgan seine Ansichten und originellen Aussprüche gar oft durch Stefanos Feder in die Öffentlichkeit getragen wurden. Der arme Stefano! Er war froh um jeden noch so barocken Gedanken, den ihm der Bäcker zurechtknetete. Aber ohne das Blatt konnte ihm Stefano trotz der Väterfreundschaft gestohlen werden. Er wollte mehr das Blatt als den Redakteur in seine Familie hineinheiraten lassen.

»Das ist unser zweiter Backofen«, sagte er oft seinem Schützling. »Da unten liefere ich der Stadt Brot für den Leib, und oben in deinem Büro wollen wir ihr durch deinen Crepuscolo auch etwas für den Geist backen. Nicht vom Brot allein lebt der Mensch . . . du kennst das Wort . . .«

*

Gegen zehn Uhr klomm ich die steilen Treppen des Maggiolinihauses zum obersten Stock fast wie in einem Turm empor. Schon dieses alte, dicke Haus, wovon drei Stockwerke teuer vermietet waren, stellte ein beträchtliches Vermögen dar. Der kleine Saal, Salotto, wie sie ihn nannten. war leer. So schien mir wenigstens. Ich öffnete sogleich das Fenster und sah in das Gewimmel der Straße hinunter. Über die Dächer zog das bekannte, im Winter oft rauhe Seelüftchen vom Meer herauf und ließ die Wäsche auf den Nachbarszinnen gemächlich hin- und herschwanken. Fast alle Fenster gegenüber standen offen. Ich sah in ein buntes Kammerleben. Schräg unter mir hopsten drei, vier Kinder im Hemde über die Stühle. Genau unter diesem Gepolter saß ein glatzköpfiger, junger Mann am Fensterpult, tupfte und tupfte mit einem Stift über Rechnungstabellen hinunter und griff mit der Linken in der Luft herum nach einem dampfenden Glase, das nebenan stand, ohne es zu fassen. Gegenüber kauerten zwei Jungfern ausgangsbereit übers Gesimse und schienen auf ein Signal zu warten. Sie klatschten ununterbrochen mit der lauten, wehrhaften Stimme römischer Lehrerinnen und lasen gleich mir im rauschenden Buche der Straße tief unten.

Es war aber auch unterhaltlich, in die enge Gasse zu forschen, durch die sich das schwärmende Volk gegen die nächste Piazza drängte oder von dort hereindrückte. Es klang in mein Ohr wie das Gewässer eines tiefen Bergflusses aus einem Tobel herauf. Hie und da schoß ein helles Si! Si! wie ein silberner Spritzer in die Höhe, oder es rollte ein tiefes Ahaaha wie die breite, schwere Grundwelle durch das Bett dieses Menschenstromes. Körbe, Blumensträuße, weiße Schärpen und Zeitungen schwammen wie von selbst mit. Ein Wagen, und der grelle Pfiff des Kutschers schnitt sich durch. Er hinterließ keine Furche, so rasch flossen die lebendigen Wogen hinter ihm zusammen. Die bekannten Blätter wurden ausgerufen. Wie kleine, weiße Fahnen flatterten diese Secolo und Corriere della Sera empor und versanken wieder. Die Läden zu ebener Erde waren alle noch offen. Besonders die Bäckerei, schwindelnd senkrecht unter mir, die doch um zehn Uhr schließen wollte, erfreute sich noch eines regen Zuspruchs.

Aber trotz des bunten Wirbels da unten schien mir doch, als ob dieser Menschenstrom etwas unendlich Schweres, Träges sei. Er klebte am Boden, er war noch ohne Flügel, ein Wurm. Und gleich fiel mir ein, wie hübsch das wäre, wenn Vrenelis Seele wie ein weißer Riesenschmetterling über dieser dumpfen Masse schwebte und dieses erdversunkene Treiben aufschauen machte.

Jetzt fuhr mir ein Luftzug über den Rücken. Es war jemand in die Stube getreten und redete tüchtig drauf los. Ach, da saß ja Stefano in der Ecke und zog gerade die frische Nummer seines Crepuscolo aus der Mappe. Frau Amelia warf ein prachtvolles, handgewobenes Linnen über den Eßtisch, eiferte dazu im Sabinerdialekt um etwas Dringliches und schoß jetzt graziös, aber heftig wie eine Wespe die Länge des Salotto auf und ab. Ich reichte beiden die Hand und empfing von Stefano das noch feuchte, ganz entsetzlich nach Druckerschwärze stinkende Blättchen. Siamo lieti! stand wurstig dick über dem Leitartikel. Lasset uns froh sein! Natürlich, so ein Bräutigam!

Es ist schwer, dieses halb verschluckte, halb verstümmelte Italienisch der hintern Sabiner zu verstehen. Aber mein hartes Ohr hatte nach und nach doch einige Übung darin gewonnen, und die Neugier schafft neue Talente. Ich setzte mich hinter die Zeitung, lesend und lauschend, wie's gerade kam.

. . . Es ist ein Tag im Jahr, begann der Artikel, wo man alles Unliebe vergessen und seine Herzkammer ganz allein der Sympathie reservieren muß. Man ziehe einen neuen Rock und neue Schuhe an und schlüpfe selber auch als neuer Mensch hinein . . .

»Das hättest du schon lange merken müssen«, sprudelte indessen Amelia heraus. Ah, wie sie hoch den Scheitel hob, während sie unten im Erdgeschoß sich so tief duckte! Hier oben herrschte sie, hier war ihr Reich. Und hier, nicht in der Bäckerei, sollte das Mariage-Spiel ausgetrumpft werden.

»Wo hattest du deine hübschen Augen, süßer Junge?« spottete sie. »Hat Agata eine einzige Zeitung von dir je in die Finger genommen? Sie haßt die Federfuchser. Sie sagt, eine Zeitung sei nicht besser als ein verbrauchtes Fazzoletto.«

»Aber sie heiratet mich, nicht die Zeitung!«

»Wenn du ein richtiger Redakteur bist, so wirst du auch eins mit deinem Blatt. Nicht einmal deine Frau dürfte zwischen euch zwei stehen.«

»Ho, ho«, bat Stefano. »Und Niccolo? Niccolo macht . . .«

»Mein Mann macht Brot, aber keine dummen Hochzeiten.«

»Ihm scheint sie sehr gescheit. Wartet nur, Tante, bis er heraufkommt! Noch gestern . . .«

»Paperlapa! Was kann mein Mann dir geben? Worte! Das tut er ja. Und Geld? Das tut er, mein' ich, auch!«

»Tante, bitte . . .«

»Aber er kann dir doch nicht das Herz der Agata auftun wie einen Geldbeutel. Er kann ihr doch nicht Liebe einblasen. Stefano, Stefano, muß man dir das noch sagen? Pfui doch, ein Mädchen erbetteln, das dir den Rücken kehrt!«

»Niccolo wird . . .«

»Sieh, Bürschchen,« drohte die kleine Frau und schlug die weißen Schürzenzipfel zusammen, »wenn Niccolo wüßte, wie es eigentlich mit deiner Redaktion steht! Daß du die Hälfte der Abonnenten verloren hast, daß die meisten Artikel arme Studenten schreiben, daß du am liebsten den Tintenhafen ausgössest, he, wie wäre es? Und wenn er gar wüßte, daß du so unschmackhaft lau bist . . .«

»Tante Amelia, um Gottes willen . . .«

»Ja, daß du nicht kalt und nicht warm bist, kein königlicher und kein Republikaner . . .«

»Aber er ist ja auch so!«

»Das weiß ich nicht, das geht mich nichts an. Aber er glaubt wenigstens, daß er heiß ist. Und er will einen Heißen um sich, nicht einen, der nur heiß tut. O armes Redakteurlein!« Sie stand vor ihm, sah ihn lachend von oben bis unten an und tänzelte dann fröhlich um den Tisch.

