Kurt Faber
Tausend und ein Abenteuer
Kurt Faber

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Intermezzo in Angola

Vor Sao Paulo de Loanda / Ein seltsamer Speisezettel / Der Gott im Kaffeehaus / »Amanha!« / Das große Zuchthaus / Auch ein Miramar / Afrikanisches Cayenne / Mein Freund, der Zigeuner / Auch ein Auto / Selbst Zigeuner gehen mit der Zeit / Verstoßene Kinder / Sie fallen dem Konsul auf die Nerven / Endlich unterwegs / Auto im Urwald / Rast am Cuanza / Wander- und Wundergewerbe / Was eine Chininpille tun kann / Donna Mercedes zeigt ihr Talent / Im Libollohochland / Bei deutschen Landsleuten / »Schwarze Ware«, ein einträgliches Handwerk

Beim ersten Schimmer des hereinbrechenden Tages warf die »Usambara« Anker in der Bai von Loanda. Es ist eine offene, ungeschützte Bai, der man es ansehen kann, wie wild sie sich zuweilen gebärdet, wenn der Westwind weht. An jenem Morgen aber war sie glatt wie Glas und still wie ein Friedhof und ringsum war nichts lebendig als die heiße Luft, die darüber flimmerte. Gelb und kahl wie eine heiße Herdplatte lag das Land unter dem dicken Dunste, der an Moskitos gemahnte. Von dorther kam eine Flotte von langen, schwarzen, glorreich romantisch ausschauenden Einbaumkanus, deren noch schwärzere Besitzer Bananen und Fische feilboten und auch nicht abgeneigt waren, den weißen Senhor nach der Stadt zu fahren auf seine Rechnung und Gefahr. Aber noch rechtzeitig kam die Motorpinasse, die mich daran erinnerte, was ich meiner Würde als weißer Bwana schuldig war.

Wenig dachte ich damals daran, daß ich binnen kurzem tausend Kilometer zwischen Löwen und Flußpferden in solchem Seelenverkäufer – doch das ist eine andere Geschichte. –

Die Hafenanlagen von Loanda machen einen recht bescheidenen Eindruck in Anbetracht der Tatsache, daß die jetzigen Besitzer schon einige vierhundert Jahre Zeit gehabt haben zu ihrer Errichtung. Aber die Stadt selbst ist eine ganz angenehme Überraschung. Von der steinernen Landungsbrücke, wo ein Zollbeamter faul in der Sonne hockt, kommt man auf einen schönen, sauber gehaltenen, von Bäumen beschatteten Platz, eingefaßt von hohen Häusern, bei deren Anblick man sich nach Portugal oder Süditalien versetzt glaubt. Es ist Sonntag und alles Leben ist ausgestorben im Hafen. Nur weit in der Ferne schreit ein Esel. Irgendwo kreischt ein kränkliches Grammophon. Ein Neger, der so schwarz ist wie seine Stiefelwichse, besteht energisch auf der Verschönerung meines äußeren Menschen. Dann, als alles nichts fruchtet, packt er meine paar Habseligkeiten, ladet sie auf den Kopf und schreitet vor mir her als CiceroneFührer zum nächsten Hotel. Schnell rücken die Gassen enger zusammen. Es riecht nach Knoblauch und solchen Dingen. An einer Straßenecke ist das Volksfest im Gange, das der Südländer mehr als alles andere liebt: ein leilão, eine öffentliche Versteigerung. Trotz der Hitze – es ist ungefähr 40 Grad im Schatten – sitzen sie dichtgedrängt auf dem vermoderten Plunder und lauschen der kreischenden Stimme des Auktionators, der die Herrlichkeiten feilbietet: alte Möbel, mottenzerfressene Teppiche, schwindsüchtige Kanarienvögel, abgetakelte Heilige. Es riecht nach Motten und Naphthalin.

»Cem escudos!«100 Eskudos ruft der Auktionator mit einer Stimme, als ob er ein Regiment vor sich stehen hätte.

»Doucientos!«200 Eskudos! ruft ein anderer. Die Preise steigen wie das Thermometer hierzulande. Der lächerlichste Plunder geht für Phantasiepreise ab. Ist es nur das heiße Blut, das sich entzündet unter dieser heißen Sonne? Ist es eine Flucht in die Sachwerte wie einst bei uns in der seligen Inflationszeit? Wer kann es wissen, wer wollte darüber nachdenken bei vierzig Grad im Schatten!

Im Hotel empfängt uns ein sehr vornehmer Herr von kaffeebraunem Teint, der uns zum Speisesaal führt. Zum Mittagessen gibt es grüne Meergrassuppe, gehackten Tintenfisch, Beefsteak, garniert mit Saubohnen. Aber sie verschenken dazu einen Portwein, der alle Sünden der portugiesischen Küche wieder vergessen macht. Und nach dem Mittagessen –

Nun ja, was tut man wohl in São Paulo de Loanda? Man geht natürlich ins Kaffeehaus! Manche Kaffeehäuser habe ich gesehen, in manchen Ländern, aber solche wie die in São Paulo de Loanda noch nie. Weit in die Straße bauen sie sich hinein, mit hohen, luftigen Hallen, steingetäfelten Fußböden und fabelhaften Korbsesseln, in denen man über Welt und Menschen nachdenken kann. Alles ladet hier ein zur Ruhe und Beschaulichkeit. Und es bedarf nicht einmal der Einladung. Das ganze Leben dieser glücklichen Stadt ist ein einziges großes dolce far niente.Süßes Nichtstun Es ist Sonntag heute, und die Kaffeehäuser sind gefüllt. Aber am Werktag ist es auch nicht anders. Von morgens bis abends sind die Sessel besetzt von Kavalieren, die – Künstler des Müßigganges – in lässiger Eleganz dem Rauch der Zigaretten nachschauen. Von morgens bis abends klappern die Dominosteine, von morgens bis abends ist eine zwitschernde Unterhaltung über Dinge, die den Kopf nicht erhitzen und das Blut nicht in Wallung bringen – – über was? Ach Gott, das Meer ist groß, und Portugal ist weit. Die hohen Wellen der Politik verebben nur leise an diesem fernen Strande, geschäftlich ist ohnehin nichts los, man wird nicht reicher oder ärmer, ob man arbeitet oder nicht. So übergibt man sich ganz der Omnipotenz des Kaffeehauses und lebt in den Tag hinein, weil das Leben nun einmal gelebt sein muß.

