Kurt Faber
Tausend und ein Abenteuer
Kurt Faber

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13

Romantik der Wolle

Ein seltsamer Fluß / »Darling Dreadnoughts« / Tantalusqualen / Ein gesegneter Durst / Buschdörfer / Ein besseres Cayenne / Eine tiefschürfende Konversation / »Auf das Nasenbein kommt's an« / Die Scheckjäger / Beschauliches Martyrium / Ein mehr malerisches als reinliches Heer / Fürstliche Löhne für die anderen! / S. M. der Schafscherer / Ein schwieriges Handwerk / Etwas von Buschköchen / Don Quichote im Busch / Wirklich Regen! / Idyll in der Schäferhütte / »Brüllpeter« erzählt eine Geschichte / Eine wüste Nacht / Rosinante wird mir untreu / Verirrt im Busch / Ein Handelsgeschäft / Vandalenakte / Weiter mit dem Wollkarren

Noch immer weiter ging es flußaufwärts am Darling. Es ist ein seltsamer Fluß von der Art, wie man sie nur in Australien findet. Was wir früher schon vom Murrayriver sagten, das gilt auch vom Darling, nur daß hier die Flußufer noch höher und die Uferbänke mit einem noch zäheren Schlamm besetzt sind. In den langen Monaten der Dürre ist der Darling fast ebenso trocken wie ein südwestafrikanischer Onuramba. Aber wenn vor Einbruch des Winters in Queensland der Regen zu fallen beginnt, dann hat man tausend Meilen weiter unten schon die Höhe der Flutwelle berechnet, Wochen ehe sie fällig ist. Die »Darlingdreadnoughts«, die so lange auf dem Trockenen gesessen haben, machen sich reisefertig und dampfen bei erster Gelegenheit flußaufwärts mit den Frachten für die Stationen.

Nun war es beinahe wieder so weit. Nun wälzte sich das Wassergelb durch die tiefe Rinne, das Gras stand fußhoch in der Dschungel. Aber eine reine Freude war es darum doch nicht. Wer den Darling nicht versteht, für den ist er ein ärgerliches Ding. Durstig von der langen Fahrt kampiert man am Flußufer unter den Gummibäumen. – Jetzt erst einmal einen Tropfen Wasser! Drunten blinkt es ganz aus der Nähe, nur wenige Meter entfernt. Aber wie hinunterkommen? Wo sich festhalten an den steilen Bänken, wo man bei jedem Schritt bis über die Knöchel in dem zähen Lehm versinkt? Noch heute – nachdem doch schon beinahe ein Jahr darüber hingegangen ist – denke ich mit Aerger zurück an meine verzweifelten Bemühungen beim Wasserschöpfen, mühsam balancierend auf einer Baumwurzel und oftmals den kostbaren Inhalt wieder verschüttend, nachdem er beinahe schon oben war, während Rosinante durstig schnuppernd unter den Bäumen wartete. Unglaublich, was so ein Vieh alles saufen konnte!

Man muß ein gelernter Darlingreisender sein, um die Stellen zu wissen, die ungehinderten Zugang gewähren, ohne mit Seiltänzerkünsten das Wasser zu balancieren.

Gelernte Darlingreisende – es gibt deren genug. Hartgesottene »Old timers«, richtige Speckjäger, um in der Sprache der deutschen Landstraße zu reden. Mit den ersten Ansiedlern in den neunziger Jahren sind sie zum Fluß gekommen und seither haben sie getreulich den Swag auf und ab getragen von Station zu Station an seinen Ufern, bis sie grau und endlich weiß geworden sind und nichts mehr an ihnen ordentlich funktionieren will als die nimmermüden Füße. Die meisten sind schon im Genuß der vom Staate gewährten Altersrente, die freilich pünktlich an jedem ersten die Gurgel hinunterfließt in der nächsten Buschkneipe oder in einer von diesen aufblühenden Ortschaften.

Und das bringt mich zwanglos auf ein Thema, von dem ich nur mit Unbehagen spreche:

Das Langweiligste, Oedeste, Trostloseste auf dieser Erde ist eine Buschkneipe im Innern Australiens. Von ihren Reizen habe ich schon an anderer Stelle berichtet, aber schlimmer als jene ist das Buschdorf und über diesem sträubt sich die Feder. Schwer zu sagen, was außer dem baren Verdienst einen Menschen veranlassen könnte, dort seine Tage zu verbringen. Denn es ist eine Verbannung zwischen Wellblech, ein besseres Cayenne. – Vom fernen Sandhügel hält man Ausguck nach der verheißenen Stadt. Nichts ist zu sehen als graues Land im grellen Sonnenlicht und der Staub über der Steppe. Irgendwo in der Ferne blitzt Wellblech unter staubigen Gummibäumen. Beim Näherkommen sieht man noch mehr Wellblech. Unversehens ist man schon mitten im Ort, auf einer Fläche, die so groß ist, daß man den Platzschwindel bekommt. Irgendwo steht ein »Store«Store mit einer hölzernen Veranda, auf der eine unbewegliche Gestalt, die ganz Hut ist, immer Siesta hält. Irgendwo klankt langweilig eine Windpumpe. Irgendwo fangen sich die Sonnenstrahlen in einem Haufen leerer Whiskyflaschen. Vielleicht weht der Wind. Dann klappert es seltsam in den Gummibäumen, dann wirbeln die gelben Staubwolken und die leeren Konservenbüchsen kollern durch die einzige breite Gasse. Vielleicht ist es windstill. Dann brütet die Sonne und die Hitze flimmert über dem blinkenden Blech und ringsum ist es so still wie in dem Nirwana, von dem die Buddhisten träumen.

