Kurt Faber
Tausend und ein Abenteuer
Kurt Faber

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9

Der König kommt!

Stanley oder Don Quichote / Endlich in Mungo / Eine überraschende Offenbarung / Ein Liebesdienst / Ich als Mohrenfürst / Fürstliche Bezahlung / Fahrt in der Barke / Der verlorene Sambesi / Allerlei Reisegefährten / Durch die Stromschnellen / Im Hexenkessel / Faule Eier und eine anstößige Küche / Was ein Negerappetit vermag / Große Vorbereitungen / »Der König kommt!« / Parker Gilbert in Afrika / Im Gefolge Seiner Majestät / Byzanz im Barotseland / Nachtlager im Caprivizipfel / Ein lustiges Abenteuer / »Ah, Kaiser gut!« / Fieber / Und noch mehr Fieber

»Quest' avventura, che diavvolo,
Mai finira?
«

Aber einmal mußte das Abenteuer doch ein Ende nehmen! Einmal mußte er doch aufhören, dieser Spuk, der mir täglich und stündlich keine Ruhe gelassen hatte in diesen aufregenden Wochen! Einmal würde man wieder leben können, ohne daß einen die Moskitos quälten und die Zecken und die Ameisen und alle die anderen Teufelstiere, die der Busch in seiner Unheiligkeit brütete. Eine ganze Nacht würde man schlafen können in einem richtigen Bette, ein Mensch wieder unter Menschen sein und nicht ein unmögliches, gehetztes Etwas, das, gepeitscht von bösen Fiebern, gejagt von tausend Unwirklichkeiten durch diese Wildnis irrt.

Wie phantastisch abenteuerlich, wie glorreich wild und ursprünglich ist doch Afrika noch immer, trotz allem! – Aber hatte ich Talent zu einem Stanley? Viel eher zu einem Don Quichote, ich, der ich mich mit einer Seele voll Ahnungslosigkeit und einer Ausrüstung für eine Wochenendpartie in dieses Abenteuer gestürzt hatte!

So ungefähr wie Kolumbus war mir dennoch zumute, als unser Kanu durch das raschelnde Schilf in den kleinen Bootshafen von Mungo einfuhr.

Keinen Augenblick zu früh waren wir gekommen. Ich setzte mich in das hohe Gras unter einem Baume, und eine Weile drehte die Welt sich wirr vor mir im Kreise. Alles sah ich noch einmal, was ich gesehen hatte in diesen letzten Wochen: die Löwen und Flußpferde, die Zecken und Sandflöhe, die Schlangen und Leoparden, die giftigen Ameisen, die Sümpfe und Urwälder, die wilden Tiere und Menschen.

Ganz schwer war es mir im Kopf, als ich in der heißen Sonne den Berg hinaufstieg zu der Station. Auf den ersten Blick konnte man sehen, daß hier Engländer etwas zu sagen haben. Ringsum sah alles ungefähr so aus wie etwa in Southdown oder Shropshire. Rasenflächen, unterbrochen von mächtigen Baumgruppen. Dann wieder niedrige Cottagesländliches Einfamilienhaus mit weiten Verandas, auf denen kurzhaarige Ladies dem Bridgespiel oblagen. Und kein Ende von Golf- und Tennisplätzen. Old England im Barotseland.

Alles das sah seltsam aus für einen, der wochenlang nur Negerhütten gesehen hatte und manchmal nicht einmal diese. Eine ältere Lady mit einem grauen Bubikopf, die eben vom Tennisplatz kam, redete ich an, denn sonst war weit und breit niemand zu sehen. Einen Augenblick lorgnettierte sie indigniert meine abgerissene Gestalt, und es schien, als ob sie gute Lust hätte, mit ihrem Tennisschläger den Wortwechsel zu verhindern.

Wo hier der Doktor zu finden wäre?

»Aow, the doctor? – I am the doctor!«

Das war eine etwas überraschende Offenbarung, aber die Lady war zu energisch, um irgendwelches Erstaunen bei sich oder ihren Mitmenschen zum Ausleben zu bringen. – Ihr Mann, so sagte sie, sei augenblicklich im Busch, so habe sie nun selbst vorübergehend die Praxis übernommen, und wenn ich Malaria hätte – und daß das der Fall sei, könne man mir ja auf Meilen ansehen – so solle ich mit ihr nach dem Spital kommen. So gingen wir nach dem sehr schönen und zeitgemäß eingerichteten Spital, wo ich einen großen Schluck Chinin und – was mir in dem Augenblick besonders wohltat – einen anderen aus einer Whiskyflasche bekam.