Alle Tage Sonntag!

Und wie, wenn nun Dom Silva da Costa schon dreimal gemahnt hat wegen der goldenen Uhr, die man der Senhora zum Namenstag schenkte, wenn Ferreira die seit Monaten nicht beglichene Bäckerrechnung reklamierte, wenn Dom Manoel, der Schneider, nicht mehr warten wollte und alles ringsum stachelig ist mit ungelösten Problemen – o Gott! Man wird doch nicht sein wie ein übergeschnappter Ingles oder ein lächerlicher Allemão, der sich graue Haare über so etwas wachsen läßt! Denn wie es auch komme unter dieser Sonne, man hat ein Zauberwort, das über alles hinweghilft: Amanhã! –

Amanhã! – morgen ist auch ein Tag. Das ist die Parole dieses Landes, in dem einer von des anderen Schulden lebt. Und ob auch Costa und Manoel und Ferreira miteinander Briefe wechseln, in denen sie mit dem Rechtsanwalt drohen, so sitzen sie doch morgens, mittags und abends zusammen mit demselben Rechtsanwalt im Kaffeehaus, und die Dominosteine klappern, und die Sonne scheint dazu, und der Himmel ist heiter.

Alle Tage Sonntag.

Der Abend kommt. Die Sonne sinkt langsam ins dunkelblaue Meer, das die Brandungsstreifen entlang der Küsten wie Silberbänder säumen. Still stehen die Palmen, kaum bewegt vom leisen Abendwind. Noch immer springt keine Brise auf, die Erlösung vom heißen Tage verspricht. Nun tönt die Gebetsglocke der Kathedrale mit aufreizendem Lärm, wie wenn einer mit einem Löffel gegen einen Kochtopf schlägt. Überall wird es lebendig von trippelnden Füßen, die zur Kirche eilen. Ganz lang liegen schon die Schatten in der Straße. Je länger sie werden, desto bunter und vielgestaltiger krabbelt es aus den Häusern und hängt um die Haus- und Gartentüren in allen Farbennuancen, vom tiefsten, lackglänzenden Schwarz über Kaffee- und Schokoladefarben zum vollkommenen Weiß. Alles ist fröhlich und lustig untereinander gemischt, sehr zum Erstaunen des Wanderers, der eben erst aus Südwestafrika kommt, wo jeder Farbige streng auf die »Werft« verwiesen ist und jeder Verkehr mit ihm als unrein gilt. Aber da möge einer eher ein Stuhlbein über die Unsterblichkeit der Seele belehren als einen Portugiesen über den Begriff der Rassenschande. –

Der Tag ist vorbei. Fast ohne Dämmerung ist die tropische Nacht hereingebrochen. Groß und feurig stehen die Sterne über der Stadt, die mit einem tiefen Atemzug der Erlösung das Dunkel zu begründen scheint.

Der Tag ist Tod, und die Nacht ist Leben in São Paulo de Loanda.

Noch immer wie in der schlimmsten Mittagssonne steht der Verkehrsschutzmann an der Straßenecke; schwarz, barfuß, mit kurzen Hosen und einem Gummiknüppel. Er ist ein Stück großstädtischen Größenwahns, den man dieser sonst so vollkommenen Hauptstadt schon verzeihen muß. Viel Schaden kann er nicht anrichten, denn meistens ist er im Banne des landesüblichen dolce far niente, schläft die landesübliche Siesta, genau so wie die große Uhr auf der Kathedrale, die Bartolomäus Diaz zum letzten Male aufgezogen. Und es ist gut, daß es seither niemand wiederholte. Denn was liegt an der Zeit? Was kümmern uns die Stunden in Angola? Sie kommen und gehen und lehren uns alle die eine Lektion, die so schwer begreiflich ist für uns geplagte Mitteleuropäer: Alle Tage Sonntag.

– Ja, auch in São Paulo de Loanda kennt man heute schon Henry Ford und seine »Blechliese«, wenngleich man sie wohl vermissen könnte in diesen engen, steilen Gassen, zwischen den schönen, alten Häusern und Denkmälern, die vor dem Benzingeruch die Nase rümpfen.

Wie anders die Kutscher, die da in langen Reihen unter den staubigen Pfefferbäumen an der Praça stehen und warten und nichts tun, die ohne Einladung vorgefahren kommen und den excellentissimo senhor mit einer so königlich wohlwollend leutselig herablassenden Miene zu einer Rundfahrt auffordern, daß man nicht umhin kann, ihnen die Ehre anzutun. Und solche Rundfahrt lohnt die Mühe, zumal sie nicht anstrengend ist. Die beiden Pferde gehen in einem verschlafenen Zuckeltrab, aus dem sie nur zuweilen aufgeweckt werden durch einen sanften Peitschenhieb. Um so lebendiger ist die Zunge des Kutschers, die nicht müde wird, uns die Wunder dieser Stadt auszumalen mit der ganzen Farbenfreudigkeit einer südländischen Phantasie. Loanda ist eine von den Städten, deren Straßen immer bergauf und bergab gehen. In dieser und vieler anderer Hinsicht hat sie Ähnlichkeit mit Funchal auf Madeira, nur daß hier die Farben noch feuriger sind und die Glut der Tropen noch heißer brennt. Vierhundert Jahre portugiesischer Herrschaft schauen herab von alten, wunderlichen Hausgiebeln, seltsam verschnörkelten Türen und Toren und hohen Standbildern von wilden Konquistadoren, als Wahrzeichen der mahnenden Worte, die einst Camoëns seinem Volk zurief:

»Bewahr', o Herr, daß Spanier, Deutsche, Briten,
Daß Welsche sagen in des Stolzes Wahn,
Dem Portugiesen zieme nicht gebieten
Und das Gehorchen stünd' ihm besser an!«

Aber auf einmal hält die Kutsche mit einem Ruck. Wir sind angelangt vor der größten, vor der Sehenswürdigkeit von Loanda. Mit der Peitsche weist der Kutscher auf einen weißen Gebäudekomplex, der unter uns in der Abendsonne schimmert. Senkrecht steigt er aus dem blauen Meere auf, stolz anzusehen, etwa wie das Schloß von Miramar an der Adria. Aber ach, es ist ein Miramar, dessen Anblick schon manchen mit Schauern des Entsetzens erfüllte und noch erfüllt; ein Château d'If auf afrikanischer Erde. Das große Zuchthaus von Loanda, mit dem zu Hause in Portugal die Mütter ihre Kinder schrecken. Denn noch heute ist Loanda, und bis zu einem gewissen Grade ganz Angola, das, was es immer war in diesen vier vergangenen Jahrhunderten: das Land, zu dem man nur hinging, wenn man mußte, zu dem die Menschen ihre Schritte lenkten wie die Selbstmörder zum Strick, wenn ihnen gar nichts mehr übrig blieb in diesem Leben, eine tote Stadt unter glühender Sonne, zwischen fieberbrütenden Sümpfen, in deren Gassen gähnend die Langweile hockte; die letzte, die äußerste, die ultimo esperança, zu der man die Verbrecher hinschickte, wenn man schlimmer strafen wollte als der Tod.

