Kurt Faber
Tausend und ein Abenteuer
Kurt Faber

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Gesiebte Wüste

Sommer in Südwest / »Wasser tut's, freilich!« / Wir »machen einen Plan« / Mitten in der Namib / Wenn man Hartloop macht / Lüderitzbucht, die Stadt der verpaßten Gelegenheiten / Ein Hut voll Diamanten / Wo der Sand gezählt ist / »Lüderiz limitiert« / Die Wüste als Kurszettel / Bei den Sandmachern / Ein schweres Handwerk / Rationalisierte Wüste / Mitten im Sandsturm / Vierspännige Fahrt / Die Rose von Kolmannskop

Am Weihnachtsabend brachte das Christkind den ersten Regen. Man muß in Südwest gewesen sein, um zu wissen, was das bedeutet. Ein halbes Jahr lang und länger liegt das Land im grellen Sonnenbrande, in einer Dürre, die man erlebt haben muß, um sie zu begreifen. Der Sand glüht in der Sonne, die Berge stehen wie Backofen in der flimmernden Hitze, die Klippen brennen wie heiße Herdplatten in der Mittagshitze. Tag um Tag, Woche um Woche vergeht unter einer Sonne, die feindselig herniederblickt von einem Himmel, der mit jedem kommenden Tage von neuem dunkelblau wie polierter Stahl über der Steppe steht, ohne jeden Schatten einer Wolke, ohne einen Tropfen für das verschmachtende Land. Kahl und trocken liegen die Riviere, die Sandhosen wirbeln vor dem Winde, der heiß wie ein Höllenodem über die Wüste zieht. Man sieht den Buschwald mit seinen mächtigen Kameldornbäumen und wundert sich, wo die wohl die Courage hernehmen zu wachsen in solcher Dürre, die leeren Flußläufe, die wie ein Märchen anmuten aus längst vergangenen Zeiten, in denen es wirklich doch einmal geregnet haben sollte, und immer wieder ist man unter der Suggestion der Sonnenstrahlen, die sicherlich – so dünkt einen – bis in die Tiefen der Erde alle Lebenskeime versengt haben auf ewige Zeiten.

Und buchstäblich von einem Tag auf den anderen wird alles anders.

»Wasser tut's freilich!«

Auf einmal laufen die Riviere, auf einmal singen die Vögel, auf einmal grünt und blüht das Feld unter schwarzen, runden Wolken, die glückverheißend über die Steppe ziehen. Landschaften, die man acht Tage zuvor in ihrer Dürre erlebte, sind nicht wiederzuerkennen in ihrem neuen Kleide.

Der Sand, die Steine, die Klippen selbst überziehen sich mit Blumen, die in mächtigen Feldern weiß und gelb über die Steppe leuchten. Die spröden Kameldornbäume treiben gelbe Blüten, selbst die stacheligen Kakteen, denen man so viel Lebensfreudigkeit niemals zugetraut hätte, blühen auf mit seltsamen Kelchen von phantastischen Farben, und über allem liegt ein würziger Erdgeruch, der süß und berauschend in die Nase steigt. Das ist die Zeit, in der der Südwestafrikaner »einen Plan« zu machen pflegt.

Und also »machten wir einen Plan« und reisten nach den Diamantenfeldern in Lüderitzbucht. –

Wenn man von Keetmannshoop westwärts fährt zur Küste, so ist man auf einmal wieder ganz in Deutschland. Jedermann im Zuge spricht deutsch und nimmt das gleiche mit der allergrößten Selbstverständlichkeit auch von seinen Mitreisenden an. Und in jener Nacht redeten sie noch etwas lauter und lärmender als gewöhnlich, denn es war die Neujahrsnacht.

Der Morgen graute über einer Landschaft, die nicht viel anders war als jene, die tags zuvor in ihrer graugelben Einförmigkeit das Auge gekränkt, beleidigt und doch wieder auf ihre Art berauscht hatte durch das Farbenspiel der Ferne und den Blick in unendliche Weiten. Nur ist hier alles noch etwas düsterer und kahler. Es ist schon die beginnende Namib mit ihren spärlichen Gräsern und den wunderlichen Salzbüschen an den Hängen der hohen Tafelberge. Strichweise, wo es der Regen gut gemeint hatte, zieht sich ein grüner Schimmer über die Ebene, in der man da und dort etwas Weißes gewahrt, das plötzlich eine Staubwolke aufwirft und sich in der Ferne als ein davongaloppierendes Rudel Springböcke herausstellt.

