Heinrich Federer
Regina Lob
Heinrich Federer

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Sie fragte mich, wie es meiner Schwester gehe, und erwiderte auf meine guten Auskünfte höflich und ganz äußerlich: »So! Die macht sich! Die sehen wir nicht wieder!« War also alles Taubenschnäbeln mit Elfchen Theater gewesen, um mich zu quälen? Oder wenn es etwas galt, war es dann nicht wie eine katzenhafte Sinnlichkeit verflogen, sobald man nicht mehr streicheln und schlecken konnte, und war nun ganz und gar auf diesen einen flotten Kater übergegangen, den sie so fest am Pelz hielt? Das Blut schäumte mir bis in den Wirbel vor Haß und Wildheit gegen diese dunkelgefleckte Kätzin. Unleidlich wurde mir in dieser Stube! Meine Füchse jedoch ließen es sich wohl sein, tranken und knackten Mandeln auf und ließen sich von Regina mit Schmeicheleien über ihre frische Jugend und muntere Schneidigkeit wie Narren einschmieren. Sie liebten diesen roten, süßen Wein wie alle zarten Füchslein und tranken tapfer jedem Sprüchlein zu. Und sie fingen an, mich unter dem Tisch mit den Stiefelspitzen zu stupfen und mir bittende Blicke zuzuwerfen, daß man doch diesem schönen, lieben Fräulein nachgebe und abends hierher komme, wieder zu so blutigem Wein, zu so süßen Mandeln und zu so bezaubernden Komplimenten.

Regina beachtete mich nun nicht mehr. Sie plauderte nur noch mit den Füchsen und hielt sich dabei wie zum Schirm an Theodor. Oder nein, es war eher wie das Umwinden einer Schlange zu schauen. Und als sie ihn fest genug umschlungen und von ihrer Wärme erfüllt glaubte, sagte sie gelassen: »Nun, Thedi, was meinst denn eigentlich du? Um dich streiten wir ja. Sollen die Herren Bockianer nicht zu uns kommen? Alle miteinander?«

»Mich dünkt es hier prächtig,« antwortete Baldur ausweichend und blähte sich vor Behagen. »Und,« fügte er etwas zögernd bei, da er meine ängstlichen Augen traf, »auch bei euch gäbe es einen stattlichen Hock, wie immer. Es ist fürwahr schwer,« stotterte er voll Spaß weiter, »daß ich nicht wie unser Herrgott an zwei Orten zugleich gefeiert werden kann . . . Ich weiß wohl, was ich euch schuldig bin,« sagte er uns Bockianern, »und es wäre eigentlich wohl . . .«– Er spürte einen so bebenden, bangen Armdruck Reginens, daß er nicht weiter in der gefährlichen Bockrichtung steuerte – »Und was ich dir gar erst schulde, weiß ich auch,« schloß er zu Reginen. Wir aber wußten jetzt nicht mehr als am Anfang.

»Wie einfach also,« redete sie ein; »wenn das eine schön und das andere gut ist, so packt mau doch am besten beides!« Sie sah uns mit sehr sicherer Miene an; aber ich hatte nicht überhört, wie ein leises Zittern durch die Glocke ging wie eine Angst, daß ihr Schatz am Ende doch noch schwankend und schwach würde.

»Könnten wir denn nicht,« warf jetzt der jüngere, mägdliche Hornfuchs lispelnd ein und blickte dabei schüchtern zwischen unsern Gesichtern vorbei, »den liebenswürdigen Vorschlag der Dame im Stamm vorbringen? Ich glaube, viele . . .«

»Das geht nicht, das verstößt gegen alle Korpsgesetze,« schnitt ich scharf ab.

»Gesetze! Nun sind Sie gar Jurist! Bitte, lieber Walter, Sie spielen ja alle Fakultäten durcheinander! Nur was Sie einer alten Kinderbekanntschaft schuldig sind, vergessen Sie beharrlich! Sie . . .«

»Wir könnten wohl,« rief der Fuchs schon viel dreister, »die Musik und die Gedichte und die andern Überraschungen hierherbringen und . . .«

»O das wäre köstlich, ja, das müssen Sie, das müssen Sie!« lachte Regina und faltete die feinen Finger des Füchslein Zio in ihre langen Hände, wie zum Danke. »Sie sind ein goldener Fuchs, ein scharmanter Fuchs, Sie werden bald Fuchsmajor sein . . . Nun, Walter, da gibt es gar keinen Ausweg mehr!«

Sie erhob sich straff und ernst. Das war das Zeichen, daß wir fertig wären.

»Gut, Fräulein Lob, wir wollen es vorbringen,« versprach ich tonlos und in der Stimmung, zuerst den Hornfuchs niederzuwürgen und dann alle Weiber samt und sonders zum Teufel zu jagen.

»Also ein Fest, ein richtiges Fest werden wir zusammen feiern,« sagte Regina zu Theodor. »Nun sei so gut, Walter, und bringe deine Flöte mit, und ich will sorgen, daß für Gonzal eine würdige Geige bereit ist. Dann spielt ihr meine Lieblingsmelodie, nicht wahr, du tust es?« Und sich in ihrer großen, schlanken Zigeunerhaftigkeit auf und abwiegend, summte sie leis und glockentief: »La donna è mobile . . .«

Und doch, wie unbeweglich fest war diese Frau!

Dann reichte sie mir heiter die Hand, und mit jenem alten, unbeschreiblichen Blick des Triumphes, mit dem sie einst Gonzal fortgetrieben hatte, begleitete sie mich zur Türe hinaus. Ich erkannte diesen Blick sogleich wieder. Und ich wagte auf der Straße nicht zurückzublicken. Denn mir war, ich würde diesen Blick ertappen, wie er sich hinter mir wie eine Schlange nachringelt.