Jetzt erst, beim Anblick des weiß schimmernden und doch so düsteren Gebäudes, wurde uns manches klar, auf das wir uns keinen rechten Vers machen konnten in dieser seltsamen Stadt.

Die vornehmen Senhores in den Cafés –

Verbannte, Verschickte sind es, die einmal im Leben ihre ungeschickten Finger zu tief hineingesteckt hatten in den heißen Brei der portugiesischen Politik und nun in Erwartung eines kommenden Umsturzes ihre Tage verbringen bei halbem Sold und viel Kaffee und alle Tage Bacalao (Stockfisch) in Gesellschaft einer schwarzen Senhora, die die Wäsche besorgt und auch bei anderen Wünschen und Bedürfnissen tröstend und helfend zur Seite steht.

Die Arbeiterkolonnen in den Straßen –

Zuchthäusler aus Portugal, die für den Rest ihres verpfuschten Lebens Steine schleppen und Erdarbeiten verrichten, zusammen mit ihren schwarzen und braunen Kollegen.

Lasciate ogni speranza.

Dunkel und schwül ist die Nacht, leer sind die Gassen. Aus den langen Häuserreihen schimmert kein Licht. Von überall her ertönt der heisere, Antwort heischende Wachruf der Posten am Hafen. Eine gespenstige Umwelt, ein unheimliches Milieu, eine Art afrikanisches Cayenne, bis morgen wieder die Sonne scheint und die Kaffeehäuser ihre Türen öffnen und die Dominosteine wieder klappern. –

*

Aber wie nun wieder wegkommen aus diesem Weltwinkel? Zwei Tage lang weilte ich schon in den Mauern dieser aufblühenden Stadt. Achtundvierzig Stunden, und da war keine, in der ich mir nicht diese Frage vorgelegt hätte. Vielleicht wäre das auch noch lange so weitergegangen, wenn ich nicht einem Engländer begegnet wäre, der mich auf die richtige Spur brachte.

»Well«, sagte der, »ich funktioniere hier im Nebenberuf auch als amerikanischer Konsul, und da sind heute morgen zwei Burschen in meinem Büro aufgetaucht, die ungefähr denselben Weg wie Sie haben und wohl auch ganz gut mit Ihnen auskommen sollten.«

»Meinen Sie wirklich?«

»Ja, die sind nämlich Zigeuner.«

»Zigeuner?«

»Gewiß doch! Richtige Zigeuner mit pechschwarzen Haaren und Zupfgeigen und Läusen und einer dunkelbraunen Frauensperson, die Kartenschlagen und Sterne deuten kann. – Aber Busineßmen: Fordauto, Schreibmaschine und ein Saxophon haben sie sich auch schon angeschafft. Die passen in die Welt, und amüsant sind sie auch. Ich ginge gleich mit, wenn ich nicht hier festgenagelt wäre.«

Und wo diese interessanten Herrschaften zu finden wären? fragte ich.

»Das kann man bei Zigeunern nicht ohne weiteres sagen«, meinte der Engländer, »die haben unbeständige Gewohnheiten und die Polizei hat da meist auch ein Wort mitzureden. Gestern nacht kampierten sie drüben beim Fort auf der Landzunge.«

So machte ich mich denn auf den Weg nach der Landzunge. Mit Zigeunern zu reisen, das schien mir recht apart, wenn auch etwas aufregend und anstrengend, und dann – ein Auto war schließlich so gut wie das andere.

Das Lager war leicht genug zu finden, denn es stand allein auf weiter Flur, dicht am flachen Strande, an dem die Brandung in nimmermüdem Anlauf zerschellte. Ganz in der Nähe stand ein Negerdorf mit Stroh- und Basthütten und schwarzen Einbaumkanus, auf denen nackte Kinder spielten; eine liederliche, zigeunerhafte Umwelt. Und liederlich war auch das Lager. Es hatte schon seine Richtigkeit mit dem Automobil, wenngleich es kein Ford war, sondern ein ziemlich großer Lastwagen von »General Motors«,amerikanische Automobilfabrik der fast so stattlich aussah wie jener von Mynheer Oom Piet, den ich vor kurzem erst in der Kalahari bewunderte. Und da waren auch die Zigeuner. Man brauchte sie nicht zweimal anzusehen, um sich dessen zu vergewissern. Malerisch hockten sie ums Feuer, so wie es im Buche steht.

»Hielt der eine für sich allein
In den Händen die Fiedel,
Spielte, umglüht vom Abendschein,
Sich ein feuriges Liedel.«

Ganz so war's doch nicht, denn es war ein Saxophon, und im übrigen saß die ganze Gesellschaft beim Mittagessen um den rußigen Kochtopf, während der unruhige Schein der Flammen auf ihren dunklen Gesichtern zuckte. Etwas abseits vom Feuer kauerte ein Mann mit langem, schneeweißem Bart, den offenbar der Tod vergessen hatte, und nickte unaufhörlich mit dem müden Kopfe. Die übrige Familie bestand aus einem Mann, einer Frau und einer vorerst noch unübersehbaren Schar von kleinen und halbstarken Kindern. Der Mann – einen Herrn mochte man ihn heißen – war nach der letzten Yankeemode gekleidet und trug eine mächtige, pechschwarze Haartolle. Von der Frau war wenig zu sehen, denn die Strähnen ihres vornüberhängenden Bubikopfes bedeckten das meiste, irgendwelche Trachten trugen sie nicht. Aber Zigeuner waren es doch, das konnte man sehen auf den ersten Blick – ja, und man konnte es riechen!