In solcher Umwelt gibt es nur eine rettende Gnade: das Wirtshaus.

Wir binden den müden Gaul an die Veranda unter dem großen Schild, auf dem so einladend »Hotel« geschrieben steht und wecken zunächst einmal den Wirt.

»Rum!«

Er bringt uns das Getränk, das wir langsam schlürfen, und das aus guten Gründen, denn es brennt wie Schwefelsäure. Und dann – was soll man denn mit sich anfangen bei solcher Hitze? – Man trinkt noch einen Rum. Ueber dem ist es Abend geworden und eiskalt. Die schwarze »Gin«Eingeborene Frau macht ein Feuer im Kamin. Langsam versammeln sich darum einige Honoratioren des Ortes. Langsam kommt so etwas wie eine Konversation zustande. Ausnahmsweise bewegt sich das Argument einmal nicht um die Schafe, sondern in höheren Sphären, gentlemanlike.

– Morgen würde also Tom mit Gene in New York boxen. Welch ein Ereignis! Zehn Pfund für Tom! – Aber wieso denn, wo er doch fünf Pfund leichter ist? – Ja, aber die Faust mißt fünfzig Zentimeter im Umfang, er ist gut im Fußwert und kann was einkassieren. – Erinnern Sie sich doch, meine Herren, an den großen Tag, wo Tom Sharkey mit Jim Maloney boxte – ah, da hat man's wieder gesehen! Auf das Nasenbein kommt's an, ebensoviel wie auf die Fäuste. Und dann – Gentlemen – ist doch auch die Kopfarbeit bei Tom besonders glänzend. So mit dem Kopf in den Magen –«

So ungefähr hört man's im Busch und überall in Australien bei Leuten, die bestrebt sind, ihre Konversation einigermaßen auf der Höhe zu halten. Mehr noch als anderswo hat sich hier die moderne Richtung der Abkehr vom Geistigen durchgesetzt. Der beste Boxer ist ihnen auch der vollkommenste Mensch. Niemand fällt es ein, das in Frage zu stellen. Jedes Kind auf der Straße kann die Namen dieser Uebermenschen im Schlafe hersagen. Jede Zeitung bringt zehn Seiten Sport für eine halbe Politik. Internationale Boxkämpfe werden einem bis zur Fieberhitze erregten Publikum in solch flammenden Ueberschriften verkündet wie jene, die ich eines Tages als New Yorker Sonderbericht in einer Sydney-Zeitung las:

»Hallo Tom, says Gene!«Wie schaut's, Tom? sagt Gene

Nun mögen die Götter wissen, wer Tom und wer Gene ist; aber der Australier weiß und würde jeden als eine Unschuld vom Lande ansehen, der seine Unwissenheit auf diesem Gebiete zur Schau stellte.

Alles das ist, wie gesagt, ein unerschöpfliches Thema an australischen Kaminen, selbst im hintersten Busch. Aber einmal beginnt es doch leerzulaufen, und dann müssen wieder die Schafe zur weiteren Unterhaltung herhalten. Es war das zur Zeit ein trübes Thema, so trüb und freudlos wie das Feuer im Kamin. Dieser hat zweitausend, jener dreitausend Schafe verloren. Mit dem gegenwärtigen Stand der Weide sähe es noch immer traurig aus, und selbst wenn der Regen nun käme, was nutze er, wenn man keinen Stock mehr habe für die Weide? Denn so ginge es immer in diesem Lande: zuerst habe man Schafe und kein Futter und dann Futter und keine Schafe.

So schleppt sich in der Regel die mühsame Unterhaltung hin, bis dann endlich einmal ein paar Jungens von der Station kommen und Leben in die Bude bringen. Sogleich rundet sich die essigsaure Miene des Galgenstricks von einem Gastwirt:

»Hallo, Bill! Auch wieder hier? 's ist ein Monat von Sonntagen, seit wir uns nicht mehr gesehen.«

Mit hörbarem Ruck fällt Bills Scheck auf den Schanktisch.

»Sagt mir, wann ich mich durchgesoffen habe.«

Es sind so einige zwanzig Pfund. Es lohnt die Mühe. Für ein paar glückliche Stunden ist Bill der Held des Tages. Dann geht es zu später Stunde mit einem Hundstritt wieder hinaus aus der Bar und zurück nach der Station in Hemdsärmeln. Es ist auf den ersten Blick fast nicht zu begreifen, wie der australische Busch mit seiner trotz aller Rauheit so gutmütigen, in ihrer Denkart beinahe kindlichen Bevölkerung eine solche Gesellschaft von ausgekochten Schurken in seinen sogenannten Städten hervorbringen konnte. Wohin man schaut in jenen Plätzen, sieht man die lauernden Galgengesichter einer Menschenrasse, denen die Uebervorteilung der lieben Mitmenschen zur zweiten Natur geworden ist. Man sieht sie beim Gastwirt, beim Krämer, sie verfolgen einen auf der Straße. Für das jämmerliche Unterkommen in einer miserablen Kneipe zahlt man mehr als für ein Staatszimmer im ersten Hotel in Sydney, ein Hut kostet so viel wie ein Anzug in Melbourne. Vor allem aber sind sie Scheckjäger, ein Gewerbe, das seinen Mann nährt. Kommt da so ein armer Teufel mit einem fetten Scheck von seiner Hütte, wo er vielleicht monatelang außer Hunden und Schafen keine lebende Seele gesehen. Menschenhungrig ist seine Seele, nach Zerstreuung, nach Abwechslung dürstet sein junges Blut. Und da gähnt ihm nun so ein Kaff entgegen mit seinem Wellblech in der grellen Sonne. Niemand kümmert sich um ihn. Einsamer selbst als in seiner Hütte steht er auf der Straße. Nur in der Kneipe ist er willkommen.