Im Bock rüstete man wütend ab. Reginens Vorschlag empfanden alle Burschen als eine Ohrfeige. Über Baldur wurde für ein Jahr Bierverschiß verhängt, und dem dreisten Füchslein Zio hängte man zur Strafe für seine eigenmächtige und weichliche Politik das Burschenband zwei Semester höher. Endlich strich man auf meinen rachsüchtigen Antrag Fräulein Lob aus der Tafel der Ehrendamen. Gonzal war frech genug, diesen Beschluß der Jungfer auf eine geistreiche und boshafte Weise mitzuteilen. Er sandte ihr nämlich die Flötenpartitur des »La donna è mobile«. Aber statt des üblichen Textes stand unter den Noten nur »O wie betrügerisch sind schöne Knaben – da sie ihr Mägdelein – lebend begraben!« Regina verstand den bösen Sinn lange nicht. Dann steckte sie das Papier ein. Von dieser Schmach sollte Theodor nichts erfahren, bis sie verheiratet und felsenfest droben auf Ilgis thronte. Aber dann – Gonzal und Walter, hütet euch!

Meine Genossen gaben Baldur jetzt auf. Ich aber wollte ihn nun erst recht nicht loslassen. Und auch die Hexe wollte ich noch einmal tüchtig in die Katzenseele treffen. So beschloß ich, an der Trauung teilzunehmen.

Was hab' ich da gesagt? Katzenseele? Stimmte das Wort noch? Dieses Mädchen besaß doch auch Treue. Es liebt Theodor standhaft, es wird nie von ihm lassen. Aber sind denn nicht alle Katzen so? Für eines lassen sie das Leben, und alle andern zerkratzen sie. Ich gehörte zu den Zerkratzten, die ganze Bockia gehörte dazu. Das heischte Rache.

Aber die Zeit mäßigte meine Gefühle. Der Totenschädel mit seiner ungeheuren Ruhe kam dazwischen, dieser ausgebrannte Krater, und ließ mich nach und nach kühler werden. Besonders eines Tages, als ich an einer mächtigen Schale sozusagen die heißen Windungen des Gehirns nachzufühlen suchte, schien es mir, als spräche mich der Geist aus diesem lehmigen Knochen an: »Was hast du doch nur für heiße Finger! Ruhe, Freund, Ruhe!«

»Du hast gut reden,« erwiderte ich.

»Bleib' warm, aber ruhig! Hitze frommt nichts. Das weiß ich!«

»Was ist der Mensch ohne Hitze?« redete ich ein.

»Gesund!«

Ich stutzte. »Gesund? Ach, so reden die Toten in ihrer Kühle!«

»Du brauchst nicht erst zu sterben,« sprach es weiter, als hätte es meine Gedanken gelesen; »das merkst du auf deinen warmen zwei Beinen oft genug! Nichts ist dümmer als Hitze!«

»Was heißest du denn Hitze?«

»Den Zorn und den Streit, die Gier und den Rausch . . .«

»Das wird ein langes Gebet,« wollte ich spaßen.

»Den Argwohn und die Eifersucht, die stille, beharrliche Bosheit und die Rachsucht; rechne dazu das ewige Fürsichnehmen und Fürsichbehalten, was andern gehört . . .«

»Nun wird es eine richtige Predigt! Aber du hättest sie selber profitieren sollen!«

»Ich habe nie einen Schädel in der Hand gehabt!« kam es ernst zurück.

Das erschütterte mich. Ich wußte nichts zu sagen.

»Nun aber weiß ich, welch ein Narr man mit allen seinen Hitzen ist! Du merk' es früher! Sieh doch: eine Hitze löscht die andere und lacht sie aus! Sagt dir das nicht genug?«

»Wie meinst du das?«

»Zuerst liegst du im Schoß der Mutter oder einer Schwester, die wie eine Mutter ist, und willst nicht mehr vom Leben. Aber dann springst du einmal doch von ihren Knien zum Freund, und eine gescheite Mutter versteht das und grämt sich nicht. Und dann kommt das Weib, und du lässest auch den besten Freund stehen . . . Und ein gescheiter Kamerad lacht darüber.«

»Du hast wohl recht,« dachte ich zaudernd, »er sollte darüber lachen!«

»Und dann kommt der Beruf, die Arbeit, das große Volk, kurz, die Maschine des Lebens. Und das Weib steht hinter dem Vorhang und sieht dem Mann verstohlen nach, wie er in alle diese Philisterei springt – jeden Tag! – und sie fast immer allein läßt. Aber dann ist sie auch so eine Dumme, Hitzige! Sie sollte lachen! Daß sie nicht gescheiter ist und sieht, wie alle Kerzen hintereinander brennen und erlöschen müssen: Mutter und Schwester und Freund und Schatz und das Weib und sogar auch dieses große Unschlitt der Philisterei! Denn am Ende – schau' mich an! – kommt der Tod und löscht diese letzte Hitze aus . . . Also, Mann mit den heißen Fingern, sei gescheit, das heißt, sei kühl!«

Ich legte den Schädel ehrerbietig ins Glasgehäuse zurück, lüftete die Mütze vor ihm wie vor dem besten Professor und ging, wie ich glaube, viel gescheiter und viel kühler auf die Straße hinaus.

In der Tat, dachte ich, jetzt ist die Reihe nicht mehr an mir, jetzt ist es am Weib und hernach – rechnete ich schon wieder mit der alten irdischen Verderbtheit weiter – hernach an der prosaischen Philisterwelt – dann gute Nacht, Regina!

*           *
*

Bald danach kam die Einladung zur Hochzeit. Aber nicht als Trauzeuge, wie Theodor mir tausendmal versprochen hatte, sondern nur als einer der vielen Gäste war ich geladen. Das hatte Regina auf dem Gewissen!