Schon von weitem hatten sie mich kommen sehen. Zwei unangenehm aussehende Wolfshunde mit flackrigen Augen wurden von den Kindern zurückgehalten und mit Schlägen bedacht. Die Frau – sie wäre wirklich hübsch gewesen, wenn sie sich gewaschen hätte – offerierte mit Grazie eine Tasse Kaffee, während ich dem Herrn des »Hauses« meinen Fall vortrug. Dieser sprach ein ganz perfektes Englisch mit amerikanischem Akzent. Nur wenn er sich gelegentlich mit seiner Frau zankte, verfiel er unwillkürlich in die Zigeunersprache.

Worauf dann diese mit vorwurfsvoller Miene:

»O, Donald!«

Zu solch schottischem Namen war er jedenfalls gekommen wie seine Hunde zu den Schlägen.

– Ja, sagte Donald, er habe nichts dagegen, wenn ich mitreise nach dem Innern, denn sie seien ohnehin schon zu viele für das Auto und da käme es auf einen mehr auch nicht an. Er selbst reise dann weiter nach Südwestafrika, lieber heute als morgen, aber leider seien die Aussichten nicht am besten.

»Und warum das?« fragte ich.

»Ja, sehen Sie, das ist so«, fuhr er fort, »Laonda, oder wie das Kaff hier heißt, ist ein guter Platz, ein ganz verdammt guter Platz für unser Geschäft, und gar nicht abgegrast. Da könnte man mit Kind und Kegel ein halbes Jahr lang als original-amerikanische Jazzband in den vielen Kaffeehäusern auftreten. Mercedes hier, was meine Frau ist, versteht sich fabelhaft auf's Handlesen und Kartenschlagen, aber was nutzt das alles, wenn der Policeman uns hier draußen festhält?«

»Desto besser«, sagte ich, »dann können wir gleich morgen fahren.«

»Das möchte ich auch«, fuhr der Zigeuner fort, »aber da ist noch Verschiedenes zu bedenken. Erstens haben wir kein Benzin, das man freilich im Notfall irgendwo klauen könnte. Zweitens hat der Gerichtsvollzieher einen Kuckuck auf das Auto geklebt, weil wir den Gewerbeschein von 200 Escudos nicht bezahlen konnten.«

»Vielleicht, wenn der Konsul –« warf ich ein.

»Der Konsul«, sagte Donald mit düsterer Miene.

»Der Konsul!« zischte Mercedes, und ihre Augen schossen Dolche. Nur der alte Mann nickte noch immer, als ob ihn alles nichts anginge.

»Allright«, sagte ich, »ich will es mal selbst mit ihm versuchen.«

Eine Stunde später war ich in dem Haus, über dem die amerikanische Flagge weht, im Büro beim Konsul, dessen Zigeunerliebe inzwischen schon recht erkaltet war.

»Sir«, sagte er mit zitternder Stimme, »der Himmel bewahre mich vor dem Gesindel! Seit gestern habe ich keine ruhige Stunde mehr. Keine Minute vergeht, ohne daß nicht irgend so ein Wesen vor meiner Tür herumlungert. Der ist ein armer Reisender, der um eine milde Gabe bittet, der ein großer Künstler in noch größerer Notlage, die eine junge Frau, die von ihrem Mann verstoßen wurde, jener ein junger Mann, den seine Frau verlassen hatte, und unter den vielen verstoßenen Kindern kennt man sich schon gar nicht mehr aus. Pünktlich in jeder halben Stunde kommt ein anderer. Und dabei hockt das ganze Pack Abend für Abend ums Feuer vor dem Zigeunerwagen und amüsiert sich auf meine Kosten. Fünfzig Pfund bezahle ich auf der Stelle, wenn ich sie wieder los werde.«

»Das können Sie billiger haben, Herr Konsul«, unterbrach ich ihn. »Es kostet nur einen Gewerbeschein, den der edle Herr – wie heißt er? – nicht bezahlen kann.«

»Und wieviel wäre das?«

»Zweihundert Eskudos.«

»Anderthalb Pfund. Wird gleich gemacht.« Er nahm das Telefon vom Tisch und sprach eifrig hinein. »Allright Das wäre besorgt. Der Polizeipräsident wird die Bande ausweisen, wenn sie morgen noch da ist.«

»Allright«, sagte auch ich. Zigeuner oder nicht; da war ein Auto und eine billige Reisegelegenheit, die sich so schnell nicht wieder bieten würde. Ich ging nach dem Gasthaus, packte meine wenigen Sachen und stand bald wieder vor dem Lagerplatz, wo alles in hellem Aufruhr war. Mister Donald schimpfte aus vollem Halse mit einem portugiesischen Polizisten, Donna Mercedes weinte, die Kinder schrien, die Hunde bellten. Nur der alte Mann saß noch immer auf demselben Platze und nickte mit dem Kopfe. Der Polizist sprach nur Portugiesisch, Mr. Donald nur Englisch, und so war es ein wahres Glück, daß ich dazu kam und den Dolmetscher spielte.

– Ja, es war alles nur ein Mißverständnis. Weit davon entfernt, sie von neuem zu drangsalieren, war der edle Senhor sargente da policia nur gekommen, um das Pfandsiegel abzunehmen und den Senhores Americanos eine glückliche Reise zu wünschen und einen Gruß auszurichten von Seiner Exzellenz dem prefecto da policia, der entschieden der Ansicht sei, daß man in der Kühle der Nacht am allerbesten fahre, und zwar unbedingt noch in dieser, weil es in der nächsten sicher ganz furchtbar regnen würde.

Mr. Donald war auch ganz dieser Ansicht. Er rief seine zahlreiche Familie zusammen. Der umherliegende Plunder wurde ins Auto geworfen, und da kurze Haare bekanntlich bald gebürstet sind, waren sie in fünf Minuten reisefertig. Sogar mehrere Kannen Benzin kamen plötzlich zum Vorschein.

»Boa noite!« rief der Sergeant dem davonfahrenden Auto nach.