Stundenlang fährt man durch dieses echt afrikanische Land, bis einem plötzlich draußen im Gelände etwas auffällt, das die Augen beleidigt. – Was ist es nur? Ein Spiel der Natur? Ein Buschmannslager? Eine verlassene Hererowerft? Verfallene Bauwerte ausgestorbener Höhlenbewohner?

»Was das wohl ist?« sagte einer, der neben mir saß. »Da sind Sie an die richtige Adresse gekommen, wenn Sie mich das fragen. Drei Jahre habe ich dort hinter Stacheldraht gesessen und dreitausend andere Deutsche mit mir. Drei volle Jahre. Wissen Sie, was das heißt? Drei Jahre zusammengepfercht wie die Schafe, eingebuddelt in Lehmpontoks wie die Kaffern und auf der Gotteswelt nichts zu tun als Pläne machen und Tabak rauchen, so man welchen hatte, und Bur und Engelsmann zu begaffen, die draußen vor dem Zaun den Gentleman mimten. Und wissen Sie, was die Stacheldrahtkrankheit ist? Nein, woher sollen Sie es denn wissen? Da bekommt man den Koller. Die Wut, die einem so schon immer am Halse würgte, kocht auf einmal über. Man fängt an zu toben. Man sucht sich eine Lücke in dem elektrisch geladenen Zaun. Man macht »Hartloop«, man wird wieder erwischt von den Kaffern, die sich die Fangprämie verdienen wollen, wenn man nicht vorher schon irgendwo in der Namib verdurstet ist. – Das ist zehn Jahre her. Aber glauben Sie nicht, daß wir heute auch noch hinter einem Stacheldrahtzaun sitzen, hinter so einem recht dicken, elektrisch geladenen, wir Deutsche in Südwest und sonstwo in der Welt? Und daß es uns noch immer schlecht bekommt, wenn wir zuweilen Hartloop machen?«

Herausfordernd schaute er mich an, aber antworten konnte ich ihm nicht. Die Antwort war zu offensichtlich.

Bald war der letzte Rest der Steppe verschwunden, und der Zug fuhr bergab zwischen Klippen und Sanddünen durch eine Gegend, der man eine Schmeichelei sagen würde, wenn man sie eine Wüste nennte. Alles ist hier Sand und Sonne und heulender Wind und Flugsand, der vor ihm über die Dünen fegt. Aber plötzlich, wenn man eben meint, das würde nie ein Ende nehmen, bemerkt man die Masten einer mächtigen Starkstromleitung, die von irgendwo nach irgendwo mitten durch die Wüste führt. Und auf einmal sieht man mitten in den Dünen die Wellblechdächer einer großen Fabrik: Kolmannskuppe, das Lager der Diamantenunion.

Wir hielten am etwas abseits gelegenen Bahnhof, wo uns die Detektive der »Consolidated Diamond«Name einer englischen diamantenschürfenden Gesellschaft mißtrauisch musterten. Denn es ist hier verbotenes Land. Eher ginge ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Unbefugter seinen Fuß setze auf diesen diamantbesäten Sand.

So fuhren wir weiter durch die Wüste, in der Namen auftauchten, die sich anhören wie ein Kapitel aus dem Kurszettel. Wohin man schaut, sind sie dabei, die Wüste durch Siebe zu schütten. Irgendwo steht ein ungeheurer Abfallhaufen von Bierflaschen und Konservenbüchsen und dicht daneben ein kleiner, kahler Kirchhof, bei dessen Anblick es einem durch den Kopf geht »Nicht hier!«

Ja, und auf einmal fegt ein frischer Wind in die stickige Atmosphäre des Eisenbahnwagens, dicht vor uns liegt das Meer, und schon fahren wir in den Bahnhof von Lüderitzbucht ein. Wir gehen durch die Stadt und betrachten uns die Sehenswürdigkeiten. – Je nun, man hat sie schnell abgetan. Sand und Klippen und ein scharfer Wind, der klagend durch die Gassen geht. Die brütende Langeweile eines englischen Sonntags liegt über dem Städtchen. Aber das ist auch das einzige Englische, was einem vorerst auffällt. Überall sieht man deutsche Inschriften an den Geschäften, überall Häuser, die gebaut wurden mit deutscher Gründlichkeit, teilweise richtige Mietskasernen, die aussehen, als ob sie eben erst von einer Straßenecke in Berlin-Friedenau nach Lüderitzbucht eingewandert wären. Freilich fehlen die ach so herrlich schönen Vorgärten und Balkonblumen, denn die zerzaust der Wind und die Sonne. Es sieht alles ein wenig kahl und neu aus. Und doch ist es eine Stadt, die schon eine Vergangenheit hinter sich hat, eine Geschichte, aus der ich ein Kapitel zu hören bekam aus dem Munde eines biederen Malermeisters in einer Kneipe am Hafen, noch ehe ich eine Stunde in diesen Mauern weilte. Die aufregende Geschichte von dem Hut voll Diamanten.