Keiner von den Burschen wollte mitkommen. Da lief ich zuletzt zu Echino. Vielleicht daß er aus purer Schelmerei mitreiste.

Durch das große Defloreshaus ging etwas wie ein heiterer Wind. Gonzal wandelte durch sein Zimmer auf und ab, indem er dazu prachtvoll auf seiner Geige phantasierte. Er schüttelte seinen blauschwarzen Scheitel. Stille sein! hieß das. Ich setzte mich an den Tisch, wo er ein Glas Madeira und eine Platte mit Rosinenkuchen stehen hatte, und harrte zuerst ungeduldig, bis es ihm beliebe, das Spiel abzubrechen. Ich wunderte mich, wie er eine Schnitte auf dem Teller so fein zerstückelt hatte, als ob man damit ein zahnloses Mündchen speisen wollte. Er liebte die Kleinen. Wartete er vielleicht auf eines?

Sehr bald ergriff mich seine prachtvolle Musik. Es ging der gleiche helle, lustige Wind durch ihre Noten. Wie Sieg klang es. Ein Geschwirr und Gefunkel von glatten Degen. Dann flog es wie Hoch und Hurra in die Höhe. Nun ein schwereres, dunkles Andante, aber staccato, wie ein Gericht und wie die harten Sätze des Urteils. Jetzt ein Adagio, flehendfein wie von Kindern, und dazwischen schluchzte wahrhaftig die Unterstimme eines Weibes. Aber rasch schnitten kalte, barsche Rufe der Mittelsaite diese rührende Stelle ab, und drei, vier mächtige Akkordstriche sagten gleichsam: So ist es, und so bleibt es! Und über alles das hinab schüttete jemand mit Kichern und Witzeln und Auslachen seine schadenfrohe Seele aus. Ssi–ri–ri–ri–ri–ri–ri–dsim! Fertig!

Das Spiel beängstigte mich seltsam. Ich hatte vergessen, warum ich dasaß, und erwachte erst durch einen scharfen Schlag mit dem Fiedelbogen auf den Kopf.

»Was hab' ich gespielt, lieber Dichter?« fragte Echino mit eigentümlicher Freude. Seine Riesenaugen schillerten in allen Farben der Bosheit.

Da schoß es mir wie ein Blitz durch den Sinn. »Ihr habt den Prozeß gewonnen!«

Den Deflores war im letzten Streikjahr der Direktor ihrer großen Tabakfabrik vor der Stadt erschossen worden. Der Prozeß beschäftigte die ganze Stadt.

»Erraten! Gratuliere mir!« – Gonzal streckte mir lustig seine weiße, seine Hand entgegen – »Soeben ist die Depesche eingetroffen. Morgen liest man es in den Zeitungen . . . Bitte nimm, nimm!« Er bot mir Wein aus seinem Glase an. Dann zerstückelte er den Kuchen noch kleiner und schleckte davon und sog mit tiefem Genuß aus dem Kelchlein.

»Wie lautet der Spruch?«

»Die Angreifer beim Streik erhalten unterschiedliches Zuchthaus – sechs Monate – ein Jahr, und so weiter, aber der Mörder Ignaz Ahrt lebenslanges Gefängnis!«

»Der Arme!« seufzte ich aufrichtig.

»Wie schade, daß bei euch nicht mehr gehenkt werden darf! Er hätte den Strick verdient. Wahrhaft, bei uns wäre ihm die Carotte an den Hals . . .«

»Gonzal, du hast wieder einen deiner Anfälle,« spottete ich.

»Was mich freut . . . so iß doch!« – er schob mir ein winziges Stücklein Torte an der Messerspitze in den Mund – »ist etwas, was keine Zeitung erzählen darf: ich bin an diesem ewigen Gefängnis allein schuld!«

»Nun prahlst du auch noch!«

»Man hat sich über unsern Anwalt Behm gewundert. Er ist kein Salomon. Aber das wollte ich. Mir war er mehr als Solon und Lysias und Cicero zusammen. Er hat ein Gedächtnis wie von Eisen und deklamiert wie ein Gott. Man muß ihm nur den Spiritus einflößen und dann . . .«

»Schneide mir nichts auf, bitte!«

»Du weißt doch, daß ich im Aufsatz immer recht ordentlich war . . .«

Ich nickte. Er war ein Spanier, aber im Deutschen darum doch weitaus der Erste in der Klasse gewesen.

»Nun also, merkst du noch nichts? Ich, ich habe alle Reden unseres Anwaltes gemacht, die schönen Exordia und die Argumente und den heiligen Schluß. Jeder Witz war von mir. Mit Witzen haben wir den Gegner eigentlich totgeschlagen. Er war zu feierlich und schwer. Während wir mit einem leichten Taschenrevolver schossen, kämpfte er immer noch mit Hellebarden. Das machte ihn lächerlich. Und da ich nun die Chancen so fein sah, setzte ich statt zehn Jahre lebenslänglich in den Strafantrag Behms. Er wollte nicht. Aber er mußte. Wir zahlen ihn ja doch.«

»Du bist ein Sohn Satans,« sagte ich mit wahrem Grauen.

»Danke! Das Gericht kam zum Augenschein in die Fabrik. Stelle dir vor, wie ergreifend ich den Herren die Szene schilderte, als Ignaz unsern armen Manuel mordete. Du weißt, es ging grauenhaft zu. Er hat ihm noch das Gesicht zerschnitten, ins Auge gestochen und so weiter. Ich zeigte den Richtern die Kinder des Toten, drei Knaben, die alle noch Röcke tragen. Glasscherben, Tuchfetzen und Blutflecken, alles mußten sie ganz nahe anschauen und beschnüffeln, bis sie müd und gereizt waren. Dann bot ich ihnen von den fränkigen Zigarren dort und von diesem Tropfen, und ich weiß ja nicht – die keusche Frau mit den verbundenen Augen in Ehren! – aber die Richter haben für lebenslänglich entschieden.«

Ich stand vor Empörung auf. Ich konnte nichts Grausames hören noch sehen. Der Mörder war ein Scheusal gewesen, aber . . .