»Boa noite!« riefen wir, »und eine Empfehlung an Seine Exzellenz den Senhor Polizeipräsident.«

Noch eine Weile fuhren wir entlang dem Strande, gegen den die silberhelle Brandung mit dumpfem Brausen aus dem nachtschwarzen Meere aufsprang. Dann bogen wir in enge Gassen über das holperige Pflaster menschenleerer Märkte, wo nirgendwo ein Licht brannte und nichts zu hören war als die heisere Stimme eines Hundes, der verschlafen bellte, oder die hallenden Schritte einer Polizeipatrouille. Ich wunderte mich, wie der Zigeuner den Weg fand, aber ohne einmal zu fragen oder zu zaudern steuerte er den Wagen mit dem Ortsinstinkt seiner Rasse durch das Straßengewirr und hinaus auf eine breite Landstraße, die schnurgerade in ein schwarzes Bergland führte. Freilich war es fast taghell unter dem Lichte des Vollmonds, der groß und rund am wolkenlosen Himmel stand. Bald zog ein dicker Dunst über die Landschaft. Schon waren wir mitten im großen Busch, der Afrika ist vom Kongo bis zum Kap.

Es war eine schwüle Nacht mit einem verhangenen Himmel, von dem der Vollmond nur matt herunterschien. Zu beiden Seiten der Straße stand die Dschungel schwarz wie ein Höllenrachen. Zumeist kroch der Busch niedrig am Boden, aber stellenweise standen Gruppen von Palmen, schlank wie Schiffsmasten, stellenweise wieder mächtige Bäume mit gewaltigen, kegelförmig aufgebauschten Stämmen und breiten Ästen, die phantastisch in die Nacht hinausragten. Ab und zu huschte ein Negerdorf und ein Bananenhain vorbei. Ab und zu grunzte und quiekte etwas im Busch. Alle Augenblicke eilte irgend etwas Flinkes über den Weg, und einmal, als der Zigeuner den Scheinwerfer seitwärts in den Busch drehte, da traf er voll in die funkelnden Augen eines fauchenden Leoparden.

Ja, das war das Afrika, von dem ich immer träumte! Alles war hier wild und unwirklich, voll von raunenden Geheimnissen, eingehüllt in den weichen Mantel der lauen Nacht. Schnell, wie immer in den Tropen, löste der Tag das Dunkel ab, aber kein Sonnenstrahl drang durch die hängenden Wolken. Der Busch war zum Urwald angewachsen, ein kalter Hauch kam aus der Dschungel, in die kein Lichtstrahl drang. Von allen Seiten kamen sprudelnde Bäche, die mit dicken Knüppeldämmen überbrückt waren.

Und nun mag man über portugiesische Verwaltungsmethoden denken, wie man will – ich kenne sie nicht und mag mir deshalb kein Urteil darüber anmaßen –, aber das eine weiß ich: die Portugiesen sind Meister in der Wegebaukunst. Von einem Winkel zum anderen ist das weite Land Angola durchzogen von einem Netz von Automobilstraßen, um die es manches europäische Land mit Fug und Recht beneiden könnte, eine wahre Beschämung für das benachbarte Südwestafrika, das nach zehnjähriger Mandatsmißwirtschaft die Landstraßen im wesentlichen noch in dem Zustande aufzuweisen hat, wie es sie zur deutschen Zeit der Ochsenwagen übernahm. Freilich geht das alles ein wenig par ordre du moufti, ländlich, schändlich, afrikanisch. Ein Ukas des Distriktschefs zitiert den betreffenden Häuptling, daß er mit seiner Dorfgemeinde an den Straßenrand ziehe, wo ihr eine Wegstrecke für Reparaturarbeiten angewiesen wird. Dafür bekommen sie dann regelmäßig ihre Ration Buschkost, aber nie einen baren Heller Löhnung. So marschiert in Portugiesisch-Afrika der Lauf der Zivilisation,

»die herein aus den Gefilden
rief den ungesell'gen Wilden.«

So fährt man im Auto durch den Urwald, der drei Schritte abseits vom Wege noch so ursprünglich ist wie der, den Stanley vorgefunden. Der Wald und die Menschen, deren primitive Basthütten ungefähr das Anspruchsloseste sind, was man auf dem Gebiete der Wohnkultur erwarten kann. Meist sind es Weiber und Kinder, die auf der Straße arbeiten, während die Männer zu Hause dem Müßiggang obliegen. Die Kinder stehen da mit schauerlich aufgetriebenen Bäuchen, barfuß bis zum Halse, die Weiber mit einem Lendenschurz und einem Piganini, das sich am Rücken festklammert und niemals seinen Halt verliert, ob die Mama nun mit der Hacke arbeitet oder als schwarze Rebekka mit dem Wasserkruge auf dem Kopf durch die afrikanische Sonne schreitet. Es ist ein Anblick, der mehr romantisch als ästhetisch wirkt. Auch der Geruch, der von ihnen ausströmt, ist nicht immer ein Duft von betäubenden Tropenblumen. Aber wer eine empfindliche Nase hat, der geht lieber gar nicht erst in den Urwald.

Im übrigen sind sie höfliche und devote Wilde. Beim Herannahen des Autos heben sie grüßend die Hand oder, falls sie einen solchen haben, ziehen sie den Hut mit tiefer Verbeugung wie vor den Lakaien einer Hofkutsche.

Denn es herrscht Ordnung im Urwald.

Je länger wir fuhren, desto mehr bewunderte ich Mr. Donald. Gewiß, es gab da keine Seitenstraßen, in denen man irr gehen konnte, aber daß einer, der so fremd wie ich selbst in Angola war, so sicher und selbstbewußt durch Nacht und Wildnis fahren konnte ohne einen Augenblick zu zaudern und zu überlegen, das war doch eine Offenbarung. Mir selbst wurde ein wenig unheimlich zumute in diesem Busch.

Aber plötzlich kam eine Lichtung. Schon fuhren wir durch eine Dorfstraße zwischen grauen Negerhütten, deren spitze Dachkegel phantastisch in den heißen Himmel ragten. Es war ein lebhaftes Dorf, fast schon eine kleine Stadt zu nennen. Kleine Kinder und bissige Hunde verfolgten das Auto. Die Männer standen faul in den Türen ihrer Lehmhütten, und überall sah man die Weiber, die in großen, hölzernen Mörsern das Hirsemehl stampften.