»Hallo, Jim . . .

Vielleicht ist auch so eine in Melbourne längst schon abgedankte Schönheit da.

»Man weiß, das Volk taugt aus dem Grunde nichts.
Geschnürten Leibs, geschminkten Angesichts,
Man weiß, man sieht's, man kann es greifen.
Und dennoch tanzt man, wie sie pfeifen.«

Monatelang hat man sich's geschworen in der Hütte: »Nie wieder!« Vielleicht widersteht man der ersten Versuchung, dann erliegt man der zweiten oder dritten. Es ist eine Springprozession von Fall zu Fall, bis man dennoch die Beute der Scheckjäger wird.

Doch das sind Geschichten und Tragödien, die viel zu traurig sind, als daß es sich lohne, bei ihnen zu verweilen. –

Wenn schon nichts Rühmenswertes zu berichten ist von den Buschdörfern, so muß man die »Stationen« um so mehr anerkennen in ihrer Wichtigkeit. Das muß eine glorreich-abenteuerliche Zeit gewesen sein, damals als die ersten »Squatters« mit ihren Tieren zum Darling kamen und die Grenzreiter ihre Schafe in stetem Kampf vor wilden Tieren und noch wilderen Menschen schützten. Heute ist alles Land, auch hier im Hinterland, eingefaßt durch Zäune, die die Schafe besser bewachen, als Menschen es könnten. Die Tage des alten »Boundaryrider« sind vorüber. Heute ist er, wie in anderen Ländern, ein Schäfer, dessen Aufgabe im wesentlichen darin besteht, die Zäune abzureiten und wenn nötig auszubessern. Zehn Monate im Jahr ist das alles eine ziemlich stumpfsinnige Angelegenheit. Die großen Scherschuppen stehen tot in der Sonne. Die »Stationshände« machen sich ums Haus herum nützlich, der Lagerverwalter schläft über seinen Schätzen, in der »homestead«, dem meist mit einem mühsam bewässerten Garten umgebenen Herrenhause, sitzt der Squatter, der viel Whisky mit wenig Soda trinkt, und seine Frauen und Töchter, die lange Patiencen legen und in den Modejournalen blättern oder im »Sydney Bulletin« lesen.

Dann aber kommt die große Mobilisation. Es wird lebendig in den Telephonen, die zu den Schäferhütten führen. Aus allen PaddoksGehege setzen sich die Schafe in Bewegung, ein großes, graues Heer in konzentrischem Anmarsch, der je nach den Weisungen vom Hauptquartier bald aufgehalten, bald beschleunigt wird. Zu gleicher Zeit kommt aber auch Leben in das Heer der Arbeiter, die oft in Entfernungen von tausend und mehr Meilen sich aufmachen, um hier die kurze Verdienstmöglichkeit von knapp zwei Monaten mitzunehmen. Zu Fuß, zu Pferde, mit Autos, Fahrrädern und mit der Eisenbahn strömen sie herbei, ein buntes, zerlumptes, mehr malerisches als reinliches Heer.

Welche Menschen!

Im Gegensatz zu dem so überaus lammfrommen modernen Amerikaner sind die Australier durchweg von einem ausgeprägten Unabhängigkeitssinn beseelt, der eng verbunden ist mit einer allgemein verbreiteten leidenschaftlichen Anteilnahme an Dingen der hohen Politik. Nur so ist es möglich gewesen, auf diesem unendlich dünn bevölkerten Raume die gesamte Arbeiterschaft zusammenzuschließen zu einer gemeinsamen Arbeiterunion, die es verstanden hat, auch die politische Macht an sich zu reißen und seit Jahrzehnten das Land mit einem System zu beglücken, das nach außen, namentlich in Fragen des unglaublich hohen Schutzzolls, ganz nationalistisch ist, während im Innern Methoden angewandt werden, die man nur als bolschewistisch bezeichnen kann. In keinem Lande der Welt sind – auch an den Lebenshaltungskosten gemessen – die Löhne so hoch wie in Australien. Nirgendwo geht es dem Arbeiter so gut – auf dem Papier! So beträgt z. B. der Tariflohn eines Anstreichers in Sydney z. Z. 110 RM. pro Woche, eines gelernten Zimmermanns 121 RM. pro Woche, und die Maurer verdienen soviel, wie sie wollen.

Und doch –

Die Tausende, die da in Melbourne ihr Leben an den Suppen der Heilsarmee fristen, die Zehntausende, die bei Lagerfeuern vor den Farmen umsonst auf Arbeit warten, dürften sich wohl mit dem Liede sagen: »Was nützet mir ein schöner Garten, wenn andere drin spazieren gehn?« Was nützen die fürstlichen Löhne – der anderen, wenn man selbst den Billy über die Landstraße tragen muß, weil nirgendwo Arbeit zu finden ist, und das gerade aus diesem Grunde?

Von allen Seiten waren sie am Murray und Darling zusammengeströmt in jenem mißvergnügten Winter des Jahres 1928. Matrosen von den aufgelegten Schiffen, Bergleute von den Minen von Broken Hill, Handlungsgehilfen aus Sydney, die offenbar in einer Art Panik die Stadt verlassen hatten und nun ohne Swag, ohne Billy, ohne irgendwelche ländliche Ausrüstung, mit zierlichen Halbschuhen, in lächerlicher Stadtkleidung am Feuer saßen und nicht wußten, was sie mit sich anfangen sollten. Und den anderen ging es nicht viel besser als diesen »Stadtfräcken«. Keine Arbeit. Wenig Schafe. Kurze Schurzeit. Auch im Busch haben die Gewerkschaften für jede Arbeit einen Mindestlohn festgesetzt in Höhe von etwa vier Pfund pro Woche. Es ist ein fluchwürdiges Verbrechen, schlimmer als das Pferdestehlen, wenn etwa einer sich einfallen ließe, eine Arbeit anzunehmen, die unter diesem Tarif bezahlt wäre. Aber härter noch als das Gebot der Gewerkschaften ist das der Not, und so sah man sie ringsum recht fleißig und willig als »Volontäre« auf den Farmen arbeiten um ein Taschengeld von – einem Pfund pro Monat!