»Beruhige dich, Lieber, die Zigarren und der Madeira hätten gewiß nicht gereicht. Aber da las ich vom Aufstand in Berlin, von den Deserteuren in Paris – alles solche Fabrikler und Rote! – und das gab mir einen flotten Schluß, etwa: ›Meine Herren, Sie werden fortan nichts als Revolutionen haben, zuerst gegen die Fabrikanten, dann gegen die Regierungen, dann gegen alle Ordnung, vorab gegen das, was die Schufte allein noch fürchten, gegen das Militär, das Vaterland!‹ Beim Eid, das hat gezündet wie ein Blitz! Du weißt, nur nichts gegen Säbel und Käppi der eidgenössischen Soldaten! Und so hockt der Kerl nun sein Lebtag im Loch. Wohl bekomm's!«

Gonzal sog ein neues Schlücklein und bot auch mir. Ich nippte nur. Mir war, ich trinke aus einem Glas, woraus soeben noch eine Giftschlange geleckt hätte. Nein, mit diesem Menschen mochte ich nicht an eine Hochzeit gehen. Ich wollte Reginen ein kleines Fegefeuer bereiten; Gonzal aber trüge die lebendige Hölle mit sich. Mich ekelte vor dieser teuflischen Rachsucht gegen einen vor Elend halb wahnsinnigen Mörder. Damals wußte ich noch nicht, daß jenes tapfere Mädchen, das vor Jahren den hochmütigen Buben mit einem Kübel voll Wasser abgewehrt hatte, die Tochter gerade dieses Ignaz Ahrt gewesen war. Sonst wäre ich wohl vor Abscheu aus dem Zimmer gesprungen. Aber ich wollte nichts mehr hören und stellte mich daher, als ob mich eigentlich die ganze Geschichte langweile. Gonzal ging auf den Leim.

»Was hast du eigentlich wollen?« fragte er geselliger.

»Nichts als eine von deinen feinen Zigarren,« log ich. »Ich ging gerade am Haus vorbei und hörte deine Geige und fing so einen cubanischen Duft auf, und da . . .«

»Nimm!« Er leerte das ganze Etui vor mir aus.

Ich dankte mit Mühe und erhob mich. Um nur etwas zu sagen, fragte ich: »Bitte, warum machst du da auf dem Teller so kleine Stücklein wie für ein Hühnchen, du, mit deinen Raubtierzähnen?«

»Ach,« sagte er ohne Erröten, »da ist letzthin jemand an einem Zwetschenstein gestorben!«

»Aber, das ist doch Rosinchentorte . . .«

»Schon! Aber wie leicht könnte so ein Haar vom Mehlbesen oder so ein verfluchter kleiner Träber hineingekommen sein! Ich will nicht an einer solchen Dummheit ersticken. Leben, leben wollen wir,« jauchzte er, die Arme ausstreckend; »das Leben ist nun erst recht schön!«

Der Feigling! Ganz angewidert ging ich hinaus. Und dieser sorgliche, feige Schlecker würde wahrhaft keine Sekunde zaudern, seinen Feind mit dem Halseisen abzuwürgen! Wie gemein, wie widernatürlich, wie memmenhaft macht doch die Rachsucht! Neben diesem Gonzal was ist doch die Regina für eine Königin! Ich schleuderte die Zigarren, von denen jedes Stück einen schweren Franken kostete, in die nächste offene Kloake. Der gemeinste Stumpen war mir hundertmal lieber.

»Auf, nach Ilgis!« sagte ich, und die letzte Spur von Rache schien mit den Zigarren in dem häßlichen Loch verschwunden.

Und so bin ich, vielleicht sind es heute genau neun Jahre, die Bergbahn von Ilgis, ganz anders als heute, mit gehobenem Herzen gefahren. Ich hielt mich für sehr brav, und mit einer gewissen Überlegenheit sah ich mich schon inmitten der Festleute, gnädig und verzeihend nach allen Seiten, zufrieden mit einem Lächeln Theodors, begnügsam mit einem Grüßchen Reginens und gern zu unterst an der Tafel sitzend. Allmählich kam eine süße Ausgelassenheit über mich. Ich hatte mein uraltes Tintengeschirr in die Tasche gesteckt. Es zeigte die Form eines weitbauchigen, mit Reblaub umkränzten Fäßchens und war das gleiche Geschirr, das Reginen und mich einst zu totfeindlichen Schulkindern gemacht, und das gleiche, aus dem Theodor und ich durchs ganze Gymnasium Beweise unseres Genies und unserer Torheit geschöpft. Dieses denkwürdige Geschirr wollte ich als Hochzeitsgabe und Unterpfand eines ewigen Friedens den Brautleuten mit irgendeinem geschickten Sätzlein in die Hand spielen. Nun aber beschloß ich in meiner Fröhlichkeit, einen eigentlichen Toast zu halten und darin Theodor als den beneidenswertesten der Sterblichen zu schildern und seiner jungen Frau in einer recht muntern und losen Art Abbitte für alles zugefügte Unrecht leisten. Ich wollte mein Fäßlein mit einem dunklen Wein füllen lassen und dann am Schlusse der Rede, zur Sühne meiner Sünden, bis auf den letzten Klecks austrinken. Und alle würden meinen, es sei wirkliche Tinte. Das war ein Spaß; aber ich hoffte doch, damit eine gewisse Schuld gegen Regina, wovon ich bei allem Haß immer einen leisen, aber steten Druck auf meiner Seele gefühlt habe, auf so eine lächelnde, zechende Art abzuzahlen.