Mir aber tanzten nicht bloß ihre roten Samtpantöffelchen, sondern noch mehr die famosen Worte des Leitartikels vor den Augen. Denn da hieß es: Und als so ein neuer Mensch läßt man den Plunder des alten Jahres hinter sich, bereut alles Halbe und Unfertige, und nimmt sich vor, etwas Ganzes und Entschiedenes zu werden, ein Held, ein Märtyrer, ein Fahnenschwinger der Arbeit und der Barmherzigkeit, kurz, einer, der aus voller Seele ein Ideal liebt . . .

»Du weißt,« schalt Amelia weiter, »wie Niccolo wütet, wenn das Brot einmal zu wenig gesalzen ist. O, wenn er klar sähe, und das wird er einmal, sonst öffne ich, ich ihm die Augen, – aber wenn er klar sähe, was für ein ungesalzenes Papier deine Zeitung ist, ohne Zick und ohne Zack, daß du überhaupt nicht salzen kannst, weil du selbst kein Salz hast . . . hi hi hi . . . so ein ungesalzener Schwiegersohn, ich danke!«

So ein Ideal, orgelte es weiter durch die Druckzeile, heischt Mut und Kraft. Aber wozu wäre man ein Mann! Wozu hat man Faust und harte Stirn! und das Salz einer tapfern Überzeugung! als um es in den faulen Teig der Neutralität zu schleudern. Ein Ja wie ein Fels, ein Nein wie ein Fels! Und dazu eine große Liebe! Liebe kann Himmel und Erde erobern . . .

»Amelia, ich bitte dich . . .«, hörte ich Stefano rufen. Es war ihm nicht mehr geheuer. Sein hübsch gelocktes, tiefbraunes Stirnhaar glänzte von Schweiß.

»Und Agata liebt das Brot stark gesalzen. Sie würde schwach und krank bei deiner Kost. Sie liefe dir nach drei Tagen schon fort. Das alles weißt du übrigens. Wir Frauen haben dich deutlich gewarnt. Aber Niccolo schwatzt und schwatzt, und auf das hin willst du uns trotzen.«

Sie brach zornig auf ihn los, daß das schlanke Herrlein sich mit den flachen Händen an die Wand preßte und vor Unlust und Furcht die hübschen dunkeln Nasenlöcher blähte. Er war wirklich schön, zierlich wie aus Flaum und Seide; aber diese Schönheit sagte so gar nichts.

»He,« rief Amelia mit übermütigem Spaß, »sag' einmal ehrlich, kannst du wirklich da . . . da lieben?« – Sie klopfte ihm mit dem Zeigefingerknöchel fest aufs Herz. Es tönte wie auf Pappendeckel, denn sie traf gerade auf sein großes Notizbuch . . . »Und so lieben,« fuhr sie immer lustiger fort, »daß du mein Kind nähmest, wenn es nur zwei Soldi und zwei Fazzoletti brächte? Schau' mich an, Stefano, schau' mir gerade ins Auge! Kannst du ja sagen . . .?« Wieder klopfte sie, aber probierte jetzt auf der rechten Brustseite, und wieder scholl es von Pappendeckel. Denn hier trug Stefano Photographien in einem Kartonumschlag.

»O Mandonnina, ich muß lachen, lachen«, schrie sie und breitete komisch beide Arme weit in die Luft aus. »Da hört man es ja. Papier, Papier, statt Herz. Und das will von Liebe reden . . .! Wie er da steht, mein Schwiegersohn. Nun so antworte mir doch etwas, Caro mio, erdenke etwas!«

Sie hüpfte wieder, diese junggebliebene Frau, mit tänzelnden Pantoffeln und die Schürzenzipfel hochhebend, um den Tisch herum. Im Vorbeihuschen stieß sie absichtlich mit dem Ellbogen an meinen Stuhl. Das hieß: Was denkst du jetzt, guter Freund? Hab' ich's Euch nicht so vorausgesagt? Hier oben sind wir Weiber Meister.

Ich wagte nicht, vom Blatt aufzublicken, aber bemerkte doch, wie Stefano die neuen, steifen, schwarzen Hosen über dem Knie lüpfte, sich dann vorsichtig bückte und die weiße Rose vom Boden hob, die ihm durch Amelias Ungestüm aus dem Knopfloch gefallen war. Mich ergriffen Schadenfreude und Mitleid nacheinander. Im Artikel predigte es banal weiter:

Das Herz ist alles wert, nichts geht darüber. Zu Weihnachten merkt man das besser als sonst. Alles Rechnen und Wägen hört auf, der Verstand ergibt sich, Herz ist Trumpf. Ihm widersteht nichts, es erobert die Welt . . . siamo lieti!

Da stand er an der Wand, ohne ein Wort, ganz zerknittert . . . siamo lieti!

Amelia mit dem hübschen rosigen Nasengupf und den hellsten Schelmenaugen verspreizte sich wieder vor Stefano und sprach, die Hände in den Hüften, nun langsam, tropfenweise, Wort für Wort: »Ich hätte dir dieses Gespräch gerne geschenkt. Aber schon vorgestern warnte ich dich, und du ließest es dennoch darauf ankommen. In Gottes Namen, da hast du's!«

»Wie konnte ich denken, daß die Dinge so . . . so stehen?« jammerte Stefano endlich. Er brachte kaum die Lippen auseinander.

Die Frau ergriff jetzt seine beiden Hände schier mütterlich mitleidig und entgegnete: »Streiten wir nicht. Es ist einmal so. Du warst eben ganz in dich versessen und blind. Nun siehst du wohl, daß es dein größtes Unglück wäre, mit Agata zu leben. Sie würde dir eine rechte Hölle einheizen. Sie ist eine Wespe. Sie ließe dich keine Minute im Frieden.«

»O . . . so gar schlimm . . .«

»Doch, doch, so schlimm stände es und noch viel schlimmer. Wenn sie dir einen Kuß geben müßte, sie dächte dabei an eine andere Lippe . . .«

»Eine . . . andere . . . Lip . . .«

»Ja, blinder Bursche, du siehst eben nur in dich hinein, aber nicht aus dir heraus in die andern. Dein Wohlsein, Prosit! Sonst hättest du gewiß bemerkt, daß Agatas Kopf längst von einem andern Spitzbuben verdreht worden ist.«

»Ahi, doch nicht der . . . der . . . der Pinsel da unten, der Gesell, der Crispino . . .« Stefano knickte schmählich in den Hüften zusammen und schnappte nach Luft.

»Gerade der!«

»Aber der ist ja nur ein armer Zuckerbäckergehilfe . . .«

»Und du?«

»Lächerlich! Er malt mit Honig, so Fäden . . .«

»Und du mit Druckerschwärze, so Phrasen, ho!«

Stefano schwieg aufs innigste gekränkt.

»Ein Geselle, sagst du! Aber in ihm steckt schon der Meister. Niccolo kann sich zu Bette legen, kann morgen ruhig mit mir in die Campagna hinausfahren, Crispino besorgt alles, als wären wir daheim. – Und er ist etwa kein armer Schlucker wie du. Sein Vater hat was in den Schubladen. Er war auch Bäcker, aber in Mais- und Roggenbrot. Dem Sohn ist das zu grob. Er hat für die feinen Sachen Genie. Niccolo überläßt ihm die. Sogar die Santissimi Bambini, für die mein Mann doch berühmt ist, sogar die malt jetzt Crispino. Und wie . . .? Sie haben ja eines gekauft«, richtete sich die rasche Frau an mich.