Ah, man muß ein armes, verlassenes, krankes, gehetztes Menschenkind sein, wie ich in jenen Tagen, um zu wissen, was Menschenhilfe und Menschenliebe ist! Nur die, die nie etwas erlebt haben in ihrem Leben, können so unbedingt von der Schlechtigkeit der Menschen reden. Ich wenigstens habe überall auch gute angetroffen. Ich wäre längst unter der Erde, wenn es anders gewesen wäre. Nachher konnte man sich einmal wieder richtig waschen, richtig ausschlafen, man begann sich wieder als Mensch unter Menschen zu fühlen. Der Urwald mit all seinen Schrecken war abgeschüttelt wie das Wasser vom Hunde, der aus dem Bade kommt.

Und doch war das alles nur eine weltabgelegene Station, tausend Meilen von nirgendwo, mit ganzen dreiunddreißig weißen Einwohnern. Aber dreiunddreißig gewichtigen Bewohnern.

Der kleinste Schreiber, der unbedeutendste Polizeisergeant, der zu Hause kaum das tägliche Brot verdienen würde mit einem kümmerlichen Solde, ist hier aufgeputzt zu einem allround gentleman, zu einem großmächtigen Bwana, vor dem die ganze Gegend zittert. Geht man auf dem Fußwege – es gibt deren nur zwei oder drei in Mungo –, so treten die des Wegs kommenden Schwarzen beiseite, fallen auf die Knie und klatschen vor Ehrfurcht in die Hände. Anfänglich war solche Ehrung etwas zu überschwänglich und daher peinlich für meine bürgerliche Ängstlichkeit. Aber schon nach zwei Tagen ertappte ich mich dabei, wie ich einen Eingeborenen mit finsterer Miene zurechtwies, weil die Reverenz nach meinem Dafürhalten nicht ehrfurchtsvoll genug ausgefallen war. So schnell gewöhnt man sich an die Allüren des Herrenmenschen!

Aber immer wieder kommt es einem hier mit einer gewissen Bitterkeit zum Bewußtsein, welchen Unterschied es doch auch für den einzelnen Menschen bedeutet, ob er einem reichen und mächtigen oder einem armen Volke angehört. Zumal der, der eben von Angola kommt und dort mit eigenen Augen sah, wie portugiesische Beamte in denselben und in höheren Stellungen sich nach der Decke strecken müssen, findet hier Stoff genug zum Nachdenken. Wo hätte je der portugiesische »Chefe de Posto« gelebt, der es gewagt hätte, seine vorgesetzte Behörde etwa um die Mittel für Errichtung eines Tennisplatzes anzugehen? Wo hätte es je eine portugiesische Kolonialbehörde gegeben, die ihm so etwas bewilligt hätte?

Und dabei – wir haben schon einmal darauf hingewiesen – ist es an den Enden der Erde überall Old England, mit Bridge und Golf und Dinner Parties, Old England im breit auseinandergegangenen Stil, mit vielen schwarzen Dienern, Beturbanten und anderen, mit einem Wort: »Kolonial«.

»To the cool of your deep verandas –
To the blaze of your jewelled main,
To the night, to the palms in the moonlight,
And the fire-fly in the cane!
«Ah, unsere tiefen, kühlen Veranden
Das Leuchten der glitzernden See,
Die Nacht, die Palmen im Mondschein
Und die Feuerfliege im Rohr!

Doch was schreibe ich? Es wird Zeit, daß ich zu meiner Geschichte zurückkehre. – –

Von Mungo sind es immer noch einige 700 bis 800 Kilometer Wegstrecke auf dem Sambesifluß, bis man bei der Stadt Livingstone an den großen Sambesifällen die Eisenbahn trifft, die von dem Kongo nach Kapstadt führt. Auf dieser Strecke ist der Fluß voller Stromschnellen, denen ein Kanu nicht zu trotzen vermag. So mußte ich mich schweren Herzens von meinem Einbaum trennen, der mich so getreulich durch Flüsse und Sümpfe bis hierher gebracht hatte. Auch meine vier Mohren wurden abbezahlt und erhielten den fürstlichen Lohn von sechs Mark pro Mann für ihre Bemühungen. Sie waren stolz und zufrieden damit, zumal ich ihnen noch je eine hübsche rote Mütze als BakschischTrinkgeld schenkte.