Indem ich nun an diesem wichtigen Toast zimmerte, damit er recht geistreich und wirksam herauskäme, verpaßte ich den Anschluß von der Hauptlinie in die Ilgisser Nebenbahn und kam mit dem nächsten Bähnlein noch mit knapper Not zur kirchlichen Feier. Das Bergdorf heimelte mich mächtig an in seinem silbernen Schnee, seinen weißen, stillen Bergen, mit den sauberen, hablichen Häusern und dem ernsten, soliden, steiffeierlichen Volk, wovon ich so viele Männer und Frauen aus meinen einstigen Ferien mit Theodor noch sehr gut kannte, so die Bäckersfrau, die Sternenwirtin, die reichen Fabrikanten Eisen und Lamitz, den Sigrist, den Orgeltreter und Armenhänsler Feldli, die Tanten und Onkels Weggisser, aber auch einen Haufen junger Männer, mit denen ich über den Schnee gewalzt, Indianerlis gespielt und über jähe Hügel geschlittelt hatte. Fürwahr, ich sah noch das alte, unvergleichliche, hochgemute Ilgis, wo jedermann ein kleiner König und jeder Bub schon ein halber Held ist! Die übrige Welt hatte sich geändert; aber das Dorf hier und sein Gebirge sah aus wie am ersten Tag. Die Luft duftete von Schneefrische, die weißen Gipfel leuchteten wie Gold in der tiefen Sonne, die Kirche atmete eine weihevolle Ruhe, wie immer, wie immer! Das kannte ich schon vor einem Dutzend Jahren so. Aber eben das und der Pfarrer, so knapp und gescheit, der Orgler so korrekt, die Versammlung so feierlich, die ganze Trauung voll Stattlichkeit und Ehre, das alles versetzte mich aus der Verdroschenheit der Stadt in eine wahre Sonntagspoesie.

Erst unter der Kirchtüre hatte ich das Paar begrüßen können. Aber die Braut tat sonderbar. Kaum streifte sie meine Hand. Ihr Auge lachte wohl, als sie sagte: »Das ist schön von dir!« – aber mir war, es lache eine ganze Welt von Bosheit und von Triumph daraus. Das war nicht zu verkennen, diese Blicke wollten sagen: Siehst du, nun hab' ich ihn eben doch erobert! Nun brauch' ich deine Dienste nicht mehr zu lieben und deine Feindschaft nicht mehr zu fürchten. Geh' jetzt nur hübsch meiner Schleppe nach! Das ist das Gescheiteste, was du tun kannst . . . Bestürzt wandte ich mich zu Theodor. Da lachte alles in goldener Ehrlichkeit. Der lange schwarze Frack stand dem Riesen mit seinen blauen Augen, dem Kraushaar und dem schönen braunen Bart meisterlich an. Voll von übermäßigem Glück umfing er mich mit seinen Bärenarmen und küßte mich innig, wie er vorher seinen Paten und seine Tante geküßt hatte. Da zupfte ihn seine Braut am Ärmel und sagte etwas wie: »Schnell, der Pfarrer wartet!« Ich wandte mich zu ihr. Sie war weiß und starr wie Kalk.

An der Tafel saß ich nicht so arg fern vom Paare, wie ich von Reginens Anordnungen erwartete hatte. Es waren von beiden jungen Eheleuten nur Onkels und Tanten und Vettern und Bäschen da. Denn die Eltern ruhten im Grabe, und Geschwister hatten sie nicht gekannt. Dafür waren viele reiche Söhne von Ilgis, junge Fabrikherren, Gemeinderäte, der Pfarrer und die Reallehrer am Tische. Zuerst ward ein Glas mit geschraubter Feierlichkeit und ziemlichem Silentium getrunken. Dann beim zweiten Glas lispelte ein Nachbar zum andern: »Der Wein ist gut! Übrigens was haben diese Hochzeiter für Wetter . . .« Beim dritten Glas schossen Red' und Bescheid schon flinker hin und her und machten bereits einen kühnen Bogen über den Tisch. Schließlich schlug die Würde in Munterkeit und das zugeknöpfte Berglerwesen in Witz und Schnurren um. Manchmal krachte ein ganzer Tisch vom Humor, den ein alter Schläuling hervorspazieren ließ. Es gab Witze mit Glanzstiefelchen an den Füßen und solche mit genagelten, doppelsöhligen Bergschuhen. Die letzteren überwogen. Eine große Welle von Lustigkeit flutete durch den niederen, aber breiten Gasthofsaal und ergriff alle, als feierte ein jeder so etwas wie Hochzeit.

Neben mir saß der ehemalige, greise Gemeindeschreiber. Als zwölfjährige Knirpse durften Theodor und ich mit ihm auf den Surlaunkopf, einen steilen, vergletscherten Dreitausender. Ganz Ilgis schüttelte über diese Frechheit den Kopf. Aber es war eine Prachtstour und mit diesem sehnigen, ernsten Führer so sicher wie über die Dorfstraße zu gehen. Er neckte mich jetzt, weil ich damals nicht ans Seil wollte. »Ich bin sicherer allein!« hätte ich gesagt. »Na,« lachte er aus seinem rasierten, aber ganz verstoppelten grauen Gesicht, »und diesen Saal kennst du doch auch noch! Der Thedi hat hier mit allen Mädchen beim Kindertanz gewalzt und gehopst. Du bist immer bei der Schlagzither gestanden. So ein Musiknarr! Und da sag' ich: Warum? Jetzt kommt ein Schottisch, nimm die Lies; sie äugelt schon lang nach dem Stadtbüblein! Und du schon wieder: Ich bin sicherer allein! –Und nun bist du noch immer allein, sag'? Oder gilt's bald auch bei dir: Walter Gex und Irma Gix beehren sich bimbambimbam? Also nicht, also doch nicht! Sonst wärest du rot bis zum Wirbel worden . . .«