»Sie sind meisterlich gemalt, so daß man sie fast nicht zu essen wagt«, bekannte ich gerne.

»Hörst du, so steht es, und ich habe nichts dagegen, wenn Agata so einen liebt. Das ist guter Geschmack. Sie ist doch auch die geborene Bäckersfrau, und unser Geschäft bleibt so in unsern Händen. Natürlich, Niccolo merkt nichts. Er ist ja exakt so blind wie du. Wie konnte er sonst euere Verlobungskarten drucken lassen? Ich glaube, er kann bald andere versenden, aber nicht zum Spaß!«

Stefano schluckte und würgte und schwieg. Er hatte jedoch seine elegante Haltung langsam wieder zurückgewonnen. Aber man sah, es schmeckte bitter, was er da einnehmen mußte. Frau Amelia dachte, jetzt sei es genug.

Sie musterte ihn ruhig vom Scheitel bis zum Fuß. Kein Zweifel, sein fast märchenhaft hübsches Gesicht, diese süße Wohlgestalt, dieses Zierliche und Sammethafte tat es auch ihr ein wenig an. Stefano war, solange man seine hohle, nüchterne Selbstsucht nicht kannte, für die Mädchen ein Prinz zum Küssen und Kosen. Er selbst aber hatte bei seiner frostigen Seele, die anderes suchte, nie danach gefahndet. Der künftigen Gattin würde er ein verläßlich treuer Ehemann sein.

»Eigentlich sollte ich jetzt sagen: Geh und sei anderswo glücklicher! Aber du hast heute ins Blatt geschrieben: siamo lieti! Da möcht' ich dich doch auch noch ein bißchen lachen sehen . . . Kurz und gut, was sagst du zu Lea?«

Ein rasches, widriges Lüftchen zitterte über das blanke Gesicht des Jünglings. Agata war Sonne, Lea Schatten. Aber schließlich Gold ist Gold, auch wenn es im Schatten liegt. Daß Lea ihm heimlich sehr zugetan war, hatte er sattsam gemerkt. Aber er tat, als sehe er es nicht, da er noch immer wähnte, in der Sonne zu sitzen.

»Lea liebt dich«, fuhr die famose Bäckersfrau fort. »Sie ist nicht so hübsch wie Agata, aber so gescheit, o so gescheit!« – Sauer verzog hier Stefano seinen Mund. – »Sie hat viel mehr Grütze im Kopf als wir alle zusammen. Und sie ist durchaus brav und rein geblieben. Sie hat nur wenig rechte Wärme, ein kleines Herz.«

»O wegen dem . . .,« stotterte Stefano, »wenn es nur das . . .«

»Sie wäre eine tapfere Frau, die richtigste für dich, das heißt, wenn wir sie dir geben wollen. Sie hülfe dir beim Tintenhafen. Aber sie ist auch stark an der Pfanne. Ich lehrte meine Töchter gut kochen. Salat und Sauerkraut und alles Scharfe gerät ihr viel besser als der Agata. Sie würde dich auch ein bißchen salzen, so daß du einen Mann stellst . . . denn jetzt stellst du keinen. Sie spart und hat einen Geschäftsgeist wie sieben Levantiner zusammen . . .«

So hing Frau Amelia gleichsam die Eigenschaften ihrer älteren Tochter mit Vorder- und Rückseite ans Seil, daß Stefano sie ordentlich betrachten könne. Und er lief im Geiste an dieser Wäsche entlang und besah Stück um Stück und, was andere bedenklich gestimmt hätte, empfahl sich seiner verwandten Art geradezu. Trüge sie nur keinen so herben Nasenkneifer und dafür reicheres und minder rotes Haar!

»Also höre, liebes Bürschchen, wenn du bis Ostern mir und meinem Manne beweisest, daß dein Blatt ein Ja und Nein hat, daß es besser gesalzen und nahrhafter ist – Lea wird dir helfen – dann bekommst du unsere ältere Tochter, die uns gerade so lieb ist wie die jüngere, und ein schweres Stück Geld dazu. Später mögt ihr dann mit der Zeitung machen, was euch beliebt. Aber paß auf! Bis dahin lesen wir jede Nummer und machen Noten, sehr strenge Noten.«

Sie klatschte ihm mit beiden molligen Händen liebkosend auf die Wangen, versprach, sogleich die Töchter hereinzurufen, damit er sich gleich in der neuen Rolle übe, und hüpfte wie eine junge Spielkatze hinaus. Ich steckte den Kopf noch tiefer ins Käsblättchen.

*

Stefano stand noch eine gute Weile wie festgenagelt an der Wand. Dann ging er behutsam zierlich im Zimmer hin und her und stand etwa hinter meinem Sessel still. Aber er getraute sich nicht, mich anzureden, bis ich schließlich mit Geräusch die Zeitung zusammenfaltete und sagte: »Ah, wir sind allein? Gerade las ich Ihr siamo lieti!« – Sein saures Gesicht reizte wirklich zur Fröhlichkeit.

»Gefällt es Ihnen?«

»Wenn es heißt: laßt uns froh sein! dann bin ich immer dabei. Sie haben recht, heut abend darf man nur Liebe haben.«

»Mir,« wandte er verdrossen ein, »mir gefällt der Artikel gar nicht mehr. Er ist geschraubt. Man kann ja leicht empfehlen: sei lustig! Aber selbst lustig sein ist ein Zweites.«

»Aber lieben kann man doch«, neckte ich.

»Lieben«, wiederholte Stefano zögernd wie einer, der im Nebel steht und nicht weiß, wo Norden und Süden liegt, besonders nicht, wo der warme Süden liegt. Hatte er etwa Agata wahrhaft geliebt?

»Ja, lieben! Etwas zum Lieben gibt es immer in der Welt. Ich freue mich jetzt zum Beispiel, so kleinlich es Ihnen klingen mag, auf den heißen Punsch und auf die Schneckenbrötchen Niccolos. Ich freue mich auf Frau Amelias Späßchen und auf Fräulein Lea, die gewiß wieder etwas Feines gelesen hat und es uns in ihrer klaren Art noch zweimal hübscher gibt, als sie es empfing; ich freu . . .«

»Verzeihung, aber Sie finden auch, daß Lea besser, sozusagen richtiger erzählt als Agata?«

»Nicht zu vergleichen, Herr Redakteur. Agata, ach, ein gutes, drolliges Ding. Aber hier kommt doch ernstlich nur Lea in Betracht. Niemand kann nur die Gedichte von Giuseppe Giusti so gut erklären wie sie. Nichts geht über diese Sorte junger, klarer, sicherer Mädchen. Sie schlenkern nicht rechts und links und verüben keine ärgerlichen Streiche, und wenn sie einmal den Trauring wechseln, so . . .«

»Oh, ho, ah, ha!« klang es zufrieden vom Flur her, und Niccolo selbst schoß mit Wichtigkeit, händereibend und den Atem puffend, durch das Sälchen. »Also, doch, brav, brav«, rief er mir zu. – »O wie man aufatmet. Seit drei Tagen im Fegefeuer stehen und arme Seelen erlösen, und dann noch diese Schlechtigkeit . . . äh, oh, ha . . .«

Fegfeuer nannte er die Bäckerei und arme Seelen die Teigwaren, bevor sie durch den Ofen gegangen.