Wie sie wieder zurückkommen wollten nach ihrer fernen Heimat mit so wenig Zehrgeld war mir ein Rätsel. Sie selbst schienen sich darüber weiter nicht im geringsten zu bekümmern, obwohl sie ebenso wie ich hier Fremde im fremden Lande waren, dessen Sprache sie kaum verstanden. Zum Abschied machten sie es feierlich, und ich kam mir vor wie ein Mohrenfürst, als sie vor mir auf die Knie fielen und in die Hände klatschten, während unter den dicken, hochgezogenen Lippen die starken Zähne wie Elfenbein funkelten.

Treue Seelen! Ein wenig verfressen waren sie ja und, alles in allem, nicht übermäßig appetitlich anzusehen, aber man möchte jedem Herrn in zivilisierten Landen ebenso tüchtige Diener wünschen. –

Nun war auch der Zeitpunkt gekommen, wo ich endlich, endlich meine verhängnisvolle Zehnpfundnote loswerden konnte. Lange genug hatte ich gehungert. Nun wollte ich wenigstens für den Rest der Reise aus dem vollen wirtschaften können und mit dem, was ich zuviel kaufte und was der Ladeninhaber mir noch an unnützen weiteren Dingen aufschwatzte, hatte ich zuletzt wohl Proviant genug für eine noch viel umfangreichere Afrikareise, als ich endlich meinen Weg fortsetzte auf dem Sambesi, der kein Ende nehmen wollte.

Wie alle anderen in Mungo, so war auch dieser letzte ein heißer Tag. Die große Barke lag fertig zur Abfahrt im Uferschilf. Die Neger verstauten noch die letzte Ladung. Nur noch zwölf Tagereisen bis Livingstone! Immer wieder sagte ich mir das. Und doch . . .

Ich schaute über Schilf und Rohr, auf das ruhige Wasser, das regungslos in der flimmernden Hitze unter dem dunkelblauen Himmel lag. Mir war, als ob das Fieber mir wieder kalt den Rücken hinauflief. Ich dachte an die Abenteuer der vergangenen Wochen, an die schlaflosen Nächte in den düsteren Negerhütten, und es fröstelte mich ein wenig, wenn ich an die dachte, die nun noch kommen sollten. –

 

Aus war es nun mit meinem Stolz und meiner Würde als Kapitän und Schiffsreeder. Fortan war ich nur noch nüchterner Passagier. Aber am Ende der Abenteuer waren wir noch nicht. Was hatte ich mir doch alles unter Mungo vorgestellt in meinem Menschenhunger auf dem Einbaumkanu! Wie war der Ort gewachsen in meiner Phantasie zu einer Art Ersatzgroßstadt mit allen Bequemlichkeiten, von der aus man ganz bürgerlich behaglich den Weg per Dampfschiff fortsetzen konnte auf dem großen Sambesi.

Statt dessen –

Statt dessen war es auch wieder eine Art Kanu, dem ich mich anvertrauen mußte, wenn auch bequemer als der Einbaum auf dem Lungo Bungo. Das Fahrzeug war geräumig und sogar mit einem richtigen Sonnendach versehen. Als Fortbewegungsmittel dienten fünfzehn starke Neger, die ihre Paddel mit viel Temperament in Bewegung hielten. Vorerst war das Reisen nicht anders, als wir es in den letzten Reisetagen gewöhnt waren, ehe wir mit unserem Kanu nach Mungo kamen. Noch immer war der Sambesi unauffindbar zwischen den Sümpfen, die sich endlos ausbreiteten. Noch immer ging der Kurs durch enge Rinnen, zwischen hohem Schilf und Papyrusstauden, in ganz niedrigem Wasser, durch das unsere Mohren das Boot mehr schoben als ruderten. Noch immer flatterten die Reiher im Dickicht und flogen wie silberglänzende Segel in den blauen Sonnenhimmel. Noch immer glühte die Pracht der Seerosen in dem stillen Wasser, aus dem die Dörfer und Maisfelder wie Inseln hervorragten. Eine Abwechslung im Landschaftsbild brachten nur die vielen Luftspiegelungen, die auf halber Höhe des Horizonts die schönsten mit Palmen bestandenen Landschaften hinzauberten. Stundenlang dauerte oft die Erscheinung, bis sie plötzlich zerrann und nichts mehr übrigließ als das grelle Licht und die gleißende Sonne.