Ja, es ist manchmal seltsam bestellt um solche Arbeiterparadiese!

Anders steht es schon mit den Aristokraten unter den Arbeitern im Busch: den Schafscherern. Schafscherer sind überall eine eigene Rasse. In aller Herren Ländern habe ich sie zu beobachten Gelegenheit gehabt. In Patagonien, in Südafrika, hier in Australien, und bestenfalls kann ich von ihnen sagen, daß sie schwer zu behandelnde Menschen sind. Der Umgang mit Schafen bringt das so mit sich. Und das Bewußtsein der Unentbehrlichkeit. Es ist ein anstrengendes Gewerbe, das eine gewisse Kunstfertigkeit verlangt, die man sich bezahlen läßt. Ein einigermaßen geübter Scherer erledigt durchschnittlich hundert Schafe pro Tag und erhält dafür eine Bezahlung von zwei Pfund und fünfzehn Schilling, also rund 55 Mark pro Tag. Viele gehen weit über diese Leistung hinaus und erreichen Wochenverdienste bis zu fünfhundert Mark!

Es gibt zwei Sorten von Scherern, die zur Schafschur pilgern. Die einen kommen per Auto oder Eisenbahn direkt aus der Stadt, geschniegelt und gebügelt, als ob sie zu einem Tanzvergnügen in der Vorstadt Paramatta gingen; richtige »swells«, wie man im Busch sagt. Die anderen sind ganz gewöhnliche Bündelmänner. Aber Götter sind sie alle, sobald sie Scherer sind. Sobald der »Mob«Pöbel, hier etwa Kolonne der einfachen Arbeiter zusammengestellt ist, ergreift er Besitz vom Scherschuppen und wählt einen Obmann, den »Rep«, als Verbindungsmann mit der Farmverwaltung. Dieser tritt dann vor die Tür und ruft es hinaus mit Stentorstimme:

»Any cooks about?«Sind hier Köche unter euch?

Worauf dann eine Schar der seltsamsten Köche oder solcher, die es sein möchten, vor ihm auftaucht, alle mehr oder weniger zerlumpt und verkommen an unzähligen Lagerfeuern, denn es ist lange her seit der letzten Saison. Nach langer Beratung wird endlich ein Glücklicher erwählt, der dann einige Wochen oder Monate lang ein Höllenleben führen darf, denn es gibt nichts zwischen Himmel und Erde, das einen Scherer zufriedenstellen könnte. Die saftigsten Beefsteaks, die leckersten »Brownies« (australisches Wort für Kuchen) machen bei ihm keinen Eindruck. Zehnmal am Tag will er Tee und zwei- oder dreimal Kakao trinken, zum Frühstück will er »ham and eggs«,Schinken mit Ei zum Lunch ein Kotelett, zum Nachtessen eine süße Speise haben. Und wie das alles kochen am offenen Feuer?

Weit verbreitet in Australien ist die Anekdote von jenem Buschkoch, der seine Dienste anbot mit den folgenden klassischen Worten: »Vom Kochen versteh ich zwar nichts, aber das wenigstens kann ich von mir sagen: einen willigeren und fleißigeren Koch wie mich könnt ihr im ganzen Australien nicht mehr finden.«

Ein anderer – ein Mann wie ein Baum, der seiner Sache sicher war – brachte sein Verhältnis zu der Mannschaft gleich von allem Anfang ins klare. Bei der ersten Mahlzeit marschierte er mit aufgekrempelten Hemdsärmeln in die Hütte und setzte das Essen mit hörbarem Gepolter auf den Tisch: »Hier ist Ihr Essen, Gentlemen, Sie können etwas davon haben, oder was vom Koch!«

Die Zahl solcher und ähnlicher Geschichten, die im Busch umgehen, ist Legion. Freilich muß man den Scherern zugestehen, daß sie arbeiten. Man muß sie gesehen haben, wie sie sich mit ordentlich knackendem Rücken über Schafe beugen, derweilen die sausende Maschine das ungebrochene Vließ wie einen Mantel vom Rücken des Schafes schält, das dann, nach getaner Arbeit, kahl und unwahrscheinlich dünn, wie ein Ziegenbock zum andern Ende des Schuppens hinausspringt. Es ist ein Pandämonium der Arbeit, das sich da abspielt im Halbdunkel des Schuppens. Die sausenden Maschinen, die halbnackten Gestalten, die die Wolle vom Boden auflesen und fortschaffen, das geschäftige Getue der Sortierer, das Ächzen und Stöhnen der Wollpresse im Nebenschuppen.

Leider ist nicht abzuleugnen, daß trotz dieses oben erwähnten gewaltigen Gebrauchs und Verbrauchs von Köchen dennoch in jeder, selbst in der besten Saison alljährlich ein erheblicher Überstand bleibt, eine Reservearmee von Köchen und solchen, die es sein wollen, die Wochen zuvor voll Hoffnung hinauszogen, »Schuppen zu jagen«, wie der Fachausdruck lautet, und nun betrübt um die Feuer sitzen und auf Gott und die Welt und das Land Australien schimpfen. Weiter flußaufwärts am Darling, in der Gegend zwischen Bourke und Wilcannia, traf ich einen ganzen Trupp, der bei einer Station am Flußufer lagerte. Es war keine erfreulich aussehende Gesellschaft. Graue Köpfe, verwilderte Bärte, zum Teil auch harte Physiognomien, deren Inhabern man es ohne weiteres glauben konnte, daß sie nicht allzu großen Wert darauf legten, in der Nähe der Polizei zu wohnen.