Er verschwand im Nebenzimmer, und gleich hörte man ein Patschen und Klatschen und Plätschern im Wasser wie von einem Seehund draußen im zoologischen Garten.

»Was hat es denn gegeben?« fragte ich Stefano.

»Er hat den Heizer verjagt.«

»Wie, den Rufino, auf den er Leib und Seele verschwor?«

»Er hat ihn jahrelang unbemerkt mit den Kohlen betrogen. Jetzt, wo er die Grippe bekam und im Bett lag, kam es bei der neuen Lieferung auf. Es standen immer zehn Säcke mehr auf dem Konto als auf dem Kohlenwagen. Den Profit strichen Rufino und der Fuhrmann zu ehrlichen Hälften ein. Die zehn Säcke hatten sie unterwegs an Mann gebracht.«

»Und?«

»Diesmal zählte nun Niccolo beim Abladen die Säcke. Und da gab es ein Hallo, und als der Heizer wieder antreten wollte, einen Schuh in den Hintern, Verzeihung! daß der Mann nur so in die Gasse hinausflog.«

»Jetzt wird er niemand mehr leicht trauen«, sagte ich scheinbar für mich.

»Das war schon vor drei Tagen«, beruhigte Stefano. »Lassen wir . . . die Fräulein . . .«

Die Mutter mit den beiden Töchtern trat ein, schwarz gekleidet alle drei, aber was für ein helles, lachendes, seidenes Schwarz!

Sie trugen Tassen und Gläser auf, die Silberkanne für den Punsch, Körbchen mit Näschereien, Weißwein, Marsala und Zitronen. Im Nu war der Tisch glänzend gedeckt. Eine weite, runde Stelle in der Tafelmitte blieb frei. Wozu wohl? Und wo stand denn eigentlich der Weihnachtsbaum, der prahlerisch seit Wochen versprochene?

»Es gibt kein Fleisch, wir halten den Fasttag«, neckte Agata zu Stefano hinüber. Vigil vor Weihnachten!

»Aber morgen bekommst du Rehschlegel. Sie auch«, lud Amelia mich ein. »Punkt ein Uhr mittags«. Alle drei wandten sich freundlich zu mir, aber besonders gütig zu Stefano.

Dieser noch immer halbe Knabe, wenn auch schon verknöchert bis tief ins Herz, schien jetzt doch etwas wie Weichheit zu verspüren. Oder hatte er schon eine kleine Geschäftsüberlegung angestellt? Oder stand Rufinos Geist vor ihm? Jedenfalls grüßte er zuerst höflich Agata, nahm dann Lea am Arm und fragte, wo sie sitze. Er möchte den Abend neben ihr verplaudern. »Du weißt, ich vertrage nicht viel Punsch und vergesse mich doch nur zu leicht und habe hernach den Schaden. Agata würde nur immer zuschütten, sie hat kein Gewissen. Aber du bist gescheit und passest auf und zeichnest mir das Maß. Schau', gerade bis an die Röslein am Becher . . . bis hierher!«

Sie sah ihn mit ihren kurzsichtigen, aber wahrhaft glanzvollen Augen überaus dankbar an. Aber Agata spöttelte: »Gerade und präzis bis an die roten Rosen, ach, und keine einzige packen!«

»Nein, diese und gewisse andere Rosen nicht«, versuchte er arglistig zu werden. »Sie duften zu wenig.«

»Oder sie stechen zu scharf und du bist gar zart.«

»Ich werde mir meine Rose schon noch holen, und sie soll nur tapfer stechen. Das gehört dazu.«

»Kinder,« gebot Frau Amelia, »was kratzt ihr euch schon wieder? Friede den Menschen auf Erden!« – Die Schelmin, wie sie dazu lachte!

Lea und Stefano setzten sich bereits unten an den Tisch. Nein, die Jungfer war in der Nähe gar nicht so übel. Die Nase etwas zu klein, der Mund etwas zu groß, wenig Haar und fast kupferrotes; aber eine schöne Stirne, einen flotten Schwung der Brauen, viel Glanz im Auge, und wenn sie redete, klirrte es von großen, blanken, gesunden Zähnen. An den Zwicker kann man sich schließlich gewöhnen. »Also, bestimme, was ich trinken soll«, bat er nochmals und hätte am liebsten beigefügt: ›Und zeig' mir auch, woher und wieviel Salz ich in meinen Crepuscolo nehmen soll . . . Überhaupt, wollen wir uns nicht mit Wein und Salz und Blut und Leben gerade ganz einander in die Hand geben, für immer? . . .‹

Vielleicht träumte ich. Aber es war doch auffallend, wie die zwei in ein immer leiseres Zwiegespräch verfielen. Stefano, der weniger sichere, etwas wie Ergebenheit, Lea, die entschiedene, etwas wie Sieg auf der Stirne.

Indessen trat Niccolo in Frack und weißer Weste, mit strahlendschwerer Uhrkette und einem blaßseidenen Nastüchlein in der Hand zu uns heraus und setzte sich in die Mitte der Tafel, zur Rechten seiner Frau. Seine umbuschten Augen schwammen in einer stillen Fröhlichkeit. Für morgen war ja alles gebacken, Brot und Schleckerei. Crispino, der tüchtige Gehilfe im Feingebäck, würde mit den Töchtern servieren. Er aber konnte mit der Frau nach Ara Coeli hinauf die Kinderpredigt anhören und ohne Eifersucht bis abends den Festtag an ihrer fröhlichen Seite verleben. Ach, wie selten und wie köstlich war für ihn so ein Morgen und gar so ein mit niemand geteilter, im Frauenbesitz schwelgender und vor aller Stadt prahlender Nachmittag! Ganz Rom besaß keine zweite Amelia.

Jetzt rutschte er wohl etwas verlegen auf dem Sessel herum wie einer, der den Mund zu voll genommen hat. Denn er konnte es aus allen Augen lesen, daß er sich mit der Verlobung heute abend und dem Druck von dreihundert Verlobungskarten auf Büttenpapier heillos übertan hatte. Die Karten lagen noch aufgebeigt im Nebenzimmer und nur zwei, drei waren voreilig in die Öffentlichkeit hinausgeflattert. So viele Karten, so viele Fragezeichen. Er hatte heute verschiedene Male mit Amelia und Agata über Stefano zu reden begonnen. Aber bei ihren empörten Blicken blieb ihm der halbe Satz in der Gurgel stecken. Nein, da war noch nichts reif. – Und nun saß er hier oben, wo seine Frau unwidersprochen die Kelle schwang. Den Stefano wagte er zuerst gar nicht anzublicken. Der war ja gewiß in einem Himmel von seliger Gewißheit, und nun sollte er ihn in die Hölle des Sichgeduldens und Harrens hinunterstoßen.

Aber nun beruhigte ihn doch, daß alle Leutchen so heiter um ihn herum saßen, daß Stefano trotz allem so fröhlich war und gar nichts Besonderes zu erwarten schien, aber sich so zutunlich um Lea, gerade um Lea, zu schaffen machte. Man konnte also wohl das schwierige Ding verschieben.

Verschieben war ja das Talent und der Trost seines Lebens. Mit dieser Politik blieb er stark und scheinbar siegreich, wie alle, die ihre Gedanken eher predigen als praktizieren. Es lag ihm jetzt selbst daran, diesen Abend unbehelligt und sorglos vor der Zukunft zu feiern. So griff er denn energisch zur Punschkanne, schenkte das goldgelbe Naß in die Kelche und sagte mit herzhaftem Tone zu mir: »Nun, Freund, was haben Sie mit dem Bambino gemacht? Doch nicht schon mit Haut und Haar verschlungen?«

»Es liegt,« versetzte ich ruhig, »auf einem Totenbett.«

Alle hoben die Gesichter verblüfft zu mir auf.