Bald hielten wir am Ufer eines mächtigen, hoch angeschwollenen Flusses, dessen gelbes Wasser mit dumpfem Brausen zwischen den dunklen Waldufern vorüberglitt. Das war der Cuanza, einer der größten und wasserreichsten Ströme Afrikas, ja der ganzen Welt, von dessen Existenz wir bisher – zu unserer Schande mußten wir es sagen – noch keine Ahnung gehabt hatten. Lange stand ich am Ufer und versank immer tiefer in das Betrachten der Landschaft. Es war ein Bild, wie man es sich afrikanischer nicht vorstellen konnte. Am Strande lagen große Dschunken mit hohen Masten und festgemachten Segeln. Zwischen beiden Ufern war ein ständiges Kommen und Gehen von langen, schwarzen, ganz niedrigen Einbäumen, in denen die aufrecht stehenden Schiffer aussahen wie spukhafte Gestalten, die auf dem Wasser wandelten. Und überall entlang der Ufer warteten die Trägerkolonnen mit ihren abgeworfenen Lasten und den menschlichen Lasttieren, die faul in der Sonne lagen.

Inzwischen hatte sich das ganze Dorf um unser Auto versammelt. Mit der unbegreiflichen Schnelligkeit, mit der Nachrichten in Afrika zu reisen pflegen, hatte sich schon lange vor uns die Kunde von unserem Kommen herumgesprochen als von den seltsamen Senhores Americanos, denen keine Kunst zu verborgen, keine Krankheit zu geheimnisvoll für ein Heilmittel sei. Es war, wie wenn ein verheißener Messias, aber nicht ein Zigeuner eingezogen wäre. Mit lüsternen Mienen und funkelnden, lackglänzenden Augen umlagerten sie das Auto, eine schwarze Masse, von der ein übler Geruch aufstieg. Alles war vertreten, was irgendeinen Wunsch hatte. Gesunde und Kranke, solche, die nur noch Haut und Knochen waren, und andere, deren Glieder bis zur Unkenntlichkeit verschwollen waren durch irgendeine unerhörte Krankheit. Andere wurden von ihren Angehörigen herbeigeschleppt wie lebende Leichen, müde und blaß, so weit man das von einem Neger sagen kann, und abgestorben gegen alle äußeren Eindrücke. Einer, der schrecklich anzusehen war mit seinen von der Elefantiasis angeschwollenen Beinen, kam auf mich zugehumpelt und schaute mich an mit Augen, aus denen eine Welt von Vertrauen leuchtete. – Was tun? Da half nur noch das System Coué. Ich gab ihm eine Chininpille, die er mit Todesverachtung zerbiß und hinunterschluckte. Dann – nein, es war keine Täuschung! – dann ging er sehr viel gelenkiger davon, als er gekommen war, denn soviel geht auf Konto der Einbildung bei unseren Krankheiten. Nach diesem kamen andere und zogen alle hochbeglückt ab, jeder mit einer Chininpille. Inzwischen hatte auch Donna Mercedes ihr Gewerbe aufgenommen, aber nur gegen bar oder Lebensmittel. Hühner und Eier wurden in Körben herbeigeschleppt, ein kleines Ferkel war auch schon im Auto. Aus Hand und Asche wurde geweissagt mit wenig Worten, großen Gebärden, ganz ohne Dolmetscher und anscheinend dennoch zur vollen beiderseitigen Befriedigung, obwohl keiner ein Wort von des anderen Sprache verstand. Denn solches ist die Kunst der Zigeuner. Immer größer wurde der Auflauf, immer zudringlicher die Neugier. Männer mit bunten Lendentüchern, die sie eben erst beim Händler gekauft hatten, Frauen mit Kapuzen, aus denen die Piganini herausschauten, ein Häuptling, der in nichts gekleidet war als in seine Würde und ein tadellos gebügeltes Frackhemd – alle wollten der Wunder teilhaftig werden. Mr. Donald rieb sich die Hände, Donna Mercedes strahlte über dem großen Busineß, die vielen Kinder hatten sich über die Gegend verbreitet, um Ausschau zu halten nach etwas, das die Mühe lohnte, der alte Mann nickte noch immer, wie er in Loanda genickt hatte, und alles war bei bester Laune. Nur ich selbst betrachtete mit Kummer diese neue Lage.

Da waren wir nun, und wann wir wieder fortkommen würden, das mochten die Götter wissen, denn ehe da nicht der Rahm abgeschöpft, die Milch ausgetrunken und überhaupt die letzte verlorene Möglichkeit an diesem Strande ausgekehrt und ausgekämmt worden war bis in den letzten Winkel, war an ein Weiterreisen nicht zu denken; sie müßten denn keine Zigeuner sein.

Der Tag verging. Der rote Ball der untergehenden Sonne stand schon unter den Baumkronen des Urwaldes. Die Schatten lagen lang in der Gasse. Der breite Fluß lag im Dämmerlicht und die ersten Moskitos kamen herangeschwärmt mit metallischem Summen. Die Nacht konnte nett werden! – Wer gut schlafen kann, erspart sich viel Aerger. Ich nahm meine Decken und machte mich auf die Suche nach einem einigermaßen erträglichen Nachtlager, als ich plötzlich in der Ferne etwas zu vernehmen glaubte, das angenehm wie Musik in meinen Ohren klang. Es war in der Tat das Summen eines herannahenden Automobils. Schon hielt es vor dem Gebäude eines portugiesischen Händlers, der eine Art Restauration betrieb, wo man Stockfisch und dergleichen portugiesische Nationalgerichte für teures Geld bekommen konnte. Der einzige Passagier war ein stattlicher, sehr eleganter Herr, der gelangweilt eine Zigarette um die andere rauchte in dem düsteren, fliegenumsummten Lokal.

Ob der excellentissimo senhor allein zu reisen beliebe? fragte ich mit aufkeimender Hoffnung.

»Si, Senhor.«

Und ob er sich dazu bereit fände, einen gestrandeten Caballero mitzunehmen.

»Aber natürlich. Mit dem größten Vergnügen. Betrachten Sie es als Ihr Auto.«

Dies mit einer so großen Gebärde, wie sie nur ein Portugiese fertig bringen kann.