Aufs Geratewohl, wie das damals so üblich war, war er mit einem Kutter südwärts gesegelt, um zu sehen, was da zu finden wäre. Bei dunkler Nacht – denn das Geschäft vertrug nicht immer das Tageslicht – waren sie in einer Bai gelandet, um Schutz zu suchen vor einem Südweststurm. Und wie sie nun beim Feuer sitzen, sieht einer einen sechskarätigen Diamant im Sande blitzen. Keiner machte in der Nacht ein Auge zu. Im Morgengrauen schickten sie die Ovambos aus, damit sie den Schatz auflesen, immer eine Streichholzschachtel voll gegen eine Stange Tabak. Und die Diamanten kamen, bis der Hut halb voll war, und er wäre auch ganz voll geworden, wenn nicht Wassermangel sie zur Rückkehr nach Lüderitzbucht gezwungen hätte. Und dann – nun ja, man kam von einer weiten Reise und hatte eine Stärkung nötig, und so hat man zuerst einmal die Diamanten auf den Kopf gehauen in Gesellschaft von guten Kameraden und schönen Frauen. Vielleicht hat man dabei des Guten etwas zuviel getan, vielleicht hat man sich da in einer lustigen Stunde veranlaßt gesehen, etwas auszuplaudern, von dem das Ohr nicht wissen durfte, was der Mund gesprochen – als man nämlich zurückkehrte, um mehr von den schönen Dingern zu holen, war das Gelände schon abgesteckt und ein Schürfschein auf andere ausgestellt, und es gab Krach mit der Polizei. – »Ja, und wenn das anders gekommen wäre, so wäre ich heute der Diamantenkönig.«

Denn dieses ist die Stadt der verpaßten Gelegenheiten! Es gibt hier kaum einen, der nicht ein »Hätte ich« oder »Wäre ich« auf den Lippen hätte, der nicht den Traum der Millionen zerrinnen sah in diesen letzten zwanzig Jahren.

Wie muß das damals so anders gewesen sein, als man noch an den Wirtstischen um Diamanten knobelte, als Hausknechte in Hausplätzen spekulierten und weggelaufene Matrosen Diamantenkompagnien gründeten. Damals, als die Männer noch im wesentlichen unter sich waren und das Lächeln einer Barmaid nicht unter einem sechskarätigen Diamanten zu erzwingen war. Und nicht viel weniger zahlten sie für einen Kamm oder eine Zahnbürste, so jemand überhaupt auf den Gedanken gekommen wäre, so etwas zu benutzen in jener wilden Zeit, da das Glück in rauhen Stiefeln über diese rauhe Küste ging.

Und heute? Heute sind die Kämme in Lüderitzbucht so billig wie anderwärts in lausigen Zeiten, und die Barmaids lächeln für einen Sixpence, und der Sand wird mit Maschinen geschaufelt, und das Arbeiten auf den Feldern ist eine pensionsberechtigte Angelegenheit.

Es ist alles organisiert, rationalisiert, mehr noch wie anderwärts, ein Fabrikhof der Wildnis, eine Insel zwischen Meer und Wüste. Und weil es noch nicht genug ist mit den Grenzen, die die Natur gezogen hat, hat auch der Mensch noch ringsum seine Verbotstafeln aufgestellt und somit den glücklichen Landstrich zu einer Art Gefängnis gemacht für die, die ihn bewohnen. Denn weit mehr als die Menschen zählen die Diamanten und mehr als diese der Profit der Aktionäre. Wer an einem Sonntag in die Namib hinausreiten will – aber wer wollte denn das? – der muß sich zuvor bei der Polizei einen Erlaubnisschein holen, wer mit einem Segelboot ins Meer hinausfährt, der steht unter dem lauernden Auge des Gesetzes, wenn er irgendwo landen wollte am wüsten Strande. In jener Gegend ist der Sand gezählt und die Sonne verpachtet. Alles ist wertvoll, nur die Menschen nicht.