Aber ich war hungrig. Ein angenehmer Duft von gebratenen Fischen und gerösteten Hammelkeulen schwebte um das Lager, und da sie mich freundlich einluden, ließ ich Rosinante laufen und verbrachte hier die Nacht als Koch unter Köchen. Es war eine ganz schöne und für diese Winterzeit ungewöhnlich milde Nacht, in der die Sterne groß durch das Blätterdach der Gummibäume schimmerten. Aber die bösartig verbissene Unterhaltung floß eintönig dahin. Es war auch eine zu traurige Gesellschaft von müden »Old timers«, die selbst der Busch schon abgetakelt und zum alten Eisen geworfen hatte. Einer aber fiel mir auf – ja, man machte so seine Bekanntschaften im Busch! – Er war ganz lang und dürr und hatte große, schwarze, wildblickende Augen; ein wiedererstandener Don Quichote. Von diesem hatte ich schon gehört in den Gesprächen der Jungens weiter flußabwärts. Es war »roaring Peter«, Brüllpeter. Er war schon länger im Busch und mehr noch verwittert von diesem als irgendein anderer von den Jungens. Und doch hatte er einmal andere, bessere Zeiten gesehen, glorreiche Zeiten auf seine Art, damals, als er noch Kapitän war auf einem »black birder«, einem jener Südseeschoner, die in vergangenen romantischeren Zeiten mit List und lockenden Versprechungen, oft auch mit roher Gewalt die Kanaken in ihren Inselparadiesen aufgriffen und gegen gutes Kopfgeld nach den Zuckerrohrplantagen in Queensland verfrachteten. Doch das war lang, lang vor der Zeit, da er hier am Feuer saß. Exotisch wie er aussah, kam mir doch sein Englisch verdächtig vor, so daß ich ihn geradeheraus fragte, ob er nicht etwa doch in der Gegend von Heidelberg oder Karlsruhe zu Hause wäre, was er denn auch zugab nach einigem Leugnen.

»Hast du Tabak?« fragte er mich.

»Nein«, sagte ich.

»Aber eine Zeitung.«

Die hatte ich. Ich gab ihm ein Blatt aus dem »Sydney Bulletin«, das er sorgfältig glättete. Dann suchte er die letzten verlorenen Tabakkrümel aus seinen zerrissenen Taschen, legte sie auf das Papier und rollte eine Zigarette, Marke »Sydney Bulletin«.

So etwas nennt man eine »Cadie«, eine Buscharkadia.

Als er damit fertig war, legte er sich auf die andere Seite. Das Gespräch verstummte. Bald hörte man nur noch das Knistern des Feuers, das Kruksen der wilden Tauben und das Schreien der Kakadus, die uns in den Schlaf sangen. –

Aber noch ehe der Morgen graute, wurde ich unsanft aufgeweckt durch etwas, durch ein Naturereignis, an das ich schon gar nicht mehr glauben wollte. Schlaftrunken schaute ich in den grauen Himmel. Der Wind heulte in den Baumkronen. Es trommelte auf den Blättern. Dicke Tropfen fielen auf den Boden. – Es regnete wirklich!

Und es hörte auch sobald nicht wieder auf. Drei Tage lang hockten wir in dem Schuppen und lauschten voll Wonne auf den Regen, der auf das Wellblechdach trommelte. Es gibt keine lieblichere Musik für australische Ohren. Denn wenn es einmal wirklich dort regnet, so regnet es Pfunde. –

Während dieser Zeit hatte ich Muße, mir über meine kommenden Reisepläne einen Überblick zu machen. Bisher war Queensland mein Traum gewesen, aber Brüllpeter hatte mich richtig beredet zu einem Abstecher nach Osten, in die Richtung der Neu-England-Berge. Dort sei die Gegend lange nicht so abgegrast, und außerdem brauche man sich doch jetzt nicht mehr an den Fluß zu halten, wo es überall Wasser und bald auch Gras für das Pferd gäbe. Sobald es richtig aufgeklart hatte, zogen wir denn weiter. Ich mit meinem Wagen, er mit seinem schwerbepackten »Kamel« (Buschname für Fahrrad).

Die Gegend, in die wir nun kamen, ist noch weit dünner besiedelt als die am Darling und die Stationen so weit auseinander, daß man in der Regel ein- bis zweimal dazwischen im Busch oder in Schäferhütten übernachten muß. Die sehr sandigen Wege ermöglichen nur ein langsames Vorwärtskommen und die mit Tamarisken und Salzbüschen besetzte Ebene bietet auch keine erfreuliche Augenweide, wenngleich gerade diese für das Laienauge so spärlich aussehenden Salzbüsche das allerbeste und gegen jede Art von Dürre widerstandsfähigste Viehfutter liefern. Gegen Mittag kamen wir an eine kümmerlich genug aussehende Schäferhütte, die aber Brüllpeter so gut gefiel, daß er sich weigerte, weiter zu reisen. Denn bei ganzen Tagemärschen – so meinte er – würde man müde werden. – Und warum? Am Rande einer großen Lagune, die der letzte Regen mit schlammigem Wasser gefüllt hatte, machten wir ein Feuer. Das junge Gras, das mit der für Steppenländer so charakteristischen Schnelligkeit auf den ersten Regen hin schon herausgeschossen war, war ein Traktament für Rosinante und so war alles in schönster Ordnung. Die Hütte freilich war eine seltsame Konstruktion aus alten Petroleumtannen und einem Dach aus Gummibaumrinde. Der Schäfer, der sich schon seit Wochen nur mit seinen Hunden und mit dem klappernden Teekessel unterhalten hatte, nahm Rache dafür an uns, indem er uns stundenlang in seiner schläfrigen Weise über die neueste chronique scandaleuse im Busch unterhielt. Leider war sein Tabak ausgegangen und aus diesem Grunde rauchte er in seiner Pfeife gedörrte Gummiblätter, die einen Rauch verbreiteten, der fast so scharf und beißend war wie die Flüche, mit denen er seine Geschichten würzte.