Am anderen Morgen machten wir uns schon vor Sonnenaufgang auf den Weg. Die Zigeuner, die an so etwas gewöhnt sind, machten es kurz mit dem Abschiednehmen. Dann machten wir uns an den Flußübergang, der bei dem hohen Wasserstand eine einigermaßen atemberaubende Angelegenheit war. Für die Autos hat man eine Fähre zurechtgemacht, die an Primitivität nichts zu wünschen übrigläßt. Sie besteht aus einem von Ufer zu Ufer gespannten Kabel, an dem die Fähre hinübergeschoben wird vermittelst eines Rades, das durch »Muskelmotoren« in Bewegung gesetzt wird. Freilich sind es Menschen, die über Pferdekräfte verfügen; herkulisch gebaute Neger, denen nur ein wenig Uebung am punching ball fehlt, um Dempsey und all die anderen Götter des Fleisches vom Stuhl zu stoßen und fortan ein Leben in Ruhm und Dollars zu führen als neueste Exponenten unserer modernen Kultur. –

Zwei Stunden dauert der Flußübergang. Dann stürzt sich der Wagen wieder hinein in den Busch, wo zu beiden Seiten der Straße das hohe Elefantengras wie eine grüne Mauer steht. Bald ändert sich das Bild der Landschaft. Blaue Berge tauchen in der Ferne auf, oft gekrönt von bizarren Felsklippen, die an heimische Burgruinen erinnern. In vielen Windungen führt die Straße bergauf in immer höhere Regionen, in denen aus den Tiefen des Urwaldes die Basthütten der werdenden Plantagen herausschauen. Was immer eine Tropenlandschaft hervorzubringen vermag, wächst hier in üppiger Fülle. Wälder von Oelpalmen, Bananenhaine, die breitblättrig am Wegrand stehen. Es riecht überall nach Brand und Moder. Der Mensch geht dem Urwald zu Leibe. Zwischen verkohlten Baumstümpfen stehen schon die hellgrünen Maisfelder inmitten der dunklen Hänge des ungebrochenen Urwalds. Noch immer höher führt der Weg zwischen Wäldern und Wasserfällen, während tief unten die heiße Ebene im Dunste verdämmert. Es ist eine Gegend, die ganz auffallend an die Bergländer von Ceylon erinnert. Auch Usambara ließe sich mit ihr vergleichen.

Gegen Mittag rasteten wir bei einem großen Hause, das ganz nach Landessitte aus Lehm gebaut war und ein Dach aus getrockneten Palmblättern hatte. Um so größer war mein Erstaunen, als eine deutsche Hausfrau herauskam und mich in unverfälschtem Schwäbisch anredete. Sie lud uns ein und bewirtete uns mit der großen, schönen afrikanischen Gastfreundlichkeit, die ich noch von Südwestafrika in so guter Erinnerung hatte. Wir tranken Kaffee an dem Tische mit der bunten Decke und vergaßen darüber, daß wir in der Wildnis waren. Die kleinen blonden Buben, die in dieser Gegend mehr Löwen als weiße Menschen zu sehen bekamen, schauten uns scheu aus der Ferne zu und die Frau erzählte uns allerhand, während sie hin- und hereilte bei ihren häuslichen Geschäften. – Ja, hier im Libollohochland habe sich seit dem Krieg eine ganze Kolonie von deutschen Ansiedlern niedergelassen. Ihr nächster Nachbar sei der Herr von Soundso. Weiter landeinwärts wohne der Graf X, der Freiherr Y. Eine ganze adlige Ecke. Zum Teil seien es alte Ostafrikaner, aber auch sonst kämen so allerlei Leute von drüben, gute und weniger gute. Denn in Deutschland sei kein Raum, irgendwo müsse man doch hin, und gerade hier im Hochland sei das Klima gut, das Land fruchtbar und man bekäme so viel davon, wie man haben wolle von der portugiesischen Regierung. Das bare Geld sei zwar das Rarste, was man zu sehen bekomme in diesem Dasein, aber man habe ein Dach über dem Kopf, ein paar hundert Hektar Land, zu denen man in Deutschland nie käme und wenn erst einmal die Kaffeebäume groß wären, dann solle es wohl auch nicht am Geld fehlen.

– Ob ich mir einmal die Plantage ansehen wolle?

»Gewiß doch.«

Wir brauchten nicht weit zu gehen. Sie lag direkt hinter dem Hause. Eine Lücke im Busch, eine Wunde des Urwalds, sonst nichts. Ueberall lagen kreuz und quer die gefällten Stämme. Ueberall ragten die halbverkohlten Baumstummel aus dem jungen Grün der üppig wieder aufschießenden Vegetation. Ein scharfer Brandgeruch lag in der Luft. Zwischen drin arbeitete eine Kolonne von Schwarzen unter Führung eines langen Mulatten, dessen pockennarbiges Gesicht unter einem breitkrempigen Hut hervorschaute, ganz das Ebenbild eines Sklavenbändigers von Anno dazumal. Auch da müsse man Lehrgeld zahlen, meinte die Frau mit einem müden Blick. Anfangs habe man es mit Baumwolle versucht und teure Maschinen von Deutschland herübergebracht, die nun nutzlos in dem Schuppen verrosteten. Jetzt glaube jeder nur noch an den Kaffee, und die großen Rosinen vom Schnellreichwerden hätten sich die meisten auch schon abgewöhnt. Lieber klein, aber sicher. Aber leicht sei das nicht mit dem Haufen Kinder, dem vielen Personal und dem Mann meistens auswärts auf der Jagd und beim Frachtfahren.

Das alles erzählte die einfache Frau mit dem nüchternen Wesen und dem jungen, frühzeitig hart gewordenen Gesicht, in dem Arbeit und Sorgen und tausend Enttäuschungen ihre Spuren eingegraben hatten. Bei alledem blieben wir länger als beabsichtigt. Die Sonne stand schon tief, als wir weiter fuhren. Mein liebenswürdiger Gastgeber im Auto, der portugiesische Kavalier, der natürlich kein Wort von der Unterhaltung verstanden hatte, zeigte dennoch große Freude über das angenehme Intermezzo.

»Gute Kolonisten, diese Deutschen«, sagte er. »Besonders die Kinder machen uns Freude, denn die werden einmal sehr gute Portugiesen werden.«

Weiter ging die Reise. Flüchtig zog das Hochland an uns vorüber in seiner berauschenden Schönheit.