Er war köstlich und lieb, wie es nur so tapfere, feierabendliche Schälke sein können. Als ich mich nun auch gehen ließ – wer konnte so glühendem Wein widerstehen? – da raunte er mir mit einer gewissen spöttischen Milde zu: »Na, was ist denn eigentlich mit dieser Hochzeiterin? Man munkelt unglaubliche Bosheiten. Du und Thedi seien auseinander geraten, genau wegen der Prächtigen dort. Ihr seiet spinnenfeind, du und das Weib. Und sie sei eine verdammte Klette und lasse den armen Riesen kein Schnäufchen allein tun . . . Hejio, jetzt wirst du rot! Das hat getroffen! Nun, nun, das konnt' man schon an der Kirchtür sehen! Weißt, wir Gemeindeschreiber mit so und soviel Geburten und Ehen und Konkursen und Särgen im Jahr bekommen nach und nach Augen so scharf wie ein weißer Blitz! Da haben wir alles durchsichtig vor uns . . .«

Ich widersprach, log, erdichtete und schämte mich zuletzt immer mehr vor dem mildspöttischen Blick des Greises, der so ruhig auf meinen Lippen lag. »Nun, was wollen wir? Die Hauptsache ist, denk' ich, daß Theodor sein Glück davon hat!«

Ja, dort oben am Tisch schimmerte mein Freund vor Seligkeit wie ein Götze aus eitel Gold. Nun war es sein, dieses herrliche und ergebene Weib, das ihm am ersten Tag schon so scharf gefallen hatte und dann von einem zum andern immer noch mehr gefiel. Ich begriff das nicht. Aber ich beugte mich davor wie vor einem großen Geheimnis. So ein Geheimnis soll die Liebe ja immer sein, sagen die Leute. Und Regina breitete ihm die Hände unter die Füße, das war nicht zu leugnen, schenkte ihm ihre ganze Pracht und volle Glut. Sie wußte, wie er den Mädchen nachgestellt. Sie aber bot ihm ihre unverküßten Lippen und ihr unverbrauchtes, starkes Herz. Wer sollte da nicht lustig sein? Dazu kamen dieser schöne Tag, diese Sonne, all diese Kameraden und Wildlinge von der Dorfschule her, diese rührende Kirchenzeremonie, dieser liebe, schon ganz warme Ring am Finger, diese glänzende Tafel mit so gutem Wein und einem ihm so lieben Festgeräusch. Und nun ist er schon Eheherr, und morgen, wenn er aus seinem großen Haus ins Dorf hinuntersteigt, trägt er schon ein Amt mit. Denn die Gemeinde hat ihn zum Schulrat ernannt. Daneben beginnt er gemach, gemach sich als Advokat zu zeigen. Aber um einen Gartenzaun oder einen zehnfränkigen Streit wird er sich nicht ereifern. Lieber ins vaterländische Wesen greifen! Sein Heimatland ist eng und klein und zählt nicht viele, die Geld und Zeit genug und einen Doktorhut dazu in seinen Dienst werfen können. Und so mag es wohl bald geschehen, daß er eine Gemeinderätin, eine Regierungsrätin, weiß Gott, am Ende sogar eine Frau Landammann zur Gattin hat. Und welche Kinder wird sie ihm geben, so eine Stattliche! O die Vergangenheit war schön, und die Zukunft wird noch schöner sein! Aber am schönsten ist diese hochzeitliche, brausende, lachende Gegenwart!

Ja, ja, er durfte lachen! Und Reginens Freude war gewiß nicht geringer. Dennoch ward sie stiller, als ob sie das eigene Glück dämpfe, um Theodors um so heller leuchten zu lassen. Wie saß sie da! Wie eine Fürstin! Das schwarzseidene Kleid mit den goldgestickten Borten paßte unvergleichlich zu ihrem Bronzegesicht. Aber das Kränzlein aus weißroten Apfelblüten nahm sich in ihrem Zigeunerhaar wie ein naives Schneewittchen in einer arabischen Ballade aus . . .

Sie machte sich um den Gemahl so schlicht und treu und lieb zu schaffen, wie ich mir vorstelle, daß sich der Mond gegen die Sonne benähme, wenn es seiner Sehnsucht einmal gelänge, dem Tagesgestirn zu nahen. Ich kann es nicht besser bezeichnen. Nur Milde und Hingabe war aus ihrem schönen Antlitz zu lesen.

Aber fast niemand konnte mit dem Gatten reden. Sie wußte mit einer staunenswerten Kunst Theodor so dicht zu umschließen, daß man Mühe hatte, auch nur einen Blick oder gar ein Zunicken zu erhaschen. Bald war es mir klar, daß Regina auch hier am Fest und dann immer Theodor allein besitzen wolle und auch die älteste und treueste Kameradschaft nicht gelten lasse. Mir schien, sie fasse mich dabei ganz besonders ins Auge, und so oft ich Miene machte, Baldur zu rufen oder ihm zu winken oder zuzutrinken, kam sie mir mit irgendeiner Zärtlichkeit zuvor. Ich hob jetzt mein Glas über die Köpfe hoch hinaus, schoß ihm Blicke wie elektrische Funken zu, lachte ihn geheimnisvoll an und zwinkerte vielsagend mit den Augen, als ob es zwischen uns irgendeine Verschmitztheit gäbe, und ich brachte es damit so weit, daß Regina unruhig ward und sich noch viel eifriger an ihren Angetrauten schmiegte.