Und doch –

Wenn ich zurückdenke an die vielen absonderlichen Weltwinkel, in die mich im Laufe der Jahre ein abenteuerliches Geschick verschlagen hat, so steht Lüderitzbucht trotz allem vor meinen Augen als einer der schönsten. – Woran liegt das nur? Sicher sind es nicht die paar Häuser, die leeren Gassen, die geschäftigen Kneipen.

Ah, aber das Meer, und mehr noch als dieses die Sonne, die darauf liegt! Wo die Natur nur Tod und Dürre verbreitet, da sind zumeist die Farben um so lebendiger, und wo wären sie tiefer und berückender, von feurigerer Glut, als an einem Sommerabend in Lüderitzbucht, wenn der Himmel übernatürlich klar, in fleckenloser Reinheit erstrahlt, wenn die Sanddünen rot aufleuchten in der untergehenden Sonne und ringsum die schwarzen Felsen umsäumt sind vom Brandungsschaum der Wellen, die wie wilde Tiere herausspringen aus der Wasserwüste, über der schon die Nachtschatten liegen. Auch dieses ist eine graue Stadt am grauen Meer und eine, in die man sich verlieben könnte.

Es ist still. Nur die Möwen schreien. Nur der Donner der Brandung kommt fernher, eine Stimme von anderen Gestaden. Am Strande liegen die Fischerboote mit schlaffen Segeln. Der Widerschein der Lichter liegt zitternd auf dem Wasser. Von irgendwoher kam der klagende Laut einer Ziehharmonika. Langsam kroch der Vollmond hinter den Bergen hervor und warf ein weißes Licht auf die hohen Masten einer stolzen Viermastbark, die draußen in der Bai vor Anker lag. Angra Peguenha, die Kleine Bai, nannte sie ihr Entdecker Bartolomäus Diaz. Angra Pequena! Noch einmal ging ihr Name durch Deutschland wie das Fanal einer neuen Zeit, als der Bremer Kaufmann Lüderitz im Jahre 1884 hier die erste deutsche Flagge in Übersee aufpflanzte.

»Erwach', mein Volk, mit neuen Sinnen.
Blick in des Schicksals gold'nes Buch,
Lies in den Sternen dir den Spruch:
Du sollst die Welt gewinnen!«

Von Diaz steht noch das Kreuz auf der Landspitze, von Lüderitz spricht hier kein Denkmal, kein Stein.

Wäre er ein Engländer gewesen, würde sein Name heute vielleicht in allen deutschen Schulbüchern stehen. Da er aber nur ein Deutscher war, hat ihn das dankbare Vaterland vergessen. Hat es doch auch Karl Peters einen Mordbrenner geschimpft. –

Es war spät geworden über dem Schauen. Mich fröstelte ein wenig in dem frischen Winde. Nachdenklich ging ich nach Hause durch eine stille Gasse, in der man im unsicheren Licht der Laternen gerade noch die Inschrift auf dem Firmenschild einer Limitedkompany lesen konnte:

»Lüderitz Limited.«

Der Name kam mir vor wie ein Symbol, ein Sinnbild unserer matten, entabenteuerten Zeit.

»Lüderitz limitiert.«

Wenn man nach Lüderitzbucht kommt, so will man Diamanten sehen. Denn sie sind das Ding, um das sich dort alles dreht. Aber um ihnen die Reverenz zu erweisen, muß man zunächst einen langen und dornenvollen Instanzenweg gehen, bis man endlich von dem Direktor (mit 500 Pfund Sterling Monatsgehalt) den Erlaubnisschein erhält, mit diesen und jenen Vorbehalten natürlich, denn die Diamanten sind kitzliche Dinger.