So ist das Schäferleben in diesem modernen Arkadien. Eine beschauliche Verbannung in behaglicher Verzweiflung, zwischen Herde und Hütte.

Nebenan klankt eine Windpumpe über dem Trog, in dem manchmal wirklich Wasser genug für die Schafe ist. Der Tag ist lang in dieser Einsamkeit; aber länger noch sind die Nächte mit den verworrenen Stimmen der Wildnis unter dem sternklaren Himmel. Da sitzt man dann neben der rußigen Feuerstelle, über der der Billy baumelt, und schaut in die unruhigen Flammen und hält Konversation mit dem kochenden Wasser im Teekessel und mit den Hunden – vor allem mit den Hunden. Zumeist sind es deutsche Schäferhunde, aber seit dem Kriege beliebt man sie »Alsacians«Elsässer zu nennen. Kein Tier gibt es auf dieser Erde, das so viel Lügen über sich ergehen lassen muß wie ein Schäferhund. Der ist kein rechter Buschmann, der nicht ein halbes Dutzend davon auf Lager hat. Und doch hätten sie es nicht nötig, denn auch die Wahrheit bietet Stoff genug zu erstaunlichen Berichten. War da einmal ein Sundowner, der sich seine Hunde zum Schafefangen abgerichtet hatte und damit einen angenehmen, wenn auch ungesetzlichen Unterhalt verdiente. Das ging, so lange es gehen konnte, bis der Herr eines Tages in Nummer Sicher saß, worauf dann die treuen Hunde noch fortgesetzt an jedem Tage eine Schafherde in den Gefängnishof trieben, bis man sie endlich totschoß.

Auch am nächsten Tage nahmen wir uns Zeit auf unserer Wanderung und mußten noch einmal im Busch übernachten, ehe wir die Station erreichten. Es war eine böse, bitterkalte Nacht mit eisigem Wind, der ab und zu die Regenschauer vor sich hertrieb.

Trotz des gewaltigen Feuers vermochte ich nicht warm zu werden. Aber Brüllpeter legte sich flach auf den nassen Boden, deckte sich zu mit seiner dünnen Baumwolldecke, die die Funken von unzähligen Lagerfeuern schon wie ein Sieb durchlöchert hatten, und schlief gleich ein. Gegen Mitternacht wurde er wieder munter, zündete sich eine Zigarette an und begann in aller Ausführlichkeit von seinen Erlebnissen zu erzählen. – Wie er mit dem Großfürsten Nikolajewitsch auf Reisen war, wie er in Monte Carlo seine letzten hunderttausend Francs verspielte und wie er in Konstantinopel mit dem Großwesir dinierte. Mir wurde ein wenig unheimlich zumute bei solchen Berichten. Über das Feuer hinweg sah ich sein verwittertes Gesicht und die wilden Haare. Dieser Brüllpeter fing an, mich nervös zu machen. Ich sann auf Mittel und Wege, wie ich ihn mit Anstand wieder loswerden könnte. Aber als der Morgen graute, war er verschwunden, mit ihm aber noch etwas anderes, und das brachte mein Abenteuer im Busch zu einem vorzeitigen Ende. –

Nein, ich will nicht die Götter anklagen wegen meines Mißgeschicks. Es war ganz meine Schuld. Denn hatten mich nicht unterwegs schon alle Kenner gewarnt und mir geraten, ich solle mir eine Glocke klauen und dazu ein paar Spanner für die Vorderhufe? Nun war es zu spät. Rosinante war fort. Weit und breit war keine Spur von ihr zu sehen. Und wie sie nun finden in einem mit dickem Busch übersäten Paddock von 20 000 Hektar? Anfangs dachte ich, daß vielleicht Brüllpeter auch hier den Sklavenhändler gespielt hätte, aber den Gedanken gab ich bald auf. Die Spur seines Fahrrades war deutlich zu verfolgen in dem aufgeweichten Boden. Der alte Klepper wäre ihm nur Ballast gewesen. Mir aber war er A und O im Busch, denn wer sonst sollte mir meine Karre wieder herausfahren? Ratlos schaute ich vor mich hin. Das Weinen war mir näher als das Lachen. Und der Himmel selbst fing an zu weinen über das Mißgeschick. In Strömen kam der Regen herunter auf die graue Asche des verloschenen Feuers. Zitternd vor Frost lief ich stundenlang im Busch umher und folgte den Pferdespuren, die sich immer wieder verwirrten. Denn die Pferde gehen manchmal wunderliche Wege, und es ist nicht jeder ein Lederstrumpf, ein Winnetou, Old Shatterhand und noch viel weniger ein Sherlock Holmes.