»In diesem Augenblick ist es wohl schon eingesargt mit einem anderen Bambino«, fügte ich geheimnisvoll hinzu.

»Was Sie nicht sagen!« stieß Niccolo hervor und zerklüftete seine Stirnrunzel in die Breite und Tiefe. – »Ich backe doch nicht für die Toten.«

Nun erzählte ich so einfach als möglich, was ich diesen Abend in jener Christbaumstube erlebt hatte. Alle hörten innig zu, nur Stefano flüsterte zwei-, dreimal der Lea etwas gewiß ganz Nebensächliches ins Ohr. Der Bäckermeister jedoch wischte sich häufig die Augen. »Das ist eine Weihnacht! Gott, welche Weihnacht!« rief er wiederholt. »Wenn wir, liebes Amelchen, an so einem Abend ein Kind verlören, oh!« Und er griff hilfesuchend nach der Hand seiner Frau.

*

Jetzt kam etwas Überraschendes. Amelia erhob ihr keckes rotes Näschen, reckte sich wie ein Soldat, faßte Niccolo an der Achsel und sagte: »Lieber, jetzt hör' mal! Kinder können uns verlorengehen, ohne daß sie sterben, und das ist fast noch trauriger. Versteh' mich gut, Niccolo, wenn du unsere Agata zur Heirat gezwungen hättest, verkauft hättest . . . das wäre gewesen, wie wenn uns Agata aus dem Hause weggestorben wäre. Agata, sag' du selber . . .«

»Verkaufen . . . wie sagst du?« stammelte der überrumpelte Bäcker und tat wie ein Schwerhöriger, »verkaufen . . . ah . . .«

»Mamma,« fiel da munter und wehrhaft das hübsche Jüngferchen ein, »o man stirbt nicht so flink. Und du weißt, ich lasse mich niemals verkaufen. Oder dann soll der Herr Käufer gehörig an mir zu würgen bekommen. Der stürbe daran lange vor mir.«

Der Graben in Niccolos Stirne vertiefte sich, seine Arme kneteten in die Luft hinaus. Er schnaufte stoßweise. »Amelia,« bat er düster, »ver . . . kau . . . fen? Ich? Denk' doch einmal ehrlich nach, was du da sagst!«

Aber die Frau machte mit berückender Holdseligkeit: »Pst, pst!« und schloß ihm mit ihrer kleinen duftigen Hand den Mund. »Laß Stefano selbst reden!«

Sie umblitzte jetzt förmlich mit ihren Blicken den armen, tief in den Stuhl versinkenden Redakteur. ›So rede doch, du Hasenherz! Was sagte ich dir noch eben? Paß gut auf, sonst fällst du zwischen Stuhl und Bänke; dann lieg' und schäm' dich!‹ – So sprachen und reizten ihn ihre Augen, daß Stefano sich einen Ruck gab und schrie: »Onkel, reden wir heute nicht davon! Seien wir heute nichts als gute Freunde! Sprechen wir ein andermal von der Zukunft . . . und dann auch ganz anders!« Er fuhr mit den Blicken über Agata hoch hinaus wie ein Falke über eine Henne, die ihm zu mager ist. – »Lea«, setzte er sicherer fort, »versteht mich sehr gut. Also, guter Onkel, verschieben wir!«

»Verschieben wir«, wiederholte Niccolo gewichtig und atmete bei so gutem Wort tief auf. »Du hast recht. Du bist ein lieber Bursche. Aber, aber einmal muß denn doch die Sache ernstlich geordnet werden,« sagte er streng zur Frau, um sich nichts zu vergeben, »einmal denn doch!«

»Es wird sich alles hübsch lösen, Niccolo, zu aller Freude«, begütigte sie und spielte mit seinen Fingern. »Du hast ja gescheite Kinder. Laß sie nur ein wenig selber machen!«

»Aber doch sind es Sabinerinnen,« versuchte ich witzig zu sein, »die sich rauben lassen müss . . .

»O Sie Legendenheiliger«, warf sich Meister Niccolo mir stürmisch entgegen. »Dieser Raub ist doch erwiesenermaßen eine Erfindung wie auch das mit dem Scaevola und dem Horatius Cocles und den Gänsen auf dem Kapitol. Alles bis auf Hannibal ist Dichtung. Dann kommt das Faktum.« – Großartig hob Niccolo das breite, gelbliche, gedankenvolle Gesicht empor, wie nur er es konnte, knipste mit Daumen und Zeigefinger, daß es leise knallte und deutlich zeigte, daß er durchaus nicht mehr zur alten konservativen Gemeinde gehöre, die noch jedes Märchen der römischen Wiege schluckt.

»Papa,« protestierte nun Agata, »ich glaube das alles, alles, alles!« und spaßig streckte sie die drei Schwurfinger statt in die Höhe gen Boden.

»Bist und bleibst eine Schnepfe,« brummte Niccolo vergnügt. »Hast nichts als Allotria im Kopf. Schau', Amelchen, was für einen Haarstrubel sie hat, das reinste Vogelnest.«

Gut verstand ich das frische Mädchen. O ja, die glaubte an den Raub der Sabinerinnen. Sie hatte ihn ja leibhaft erfahren. Ein echter Römer hatte sie geraubt. Ihr spaßiges Herz gehörte nicht mehr ihr. Ganz recht, daß sie diese Schwurfinger gen Boden hielt. Dort unten, vier Böden tief, schaltete in Pasteten und Sirup ihr geliebter Eroberer. Er malte jetzt wohl noch den letzten Bambini Augen und Mund auf den toten Leib, so daß sie anfingen zu leben und zu lachen wie wirkliche Kinder. O, ihr schwindelte fast beim Gedanken, wie er auch ihr die so blindlings in den Tag hineinlebte, die Augen für ein wärmeres, tieferes Dasein aufgetan.

Merkwürdig still blickte Agata in ihren Punsch und beguckte sich darin. Jawohl, sie war so eine Puppe ohne Sinn und Zeichnung gewesen, selbst noch mit Stefano. Da kam er, Crispino Bellocchio, vor sechs Wochen, der starke, frische Römer-Eroberer, und hat sie mit seinem Zuckerbäckertalent so gezeichnet, daß jetzt Liebe ist, wo vorher Spaß war, Arbeitsglück, wo nur Zerstreuung, eine klare Straße und eine feste Zukunft, wo vordem kindliche Ziellosigkeit regiert hatte.

Wenn er mit dem Pinseln fertig ist, so sieht er noch nach, ob der Heizer den Ofen auf 30 Grad gestellt hat, zieht den Luftschieber auf drei Viertel, läßt die Kuchenbretter und Backbleche abfegen und frisch einfetten, gibt dem Hüter für die Nacht seinen Proviant, schlüpft aus dem weißen Habit und putzt sich rasch in festliches Schwarz zurecht. Dann kommt er herauf, immer drei Stufen nehmend, um mitzufeiern. Er hat ein Gesicht so rund und gelblich wie der Brotteig, Haare und Augen braun wie Bienenhonig. Aber die Lippen brennen wie das Backofenfeuer, und ein Duft von frischen Semmeln weht aus ihm. O er kann alles backen und gut backen: Brötchen, Torten, Liebschaft, Hochzeit und gewiß einst auch die muntersten Bambini, dieser geschickteste Bäcker der Welt!