Dann blieben die Ansiedelungen zurück, und ringsum war alles wieder nur Busch und Urwald und Baumsavanne und Negerdörfer. Diese Wildnis ist stumm, von einer tiefen, schweren Melancholie, ganz im Gegensatz zu dem so viel dürreren Südwestafrika, wo es trotzdem überall irgendwie zwitschert und singt und gurrt von wilden Tauben, wo einem auch in der größten Wildnis die Springböcke, Strauße und Hartebeester die Zeit vertreiben. Hier aber gibt es anscheinend gar keinen nennenswerten Wildbestand. Kein brüllender Löwe, keine stampfende Elefantenherde, die wir zu sehen hofften. Das einzig Wilde in dieser Gegend ist der Mensch. Bei einem Portugiesen – er war schwarz wie Stiefelwichse, aber hier zählt alles als Portugiese, solange es drei Worte in der Sprache des Camoëns sprechen kann – hielten wir an und erkundigten uns nach der Entfernung zur nächsten Façenda. »Dreiundsiebzig Kilometer«, sagte er ohne Umschweife. So ist dieses Land der großen Nachbarschaften! Hundert zu hundert Kilometer liegen die Ansiedelungen auseinander, und dazwischen liegt nichts, ein Niemandsland, das fürs Holen zu haben ist.

Schon wird es wieder dunkel, aber noch ist die Reise nicht zu Ende. Fünfhundert Kilometer haben wir schon gefressen, fünfhundert mehr müssen wir noch machen, bis wir am Ziele sind. So entartet die Welt! Früher hatte man immer Zeit in Afrika. Nun, da man dieses Teufelsding eingeführt hat, glaubt man sich bei Tag und Nacht zu Tode rädern zu müssen auf den durchgesessenen Polstern des wildgewordenen Benzinrosses. – Weiter geht die Reise. Der Urwald steht phantastisch im Lichtkegel des Scheinwerfers. Die Affen schimpfen auf den Bäumen, das hohe Elefantengras rauscht im Luftzug des vorübersausenden Waldteufels. Vorwärts! Zeit ist Geld! Business, Dollars machen ist heute die Parole auch im innersten Urwald.

Ein wenig war ich doch noch eingeschlafen und wurde erst wieder wach, als das Auto in vorsichtig schwankender Gangart über eine baufällige Brücke fuhr, unter der ein wilder Bergbach rauschte. Die Sterne funkelten, und es war bitter kalt. Im Osten stand das erste Tageslicht als blasser Streifen über dem Horizont. Der Tag dämmerte über einer Landschaft, die nichts mehr gemein hatte mit der, die wir bisher durchschnaubt hatten. Fast konnte man sich wieder nach Südwestafrika versetzt glauben. Weite Grasflächen, nur da und dort unterbrochen von Baumgruppen, zogen sich in endlos blaue Fernen. Ein Rudel wilder Strauße lief flüchtig über die Straße, und in einiger Entfernung zogen sogar mehrere Ochsenwagen. Bald darauf kam etwas in Sicht, vor dem ich mir erst einmal die Augen reiben mußte, um mich zu vergewissern, daß es so etwas noch gibt, »Caminho de ferro«, sagte der Wagenführer.

Es war in der Tat die große Eisenbahnlinie, die von Lobitobai über das Hochland von Angola nach dem Kongo führt. Silva Porta hieß die Station und das angrenzende Dorf, zu dem der Weg führte. Wir waren am Ziel, und eigentlich hätten wir einen tiefen Schlaf verdient. Aber nein! Diese Gegend war zu schön, als daß man darüber gleich wieder einschlafen konnte, die Luft so kühl, daß man alle Müdigkeit vergaß. Eine Weile noch machte ich einen Rundgang über grüne Wiesen, in denen die lieben, schönen Blumen blühten, die wir aus Deutschland kennen, vorbei an Gärten, in denen hohe Zedern standen, ganz wie die Tannen bei uns zu Hause, und sah die blauen Hügel, die in etwas an die Gegend von Unterfranken erinnerten, und im Gehen kamen mir so allerlei Gedanken: Wieso kommt es, daß diese riesigen, durchaus gesunden und fruchtbaren Hochländer von Angola, die mindestens so gut und besser sind als die von Rhodesia und am Kenia, bisher so gar keine Anziehungskraft auszuüben vermochten auf europäische, zumal deutsche Auswanderer? Da rennen sie in die unmöglichsten und abgelegensten Gegenden, in moskitobrütende Sümpfe, eine sichere Beute des Fiebers, und hier liegt ein herrliches, heimatlich anmutendes Land unter milder Sonne unbeachtet und vergessen. Und dabei bekommt man das Land umsonst von der Regierung!

Am Abend saß ich im Hotel, dem einzigen, besten und schlechtesten am Platze, und aß Stockfisch mit Bohnen, das übliche portugiesische Menü und trank dazu einen Wein, der wohl im Urwald gewachsen war, und der Wirt saß mit mir am Tisch und erkundigte sich sehr genau nach dem Woher und Wohin, denn Fremde sind kein alltägliches Ereignis in Silva Porto.

Und wer denn der elegante, liebenswürdige Herr sei, mit dessen Auto ich hierher gekommen war? wollte ich wissen.

»Dom Pedro?«

»Ja, so hörte ich ihn nennen.«

»Dom Pedro«, wiederholte der Wirt, »der hat so seine eigenen Geschäfte; seine ganz besonderen Geschäfte.«

»So –?« sagte ich.

»Freilich«, fuhr der Wirt fort, »denn sehen Sie, das ist so in Angola: mit dem Hotelbetrieb ist nichts zu verdienen, Händler gibt es auch mehr als genug. Mit anständiger Arbeit kann man sich nicht ernähren. Am besten haben's noch die Präfekten, denn denen geht viel durch die Finger und manches bleibt daran hängen; aber dazu muß man geboren sein. Da ist dann das zweitbeste, daß man mit den Präfekten so gut steht wie Dom Pedro. Da kann man dann ungestört mit schwarzer Ware handeln.«

»Mit schwarzer Ware?«

»Nun ja, man geht in die Dörfer mit ein paar Schnapsflaschen, großen Versprechungen und einem Steuerzettel, das übrige kommt dann ganz von selbst. Im Handumdrehen hat man eine ganze Schiffsladung für die Kakaoplantagen auf São Thomé. Ein ganz reelles Geschäft. Nichts daran auszusetzen. – Ah, aber ein halbes Jahr lang möchte ich doch in den Schuhen Pedros stecken und hier mit schwarzer Ware handeln. Dann wäre ich gesund, dann hätte ich ein Hotel in Lissabon statt der Kneipe in diesem Affenlande.«

 


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