Spät abends legten wir an einer flachen Landzunge an, die kaum über das Schilf hinausragte, und verbrachten dort eine böse Nacht bei einem kümmerlichen Feuer, das kaum stark genug war, um die Moskitos fernzuhalten; denn es war weit und breit kein Brennholz zu finden.

Wenn ich mir bisher einbildete, der einzige Hahn im Korb auf jener Barke zu sein, so wurde ich am nächsten Morgen eines anderen belehrt. Schon vor Tagesanbruch erschien ein großes Kanu, dem ein recht umfangreiches farbiges Ehepaar entstieg. Zwei weitere kleine Kanus brachten das Gepäck der Herrschaften, unter dem man unter anderem einen grellroten Sonnenschirm und ein Paar fabelhafte Lackschuhe bemerkte, ganz zu schweigen von einem halben Dutzend Hühner, zwei Enten und einer halben Kuh, die sie als Proviant mitnahmen. Der farbige Gentleman sprach leidlich Englisch und tat mir in Zukunft gute Dienste als Dolmetscher, aber seine bessere Hälfte war so ziemlich das letzte an Unbeholfenheit und breitete sich mit ihren Sachen auf einem Flächenraum aus, der täglich wuchs wie die Wüste und uns allen nur noch einen sehr beschränkten Aktionsradius übrigließ. Proteste nutzten nichts, denn sie verstand kein Wort Englisch, und wenn ihr Mann sie mit sanften Worten zurechtwies – mehr traute er sich nicht zu –, dann kollerten ihr die Tränen aus den großen Augen, und vor lauter Kummer schob sie ihren Plunder noch weiter in die Mitte des Bootes.

Am Abend des zweiten Reisetages fanden wir endlich den verlorenen Sambesi wieder. Zwischen festen, waldigen Ufern, vielfach durchsetzt von großen Inseln, floß er nun, breiter und stattlicher als je, talabwärts. Aber nun stellten sich andere Schwierigkeiten der Schifffahrt ein, von denen wir vorher nicht gewußt hatten und deren Gefährlichkeit wir – obwohl wir davon gehört hatten – nicht abzuschätzen wußten, bis wir mitten darin waren: die Stromschnellen.

Hier, in seinem Mittellaufe, ist der Sambesi einer der tückischsten Ströme, voll reißender Wasserwirbel, die um so stärker werden, je weiter man flußabwärts kommt, bis sie dann in den berühmten Viktoriafällen ihren Höhepunkt erreichen. Kein aufregenderes Abenteuer kann man sich denken als solche Fahrt durch die Stromschnellen! Schon stundenlang vorher hört man das dumpfe, unheilvolle Brausen. Plötzlich, um eine Flußbiegung, sieht man den Hexenkessel vor sich. Man spürt den kalten Lufthauch des verdunstenden Wassers. Man sieht die weißen Schaumkämme, die über den Wirbeln tanzen. Man möchte einen Augenblick anhalten, um sich erst einmal ein wenig zu stärken für das bevorstehende Abenteuer. Aber schon sieht man an den vorübergleitenden Silhouetten des Waldufers, wie man selbst in rasender Eile in den Wirbel hineingetrieben wird. Mit einem Gefühl der Angst, das man nicht ganz unterdrücken kann, spürt man, wie das Fahrzeug in die Höhe gehoben wird und dann wieder in einem Tale versinkt, während ringsum die schwarze Wasserfläche sich hebt wie ein Höllenrachen. Schon ist man mitten im schäumenden Gischt des aufgeregten Elements. Rasend geht die Fahrt zwischen schwarzen Felsblöcken, die verderbendrohend aus dem Wasser ragen. Im Bug steht der »Induna«, der schwarze Lotse, und gibt mit ausgebreiteten Händen die Befehle, die die Ruderer blitzschnell ausführen. Es ist alles still. Keiner spricht ein Wort. Nur das Brausen des Wassers schlägt wild ans Ohr, bis nach einigen Minuten der Hexensabbath zu Ende ist und der Fluß wieder so still wird, als ob er niemals ein Wässerlein getrübt hätte. –