Wie gut las man dies alles vom netten, dreisten Gesicht Agatas!

Das Gespräch wurde immer fröhlicher. Der starke Punsch flammte einem bis unters Haar. Amelia bekam heiß. Ich öffnete das Fenster. Eine laue, aus der Straßentiefe glücklich summende Luft umspülte uns und aus einem Fenster gegenüber scherbelte Geschirr und rief man: ›Salute, Giacomino! Salute, Serafina!‹ – Mir war, unsere Tafel sei eine kleine, erhöhte, selige Insel, ringsum von Festlichkeit umbraust, aber selber auch ein Fest. Daß ich vor vier Stunden noch in eine tiefe Schwermut mit salzigem Auge geblickt hatte, in Särge und Gesichter voll Not, war vergessen. In unserem Seifenblasenleben, ach, was sind wir doch selbst für Seifenblasen!

Neben jedem Besteck lag der alten Sitte halber ein Lebkuchenbambino. Ich musterte meines. »Crispino!« entschuldigte der Meister lächelnd. »Die meinigen sind alle weg. Das läuft wie Wasser. Dann erst greifen die Leute nach Crispinos Kindern. O er hat geschickte Finger, er wird sich schon noch machen.

Das klang zum Lachen. Denn Crispinos Christkindlein waren viel eleganter geformt, ihre Augen waren oval, nicht rund, und der Mund war bald geschlossen, bald offen. Niccolo deutete die Ohren kaum an – zerquetschte Nullen – und kleckste ein Näschen nur so mit dem Daumen hin. Aber Crispino, den selbst fein geringelte Ohren schmückten, modellierte auch so zierliche, zärtliche Ohren aus dem Teig und ließ sogar die rosigen Nasenlöchlein sehen. Die Brauenbogen so kurz und hoch, die weich gespaltene Unterlippe und der famose Knick im Kinn, das war förmlich Agaten gestohlen. Hundertmal wahrer waren diese frommen Puppen als Niccolos steife Traditionsbambini. Aber das Volk will Tradition, trotz allen Moden, und je gröber, je lieber.

»Er hat den rechten Bildhauerschmiß noch nicht gefunden«, betonte Niccolo. »Das braucht Zeit und ist dann plötzlich wie Eingebung da.«

Auch Agata besah ihr Kind. Den rechten Schmiß! O, so und nicht anders soll das Bambino sein. Immer zarter wird ihr Gesicht beim Betrachten. Das ist nur Teig und Zuckerschleim. Aber wie erst, wenn . . . Sie huscht ganz leise und klein zusammen, ein heiliger Schauer durchrieselt sie. Während Amelia mit dem Gatten über Crispinos sichere Zukunft plaudert und Lea mit Stefano die Neugestaltung des Käsblattes berät und über Druckkosten und Papierpreis nachrechnet, denkt Agata, was auch ich denken muß: welch hübsches Kinderleben aus ihrem geeinten Wesen in die Welt hinaus wachsen und blühen wird . . .

»Salute, Angelina, Salute, Peppo!« sang es drüben aus den lampenhellen Stuben und viele Gläser klirrten.

Ich faßte den Becher, wir stießen an, wir lachten, Gold und Sterne strömten aus unsern Augen. Der Meister hielt seine kleine Frau im Arm und prahlte: »Wir nehmen Pandolfis Vittoria, nicht den Landauer, nein, die Vittoria mit den zwei Rappen. Glänzen soll es morgen!« – Ich nickte: »Tut das, nehmt drei, vier Rosse, nehmt sechs Schimmel, seid lustig, o wie schön ist das Leben!«

War ich nicht zu lustig? Die Leiche, der Sarg . . .

›Evviva, evviva!‹ scholl es drüben.

Gibt es denn Särge? Ah, bah, Wiegen werden wieder daraus. Und gibt es Kinderleichen? Nein, das ist die abgestreifte Larve, blick' hinauf, siehst du die himmlischen Schmetterlinge! Das Vreneli voraus!

›Salute Angelina, cara, cara Angelina!‹

Nein, du liebes Vreneli, du leuchtendes, hohes, du bist gewiß nicht böse, daß ich hier Punsch trinke und lache und alles prächtig finde. Da lebst ja erst recht. Und du schwebst über uns und lächelst superklug, weil du es noch viel lustiger hast. O du schwebst jetzt über vielen Kinderhoffnungen hier und dort, und es ist zwischen dir und den andern Kindern nur der eine Unterschied, daß sie vom Christkind kommen und viel Staub vor sich haben, du aber allen Staub abgeschüttelt hast und zum Christkind eilst, dem Kind aller Kinder.

›Salute, Angelina! Evvivano tutte le belle ragazze!

›Einverstanden‹, nickte ich hinüber, ›aber hört, mit so wenig Staub als möglich!‹ – Denn in dieser Stunde schien mir eine ungewohnte, duftige Reinheit über uns allen zu liegen. Im Schnee der Unschuld wie daheim im Norden schien mir der heilige Abend auch hier zu thronen, in einer Lauterkeit ohnegleichen.

Von der Straße herauf schollen nun immer deutlicher durch das Menschengebrause die Schalmeien der Pifferari. Sie pfiffen wie unsere Murmeltiere in den Alpen und flöteten wieder wie Amseln. Dann dudelte dunkel die schwermütige Sackpfeife hinein. Eine pastorale Luft umgab uns. Ich meinte jene alten Hirten zu hören, wie sie daherrannten und riefen: ›Wo ist er, wo ist er, der neugeborene König der Welten?‹

*

Ich weiß nicht, wohinaus ich noch geschwärmt hätte, wenn jetzt nicht Crispino mit seinem soliden Römerschritt heraufgekommen wäre. Alle blickten zur offenen Türe. Eine Lichtflut strömte voraus, als käme die Sonne. Dann würgte sich wahrhaftig ein Christbaum herein, aber was für einer! Und zuletzt trat er selbst über die Schwelle, Crispino. Wie schön und groß war er! Neben ihm, dem Wehrhaften, Geraden, Sichern wie eine Forumsäule, fiel der nette Stefano wie eine seidengestickte, feine Zierlichkeit zusammen.

»Der Ceppo, eja, der Ceppo!« rief Amelia fröhlich.

»Vielmehr der Albero«, korrigierte der Bäcker und winkte mir triumphierend zu. »Der Wai . . . nacks . . . baum! Der de . . . utsche Weinacks . . . ba . . . um! Selber gemackt, fur Sie!«

Aber was war denn das? Einen Holzbengel, den sogenannten Ceppo, hielt Crispino in der Faust. Das ist jener olivene oder weidene Holzklotz, den die echten Römer sich für die Mitternacht von Natale zurechtschnitzen, oft vorher segnen lassen und mit Lorbeer umkränzt beim zwölften Stundenschlag im Hof oder am Kamin verbrennen. Niccolo hatte nun nach seiner römischen Einbildung daraus einen kleinen Weihnachtsbaum geschaffen, mit einem Stehbrett unten und mit künstlich nach oben eingesteckten Zweigen von Zypressen, Lorbeer und anderem Immergrün, so daß sich dieses Festgewächse wie ein kurzer, bunter Busch in der Höhe immer weiter verspreizte, das gerade Gegenteil von der zauberhaften Gotik unserer Tanne. Nein, dieses Gestäude konnte ich nicht als Christbaum anerkennen.