Eine australische Schaffarm mißt nicht mit Maßen europäischer Entfernungen. Das dazugehörige Gelände wird durch Drahtzäune aufgeteilt in mächtige »Paddocks«, von denen jede einen Flächeninhalt hat von einigen 15 000–20 000 Hektar. – Und wie sich nun zurechtfinden in solchem weg- und steglosen Stück Wildnis mit den Büschen, die sich überall gleichen wie die Wege in einem Irrgarten, in dem die Spuren von Mensch und Tier wirr durcheinander laufen und es zumeist nur ein einziges Wasserloch gibt, das obendrein noch oft vertrocknet ist?

Da der Boden feucht war vom Regen und mein Pferd beschuhte Hufe hatte, was sonst nur sehr selten der Fall ist bei Buschpferden, gelang es sogar meiner Unfähigkeit in den Buschmannskünsten, die Spur zu verfolgen, die in schnurgerader Richtung Gott weiß wohin führte. Stundenlang war ich ihr gefolgt und noch immer wollte das kein Ende nehmen. Ganz erschöpft stand ich still. Der Tag begann sich schon zu neigen. Es fing wieder an zu regnen. Überall hörte man das Kru-Kruk der Wildtauben. Ganz in der Nähe heulte ein Dingo.Hunderasse Einen Augenblick wollte ich nachdenken. Ich kam mir lächerlich vor in dieser Lage. Ein häßliches Angstgefühl lief mir kalt den Rücken hinunter. – Was tun? Hier liegenbleiben in dem Regenwetter? Weitergehen – wohin? Mechanisch tappte ich wieder vorwärts hinter den Pferdespuren. Da stand ich plötzlich vor einer Telegraphenstange, die ich vor Freude beinahe umarmt hätte. Vor mir lag die große, breite Straße, die nach Wilcannia führt. Nun wollte ich keinen Schritt mehr weitergehen. Rosinante hatte ich abgetan mit einem Fluch und einem Steinwurf. Das ganze Pferdegeschäft war mir verleidet. Hier am Straßenrande wollte ich warten auf irgendein Fahrzeug, das mich mitnehmen konnte nach einem von Menschen bewohnten Platz, wo man sich die weiteren Schritte in Ruhe überlegen konnte. Ich brauchte nicht lange zu warten, denn schon nach einer Stunde tauchte ein Auto auf; der Wagen eines Händlers – er ging, wie ich später erfuhr, unter dem Namen »Lausiger Joe« –, der mich bereitwilligst mitzunehmen versprach.

Aber Versprechungen sind billig, auch im Busch. Wir waren noch nicht fünf englische Meilen weit gekommen, da muckte der Motor. Gleich darauf blieb er vollends stehen, und das war ihm nicht zu verdenken, denn es war kein Tropfen Benzin mehr im Auto. Um das Unglück voll zu machen, war auch der Wasservorrat zu Ende. Den letzten Tropfen hatte der gefräßige Kühler verschlungen. Da saßen wir nun, eine traurige, mißmutige Gesellschaft unglücklicher Reisender, neben dem hungrigen Benzinroß. Ein wenig tröstete mich die Genugtuung, daß ich nicht allein der Dumme war. Daß so etwas auch alten Buschleuten passieren konnte. Aber es war ein schwacher Trost. Glücklicherweise hatten wir in unserer Gedankenlosigkeit nicht auch noch die Streichhölzer vergessen. So machten wir ein mächtiges Feuer, um das wir freudlos saßen, während die Raben in den Bäumen krächzten. Lousy Joe erging sich in düsteren Prophezeiungen über unsere Aussichten. – Ja, das könne man nie sagen bei australischen Straßen! Jeden Augenblick mag ein Auto auftauchen. Vielleicht dauere es aber acht Tage, bis wieder eins komme.

Über meine Aussichten betreffs Wiedererlangung des Pferdes sprach er sich recht pessimistisch aus. Da habe ich mir ein schönes Unglücksvieh aufhängen lassen. Das sei nämlich ein »Springer«, der über die Zäune wegsetzt. Längst sei er schon in einem anderen Paddock, und wer da nicht ein richtiger Buschmann sei – und daß ich das nicht sei, könne man mir ja auf Meilen ansehen –, der könne es nunmehr so wenig finden wie eine verlorene Nadel in einem Heuspeicher.

Ich mußte lachen.

Rosinante!

Aber Lousy Joe blieb bei seiner Meinung. Die Zahmen, das seien eben die Schlimmsten. Mit den Menschen sei es ja auch nicht anders.

Über solchen Gesprächen war die Nacht herumgegangen und der erste Strahl des hereinbrechenden Morgens begrüßte das Postauto, das von Bourke her kam und uns nun mit Benzin versorgte. Vor wenigen Minuten erst waren sie an meiner Karre vorbeigekommen, die kaum eine halbe englische Meile entfernt neben der Straße lag. Sie hatten sich die Sache angesehen und einer von den Passagieren war nicht abgeneigt, mir den ganzen Plunder abzukaufen, so wie er da stand.

»Vier Pfund«, meinte er.

»Gut«, sagte ich.

»Und auch die Aussicht auf das Pferd, wenn ich es finde?«

»Auch das.«

Zug um Zug händigte er mir den Mammon aus. Aus war es mit der Kutsche, aus mit den großen Buschreisen, aus mit der Milchmädchenrechnung der Kaninchenfelle, die ich mir damit zu erobern gedacht. – »Adieu veau, vache, cochon, poulet.«Lebt wohl, Kalb, Kuh, Schwein und Huhn! Mit den vier Pfund marschierte ich zurück zu meinem Kamp, holte meinen Swag, nahm den Billy und marschierte weiter zum nächsten Regierungstank, ohne mich noch einmal umzusehen, denn nach den gemachten Erfahrungen konnte ich es nicht über mich bringen, noch einmal eine Nacht auf dem verfluchten Platze zuzubringen.