In der Regenzeit – und wir befanden uns mitten darin – sind jene Stromschnellen am leichtesten zu überwinden, denn wenn auch dann die Kraft der Strömung ihr Höchstmaß erreicht, so sind doch die gefährlichen Klippen zum größten Teil unter Wasser, und außerdem bietet sich stellenweise Gelegenheit, auf abseitslaufenden Kanälen im überschwemmten Lande die gefährlichen Stellen überhaupt zu umgehen, immerhin trafen wir auch jetzt noch auf zwei Stellen, wo man das gesamte Boot entladen und eine Strecke weit über Land schleppen mußte, weil hier ein Durchfahren der wasserfallartigen Schnellen einem Selbstmord gleichgekommen wäre. –

Während nun so unsere tapfere Barke ihren Weg durch den Hexenkessel fand, wurde sie täglich mehr mit allerlei Plunder beladen, bis sie aussah wie ein Apfelkahn, der zum Markte nach Treptow fährt. Da und dort hatten wir noch verschiedene eingeborene Passagiere aufgelesen, die nun alle auch noch irgendwo ihre Sachen aufbauten, trotz des Protestes der farbigen Dame, die zuerst an Bord gekommen war. Alle hatten gut vorgesorgt, damit sie unterwegs nicht Mangel litten. Kürbisse, Maiskolben, Wassermelonen türmten sich zu Bergen. Die Hühnerschar hatte sich um ein gutes Dutzend vermehrt. Die Hauptnahrung aber war eine Art saure Milch, die das ganze Fahrzeug mit einem seltsam muffigen, durchdringenden Geruch erfüllte, der mich heute in der Erinnerung noch mit Widerwillen schüttelt. Die halbe Kuh, die die farbige Dame mitgebracht hatte, war noch nicht halb aufgezehrt und verbreitete einen vergiftenden Gestank, der alle Mücken des Barotselandes an sich zog. Aber niemand dachte daran, dieses Ärgernis über Bord zu werfen. Im Gegenteil! Der Neger ist hier wie der Eskimo. Je fauler ein Stück Fleisch, desto mehr schmeichelt es seinem Gaumen. Immer wieder, wenn man durch jene Länder reist, muß man über die Magen der Menschen, über ihre Anspruchslosigkeit in bezug auf die Qualität und ihre unbegrenzte Aufnahmefähigkeit für jede Quantität staunen.

Es ist schon ein Anblick, wenn man sie abends beim Scheine des Feuers um den ungeheuren Kessel hocken sieht, in dem das Wasser kocht. Sobald es so weit ist, schüttet der Induna einen mächtigen Haufen von Mais-, Mandioka- oder Hirsemehl in das Wasser, das sprudelnd aufzischt und das Mehl zu einem grauen, klebrigen Papp aufblähen läßt, der mit einem großen Stecken nur mühsam umgerührt werden kann. Dann endlich bekommt jeder einen Klumpen, den er aus beiden Händen verspeist, ohne Salz, ohne Fett, aber mit der Würze eines gesunden Negerhungers. Kommt noch ein getrockneter Fisch oder ein Stück verfaultes Fleisch dazu, so fehlt nichts mehr zur restlosen Seligkeit. Wieviel so einer bei unbegrenzten Rationen zu vertilgen vermag, wage ich nicht in genauen Zahlen abzuschätzen. Man möchte mich für einen Münchhausen halten.

Doch ist auch im Leben des Negers nicht alles nur Magen und Materialismus. Das sah man am besten jetzt auf dem Sambesi, wo alles sich rüstete zum großen Feste, denn ein König hatte seinen Besuch angemeldet, der König von Barotseland, und der ist keineswegs ein Zaunkönig.