Links saßen Theodors Verwandte, gleichmütige alte Leute, die sich nach dem Tode des Weggissers mit einigem Brummen damit abgefunden hatten, daß Theodor nicht eine von den Herrentöchtern des Dorfes, sondern eine so wildfremde schöne Stadthexe ins Stammhaus der Weggisser führe. Sie machte ihn ja selig, das sah man. Was wollten sie Besseres? Geld brachte sie fast so ein schweres Teil wie der Gatte in die Ehe. Aber am meisten hatte sie den steifen Alten imponiert, als ihr Hausrat auf drei vierspännigen Wagen zum Weggisserhaus hinauffuhr. Der war so gar nicht auf städtisch lockere, hoffärtige Manier gedrechselt und gestutzt, sondern solid aus Hartholz geschnitten und recht einfach gearbeitet. Die Stühle hatten breite Rücken und wuchtige Füße, die Tische ein mächtiges Geviert, mit dickem, zweizölligem Blatt. Und da gab es Kasten, deren massive Türen schwer und wie in einem Windstoß auf- und zugingen, Kommoden und Truhen, die ein wunderbares Versteckensspiel von Schubladen und Geheimfächern trieben. Vor allem aber hatten die Betten gefallen mit den schweren, kurzen Elefantenfüßen, den eichenen Unterladen, den hohen, federnden Matratzen und mit einem Berg von Kissen, alles von der ehrenwerten Länge und Breite, wie die großen Leute dieses Dorfes es lieben. Man konnte kreuz und quer darin schlafen. Nachdem man diese Betten gesehen hatte, zweifelte auch die bedenklichste der bedenklichen Basen, Witwe Adelheid Fömmlin, geborene Weggisser, nicht mehr daran, daß diese Regina sich ordentlich in die alte, ehrsame Familie und ins Dorf Ilgis hineinfinden werde. Sie konnte ihr ja im einzelnen noch ein bißchen an die Hand gehen . . .

Als ich nun mit allem Nicken und Blicken und Vortrinken bei Theodor nichts erreichte, nahm ich mir vor, den Toast zu halten. Aber ich wollte ihm eine andere rhetorische Steuerung geben, als wie ich's in der Bahn ersonnen hatte. Meine guten Vorsätze waren verflogen. Für Regina sollte kein Wort abfallen, als was gerade die Höflichkeit des Tages erheischte. Gleich zu Beginn wollte ich das Tintengeschirr hervorziehen und in ihm unsere Freundschaft feiern. Ich wollte die besten Stunden unserer blutjungen köstlichen Gymnasiumszeit aufleben lassen. Alle guten Geister der Studien, die alte Universität am stillen Fluß, die berühmten Lehrer, die wackeligen Bänke, die Raufereien und die Gemütlichkeit der Buden, Band und Mütze und die runzlige Philisterin, die Sommernächte auf dem Floße landab und die Bummeltage in einsame Täler hinauf, die Kneipen, die Tänze, die heißen Examennöte, alles sollte auferstehen und in den rotesten Farben der Freundschaft und in den grünsten der Burschenschaft gemalt sein und den jungen Ehemann ein bißchen aus den zwei Bronzehänden dort in unsere männlichen Reihen zurücknehmen. Und ich wollte anmaßlich genug im Namen der Bockia sagen, daß wir die gleichen steten Freunde bleiben auch unter dem neu gezimmerten Ehehimmel und daß der Hochzeiter auf mich und meine Brüder durch dick und dünn rechnen dürfe. Und wenn er etwa einmal aus der Philisterei der Ehestube sich in die Freiheit unserer Buden zurücksehne, so solle er nur zu uns noch immer ledigen, freien, ungezähmten Freunden kommen. Er werde jederzeit fünfzig offene Arme finden. Und wir würden ihn dann bis zu den finsterheiligen Portalen des Ehetempels gern zurückgeleiten. War ich so weit, so wollte ich das Tintenfäßlein erheben und rufen: »Und Sie, schöne Hochzeiterin, gestatten nun wohl, daß ich dieses merkwürdige Geschirr, das auch Sie aus der gemeinsamen ABC-Zeit ein wenig anheimeln dürfte, zu einem ehrlichen Hoch auf die Freundschaft erhebe. Indem ich seine schwarze, bittersüße Tinte austrinke, möchte ich sagen: Wie du, lieber Theodor, und ich einst das Herbe und Frohe gemeinsam tranken, so wollen wir auch in den Bitternissen und Süßigkeiten des Berufslebens den Kelch gemeinsam austrinken. Es lebe die ewige Freundschaft!« Dann, unter dem Klatschen und Anstoßen der Gäste, wollte ich das Fäßlein zur Hälfte, zur Hälfte sollte mein Freund es leeren.

Ich fühlte im leisesten, ehrlichsten Innern, daß ich damit etwas Unkluges, schier Anstößiges beginne. Aber der spöttische Blick Reginens, wenn sie wieder einen neuen Angriff auf Theodor vereitelt hatte, machte mich fast besinnungslos. Manchmal sah sie auf mich herab wie eine, die im Lichte sitzt und voll Spaß einem Bettler im Schatten zuschaut. Er bemüht sich vergeblich, in ihren Sonnenschein emporzuklimmen. Immer fällt er wieder zurück. Das ist sehr lustig für eine Hochzeiterin anzuschauen.