Der Weg war weit und schwer. Das ungewohnte Bündel drückte auf den Rücken. Es wurde Nacht und ich tappte immer noch weiter auf der breiten Straße, auf die ab und zu der Mond ein weißes Licht zwischen zerrissenen Wolken durchwarf. – Wie lang war diese Straße! Jetzt erst bekam ich einen Begriff von dem bedauernswerten Ahasverdasein der armen »Swaggies«, die da jahrzehntelang ihr Bündel ruhelos von Station zu Station schleppen.

Zwei Tage dauerte die Reise auf der Straße, die tot und ausgestorben dalag. Nur einmal traf ich unterwegs einen Kollegen von der Landstraße, der in entgegengesetzter Richtung tippelte – einen von jenen aschblonden Yorkshiremännern, die im Busch alle unter dem Kriegsnamen »Sandy« gehen. Wir setzten uns in den Busch am Straßenrand und hatten eine kleine Unterhaltung.

»Hier haben wir ihn begraben«, sagte Sandy, während er seine Pfeife stopfte. »Armer Ginger! Er war ein guter Junge, und abgesehen vom Whiskytrinken hat's ihm keiner gleichgetan. Aber einmal hat er es doch zu oft getrieben, und der Busch erwischt schließlich auch den besten Buschmann, meist gerade dann, wenn er anfängt, nicht mehr daran zu glauben. Eine Gin folgte seinen Spuren. Irgendwo fand sie seinen Rock, ein Stück Wegs weiter seinen Swag und schließlich Ginger selbst neben seinem verhungerten Hunde und dem Fahrrad, das er in einem Baum aufgehängt hatte. Denn so geht es den meisten. Eine Schraube ist immer irgendwo los bei jedem von den Jungens – denn wie sonst kämen sie in den Busch? – Aber wenn einer so drei Tage lang kein Wasser mehr gesehen hat, dann fängt er an, Schlangen zu sehen am hellen Tage, und die Polizei hat nachher die Arbeit, ihn zu verscharren unter einem Gummibaum. Der Busch hat ihn umgebracht. So geht es meistens mit den Jungens.«

Langsam und trocken hatte Sandy das erzählt, mit nachlässiger Stimme, wie einer, der davon berichtet, daß es gestern geregnet hat oder daß die Wolle um einen Penny pro Pfund hinaufgegangen ist. Die Pfeife war endlich im Gang, und er redete von etwas anderem. Ich aber war zu neu im Busch, um die grausige Geschichte so schnell zu verdauen.

»In des Gummibaums Schatten, des Gummibaums Schatten
Ist des Herdenmanns Grab.«

An jenem Abend schlief ich voller Durstqualen an einem leeren Wasserloch. Aber die Unruhe trieb mich schon um Mitternacht wieder auf den Weg, und gegen Morgen – es schien mir der kälteste in meinem Leben – erreichte ich den bewußten »Tank«, mit welchem Namen man in Australien die von der Regierung angelegten Wasserreservoire bezeichnet. Es stand dort ein ganz schönes Haus, in dem vor kurzem noch ein Postmeister residiert hatte. Ein richtiger Kochherd stand neben dem Kamin. Aber in der weiten Runde war kein Brennholz zu sehen. So tat ich, was offenbar schon andere vor mir getan hatten an diesem Platze: ich riß noch ein Stück von der Veranda ab, und als das nicht genügte, machte ich Feuerholz aus der Bank vor der Tür. Das war nicht eben »law abiding«.Hausrecht Mea maxima culpa!mein größtes Verbrechen Ich muß mich bekennen zu diesem Vandalenakt, aber wer noch nie im kalten Morgengrauen in einer Buschhütte saß, der werfe nach mir mit Steinen. Nachdem das Feuer ordentlich im Gang war, machte ich mir ein Bett auf dem Schreibtisch zurecht, und so war es eigentlich ganz gemütlich, trotzdem die Krähen wie besessen am Dache rüttelten und die Geier ein häßliches Geschrei erhoben um ein totes Känguruh, das im Hofe lag.

Gegen Mittag kam dann eine Wollkarre vorbei, deren Fuhrmann versprach, mich mitzunehmen bis zur nächsten Eisenbahnstation. Erst nach Dunkelwerden fuhren wir weiter. Zehnspännig, und ich hoch oben auf dem höchsten Wollballen. Die Nacht war kalt, aber wunderbar frisch und klar. Ringsum waren die hellen Sterne und vor mir die vielen nickenden Pferdeköpfe. Da erlebte ich im Geiste noch einmal alles, was ich hier gesehen hatte im Busch, und ich war dankbar für das, was ich erleben durfte. In der Hütte hatte ich eine schmutzige, abgegriffene Ausgabe der »Seven Seas« gefunden, und da ich nach so langer Zeit einen Hunger nach Druckerschwärze hatte, studierte ich die Gedichte beim matten Licht der Sterne. – Ja, da stand es wohl, was es am besten ausdrückte für mich und alle, die mir Weggenossen waren in diesen Wochen:

»Yes, a health to ourselves ere we scatter,
For the steamer wont wait for the train,
And the legion that never was listed,
Goes back into quarters again!
Regards!
Goes back and canvas again.
Here's now!
The swag and the billy again.
«Ja, ein Prost auf uns alle, eh' wir scheiden;
Denn das Schiff wartet nicht auf den Zug,
Und die Mannschaft, die niemals gemeldet war,
Geht zurück in ihr altes Quartier.
Seid gegrüßt!
Zurück nun ins alte Zelt.
So ist's nun einmal!
Huckt Bündel und Kochtopf auf!

 


 << zurück weiter >>