Auch im Volk der Neger wohnt eine ganz erhebliche staatenbildende Kraft. Als die Weißen auf ihren Eroberungszügen zuerst in den »dunklen Erdteil« vordrangen, da stießen sie fast überall auf mächtige Königreiche, die heute freilich verschwunden sind, mit Ausnahme von einigen wenigen, die aber auch nur noch ein Schattendasein führen. Es ist das Bestreben der englischen Regierung gewesen, überall neben Wildschutzgebieten auch Eingeborenenreservate zu schaffen, wo der Neger, fern von dem verderblichen Einfluß der europäischen Zivilisation, noch nach altgewohnter Weise sein Leben zu führen vermag, wo auf eine Fläche vom Umfang des Deutschen Reiches, oder doppelt soviel, kaum ein halbes Hundert Weiße als konzessionierte Händler kommen. Vielfach hat man dabei auf die noch bestehenden Formen der alten Königreiche zurückgegriffen. Uganda ist heute das größte solcher für die Eingeborenen reservierten Gebiete. Aber auch das Barotseland am Sambesi steht diesem nur wenig nach. Solches »Königreich« ist wie eine taube Nuß. Ganz Schale und sein Kern. Man läßt ihm die äußere Form und nimmt ihm die Hoheitsrechte.

»Und der König absolut, wenn er unseren Willen tut.« Der eigentliche Herrscher ist nicht der König, sondern der ihm beigegebene englische Resident, in dessen Kassen die Steuern fließen, von denen er dem lieben Landesvater soviel oder sowenig gibt, wie ihm gefällt; eine Art Parker Gilbert,amerikanischer Finanzpolitiker, Dawes-Plan! ins Afrikanische übersetzt!

In allen äußeren Funktionen aber ist er noch immer der souveräne Herrscher, der er einmal war. Die Rechtsprechung unter den Eingeborenen liegt in seinen Händen, er ist das religiöse Oberhaupt, und sein öffentliches Auftreten ist noch immer begleitet mit einem Aufwand von mystisch angehauchtem Pomp, für den der Neger so empfänglich ist.

So waren auch jetzt wieder den ganzen Sambesi entlang die Dörfer im Fieber einer freudigen Erwartung.

Der König kommt!

Ein Dorf suchte das andere zu überbieten in der Errichtung von Lagerplätzen mit stattlichen Hütten und hohen Zäunen. Ringsum wurde das Unkraut ausgerodet, und die ganze Einwohnerschaft war dabei, den Lehm auf einer weiten Fläche zu stampfen, die flach und eben war wie ein Tanzplatz.

Etwa auf halbem Wege nach Livingstone überholten wir die königliche Karawane. Es war an einer Stelle, wo man der allzu heftigen Stromschnellen wegen die Fahrzeuge ein Stück Weges über Land schleppen mußte. Wir waren mit unserer Barke bereits auf der anderen Seite und trafen Anstalten für die Weiterreise, als unsere Aufmerksamkeit durch einen wilden, ungereimten Gesang gefangengenommen wurde, der aus Hunderten von Kehlen kommen mochte. Näher und näher kam das wilde Heer. Nun sah man es deutlich: es waren die treuen Untertanen, die sich eine Ehre daraus machten, die königliche Barke zu schleppen. Es war so gut wie ein Volksfest. Voran marschierte der gesamte Hofstaat mit den Indunas, den Großleuten, in prächtigen Gewändern, bei deren Anblick alle Umstehenden auf die Knie fielen und in die Hände klatschten. Dann das Heer der nackten Mohren, die mit einem einzigen markerschütternden Jubelschrei das Boot ins Wasser zogen und zuletzt noch ein weiterer Schwarm von Großleuten und sonstigen gewöhnlichen Sterblichen, die sich sofort auf der mit mächtigen Bäumen bestandenen Wiese ausbreiteten, wo bald unzählige Feuer im fahlen Licht des sinkenden Tages leuchteten. Der König selbst war leider im Dorfe zurückgeblieben und wollte erst am nächsten Morgen nachkommen.

Zwei Tage später wurden wir wieder vom König überholt. Mitten auf dem Flusse kam die aus etwa zehn Barken bestehende Karawane in Sicht. Mit unglaublicher Schnelligkeit näherte sie sich und glitt schließlich an uns vorüber wie eine unwirkliche Erscheinung. Etwas Militärisches lag in dieser Aufmachung. Alle Ruderer waren gleich gekleidet mit roten Lendentüchern und ebensolchen hoch mit Federn geschmückten Mützen. Im Heck des königlichen Bootes stand einer mit einer großen Trommel und schlug den Takt zu den Ruderschlägen, die jedesmal das Boot mit einem fühlbaren Ruck durch das Wasser schießen machten. Es war wahrlich eine königliche Art des Reisens.