So stehen wir am frühen Morgen vor dem gewaltigen Elektrizitätswerk, dem größten in Südafrika, das von hier aus die gesamten Felder mit Kraft versorgt. Das große Auto der Kompanie – so eine Art mailcoachPostkutsche – führt uns schnell landeinwärts in die Wüste, die hier noch trostloser wirkt, als sie uns selbst von der Eisenbahn aus erschienen war. Nach einer Stunde taucht Kolmannskop auf, ein stattliches »mining camp«,Arbeitslager bei einer Diamantenschürfstelle verweht vom Sande, der weiß auf den Dächern liegt, so daß man von weitem den Eindruck einer tief verschneiten Ortschaft hat. Aber die sengende Sonne belehrt uns, daß das eine Täuschung ist. Mit der Pünktlichkeit eines Uhrwerks treffen wir vor dem Büro des Betriebsleiters ein, der uns sogleich herumführt zwischen den Sehenswürdigkeiten dieser Wüstenstadt, durch Werkstätten und Lagerschuppen, durch lange Hallen, in denen die Feuer brennen und man fast sein eigenes Wort nicht hört über dem Lärm der Schmiedehämmer.

Eine Hölle im kleinen ist das Leben des Arbeiters auf den »Feldern«. Das kommt uns so recht zum Bewußtsein an diesem sturmgepeitschten Tage, wo der Südwest wie ein wildes Tier vom Meere aufspringt und uns die Sandwolken in die Augen schleudert, während uns die elektrische Draisine auf der schmalspurigen Feldbahn nach den dreißig Kilometer südlich gelegenen Werken an der Elisabethbucht führt. Es ist nichts weniger als eine angenehme Fahrt. Die Kraft des Sturmes wächst von Minute zu Minute. Winzige Steinsplitter kommen scharf wie Messer aus dem Nichts geflogen. Der salzige Sand setzt sich in Mund und Ohren fest, und ringsum ist alles gehüllt in düstere Schatten, wie ich sie sonst nur bei Schneestürmen im Eismeer sah. Und doch sieht man auch bei diesem unmenschlichen Wetter noch überall die Kolonnen der »Sandmacher« in Tätigkeit. Die hochgewachsenen Ovambos mit verbundenen Gesichtern und dazwischen der »weiße« Aufseher, dessen von der Wüste dunkelbraun gebranntes Gesicht ganz Sandbrille ist. Denn in diesem Lande werden die Kinder schon mit Sandbrillen geboren. Kolonnen um Kolonnen tauchen aus dem Sandsturm auf und verschwinden wieder im Sande. Zuweilen sieht man die Blechdächer menschlicher Niederlassungen, die auf der Minenkarte Namen tragen, die schönere Gegend vor das Auge zaubern: Zillertal, Heidelberg usw. Hier aber ist alles nur Sand und Sonne und Wind und Durst und Diamanten. –

Diamanten! Früher – in den ersten schönen, romantischen Zeiten – da pflegte man hinauszugehen und sie mit der Hand aufzulesen, wenn man ein Auge dafür hatte. Heute haben die Limitedcompanies ihre schwere Hand auf die Felder gelegt, das Diamantensuchen auf eigene Faust wurde offiziell zu einem Diebstahl gemacht, der schlimmer bestraft wird als ein Mord, und überdies ist alles an der Oberfläche bereits schon so sehr abgesucht, daß man heute eher nach einer verlorenen Nadel auf einem Heuspeicher suchen könnte als nach Diamanten in der Namib. Aber unter der Oberfläche ist der Sand noch so reich wie je. Und da das Geld bekanntlich zum Gelde will, sind kapitalkräftige Gesellschaften nunmehr daran gegangen, durch die Kolonnen der »Sandmacher« die ganze Wüste systematisch durch das Sieb zu schütten. Es ist ein seltsamer Spuk in der Wüste, ein hartes, entbehrungsvolles Gewerbe, aber es gibt auf dieser Welt keine Plage, der der Mensch sich nicht willig unterzöge, solange sie nur nach Dollars schmeckt. Mancher deutsche Farmer, der oben im Lande durch den Krieg um Hab und Gut gekommen war, hat hier als Sandmann sich wieder die nötigen Barmittel zu neuer Existenz erschuftet. Aber auch mit solcher Möglichkeit ist es nun schon beinahe vorbei, seitdem man angefangen hat, auch die Wüste zu rationalisieren mit mächtigen, menschenmordenden Maschinen.