Ich bin nie ein Redner gewesen. Nur was ich sorglich Zeile auf Zeile notiert und silbenhaft auswendig gelernt hatte, konnte ich glatt vortragen. Im Stegreif fiel mir jeder Satz auseinander. Er wollte fliegen, aber kam wie ein gerupftes Huhn kaum über den nächsten Zaun. Doch der Wein und der Zorn und die Liebe zu Theodor machten mich frech. Nachdem daher der junge Pfarrer einen kleinen Toast auf das Paar gehalten hatte, zitternd, weil dies der erste Anlaß war, wo er nicht auf der sichern Kanzelhöhe, sondern mitten unter den Leuten am offenen Wirtstisch einen halb evangelischen, halb weltlichen Spruch tun mußte, klöppelte ich an mein Glas, stand rasch und nervös auf und sah zwischen zwei dunkelroten Weinflaschen gerade ins verschreckte und ergrimmte Gesicht Reginens. Sie ahnte Unheil und sprühte mir alle Glut ihrer langen, dunklen Augen ins Gesicht. Ich lächelte ihr spöttisch zu, und wahrhaft, da zeigte sie mir schlangenflink ihre Zunge! Brandrot hatte es gezückt und war zwischen den dünnen Lippen verschwunden. Niemand hatte es gesehen, weil alles auf mich blickte und den ersten Satz erwartete, den ich zum besten geben würde. Vor der Grimasse der tollen Hochzeiterin hatte ich alle meine rednerische Überlegung verloren. Mir stieg es innen und außen wie Nebel auf. Ich wußte nur noch eines, daß ich vom Tintengeschirr hatte reden wollen, weil ich es heiß in der Rocktasche umkrampfte.

»Ruck einmal aus, altes Haus!« donnerte Theodor mir munter herüber. »Er kann euch Schundpauken halten zum auf den Kopf stehen,« wandte er sich an die Gäste.

»Ich hatte eine schöne Gratulationsrede studiert,« begann ich mit heuchlerischer Schüchternheit. »Aber in diesem Geglitzer der Kelche und Vasen und schönen Augen habe ich alle Fassung verloren. Keine Zeile weiß ich mehr. Ganz frisch und vorweg, wie es kommt, muß ich nun reden. Ich müßte verzweifeln . . .«

»Der Schalk!« lachte Theodor und fletschte vor Spaß mit den Zähnen. »Nun achtet einmal, was er euch alles aus dem Ärmel schüttelt!«

»Ich müßte verzweifeln, hätte ich nicht einen kleinen, alten, wunderbaren, alleswissenden Souffleur im Sack, der mich inspirieren muß . . .«

Damit zog ich das mit einem schwärzlichen dicken Wein aus Piemont gefüllte Tintengeschirr heraus.

»Hei!« machte Theodor entzückt. O, er kannte dieses Gefäß, worein wir jahrelang zu zweit unsere faulen, betrübten, wilden und einmal auch begeisterten Federn getunkt hatten. Ich sah es ihm an, wie ein ganzer Schwarm Erinnerungen gleich bunten Vögeln um seine lieben blauen Augen flatterten. Aber Regina stieß einen leisen Schrei aus und umfing mit beiden Armen den Hals des Gemahls, als suchte sie bei ihm Hilfe.

»Liebes, bittersüßes Becherlein meiner Jugend,« redete ich das hoch erhobene Fäßlein an, »sprich du für mich an diesem hohen Tag! Krame deine alten Herzlichkeiten aus! Man versteht dich hier sehr gut. Schau, wie der Hochzeiter dir zunickt! Und Frau Regina, das Schulmädchen von Lauwis, erkennt dich auch mit freudigem Verständnis. Nicht wahr, hübsche Hochzeiterin, du erinnerst dich noch an jenen berühmten Vormittag, wo du . . .«

Ich kam nicht weiter. Es blitzte etwas durch die dämmerige Luft des Saales und zerspritzte und zersplitterte in hundert Scherben neben meiner Flasche. Frau Regina hatte mir ihr Glas zugeschleudert. Sie war wieder ganz Wildkatze.

»Spaß oder Ernst?« fragen sich alle. Theodor reckt sich auf. Seine blauen Himmel flackern wie immer, wenn etwas um ihn herum unsauber scheint. Er sieht die Gemahlin wie eine gereizte, sprungfertige Katze halb über den Tisch erhoben und den glühenden Kopf vorgeneigt.

Ich erbleichte, aber faßte mich sogleich wieder, lachte auf die Scherben nieder und schrie lauter: »Ach, hübsche Dame, diesmal hast du übel operiert! Fast so ungeschickt wie an jenem Vormittag, wo du dieses Fäßlein . . .«

»Schweig! Du willst mich wieder verschwärzen wie damals! Du hast zuviel Wein getrunken! Theodor, verbiet' ihm . . .«

»Leutchen, Leutchen,« begann Theodor mit einem grimmigen Beben seines gewaltigen Basses.

»Ach was, junges Frauchen, ich will doch nur erzählen, wie du schon damals als neunjähriges Hexlein . . .«

»Du magst mir heut noch den Theodor nicht gönnen, das ist's! Hast immer dagegen gearbeitet, willst uns jetzt auch noch den Hochzeitstag vergiften . . . Aber du kommst zu spät, wie immer, du verdammter Schneckenkönig!«

»Wie du schon als neunjähriges Hexlein kräftig gelogen hast . . . und es mit Lügen dann weiter triebest, bis . . .«

»Walter!« donnerte jetzt mein Freund unheimlich durch den Saal. Links und rechts zupfte man mich. Aber ich, vom Wein und von all dem alten und neuen Haß getrieben, brach wütend über alle Borde aus: »Bis du heute in der Kirche – denn keiner Katze ist zu trauen – deine jüngste und größte Lüge getan . . .«

Was weiter geschah, weiß ich nicht mehr klar. Ich spürte, wie viele Hände nach mir langten, und hörte dunkle Stimmen um mich reden und sah immer ferner ein Flimmern von Lichtern und Gesichtern, und durch alles hindurch wie ein letztes Gepolter, bevor es ganz still wird, vernahm ich Theodor: »Hinaus, Mensch, und laß dich nie mehr sehen!«

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