Am Abend schlugen wir unser Lager dicht neben dem des Königs auf. Noch heute bereue ich es, daß ich damals die Gelegenheit zu einer Staatsvisite verpaßte. Aber gerade hier mußte zu ungelegener Zeit das Fieber sich wieder melden, und das hat selbst vor Königen keinen Respekt. Während der ganzen Nacht kam der dumpfe Laut der Trommeln aus dem königlichen Lager, und das und das Hämmern des Blutes in den Schläfen und die verworrenen Wahnideen des Fiebers machten die Nacht so lang wie keine zuvor auf der ganzen Reise. –

Aber einmal hat auch die längste Nacht ein Ende und einmal auch die längste Wanderung. Im Verlauf des nächsten Reisetages kam in der Tat noch einmal ein Stück Südwest in Gestalt des berühmten Caprivi-Zipfels in Sicht, »Caprivi strip« wird er auch heute noch allgemein genannt, wenngleich er politisch verschwunden und, soviel mir bekannt, zum Territorium Betschuanaland geschlagen ist. Von der englischen Regierung ist er gegenwärtig zum Wildreservat erklärt, in dem die Ausübung der Jagd aufs strengste verboten ist. Auf der Karte sieht jener Landstreifen lächerlich eng aus. Wenn man aber, wie wir, beinahe drei Tage lang mit einer Geschwindigkeit von ungefähr fünfzig Kilometern pro Tag an seiner Uferstrecke hingefahren ist, so kommt es einem zum Bewußtsein, daß wir auch hier ein schönes Stück Land verloren haben. –

Es war dunkle Nacht, als wir endlich die Reise unterbrachen. Der Lagerplatz sah wenig vertrauenerweckend aus. Es roch nach Krokodilen, wie der Induna behauptete, und überall im Schilfe hörte man das Grunzen der Flußpferde. Das Quaken und Singen der Frösche war so laut, daß man kaum sein eigenes Wort verstand. Ein sumpfiger Pfad führte nach einem nahen Dorf, wo unter einem großen Baume die landesüblichen Begrüßungszeremonien mit den Einwohnern ausgetauscht wurden. Der Häuptling betrachtete mich mißtrauisch. Aber nachdem er einige Worte mit dem Induna gewechselt, klärte sich seine Miene auf wie ein Sonnenhimmel nach einem Gewitter. Höchstselbst eilte er nach der Hütte und kam mit einer fetten Ente wieder.

Wieviel die kostete?

Er schüttelte den Kopf.

Gar nichts.

Ein dickes Weib kam herbei und brachte eine Schüssel voll Eier. Die kosteten auch nichts. Andere brachten Melonen und Mangos.pflaumenähnliche Frucht Alle aber ließen sich in einem Kreis um mich nieder und starrten mich an wie ein Wundertier in einer Jahrmarktsbude. Die Sache wurde immer rätselhafter. Erst als der englisch sprechende Neger, der mit mir reiste, den Dolmetscher machte, kam ich auf den Grund des Verhaltens. – Weiß der Kuckuck, was der schwarze Halunke ihm vorgeredet!

Der Häuptling sprach, der Dolmetscher übersetzte, und alle übrigen hüllten sich in erwartungsvolles Schweigen.

– So, der Kaiser habe mich geschickt! Direkt aus Deutschland! Solange hätten sie keinen Deutschen mehr gesehen. Aber nun kämen sie wohl wieder, und alle würden wieder deutsch werden, wie sie es einmal waren und wie es auch von Rechts wegen sein sollte. Und auch der Kaiser komme wieder.

Ah, Kaiser gut! Der ließ einem jeden, was er wolle, aber dem Englischmann müsse man zehn Schilling Hüttengeld bezahlen, selbst wenn man gar keine Hütte habe. Und alle Augenblicke komme einer und frage, ob man getauft, geimpft oder gezählt sei, und ehe man sich's versehe, werde man fortgeschafft nach den Minen von Johannesburg. – Ah, Englischmann nix gut!

Der Häuptling sprach, die anderen mischten sich ein. Die Weiber kamen herbei und sangen ein Lied, während alle dazu in die Hände klatschten.

»Ah, ah, ah! Kaiser gut!«

Die Nacht war mild und schön. Die Sterne standen groß und hell am Himmel. Im Baum, im Busch und überall im Grase geisterten blau leuchtende Glühwürmchen. Von fernher grunzten die Flußpferde, und von überall kamen die verworrenen Stimmen der tropischen Nacht. –

 


 << zurück weiter >>