Wie ein Wunder tun diese sich vor uns auf in den großen, steinernen Gebäuden an der Elisabethbucht, dicht am Rande des sturmgepeitschten Meeres, das brüllend dagegen anläuft. Der Betriebsleiter führt uns umher in den hohen, maschinendurchzitterten Hallen, in denen auch ein technisch so gänzlich unbegabter Mensch wie ich Verständnis aufbringt zum Nachdenken über die Raffiniertheit der Menschen, die die Nächte wach liegen beim Ausklügeln von Maschinen, die ihre Mitmenschen um Brot und Arbeit bringen. Nichts mehr von Sandmachern bei solchem System. Der Sand wird draußen mit Baggern in die Feldbahn geschaufelt, von dieser über laufende Bänder auf ein sinnreich ausgeklügeltes System von Sieben geschüttet und schließlich durch überlaufendes Wasser ins Meer geschwemmt. Die Wüste siebt sich ganz von selbst. In den letzten Sieben bleibt ein Rückstand von feinem Kies, in dessen Zentrum sich schwarze Steine angesammelt haben. Wie etwas Wertloses wird er in eine Kiste geschüttet. Aber siehe, nun kommen die Ovambos und fischen mit feinen Pinzetten etwas Leuchtendes daraus heraus.

Diamanten!

Wir sehen zu, versuchen es auch ein wenig und berauschen uns an solchem Sport.

Der Mann im Büro zeigt uns die Tagesausbeute.

Wir sehen hin und die Enttäuschung steigt in uns auf. Das also war es, von dem man so viel Aufhebens machte, um dessentwillen man Tag und Nacht diesen ganzen Spuk von Maschinen laufen ließ.

Eine Handvoll Diamanten. –

Mit der Draisine ging es wieder zurück nach Kolmannskop, in einem Sandsturm, den unsereins als einen Orkan ansprechen würde, der aber den dortigen Wüstenbewohnern eine Alltäglichkeit ist. Von Minute zu Minute wächst der Sturm; von Minute zu Minute wird es unsichtiger. Neben der Bahnlinie stationierte Ovambos, die mit ihren verbundenen Gesichtern wie Spukgestalten ausschauten, hatten alle Hände voll zu tun, um die verwehten Gleise freizuschaufeln. Als wir an Ort und Stelle ankamen, hatte der Sand alles wie mit einem Zuckerguß überzogen. Kein Mensch war auf der Straße zu sehen. Man hörte nur das Heulen des Windes und das zitternde Arbeiten der Maschinen. Nichts Lebendes war zu sehen. Nur in einer geschützten Ecke machte ein Oleander den rührend schüchternen Versuch zu blühen, trotz Sturm und Wetter. Hinter einem Fenster stand ein leuchtender Rosenstock, und der schien mir ein größeres Wunder als alle Diamanten.

In einer sehr anmaßenden vierspännigen Kutsche fuhren wir endlich wieder zurück durch die Dünen nach Lüderitzbucht; der Weg war weit und voller Klippen. Die Augen fielen mir zu vor Müdigkeit. Aber noch lange sah ich es vor mir wie etwas Unwirkliches: die Menschen und die Maschinen, den Spuk im Sande, die gesiebte Wüste, die Diamanten in der Pfanne.

Und die Rose von Kolmannskop.

 

Und was soll ich nun noch weiter erzählen von diesem Kapitel?

Die Tage in Südwest waren gezählt. Der Boden wurde mir zu heiß, in mehr als einer Hinsicht. Auch in Lüderitzbucht gab es Leute, die ein ganz außerordentliches Interesse an mir und meinem jeweiligen Aufenthaltsort an den Tag legten. Dafür aber stellte sich der Magistrat in Windhuk, der ja die Kaution eingezogen und dafür eine sofortige Verhandlung zugesagt hatte, andauernd taub und blind, reagierte auf keine Zuschrift, und ja – es war schon so, wie mir der verkrachte Advokat im Gefängnis gesagt hatte: »Right or wrong, my country! Die brechen jedes Gesetz und schwören jeden Meineid, wenn es sich um ihre nationalen Interessen handelt. Von denen kann unsereins noch etwas lernen.«

»Kurt Faber«, sagte ich mir, »dies ist hinfort kein angenehmes Land mehr für dich. So lange bist du hier herumgereist in- und außerhalb des Gefängnisses als das Urbild eines »undesirable«, eines lästigen, unerwünschten Ausländers, den man verfolgt und ausspioniert auf allen Wegen und Beiwegen und lieber heute als morgen über alle Berge wünscht. Tue ihnen und dir selbst den Gefallen einer Luftveränderung, wenn es nun schon nicht anders geht.«

Aber wohin?

Angola! Ja, das war's! Ein großes, schönes, apartes Land, das schon auf der Landkarte so verlockend ausschaute.

Und also kam es, daß die Wörmannlinie noch einmal sieben Pfund an mir verdiente für die Reise nach Loanda.

 


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