Aber Meister Maggiolini hatte es gut gemeint, und je länger ich das Werk betrachtete, um so hübscher dünkte es mich in seiner Art geraten. Es konnte doch als Christbaum gelten, aber im Stil des farbigen, schneelosen Südens. Aus dem Laub, das wie grünes Gras funkelte, lachten Orangen, spanische gelbe Trauben und Feigen. Zahllose grellrote Kerzlein blitzten zwischen den Blättern hervor und leckten mit ihren heißen Zungen am Laub. Drei Engel aus Wachs schwebten in der Krone, und am Stamme lag, in die Rinde geborgen, ein winziges, rosarotes Krippenkind. Als der seltsame Baum endlich zwischen den Kannen und Bechern in der Tischmitte stand, dünkte er alle ein Wunder von weihnachtlicher Schönheit und gleichsam eine fromme Ansprache. Unwillkürlich falteten Vater und Mutter Maggiolini die Hände wie zum Beten. Aber Crispino erhob sich, gab ein Zeichen und begann mit gewaltigem Tenor:

Gli angeli chiamavan: venite santi!
Nato è Gesù Bambino alla capanna . . .
Die Engel rufen: Kommet, ihr Geheiligten! Geboren ist Jesus, das Kind in der Hütte . . .

Da standen wir alle auf und sangen recht und schlecht die uralte Strophe fertig, und das hirtenhafte Geschell und Pfeifenspiel von der Straße herauf paßte gut zu unserem:

Venite tutti quanti, voi pastori,
Venite a visitar nostro Signore!
Kommet doch alle zusammen, ihr Hirten – Kommet und suchet heim unsern Herrn!

Niccolo übertönte mit seinem rollenden Baß alle, selbst den Tenor, und sein breites Gesicht und selbst die Runzel darin leuchtete von Begeisterung.

Nun setzten wir uns wieder, schenkten ein, stießen an und pflückten die Früchte vom weihevollen Bäumchen; und sprachen von der Jugend und vom dunkeln Söller des Alters und vom zufriedenen Jetzt und wie eben doch gerade nicht die Menschen, so steif sie es glauben, sondern bald etwas Dümmeres und bald etwas Gescheiteres das Kügelchen Erde regiere, aber über allen diesen Flickgesellen der Altmeister Gott walte und das letzte Ja und Nein habe.

Von den Lautesten und Lustigsten war Crispino. Er saß zwischen Niccolo und Agata gerade recht und drehte bald den hohen Satz der Rede ins kleine, warme Privatgeplauder. Er redete von sich, als wäre das selbstverständlich. Vierundzwanzig Jahre zähle er im nächsten Monat und sei stark für drei Jünglinge. Sehnlich warte sein kränkelnder Vater auf ihn. Aber schön sei es eben auch bei Niccolo. Er bleibe gerne solange als möglich, obwohl er nun in der Via Pagani eine selbständige Bäckerei bald eröffnen dürfte. Der Vater dränge eben gar heillos, noch einmal den Duft von gebackenem Brot durchs Haus hinauf zu spüren wie ehedem.

Sofort umschattete sich Niccolos Antlitz.

»Wißt Ihr was, Meister,« fuhr Crispino mit köstlicher Draufgängerei fort, »wir sollten uns vereinigen können, Euere und meine Bäckerei.«

»Wie das?« brummte der Bäcker mit schwarzer Furche.

»Nichts leichter. Statt uns so nahe Konkurrenz zu machen, bleiben wir beisammen. Drüben in der Via Pagani lassen wir einen soliden Meisterknecht in Mais und Roggen schaffen, und ich sehe ab und zu nach, und mein Vater hat so auch noch seine letzte Freude.«

›Ei,‹ dachte ich und prüfte Frau Amelias schlaue Äuglein, ›ei, da ist ja schon alles abgekartet und wird gleich tödlich aufgetrumpft. Niccolo, ergib dich!‹

»Wie . . . zusammen . . .«, stotterte der Meister ganz verwirrt von Zweifeln und Hoffnungen, die ihm durch den Kopf schwaderten. – »So einen Burschen darf ich doch nicht ewig als Knecht behalten . . .«

»Sicher nicht! Aber . . .«

Und blitzschnell schossen Agata und Crispino von den Stühlen, gaben sich mit aller Gewalt die Hand, neigten sich dann lustig, was sag' ich? unwiderstehlich, siegreich zum Vater nieder und riefen in einem einzigen, gar beherzten Ton: »Aber als Schwiegersohn!«

Das alles war längst aufs Tüpfelchen so einstudiert, und ein bißchen römisches Pathos mochte dabei sein. Dennoch, es kam von Herzen und wirkte überaus natürlich.

Fassungslos starrte Niccolo sie an. Seine Hände begannen zu kneten.

»Erlaube, Vater Niccolo!« Und Crispino bog sich noch tiefer und küßte den Alten auf beide Wangen, desgleichen die Mutter, die sich lachend hergab. Und dann nochmals: »Erlaube, Vater!«

Und jetzt küßten sich die zwei kecken Verlobten auf Stirne, Backen und Mund. Mir war, es müsse knistern dabei wie von frischem, hellem Feuer.

»Das ist recht, so soll's sein«, überhüpfte sich in höchster Stimmenfreude Amelia. »Das hat das Christkind gemacht.« Und mit ihrer ungebändigten, hohen Kinderglockenstimme begann sie nochmals:

»Gli angeli chiamavan: venite santi!«

Wir alle fielen ein. Auch Lea sang kräftig, und sogar Stefano hatte etwas Öl in der Stimme. Nur Niccolo saß noch und starrte und staunte.

Amelia zog ihn leise empor und sang ihm ihren süßen Vers und noch süßeren Atem ins Gesicht. Da taute er aus seiner Verblüffung auf.

»Nato è Gesù Bambino alla capanna«, sang er schon mit. »Venite tutti quanti, voi pastori!« Da hatte er bereits seinen vollen Kanonenbaß eingesetzt.

Wie konnte er anders? Seine Frau lachte so ungeheuer ansteckend, das Pärchen stand da wie in der Sonne, sein bester Gehilfe, um den er längst gebangt, setzte sich mächtig in den Schoß seiner Familie, keine Konkurrenz von der nahen Via Pagani, vielmehr eine nützliche Filiale in braunem Roggen und gelbem Mais, keine Sorgen, Nachmittagsschläfchen und . . . Ja, und viel mehr um seine Amelia herum sein, viel, viel mehr auf sie achtgeben, den Überflüssigen die Ellbogen zeigen, ah, wie gut ist das!

Daß er, der für den König und den Papst denkt und vorsorgt, nie an diese . . . ach, so selbstverständliche Einfädelung seiner eigenen Angelegenheiten gedacht hat! ›Ach, das ist es ja, ich denke immer nur an andere, nie an mich!‹

Er wird nun bald vierundfünfzig. Frühherbst! Aber da ersteht nun ein zweiter Frühling, und die Spaziergänge mit der geliebten und immer bewunderten Frau werden noch schöner als einst im April. Dort griff man in zarte Pfirsichblüten und roch zusammen an einem weißen Orangenstern. Jetzt, o jetzt bricht man die schwellende Frucht vom Ast und hält nicht bloß die Nase daran, sondern ißt davon zusammen Schnitz für Schnitz. Und hat auch von der Leibesfrucht die gleiche Frühherbstfreude. Sind es auch nur Mädchenröcke, aber, potztausend, was nur die einzige Agata in einer Viertelstunde zwischen den Teetischen herumrennt und Tassen austeilt! Und was die Lea hinter der Brille alles weiß! Diese salomonische Jungfer! Und die Männer knien vor ihnen, und es gibt Brot und Ruhm ins alte Maggiolinihaus. Brot und Ruhm, das ist die beste römische Geschichte.

Der wohligste Schwindel steigt dem Meister mit dem glühen Punsch und dem Wachsduft in den Kopf.

»Ihr meint wohl, ihr habet mich überrumpelt!« schreit er in fröhlichem Zorn in die Gesellschaft hinein.

»O nein, ihr nicht«, prahlt er weiter. »Mich überrumpelt niemand, nicht einmal der Menelik. Das sah ich längst kommen. Es stand zu groß auf euere Gesichter geschrieben. Ich bremste bloß. ›Man muß sie Geduld lehren, prüfen‹, sagt' ich zu mir. Ihr hättet noch lange intrigieren können, ihr kleinen Diplomaten, das hätt' euch keinen Pfifferling genützt. Ich war auf alles gerüstet, und ich dachte, dann oder dann sage ich plötzlich: ›Fertig mit dem Versteckspiel! Nehmt euch! Küßt euch! Heiratet euch!‹ – Gewiß, ich hätte noch über Neujahr gewartet. Aber nun hat mich das Christkind besiegt. Wie soll ich beten und singen und den Ceppo anzünden und allen glückwünschen, wenn ich dabei euere Freude auslösche mit einem Nein! Noch nicht! Wartet! . . . Nein und hundertmal nein, was angezündet ist, soll in Gottes Namen brennen. Habet euch, liebet euch! . . . Und ihr dort hinten, ihr Übergescheiten, ihr Tintenlecker, macht nur auch vorwärts, 's geht gerade in einem . . . Könnten wir nur die Namen verschieben auf den verflixten Verlobungskarten! . . . Na, in Gottes Namen! . . . Aufs Wohl meines Crispino und meiner Agata!«

O wie gern Niccolo Reden hielt und wie er sich nun tief in den Becher trank und wie in seinen großen dunklen Augen es von Lichtern und einer begeisterten, tränenseligen Rührung wetterleuchtete! Nie sah ich ihn glücklicher.

Aber der wirkliche Sieger des Abends wartete nur auf die Pause, um zu Wort zu kommen. Er ließ dem Cicero seinen Glauben. Ihm als echtem Cäsar war es ums Reale zu tun.

»Dann komm' ich morgen abend«, sagte er gewaltig. »Ich komme und bringe den Vater und gestempeltes Papier mit, und wir setzen den Vertrag auf. Und auch ich komme in der Vittoria mit zwei Rappen.«

»Teufelskerl!« antwortete Niccolo. »Aber alles recht, alles recht. Geb' ich den Daumen, so geb' ich auch die Hand. Der Tintenkleckser dort soll's notieren. Er schreibt so sauber wie eine Nonne. Na, Stefano, und dann hast du gleich eine Vorlage zu deinem Kontrakt!«

Stefano griff unwillkürlich nach der oberen Westentasche, wo er seine Füllfeder stecken hatte, um rasche Notizen zu machen. Sauersüß sah er drein. Doch nickte er gehorsam und gewann es über sich, seinem unebenbürtigen Rivalen von oben herab mit einer gewissen Gutmütigkeit zuzulächeln. ›Nimm sie denn in Gottes Namen,‹ hieß das, ›ich verzichte. Wir teilen ja doch den Apfel. Du bekommst die rote Backe, ich die grüne. Aber schließlich ist es doch der gleiche Apfel zu gleichen Hälften.‹

Es ist mir nicht gegeben, mit kalter nordischer Tinte das Stündlein hoch oben im Römerhaus der Via Marca zu zeichnen, dieses gemütliche, von innerer Freude erbrausende und vom Stern Bethlehems gesegnete Stündlein vor Mitternacht. Immer wahrhafter kam mir der eigenartige Christbaum vor. Er schimmerte dunkelgrün wie die orientalische Nacht, und mich dünkte, solche wundervollen Büsche müßten mitsamt den Kerzenflammen um die Hütte Bethlehems gewachsen sein und geflackert haben. Unter solchen Stauden habe Maria das Kind oft in den Schatten gelegt und bei solchen Lorbeersträuchern habe sie auf der Flucht geruht, Wasser geschöpft und in ihrer Kühle den Duft und Glanz, wohl auch die bittersüße Lorbeerzukunft vorgeahnt.

Um Mitternacht, als von den Kirchen das zwölfmalige Stundenschlagen über die vielen Dächer strömte, nahm Niccolo das Bäumchen mit feierlicher Gebärde vom Tische und legte es umgestürzt ins Kamin. Sogleich lohte es hochauf, glühte wie die Liebe Gottes und sank nach und nach in die Asche aller menschlichen Gebrechlichkeit zusammen. Und als alles grau wurde, mußte ich wieder ans Vreneli denken, das der Asche für immer ins Licht entflohen war. Wir andern aber gingen noch durch den Staub, wir waren noch nicht gesichert. Und daher reichten wir uns nach alter Römersitte die Hände und sagten: »Vi auguro un buon ceppo!« Ich wünsche dir eine gute Weihnacht, ein gutes neues Jahr, ein glückliches Leben und Sterben. – Als ich endlich ging, hielt mich Niccolo unter der Türe erschreckt zurück und schalt: »Sie haben ja noch keine Asche. Sie müssen Asche vom Ceppo mitnehmen. Das hilft vor Blitz und anderem Übel.« – Und indem er mir einen Löffel voll in den inneren Verschluß des Geldbeutels schäufelte, bat er geradezu: »Freund, bitte, gut aufbewahren bis zur nächsten Weihnacht. Der Redakteur da ging voriges Jahr weg ohne das. Da seht, es hat geblitzt, es hat ihm die Agata weggeblitzt, von der gedruckten Verlobungsanzeige weggeblitzt. Ha, ha . . . Und sie waren doch auf sehr solides Büttenpapier gedruckt. Also, kein Spaß!«

Ich schob den Beutel in die Weste. Ich glaube nicht an Asche, ich glaube ans Feuer. Aber ich behielt sie doch ein volles Jahr in der Tasche. Mir war, es glühe da noch etwas von Rom darin. Öfter wollt' ich sie ausschütten, schon auf dem Heimweg in den Schöllenen und dann in die Limmat. Aber immer hielt mich ein süßer Aberglaube zurück. Jedesmal kam sie mir so geheimnisvoll vor, so warm, so gar nicht wie Asche, so etwas wie fernes, leise über die Schneeberge grüßendes Rom mit zwei köstlich erlebten Christbäumen.

Und wahrhaft, der Blitz verschonte mich. Kleine Blitze, die nicht töten, die nur ein bißchen brennen und schwärzen, gab es wohl genug; aber keinen schweren, türbreiten, zu Boden werfenden und vernichtenden Blitz. Hingegen kam, ehe das Jahr sich völlig gedreht, eine niedliche. duftige Geburtsanzeige aus der Via Nesi und zwei, ich sage und schreibe zwei wohlbedruckte Hochzeitskarten aus der Via Marca. Die eine war streng architektonisch gezeichnet; die anderen zwei wurden von einem Gequirl und Geschnörkel umrahmt, das an die Muscheltörtchen und Bambinikrausen des Meisters Niccolo erinnerte. – – –

O, wie sind die Städte und Länder und Sitten und Sprachen und Feste und Weihnachtsbäume so ungleich! Aber wie sind doch alle Menschen unseres rollenden Planeten in der Lust und Wehmut ihrer Seelen, im Spaßen, Spotten und Verliebtsein, im Auflodern und Zu-Asche-Zusammenfallen sich so geschwisterlich gleich. Und da tun sie zueinander wie Fremde!


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